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Museum oder Wohnung? Ein New Yorker Kunstsammler wollte ein Leben inmitten von Bildern und Büchern. Architekt Ben van Berkel nahm sich dieses Wunsches an.

31. Juli 2010 - Wojciech Czaja
Der Hund ist ein Kunstwerk für sich. Mit einem fürwahr beunruhigenden Hecheln und Röcheln, ganz in der Art eines kurz bevorstehenden Atemstillstands, trottet der achtjährige Köter seinem Herrchen hinterher. „Ich weiß schon, Leo wird niemals einen Schönheitswettbewerb gewinnen“, sagt der glückliche Bewohner dieser 440 Quadratmeter großen Immobilie mitten in Manhattan. „Aber ich habe diesen Bulldog-Kerl einfach liebgewonnen. Auch wenn er ausschaut wie ein nass gewordener Gremlin.“

Leo ist das einzige - sagen wir einmal - Element, das völlig aus dem Rahmen fällt. Denn abgesehen von Leo ist das geschmeidig geschwungene Loft in Greenwich Village wohl die schönste Kombination aus Architektur, Wohnen und Kunst, die man sich nur vorstellen kann. „Ich habe immer davon geträumt, inmitten von Kunst zu wohnen“, sagt der 62-jährige Wahl-New-Yorker, der es bevorzugt, anonym und unerkannt zu bleiben. „Ich sammle schon seit 25 Jahren und habe Kunstwerke und Bücher vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Was lag also näher, als nach einem Architekten zu suchen, der mir meine ganz persönliche Wohngalerie mit Sofa, Bad und Bett entwirft?“

Und er fand. Ben van Berkel, Boss des holländischen Architekturbüros UN Studio und Freund seit vielen Jahren, wurde nach New York eingeflogen, sah sich das heruntergekommene Rattenloch im neunten Stock eines recht unscheinbaren Backsteinbaus an und nahm sich schließlich seiner Verwandlung in eine Residenz für Kunst und Hausherr an.

„Die Wohnung war groß, aber sonst nur dunkel und schrecklich“, erinnert sich van Berkel an seinen ersten Besuch zurück. „Ich war schockiert und dachte mir: Wir müssen alles niederreißen und so viel Licht wie nur möglich in den Innenraum bringen.“ Gesagt, getan. Anstelle ein paar kleiner Gucklöcher in der Außenmauer prangt nun ein Panoramafenster mit atemberaubenden Blick auf Lower Manhattan. „Ich finde die Kunstwerke in diesem Loft ja fantastisch“, sagt der Architekt. „Aber diese Aussicht auf die Stadt ist für mich persönlich das schönste Kunstwerk überhaupt.“

Leo keucht. Der Weg durch das Loft ist weit. „Greifen Sie nur mal diese glattgespachtelten und geschwungenen Wände an“, sagt der Bauherr. „Ja, ich bin obsessiv, aber die Art und Weise, wie Ben mit diesem Raum umgegangen ist, finde ich einfach faszinierend.“ Wochenlang seien die Handwerker vor Ort gewesen, um mit Schleifpapier und feiner Spachtel das hinzukriegen, was durchaus als perfekte organische Oberfläche in die Annalen der Architekturgeschichte eingehen könnte.

Neben schönen und edlen Materialien - der Holzboden etwa besteht aus drei Zentimeter dicken Dielen aus massiver Fichte - ist einer der Hauptprotagonisten jedoch das künstliche Licht. „2,80 Meter Raumhöhe sind nicht viel“, sagt Ben van Berkel, „daher haben wir versucht, möglichst weich zu arbeiten und mit hinterleuchteten Deckenelementen eine Art Zwischengeschoß anzudeuten.“ Als befände sich über dem Geschoß noch eine Empore, sind Teile der Decke mit transluzenten Kunststoffsegeln bespannt. Für den optischen Kick sorgen 18.000 LED-Lampen, die die Decke - wie es unter Architekten so schön heißt - entmaterialisieren.

Das Licht ist unsichtbar

„Die Beleuchtung zu verstecken war jedenfalls eine gute Idee“, sagt der Bauherr, „ich hasse nämlich Lampen.“ Nur ab und zu baumeln von der Decke ein paar vereinzelte Strahler, die die Werke von Josef Albers, On Kawara und Sol LeWitt ins rechte Licht rücken. Die dazugehörigen stromführenden Aluminiumschienen ziehen sich wie Gleise eines Güterbahnhofs über den gesamten Plafond.

„Auf manche Leute mag ich mit meinen Wohnvorstellungen einen eigenwilligen Eindruck machen“, sagt der Herr des Hauses charmant und freundlich. „Was soll's, das ist kein öffentliches Museum, sondern eine Wohnung für zwei Menschen, einen keuchenden Leo und viel, viel Kunst.“

Am liebsten wollte er das Bett überhaupt nur in die Mitte des Ausstellungsraumes stellen. Und Küche? Wozu! Es bedurfte erst einiger Überzeugungsarbeit durch den Architekten, um die Sinnhaftigkeit einer solchen Nahrungsmittelaufbewahrungs- und Kochstelle im Wohnverband zu untermauern. Mit mäßigem Erfolg. Von den 440 Quadratmetern Nutzfläche nimmt die Küche gerade mal deren sieben ein. Der Esstisch von Eero Saarinen, hübsch zwischen den Bildern platziert, dient heute als Sockel für die Kunst. Die Stühle sind im Lastenlift verstaut.

„Ach, essen“, sagt der passionierte Sammler am Ende. „Wenn ich von Kunst umgeben bin und die Kraft dieser Werke spüre, dann ist mein ganzer Hunger schon gestillt.“

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