Ein seit Jahrtausenden lebendiger Kosmos

Dass die Terrormiliz «Islamischer Staat» dabei ist, die antike Oasenstadt Palmyra zu erobern, gibt Anlass zu Beunruhigung. Die in Syrien gelegene Stätte birgt antike Baukunst von unschätzbarem Wert.

Margarete van Ess
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Die Oase von Palmyra war ein Knotenpunkt der Handelswege zwischen Ost und West, Nord und Süd. Die hohe römische Schule des Steinbaus zeugt noch heute von der Bedeutung des Ortes. (Bild: Youssef Badawi / Epa)

Die Oase von Palmyra war ein Knotenpunkt der Handelswege zwischen Ost und West, Nord und Süd. Die hohe römische Schule des Steinbaus zeugt noch heute von der Bedeutung des Ortes. (Bild: Youssef Badawi / Epa)

Verheerungen durch Krieg und Terror gehören zu den Konstanten der Menschheit. Man muss nicht weit in die Vergangenheit und nicht in ferne Länder schauen, um hinreichend Beispiele zu finden: der Balkankrieg, die Zerstörungen im Koreakrieg oder auch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg sind Beispiele dafür, wie das jahrhundertealte Kulturerbe grosser Regionen in tragischer, aber auch in absichtlicher Weise zerstört werden kann. Nun steht in Syrien die IS-Terrormiliz, die bereits im Irak archäologische Stätten wie Nimrud und Hatra vor den Augen der Welt verwüstet hat, vor den Toren der antiken Oasenstadt Palmyra, und es steht Schlimmstes zu befürchten.

Was ist das Besondere an Palmyra, dass seine Zerstörung solch eine Katastrophe wäre? Zunächst ist das in der zentralsyrischen Wüste gelegene Palmyra eine sehr gut erhaltene antike Ruinenstadt. Ihr besonderes Flair zieht seit rund 400 Jahren westliche Besucher in ihren Bann. Der Ort war daher bis 2011 eine der Hauptattraktionen Syriens und Teil des für das Land ökonomisch so wichtigen Kulturtourismus. Weltkulturerbe wurde die Stadt jedoch aus anderen Gründen.

Oase in der Wüstensteppe

Palmyra entstand in einer Oase in der Wüstensteppe, die sich heute als abweisender Lebensraum über Zentralsyrien, Ostjordanien, Saudiarabien und den Westirak erstreckt. Nur an wenigen Stellen gibt es wasserreiche Quellen, und eine Durchquerung der Wüstensteppe war bis zur Einführung des Autos nur denjenigen möglich, die den Verlauf bodennaher, unterirdischer Wasserläufe kannten oder wussten, wo sich im Winter kleine Seen bilden. In Tadmor, so der seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. bekannte und heute noch offizielle Name von Palmyra, zog die Efqa-Quelle bereits in der Steinzeit Menschen an. Die Oase entwickelte sich zu einem Knotenpunkt der zwischen Osten und Westen querenden Esels-, später Kamelkarawanen, wichtig waren jedoch auch Wege nach Nord- und Südosten. Die Stadt war also ein Herz des Handels zwischen Mesopotamien und dem Mittelmeer oder zwischen Jemen und Anatolien.

Das Leben in Oasen erfordert von den Menschen besondere Anpassungsstrategien, ist ihr Lebensraum doch auf die Reichweite der Quelle beschränkt. Sorgsamer Umgang mit den Ressourcen und vorausschauende Planung garantieren das Überleben. Gleichzeitig können Oasenstädte wegen ihres lebensnotwendigen Wasserangebots Monopolstellungen aufbauen, und manchmal führt dies, wie bei Palmyra in besonderem Masse zu beobachten, zu einer ungewöhnlich reichen, faszinierenden und eigenen Kulturausprägung.

Der Öffentlichkeit besonders gut bekannt ist das Palmyra der römischen Ära. Aus dieser Zeit stammen die meisten der noch gut erhaltenen Säulenstrassen, das Theater, mehrere Tempel oder auch die berühmten Grabtürme mit ihrer unverwechselbaren palmyrenischen Grabskulptur. Die Stadt Palmyra wurde zwar bereits in der Seleukidenzeit (3. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) ausgebaut und durch den Handel des riesigen Seleukidenreiches mit dem griechischen Mutterland reich, doch wuchs ihre Bedeutung in der römischen Zeit, als die Grenze zwischen den damaligen Grossmächten – Rom und Parthien – nahe dem Euphrat verlief. Die Nachfrage des römischen Reiches nach exotischen Gütern war gross und machte vor Seiden aus China oder Gewürzen aus Indien nicht halt. Reste von Seidenstoffen aus dieser Zeit konnten vor einigen Jahren bei Ausgrabungen in Palmyra nachgewiesen werden. Palmyra mit seinem speziellen Know-how über die Importwege war nicht nur als Umschlagplatz, sondern auch aktiv in Handelsexpeditionen involviert.

Es wundert daher nicht, dass es verschiedene Versuche der römischen Kaiser gab, Palmyra in das Reich einzubeziehen. Kaiser Trajan machte Palmyra im Jahr 106 n. Chr. zum Vasallen Roms, Kaiser Hadrian erhob es 129 n. Chr. zur freien Stadt und Kaiser Caracalla verlieh ihm 212 n. Chr. den Status einer colonia Romana mit vielfältigen Rechten. In der für die Römer politisch und militärisch schwierigen späten Kaiserzeit hatte der Palmyrener Septimius Odainatus, der seit 256 n. Chr. die Statthalterschaft über die Provinz Syria Phoenike innehatte, entscheidenden Anteil an einem Sieg über die Sassaniden, die inzwischen in Nachfolge der Parther Herrscher der iranischen Grossregion geworden waren.

Palmyra trat aus dem Schatten Roms heraus und erlebte für kurze Zeit seine Hochblüte. Insbesondere unter der berühmten Königin Zenobia von Palmyra, der Witwe von Septimius Odainatus, die im Namen ihres unmündigen Sohnes handelte, präsentierte sich die Stadt herausfordernd und selbstbewusst als überregionale Macht. Unter Kaiser Aurelian kam der Gegenschlag: Während der Strafexpedition im Jahr 272/273 n. Chr. wurde Palmyra zerstört und verlor seine politische und kommerzielle Bedeutung.

Prächtige Säulenstrasse

Die Handelswege aus dem Osten verlagerten sich nun nach Norden: über Hatra und Nisibis (heute Nusaybin/Türkei) und die alte persische Königsstrasse entweder an die östliche Mittelmeerküste oder durch Anatolien. Dennoch spielte die Oase Palmyras ohne Unterbrechung bis heute eine Rolle, wenn auch keine bedeutende kommerzielle mehr. Sie war spätrömische Garnison, byzantinischer Bischofssitz und frühislamische Zitadelle. Als Wegstation in der Wüste wurde sie befestigt, und so gehört auch die Burg «Qalaat ibn Maan», hoch auf einem Hügelrücken westlich der Stadt thronend, zu den malerischen Eindrücken der heutigen Stadt. In diesem Fall allerdings trügt der schöne Schein, diente diese Burg doch Jahrzehnte als berüchtigtes Gefängnis für politische Häftlinge der syrischen Regierung.

Besucher von Palmyra konnten sich also eines ausgedehnten antiken und historischen Geländes erfreuen. Auf den ersten Blick war erkennbar, dass man es mit einer aus der römischen Zeit erhaltenen Stadt zu tun hat, die ihren Reichtum in Architektur präsentierte. Eine einen Kilometer lange, prächtige Säulenstrasse vermittelte zwischen zwei grossen Tempelkomplexen, denjenigen der semitischen Gottheiten Bel und Allat, deren Tempel ebenfalls römisch ausgebaut wurden. Entlang der Strasse fand sich alles, was eine selbstbewusste Stadt vorweisen musste: weitere Tempel, Thermen, das Theater, Marktanlagen und immer wieder imposanter Strassendekor wie ein Tetrapylon, diverse Exedren, ein Nymphäum oder – heute nicht mehr erhalten – die Skulpturenausstattung an den Säulen. Auf den zweiten Blick wurde deutlich, wo der eigene, ganz unrömische Kunstgeschmack Ausdruck fand: Der grosse Bel-Tempel folgt einem altorientalischen Grundrisskonzept, ein Teil des Bauschmucks oder auch die Skulptur orientiert sich an zwar hellenistisch-römischen Sehgewohnheiten, formt diese aber palmyrenisch um. An der Bauweise der Grabtürme in der Nekropole zeigte sich dann endgültig, wie sehr Palmyra dem orientalischen Erbe verbunden war.

Wenn nun die IS-Terrormiliz Palmyra nahe rückt und sowohl die moderne Stadt mit ihrer offenen und gastfreundlichen Bevölkerung als auch das Weltkulturerbe bedroht, ist also ein besonderer, seit Jahrtausenden lebendiger Kosmos betroffen. Bedroht sind daher nicht nur die antiken Ruinen, sondern auch die Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Die Bürgerkriegszeit hat jedoch auch schon in den letzten Jahren Zerstörungen in Palmyra und an seinem antiken Erbe bewirkt, wurden doch immer wieder Grabskulpturen oder auch Teile der römischen Stadtarchitektur für den Verkauf auf dem Kunstmarkt abgeschlagen.

Einiges davon konnte aufgegriffen und der syrischen Antikenverwaltung wieder anvertraut werden, die einmaligen Fundzusammenhänge sind jedoch in vielen Fällen unwiederbringlich zerstört. Anderes jedoch wird auf illegalen Wegen in den Weltmarkt gelangt sein und von Kunstliebhabern, die die Augen vor den Herkunftsbedingungen verschliessen, aufgekauft werden. Man sollte sich nichts vormachen: Es sind nicht nur die Bürgerkriegsparteien, Terrorherrscher oder mafiaähnlich vernetzte Profiteure, die das Kulturerbe der Region und die zukünftige Lebensgrundlage der Menschen in Syrien zerstören.

Dr. Margarete van Ess leitet die Aussenstelle Bagdad des Deutschen Archäologischen Instituts und ist seit über dreissig Jahren auf vorderasiatische Archäologie spezialisiert.Siehe auch den Terra-X-Film des ZDF «Palmyra – Entdeckung aus dem Weltall», erstmals ausgestrahlt im September 2011. – Georg Gerster/Ralf B. Wartke: «Flugbilder aus Syrien von der Antike bis zur Gegenwart». Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 2003.

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