Artikel

Kaugummiautomatencollier in der Schatzkammer
Der Standard

Die Bewilligung eines Neubaus in einer historischen Parkanlage Hietzings stellt die schwammige Gesetzeslage der Wiener Stadtplanung unter Beweis und demonstriert einmal mehr die Ohnmacht der Denkmalpfleger.

7. Juli 2001 - Ute Woltron
Vor zwei Wochen begaben sich zwei Herren quasi Hand in Hand auf ein Grundstück in Hietzing und starrten mit einer gewissen Fassungslosigkeit in eine ordentlich ausgehobene, ordentlich tiefe Baugrube. Sie tat sich dort auf, wo wenige Tage zuvor noch ein prachtvoller alter Park inmitten des historischen Villenviertels bei Schönbrunn gelegen hatte. Der 91 Jahre junge Architekt Roland Rainer schwang sich stockbewehrt über Schutthügel und inspizierte die gut ein dutzend Meter hohen Kiefern am Rande des Baulochs, die, mit Seilen gesichert, in selbiges hineinzustürzen drohten. Ihm folgte ein schweigsamer, betroffener Géza Hajós - als Gartenspezialist des Bundesdenkmalamtes mit schwerem Los geschlagen. Wie das gesamte Denkmalamt ist auch sein Ressort chronisch unterdotiert, obwohl Hajós eine tragende Funktion ausübt.

„Ein Baum“, bemerkte Rainer angesichts des Loches im Park, „ist genau so wichtig, wie ein Haus.“ Ein Baum, gab Hajós zur Antwort, könne sogar wichtiger sein, als ein Haus, es komme ganz auf die Umstände an, und die stellen sich in diesem konkreten Fall so dar: Der Park der historisch nicht unwichtigen Villa Schratt in unmittelbarer Nähe von Schloss und Park Schönbrunn wurde, nachdem das Gesamtensemble zu teuer und also nicht an den Käufer zu bringen war, geteilt, veräußert, teils abgeholzt und soll nun mit einer stattlichen Einfamilienvilla bebaut werden. Das 2.461 Quadratmeter große Areal wurde 1997 von Privatleuten erworben, die Festsetzung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes erfolgte ein Jahr später. Der zuständige Abteilungsleiter der MA 21 B ist Walter Vokaun. Er meint dazu: „Wir waren äußerst restriktiv und haben beschränkt, wo man beschränken kann.“ Das Übel sei vorprogrammiert gewesen, denn: „Die Schratt-Villa hätte mit dem Park schon früher als Gesamtes unter Denkmalschutz gestellt werden sollen. Jetzt bleibt nur mehr eine liebevolle Story von früher übrig.“

Diese Story betrifft die jahrzehntelange Freundschaft zwischen Kaiser Franz Joseph und der Schauspielerin Katharina Schratt, der die Villa und der exquisit mit Badehaus und diversen Figuren ausgestaltete Park damals gehörte. Man traf einander regelmäßig dort zum Frühstück, lustwandelte über das gepflegte Areal und nahm im feschen Gartenpavillon den Tee. Der Pavillon steht noch. Wenige Meter neben der Baugrube. Weder er noch das Badehaus noch die alte Villa und schon gar nicht, wie gesagt, der Park, sind denkmalgeschützt. Eva-Maria Höhle, Generalkonservatorin des Denkmalamtes für Wien, wusste auf Anfrage des STANDARD nicht einmal, dass das Villa-Park-Ensemble gerade ruiniert wird. Auf die Frage, wie so etwas übersehen werden könne, berief sie sich auf die Zahnlosigkeit des Denkmalschutzgesetzes vor allem hinsichtlich historischer Garten- und Parkanlagen. Ein solches Berufen hat Tradition - vielleicht sollte man einmal genau hier ansetzen und zu einem neuen denkmalpflegerischen Bewusstsein kommen? Das Denkmalamt empfielt zwar etwa die außerordentlich aufwendige Restaurierung von Gipsverzierungen in Museumsquartiergefilden, die kein Mensch zu Gesicht bekommen wird. Andererseits schauen seine wichtigsten Vertreter offenbar betreten zur Seite, wenn wirklich wichtige Ensembles ausgeschlachtet werden. Eine Unverhältnismäßigkeit, die endlich zur Debatte gestellt werden muss.

Derweilen haben die neuen Grundeigentümer, die korrekt einen Baugrund der Extraklasse erworben haben, die rechtsgültige Baubewilligung sowie die schriftliche Versicherung, der Park bleibe erhalten, sorgfältig am Bauplatz straßenseitig am Zaun angeschlagen. Der Bauherr der neuen Villa versteht den Unmut von Anrainern und Denkmalschützern absolut nicht: „Seit wann ist ein Privathaus städtebaulich relevant? Ich habe ein Grundstück für sehr viel Geld gekauft, habe einen zweijährigen Spießrutenlauf hinter mir und will dort jetzt rechtmäßig mein Haus bauen. Es gibt keinerlei Unregelmäßigkeiten, es wurden nur dort Bäume gefällt, wo die Baugrube hinkommt, und alles wurde mit der MA 42 abgestimmt.“

Tatsächlich ist Städtebau keine Privatsache. Er wird von Fachleuten diktiert, von Beamten exekutiert. Oft ziemlich willkürlich. Sabine Gretner, Stadtplanungsreferentin der Wiener Grünen, ist von der lockeren Vorgangsweise kaum überrascht. Sie meint: „Es werden in Wien ständig Flächenwidmungen gemacht, die sich in keiner Weise an übergeordnete Planungsziele halten. Die ausgearbeiteten Konzepte müssten dringend auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das war hier allerdings ohnehin bereits der Fall, denn der Park der Villa, sowie die gesamte Umgebung, sind im geltenden Flächenwidmungsplan unmissverständlich als Schutzzone ausgewiesen.“

Tatsächlich ist in der vom Gemeinderat am 30.9.1998 per Beschluss genehmigten Stadtkarte, dem offiziellen Plandokument Nr. 7119, das Areal rosa unterlegt eindeutig als Schutzzone definiert. Laut §7 (1) der Wiener Bauordnung, die eigentlich Gesetz ist oder offenbar nur sein sollte, bedeutet das folgendes: In den Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen können die wegen ihres örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdigen Gebiete als in sich geschlossenes Ganzes (Schutzzonen) ausgewiesen werden. Und weiter unter 1(a): Bei der Festsetzung von Schutzzonen sind die prägende Bau- und Raumstruktur und die Bausubstanz sowie auch andere besondere gestaltende und prägende Elemente, wie die natürlichen Gegebenheiten oder Gärten und Gartenanlagen, zu berücksichtigen.

Diese Berücksichtigung erfolgte hier sicher nicht. Der geplante Neubau in „historisch anmutendem Stil“ (so der Text des Anschlags neben der Bautafel) beeinflusst selbstverständlich ein wegen seines „äußeren Erscheinungsbildes erhaltungswürdiges Gebiet“ und ruiniert eine Parkanlage. Das eigentlich Bedenkliche an der Angelegenheit ist, dass sie überhaupt möglich ist. Das Grundstück ist noch dazu doppelt besichert, es befindet sich außer in der besagten Schutzzone auch noch in der Pufferzone rund um das von der Unesco zum Weltkulturdenkmal ernannte Schloss Schönbrunn und die dazugehörige Gartenanlage. Géza Hajós: „Auch die benachbarten Gärten gehören zur Schönbrunner Kultur dazu. Wenn dieses Beispiel Schule macht, wird die Pufferzone sukzessive zerstört. Dieser Fall zeigt sehr klar, wie schwach der Begriff der Gesamtanlage, zu der der Garten dazugehört, im Gesetz verankert ist, denn Villa und Park bilden eine untrennbare Einheit. Das Bundesdenkmalamt hat aber leider keine gesetzliche Möglichkeit, jene Gärten zu schützen, die nicht explizit im Gesetz genannt werden, deshalb sind wertvollste Areale immer wieder akut gefährdet.“

Der Städtebau dokumentiert nicht nur anhand dieses Beispiels, wie matt, lückenhaft und schwammig an sich sinnvolle Bestimmungen formuliert sind, und drückt mit dieser Widmung und schließlich der Baugenehmigung die Bereitschaft aus, das Villenviertel Hietzings zum Bauhoffnungsland erster Klasse zu machen. Das Bundesdenkmalamt muss auf der anderen Seite wieder einmal eine Totalniederlage zur Kenntnis nehmen. Verantwortung übernimmt keiner. Ex-Stadtplanungspolitiker Roland Rainer wohnt in der Nähe des Schratt-Ensembles, er kennt das Areal also beruflich und privat gut. Er sagt: „Es gibt in Wien kaum einen schützenswerteren und wertvolleren Stadtteil als diesen stark durchgrünten historischen Bezirk, und der Park der Villa Schratt kann als eines der Zentren dieses Gebietes betrachtet werden. Ich frage mich, wozu es ein Denkmalschutzgesetz gibt, wenn es in einem dermaßen eklatanten Fall nicht angewendet werden kann. Ich frage mich, warum die zuständige Magistratsabteilung umgewidmet und einen herrlichen Park vernichtet hat. Das öffentliche Interesse ist für Umwidmungen vorrangig, ich frage mich, welches gibt es da? Diese Fragen richten sich alle nicht an den Besitzer, sondern an die offiziellen Stellen. Wenigstens in dermaßen wichtigen historischen Bereichen sollte der billige Fortschrittsglaube nicht Anwendung finden, doch scheinbar gibt es keinen Halt mehr. Man hat mir berichtet, dass außer diesem auch mehrere andere Grundstücke umgewidmet wurden, doch konnte ich das bisher noch nicht nachprüfen.“ MA 21 B-Chef Vokaun widerspricht dem: „Ich wüsste nicht, was dort irgendwo noch gebaut werden sollte.“

Quer über den ehemaligen Prachtgarten der Villa Schratt wuchert übrigens eine nur wenige Jahre jungeThujenhecke. Sie wurde offenbar als Sichtschutz entlang der neuen Grundstücksgrenze gepflanzt. Sie nimmt sich zwischen den alten Baumriesen aus wie ein Kaugummiautomatencollier zwischen den Juwelen der Schatzkammer.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: