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Die ewige Baustelle
Der Standard

Der Stephansdom ist im Lauf der Jahrhunderte stetig gewachsen - Die Ausstellung „Der Dombau von St. Stephan“ im Wien-Museum macht das anhand von Originalplänen sichtbar

21. März 2011 - Wojciech Czaja
Der Stephansdom ist einzigartig. Nicht nur der gebaute, sondern auch der gezeichnete. Von keinem anderen gotischen Dombau in Europa ist bis heute eine derart große Zahl an Plänen erhalten geblieben. Der Bestand, aufgeteilt auf Wien-Museum und Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste, umfasst 294 Pläne mit insgesamt 440 Zeichnungen. Meist wurden die wertvollen Pergamente auf beiden Seiten benützt.

So ein Reichtum will gefeiert werden. Erstmals wird ein Teil der Pläne im Wien-Museum in Form einer umfassenden Ausstellung zugänglich gemacht. Der Dombau von St. Stephan. Die Originalpläne aus dem Mittelalter zeigt die gesamte Entstehungsgeschichte des großen Domes auf - vom Entwurf der kleinen Kreuzblume hoch oben im Gewölbe bis hin zu Aufrisszeichnungen des 1433 fertiggestellten Südturms, der mit 137 Metern 300 Jahre lang das höchste Bauwerk Europas war.

„Die Planrisse waren ein ganz wesentliches Kommunikationsmedium zwischen Bauherrn und Baumeister“, sagen die Ausstellungskuratorinnen Michaela Kronberger und Barbara Schedl. „Sie dienten zur Vorlage bei Geld- und Auftraggeber, die maßgeblich am Erscheinungsbild des Baues beteiligt waren.“ Selbst das kleinste Ausstattungsgut des Gebäudes ist in den Plänen dargestellt.

Der größte bis heute erhaltene Plan ist rund fünf Meter lang. Er zeigt einen Aufriss des niemals fertiggestellten Nordturms, entstanden 1465. Während der Pergamentbogen so breit ist wie die größte damals erhältliche Kälberhaut, musste der Plan in der Länge mühsam gestückelt werden. Die Präzision des Zeichners, der mit Reißfeder und Zirkel die schwarze Tinte auf dem Pergament verewigte, kommt an die Akribie heutiger Tintenstrahldrucker heran. Gute Strichführung.

„Man könnte solche unschätzbar wertvollen Planzeichnungen aufgrund ihrer Schönheit heute als Kunstwerke betrachten“, meint Museumsdirektor Wolfgang Kos. Tut man auch. 2005 wurden die grafischen Quellen, aus denen man Rückschlüsse auf die Baugeschichte von St. Stephan ziehen kann, von der Unesco zum Weltdokumentenerbe erklärt.

Zum Repertoire der Ausstellung gehören neben den Plänen alte Zeichen- und Bauwerkzeuge, historische Fotografien sowie Fürstenfiguren und dämonische Wasserspeier als Kopie und Original. Letztendlich bemüht sich die Ausstellung um eine Rekonstruktion der einzelnen Bauetappen.

Es bleibt beim Versuch. Denn anders als etwa die meisten großen Kathedralen Frankreichs sei der Wiener Stephansdom nicht nach einem einheitlichen, bis zur Vollendung festgeschriebenen Plan errichtet, sondern das Ergebnis einer ewigen Baustelle, schreibt der deutsche Kunstgeschichte-Professor Johann Josef Böker im Ausstellungskatalog.

Bonus: Für Kinder wurde eine eigene Spielstation eingerichtet. Hinter dem Schild „Achtung Baustelle!“ kann man auch als junger Besucher nachvollziehen, wie es das Hebelgesetz ermöglichte, hunderte Kilogramm schwerer Steine in die Höhe zu befördern. Ein Hamsterrad zum Selbstversuch steht bereit.

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