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23. Juni 2023 Der Standard

Metropolen aus dem Nichts

Planstädte sind interessante Orte, denn sie erzählen viel über ihre Schöpfer. Das gilt insbesondere für Planhauptstädte, wenn also die Herrschenden ihre eigenen künftigen Verwaltungs- und Regierungsgebäude entwerfen.

In der Stadtplanung können große Versprechen auch mit großen Leerständen enden und erhoffte Prachtstraßen buchstäblich zu Irrwegen werden. Die Planhauptstadt Naypyidaw im südostasiatischen Myanmar gilt als so ein Beispiel für eine dysfunktionale Metropole. Planhauptstädte können aber auch funktionieren. Das zeigt sich in Brasília. Eingeweiht im Jahr 1960, ist die Planstadt stetig gewachsen und erfüllt sozusagen ihren Zweck als Hauptstadt Brasiliens, des größten Landes in Südamerika. Das Konzept der „autogerechten Stadt“, die Brasília unbedingt sein sollte, ist aus europäischer Sicht allerdings aus der Zeit gefallen.

Die Gründe für den Bau von Planhauptstädten sind vielfältig, häufig spielt eine bessere Verteilung der Bevölkerung eine Rolle. So wird auch derzeit an neuen Millionenstädten aus dem Nichts getüftelt, etwa in Ägypten, Indonesien und China. DER STANDARD stellt zwei geplante Hauptstädte und eine geplante Trabantenstadt vor.
Entlastung für Kairo

Kühne Pläne lässt Ägyptens Militärdiktator Abdelfattah al-Sisi rund 60 Kilometer östlich von Kairo realisieren. Dort wird eine neue Hauptstadt für den 110-Millionen-Einwohner-Staat aus der Wüste gestampft. Die Stadt vom Reißbrett soll die Regierung, die Verwaltung und 6,5 Millionen Menschen beherbergen. Das soll der Metropole Kairo Entspannung verschaffen, denn sie platzt aus allen Nähten.

In vieler Hinsicht dürfte den ägyptischen Planern das glitzernde Dubai als Vorbild dienen. Was man bereits sehen kann: den Businessdistrikt mit seinen Wolkenkratzern sowie den noch in Bau befindlichen Iconic Tower, der mit 394 Metern das höchste Gebäude Afrikas werden soll. Dies lässt erahnen, dass es Präsident al-Sisi bei seiner Planstadt nicht nur um Wohnungen und Infrastruktur für sein Volk, sondern auch um Machtsymbole geht.

Der Grundriss der neuen Stadt lässt Stadtplaner im Westen jedenfalls den Kopf schütteln. Denn die Viertel zum Wohnen, zum Einkaufen und zum Ausgehen werden weit voneinander entfernt liegen – und die Menschen ins Auto steigen lassen. „Das ist ein Stadtkonzept, das zumindest aus europäischer Sicht längst überholt ist“, sagt Stefan Kubin, Stadthistoriker an der TU Wien, zum STANDARD.

Gerade in den Wohnvierteln erinnerten ihn die ägyptischen Pläne „an die Konzepte der „autogerechten Stadt“ aus den 1950er- bis 1970er-Jahren“. Kürzlich wurden übrigens auch Bilder der ägyptischen Hafenstadt Alexandria in den sozialen Medien geteilt, wo mittlerweile eine zehnspurige Stadtautobahn die Küste säumt.

„Moderne Stadtkonzepte kennt man unter Schlagworten wie „15-Minuten-Stadt“ und „Stadt der kurzen Wege““, sagt Kubin. Die neue Hauptstadt Ägyptens stehe für das Gegenteil. „Die Quartiere liegen weit auseinander und sind monofunktional“, wundert sich der Stadtforscher. Dass Ägypten Investoren und Bewohner mit einer modernen Monorailbahn locken will, ändert da auch nicht viel.

Was Kubin noch aufgefallen ist: Smart ist die geplante Hauptstadt Ägyptens vor allem in Hinblick auf ihr Sicherheitskonzept für die Regierenden. Die Bilder von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo waren im Jahr 2011 um die Welt gegangen. Solch breite Proteste werden in der neuen Hauptstadt wohl schon aus logistischen Gründen kaum möglich sein.

Denn die Zufahrten per Auto oder Monorail werden sich blockieren lassen. „Man kann auch die Stadtquartiere einzeln abriegeln, bevor sich Aufstände bilden und formieren können“, prophezeit Kubin. Al-Sisi will mithilfe der Stadtplanung wohl auch seine Macht verfestigen.
Neue Hauptstadt im Regenwald

Auch in Indonesien plant man eine neue Hauptstadt. Sie soll Nusantara heißen, im Regenwald auf Borneo hochgezogen werden und eine smarte, klimafreundliche Metropole werden. Denn die aktuelle Hauptstadt Jakarta versinkt zusehends im sumpfigen Boden der Insel Java. Im Jänner 2022 wurde der gigantische Umzug parlamentarisch beschlossen und verkündet. Indonesien ist der bevölkerungsreichste muslimische Staat und eine der größten Demokratien der Welt.

„In Nusantara werden Menschen mit dem Fahrrad oder zu Fuß jeden Ort erreichen können, es wird null Emissionen geben“, sagte Präsident Joko Widodo. Platz machen müssen für das Projekt allerdings Regenwaldflächen. Naturschützer warnen etwa, dass der Bau von Nusantara die Situation der Orang-Utans auf Borneo verschärfen werde.

Im Zentrum der Planstadt soll der Präsidentenpalast stehen. Widodo verspricht eine „neue, smarte Metropole, die ein Magnet für globale Talente und ein Innovationszentrum sein kann“. Um die neue Stadt herum soll es rund 2000 Quadratkilometer Spielraum für spätere Expansionen geben.
Xi Jinpings Versuchslabor

Jeweils rund 100 Kilometer von Peking und der Küstenstadt Tianjin entfernt ist Xiong’an im Entstehen. Das chinesische Regime lässt über seinen Auslandssender CGTN verkünden, dass die Stadt sehr digital und sehr grün werden soll. Eine der wenigen konkreten Zahlen, die man über die Trabantenstadt zur Entlastung Pekings erfährt: In Xiong’an sind neun Millionen Bäume gepflanzt worden, jeder versehen mit einem Barcode. So sollen die Einwohnerinnen und Einwohner jederzeit per Smartphone schauen können, wie der Baum vor ihnen heißt und ob er gesund ist.

Die Planstadt gilt als urbanes Versuchslabor von Präsident Xi Jinping. Im Jahr 2017 wurde das Vorhaben verkündet. Zunächst hieß es noch, die Häuser in Xiong’an würden ausschließlich mit Erdwärme beheizt werden. Ganz so nachhaltig wurde die Stadt bisher doch nicht. Der Deutsche Stephan Kohler, der für ein erstes Gebiet von Xiong’an ein Energieversorgungssystem plante, sagte im Jahr 2019 der deutschen Tageszeitung Welt, die erhoffte Totalversorgung der Stadt mit Ökostrom scheitere schon in der Küche: „Chinesen kochen nur auf Erdgas.“ Statt CO₂-frei soll Xiong’an daher nur CO₂-arm werden.

Für Xi bedeutet Xiong’an das China der Zukunft: Branchen wie IT und Biotechnologie sollen das Leben in der Stadt prägen und den Wohlstand fördern. In einer Aussendung von CGTN ist auch von fahrerlosen Bussen die Rede. Xiong’an wird sich wohl als eine sehr „smarte“ und damit auch sehr gut überwachte Stadt verstehen.

22. Oktober 2016 Der Standard

Krea­ti­ve Kampf­an­sa­gen an die rei­ne Lee­re

Wo einst Ski­pis­ten wa­ren, pran­gen brau­ne Strei­fen. In ehe­ma­li­gen oder Noch­win­ter­sport­or­ten sind vie­le Häu­ser ver­waist. Bei der Leers­tands­kon­fe­renz in St. Co­ro­na dis­ku­tier­ten Tou­ris­ti­ker, Ar­chi­tek­ten und an­de­re Quer­den­ker über mög­li­che Aus­we­ge.

Wien / St. Co­ro­na – Die Ge­schich­te des Dor­fes St. Co­ro­na am Wech­sel ist bei­spiel­haft für das Schi­cksal vie­ler Win­ter­sport­ge­mein­den. Die er­sten Tou­ris­ten im frü­hen 20. Jahr­hun­dert wa­ren Wall­fah­rer, spä­ter ka­men die Som­mer­frisch­ler, und schließ­lich er­leb­te der Ort mit heu­te 400 Ein­woh­nern ei­ne Hoch­blü­te als Ski­de­sti­na­ti­on.

Streift man durch St. Co­ro­na, zeu­gen man­che Fass­aden noch vom Win­ter­sport­boom. An der Tal­sta­ti­on des auf­grund im­mer wär­mer wer­den­der Win­ter 2014 ab­ge­ris­se­nen Ein­ser­ses­sel­lifts steht noch „Berg­bah­nen St. Co­ro­na“, auch der Wald­gast­hof und an­de­re Be­trie­be tra­gen noch die al­ten Schrift­zü­ge, oh­ne das Ge­mäu­er mit ent­spre­chen­dem Le­ben zu fül­len.

Nicht nur da­rum bot der Ort ei­nen ge­eig­ne­ten Schau­platz für die zwei­tä­gi­ge Leers­tands­kon­fe­renz, die das Ar­chi­tek­tur­bü­ro non­con­form zum fünf­ten Mal ver­an­stal­te­te, heu­er zum The­ma Tou­ris­mus. Vor al­lem auch weil Bürg­er­meis­ter Mi­cha­el Gru­ber ei­nen of­fe­nen Um­gang mit dem heik­len The­ma Leers­tand pflegt und die Ge­mein­de schon man­che Ini­tia­ti­ve ge­setzt hat, sich als Ur­laubs­ziel wie­der ein­mal neu zu er­fin­den.

Das Pro­blem, um Gäs­te kämp­fen und ein Er­folgs­ima­ge erst wie­der for­men zu müs­sen, teilt St. Co­ro­na frei­lich mit vie­len Tou­ris­mus­ge­mein­den. Dass Wan­der­weg, Pen­si­ons­bett und Pom­mes fri­tes kei­nen Er­folg mehr ga­ran­tie­ren, gilt zwar als Ge­mein­gut, die Kon­fe­renz woll­te aber krea­ti­ve Aus­we­ge zei­gen statt ewig glei­cher La­men­tos.

Pas­sen­der­wei­se fan­den die Po­di­ums­ge­sprä­che und Vor­trä­ge nicht in der schi­cken, neu ge­bau­ten Wech­sel Loun­ge statt, son­dern ei­nen Stock tie­fer, dort wo we­ni­ge Ta­ge spä­ter der Ski­ver­leih er­öff­net wer­den soll­te. Denn ganz hat St. Co­ro­na den Win­ter­sport nicht auf­ge­ge­ben, statt ei­nes Ses­sel- gibt es nun ei­nen Tel­ler­lift und ein För­der­band für Fa­mi­li­en mit Klein­kin­dern, die Ski­fah­ren ler­nen, au­ßer­dem ei­ne neue Som­mer­ro­del­bahn, ei­nen Mo­tor­ik­park und eben die ar­chi­tek­to­nisch ge­witz­te Wech­sel Loun­ge, die sich an den sanf­ten Ski­hang schmiegt.

„St. Co­ro­na ist in sei­nem Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess wei­ter als an­de­re Or­te“, at­tes­tier­te Mar­kus Redl, Ge­schäfts­füh­rer der Nie­de­rös­ter­rei­chi­schen Berg­bah­nen-Be­tei­li­gungs­ge­sell­schaft. Das The­ma Leers­tand sei in tra­di­tio­nel­len Win­ter­sport­or­ten lei­der „om­ni­prä­sent“. Er plä­dier­te wie vie­le der wech­seln­den Po­di­ums­gäs­te für ei­ne scho­nungs­lo­se Dis­kuss­ion über das Pro­blem Leers­tand.

„Bad Gast­ein ist über­all“, be­fand Redl im Ge­spräch mit dem Stan­dard . Pa­tent­lö­sun­gen ge­be es je­den­falls nicht und so­mit auch kei­ne rei­ne Leh­re. Un­aus­ge­spro­che­ner Nach­satz: Nicht nur in Nie­de­rös­ter­reich, son­dern bun­des­weit wird sich wohl nicht für al­le ehe­ma­li­gen oder Noch­win­ter­ur­laub­sor­te ei­ne so grif­fi­ge tou­ris­ti­sche Stra­te­gie fin­den las­sen wie in St. Co­ro­na.

Quer­schüs­se und Vi­sio­nen wa­ren bei der von Stan­dard -Ar­chi­tek­tur­jour­na­list Woj­ciech Cza­ja mo­de­rier­ten Leers­tands­kon­fe­renz aus­drü­cklich er­wünscht. Der aus Nord­deutsch­land an­ge­reis­te Buch­au­tor Da­ni­el Fuhr­hop stell­te et­wa sei­ne im ver­gan­ge­nen Jahr er­schie­ne­ne Streit­schrift Ver­bie­tet das Bau­en! vor und ver­kün­de­te: „Wir lau­fen ins Lee­re, wenn wir nicht auf­hö­ren, wei­ter­zu­bau­en wie bis­her. Es gibt nun mal ei­ne Kon­kur­renz um Geld, En­er­gie und nicht zu­letzt Men­schen.“

Das ge­fiel im Pu­bli­kum auch dem Ar­chi­tek­ten Christ­oph Feuch­ten­ho­fer. Ge­mein­sam mit ei­nem be­freun­de­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter ist der Nie­de­rös­ter­rei­cher 2015 in sei­nen Hei­mat­ort Kirch­berg am Wech­sel zu­rück­ge­kehrt. Weil der Gast­hof zur Kai­ser­kro­ne leers­tand, be­zog Feuch­ten­ho­fer dort sein Bü­ro und ar­ran­gier­te das ver­wais­te Ge­bäu­de zum Co-Wor­king-Spa­ce. 300 von 1000 m² sei­en wie­der­be­lebt wor­den, auch weil mitt­ler­wei­le ei­ne Gra­fi­ke­rin ein­ge­zo­gen ist und der ehe­ma­li­ge Gast­raum für Shi­at­su- und Yo­ga­kur­se ge­nutzt wird. „Un­ser Co-Wor­king-Spa­ce löst mehr Pro­ble­me als et­wa die Wech­sel Loun­ge“, sagt Feuch­ten­ho­fer.

Dass In­ves­ti­tio­nen in den Tou­ris­mus kein All­heil­mit­tel ge­gen Leers­tand sind, klang auch auf dem Po­di­um im­mer wie­der durch. Zu­dem sei der Kli­ma­wan­del nicht der Al­lein­schul­di­ge am Nie­der­gang man­cher Ski­or­te. Vie­le hät­ten sich nur auf die Win­ter­sai­son ver­las­sen. Ro­land Wall­ner, Ent­wi­ckler nach­hal­ti­ger Tou­ris­muss­tra­te­gien, ver­glich die Ski- mit der Ölin­dus­trie: Man wis­se, dass der Ze­nit über­schrit­ten sei und hal­te doch am Ge­schäfts­mo­dell fest, so­lan­ge es geht. Wall­ner plä­dier­te da­für, den Leers­tand als Res­sour­ce zu be­grei­fen: „Man muss nicht ei­nen neu­en Kas­ten mit 50 Bet­ten bau­en, das ist ei­ne enor­me Chan­ce.“

Noch grund­sätz­li­cher wur­de Netz­werk­for­scher Ha­rald Katz­mair in sei­nem Vor­trag über „Re­gio­na­le Zy­klen der Er­neue­rung“. In Tou­ris­mu­sor­ten wür­de auf ei­nen kom­mer­ziel­len Hö­he­punkt meist ei­ne Kri­se fol­gen. „Der Leers­tand ist ei­ne fast not­wen­di­ge Pha­se in ei­nem re­gio­na­len Zy­klus.“ Doch wer in der Kri­se nichts ler­ne, kön­ne sich nicht po­si­tiv ver­än­dern – das Al­te zu ver­ler­nen sei das Al­ler­schwie­rigs­te. Das Al­te, es ist zu­min­dest in St. Co­ro­na be­reits Schnee von ge­stern.