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Der Bleistift ist mein Ziegelstein
Der Standard

Lebbeus Woods ist Architekt. Vor mehr als 30 Jahren beschloss er, nie wieder zu bauen. Morgen, Sonntag, diskutiert er mit Kollegen aus den USA über Utopie und Realität.

12. Juni 2010 - Wojciech Czaja
Standard: 1976 haben Sie den Entschluss gefasst, nie wieder zu bauen. Warum?

Woods: Ich habe früher bei Eero Saarinen gearbeitet und habe in dieser Zeit tolle Projekte gemacht. Nur ein Beispiel: Von Ende der Fünfziger- bis Anfang der Sechzigerjahre war ich Projektleiter beim TWA-Terminal am John F. Kennedy Airport in New York. Viele lieben das Gebäude, weil es so futuristisch ist. Mein persönliches Problem aber war, dass meine Ideen immer noch viel utopischer waren als all die Avantgarde, die damals gebaut wurde. Ich habe gemerkt, dass meine Wunscharchitektur nicht baubar ist. Also habe ich beschlossen, das Bauen an den Nagel zu hängen und nur noch zu zeichnen und zu schreiben. Am besten beides.

Standard: Vermissen Sie denn niemals Ziegelstein und Mörtel?

Woods: Ich lebe in einer Stadt, die heißt New York. Da sind so viele Ziegelsteine und Mörtelfugen übereinandergestapelt wie an kaum einem anderen Ort auf dieser Welt. Jetzt werden Sie sagen: Die sind aber nicht von Ihnen! Und ich werde Ihnen recht geben und antworten: Ja, das stört mich aber nicht. Hauptsache, sie sind da! Aber jetzt ganz im Ernst: Doch, manchmal fehlt mir das Bauen. Aber man kann im Leben eben nicht alles haben. Manchmal muss man sich entscheiden.

Standard: Sie bauen nichts. Wovon zahlen Sie Ihre Rechnungen?

Woods: Ich lebe vom Unterrichten. Von daher kenne ich übrigens auch Raimund Abraham. Darüber hinaus lebe ich vom Verkauf meiner Zeichnungen und Modelle. Ich habe nicht viel Geld, aber ich habe genug zum Überleben. Der französische Künstler Eugène Delacroix hat einmal gesagt, dass ein guter Maler nicht mehr als 6000 Francs im Jahr verdienen dürfe, denn ein Künstler müsse bescheiden leben, fernab von Luxus und Materialität. Auch wenn das schon 150 Jahre her ist, ich sehe das ehrlich gesagt genauso: Ein guter Architekt, der mit beiden Beinen im Leben steht, verdient genauso viel, wie er zum Leben braucht - und keinen Cent mehr. Alles, was darüber hinausgeht, ist nur noch eine Sache von Ruhm und Prestige.

Standard: Wenn jeder nur noch zeichnet, dann gibt's bald keine neuen Häuser mehr.

Woods: Wunderbar, so soll es sein! Es wurde eh schon viel zu viel gebaut. Es gibt weltweit einige Millionen Architekten, und alle wollen sie bauen, bauen, bauen. Es gibt so viele Gebäude, dass wir zum Teil schon gar nicht mehr wissen, was wir mit all der herumstehenden Bausubstanz machen sollen. Ich plädiere daher dafür umzudenken, neue Nutzungen zu finden und Bauwerke mit neuen Funktionen zu belegen, anstatt immer nur abzureißen und wiederaufzubauen.

Standard: Wie stehen Sie zur Architektur heutiger Tage? Sind wir auf dem richtigen Weg?

Woods: Nein, wir sind weit davon entfernt. Die heutige Architektur lebt nur noch von Kapitalismus und Kommerz. Der globalwirtschaftliche Aspekt ist für mich in der Zwischenzeit unerträglich geworden. Auf die Gefahr hin, dass das jetzt pathetisch klingen mag: Doch die Architektur hat ihre Wurzeln längst verloren. Es geht nicht mehr um Shelter, nicht mehr um Baukunst, sondern nur noch darum, Werbung und in letzter Konsequenz Kohle zu machen.

Standard: Was schlagen Sie vor?

Woods: In der jetzigen Generation wird sich das nicht mehr ändern. Wir können nur noch abwarten und zuschauen. Ändern können wir das Verständnis bestenfalls noch bei der Jugend. Aber wahrscheinlich ist es auch da schon zu spät.

Standard: Wie genau wollen Sie das machen? Ihre Zeichnungen verkörpern Schmerz, Krieg und Gewalttätigkeit. Bei solchen Bildern wird einem auch nicht wohler.

Woods: Mit Schmerz und Gewalt ist jeder mal konfrontiert, die meisten auch mit irgendeiner Form von Krieg. Diese dunklen Seiten sind Teil unserer menschlichen Existenz. Man muss der Realität ins Auge sehen. Nur so kann man den Schmerz angesichts von Zerbrechlichkeit und Sterblichkeit überwinden.

Standard: Sind Ihre dunklen Zeichnungen eine Art Ventil für Sie?

Woods: Ein Architekt ist in meinen Augen ein Entwerfer des Lebens. Insofern darf er diesen Aspekt nicht ausblenden. Was mich aber am meisten fasziniert, ist die Tatsache, dass Schmerz, Krieg und Gewalttätigkeit immer schon die größten Motoren für den Fortschritt waren. Sie brauchen sich nur mal anschauen, in welchen Epochen sich am meisten getan hat, in welchen Epochen am meisten gebaut und geschaffen wurde!

Standard: Anfang der Neunzigerjahre haben Sie an der Filmarchitektur des Science-Fiction-Horrorfilms „Alien 3“ mitgewirkt. Ein Ausdruck Ihrer Schmerzüberwindungssucht?

Woods: Die Idee des fiktiven Bauens war sehr reizvoll. Wenn Sie so wollen, war das eine Art Ausflug in die Zukunft. Mittlerweile weiß ich, dass ich mit Hollywood nichts zu tun haben will. Erstens ist mir dieses System zu profitorientiert, zweitens weiß ich spätestens seit Alien 3, dass ich kein Teamworker bin, sondern ein Soloarbeiter im stillen Kämmerlein. Ich will zeichnen und schreiben. Mehr nicht.

Standard: Fühlen Sie sich als Architekt oder als Künstler?

Woods: Ich bezeichne mich als Architekten. Doch die meisten Architekten erachten mich als Künstler. Die Künstler wiederum sagen Architekt zu mir. Ich bin nirgends zu Hause. Das kann manchmal ganz schön zermürbend sein.

Standard: Diese Gefühlswelt ist doch Ihr Revier!

Woods: Ja. Es ist nicht alles immer nur rosarot.

Standard: Karsten Harries, Philosophieprofessor an der Yale University, hat Sie einmal als Sohn des Daedalus bezeichnet. Wir alle wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist.

Woods: Da hat er schon recht. Ich fliege mit meinen Ideen manchmal zu hoch, viel zu hoch. Vielleicht sind meine Zeichnungen zu utopisch für diese Welt. Utopisch nicht nur im Bauen, sondern auch im Denken. Ich weiß es nicht. Ich werde es niemals erfahren.

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