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Der Mann mit dem grünen Glamour
Der Standard

Er hat grüne Haare und pflanzt grüne Wände. Ein Gespräch mit dem Pariser Landschaftskünstler Patrick Blanc.

4. Februar 2012 - Wojciech Czaja
Durch sein Atelier fliegen Kanarienvögel und Kolibris, aus dem Bücherregal lugen Geckos und Salamander hervor, und um Punkt zehn Uhr am Vormittag beginnt es hinter dem Schreibtisch zu regnen. Patrick Blanc, Botaniker und Künstler, wohnt und arbeitet in einem künstlich geschaffenen Urwald in einer ehemaligen Werkstatt am Rande von Paris. Das Grün sei nicht nur inspirierend für seine Arbeit, meint der 58-Jährige, sondern auch ein wichtiger Temperatur- und Feuchtigkeits-regulator.

Der „Mur Végétal“, der vertikale Garten, hat sich zu Blancs Markenzeichen entwickelt. Seit seinen ersten Projekten auf der Internationalen Gartenschau in Chaumont-sur-Loire (1994) und im Pariser Luxushotel Pershing Hall (2001) hat er bereits Dutzende Wände in aller Welt begrünt, darunter etwa die Fassade des Musée du Quai Branly von Jean Nouvel (2006), die Caixa Forum in Madrid von Herzog & de Meuron (2007), die Konzerthalle in Taipeh (2007) sowie das 2010 eröffnete Hotel Sofitel in Wien. Doch wie viel von alledem ist ein ernsthafter Beitrag zur Zukunft unserer Städte? Und wie viel ist nur Lifestyle und grüner Glamour? Zu Besuch in seinem Atelier in Ivry-sur-Seine.

STANDARD: Grüne Kleidung, grüne Haare und lange Fingernägel - Sie schauen aus, als könnten Sie sich nicht entscheiden, ob Sie Fauna oder Flora sein möchten.

Blanc: Fingernägel schneiden, das ist völlig unnatürlich. Wer von unseren Vorfahren hat sich schon die Nägel geschnitten? Niemand! Fingernägel braucht man, um sich zu kratzen und um in der Erde zu bohren. Und was die grünen Haare betrifft: Die habe ich schon seit 1985. Grün ist für mich Ausdruck von Natur, von Kraft, von Überlebensdrang, von wachsender Freude. Grün ist die schönste Wellenlänge auf Erden.

STANDARD: Wurmt es Sie nicht, dass Sie Blanc heißen - und nicht Vert?

Blanc: Überhaupt nicht! Im Weiß sind bereits alle Farbtöne des ganzen Farbspektrums vereint. Außerdem tröste ich mich mit der Tatsache, dass ich in der Clinique des Fleurs („Krankenhaus der Blumen“) zur Welt gekommen bin. Als hätte es die Hebamme geahnt!

STANDARD: Seit wann arbeiten Sie schon mit Pflanzen?

Blanc: Eigentlich schon immer. Als ich ein kleiner Bub war, habe ich ein Aquarium gehabt. Ich war fasziniert von den bunten Fischen im Wasser. Die Pflanzen waren zu Beginn nichts anderes als eine Notwendigkeit, um ein gewisses Gleichgewicht im Ökosystem herzustellen. Erst nach und nach habe ich gesehen, dass Pflanzen eine schöne und lebendige Materie sind. Eines Tages war dann klar, dass ich Biologie studieren werde. Ich habe mich dann auf tropische Botanik spezialisiert und habe während meines Studiums viele Monate meines Lebens im Dschungel verbracht - unter anderem in Malaysia, Thailand, Indonesien und Französisch-Guyana.

STANDARD: In Ihrem Brotberuf sind Sie Forscher und Botaniker. Wie sind Sie zu Ihren Kunstprojekten gekommen?

Blanc: Meine ersten Arbeiten waren 1986 im Pariser Museum für Wissenschaft, Technik und Industrie sowie 1994 auf der Internationalen Gartenschau in Chaumont-sur-Loire. Doch der wirklich große Durchbruch kam mit der begrünten Wand im Hotel Pershing Hall 2001. Ich kann mich gut erinnern: Andrée Putman hat mich angerufen und gesagt: „Patrick, du machst doch diese grünen Wände. Ich würde gerne mit dir zusammenarbeiten.“ Aber als ich dann auf die Baustelle gekommen bin, war ich total schockiert. Da ging es dann nicht mehr um Dimensionen von ein paar Metern, sondern um eine 30 Meter hohe Feuermauer. Das war ein großer Sprung in Richtung Architektur.

STANDARD: Auch in Wien haben Sie einen vertikalen Garten gepflanzt, und zwar in Jean Nouvels neuem Hotel Sofitel. In den unteren Stockwerken sieht der Garten in manchen Monaten allerdings dürftig aus. Ist es in Wien zu dunkel und zu kalt?

Blanc: Zu dunkel und zu kalt? Das kann ich mir kaum vorstellen. Wenn die Bewässerung und Beleuchtung funktionieren, dann sollte das Ökosystem eigentlich intakt sein. Ich glaube, das muss ich mir genauer anschauen. Danke für die Info.

STANDARD: Wie oft müssen die vertikalen Gärten gepflegt werden?

Blanc: Vielleicht drei-, viermal im Jahr. Das reicht absolut. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass die Indoor-Gärten öfter und intensiver gepflegt werden. Erstens sind da die optischen Ansprüche höher, und zweitens hat das mit den Hygienevorschriften zu tun - etwa wenn es sich um ein Restaurant oder um eine Bar handelt.

STANDARD: Und wie viel kostet so eine grüne Wand?

Blanc: Das hängt von der Pflanzenvielfalt und von den Gegeben- heiten vor Ort ab. Aber in Summe kann man mit 400 bis 700 Euro pro Quadratmeter rechnen. Bei den meisten Projekten bewegen sich die Kosten bei 500 Euro pro Quadratmeter.

STANDARD: Das ist viel Geld für ein Stückchen Garten!

Blanc: Das stimmt. Und hinzu kommen noch die 20 Prozent für mein Honorar! Aber dafür hat ein vertikaler Garten gegenüber einer horizontalen Fläche einige Vorteile. Erstens können Sie auf der gleichen Fläche viel mehr Pflanzen unterkriegen. Zweitens ist die Methode sehr platzsparend und somit auch für enge Grundstücke in der Innenstadt geeignet. Und drittens geht es dabei um das Überraschungsmoment. Mit einem Gärtchen auf der ebenen Fläche können Sie heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Bei einem vertikalen Garten aber schauen die Leute auf, machen sich Gedanken über die ungewöhnliche Installation und denken ein bisschen über die Natur nach.

STANDARD: Und was sind die ökologischen Vorteile?

Blanc: Im unmittelbaren Bereich eines Gartens gibt es natürlich ein viel besseres Mikroklima. Die Luft wird gefiltert, Schimmelpilze und Bakterien werden bekämpft, und die Luft riecht und schmeckt deutlich frischer.

STANDARD: Und im städtischen Maßstab?

Blanc: Im größeren Maßstab hat ein einziger Garten keinerlei Auswirkung auf das Klima. Es wäre schön, wenn ich das Gegenteil behaupten könnte. Doch das wäre gelogen.

STANDARD: Worum geht es dann?

Blanc: Ich möchte gar nicht bestreiten, dass die vertikalen Gärten einen gewissen Lifestyle-Faktor haben. Viele Privatbau-herren, Hotels und Unternehmen schmücken sich mit so einem Projekt, aber das ist auch gut so, denn auf diese Weise werden die Menschen angeregt und für diese Thematik sensibilisiert. Wenn Sie so wollen: Es geht um Psychologie und Soziologie.

STANDARD: In welche Richtung soll's gehen? Wie sieht die Stadt der Zukunft in Ihren Augen aus?

Blanc: Als Kind habe ich gerne Comics gelesen. Mein Lieblings-comic war Flash Gordon. Und dieser Flash Gordon ist immer durch futuristische, grüne Städte gelaufen und geflogen. Genau das ist meine Vision. Und sie ist gar nicht so abwegig. In Skandinavien und in Japan sind begrünte Dachter-rassen bereits ein wichtiger Faktor und ein selbstverständlicher Teil des Stadtbildes. Und in manchen Städten wird bereits emsig Urban Gardening betrieben. Berlin ist so ein Beispiel. Die Stadt ist flächenmäßig sehr groß und bietet genügend Platz für kleine Parkanlagen und Nachbarschaftsgärten. Auch in Hamburg funktioniert das sehr gut. Und sogar im dicht bebauten Manhattan gibt es eine ganze Menge an kleinen grünen Parzellen, auf denen die Bewohner Obst und Gemüse anbauen und sich für eine Stunde auf die Parkbank setzen, ins Grüne schauen oder ein Buch lesen. Ich finde das toll.

STANDARD: Paris hat vor, von 2012 bis 2016 den Eiffelturm zu begrünen. Was halten Sie davon?

Blanc: Da bin ich ziemlich voreingenommen. Ich wurde damals um meine Expertise zu diesem Projekt gebeten.

STANDARD: Und? Was haben Sie gesagt?

Blanc: Ich habe den Leuten gesagt: Das ist ein riesengroßer Blödsinn! Da mache ich nicht mit.

STANDARD: Warum nicht?

Blanc: Der Pariser Eiffelturm ist ein schlichtes und elegantes Ingenieursbauwerk. Und es ist zu einem wichtigen Symbol für diese Stadt geworden. Reicht das nicht schon? Außerdem steht das Projekt in keiner Relation zu seinem Nutzen. Wenn man schon einen Beitrag zum Klimaschutz leisten will, denn das ist die Grundintention dieses Projekts, dann kann man 72 Millionen Euro auch sinnvoller investieren.

STANDARD: Dann schlagen Sie mal vor!

Blanc: Grünes Leben kann überall sein. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt heute bereits in Städten. Natürlich sehnt man sich in der Freizeit nach Grün, nach ein bisschen frischer Luft, nach einer ruhigen Stunde mit Vogelgezwitscher. Doch wenn alle Menschen, die diese Sehnsucht befriedigen wollen, am Abend oder am Wochenende ins Auto steigen und aus der Stadt rausfahren, dann führt das alle ökologischen Bemühungen, die wir bisher unternommen haben, ad absurdum. Das kann unmöglich die Zukunft unserer Städte sein. Wir müssen in klei-neren Maßstäben denken. Wir müssen den Menschen in der Stadt rund um ihre Wohn- und Arbeitsstätte ein gewisses natürliches Umfeld bieten. Das kann ein Mur Végétal sein, das kann eine kleine begrünte Restparzelle sein, das kann Urban Gardening mit Tomaten- und Kartoffelfeldern sein. Ich bin davon überzeugt, dass solche grünen Impulse das Leben in der Stadt nachhaltig verändern können. Und zwar nicht, weil sie per se grün sind, sondern weil sie Alternativen bieten und dazu beitragen, die Prinzipien urbanen Lebens zu überdenken. Es ist höchste Zeit.

Patrick Blanc, geb. 1953 in Paris, ist Botaniker und Künstler. Neben seiner Tätigkeit am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) sowie in der Forschungsgruppe Biodiversité Tropicale et Facteurs Environnementaux (Biotrop) befasst er sich vor allem mit der Begrünung von vertikalen Wänden im städtischen Umfeld.

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