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Eine Plastikziege gegen Langeweile
Der Standard

Das ganze Jahr über ist Architektur eine schöne, aber bitterernste Ange- legenheit. Drei Projekte der letzten Zeit beweisen, dass Bauen auch witzig und spritzig sein kann.

2. Januar 2010 - Wojciech Czaja
Isabella Reisinger lebt in der tiefsten Steiermark. Gemeinsam mit ihrem Mann Martin betreibt sie einen Biobauernhof mit allem, was dazugehört - mit Schweinderln, Ziegen und glücklichen Hühnern. Beinahe hätten die beiden das höchste in Österreich erhältliche Biozertifikat ergattert. Beinahe.

„Es war alles in Butter“, erinnert sie sich an den hohen Besuch, der vor einigen Monaten übers Grundstück spazierte. Nur das Wohnhaus entsprach nicht so recht den Vorstellungen des strengen Gremiums. „Um das höchste Biogütesiegel zu vergeben, hätten sich die Damen und Herren halt ein etwas traditionelleres Bauernhaus gewünscht. Mit Holzbalkonen und Fensterläden und einer Bäuerin, die den ganzen Tag im Dirndl durch die Gegend rennt.“

Vonwegen. Das immergrüne Einfamilienhaus in Laufnitzdorf, gesät vom steirischen Architekturbüro Weichlbauer Ortis, ist rundum in ein Kleid aus künstlichem Fußballrasen gepackt. 62 Millimeter kräftig sprießendes Polyethylen. Zehn Jahre Garantie gegen Kicker und UV. „Erstens arbeiten wir gerne mit Irritation und Dislokation“, erläutert Reinhold Weichlbauer in theoretischen Worten, „und zweitens wollten wir den Versuch wagen, die üblicherweise harte Fassade ein bissl aufzuweichen und zu smoothen.“ Fährt mit der Hand ins Gras hinein und brummt: „Man kann gar nicht anders, dieses Haus muss man einfach knuddeln!“

650 Quadratmeter hochwertigen Kunstrasens wurden in Summe verklebt und verschraubt. An der Unterseite, an den Wänden und auf dem Dach. Doch der grüne Pelz ist bei weitem nicht das Einzige, das zum Augenreiben und Kopfschütteln animiert. Als hätte jemand im CAD-Programm die falsche Taste gedrückt, wachsen nun an Stellen, die laut Architekturalmanach nicht dafür vorgesehen sind, Stiegenläufe und Terrassentüren aus dem Haus. Erstere dienen der Statik, Letztere sorgen dafür, dass im ersten Stock niemand aus dem Fenster fällt.

„Wer sagt schon, dass ein Geländer aussehen muss wie ein Geländer? Und eine Säule wie eine Säule? Von diesem Konformismus halte ich nicht viel. Es wird Zeit, dass wir das Gewohnte endlich mal über Bord werfen und neue Dinge ausprobieren. Nur so wird sich die Architektur weiterentwickeln können.“

Planung mit Zufallsgenerator

Die Strategie von Weichlbauer Ortis ist nicht neu. In unzähligen Projekten warfen die beiden Steirer bereits den Zufallsgenerator an und stellten die Erwartungshaltungen des Publikums auf die Probe. „Wir haben ein Computerprogramm entwickelt, das anhand von bestimmten, von uns festgelegten Parametern die exakte Morphologie des Hauses generiert. Und dann drücken wir so lange auf Enter, bis uns die Form gefällt.“

Den Bauherren taugt's. „Wir leben gerne in diesem Haus und haben bisher großen Spaß damit“, erzählt Isabella Reisinger, die im Keller sogar eine kleine Käserei betreibt. „Natürlich müssen wir uns von unseren Nachbarn gewisse Witzchen gefallen lassen. Sie wissen schon, weidende Plastikziegen vorm Badezimmerfenster und so. Doch wenn es uns damit gelingt, den traditionellen österreichischen Bauernhof ein bisschen zu hinterfragen und unseren Beruf auf einen neuen Stand zu bringen, dann ist uns das die Sache wert.“

Zufriedenheit herrscht auch am westlichen Stadtrand von Graz, wo ein Jahrzehnte lang gestückelter Altbau zu einem Seminarzentrum der Landesverwaltungsakademie umgebaut wurde. Das Budget war knapp, und so musste beim geladenen Wettbewerb nach allen Mitteln der Kunst getrickst werden. Das radikale Spiel der beiden Architekturbüros Grazt und Splitterwerk überzeugte die Jury einstimmig.

„Ein Zubau ist sich laut unserer Kalkulation nicht ausgegangen“, erklären die Architekten, „also haben wir beschlossen, das Innenleben neu zu organisieren und die Baukubatur so zu belassen, wie sie ist.“ Damit das unruhige Bild des Hauses, das mal Gastwirtschaft, mal Internat gewesen war, ein wenig zu bändigen und zu vereinheitlichen, zogen die Architekten eine homogene Haut aus Eternit-platten über Dach und Wand.

„Bunt ist meine Lieblingsfarbe“, soll Walter Gropius einst gesagt haben. Wäre der Bauhaus-Mensch noch am Leben, würde ihm die Landesverwaltungsakademie, in der jährlich rund 250 Schulungen abgehalten werden, die Tragbreite seiner Aussage schillernd vor Augen halten. 26 unterschiedliche Farben, Stück für Stück an die Fassade genietet, erwecken den Eindruck einer überdimensionalen Burg aus Legosteinen. Aus einiger Entfernung betrachtet, verschwindet das Haus wie ein Fleckerlteppich im Nichts.

Angst vor trostlosem Grau

Splitterwerk erinnert sich zurück: „Eine der größten Befürchtungen der Auftraggeber war, dass Schulungspersonal und Kurzteilnehmer in einem trostlosen grauen Haus arbeiten müssen. Wir denken, dass wir dieser Angst sehr einfühlsam begegnet sind.“

Angst vor leeren Räumen hingegen hat der Wiener Interior-Designer Denis Kosutiæ. Im kürzlich eröffneten Restaurant Orlando di Castello auf der Wiener Freyung kommt der Horror Vacui des gebürtigen Kroaten besonders gut zum Vorschein. In barocker Manier, mit Samt und Stahlnieten gesäumt, schuf er einen lukullischen Raum, in dem der gute Geschmack mit einem riesigen Grinsen durch den Kakao gezogen wird. Kosutiæ selbst bezeichnet seinen Entwurf als einen „Raum voll harter Unschuld“.

Die Sitzlandschaft ist eine Komposition aus Hightech und Historienkitsch, die rosenbedruckten Stehleuchten baumeln, statt am Boden zu stehen, kopfüber von der Decke. Oder - wie es Architekturkritikerin Gabriele Kaiser auf den Punkt bringt: Das Orlando di Castello sei ein ideales Setting für ein Rendezvous zwischen Queen Elizabeth, dem Rapper 50 Cent und einem Mädchen aus Tirol.

„Schlichte weiße Räume sind mir zutiefst suspekt“, sagt Kosutiæ. „Außerdem sind sie in den meisten Fällen todlangweilig. Ich bin der Meinung, dass Architektur ruhig einmal über die Stränge schlagen darf. Das Leben ist schon ernst genug. Ohne Humor und Ironie ... Wo kommen wir da hin?“

Möge uns die Leichtigkeit dieses Seins durch die kommenden Architekturannalen begleiten.

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