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Kunst und Partizipation
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Kunst als Werkzeug zur Demokratisierung der Gesellschaft – Beispiele aus den letzten dreißig Jahren der Kunstgeschichte.
Bereits dreißig Jahre vor der „Wochenklausur“ begann jene Strömung, die Kunst als einen Eingriff in gesellschaftliche Prozesse verstand. Seit den siebziger Jahren können Kunstprojekte beobachtet werden, die an Demokratisierungs- und Partizipationsmodellen arbeiten.

22. Juni 2001 - Harald Schmutzhard
Die sechziger und siebziger Jahre sind mit ihrem gesamtgesellschaftlichen Pubertätsprozess der Beginn vielfältiger Erneuerungsversuche. Die Entwicklung und Erprobung sozialer und politischer Visionen in der Grassroot-Bewegung hatte in der Kunst ihre Spiegelung. KünstlerInnen verstanden sich als Teil der Demokratie- und Sozialbewegungen und versuchten mit den ihnen eigenen Mitteln und Methoden in den gesellschaftlichen Erneuerungsprozess einzugreifen, um ihn positiv zu beeinflussen.

Playground Action

Ein Beispiel dafür ist der skandinavische Künstler Palle Nielsen. Im Frühling 1968 verwirklichte er die „Playground Action“ in Norrebro, einem Slum-Bezirk im Norden von Stockholm. Gemeinsam mit einer Gruppe StudentInnen wurde eine Baubrache ausgewählt, Baumaterial angeliefert und am Sonntagmorgen ab 7.00 Uhr alle AnrainerInnen aufgesucht. Als „Morgengabe“ diente ein Paket mit zwei Frühstücksbrötchen, einem Foto zweier spielender Kinder und einem Text, der emotional den Zusammenhang zwischen Generationskonflikten, dem Lärm in den Gängen der Wohnhäuser und fehlenden Spielflächen für Kinder herstellte. Der Text schloss mit der Aufforderung, an der Veränderung der Situation mitzuarbeiten, sich einerseits politisch zu engagieren und andererseits bei der Errichtung des Kinderspielplatzes mitzuhelfen. Am gleichen Tag um 4.00 Uhr nachmittags war unter reger Beteiligung der AnrainerInnen der Spielplatz fertiggestellt.

Im Herbst des gleichen Jahres nutzte Palle Nielsen die Infrastruktur des „Moderna Muset“ in Stockholm, um seinen Aktionismus weiterzuführen. Die Räume des Museums wurden unter dem Titel „Model for a Qualitative Society“ in einen Spielplatz verwandelt. Materialien zur Kreativitätsförderung wie z. B. Farben, Werkzeuge, Stoffe, Baumaterial und dergleichen wurden während des ganzen Veranstaltungszeitraumes zur Verfügung gestellt. Das örtliche Theater steuerte seine Kostüme bei, die jungen MuseumsbesucherInnen konnten sich an Turntables als DJs versuchen und ihr eigenes Musikprogramm produzieren. Lautsprechertürme übertrugen dieses Programm ins ganze Museum und im Restaurant konnten die nervösen Eltern auf mehreren Bildschirmen die Aktivitäten der Kinder im ganzen Museum verfolgen oder die Körpersprache und Kontaktaufnahme der Kinder studieren. Das ganze Umfeld war pädagogisch gestaltet und regte die Kinder zum Experimentieren und Interagieren an. Der Eintritt war für alle Kinder frei, nur die Begleitpersonen mussten eine Gebühr zahlen. Im Verlauf des „Model for a Qualitative Society“ erreichte das Moderna Muset die höchsten Besucherzahlen in seiner Geschichte.

Zwischenzeitlich trat der radikale Ansatz der Teilhabe möglichst vieler Menschen an der Kunstproduktion bzw. das Selbstverständnis von Kunstproduktion als Eingriff in bestehende Verhältnisse wieder in den Hintergrund. Public Art wurde lediglich als Kommunikationsanlass verstanden. Die Kunstwerke im öffentlichen Raum sollten dazu dienen, zur Diskussion über bestimmte Themen anzuregen. Aber gesellschaftspolitische Themen blieben oftmals unberührt, die politische Sprengkraft von Kunst ungenützt.

Mahnmal gegen Faschismus

Einer jener Künstler, die seit den 70er Jahren permanent an politischen Kontexten arbeiten, ist Jochen Gerz. Durch seine Arbeiten zieht sich wie ein roter Faden die Auseinandersetzung mit Kommunikations- und Partizipationsprozessen. Als Beispiel sei hier das Harburger Mahnmal gegen Faschismus genannt. 1986 errichtet, hat es die Hamburger BürgerInnen acht Jahre lang herausgefordert, ehe es 1993 getreu dem Konzept des Künstlerpaares Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz endgültig im Boden vesenkt wurde. „Wir laden die Bürger von Hamburg und die Besucher der Stadt ein, ihren Namen hier unseren eigenen anzufügen. Es soll uns verpflichten, wachsam zu sein und zu bleiben. Je mehr Unterschriften der zwölf Meter hohe Stab aus Blei trägt, um so mehr von ihm wird in den Boden eingelassen. Solange, bis er nach unbestimmter Zeit restlos versenkt und die Stelle des Harburger Mahnmals gegen den Faschismus leer sein wird. Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben.“ Das war das Konzept, und diese Worte in sieben Sprachen sind das einzige, was am Ort verblieben ist.

1986 im Hamburger Stadtteil Harburg auf einer Art Backsteinkanzel aufgebaut, wurde die Bleisäule mit der Grundfläche von einem Quadratmeter in acht Schritten abgesenkt, bis von ihr nur noch eine oben abschließende Bleiplatte sichtbar blieb. Auf den im Schacht verborgenen Körper konnte durch ein schmales Fenster in einer Tür der Fußgängerunterführung ein Blick geworfen werden. Während des achtjährigen Zeitraumes der langsamen Versenkung wurden 60.000 dokumentierte Äußerungen im positiven wie im negativen Sinne an der Säule eingeritzt, die von Gerz bereitgestellte Oberfläche also ausgiebig genutzt. Die inhaltliche Gestaltung bzw. „Besetzung“ wurde in dieser Konzeption von den BürgerInnen bestimmt, die KünstlerInnen lieferten nur die Projektionsfläche für die Reaktionen und Bedeutungszuweisungen.

Durch die regelmäßigen Absenkungen, Diskussionen und Veranstaltungen rund um das Harburger Mahnmal wurde sein Anliegen immer wieder in der Öffentlichkeit präsent. Seine offene Konzeption beeinflusste die Diskussion um den Denkmalbegriff weit über Europa hinaus.

1990 erhielt Jochen Gerz den erstmals verliehenen Bremer Roland-Preis für „Kunst im öffentlichen Raum“. Mit der Vergabe des Preises war der Auftrag verbunden, in Bremen eine Arbeit im öffentlichen Raum zu realisieren. Jochen Gerz entwickelte mit der „Bremer Befragung“ ein Kunstprojekt, das ganz folgerichtig nur noch mit der bloßen Idee eines geplanten Kunstwerks auf das Gespräch mit den BürgerInnen setzte.

- Zu welchem Thema sollte die Arbeit Stellung nehmen?
- Glauben Sie, dass sich Ihre Vorstellungen mit Hilfe von Kunst verwirklichen lassen?
- Möchten Sie an dem Kunstwerk mitarbeiten?

Ausgehend von diesen drei Fragen wurden in fast zweijähriger Arbeit Seminare, Gesprächskreise, Diskussionen und Befragungen via Medien und Interviews abgehalten – in Strafanstalten, in Betrieben, Stadtteilen und Kunstinstitutionen. Im Laufe des Prozesses gingen die diskutierten Inhalte weit über die anfänglichen Fragestellungen hinaus. Die Rolle und Aufgabe von Kunst wurde ebenso thematisiert wie Fragen der Stadtentwicklung, der Raumplanung, sozialer Konflikte etc. Als Ergebnis dieser Arbeit – also als Skulturpur im öffentlichen Raum – wurde dann der gesamte Prozess der Auseinandersetzung und Diskussion dokumentiert und präsentiert und keine Skulptur im herkömmlichen Sinne produziert.

Die Arbeiten von Jochen Gerz können auch als beispielhaft gelten für die stetigen Versuche, das Repertoire an künstlerischen Methoden und Mitteln auszuweiten. Neben der Gestaltung von Kommunikationsprozessen drängt nun in den neunziger Jahren das Gestalten von sozialen Prozessen vermehrt ins Arbeitsfeld von KünstlerInnen. Jene Entwicklung – für die Jochen Gerz einer der Vorreiter war –, dass ein Kunstwerk nicht mehr materiell manifest sein muss, wird derzeit im Bereich der Kunst als Revival der Sozialen Plastik wieder aktuell. Als Reaktion auf die politischen Angriffe auf KünstlerInnen und deren Werke könnte jene Gegenbewegung angesehen werden, in der sich KünstlerInnen vermehrt gesellschaftlicher Konfliktbereiche annehmen und konkrete Interventionen tätigen.
Neben den bekannteren Aktionen der Wochenklausur sollen hier die Künstlergruppen Social Impact aus Österreich und Superflex aus Dänemark erwähnt werden.

Social Impact

Die erst seit 1997 existierende Gruppe „Social Impact“ beschäftigte sich 1999 mit der Situation illegaler ausländischer Putzfrauen in Wien. Im interdisziplinären Team mit Soziologinnen wurde die Problemlage erforscht und dokumentiert, basierend auf einer Serie von Interviews mit Betroffenen. Als Konsequenz aus dieser Studie wurde ein „Überlebensratgeber“ für Illegale entwickelt. Dieses Handout wurde in fünf Sprachen übersetzt und großflächig in Wien verteilt. Es sollte nicht nur den Weg zu Beratungseinrichtungen ebnen, sondern auch Hilfestellung bei Gesundheitsproblemen sein, allgemeine Verhaltensratschläge geben und Schutzmaßnahmen gegen Mädchenhändler anbieten. Einen weiterer Baustein dieses Projektes „Zur Situation illegaler ausländischer Putzfrauen in Wien“ bildete eine Podiumsdiskussion im Museumsquartier Wien unter Einbindung von PolitikerInnen, Beratungseinrichtungen und SoziologInnen.

Im Jahr 2000 erarbeitete Social Impact im Auftrag der Kunstuniversität Linz ein Seminar für angehende KunsterzieherInnen. Unter dem Titel „BEfristet“ wurde das Setting so konzipiert, dass die StudentInnen ihre spätere Verantwortung als LehrerInnen in all ihrer politischen und sozialen Relevanz erleben und Kunst als Mittel des konkreten Eingreifens und Intervenierens erproben konnten.

Derzeit arbeitet Social Impact an einer Kommunikationsplattform für die BewohnerInnen zweier Plattenbauten am Stadtrand von Linz, deren Häuser in einem Jahr unwiderruflich abgerissen werden. Um den kollektiven Umsiedelungsprozess zu erleichtern und Konflikte zu mildern, soll die Plattform „Dead-House-Walking“ konkrete Hilfestellungen ermöglichen und die BewohnerInnen zur Eigeninitiative ermächtigen, um den Umsiedelungsprozess aktiv mitzugestalten.

Superflex

Die dänische Künstlergruppe Superflex wiederum betreibt unter dem Namen „Superchannel“ seit drei Jahren verschiedene BewohnerInnen-Fernseh-Projekte in Schweden, Dänemark und Großbritannien, die untereinander via Internet vernetzt sind. Eines dieser Projekte ist in einem SeniorInnenheim in Liverpool angesiedelt. Die BewohnerInnen gestalten seit nunmehr zwei Jahren ihr eigenes Programm und nehmen dadurch Einfluss auf ihre unmittelbare Wohnsituation und ihr soziales Umfeld.

Derzeit entwickelt Superflex für die schwedische Stadt Karlskrona die originalgetreue digitale Kopie der Stadt im Web. „Karlskrona2“ ist für die BewohnerInnen (und nur für die BewohnerInnen) via Internet zugänglich, wobei sie selbst durch Avatare vertreten werden. Dieses digitale Karlskrona ist eine exakte Kopie der Straßen und Gebäude und ebenso der persönlichen Beziehungen und sozialen Strukturen der realen BewohnerInnen. Durch die Benützung von „Karlskrona2“ wird diese digitale Kopie aber verändert, die Avatare können durch ihr Agieren die Situationen beeinflussen, Gebäude werden neu genutzt, Gesetze erneuert bzw. geändert, soziale Strukturen aufgebrochen. Über einen Großbildschirm im Stadtzentrum kann man das Geschehen in „Karlskrona2“ live mitverfolgen.

Das gesamte Projekt ist als Forschungsprojekt konzipiert, um lokale Netzwerke auf ihren Nutzen zu untersuchen. Wie wird der Freiraum des Internets auf seine reale Spiegelung zurückwirken? Wie wird dadurch das Leben in Karlskrona beeinflusst? Kann die digitale Kopie als Modell für die zukünftige Stadtentwicklung dienen? Gelingt es damit, ein effizienteres Modell der BürgerInnenbeteiligung bei Planungsvorhaben zu entwickeln?

Kunst als Forschung – Kunst als Vorreiter neuer demokratischer und sozialer Utopien? Kunst aber auch als Katalysator in soziopolitischen Konfliktfeldern, als jener Part, der Unsichtbares, zum Teil gerne Verdrängtes sichtbar macht?

Kann das der Grund sein, warum sich das Kunststaatssekretariat unter Franz Morak über ein Jahr lang weigerte, einer international vielbeachteten Kunst- und Internetinitiative wie Public Netbase (Wien) die zugesagten Fördermittel auch wirklich zu überweisen? Oder gibt es gerade in Österreich kein öffentliches Interesse, Partizipationsmodelle weiter zu entwickeln?

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