Kolumne

Berlin, Bollywood

Während die Bauten in Berlins Mitte immer preussischer aussehen, setzen die Häuser zunehmend auf Weltkultur. – Weshalb das alles so gut zu Berlin passt.

Claudia Schwartz
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Das Hohenzollernschloss, aussen barock, innen modern, wächst heran. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)

Das Hohenzollernschloss, aussen barock, innen modern, wächst heran. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)

Berlin, du Ort der Neuerfindung. Seit meinem Wegzug sitzt mir die Angst im Nacken, irgendwann nicht mehr mithalten zu können mit der Entwicklung dieser Stadt, für die ein Regierender Bürgermeister einst schleunigst den Namen der «Hauptstadtmetropole» erfand. Seit Jahren fürchte ich mich vor der Entfremdung und versuche also den Anschluss nicht zu verpassen.

Vom Standort des Deutschen Historischen Museums (DHM) beispielsweise lässt sich derzeit ein Überblick gewinnen, wie Berlins zukünftige Mitte bald aussehen wird. Zwischen Dom, Museumsinsel, Kronprinzenpalais, Opern- und Zeughaus wächst mit dem neu-alten Schloss so etwas wie ein riesiger Gendarmenmarkt heran. Den wiederum finden in dieser Stadt ja bekanntlich alle immer am schönsten, weil Berlin dort nicht wie Berlin aussieht, sondern wie Paris.

Bild von oben auf das im Bau befindliche Berliner Schloss, rechts die Humboldtbox, im Hintergrund die Friedrichswerdersche Kirche. (Bild: Rainer Jensen / EPA)

Bild von oben auf das im Bau befindliche Berliner Schloss, rechts die Humboldtbox, im Hintergrund die Friedrichswerdersche Kirche. (Bild: Rainer Jensen / EPA)

Die barocke Wiederbelebung ist Geschmacksache; dennoch passt sie zu Berlin wie die Trabi-Rundfahrtentaxis am Dom, der alles umhüllende Bratwurst-Duft beim Zeughaus – und meinetwegen auch ein zukünftiges Kino für Bollywoodfilme. Auf Bollywood-Vorführungen im Barockschloss muss der Grossstädter jedenfalls sehnsüchtig gewartet haben, so wie der Mitarbeiter des Fördervereins Berliner Schloss diese Weihnachtsüberraschung seinen ergrauten Zuhörern in der Humboldtbox entgegenjauchzt; an der Wand träumen derweil Spendenurkunden des immergleichen Hans Muster aus Musterhausen von den nächsten 50 000 Euro für einen weiteren Barockschnörkel.

«Berliner Liebe war noch nie ein Zuckerschlecken.»

Ein «Weltmuseum» entstehe hier, versichert der Mann und verweist auf die Probe-Schau «Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom» und die Sonderausstellungen über Kolonialismus im DHM schräg gegenüber. Wer in diesem Kontext Aufschlussreiches zur deutschen Geschichte sucht, findet es am ehesten in der Guetzliform eines Merkel-Porträts im Museumsshop.

Weltniveau: Stadtschloss mit Kuppel und Fernsehturm im Hintergrund (Bild: Rainer Jensen / EPA)

Weltniveau: Stadtschloss mit Kuppel und Fernsehturm im Hintergrund (Bild: Rainer Jensen / EPA)

Berliner Liebe war noch nie ein Zuckerschlecken, und selbstverständlich wird mir auch das preussische Schloss samt Bollywood-Kino und Südseebooten ans Herz wachsen. Gleichwohl braut sich auf «Deutschlands grösster Kulturbaustelle» ein recht beliebiges Sammelsurium zusammen. Auf dem neu berufenen DHM-Direktor Raphael Gross liegt schon einige Hoffnung, dass immerhin dieses identitätspolitische Vorzeigeprojekt der Berliner Republik wieder aus dem Dornröschenschlaf erwacht. All die Museumskonzepte mit ihrem symbolhaften ethnologisch-deutschen Weltgestus verblassen derzeit ohnehin angesichts einer zunehmend bunten deutschen Realität und der in den kommenden Jahrzehnten erforderlichen Integrationsleistung.

Wo es nun auf der einen Seite tatsächlich eine der vorteilhaften Lehren Berlins seit der Wiedervereinigung ist, Bilder verschiedener Zeiten in einem zu sehen, leben auf der anderen Seite die alten Grabenkämpfe gerade munter wieder auf: So wollen manche die durch den Abriss des Palastes der Republik hervorgerufene Wunde mit einem Einheitsdenkmal zupflastern; andere sähen an der Stelle nun lieber altehrwürdige Kolonnaden.

«Und noch ne Million und noch ne Million.» Kurt Tucholsky

Und während für das Schloss noch immer keine durchwegs sinnvolle Bespielung gefunden scheint, fordern Schinkel-Freunde in der «FAZ» die Rekonstruktion der Bauakademie «für das digitale und globalisierte Berlin von heute».

So wird das neue Berliner Stadtschloss dereinst aussehen: Blick auf den Schlossgarten. (Bild: Förderverein Berliner Schloss, eldaco, Berlin)

So wird das neue Berliner Stadtschloss dereinst aussehen: Blick auf den Schlossgarten. (Bild: Förderverein Berliner Schloss, eldaco, Berlin)

Man fühlt sich an den Dichter erinnert, der angesichts der ewigen Berliner Unzufriedenheit schrieb: «Und noch ne Million und noch ne Million. Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.» Kann es überhaupt etwas Tröstlicheres geben, als in eine alte Heimat zurückzukehren und festzustellen, dass sich seit Tucholskys Zeiten nichts verändert hat?