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„Die Natur ist ein sozialer Raum“
Der Standard

Das Potenzial von Gärten ist groß und gehört ausgeschöpft, sagt die amerikanische Landschaftsarchitektin Jane Amidon.

4. Oktober 2008 - Wojciech Czaja
Standard: Haben Sie einen Garten?

Jane Amidon: Ja, ich habe einen Garten. Doch er entspricht nicht unbedingt meinen Vorstellungen. Um ehrlich zu sein, sieht er ganz furchtbar und einsam aus. Das Problem ist, dass ich zwar Träume habe, aber keine Zeit. Ich bin zu beschäftigt.

Ein weitverbreitetes Vorurteil lautet, dass man einen Garten in unseren Breitengraden nur im Sommer nutzen kann.

Amidon: Ja, das ist leider ein Irrglaube. Jeder Freiraum, der uns umgibt, ist 365 Tage im Jahr in Gebrauch. Viele Leute haben ein sehr verzerrtes Bild und denken, ein Garten sei nur zum Liegen und Teetrinken da. Doch man kann einen Garten auch im Winter bestens nutzen. Alles nur eine Frage der Planung. Dass Gärten in der feuchten Jahreszeit große Dienste leisten, wird oft vergessen. Boden und Pflanzen binden nämlich jenes Wasser, das sonst direkt ins Abwassersystem fließen würde. Das ist ein wichtiger Faktor. Leider ist der Winter in den Köpfen der Menschen kaum existent.

Was genau stellen sich die Menschen unter Landschaftsarchitektur vor?

Amidon: Das, was man in den USA vorfindet, entspringt einer starken und omnipräsenten Industrie, die den Konsumenten permanent kontrolliert und ihm vorschreibt, was er schön zu finden hat. Die Leute fahren in den Bau- und Gartenmarkt und lassen sich dort von der Werbung inspirieren. Mit Landschaftsarchitektur hat das nichts zu tun. Ich wage zu behaupten, dass die Potenziale einer hochqualitativen Freiraumplanung in den USA maximal zu zehn Prozent ausgeschöpft sind. Mehr nicht.

In vielen Teilen der Erde gibt es eine große Gartentradition. Wie kann so eine Tradition so plötzlich enden?

Amidon: Das ist eine gute Frage, und ich kann sie Ihnen nicht wirklich beantworten. Vielleicht liegt das daran, dass die Gestaltung des öffentlichen Raumes in letzter Zeit stark zurückgegangen ist. Der Kostendruck zwingt scheinbar zu übermäßigen Einsparungen. Woran können sich Privatbauherren heute denn noch orientieren? Und so nehmen sie sich ein Beispiel an den Gartenmärkten und Blumenparadiesen. Das ist einfach und banal. Kreativität und Schönheit bleiben dabei auf der Strecke.

Manche zeitgenössischen Gartenanlagen bestehen aus rostigem Stahl und Glas, andere sogar aus Plastikflaschen, Feuer und Eis. Wie reagieren die Häuslbauer auf derart exzentrische Entwürfe?

Amidon: Exzentrische Entwürfe und Spiele mit den Elementen und Aggregatzuständen gibt es in der Landschaftsplanung schon seit den Sechzigerjahren. Das Phänomen ist also nicht neu. Eine devastierte Landschaft konnte man damals vor dem Hintergrund der Kunst zum Garten erklären, intakter Grünraum wiederum wurde angezündet und abgebrannt. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund sind die Leute heute nicht mehr so leicht zu schockieren, wie Sie glauben! Neu ist hingegen der ökologische Anspruch solcher Taten. Während man eine Wiese früher ausschließlich aus künstlerischen Gründen in Brand gesetzt hat, steckt heute immer auch ein ökologischer Zusatznutzen dahinter. Mit den neuen Technologien und mit den Erkenntnissen aus der Wissenschaft ist das überhaupt kein Problem mehr.

Wie groß ist denn die ökologische Bedeutung eines privaten Gartens hinterm Haus?

Amidon: Privatgärten spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung und in der Bewusstseinsschaffung. Internationale Symposien und Wettbewerbe wie etwa private plots sind gute Werbeträger und Multiplikatoren. Doch die ökologische Auswirkung der wenigen guten privaten Freiräume ist - zumindest heute noch - absolut unbedeutend. Der nächste Schritt wird sein, die öffentliche Hand zum Umdenken anzuregen. Ein guter natürlicher Freiraum in der Stadt hat nämlich nicht nur ökologische Auswirkungen, sondern ist vor allem auch ein sozialer Raum. Das wird allzu oft vergessen.

Wird das gelingen?

Amidon: Ziel ist es, Städte und Länder dazu zu bringen, dass sie eines Tages die Gestaltung der öffentlichen Garten- und Parkanlagen auf ihrer Tagesordnung stehen haben. Ich denke, dass die Chancen gut stehen, denn die jungen Generationen wachsen mit einem ganz neuen Bewusstsein auf, was nachhaltiges Denken betrifft. Und man darf nicht vergessen: Sie sind außerordentlich gute Networker.

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