«Der ‹Fleischkäse› verschwindet aus dem Stadtbild»: Warum fürs Zürcher Opernhaus nur ein Neubau infrage kommt, der deutlich höher wird als das heutige Gebäude

Platz im Untergrund zu schaffen, wäre nicht nachhaltig – und könnte den Altbau wortwörtlich in Schräglage bringen.

Marius Huber 4 min
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Nur die Wanne im Vordergrund des Opernhauses soll vom «Fleischkäse» erhalten bleiben. Aus ökologischen Erwägungen ist dies der entscheidende Teil.

Nur die Wanne im Vordergrund des Opernhauses soll vom «Fleischkäse» erhalten bleiben. Aus ökologischen Erwägungen ist dies der entscheidende Teil.

PD

Ein Neubau für die Oper ist in Zürich auch ein Vierteljahrhundert nach dem Opernhauskrawall nicht nur ein architektonisches Unterfangen, sondern auch ein sehr politisches. Gefragt ist nicht einfach das beste Projekt, sondern das beste, das mehrheitsfähig ist.

Das zeigt sich, nachdem einen Sommer lang fast 800 Menschen dazu befragt worden sind, was anstelle der sanierungsbedürftigen Erweiterung aus den frühen achtziger Jahren – im Volksmund: «Fleischkäse» – entstehen soll.

In diesen Runden, zu denen auch Vertreter aller wichtigen Parteien eingeladen wurden, drängte ein Aspekt in den Vordergrund, der zuvor nur eine Nebenrolle gespielt hatte: Nachhaltigkeit. «Das ist für die Akzeptanz unseres Vorhabens entscheidend», sagte am Dienstag Alt-Regierungsrat Markus Notter, Verwaltungsratspräsident des Opernhauses, an einer Informationsveranstaltung zum derzeitigen Stand der Planung.

Darum haben die Verantwortlichen beide Optionen verworfen, die ursprünglich zur Auswahl standen. Als das Opernhaus im April vergangenen Jahres bekanntgab, dass es aus betrieblichen Gründen dringend etwa 60 Prozent mehr Platz brauche, lautete die Frage nur: Abriss oder Aufstockung des Anbaus?

Die Antwort lautet nun: Abriss der oberirdischen Gebäudeteile, aber Erhalt möglichst vieler unterirdischer Elemente – insbesondere der massiven, zehn Meter tiefen Wanne, die auf einer Bodenplatte steht und den Baugrund gegen das Wasser des Zürichsees schützt. Denn diese Elemente stehen am Ursprung von mehr als 60 Prozent der Treibhausgase, die seinerzeit beim Bau freigesetzt wurden. Lässt man sie im Boden, verbessert sich die Ökobilanz entscheidend.

Dieser Entscheid hat allerdings Folgen: Er drückt den Ersatzbau nach oben, weil auf zusätzliche Untergeschosse verzichtet werden muss. Und weil auch nicht beliebig in die Höhe gebaut werden darf, muss das Opernhaus beim Raumprogramm Abstriche machen.

Würde der «Fleischkäse» komplett abgerissen, wären die kantonalen Klimaziele nicht das einzige Problem, wie ein Expertengutachten im Auftrag des Opernhauses ergeben hat.

Laut der Projektleiterin Sabine Turner könnte das Hauptgebäude, der historistische Altbau aus dem späten 19. Jahrhundert, zur Baustelle hin abkippen. Schlimmer noch: Weil man das Wasser abpumpen müsste, könnte Luft an die Eichenpfähle gelangen, auf denen dieser Bau steht. Sie könnten verrotten. «Dieses Risiko wollen wir nicht eingehen.»

Niemand ist für den Erhalt des «Fleischkäses» – bis jetzt

Gegen den Erhalt des «Fleischkäses» gibt es ähnlich zwingende Argumente. Die Räume lassen sich laut Turner nicht im Sinn des Opernhauses umnutzen, und die Wände lassen sich aus statischen Gründen nicht verschieben. Daher würde eine solche Lösung «extrem hoch», höher als der Altbau. Die logische Konsequenz für Turner: «Der ‹Fleischkäse› verschwindet aus dem Stadtbild.»

Laut Markus Notter gab es bisher kaum Stimmen, die sich für einen Erhalt des Achtziger-Jahre-Baus starkgemacht hätten. Er erinnert daran, dass die Zürcherinnen und Zürcher von Anfang an Mühe damit bekundet hätten und dass sich dies seither wohl nicht geändert habe.

Nicht als Kompliment gemeint: Der «Fleischkäse» bekam seinen Namen aufgrund der auffälligen Farbe.

Nicht als Kompliment gemeint: Der «Fleischkäse» bekam seinen Namen aufgrund der auffälligen Farbe.

Ennio Leanza / Keystone

Im Inventar der Denkmalpflege ist der «Fleischkäse» nicht aufgeführt. Der Heimatschutz von Stadt und Kanton Zürich äussert sich beim derzeitigen Planungsstand nicht zum Thema.

Andererseits ist Zürich reich an Beispielen vermeintlich unabdingbarer Altbauten, zu deren Rettung plötzlich eine Dynamik entstand. Zum Beispiel Mitte der nuller Jahre, als das Kongresshaus der Architekten Haefeli Moser Steiger aus den dreissiger Jahren einem Neubau weichen sollte. Oder zuletzt wieder, als anstelle des Globus-Provisoriums in der Limmat, eines Sechziger-Jahre-Baus von Karl Egender, ein Stadtpark entstehen sollte.

Markus Notter zeigt sich überzeugt, dass der Ersatz für den «Fleischkäse» ein städtebaulicher Gewinn wird. Gesucht sei ein ambitionierter Entwurf. Einer, der sich im Gegensatz zum Achtziger-Jahre-Bau nicht mehr wegducke, damit der Altbau vom See her zur Geltung komme, sondern den Sechseläutenplatz aufwerte.

Ein Neubau bis direkt ans Seeufer ist kein Thema mehr

Die exakten Vorgaben sind noch nicht festgeschrieben. Sie folgen erst im Programm für den Wettbewerb, der in der ersten Hälfte 2025 geplant ist. Manche Eckpunkte sind aber jetzt schon gesetzt, über den Erhalt möglichst vieler Bauelemente im Untergrund hinaus. Diese haben sich unter anderem aus den Gesprächen mit der Bevölkerung ergeben.

So soll der Neubau etwa eine «Kulturpiazza» umfassen, einen Raum, in dem man unabhängig vom Spielbetrieb verweilen kann. Sabine Turner spricht von einer «Verlängerung des Sechseläutenplatzes ins Haus hinein».

Ebenfalls erwünscht sind Fenster, die den Einblick in die Werkstätten des Opernhauses erlauben und so den Theaterbetrieb erlebbar machen. Einen ähnlichen Zweck hat ein neues Restaurant, das zugleich als Kantine für die Künstlerinnen und Künstler dient, so dass es dort zu Begegnungen kommt. Geplant ist auch eine Laborbühne für experimentelle Formate, die ein neues Publikum erschliessen soll.

Schliesslich ist eine öffentliche Dachterrasse Pflicht, die den Bezug zum See herstellt. Vom Tisch ist hingegen die Idee, den Neubau über den Utoquai hinweg ans Ufer zu ziehen, obwohl dies ein oft genannter Wunsch aus der Bevölkerung war. Das Opernhaus beschränkt sich auf das eigene Grundstück, weil eine erweiterte Planung mit Stadt und Kanton das Vorhaben zu sehr verzögern würde. Angestrebt wird eine Eröffnung in etwa zehn Jahren.

Markus Notter rechnet damit, dass der Neubau einen dreistelligen Millionenbetrag verschlingen wird. Das Opernhaus werde selbst einen substanziellen Beitrag leisten müssen, möglichst im hohen zweistelligen Millionenbereich. Zu diesem Zweck ist Ende 2023 eine Stiftung gegründet worden, die Gönner und Sponsoren mobilisieren soll.

Weil es aber nicht ohne Beteiligung des Kantons geht, wird es früher oder später wohl eine Volksabstimmung geben. Es ist folgerichtig, dass die Opernhaus-Verantwortlichen bereits jetzt nicht nur über nachhaltiges Bauen nachdenken, um links-grüne Kreise zu überzeugen. Sondern gleichzeitig auch darüber, wie sie trotzdem auch künftig dem Bernhard-Theater Platz bieten – schon in den achtziger Jahren ein wichtiges Argument beim volkstümlichen Publikum.

Denn spätestens in der Abstimmung wird sich zeigen, dass der Neubau ein eminent politisches Unterfangen ist.