Mehr Bäume im Siedlungsraum, aber mit Mass. Der Zürcher Kantonsrat beschliesst einen Kompromiss, um eine Volksabstimmung zu vermeiden

Der Schutz vor der Klimaerwärmung wird im Bau- und Nachbarrecht verankert.

Stefan Hotz 4 min
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So wäre es ideal: Grosse Bäume und viel Grünraum in Wohngebieten verschaffen bei grosser Hitze Kühlung.

So wäre es ideal: Grosse Bäume und viel Grünraum in Wohngebieten verschaffen bei grosser Hitze Kühlung.

Michael Buholzer / Keystone

Klimaschutz heisst, die Erwärmung der Atmosphäre einzudämmen. Es gibt aber auch den Schutz der Menschen vor dem Klimawandel. Dabei wird unter anderem in den Städten der Hitzeentwicklung begegnet, mit mehr Begrünung, durch den Erhalt schattenspendender Bäume und indem das Regenwasser besser im Boden versickern kann.

Als der grüne Baudirektor Martin Neukom 2021 seine Vorschläge für eine «klimaangepasste Siedlungsentwicklung» vorstellte, liess das eine heftige Auseinandersetzung erwarten. Erst recht, da der Kantonsrat seit den Wahlen 2023 in Klimafragen exakt in zwei Hälften gespalten ist.

Die Gemeinden sollen Instrumente erhalten, um das lokale Klima zu verbessern. Hier prallen Prinzipien wie Gesundheitsprävention und Eigentumsgarantie aufeinander, weil Grundbesitzer neue Vorschriften beachten müssen. Die Vorlage beschäftigte die Planungskommission an zahlreichen Sitzungen. Am Montag endete die Geschichte im Kantonsrat, fast ohne Wortmeldung.

Nur die in der Kommission nicht vertretene AL äusserte sich: Der Berg habe eine Maus geboren, in Form von einigen «Mikro-Schrittchen». Dennoch stimmte sie unter grossem Murren zu. In der Schlussabstimmung nahm der Rat das Gesetz mit 121 gegen 49 Stimmen an. Die Fraktion von SVP und EDU lehnte es ab.

Ein arrangierter Kompromiss

Gleichwohl ist es ein Kompromiss. Dieser drehte sich um die sogenannte Unterbauungsziffer. Analog zur Ausnützungsziffer an der Oberfläche sollte sie erlauben, die heute unbeschränkt mögliche Verbauung des Untergrundes mit Kellerräumen und Tiefgaragen einzugrenzen. Die Absicht: mehr Raum für die Wurzeln grosser Bäume und für Sickerwasser zu schaffen. Die Bürgerlichen hatten klargemacht: Für sie ein No-Go.

Diese Bestimmung fiel während der Detailberatung des Gesetzes Ende Januar etwas überraschend aus der Vorlage. Zuvor hatte die Klima-Allianz eine Reihe von Abstimmungen hauchdünn gewonnen. Bei der Unterbauungsziffer scherten drei Mitglieder der EVP plötzlich aus und verschafften so der bürgerlichen Seite eine Mehrheit.

Dieser Entscheid wurde offensichtlich geplant herbeigeführt – und zwar unter Mithilfe der Linken und Grünen. Denn die komplexe Materie eignet sich schlecht für eine Volksabstimmung, daher wollten beide Seiten ein Referendum verhindern.

Arrangierte Abstimmungen sind eigentlich nicht vorgesehen; laut Kantonsverfassung stimmen die Ratsmitglieder ohne Instruktion ab. Die FDP teilte aber nach der Sitzung vom 29. Januar mit, die links-grüne Seite habe «sichergestellt», dass keine Unterbauungsziffer eingeführt werde.

Die EVP hatte keinen Sitz in der vorberatenden Kommission. Der Rest der Klima-Allianz konnte sie offenbar dazu bewegen, ein paar Stimmen der Gegenseite abzugeben. EVP-Fraktionschef Markus Schaaf (Zell) wollte nicht näher darauf eingehen. Ganz falsch sei die Vermutung nicht, meinte er am Montag.

Die SP hatte in einem weiteren Punkt zum Kompromiss beigetragen. Damit die FDP dem Baumschutz zustimmen konnte, war sie damit einverstanden, ihn etwas zu verwässern. Er gilt nun nicht wie von der Regierung geplant für alle Bäume, sonderst erst ab einem Stammumfang von 100 Zentimetern.

Umgekehrt mussten SVP, FDP und Mitte hinnehmen, wie die Klima-Allianz mehrere Bestimmungen wieder in das Gesetz einfügte. Die Bürgerlichen hatten diese zuvor mit ihrer knappen 8-zu-7-Mehrheit in der Kommission aus der regierungsrätlichen Vorlage gestrichen. Es geht dabei generell um die bessere Begrünung der Umgebung und der Dächer, aber auch um geringere Abstände von Bäumen und Hecken zu Nachbargrundstücken.

Resultat: Das Kräftegleichgewicht im Parlament resultierte in einer Art inhaltlichem Patt zwischen Anpassung an das Klima und Eigentumsrecht. Beide Seiten haben etwas gewonnen und verloren.

Bürgerliche hätten es in den Hand gehabt

Es hat funktioniert. Obwohl die SVP mit Nein stimmte, wird sie von sich aus das Referendum nicht ergreifen. «Bäume haben doch alle gern», meinte auf Nachfrage Parteipräsident Domenik Ledergerber und lachte.

Auch der Zürcher Hauseigentümerverband, der am ehesten dazu in der Lage wäre, fasst bis anhin kein Referendum ins Auge. In einer etwas misslaunigen Mitteilung schrieb er am Montag, er stehe der Gesetzesrevision kritisch gegenüber. Bei der Umsetzung sei Zurückhaltung angezeigt, da die Gemeinden teilweise stark in die Eigentumsfreiheit eingreifen könnten.

Erstaunlich ist der Vorgang dennoch, da sich die bürgerlichen Parteien im Rat an sich hätten durchsetzen können. Kurz nach den Wahlen vor einem Jahr trat Isabel Garcia von der GLP zur FDP über. Seither haben SVP, FDP, Mitte, EDU einerseits sowie die Klima-Allianz (SP, GLP, Grüne, EVP, AL) anderseits je 90 Sitze. Weil die Ratspräsidentin Silvie Matter (SP) nicht abstimmt, verfügen die Bürgerlichen derzeit über eine knappe Mehrheit von 90 zu 89 Stimmen.

Diese konnten sie aber wie schon in anderen Fällen nicht ausspielen, weil im Rat auf ihrer Seite mehr Mitglieder fehlten. Für die Bürgerlichen wird es nicht einfacher. Ab Mai bis zu den Wahlen 2027 besetzen sie das Ratspräsidium. Während dieser Zeit hat die disziplinierte Klima-Allianz die numerische Mehrheit von einer Stimme.