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Auf die Architektur-Karte setzen
Der Standard

„Unterschiedliche Architekturstile für unterschiedliche Menschen“, lautet der Werbeslogan der Blauen Lagune. Daher fragen wir im Fertighaus-Jargon: Wo ist das billige Architektenhaus geblieben, gibt es das überhaupt? Hier eine Antwort

18. März 2006 - Wojciech Czaja
In einem schönen, feinen Gärtchen irgendwo in Wien befindet sich seit einigen Jahren ein konzeptionell zugespitztes und feuchtfröhliches Kleinod namens Schwimmbad und Saunahaus. Ja, das klingt wie der Beginn eines süßen Architekturmärchens, hätte es da bloß nicht den Streit zwischen Bauherrin und Architekten gegeben, der die Parteien für alle Zeiten auseinander gerissen hat. Der Grund der Sache: Die überzeugte Anhängerin zeitgenössischer Architektur wollte sich etwas Gutes tun und beauftragte eines dieser coolen Büros aus dem Wien der Jahrtausendwende. Bezahlt hat die Kundin mit einer Kostenexplosion in der Höhe von 250 Prozent.

Bitter. Doch dieser Vorfall ist Bestandteil der beinharten Realität. Architektur mag zwar eine schöne Disziplin sein. Manchmal aber verkommen die Bauherren schnurstracks zu unterdrückten Mäzenen eines teilweise arroganten und schwarz gekleideten Künstlertums, dessen oberste Prämisse nicht etwa die Zufriedenheit aller ist, sondern einzig und allein die eigene Publicity (DER STANDARD berichtete in der Vorwoche). Um den medial eingeschüchterten Geist der Architektur jedoch nicht allzu sehr im Trockenen sitzen zu lassen, wollen wir diese Woche zu einem überraschenden und optimistischen Aber umschwenken.

Schauplatzwechsel. Nicht weit von Graz befindet sich - am oberen Ende eines Steinbruchs thronend - das Domizil der Familie Sablatnig. So viel gleich einmal vorweg: Ein Meilenstein in der österreichischen Architekturgeschichte ist das Bauwerk in Seiersberg gewiss nicht. Aber es ist ein individuell geplantes Haus aus der Feder von Patricia Ibounigg-Strasser, das selbst ein Jahr nach Inbetriebnahme - nach einem ersten Sommer und einem ersten Winter - die Bauherren immer noch mit Glück und Stolz erfreut.

Eckdaten: Vater, Mutter, Kind. Steilhang, Holzriegelbauweise, Niedrigenergiehaus. Und zwei vorgelagerte Terrassen sind sich neben den knapp 150 Quadratmeter Wohnnutzfläche auch noch ausgegangen. Das alles um sage und schreibe 200.000 Euro. Und damit es in der nettohantierenden Szene nicht zu Missverständnissen kommt, sei noch angemerkt, dass hier bereits vom allseits gefürchteten Bruttopreis die Rede ist. „Beim Erstgespräch habe ich nicht daran geglaubt, dass wir das Haus in diesem Kostenrahmen durchkriegen werden“, erzählt der inbrünstige Peter Sablatnig. Doch offensichtlich hat hier eine Architektin ihren Auftrag ernst genommen und diesen gewissenhaft zu Ende gebracht.

Von der Straße birgt das Haus ein gewisses Geheimnis, wie wir es schon von einem ganz, ganz großen Bruder kennen, nämlich von der Villa Tugendhat in Brünn. Der Eingang wirkt bescheiden, auf der einen Seite gibt es einen Carport, auf der anderen Seite verstecken sich ein paar Mülltonnen verschmitzt hinter einem Bretterverschlag. Ein Obergeschoß sucht man vergeblich, stattdessen schließt ein Flachdach das Haus nach oben ab. Wie es die Topografie mit einer Selbstverständlichkeit fordert, findet im Obergeschoß das familiäre Wohnen statt, während im Untergeschoß privatisiert und staugeraumt wird.

Bei den dicken Kunststoff-Profilen, die es mit der bildhaften Rahmung der Landschaft leider allzu gut meinen, zwickt es einen kurz in der Brust. Sablatnig: „Schön sind die Kunststoff-Fenster natürlich nicht, was hätte ich nicht alles gegeben für eine Nurglas-Anlage!“ Kommt Zeit, kommt Geld, die paar Fenster lassen sich in ein paar Jahren auch noch austauschen. So sehen sie aus, die Kompromisse zwischen Substanz und Luxus, die ein Bauherr mit seinem Architekten angesichts so enger Kostenvorgaben eingehen muss. Genauso wie die Tatsache, dass hier nicht unbedingt Klein-Bilbao aus dem Boden gestampft wurde, sondern dass das Haus oben am Berg wahrscheinlich sogar einen Vorarlberger neue Lektionen in puncto Pragmatik lehrt. „Wenn es billig sein muss, fängt alles damit an, wie man die eigenen Arbeitsstunden und die Stunden der Professionisten auf ein Minimum reduzieren kann“, erklärt die Architekturschaffende.

Das klingt alles nicht so sexy, nicht wahr? Und ein Großteil der (architektonischen) Leserschaft ist wahrscheinlich schon kurz davor, die Lektüre zu schmeißen. Wer braucht schon diese billige Immobilienwerbung aus Seiersberg! Doch genau das ist der springende Punkt. Einerseits gibt es die Architektur für die Architekten, doch andererseits haben wir es auch mit der Architektur für die Bauherren zu tun. Leider - das muss man sich eingestehen - sind diese beiden Szenarien in Österreich nicht unbedingt deckungsgleich. Das beweist der schon seit Jahren anhaltende Ansturm auf die Fertighaus-Branche. Rund 350.000 Besucher strömen jährlich in „Europas Hauptstadt der Fertighäuser“, wie sich die Blaue Lagune so hübsch selbst bewirbt.

Wie spannt man den Spagat zwischen Architekten und Laien? Und muss man diesen Weg denn unbedingt schwimmend durch die Blaue Lagune zurücklegen? Ein grober Kostenvergleich und ein kurz gehaltener Spaziergang durch das Fertighausdorf im Süden von Wien brachte am eigenen Leibe nicht nur visuell bedingte Magengeschwüre, sondern auch die Erkenntnis, dass das traute Eigenheim von der Stange nicht zwingend billiger sein muss. Wie man sieht, wollen auch Kompositionen aus Fensterfaschen und schmucke Dachziegel en masse ordentlich entgolten werden. Ganz gleich also, ob die Produkte „Generation X“, „Concept“, „Magic“ oder „Familiy 3000“ genannt werden, müssen sie sich doch ein bisschen anstrengen, um mit einem günstigen und intelligent geplanten Individualhaus vom Architekten mithalten zu können. Einzige Variable bei der Planung nach Wunsch ist die Tatsache, dass es nach oben keine Grenze gibt.

Und da wird es dann wieder interessant für den nicht gerade medienscheuen Architekten der 00er-Jahre: Denn steigt das Budget, dann steigt damit auch gleich das Image. Selbst wenn es sich dabei „nur“ um Einfamilienhäuser handelt, das betonierte Urhaus in Leymen (Herzog & de Meuron) und die Maison à Bordeaux (Rem Koolhaas) kennt wohl jeder.

„Das Haus muss nicht nach allen Mitteln nach außen protzen“, erklärt Ibounigg-Strasser, „gerade bei einem niedrigen Budget ist die innere Qualität sicherlich das Wichtigste.“ Man habe nichts davon, ein schönes Einfamilienhaus entworfen zu haben, das dann die gesamte Familie in Unzufriedenheit stürzt. Auch Architekt Roland Gnaiger, Mediator im ewigen Dilemma zwischen Architekten und Laien, erklärt dem STANDARD gegenüber, man müsse Architektur endlich wieder „als kulturelle, künstlerische Aufgabe und - nicht oder, sondern und! - als Dienstleistung ernst nehmen“. Den Bauherren lediglich als Mittel zum Zweck seines eigenen Architekturschaffens zu verwenden, das werde schon viel zu oft praktiziert.

Da steht man also, gescholten und nicht klüger als zuvor. Von den vielen Architekten, die am Rande ihres bauenden Schaffens auch ein bisschen Theorie betreiben, gibt es einige wenige, die die Meinung vertreten, man müsse nicht mit jedem Projektchen den Pritzker-Preis gewinnen können. Ganz im Gegenteil, im Mittelpunkt stehe der Mensch, zumindest steht dieses einprägsame Satzerl auf jeder zweiten Homepage eines österreichischen Architekturbüros.

Zurück zum Haus Sablatnig in Seiersberg - hier stand der Mensch tatsächlich im Mittelpunkt. Für alle anderen Menschen ist die grau verputzte Hangschachtel wahrscheinlich gähnend langweilig. Auch o. k. „In dem Moment, wo es ums Leben geht, kann man keine allzu großen Experimente eingehen“, erzählt Patricia Ibounigg-Strasser, „gerade bei einem Einfamilienhaus hat man es in der Regel mit Bauherren zu tun, die genau nur einmal im Leben bauen.“ Darauf müsse ein Architekt Rücksicht nehmen können. Das gilt es zu respektieren.

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