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Der weite Weg von 2003 bis 2010
Der Standard

Nach dem Kulturhauptstadtjahr wird in Graz Architektur in kleinen Dosen verabreicht

8. April 2008 - Wojciech Czaja
Graz - An der Bevölkerung gemessen gibt es in Graz mit 440 Büros doppelt so viele Architekturbüros wie in der Bundeshauptstadt Wien. Mehr als die Murinsel und das Kunsthaus Graz, beides Produkte von Graz 2003 und just von einem New Yorker Künstler beziehungsweise von zwei britischen Architekten entworfen, fällt einem auf Anhieb aber doch nicht ein. Der blaue „Friendly Alien“ von Colin Fournier und Peter Cook am rechten Murufer (kolportierte Baukosten: 38 Millionen Euro) war das letzte Projekt von derart großem Ausmaß und internationaler Reputation.

Schock-Starre

Tatsächlich ist das Baugeschehen in Graz heute alles andere als bewegt. „Nach 2003 kam der totale Schock“, sagt Markus Bogensberger, Vorstandsmitglied des Hauses der Architektur (HDA) Graz. Man habe sich massiv überfordert. „Was danach kam, war jahrelanges Nichtstun.“ Nur allmählich hat sich Graz von seiner Überanstrengung erholt - nicht mit medienwirksamen Spektakelprojekten, sondern mit kleinen Initiativen, die der Stadt in winzigen (und nachhaltig wirksamen) Dosen verabreicht werden.

Eines der langfristigsten Vorhaben ist die Aufwertung des traditionellen Arbeiterviertels Lend im Hinterland des Kunsthauses. Waren die öden Gassen früher von Nachtclubs und Wettbüros gesäumt, erkannten vife Geschäftstreibende 2003 ihre Chance und siedelten sich entlang der Mariahilfer Straße an. Heute ist das Grätzel Inbegriff alternativer Lebensart und mausert sich zum Grazer Bobo-Viertel - mitsamt Design- und Grafikbüros, Künstlerateliers, Buchhandlungen, Ramschgeschäften und Friseuren.

Höhepunkt der Lend-Revitalisierung war die Sanierung des historischen Palais Thinnfeld an der Rückseite des Kunsthauses, wo seit Anfang des Jahres das Haus der Architektur, der Kunstverein sowie die Landesmuseum Joanneum GmbH beheimatet sind. Bogensberger: „Der Standort ist angesichts der heute hier anzutreffenden Szene einmalig.“

Dem Bestreben der Stadt kommt diese Entwicklung jedenfalls sehr entgegen, will sie sich mit der renommierten Fakultät für Architektur an der TU und der Fachhochschule für Industrial Design - eine Umfrage des US-Magazins Business Week reiht den Studiengang auf der FH Joanneum Graz unter die 60 besten Designschulen Europas, Asiens und Nordamerikas - in den kommenden Jahren zum Hot Spot der Creative Industries entwickeln. „Endlich zieht nicht jeder Mode- und Designfanatiker aus Graz weg, sobald er 19 geworden ist“, sagt der Architekturtheoretiker und Künstler Michael Zinganel.

„Es ist eines der großen Ziele, die Steiermark als Hot Spot für kreative Talente zu positionieren“, erklärt Eberhard Schrempf, ehemals Leiter von Graz 2003 und nunmehriger Geschäftsführer der Creative Industries Styria, „wir sehen es als unsere Aufgabe, ein Bewusstsein für die Themen Design und Kreativität zu schaffen und dabei behilflich zu sein, diese Potenziale zu vernetzen.“

Speziell im Bereich Architektur hegt man große Wünsche. Galt die Steiermark noch vor 20 Jahren als Avantgarde-Szene unter den Architekten, ist es in letzter Zeit recht still geworden. „Wir möchten, dass bis 2010 Graz wieder Architekturhauptstadt Österreichs wird“, sagte vor einigen Monaten der damalige Planungsstadtrat Gerhard Rüsch (VP). Eine Gruppe von Institutionen, darunter das HDA, die Kammer der Architekten für Steiermark und Kärnten, der Landesverband Steiermark sowie die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, haben das „projekt_A“ auf die Beine gestellt. Der Vierjahresplan sieht vor, strukturelle Veränderungen in den Bereichen Planung und Bauen zu erzielen und die Qualität von Lebensräumen in Graz zu sichern.

Millionen-Wunsch

„Ob das gewünschte Budget tatsächlich realistisch ist, wage ich zu bezweifeln“, sagt die Bürgermeister-Stellvertreterin Lisa Rücker von den Grünen, „wir können nicht einfach zehn Millionen Euro aus dem Ärmel schütteln.“ Dennoch: „Ich erachte das Projekt als sehr wichtig und wir sind auf der Suche nach Partnern.“ Übermorgen, Donnerstag, entscheidet der Gemeinderat darüber, ob das „wohlgemerkt sehr ausgereifte Projekt“ (Rücker) zwecks Finanzierung bei der Regionale eingereicht werden soll. Im positiven Falle wäre zumindest einmal ein Jahr gesichert.

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