Das Bauwerk als intellektuelles Projekt

Charles Rennie Mackintosh (1868–1928) entzieht sich noch immer jeder Kategorisierung. Eine Schau im Royal Institute of British Architects (Riba) in London widmet sich nun seinen Architekturentwürfen.

Marion Löhndorf
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Haus und Burg im Geist des Jugendstils – das 1901 von Mackintosh im schottischen Kilmacolm realisierte Haus Windyhill (Zeichnung 1900). (Bild: Charles Rennie Mackintosh)

Haus und Burg im Geist des Jugendstils – das 1901 von Mackintosh im schottischen Kilmacolm realisierte Haus Windyhill (Zeichnung 1900). (Bild: Charles Rennie Mackintosh)

Er arbeitete als Architekt, kümmerte sich bis ins Detail um Innenarchitektur und war ein Möbeldesigner, dessen aufsehenerregende Arbeiten heute als Klassiker wiederaufgelegt werden. Doch Charles Rennie Mackintosh betätigte sich auch als Maler. Man bezeichnet ihn als Exponenten des Jugendstils, des Symbolismus und der Moderne. Er lehnte den Historizismus seiner Zeit ab, liess sich stattdessen von Japan und der Wiener Secession inspirieren, von der wuchtigen Architektur seines schottischen Heimatlandes und von leichtfüssigeren, zeitgenössischen englischen Stilen. Zu Lebzeiten wurde er zuerst gefeiert, dann geschmäht und dann vergessen; postum erlebte er seit den 1970er Jahren eine Renaissance, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Eine Ausstellung in den Räumen des Royal Institute of British Architects (Riba) konzentriert sich nun auf Mackintoshs kurze, bereits um 1900 kulminierende, aber imponierende Karriere als Architekt. Gemessen an seinem Ruhm wissen wir heute wenig über sein Leben: Zwar existieren zahlreiche Zeichnungen, die sein Werk dokumentieren, aber nur wenige Briefe, zwei kurze Tagebücher, ein paar Stichwörter zu Vorlesungen und verstreute Erinnerungen.

Dreieck und Quadrat

Geboren wurde er 1868 – die Schreibweise des Familiennamens McIntosh änderte er in den frühen 1890er Jahren in Mackintosh. Als Sechzehnjähriger begann er für ein Architekturbüro zu arbeiten und besuchte daneben in seiner Freizeit Kurse an der Glasgow School of Art. 1889 trat er in das bedeutende Glasgower Architekturbüro Honeyman and Keppie ein, dessen Partner er 1901 wurde und für das er bis 1913 seine bedeutendsten Entwürfe schuf – darunter die 2014 durch einen Brand beschädigte Glasgow School of Arts, sein berühmtestes Werk. Doch das Riba hebt die Dokumentation des Baus – eine Schnittstelle von Viktorianismus und Moderne – nicht über Gebühr hervor, offenbar entschlossen, allen hier gezeigten Entwürfen gleichen Rang zuzugestehen. An blassblauen Wänden hängen Tuschzeichnungen zu verwirklichten und unrealisierten Projekten, darunter öffentliche Bauten wie die Scotland Street School oder die Queen's Cross Church, der Sitz der Tageszeitung «Glasgow Herald», Künstlerstudios und Privathäuser wohlhabender Geschäftsleute wie das Hill House und Windyhill. Videoaufnahmen zeigen die noch heute fast unveränderten Bauten und deren Innenräume. Hier sind einige von Mackintoshs hochlehnigen Stühlen zu sehen, von denen sonst in der Ausstellung bedauerlicherweise jede Spur fehlt.

Charles Rennie Mackintosh betätigte sich auch als Maler. Man bezeichnet ihn als Exponenten des Jugendstils, des Symbolismus und der Moderne. (Bild: Charles Rennie Mackintosh / The Hunterian)

Charles Rennie Mackintosh betätigte sich auch als Maler. Man bezeichnet ihn als Exponenten des Jugendstils, des Symbolismus und der Moderne. (Bild: Charles Rennie Mackintosh / The Hunterian)

Umso mehr fällt die bestechende Eleganz seiner Zeichnungen auf. Einige sind von simpler Klarheit. Mit wenigen Strichen ist alles gesagt. Andere vertiefen sich in Details oder wirken mit düster schraffiertem Himmel wie Illustrationen von Schauerromanen. Mackintosh war ein aussergewöhnlich begabter Zeichner, dessen Entwürfe immer weit über das Funktionale hinausgehen – ebenso wie seine Gebäude mit ihren sich überschneidenden und ineinander übergehenden Formen und Perspektiven. Werke wie die Glasgow School of Art suggerieren Kontinuität und Symmetrie, nur um sie dann wieder subtil zu unterlaufen. Seine Bauten sind bei aller ästhetischen Schönheit und Innovationskraft zugleich intellektuelle Projekte. Dabei lassen die Zeichnungen auch die Entwicklung hin zur Überwindung dekorativer Elemente und historischer Referenzen erkennen. Seine letzten Entwürfe, die Anfang der zwanziger Jahre beim Versuch einer Regenerierung seiner Karriere entstanden, galten Künstlerstudios im damaligen Londoner Bohème-Viertel Chelsea und basieren auf seinen liebsten geometrischen Formen, dem Dreieck und dem Quadrat.

Charles Rennie Mackintosh, 1893. (Bild: James Craig Annan / T&R Annan / Glas)

Charles Rennie Mackintosh, 1893. (Bild: James Craig Annan / T&R Annan / Glas)

Auf drei Räume ist die kompakte Schau verteilt, die Mackintosh tief in seinen ersten Glasgower Jahren verankert. Zeitgenössische Filmausschnitte illustrieren die Stadt, die damals einen enormen Boom erlebte. Zweifellos beeinflusste die intensive Bau- und Wachstumsphase, welche die Industriemetropole Glasgow zur zweiten Stadt des britischen Weltreichs machte, seine Berufswahl. Bei einer Reihe der Projekte ist nicht mehr genau zu sagen, welche Anteile auf den Mitinhaber des Architekturbüros, John Keppie, zurückgehen (John Honeyman war in der Hauptsache fürs Geschäftliche zuständig) und welche auf Mackintosh, der sich rasch als kreativer Kopf etabliert hatte. Oft war Keppie von der Kunstgeschichte mit Herablassung betrachtet worden; die Ausstellung würdigt sein solides, aber kaum hervorstechendes Talent und zielt darauf ab, einige Vorstellungen über Mackintosh aus dem Weg zu räumen. Sie resultiert aus einem vierjährigen Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse im frei zugänglichen Online-Katalog (www.mackintosh-architecture.gla.ac.uk) bequem nachgeschlagen werden können.

Rätselhaftes Karriereende

Auch die Lesart seiner Biografie als die einer romantischen, am Ende tragisch scheiternden Künstlerfigur will die Ausstellung widerlegen – allerdings mit mässigem Erfolg. Denn Mackintoshs vielseitige Karriere war kurz und steil und brach nach arbeits- und erfolgreichen Jahren um 1906 plötzlich ab: Verschiedene Gründe für das Ende seiner Arbeit als Architekt waren in der Vergangenheit ins Feld geführt worden, alle mehr oder weniger spekulativ. Das Forschungsprojekt, dem die Ausstellung des Riba zugrunde liegt, argumentiert, dass «Toshie's» (so Mackintoshs Spitzname) extrem individualistischer Stil in einer Zeit, die sich wieder dem Klassizismus zuwandte, aus der Mode kam. Herbert McNair, ein Künstlerfreund aus frühen Jahren, erklärte später, dass jene, die vom Büro orthodoxe Entwürfe gewünscht hätten, sich an Keppie gewandt hätten, während die weniger zahlreichen Kunden, die «strange things» erwartet hätten, bei Mackintosh an der richtigen Adresse gewesen seien. Zudem habe Mackintosh es als Teilhaber des Architekturbüros an Geschäftstüchtigkeit fehlen lassen: Honeyman und Keppie gehörten zur besten Gesellschaft in Glasgow und verfügten, anders als Mackintosh, über weitreichende Verbindungen zu ihrer potenziellen Klientel. Auch sei Mackintosh nicht immer einfach im Umgang mit Kunden gewesen. Die Gerüchte von seinem immer schon beträchtlichen Alkoholkonsum, der ihn in jungen Jahren beflügelt haben soll und mit der Zeit etwas aus dem Ruder lief, unterschlägt die Ausstellung; nicht aber die Spekulation über mögliche Depressionen. Noch seine letzten Entwürfe für Künstlerstudios in Chelsea in den zwanziger Jahren lassen das Ende seiner Laufbahn als tragischen Verlust für die Architekturwelt erscheinen.

Bis 23. Mai im Riba in London. Kein Katalog.