Auch die internationale Architekturszene hat ihren #MeToo-Fall und ihre antisemitischen Hamas-Sympathisanten

Neben der Hauptausstellung der ghanaisch-schottischen Kuratorin Lesley Lokko, die auf Afrika blickt, entdeckt die Biennale in Venedig die Architektur ihrer Länderpavillons.

Hubertus Adam, Venedig 5 min
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Der brasilianische Pavillon zeigt die Ausstellung «Terra» und dekonstruiert den Mythos der Stadt Brasilia.

Der brasilianische Pavillon zeigt die Ausstellung «Terra» und dekonstruiert den Mythos der Stadt Brasilia.

Simone Padovani / Getty I

Erstmals rückt die im Mai eröffnete Architekturbiennale in Venedig Länder aus Afrika ins Zentrum. Das ist erhellend, ja bewusstseinserweiternd und vor allem: notwendig. Aber so faszinierend und schillernd sich die Schau auch zeigt, die die ghanaisch-schottische Kuratorin Lesley Lokko im Arsenale und im italienischen Pavillon in den Giardini inszeniert: Auch sie hat ihre blinden Flecken.

So wurde Anfang Juli bekannt, dass gegen den prominent vertretenen David Adjaye Missbrauchsvorwürfe erhoben werden. #MeToo hatte damit auch den in Tansania geborenen und in London praktizierenden Architekten eingeholt, einen Star der internationalen Architekturszene. Adjaye legte einen Teil seiner Mandate nieder, offensichtlich wurden ihm andere Projekte entzogen.

Ausstellungsmacherin Lesley Lokko.

Ausstellungsmacherin Lesley Lokko.

PD

Ein weiterer Skandal zeichnet sich nun gegen Ende der Biennale-Laufzeit ab: Es geht um den französischen Architekturkritiker und Herausgeber der Architekturzeitschrift «The Funambulist», Léopold Lambert, der ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist. Wie der in Stuttgart lehrende Architekturtheoretiker Stephan Trüby, seit langem für das Thema «rechte Räume» sensibilisiert, gerade in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» aufgedeckt hat, begrüsste Lambert in Facebook-Posts das Massaker der Hamas vom 7. Oktober.

Das Foto des von einem Bulldozer durchbrochenen Grenzzauns des Gazastreifens kommentierte er mit «You’re beautiful like a smashed prison door». Antisemitismus ist nicht nur im postkolonialen Diskurs von Entwicklungs- und Schwellenländern – man denke an die Documenta-Macher des vergangenen Jahrs in Kassel –, sondern auch in akademischen und kulturellen Milieus der westlichen Welt ein nicht zu unterschätzendes Problem.

Provokativer Österreich-Pavillon

Der Goldene Löwe für den besten Länderpavillon wurde in diesem Jahr an einen Beitrag der nichtwestlichen Welt verliehen. Das überrascht kaum. Mit einer eindrücklichen Installation – der Boden des von Carlo Scarpa entworfenen Länderpavillons ist mit Erde bedeckt – dekonstruiert Brasilien das Narrativ, dass die synthetische Hauptstadt Brasilia im Niemandsland gebaut worden sei. Vielmehr wurde nämlich die indigene Bevölkerung vertrieben – «Terra», so der Titel der Schau, erinnert daran.

Zu den spannenden Beiträgen zählt auch diesmal die Ausstellung des Königreichs Bahrain. Der Inselstaat im Arabischen Golf hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch thematisch präzise und szenografisch herausragende Präsentationen überzeugt; diesmal geht es halb spielerisch, halb kritisch darum, was man mit dem Kondenswasser der in den Wüstensand gerammten Hochhäuser alles anfangen könnte.

Und Maki Onishi vom derzeit angesagten Tokioter Büro «o+h» nutzt, ebenfalls recht spielerisch, die Potenziale des japanischen Pavillons unter dem Titel «Architecture, a place to be loved» und erzählt zugleich die Geschichte des 1956 eingeweihten Pavillons des Le-Corbusier-Schülers Takamasa Yoshizaka, eines der architektonischen Highlights auf dem Biennale-Gelände.

Blick in die Ausstellung des Königreichs Bahrain, wo es um das Kondenswasser von Hochhäusern in der Wüste geht.

Blick in die Ausstellung des Königreichs Bahrain, wo es um das Kondenswasser von Hochhäusern in der Wüste geht.

Stefano Mazzola / Getty

Insgesamt 63 Nationen stellen sich heuer mit Länderpräsentationen vor – wie stets mit eigenen Pavillons in den Giardini, in den Räumen des Arsenale oder in angemieteten Örtlichkeiten, die sich über die Stadt verstreuen. Eindrucksvoll zeigen sich in diesem Jahr insbesondere die deutschsprachigen Länder. Auf eine erfrischende Weise provokativ, weil explizit politisch, ist der österreichische Beitrag.

Das Team um Hermann Czech und das Architekturkollektiv AKT hat detailliert analysiert, wie die Biennale über die Jahrzehnte ihres Bestehens mehr und mehr Bauten der Lagunenstadt in Beschlag genommen und einer weiteren Nutzung entzogen hat. Besonders sichtbar wurde dies durch die Einzäunung des zu napoleonischer Zeit als öffentlicher Park angelegten Giardini-Geländes, das ausserhalb der Biennale-Zeiten – und damit stets die Hälfte des Jahres – verschlossen bleibt.

Das kuratorische Konzept bestand ursprünglich darin, eine Brücke vom österreichischen Pavillon zum benachbarten Quartier Sant’Elena zu schlagen, um den dortigen Bewohnern den Zugang zu ermöglichen – ein Ansinnen, das allerdings bei der Biennale-Leitung auf dezidierte Ablehnung stiess. Die halbe Brücke endet nun in der Luft, während im Pavillon des Architekten Josef Hoffmann die sukzessive Landnahme der Biennale und die Verhandlungen mit der Institution dokumentiert werden.

Auf andere Weise widmet sich das Kuratorenteam des deutschen Pavillons, das sich aus Mitgliedern der Architekturzeitschrift «Arch+» sowie den Architekturbüros Summacumfemmer und Juliane Greb zusammensetzt, der Öffnung: Sie haben das Bauwerk, das in der NS-Zeit seine monumentale Gestalt erhalten hat und seit Hans Haackes legendärer Installation mit den zertrümmerten Bodenplatten von 1993 immer wieder zur baulichen Intervention herausfordert, in eine Werkstatt umgewandelt.

Der zentrale Raum ist zu einer Lagerhalle geworden, in welcher Ausstattungselemente der letztjährigen Kunstbiennale zusammen mit Bottom-up-Initiativen aus der Lagunenstadt zu Kleinstarchitekturen werden, handle es sich um eine Bar für Hausbesetzer in Mestre, einen Pavillon für einen Quartierssportplatz oder einen Steg für eine kleine Werft.

Second Life statt Entsorgung – eine Idee, die auch Lesley Lokko mit ihrer Präsentation im Arsenale verfolgt und die heute aktueller und notwendiger ist denn je. Das «Arch+»-Team, unterstützt unter anderem durch die Zürcher ETH-Professorin Milica Topalović, greift dieses Thema gerade in der Mitte Oktober eröffneten Ausstellung «The Great Repair» in der Berliner Akademie der Künste auf.

Öffnung zum Nachbarn

Das Thema der Öffnung kehrt auch im diesjährigen Schweizer Beitrag wieder, allerdings weniger in politischer als in künstlerischer Hinsicht. Der Schweizer Pavillon des Architekten Bruno Giacometti aus dem Jahr 1952 läutete eine zweite Bauphase von Länderpavillons nach dem Zweiten Weltkrieg ein und liegt an prominenter Stelle, in unmittelbarer Nähe zum Eingang des Giardini-Geländes.

Daneben steht der venezolanische Pavillon, für den sich das seinerzeit unermesslich reiche südamerikanische Land den Architekten Carlo Scarpa leistete, der nach Kriegszerstörungen auch an anderer Stelle auf dem Gelände tätig war. Die Beobachtung, dass der Schweizer und der venezolanische Pavillon näher zueinander stehen als alle anderen Pavillons auf dem Ausstellungsgelände, war der Ausgangspunkt des diesjährigen Schweizer Biennalebeitrags «Neighbours», für den die bis 2022 an der ETH lehrende Künstlerin Karin Sander und ihr Kollege, der Kunst- und Architekturhistoriker Philip Ursprung, zusammenspannten.

Tatsächlich reagierte Scarpa direkt auf den Nachbarn – in einer anderen Formensprache, aber doch gewissermassen auf Augenhöhe. Das zeigt sich unter anderem an dem Vordach, das sich fast an den Wandelgang des Schweizer Pavillons anlehnt, an der gemeinsamen rechtwinkligen Geometrie sowie an den Dimensionen und Proportionen des Schweizer Hauptsaals, der im venezolanischen Pavillon transformiert wieder aufgegriffen wird.

Scarpa und Giacometti kannten einander und waren befreundet; Giacometti ebnete später den Weg für Scarpas Villa Zentner an der Zürcher Aurorastrasse, das einzige Werk, das der Italiener je ausserhalb seines Heimatlands realisiert hat.

Karin Sander und Philip Ursprung im Schweizer Pavillon.

Karin Sander und Philip Ursprung im Schweizer Pavillon.

Gaetan Bally / Keystone

Sander, Ursprung und ihr Team öffnen sich dem Nachbarn, indem sie die Hofmauer des Schweizer Pavillons in der Fortsetzung des gedeckten Wandelgangs durchbrachen und die Ziegelsteine für die Dauer der Ausstellung in bankartige Sitzgelegenheiten umfunktionierten. Damit werden Blick und Durchgang frei zum Vorbereich des venezolanischen Pavillons. Ebenfalls entfernt wurden sämtliche Metallgitter des Schweizer Pavillons, die in der Skulpturenhalle des Giacometti-Baus aufgestellt sind.

Damit wird der zeitgebundene hermetische Aspekt des Pavillons temporär eliminiert; leitender Projektgedanke sei es gewesen, so hatte die Zeitschrift «Werk» anlässlich der Eröffnung vermerkt, «den Pavillon nach aussen abzuschliessen, um dadurch eine in sich ruhende Ausstellungswelt zu schaffen».

Als einziges neu hinzugefügtes Exponat wurde im Gemäldesaal ein getufteter Teppich auf dem Boden ausgelegt, der einen amalgamierten Grundriss beider Gebäude im Massstab 1:3,75 zeigt, sozusagen das raumfüllende Diagramm des Ensembles.

Bewusst unterlaufen Sander und Ursprung die Konventionen von Architekturausstellungen, sie arbeiten, vom Teppich abgesehen, ausschliesslich mit vor Ort vorgefundenem Material und verzichten auf die üblichen Verweismedien. Das funktioniert ausgesprochen gut, bedauerlich nur, dass – anders als die Jury es sich gewünscht hatte – keine Ausstellungskooperation mit den venezolanischen Nachbarn möglich war.

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