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Show ist nicht alles
Der Standard

Mittelmäßige Beiträge, ein architektonisches Wow und ein Hoch auf die Regionalentwicklung: Rundgang durch die Expo 2012 in Yeosu, Südkorea.

7. Juli 2012 - Wojciech Czaja
Es war ausgerechnet eine Strelitzie, besser bekannt als Paradiesvogelblume, die das österreichische Architekturbüro Soma zu diesem innovativen Entwurf inspirierte. Kommt der hungrige, sich nach Blütennektar verzehrende Kolibri angeflogen, so landet er nämlich nicht zufällig auf dem hoffnungsvoll nach oben deutenden Blütenblatt. Die Wirkung folgt sogleich: Durch das Körpergewicht des Vogels senkt sich der Hebelarm, dieser wiederum dehnt das Hochblatt auseinander, und so offenbart sich das ganze saftige Innenleben der Strelitzie.

„Wir wollten uns an der Natur ein Vorbild nehmen“, erklärt Kristina Schinegger, Chefin des Salzburger Büros Soma. „Das Prinzip der physikalischen Krafteinwirkung, die ihrerseits eine bestimmte Bewegung bewirkt, hat uns sehr fasziniert. Wir wollten diese Idee auf die Architektur übertragen.“ Biomimese nennt sich dieses Abschauen von Mutter Natur im Fachjargon.

Auf der diesjährigen Weltausstellung in Yeosu, Südkorea, kann man das Resultat biomimetischen Nachdenkens in seiner vollen Pracht bestaunen. Noch nie zuvor wurde das technische Prinzip der Druckausübung und der damit verbundenen Verformung in dieser Dimension realisiert. Auf einer Länge von fast 160 Metern kann der Ocean-&-Coast-Themenpavillon der Salzburger Architekten je nach Lust und Laune sein äußeres Erscheinungsbild ändern - und damit auch die Sonneneinstrahlung und Belichtung des Innenraums regeln.

Knallt die Sonne vom Himmel, sind die 108 Lamellen auf der Westfassade im entspannten Modus. Die Haut ist geschlossen. Sobald die Sonne aber verschwindet, wird über kleine Elektromotoren von oben und unten Druck auf die bis zu 13 Meter hohen Lamellen ausgeübt. Die Folge: Die laminierten, glasfaserverstärkten Kiemen aus Kunststoff wölben und verformen sich und klappen dadurch bis zu einem Winkel von 60 Grad auf. Und hunderte Südkoreaner klatschen begeistert in die Hände. Jedes Mal aufs Neue.

Der Themenpavillon von Soma ist der absolute Renner auf der Expo 2012. Das rund sechs Sekunden dauernde Schauspiel des Auf- und Zuklappens fasziniert nicht nur Laien. Auch die Profis sind von dieser Technologie verzückt. Das südkoreanische Architekturmagazin Space widmete der Fassade in der Juni-Ausgabe ein ganzes Dossier. Dem Nachrichtensender CNN war die neue Hightech-Haut sogar einen eigenen TV-Beitrag wert. Da darf man schon einmal über die Qualität der baulichen Ausführung hinwegsehen.

Eine technische Sensation

„Aus technischer Sicht ist diese Lamellenfassade wirklich eine Revolution“, freut sich Schinegger. „Die meisten Weltausstellungen der letzten Jahre haben sich mit Edutainment und lustigen Shows begnügt. Das Ausstellen von technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften, wie das früher öfter gemacht wurde, kommt heute meist viel zu kurz.“

36 Millionen Euro kostete der riesige Molch, der so prominent an der Wasserkante sitzt, als wäre er eben erst aus dem Urmeer herausgekrochen. Und das passt gut ins Konzept, denn das silbergraue Ding, Resultat eines internationalen Wettbewerbs 2009, ist Wahrzeichen einer Expo, die diesmal unter dem Motto „Der lebende Ozean und die Küste“ steht. „Es ist wichtig, dass die Menschen die Bedeutung der Meere für die Zukunft begreifen“, sagt Kim Keun Soo, Vizepräsident der Expo. „Wir müssen gegen den Klimawandel mit aller Kraft ankämpfen.“

Allerdings fällt der Kampf in Yeosu recht bescheiden aus. Zwar tauchen immer wieder technisch fokussierte Beiträge auf: Deutschland präsentiert ein Frühwarnsystem gegen Tsunamis, Japan widmet sich überhaupt dem Wiederaufbau von Erdbeben- und Tsunamigebieten, Norwegen zeigt Methoden umweltfreundlicher Energiegewinnung, und Frankreich philosophiert über ein Leben nach der Eisschmelze und stellt apokalyptische Wohnkonzepte auf dem Wasser vor, während zwischen Eiffelturm und Triumphbogen batteriebetriebene Hammerhaie hindurchschwimmen. Ganz nette Anregungen sind das.

Doch das Gros der 105 Länderpavillons und neun internationalen Organisationen schwingt entweder die Moralkeule oder verfällt in comicartigen Slapstick mit den beiden Expo-Maskottchen Yeony und Suny. Da spazieren Roboter durch die Hallen, da gibt es massenweise Lichtanimationen und Lasershows, da gibt es dramatische Wasserspiele zu Carmina Burana und Goldfinger. Und sogar die Polizei kommt per Jetski über die Welle geritten.

Dickes Pathos im USA-Pavillon: „Über Jahrhunderte haben die Ozeane die Menschheit geteilt“, sagt US-Außenministerin Hillary Clinton per Videobotschaft vor einem herabprasselnden Wasserfall. „Heute bieten die Ozeane eine Chance zur Zusammenarbeit.“ Bis schließlich US-Chef Barack Obama eins draufsetzt: „Als Präsident weiß ich, dass es Länder gibt, die nicht nur durch das Meer getrennt sind.“

Österreich hat sich heuer komplett ausgeklinkt. „Das Thema der diesjährigen Expo ist nicht genau für ein Binnenland wie Österreich zugeschnitten“, sagt Werner Somweber, Regionalmanager für Fernost und Ozeanien der Wirtschaftskammer Österreich. „Ich glaube, wir hätten damit nur wenige Firmen und Sponsoren interessieren können.“ Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass Südkorea für Österreich kein besonders attraktiver und bei Laune zu haltender Handelspartner ist. Zumindest nicht ein so wichtiger wie die Volksrepublik China - zur Expo in Schanghai 2010 kam Bundeskanzler Faymann noch samt Entourage angeflogen.

Nach dem Spaziergang über das 170 Hektar große Gelände ist klar: Hier geht es nicht um die Küste und schon gar nicht um den lebenden Ozean, sondern einzig und allein um eine medial wirksame Infrastrukturspritze für die am weitesten entlegene und schwächste Region Südkoreas. Während die weit entwickelte Industrienation vielerorts mit 300 km/h Hochgeschwindigkeitszüge durchs Land jagt und ganze Städte aus dem Erdboden stampft, watet man rund um Yeosu noch knöcheltief im Wasser und sät Reis.

„Für die Regierung war von Anfang an klar, dass die Expo eine große und wichtige Chance ist, um den Süden zu entwickeln“, meint Jo Seung Koo, Professor für Architektur an der Universität Busan. „Bis heute ist das die strukturschwächste Region des Landes. Es mangelt an Autobahnen, Zugtrassen, Arbeitsplätzen und Industrie. Ich könnte mir vorstellen, dass die Expo daran mittelfristig etwas ändern könnte.“

Rund 1,9 Milliarden US-Dollar (1,5 Mrd. Euro) investierte die Regierung in den Ausbau des Expo-Geländes, das früher Hafen und Industriebrache war. Einst wurden hier Küstenpoller aus Beton hergestellt, doch die letzten Jahrzehnte wurde es still und schmierig. Weitere 13 Milliarden Dollar (10,4 Mrd. Euro) butterte das Land in den Ausbau von Autobahnen und Bahntrassen für den KTX-High-Speed-Train. Brauchte man früher einen halben Tag, um von Seoul aus in die zerklüftete Inselwelt rund um Yeosu zu gelangen, sind es nun 182 Minuten. Das ist mehr als nur eine symbolische Entwicklungsspritze.

Überall wird emsig gebaut: Straßen, Radwege, Brücken, ja sogar ganze Wohnsiedlungen. Während der Ocean-&-Coast-Themenpavillon der Soma-Architekten in den Visualisierungen noch aus einer saftig grünen Hügellandschaft ragte, wird er nun von Wohnhochhäusern und Bürotürmen umzingelt. Nach Ablauf der Expo sollen die Pavillons und das Aquarium als Museen weitergenutzt werden. Und für die große Länderhalle interessiert sich bereits ein Betreiber, der die Bauten für eine Shopping- und Gastronomiemeile am Wasser nutzen will. Für Yeosu ein voller Erfolg.

Sinneswandel in Südkorea

Auf der Werteskala der Weltausstellungen heißt das: Erstmals nach vielen Jahren steht nicht das eigentliche, wohlgemerkt mittelmäßige Spektakel im Vordergrund, sondern die damit verbundene Regionalentwicklung. In den meisten Expo-Projekten wird diese große Chance ignoriert, und die ehemals attraktiven Ausstellungsareale verfallen am Ende in einen elendigen Dornröschenschlaf oder werden wieder bis aufs Fundament abgebaut. So geschehen in Hannover 2000, in Nagakute und Seto 2005 und in Schanghai 2010.

Der in Südkorea zu beobachtende Sinneswandel könnte das aus heutiger Sicht unattraktive Auslaufmodell „Expo“ langfristig auf eine andere Ebene heben. Vielleicht weilt der Erfolg dann ja länger als nur der Flügelschlag eines hungrigen Kolibris.
[ Die Expo Yeosu ist noch bis 12. August zu sehen. Weitere Infos bei der Koreanischen Zentrale für Tourismus in Frankfurt, www.visitkorea.or.kr. ]

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