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Kommenden Donnerstag wird in Venedig die 12. Architekturbiennale eröffnet. Österreich zeigt sich als Land „under construction“. Gespräch mit dem Kommissär Eric Owen Moss.

21. August 2010 - Wojciech Czaja
Die japanische Architektin und Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima (54) hat Großes vor. „Es fühlt sich an, als lebten wir in einer post-ideologischen Gesellschaft“, sagt sie. „In so einer schnelllebigen Welt stellt sich die dringende Frage, ob es der Architektur gelingen kann, neue Werte und womöglich sogar einen neuen Lebensstil zu verankern.“

Als erste Direktorin in der Geschichte der Architekturbiennale Venedig gibt sie demzufolge ein Thema vor, das so menschelt wie noch nie zuvor: „People meet in architecture“. Sejima: „Die Idee ist, dass man Menschen darin unterstützt, eine Verbindung zur Architektur, aber auch eine Verbindung zueinander aufzubauen.“

Die österreichische Antwort auf den Bindungswunsch fällt grenzüberschreitend aus: Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ), eine Freundin überraschender und wenig transparenter Personalentscheidungen, spähte über den Großen Teich und entschied, den Österreich-Pavillon zur Abwechslung einmal von einem nicht-österreichischen Architekten befüllen zu lassen.

Der kalifornische Befüller und Kommissär Eric Owen Moss wiederum greift das Thema auf, indem er „Austria under construction“ zeigt und den Josef-Hoffmann-Pavillon prompt in ein Baugerüst hüllt. Präsentiert werden 64 Projekte österreichischer Architekten im Ausland sowie ausländischer Architektin in Österreich. Anlass zu einem Gespräch.

Standard: Jetleg?

Moss: Venedig, Los Angeles, Venedig, Los Angeles, Venedig, Los Angeles. Ich bin mittlerweile so müde, dass ich gar nicht mehr weiß, was der Unterschied zwischen Müdigkeit und Nichtmüdigkeit ist. Alles dreht sich.

Standard: Erstmals wird Österreich von einem ausländischen Architekten repräsentiert. Was ist der Vorteil an der Sache? Die Mobilität kann's ja nicht sein.

Moss: Angeblich, das habe ich mir sagen lassen, ist das auf der Biennale überhaupt das allererste Mal, dass ein Land von einem ausländischen Architekten vertreten wird. Und das wundert mich! Denn in der Kunstszene ist es gang und gäbe, dass man auf Blickwinkel von außen zurückgreift. In der Architekturszene jedoch bevorzugen es die Leute, in der eigenen Suppe zu schwimmen und für sich selbst Werbung zu machen. In meinen Augen ist das altmodisch und chauvinistisch. Der Blick von außen hingegen ist objektiver und distanzierter. Und riskanter. Claudia Schmied legt die Latte sehr hoch. So eine Entscheidung braucht Mut.

Standard: Warum gerade Eric Owen Moss?

Moss: Das müssen Sie Claudia fragen.

Standard: Ich frage Sie!

Moss: Ich glaube, ich habe eine etwas unorthodoxe Sicht auf die Dinge.

Standard: Was macht Sie so unorthodox?

Moss: Ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Die Art und Weise, wie ich Architektur mache, erfolgt aus meiner tiefsten Überzeugung, dass ich damit etwas verändern und verbessern kann. Wenn Sie als Bauherr glauben, dass eh alles in Ordnung ist, dann bin ich mit Sicherheit der falsche Architekt für Sie. Nein, es ist nicht alles in Ordnung, bei Weitem nicht! Aber Architektur kann den Prozess beschleunigen, kann die Diskussion in Gang setzen. Man muss nur daran glauben.

Standard: Der Architekt als Weltverbesserer?

Moss: Architektur ist wie ein Zuckerl. Sie ist ein kleiner Bestandteil des Lebens, aber wenn sie gut ist, dann ist das Leben gleich um so viel wohlschmeckender und schöner! Und das Wichtigste: Architektur ist ein kinetischer Prozess. Sie muss sich jede Minute weiterentwickeln. Sonst ist Stillstand.

Standard: Wie gut kennen Sie Österreich?

Moss: Ich war schon circa 25-mal in Österreich. Vielleicht auch 20-mal, vielleicht auch 30-mal. Keine Ahnung.

Standard: Sie haben beschlossen, „Austria under construction“ zu zeigen. Das bedeutet?

Moss: Österreich ist, was seine Größe und Einwohnerzahl betrifft, ein sehr kleines Land, doch relativ betrachtet ist es riesig! Diesen Umstand wollte ich darstellen. Die Fülle an guter Architektur ist enorm, die Strahlkraft nach außen ist mit kaum einem anderen Land dieser Größe vergleichbar. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Österreich in Sachen Baukultur einer der wenigen internationalen Leader ist. Wo sich viel tut, da wird auch viel gebaut. Baustellen sind gut. Das kann man auch als Metapher sehen.

Standard: Insgesamt werden 64 Projekte gezeigt. Haben Sie Berater vor Ort gehabt oder haben Sie die Auswahl allein getroffen?

Moss: Ich habe gute Kontakte nach Wien, unter anderem weil auch einige Freunde von mir hier leben. Zu sagen, dass mir bei der Auswahl niemand geholfen hat, wäre also gelogen. Worauf wir allerdings besonderen Wert gelegt haben, war der Blick hinter das Bekannte und Bewährte: Wir haben die 64 Projekte, die wir in der Ausstellung zeigen, ausschließlich nach ihrer Qualität beurteilt - und nicht nach dem Bekanntheitsgrad ihres Verfassers. Deswegen sind auch viele Junge und Unbekannte dabei. Hauptsache, sie sind gut! Natürlich kann es sein, dass wir in einigen Fällen daneben gegriffen haben. Und mit Sicherheit ist uns auch das eine oder andere wichtige Projekt durch die Lappen gegangen. Was soll's. Ein Amalgam ist nie zu 100 Prozent perfekt.

Standard: Das Motto dieser Biennale lautet „People meet in architecture“. Ohne Zweifel ist Kazuyo Sejimas gewählter Titel eine der wichtigsten Aufgaben des Bauens überhaupt. Sind sich Architekten dieser Bürde bewusst?

Moss: Das weiß ich nicht. In unserer Ausstellung haben wir alles Mögliche unternommen, um so einen Treffpunkt zu schaffen. Natürlich nicht ohne ein zwinkerndes Auge: Wir haben eine Art Publikum aufgebaut, doch dabei haben wir die Menschen durch Objekte ersetzt. Die Kommunikation erfolgt nun durch die ausgestellten Arbeiten.

Standard: Wird es tatsächlich gelingen, dass die Architekturbiennale zum Treffpunkt eines größeren Publikums wird? Oder werden sich hier Architekten, Künstler und Kulturjunkies treffen wie jedes Jahr?

Moss: Darüber haben wir uns im Büro lang unterhalten. Architektur spricht nur ein kleines Publikum an. Das ist nun mal so und dafür braucht man sich auch nicht zu entschuldigen. Selbst wenn man sich auf den Kopf stellt: Diese Materie wird niemals so viel Interesse auf sich ziehen wie Politik, wie Wirtschaft, wie Wissenschaft und Forschung. Aber das stört mich nicht. Wenn nur drei Leute Kafka lesen und wenn sich nur vier Leute ein Gemälde von Lucian Freud anschauen, doch diese Leute machen das mit ernsthaftem Interesse und mit Genuss, dann ist schon viel erreicht. So ähnlich ist das auch mit der Architektur. Aber natürlich habe ich mich bemüht, mit meinem Ausstellungskonzept den Bogen so weit wie möglich zu spannen und ein Maximum an Publikum damit anzusprechen. Ob das gelingen wird ... Das ist der Job von Euch Journalisten!

Standard: Fragt sich nur, ob das Modell der Biennale prinzipiell noch zeitgemäß ist!

Moss: Was ist schon zeitgemäß? Ich halte die Diskussion, ob etwas zeitgemäß ist oder nicht, für völlig übertrieben. In den USA machen Sie etwas, und dann kommen die Leute zu Ihnen und sagen: Oh, that's so 80ies! Oder: Oh, that's so 90ies! Oder: Oh, that's so 99! Ich finde das schrecklich. Schauen Sie sich einmal Venedig an! Ist an dieser Stadt noch irgendwas zeitgemäß? Gar nichts. Und doch lieben wir sie und fahren immer wieder hin.

Standard: Meine Frage bezieht sich nicht auf die Stadt, sondern auf die Ausstellung.

Moss: Ich bin zufrieden mit dem Format. Mit einer einzigen Einschränkung: Immer nur in der eigenen Suppe zu schwimmen, da gebe ich Ihnen recht, ist ganz bestimmt nicht zeitgemäß. Ich denke daher, dass Österreich heuer eine neue und sehr interessante Stoßrichtung vorgegeben hat: Architekturpräsentation aus einem fremden Blickwinkel. Das könnte die Biennale wieder spannend machen.

Standard: Ein Wunsch: Was sollen die Leute empfinden, nachdem sie „Austria under construction“ besichtigt haben?

Moss: Mein Wunsch ist, dass sich das Publikum der einzigartigen Rolle Österreichs bewusst wird. Österreichische Architektur ist ein großartiger Exportartikel. Das Land hat Power! Daher auch das Baugerüst. Es ist Symbol dafür, dass sich etwas in Bau befindet, dass etwas ständig in Prozess ist.

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