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Zuschnitt 23
Holzarten
Zuschnitt 23, Foto: Gerda Eichholzer
zur Zeitschrift: zuschnitt

Zu laut gejodelt, aber nicht verstummt

»Wir bauen eine Zirbenstube!« Was anfangs eher für bürointernes Amusement sorgte, fand kürzlich in Vorarlberg seine bauliche Umsetzung – und zwar mehrfach. Insgesamt sechs Zirbenstüble konzipierte die arge Riepl Riepl und Johannes Kaufmann als Aufenthaltsräume für die Bewohner eines Seniorenwohnheims in Dornbirn. Weitab vom gängigen Zirbenstuben-Klischee stehen die geräumigen Stüble für eine gelungene Neuinterpretation einer in Vergessenheit geratenen Holzart. Die derzeitigen Architekturtrends verheißen der Zirbe eine bereits einsetzende Renaissance.

20. September 2006 - Nora G. Vorderwinkler
Ursprünglich galt die Zirbe in den alpinen Regionen Mitteleuropas über Jahrhunderte als bevorzugte Holzart für den Innenausbau. Als die raumtypologische Entwicklung des Bauernhauses im 15. Jahrhundert erstmals die Trennung von Küche und Wohnraum hervorbrachte, gewann die Stube zunehmend an Bedeutung. Durch Holzverkleidungen an Decken und Wänden wurde diese zum wichtigsten Aufenthaltsraum des Hauses aufgewertet. Und als Holzart kam dabei meist die Zirbe zum Einsatz, denn ihre großen Bestände im hochalpinen Gebiet lieferten Rohstoff im Überfluss. Als Vorzug dieser weichen Holzart wurde ihre leichte Bearbeitbarkeit von Hand geschätzt. Die reichen Schnitzereien an Stubenelementen standen schon bald als Zeichen für Wohlstand. Zu den üblichen Hochzeitsgaben zählten reich dekorierte Truhen aus Zirbenholz zur Aufbewahrung wertvoller Gegenstände. Hier kam eine bemerkenswerte Eigenschaft des Materials zum Einsatz: dank seiner mottenabweisenden Wirkung ließen sich Festgewänder generationenlang unversehrt in den Truhen aufbewahren. Die Tradition der geschnitzten Zirbenstube entwickelte sich über Jahrhunderte weiter, bis ihr Image in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch exzessiven Einsatz im Namen eines missverstandenen Traditionsbewusstseins zusehends in die Rustikalecke gedrängt wurde.

Die Assoziationen der Zirbe mit üppig geschnitzten, funktionslosen Balkenimitaten und überbordend dekorierten Täfelungen, die bis heute Hotelsuiten und Gaststätten von beachtlichen Dimensionen zieren, hielten sich hartnäckig bis weit in die 1990er Jahre. Als Folge dieses Imageverlustes fand die heimische Kiefernart kaum mehr Absatz, große Bestände lagen brach. Doch eine längerfristige Überalterung der Zirbenbestände ist stets mit einer ökologischen Gefahr verbunden: die niedrigen und äußerst widerstandsfähigen Kieferngewächse sind nicht selten in steilen Hanglagen fest verwurzelt und erfüllen somit eine wichtige Schutzfunktion gegen Lawinen und Hangerosionen.

Einer gemeinsamen Initiative des Tiroler Waldbesitzerverbandes mit den Landesforstdirektionen von Nord-, Südtirol und der Schweiz ist zu verdanken, dass einer Überalterung der Schutzwälder entgegengewirkt werden konnte. Bei einer einberufenen Zirbentagung im Jahr 2000 wurden neben den Möglichkeiten einer Imagekorrektur auch geeignete Vermarktungsstrategien angedacht, um die Zirbe in der zeitgenössischen Architektur wieder zu etablieren. Dazu sollte das uralte Wissen um Materialverhalten und Wirkung des Zirbenholzes wissenschaftlich untermauert werden. Die Forschungsgesellschaft Joanneum Research in Graz führte dazu eine breit angelegte Versuchsreihe durch. Die daraus gewonnenen Ergebnisse lieferten unzählige Argumente, um die lange verkannte Holzart wieder erfolgreich zu vermarkten.

Im Vergleich mit anderen heimischen Nadelholzarten zeichnet sich die Zirbe durch ihr geringes Gewicht aus. Außerdem weist sie das geringste Quell- und Schwindverhalten auf, wodurch sie kaum zur Rissbildung neigt. Das zirbeneigene Terpen Pinosylvin wirkt nachweislich Pilzen und Bakterien entgegen. Zwischenzeitlich werden die wertvollen Holzinhaltsstoffe der Zirbe, die erwiesenermaßen eine äußerst positive und beruhigende Wirkung auf den menschlichen Organismus haben, in Form von Ölen, Seifen und Kissenfüllungen am Markt angeboten. Die eindrücklichsten Laborergebnisse der Grazer Studie belegen nämlich, dass der menschliche Biorhythmus in Räumen mit Zirbeninterieur messbar ruhiger arbeitet, so konnte bei »Zirbenbettschläfern« gar eine durchschnittliche »Ersparnis« von 3500 Herzschlägen pro Tag festgestellt werden. Der positive Einfluss reichte sogar so weit, dass bei den Testpersonen in Zirbenräumen keine Wetterfühligkeit nachweisbar war. Angesichts dieser erstaunlichen Forschungsergebnisse überrascht es kaum, dass die Wiedereinführung des Zirbenholzes beim Bau just in unseren gesundheits- und wellnessorientierten Zeiten erfolgversprechend anläuft.

Dass die positiven Eigenschaften der Zirbe zu wesentlich weitreichenderen Zwecken eingesetzt werden, beweisen die eingangs erwähnten Aufenthaltsbereiche für Betagte von Kaufmann und Riepl Riepl in der Dornbirner Seniorenresidenz. Um diese möglichst gemütlich zu gestalten, stand die Idee des »Vorarlberger Stubencharakters« anfangs tatsächlich im Vordergrund. In Gesprächen mit den künftigen Nutzern der Institution stellte sich heraus, dass die beruhigende Wirkung der Zirbe die heutigen therapeutischen Ansätze in der Altenbetreuung auf ideale Weise ergänzt: »Im modernen Pflegebereich versucht man zunehmend, die Sinne der HeimbewohnerInnen so lange wie möglich zu fördern. Durch den Einsatz der Zirbe wurde die Kombination des Vertrauten mit der Förderung des Geruchs- und Tastsinnes erreicht«, so Johannes Kaufmann. Eben dieser therapeutische Effekt wurde bis in den Garten weiterverfolgt: stark riechende Kräuter sollen die Erinnerungsfähigkeit von schwer dementen Patienten möglichst lange anregen.

Anwendungsgebiete, die dem Zirbenholz seine vielfältigen Talente in ihrem gesamten Umfang abverlangen, sind Bade- und Wellnessbereiche. In hygienischer, konstruktiver und regenerativer Hinsicht entfaltet die Zirbe hier ihr ganzes Können – und ihren charakteristischen Duft, der dank der hohen Konzentration an ätherischen Ölen als besonders lang anhaltend gilt. Diese überzeugenden Tatsachen führten zu einem Siegeszug der Zirbe bei Badezimmern, Schwitzboxen und Ruheräumen.

Die mannigfaltigen Vorzüge einer Zirbenausstattung genießt auch der Bewohner einer Hausmeisterwohnung in Lech am Arlberg, die vom Architektenteam Holzbox im Jahr 2004 ausgestattet wurde. Das maßgeschneiderte Minimalhaus wird dieser Bezeichnung in jeder Hinsicht gerecht: In einer gelungenen Kombination von Zirbeneinbauten und Elementen aus Schichtholzplatten wurde jeder Winkel des ehemaligen Autoliftgebäudes aus den 1980er Jahren auf optimale Weise genutzt. Der Hausmeister, ein überzeugter Wahlvorarlberger, ist von seinem praktischen Einmann-Haushalt begeistert: »Mein Wohlgefühl hier in Oberlech hängt sicher auch mit diesem Wohnraum zusammen.« Und tatsächlich bildet das rundum zirbenverkleidete Interieur des Baues inmitten der hochalpinen Vorarlberger Landschaft eine spürbar authentische Einheit. Armin Kathan vom Holzbox-Team zeigt sich von der Neuinterpretation der geschichtsträchtigen Holzart überzeugt: »Es werden ganz sicher noch weitere Anwendungen von Zirbe in unseren Projekten folgen.«

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifelzweifel[at]proholz.at

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