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Profil

Architekturstudium in Berlin
1999 – 2006 Ausstellungsprojekt Sondermodelle, mit Oliver Croy
2003 – 2006 Architekturkritiker und Journalistin Wien (Der Standard, profil)
Seit 2007 Kurator am Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt / Main
2016 Kurator der Ausstellung des deutschen Pavillons der Architektur-Biennale 2016 in Venedig
2017 Co-Gründer des CCSA (Center for Critical Studies in Architecture)

Lehrtätigkeit

2006 – 2007 wissenschaftlicher Assistent an der TU Graz, Lehrstuhl Prof. Hild
2012 – 2013 Vertretungsprofessor für Szenografie, FH Mainz
2021 Vertretungsprofessor für Architekturtheorie, KIT (Karlsruhe)

Mitgliedschaften

AICA, BDA (a.o.)

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Artikel

18. April 2024 Sebastian Hackenschmidt
dérive

»Was ist Architektur?« fragen Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt und finden eine Antwort im Protest

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben hängen, in einem Gewirr von Seilen ein Paar Bretter, die, zu einem Weg verbunden, über den Köpfen schweben. Sie waren Teil einer Hängebrücke, die Baumhäuser im Hambacher Forst verband und ihre Bewohner:innen in einem analogen Kommunikationsnetzwerk miteinander in Austausch brachte. Jenes Camp, mit dem gegen die Ausweitung des Braunkohleabbaus im Rheinland protestiert wurde. Das Objekt ist die Spitze eines Monopods – ein Hochsitz auf einem einzelnen Mast, mit Seilen am Boden abgespannt; eine Verzögerungsarchitektur, die sich nicht einfach aus dem Weg räumen lässt, will man nicht riskieren, dass die oben Sitzende in die Tiefen stürzt. Es stammt aus dem Fechenheimer Wald in Frankfurt, wo Monopods – und Tripods, ihre dreibeinigen Verwandten – gegen den Ausbau der Autobahn eingesetzt wurden. Die beiden sind nur zwei der Artefakte, Bilder, Videos und Modelle von Architekturen, die die Ausstellung ›Protest / Architektur – Barrikaden, Camps, Sekundenkleber‹ versammelt, die derzeit im Museum für Angewandte Kunst in Wien zu sehen ist.

In 13 Fallstudien untersucht ein kuratorisches Team um Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt in einer Zusammenarbeit des DAM (Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt a. M.) mit dem Wiener MAK räumliche Artikulationsformen von Protesten. Dazu zählen aktuelle lokale Beispiele wie die Proteste von LobauBleibt gegen die Fertigstellung des Autobahnrings um Wien durch das unter Schutz stehende Augebiet, bekannte Beispiele wie die zum ›Arabischen Frühling‹ zählenden, wiederkehrenden Massenproteste am Tahrir-Platz, jene des ›Umbrella Movements‹ in Hongkong oder die Anti-AKW-Proteste der ›Republik Freies Wendland‹ in Gorleben; aber auch medial wenig behandelte Widerstandsbewegungen, wie die ›Farmer-Protests‹ gegen die Liberalisierung des Agrarwesens Indiens 2020. Ein Jahr lang wurden vor Delhi Autobahnen blockiert. Die Camps boten allen, unabhängig von Religion, Kaste, Klasse oder Geschlecht eine öffentliche Infrastruktur; oder MTST, das ›Movimento dos Trabalhadores Sem-Teto‹ (Bewegung der Arbeiter:innen ohne Dach), das unter dem Titel ›Povo Sem Medo‹ (Volk ohne Angst) mit der Besetzung brachliegender Flächen in São Paolo gegen Immobilienspekulation eintritt und bezahlbaren Wohnraum fordert.

Was die Ausstellung mit diesen ausgiebig recherchierten Beispielen erzählt, ist nichts weniger als die Globalgeschichte einer Architektur, die sich nicht an einem Stil, einer Haltung oder Material ausmachen lässt, sondern im Protest Architektur in ihrer vielleicht vergänglichsten Form vorfindet: in der geplanten Zusammenkunft von Menschen, mit dem Ziel, Dinge zu ermöglichen oder sie zu verhindern und dem, was sie räumlich fasst. Ergänzt werden diese Fallstudien um eine Chronologie von Protesten zwischen 1830 und 2022, sowie um eine allgemeine Einführung. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der die ›Protestarchitektur, Barikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023‹, so der Titel, mit dem Anspruch, ein Nachschlagewerk in Sachen Widerstandsarchitektur zu liefern, lexikalisch behandelt.

Nicht oft wagen sich institutionelle Ausstellungsräume in Konfliktzonen des politisierten Alltagslebens vor, und stellen dabei die eigenen Gewissheiten – und damit die Deutungshoheit, was unter Architektur zu verstehen ist – so grundsätzlich in Frage. Die Produktion von Räumen kann keinesfalls einer einzelnen Profession obliegen, so ließe sich der demokratische Gestus der Ausstellung lesen. Mehr noch: Wenn sie etwa auf einem Podest jenes Werkzeug und Material versammelt, aus denen diese Strukturen des Widerstandes geschaffen wurden, dann ließe sich das geradezu als Ermutigung lesen, selbst Hand anzulegen, sie birgt in ihrem Zugang einen durchaus ermächtigenden Charakter. Stellenweise stolpert die Ausstellung dabei allerdings über den eigenen Anspruch: Im Wunsch, die Proteste möglichst zugänglich zu machen, greift man zu einer Strategie, die sich wohl als eine Vermittlung der Einfühlung bezeichnen ließe. Neben den eingangs erwähnten Artefakten und dem am Original gehaltenen Bildmaterial sind es szenische Modelle der Protestarchitekturen, die ihre Wirklichkeiten möglichst detailgetreu wiedergeben sollen. Diese ausgeschmückte Miniaturisierung der Proteste ohne ihre Übersetzung mag zwar Stimmung vermitteln, sie droht aber, tendenziell in ihre Entpolitisierung zu führen. »Vergangenes historisch aktualisieren heißt nicht, es erkennen, wie es denn eigentlich gewesen ist«, kritisierte Walter Benjamin einst den Historiker von Ranke. Aufgabe der Geschichtsschreibung (oder hier der Kuratierung) wäre, sich Erinnerungen zu bemächtigen, Geschichte gegen den Strich zu bürsten, und eine Vielzahl von – möglicherweise widersprüchlichen – Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Beiträge, die einen Abstraktionsschritt dokumentarisch vornehmen und Proteste künstlerisch aufarbeiten, wie etwa Oliver Resslers Arbeit zur Stadtstraße, bleiben in der Zusammenstellung die Ausnahme.

Für eine Ausstellung, die sich unzweifelhaft den Protesten der Vielen widmet, bleibt ›Protest/Architektur‹ daher ungewöhnlich einstimmig, was durch eine Ausstellungsarchitektur und eine Grafik, die noch die Bildbeschreibung ins Bild setzt, bewusst in Szene gesetzt wird. Der demokratische Anspruch, verständlich zu möglichst vielen zu sprechen, findet sich damit bald in einem Dilemma wieder: Was auf der einen Seite innere Kohärenz und Niederschwelligkeit in der Vermittlung schafft, wirft auf der anderen Seite neue Fragen auf, etwa dort, wo der Sturm auf das US-Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021 durch waffentragende rechtsextreme Milizen, deren räumliches Vorgehen Beihilfe, zumindest aber Duldung durch Sicherheitspersonal und einzelne Regierende erfahren hat, ohne weitere Kommentare als Protest – und nicht etwa als Putschversuch dargestellt wird. Dabei hält die Ausstellung ihr eigenes Ringen mit den Widersprüchen zwischen Zugänglichkeit und widersprüchlicher Vielstimmigkeit, zwischen Ästhetisierung und Dokumentation, zwischen Musealisierung und Aktivierung keinesfalls zurück und macht das durchaus kenntlich. Inwieweit sich dieses Spannungsverhältnis produktiv wenden ließe, wird sich erst im Austausch, den die Ausstellung mit dem Feld, in das sie interveniert, eingeht, weisen: kurzfristig im Begleitprogramm, im Austausch mit den Initiativen vor Ort, langfristig in den Köpfen, in denen sie Erinnerungen an früher mit den Möglichkeiten der Zukunft neu arrangiert. Auf jeden Fall sollte es mehr Ausstellungen und Formate geben, die diese Wagnisse eingehen.

Trotzdem – oder vielleicht gerade weil sich vor dem Thema des Protests so viele Fragen und Herausforderungen um das Verhältnis von Politik und ihrer künstlerischen, kulturellen oder auch architektonischen Thematisierung im Ausstellungskontext und ihrer notwendigen Vermittlung stellen, muss die Ausstellung als einer der wertvollsten Beiträge der letzten Jahre auf der Suche nach einem zeitgenössischen Architekturverständnis verstanden werden, zeigt sie doch Architektur als eine zutiefst gesellschaftliche Artikulationsform, die durchaus auch momenthaft auftreten kann. ›Architecture without architects‹ betitelte Bernard Rudofsky 1964 eine Ausstellung im MoMa, die in 200 Fotografien vernakuläre und indigene Bautraditionen zeigte und so mit dem tradierten, engen Architekturverständis der Zeit brach. ›Alles ist Architektur‹ schrieb Hans Hollein nur wenige Jahre später, begleitet von einer 30-seitigen Sammlung von Collagen und Bildern, die übrigens auch Protestformen versammelte. In einer Zeit, in der die für Hollein nichts als reaktionäre Konzeption, alle Architektur habe sich einzig am Gebauten auszurichten, wieder bedrohlich um sich greift, kann man nicht genug daran erinnern, dass eben alles Architektur werden kann. Heute reicht dafür etwa ein wenig Superkleber auf der Autobahn.

Ausstellung
Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber
Eine Ausstellung des DAM – Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, und des MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien
Projektleitung, Kurator DAM: Oliver Elser; Kurator MAK: Sebastian Hackenschmidt
MAK Wien, 14.02.2024–25.08.2024

Katalog
Oliver Elser, Anna-Maria Mayerhofer, Sebastian Hackenschmidt, Jennifer Dyck, Lilli Hollein, Peter Cachola Schmal (Hgg.):
Protestarchitektur. Barrikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023
Zürich: Park Books, 2023
528 Seiten, 19,60 EUR

18. Januar 2021 Der Standard

Utopische Architektur aus Luft, Papier und guten Absichten

Warum soll man sich von der Wirklichkeit einschränken lassen, wenn der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind?

Ein jeder Traum hat seine Zeit. Doch was aus jeweils speziellen Umständen heraus entstanden ist, entfaltet bisweilen nach Jahrzehnten eine plötzliche, manchmal regelrecht schmerzhafte Aktualität. Weil, zum Beispiel, Corona auf einmal alles verändert. Oder weil der frühere Traum jetzt vor dem Hintergrund der immer bedrohlicher werdenden Klimakatastrophe eine neue Deutung erfährt.

Diese aktuell so drängenden Probleme scheint der österreichische Architekt Hans Hollein irgendwie vorausgeahnt zu haben, als er sich im Jahr 1969 mitsamt Zeichenbrett und Festnetztelefon auf dem Flugfeld Aspern in einen transparenten Plastikballon setzte und dieses reichlich absurde Setting als „mobiles Büro“ bezeichnete.

Hätten wir nicht alle gern während des Lockdowns die Möglichkeit gehabt, den beengten Wohnverhältnissen einfach nach draußen zu entfliehen? Das Wetter und die Viren wären gleichermaßen an der pneumatischen Hülle abgeprallt. Ja, man kann sich vorstellen, dass der Schutzmechanismus sogar in umgekehrter Richtung wirken könnte.

Holleins Büroballon müsste technisch in der Lage sein, die akustische Umweltbelastung zu eliminieren, die unweigerlich dadurch entsteht, dass der Jungarchitekt laut quasselnd aus seiner Blase heraus mit wichtigen Auftraggebern in aller Welt telefoniert.

Möchte man wirklich die Homeoffice-Stunden des kommenden Corona-Winters in einer solchen Architekturvision verbringen wollen, selbst wenn die Heizungsfrage (zum Beispiel stilecht durch ein tragbares Atomkraftwerk) gelöst wäre?

Revolutionäre Träume

Architekturvisionen haben die Eigenart, dass sie ganz gerne in Horrorszenarien umkippen, sobald man etwas länger darüber nachdenkt. Das hat mit der unendlichen Trägheit menschlicher Wohngewohnheiten zu tun, wie sie der Architekt Adolf Loos ebenso prägnant wie für alle Visionäre total desillusionierend auf den Punkt gebracht hat: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“

Revolutionäre Träume

Architekturvisionen haben die Eigenart, dass sie ganz gerne in Horrorszenarien umkippen, sobald man etwas länger darüber nachdenkt. Das hat mit der unendlichen Trägheit menschlicher Wohngewohnheiten zu tun, wie sie der Architekt Adolf Loos ebenso prägnant wie für alle Visionäre total desillusionierend auf den Punkt gebracht hat: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“

Seit der Renaissance herrscht an Architekturvisionen kein Mangel mehr. Sie erscheinen als Zeichnungen, bisweilen auch als Traktate wie die 25 Bände Filaretes, die der Beschreibung einer idealen Stadt gewidmet sind, deren Mittelpunkt ein zehngeschoßiges Bordell bildet.

Auch architektonisch-literarische Utopiewelten, wie sie in der berühmten Hypnerotomachia Poliphili, einem Roman aus dem Jahr 1499, detailliert geschildert werden, für den Schriftsteller Umberto Eco „das vielleicht schönste Buch der Welt“, finden in ganz Europa Verbreitung.

Zugleich entstanden auch in der Realität Idealstädte, wie etwa das italienische Palmanova in der Nähe von Udine. Die kreisrunde Stadt mit ihren demokratisch-gleichmäßigen Parzellen und dem zentralen Platz in der Mitte entsprach der damaligen Idealvorstellung eines guten Lebens, das zugleich wegen der kompakten Bauweise effektiv verteidigt werden konnte.

Riesige Gebäude

Hingegen war die bauliche Umsetzung in die Wirklichkeit jenen Entwürfen nicht vergönnt, die am Vorabend der Französischen Revolution von 1789 der Architekt Étienne-Louis Boullée zu Papier brachte. Das Wunderkind Boullée wurde mit 19 zum Professor ernannt. Ab 1780 begann er von riesigen Gebäuden zu fantasieren.

Sein berühmtester Entwurf sollte das ganze Universum einschließen. Zu Ehren des Mathematikers und Physikers Isaac Newton entwarf Boullée einen kugelförmigen Bau um einen gewaltigen Hohlraum herum. Im Innern dieses riesigen Globus' mit etwa 150 Meter Durchmesser sollte, durch feine Lichtkanäle, bei den Besuchern der Eindruck des unendlichen Sternenhimmels erweckt werden. Die Entwürfe Boullées erinnern teils an die Überwältigungsarchitektur des Nationalsozialismus. Das Erhabene und der Schrecken angesichts erschlagender Dimensionen liegen nah beieinander.
Ersatzhandlung

Auch Karl Friedrich Schinkel träumte in gewaltigen Maßstäben. Der Berliner Architekt war mangels Aufträgen um 1800 gezwungen, sich gewaltige Dome an steile Küstenklippen zu träumen. Die Vision als Ersatzhandlung für das reale Bauen wird dann im 20. Jahrhundert regelrecht zum Klischee für den Beginn ambitionierter Architektenkarrieren.

Le Corbusier war 35 Jahre alt und hatte wenig anderes zu tun, als er 1922 die Neugründung einer Drei-Millionen-Einwohner-Stadt forderte. Kurz darauf schlug er vor, das Stadtzentrum von Paris auszulöschen und durch einen Pulk von Wohnhochhäusern zu ersetzen.

Der deutsche Architekt Herman Sörgel dachte zur selben Zeit noch größer. Ab 1928 fantasierte er von „Atlantropa“. Das Mittelmeer sollte durch zwei Staudämme vom Atlantik und vom Schwarzen Meer abgetrennt werden. Dadurch sinkt der Wasserspiegel, Tunesien, Sizilien und das italienische Festland wachsen zusammen, die versandete Adria kann zur Hälfte als Ackerland genutzt werden, auch die griechischen Inseln verschmelzen miteinander.

Politisch schwankte Sörgel zwischen dem völkerverbindenden Aspekt seines Großprojekts und kolonialen Überlegungen, die sich bis in die Sahara erstreckten. Den Nazis war Sörgels pazifistischer Ansatz nicht geheuer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren große Pläne nur kurzfristig ausgesetzt. Schon bald nahmen der weltweite Wiederaufbau und die Entkolonialisierung derartig Fahrt auf, dass in den Boomjahren des Bauens ab 1960 Visionen bisweilen schnell von der Realität übertroffen wurden.

Großsiedlungen, Großuniversitäten, Großkliniken – dazu die atomare Aufrüstung, das Apollo-Programm, der Vietnamkrieg: Nie zuvor wurde so viel Fortschrittsglaube mit zumeist guten Absichten in Beton gegossen oder buchstäblich auf den Mond geschossen.

Neue Visionen

Diese 1960er-Jahre waren das visionsmäßig wahrscheinlich ertragreichste Jahrzehnt der Architekturgeschichte, weil sich abseits der gewaltigen Bauprogramme eine neue Generation zu Wort meldete, die entweder skeptisch auf den Boom reagierte oder der all diese Groß-Großprojekte noch viel zu harmlos erschienen.

In Japan träumten die Metabolisten von gewaltigen Kapselhäusern, die wie riesige Baumkronen über die Städte wuchern sollten, statt Früchten kleine Wohnzellen tragend. Oder von schwimmenden Städten, was den realen Hintergrund hatte, dass das Bauland in Metropolen wie Tokio erschreckend knapp wurde.

Die britische Gruppe Archigram schickte „Walking Cities“ durch die Wüste. In Österreich entwickelten Coop Himmelb(l)au und Haus-Rucker-Co ihre technoid-organischen Gebilde, die bisweilen wie Sex-Apparaturen für den Austausch mit Außerirdischen wirkten.

Der Architekt Raimund Abraham erklärte, er wolle fortan lieber zeichnen, weil die Realität jeden Entwurf versaut, und ging in die USA, ebenso wie sein Freund Friedrich St. Florian. Einige der einstigen Avantgardisten haben eine scharfe Kehrtwende zum Realismus vollzogen, andere wie Wolf D. Prix bemühen sich auch im achten Lebensjahrzehnt noch um ihr Image als Enfant terrible.

Helden des Gewöhnlichen

Wie aber sieht es mit der heutigen Generation aus? Wovon träumt sie? Zwei, die sich entschieden haben, gegen die vermeintlichen Sachzwänge der Realität anzukämpfen, und damit zunehmend Erfolg haben, sind Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Ihr Verdienst besteht darin, sich zu verweigern. „Never demolish, always repair“ lautet ihr Credo: Niemals abreißen, immer umbauen.

Sie haben mehrfach bewiesen, dass auch architektonisch belanglose Wohnhochhäuser der 1970er-Jahre durch das intelligente Anfügen einer neuen Schicht aus Wintergarten-Balkonen enorm aufgewertet werden können. Die Bewohner der meist schwierigen Viertel können bleiben, und die graue Energie, die einst in diese Bauten gesteckt wurde, bleibt erhalten.

Lacaton & Vassal zeichnen keine Visionen, sondern füllen Excel-Tabellen aus. Damit stellen sie die Grundsätze des Bauens viel radikaler infrage als mit fiebrigen Visionen einer fantastischen Architektur.

Unter den jungen Architekten sind sie die Helden des Gewöhnlichen, was aber unendlich schwer in die Köpfe einer auf Wachstum, Verschleiß und Sensationen gepolten Gesellschaft hineinzubekommen ist.

22. September 2006 Bauwelt

Zwischen trash und très chic

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren. Diese Gedenktafel weiht dem deutschen Meister das deutsche Volk.“ Die Verhältnisse sind nicht ganz einfach zu überschauen in Raiding, das im Jahr 1811 zur ungarischen Hälfte des k.u.k.-Reiches zählte, aber teilweise von der slowakischen Minderheit bewohnt wurde, der auch die Liszts angehörten. Ihren Sohn ließen sie auf Deutsch unterrichten und förderten frühzeitig sein musikalisches Talent. Im Alter von neun Jahren gelang Franz Liszt ein Auftritt bei Hofe als Wunderkind. Die Familie verließ daraufhin das Dorf und kehrte nie wieder zurück.

Die multinationalen Verschlingungen wiederholten sich beim Bau des Konzerthauses für 590 Zuhörer, mit dem ein- bis zweimal jährlich Scharen von Festivalbesuchern in einen entlegenen Winkel des Burgenlandes gelockt werden sollen. Die Architekten André Kempe und Oliver Thill sind in der DDR aufgewachsen, haben nach der Wende in Dresden studiert und im Jahr 2000 in Rotterdam ihr Architekturbüro eröffnet. Zu dem Auftrag in Raiding sind sie über einen offenen Wettbewerb gelangt, bei dem ihr Entwurf zunächst mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde. Ihr Vorschlag war die pragmatischere Lösung, die sich dann auch durchsetzte. Die Finanzierung (6,8 Millionen Euro Gesamtkosten) erfolgte mit einer star ken Beteiligung des EU-Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Um den Erfolg bei der Vermarktung bemüht sich das Management der renommierten Haydn-Festspiele, die seit 1986 im fünfzig Kilometer entfernten Eisenstadt stattfinden.

Dass ein UFO gelandet sei, diese Phrase zählt zwar zum Standardrepertoire von Architekturbeschreibungen, aber in Rai ding ist kein besonders extravagantes Gebäude nötig, um auf diesen Gedanken zu verfallen. Der Ort bietet wenig, woran sich das Konzerthaus hätte orientieren können. Kein Gasthaus nimmt sich der Besucher an, kein romantisches Ortsbild spielt Kulisse. Der kleine Park rings um das Liszt-Geburtshaus erschiene einem auch ohne das neue Kulturgebäude wie eine exterritoriale Anlage inmitten des kargen Straßendorfes, dem durch die Fassadentünche der vergangenen Jahrzehnte jede spe zifische Anmut und Atmosphäre abhanden gekommen ist.

Obwohl damit jeder Versuch, sich einzufügen, von vornherein ausgeschlossen war, haben die Architekten eine Großform gewählt, die noch am ehesten passt, weil sie, kompakt und geschlossen, ebenso gut ein landwirtschaftliches Lager umschließen könnte. Die Fassade wirkt regelrecht billig, was auch tatsächlich der Fall ist. Sie besteht aus einer weißen Kunststoffschicht, die auf die Dämmplatten gespritzt wurde. Ein trashiges Gebäude – wäre jetzt als nächste Phrase fällig. Das zu behaupten ist nicht ganz falsch. Nur lässt sich beobachten, dass die Architekten immer kurz vor dem Moment, in dem eine Extremposition zum Klischee wird, das Gegenmittel einsetzen. Die Kunststoffhaut ist von Öffnungen durchbrochen, die so groß sind, dass Liszts Geburtshaus darin verschwinden könnte wie in einer Garage. Diese Aussparungen wurden mit den Insignien „guter Architektur“ verschlossen: Sorgfältig detaillierte Lärchenholztüren und üppig bemessene Fenster. Anstelle von Glas wurden in einem Stück gelieferte Acrylglasplatten eingesetzt. An der zum Park gelegenen Seite misst das Fenster fugenlose 4 x18 Meter. Das Material wird sonst nur beim Bau von Aquarien verwendet. Die Umgebung fließt nicht ins Gebäude hinein (das wäre Phrase Nummer 3), sie erscheint etwas schlierig, aber auch präsenter als bei einem Glasfenster, denn der durchsichtige Kunststoff spiegelt nicht.

Die eigentliche architektonische Gratwanderung findet im Zentrum statt, in dem für Kammermusik optimierten Konzertsaal. Er sollte ursprünglich als außen ablesbarer Holzbau- „Klangkörper“ in den umgebenden Foyerring hineingestellt werden, was aus akustischen Gründen verworfen wurde. Nun ist nur die innere Raumschale aus Holz, dahinter stehen Betonwände. Die Holzverkleidung droht gestalterisch in zwei Richtungen zu kippen: Auf der einen Seite in klassizistische Strenge, denn die Wände sind durch ein Balkenraster gegliedert. Andererseits neigt sich die Klassik gefährlich in Richtung „rustikale Almhütte“, denn aus Kostengründen musste Fichtenholz verwendet werden. Abertausende von Astlöchern brin gen die weihevolle Kassettierung durcheinander. Dass das Zusammentreffen von Eichenboden und Fichtenwänden für pu ristisch denkende Entwerfer einer Katastrophe gleicht, kommt noch hinzu. Aber genau in solchen Wagnissen liegt die Qualität des Gebäudes, seine Frische jenseits aktuell angesagter Design-Vorstellungen, insbesondere im Vergleich zur österreichischen Architekturszene. Zwischen den Polen „trashig“ und „très chic“ ist es fein ausbalanciert.

Im Detail ist der Konzertsaal weit weniger kantig als beim ersten Augenschein. Der Akustiker sorgte dafür, dass alle Holzpaneele mit einer Fräse bombiert wurden, um den Schall besser zu streuen. Im Steiflicht ist zu erkennen, dass „die Platten eigentlich Blobs sind“, wie die Architekten amüsiert feststellen.

28. Mai 2005 Der Standard

Für die Laufkundschaft

Das Architekturbüro AllesWirdGut hat in St. Anton für Kinder gebaut.

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann dieser Raum gar nicht groß genug sein. Es werden Rennstrecken gebraucht und Hindernisse wie Stiegen, an denen sie sich endlos hinauf- und hinunterturnen können, dass Sisyphus seine wahre Freude daran gehabt hätte.

Dass auch Architekten Raum zur Entwicklung brauchen, ist weniger selbstverständlich. Meistens regelt irgendjemand im Vorhinein, was der spätere Bau alles können soll. Raumprogramm, Kubatur, Funktionsschemata, Flächenbedarf. Als würde man für ein Kind im Säuglingsalter bereits den späteren Beruf auswählen. Zum Glück sind viele Architekten auf der Entwicklungsstufe trotziger Teenager stehen geblieben und werden nicht müde, immer wieder gegen die Regeln zu rebellieren. Manchen Gebäuden ist es auf den ersten Blick anzusehen, dass hier jemand einen eigenen Weg eingeschlagen hat. Bei anderen springt die Abweichung von der Norm nicht sofort ins Auge. Sie sind nicht unbedingt besser als die kapriziösen Allein-gegen-alle-Architekturen, nur zeigt sich immer wieder, dass die Ressourcen doch meist endlich sind: Entweder ein Gebäude spreizt sich wie ein Pfau oder es wurde in die Intelligenz des Konzepts investiert. Dass beides zusammenfällt, ist selten.

Der Kindergarten KIGA in St. Anton gehört zur Kategorie der klugen, aber nicht um Aufmerksamkeit heischenden Häuser. Mit seiner grauen Eternitfassade und der an eine Fabrik erinnernden Silhouette steht er zwar recht trotzig vor den aufgeblasenen Tirolerhaus-Mutanten seiner Nachbarschaft. Doch von außen bleibt unentschieden, ob die Architekten von AllesWirdGut hier etwas richtig hässliches oder vielleicht doch ein auf eigene Weise schönes Gegengebäude errichten wollten. Die Gemeinde jedenfalls, erzählt Karl Gitterle, der vor Ort ansässige Projektpartner, hätte sich, wenn schon so modern, dann doch aber wenigstens mehr Holz gewünscht. Aber es steckt nun einmal eine Betonkonstruktion dahinter, und daher ist der Bau außen so grau, als hätte das Budget ausgereicht, ihn in Sichtbeton auf die Wiese zu stellen. Holz kam nur an den Einfassungen der Fenster zum Einsatz und wird, da es unbehandelt ist, mit der Zeit dieselbe Farbe wie die Eternitplatten annehmen.

So richtig lustig also steht der KIGA nicht am Ortsrand. Vielleicht ein Reflex auf den Farbenwahn, der die Hersteller von allerlei Spielgerät befallen hat, die meinen, dass Kinder es gerne bunt haben. Man erinnere sich daran, dass das erste und für lange Zeit einzige schwarze Gebäude, das in Österreich entstanden ist, ebenfalls ein Kindergarten war, gebaut von Adolf Krischanitz im Jahr 1994 in Wien. Farbe, pflegen Architekten zu diesem Thema gerne zu antworten, kommt durch die Kinder ins Haus. Nun gut, der Hundertwasser-Schock sitzt eben tief.

Die wahren Qualitäten des Kindergartens in St. Anton, der mit einer anerkennenden Erwähnung beim Architekturpreis des Landes Tirol ausgezeichnet wurde, liegen im Inneren. Dort wurde nicht akzeptiert, was das Raumprogramm als Standard vorschreibt, nämlich eine Reihung von Gruppen- und Rückzugsräumen plus Gemeinschaftsflächen. Wie bereits bei früheren Projekten haben AllesWirdGut eine räumliche Extraleistung hinzugefügt, die aber keine oder nur geringe Mehrkosten verursacht. Zwischen die drei Gruppenräume wurden Wintergärten eingefügt, deren erweiterte Raumhöhe sich außen als aufgesetzte Dachdreiecke abzeichnet. Diese beiden Zusatzräume sind nicht beheizt und haben keine Wärmedämmung. Sie sind ein Energiepuffer in einem bautechnischen und ein Bewegungspuffer in einem pädagogischen Sinne.

Durch die Wintergärten gelangen die Kinder hinaus in den Garten oder können sich abseits ihrer Zuordnung in eine der drei Gruppen bewegen. Nur durch die Wintergärten wird der Kindergarten zu einem räumlich komplexen Gebilde. Denn aus den Gruppenräumen führen Stiegen in die Rückzugsbereiche, die wie Schwalbennester in die Wintergärten hineingehängt sind. In diesen Raumkabinen ist es für Erwachsene fast zu niedrig. Die Kinder hingegen haben nicht nur einen zusätzlichen Spielort. Sie können durch Bullaugen in Räume hineinsehen, die jenseits der Gruppengrenzen liegen. Ob sich die Drei- bis Sechsjährigen des Raffinements dieser Verschachtelungen bewusst sind? Vielleicht erwacht hier ja eine Sensibilität, die sie davor bewahrt, im späteren Leben die Stapelware der meisten Bauten als gottgegeben hinzunehmen.

Vieles in diesem Gebäude stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Der zentrale Gang etwa, der an den Gruppenräumen mit ihren vorgelagerten Wasch- und WC-Bereichen entlangführt. Er befindet sich mitten in der Baumasse, ist aber durch ein umlaufendes Lichtband so hell, dass selbst an einem trüben Tag der Eindruck entsteht, im Freien zu sein. Auf der anderen Seite des Gangs liegt eine offene Küche, und jenseits davon schließt eine Aula an, die auch als Gymnastikraum genutzt wird. Es ist wieder kein kistenförmiger Raumbehälter. Aus dem Boden wächst eine Sitztreppe, Zuschauertribüne bei Theateraufführungen, die hinaufführt auf eine Bibliotheksgalerie, an die der knapp bemessene Bürobereich für die Leiterin des Kindergartens anschließt. Sie schaut auf den Eingang hinunter, aber das ist die einzige Position für Kontrollblicke in diesem ganz auf Kinderaugenhöhe entwickelten Bau.

28. Mai 2005 Der Standard

Verkaufsräume

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin in Innsbruck die Bücher zum Leuchten zu bringen. Doch der Verkaufsraum ist keine schummrige Höhle, sondern trotz der Schwärze paradoxerweise hell, freundlich und offen gegenüber dem Straßenraum. Zur Fußgängerzone öffnet sich der kleine Laden mit zwei großen Schaufensterscheiben, die auf der Außen- und Innenseite der tiefen Fensterrahmen als Ablageflächen dienen und so die gläserne Grenze zum Stadtraum optisch aufheben. Rainer Köberl hat bereits bei seinem 2004 eröffneten MPreis-Supermarkt die Waren als Fetische in einer schwarzen Höhle präsentiert. Dort, im Untergeschoss des neuen, an den italienischen Razionalismo der 1930er- Jahre erinnernden Bahnhofs von Innsbruck (ALBUM, 30. 04. 04) musste Köberl die Architekturambitionen der Tiroler Supermarktkette zum ersten Mal im Rahmen einer reinen Innenraumgestaltung verwirklichen. Die Buchhandlung Wiederin, auch sie erhielt heuer den Architekturpreis des Landes Tirol, ist noch konsequenter auf die Waren und nichts anderes fokussiert. Nicht ohne Grund lieben viele Architekten die Nachtansichten ihrer Gebäude so sehr, bei denen der Inhalt der baulichen Hülle in den Vordergrund tritt. Bei der Buchhandlung wird dieses Bild zum Dauerzustand, egal ob gerade Tag ist oder Nacht.

21. Mai 2005 Der Standard

Über der guten Stube

Weltkultur, du liegst mir zu Füßen: Die Bundestheater-Holding in der Wiener Goethestraße hat sich einen Dachausbau de luxe von den Silberpfeil-Architekten realisieren lassen.

Als Otto Wagner ab 1910 seine Pläne für den XXII. Wiener Gemeindebezirk zu Papier brachte, entwickelte er zugleich ein neues Gesellschaftsmodell: Der moderne Mensch lebt in selbst gewählter Anonymität hinter uniformen Fassaden. Die Häuser verraten nichts über ihre Bewohner. Wer in diesem nie verwirklichten Stadtteil eingezogen wäre, der hätte in erster Linie als Bürger gegolten, egal, ob aus der Wohnung zwei, drei oder fünfzehn Fenster nach draußen zeigen. Die Zeit der Stadtpalais, deren Namen für Dynastien bürgen, schien für den damals bereits 69-jährigen Wagner endgültig vorbei zu sein.

Doch als hätte ihm sein Unterbewusstsein geflüstert, was die wahren Träume des Großstadtmenschen sind, zeichnete er eine verführerische Perspektive von seinem Stadtteil, die die Häuser so zeigt, wie nur ein Ballonfahrer sie hätte sehen können. Dieser Blick von oben aber, über die Masse hinweg, brannte sich viel stärker in die Köpfe als das Ideal der Gleichförmigkeit. Wenn schon der Architekt sich gestattet, auf die anderen hinabzublicken, dann kann doch über die modernen Wohnbedürfnisse noch nicht das letzte Wort gefallen sein.

Nur geht, zumindest in Wien, wo hohe Häuser so selten sind, mit der freien Aussicht auf das Treiben der ameisengroßen Mitmenschen eine Exponiertheit einher, die zu gewissen Verrenkungen zwingt. Denn jeder will wissen, wer dort oben wohnt. Doch die armen Reichen wollen zwar die Aussicht genießen, zugleich aber so anonym sein wie die Bewohner von Otto Wagners XXII Bezirk. „Nein, wer hier wohnt, das dürfen wir nicht sagen“, heißt es deswegen bei einem Ortstermin in einem der fünf stählernen Türme, die sich am Rande des Wiener Burggartens vom Gebäude der Theaterservicegesellschaft erheben, als hätte das benachbarte Schmetterlingshaus dort oben eine Reihe von Zweigstellen eröffnet. Das ist schade und auch ein bisschen schizophren, denn die Kollegen von einem österreichischen Wohnmagazin haben sich nicht nur umsehen, sondern auch exklusiv darüber berichten und mit Fotos belegen dürfen, wie jene geheimnisvollen Menschen hausen, die es sich leisten können, die 450 Quadratmeter für circa neun Monate des Jahres leer stehen zu lassen. Es ist ja nicht das einzige Anwesen. Bevor die Gerüchte ins Kraut schießen: Der heimliche Blick auf den Adressaufkleber eines herumliegenden Porsche-Kundenmagazins hat die Identität gelüftet, aber da sie gänzlich außerhalb der Sphäre öffentlichen Interesses liegt (keine Ölscheichs, keine „Seitenblicke“-Präsenz), soll nur so viel verraten werden: Die Leute haben Geschmack. Und sie waren so mutig, sich Architekten anzuvertrauen, die bis dahin über keinerlei Erfahrungen im Luxus-Bereich verfügten. Diesen Mut bewies allerdings schon der Bauherr des Gesamtprojekts, das zwölf Wohnungen mit durchschnittlich 250 Quadratmetern umfasst. Die Bundestheater-Holding, zu der auch die Theaterservicegesellschaft gehört, betrat seinerzeit Neuland in der Verwertung der eigenen Immobilie und riskierte einen europaweit offenen Wettbewerb, aus dem das Architekturbüro Silberpfeil als Sieger hervorging. Die Newcomer erhielten wider die eigenen Prognosen den Auftrag, als Architekten und Generalplaner tätig zu werden.

Zum überzeugenden Verfahren kam ein schlüssiges Konzept hinzu, das die Beißreflexe der Bewahrer des Weltkulturerbes Wiener Innenstadt schon im Ansatz aushebelte: Denn bevor der Nachkriegs-Klassizismus dem Gebäude ein langweiliges, fast flaches Dach verpasst hatte, saßen auf jedem der vorspringenden Gebäudeteile putzige Häubchen, deren Volumen für den Neubau übernommen und in die Sprache von Stahl und Glas übersetzt wurden. Auch die flachen Bauteile zwischen den Türmen erhielten ein Stahlskelett. Hier ist der Bau zweigeschoßig, und nur das obere Stockwerk ragt über die immens hohe Attika des Altbaus heraus. Wer eine der Wohnungen betritt, sieht sich deswegen zunächst um die erhoffte Aussicht betrogen. Erst die obere Ebene gibt den Blick frei, der aber nur aus den Türmen mit ihren zusätzlichen zwei Ebenen wirklich umherschweifen kann.

Dort zeigt sich, warum frühere Generationen nicht auf die Idee gekommen wären, direkt unter dem Dach zu wohnen, es sei denn, man war Künstler, ein armer Schlucker oder beides. Die Sonne schlägt hier so heftig zu, dass nur mit einem aufwändigen Kühlsystem die erwünschte Behaglichkeit hergestellt werden kann. Die filigrane Stahlkonstruktion verschwindet in Teilen unter einer massiven Verkleidung, die Kühlschläuche und sehr viel Dämmung enthält. An den Türmen übernehmen Sonnenschutzlamellen einen Teil dieser Aufgabe, die Restwärme wird von gekühlten Betonböden und einem ausgeklügelten Umluftsystem erledigt.

Der technische Aufwand ist gewaltig, der Kaufpreis von etwa 10.000 Euro pro Quadratmeter ebenfalls, und trotzdem haben die Wohnungen bereits vor der Fertigstellung alle ihre Liebhaber gefunden. Ist ja auch beeindruckend, wie man sich in den Türmen von Plattform zu Plattform allmählich auf Augenhöhe zu den Monumenten der Nachbarschaft emporschraubt. Räumlich sind selbst die kleineren Wohnungen raffiniert, doch wer sich dort oben eine Klippe über Wien erwartet hat, der dürfte enttäuscht sein. Aber man wohnt ja auch nicht am Abgrund zum Moloch von Downtown Manhattan, sondern herausgehoben und dennoch distanziert im Herzen Wiens.

21. Mai 2005 Der Standard

Handlungsräume

Ein Kritiker meinte einmal, die ganze hochgelobte Architektur der Schweiz sei eigentlich ein „Museum für sauber gelöste Details“. Dem ist ein Buch entgegenzuhalten, das zeigt, wie grundsätzlich dort über das Bauen und auch, aber eben nicht nur, über Details nachgedacht wird. Es wird herausgegeben von Andrea Deplazes, einem der auf dieser Alpenseite viel zu wenig beachteten Architekten, und trägt den Titel Architektur konstruieren (Birkhäuser Verlag, € 49,50). Auf 512 Seiten enthält es nicht weniger als eine Übersicht zu allen gängigen Baumaterialien und ihrem sinnvollen Gebrauch. Aber noch mehr: Die Systematik ist reich unterfüttert mit historischen Abhandlungen, kulturgeschichtlichen Ausflügen und Bildern, Bildern und nochmals Bildern von Beispielprojekten, die von mexikanischen Grabkammern über die modernen Klassiker bis zu den einschlägigen Schweizer Gegenwartsbauten reichen. Es spricht viel dafür, dass allein die Lektüre dieses einen Buches jemanden in die Lage versetzt, nach dem heutigen Stand der Technik ein anspruchsvolles und eben nicht nur sauber gelöstes Haus zu bauen. Vom Fundament bis zum Fenster. Nur die Entscheidung, ob das Fenster quer steht oder aufrecht, die kann einem niemand abnehmen.

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- Architektur konstruieren

7. Mai 2005 Der Standard

Stadion aus 3000 Seifenblasen

Vor dem Eröffnungsspiel: Die Allianz Arena in München der Architekten Herzog & de Meuron

Er wäre auch gerne Profi-Fußballer geworden, sagte vor gut zehn Jahren Jacques Herzog in einem Film-Interview. Es lag echtes Bedauern in seiner Stimme, und er fügte noch hinzu, dass es vieles gäbe, was interessanter sei als die Architektur: Gegenwartskunst, Naturwissenschaften oder eben ein Nachmittag auf dem Fußballplatz.

Zehn Jahre später haben Herzog & de Meuron, deren Büromannschaft bei Fußballturnieren innerhalb der Architektenszene immer wieder respektable Leistungen zeigt, ihr zweites Stadion gebaut und planen für die Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2008 bereits ein noch größeres. Die nach dem Hauptsponsor benannte „Allianz Arena“ in München - die Versicherung zahlt für den Namen angeblich 110 Mio. Euro - wird Ende Mai offiziell eröffnet. Es ist nicht allein ein Bauwerk der technischen und logistischen Superlative, nicht allein eine Rieseninvestition mit Bestechungsaffäre, die zur Zeit noch vor Gericht verhandelt wird und dem österreichischen Baukonzern Alpine die Freude über die termingerechte Übergabe ein wenig trüben dürfte. Vor allem ist es ein Stadion von und für Fußballfans geworden, ein Kessel für Emotionen, der einem trotz seiner 66.000 Plätze selbst in den obersten Reihen der drei Ränge das Gefühl gibt, ganz nah am Ball zu sein.

Dass die Architekten die Architektur gar nicht so sehr interessiert, ist im Falle von Herzog & de Meuron keine kokette Tiefstapelei. Denn wie sonst wäre es möglich, ein Stadion zu bauen, das schillert wie tausend Seifenblasen? Nur der Import von Bildern und Metaphern aus der Welt jenseits der Architektur war die Gewähr dafür, nicht zur Unmenge nahezu identischer Stadien einfach ein weiteres hinzuzufügen.

Die Latte war in München allerdings auch hoch angesetzt. Nicht wegen der Architekturbegeisterung der Auftraggeber, der Fußballvereine FC Bayern München und TSV 1860. Deren Interessen ließen anfangs, ganz im Gegenteil, eher Schlimmes befürchten. Sondern weil München mit dem Stadiongelände, das von den Architekten Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen Spiele im Jahr 1972 errichtet wurde, eine der wohl schönsten Sportanlagen besitzt, die jemals gebaut wurden. Auch damals konnte der unkonventionellste und „unarchitektonischste“ Entwurf sich durchsetzten. Doch das Olympiastadion, seinerzeit der bauliche Inbegriff des neuen, anderen und beschwingten Deutschlands, dieses Stadion der „heiteren Spiele“ war den knallhart kalkulierenden Managern der Fußballvereine lästig geworden. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sollte es umgebaut werden: Mehr Plätze, vor allem aber so genannte VIP-Bereiche, Business-Seats und vermietbare Logen wünschte sich Deutschlands Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer, der Präsident des FC Bayern und Vorsitzender des Organisationskomitees der Fußball-WM. Es folgte eine quälende Debatte, ob und wie diese äußert lukrativen Einnahmequellen in die denkmalgeschützte Arena integriert werden könnten. Der Architekt Behnisch schien dazu bereit zu sein, zog aber in letzter Sekunde unter großem öffentlichen Druck zurück. Ein Umbau hätte der filigranen Anlage, die nie als reines Fußballstadion gedacht war, schweren Schaden zugefügt.

Aus dem daraufhin ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Neubau auf Kosten der Vereine gingen Herzog & de Meuron im Februar 2002 klar als Sieger hervor. Die Befürchtungen, in Münchens Norden könnte eine triste Kommerzarena entstehen, waren mit einem Mal verflogen. Mehr noch: Die Allianz Arena ist sogar ein würdiger Nachfolger des Olympia-Stadions, das künftig nur noch für Leichtathletik-Wettkämpfe verwendet wird. Die Oberfläche aus insgesamt 2784 luftgefüllten Membran-Kissen verwandelt den eigentlich äußerst massiven Stahl-und Betonbau in ein fragiles, bei bestimmten Wetterlagen fast unsichtbares Gebilde, das ebenso leicht und heiter erscheint wie die Kunststoffsegel der bisherigen Spielstätte. Am Abend können die nur 0,2 Millimeter starken Rauten in den Farben des jeweils spielenden Vereins beleuchtet werden - rot für den FC, blau für den TSV, weiß bei der Weltmeisterschaft. Oder im blau-weißen Rautenmuster der bayrischen Landesflagge.

Es war jedoch nicht allein ein Stadion gefordert, sondern auch die Lösung eines riesigen Parkplatz- und Verkehrsproblems. So faszinierend die Bilder auch sein mögen, die dieser Tage von der Außenhaut des Stadions durch die Welt ziehen - die Bewältigung der Autos durch eine Parklandschaft, im doppelten Wortsinn und in gigantischen Ausmaßen, ist eine nicht weniger große Leistung.

Die Mehrzahl der Besucher aber erreicht die Arena über einen fast ein Kilometer langen Fußweg von der nächsten S-Bahn-Station. Er führt über das leicht gekrümmte Dach des 9000 Plätze fassenden Parkhauses. Es duckt sich in die karge Landschaft der Fröttmaninger Heide hinein und bildet ein künstliches Hochplateau, auf dem am äußersten Ende das Stadion wie ein Ballon zu schweben scheint.

Die Kontrolle der Eintrittskarten findet bereits vor Erreichen des Stadions statt. Das Gebäude hat keine Türen oder Schleusen, sondern ist auf der Eingangsebene rundum geöffnet. Nicht nur zum Außenraum, sondern auch zur Spielfläche. Durch einen umlaufenden Luft-Schlitz zwischen dem ersten und zweiten Rang sieht man sofort nach dem Hindurchtauchen unter der Membranhaut auf den Rasen. Das heilige Gras wird dadurch gut belüftet, und die Fans können sich erst einmal über die Stimmungslage informieren, bevor sie sich auf den Weg machen, ihren Sitzplatz zu finden.

Wer privilegiert ist, gelangt aus dem eigentlichen Erdgeschoss, sechs Meter unter der Eingangsebene für den Massenandrang, direkt hinauf. In eine der 106 Logen, die zwischen dem zweiten und dritten Rang untergebracht sind und für bis 240.000 Euro pro Jahr vermietet werden. Oder in die Business-Lounge, die Herzog & de Meuron wunderbar kitschig mit einer güldenen Ornamentdecke ausgestattet haben.

Farblich ist das Stadion ansonsten sehr zurückhaltend. Die eigens entworfene Bestuhlung schimmert silbrig, ebenso die Wände in den umlaufenden Verteilerebenen, wo auch die obligatorischen Wurstbuden untergebracht sind. Wer Herzog & de Meuron bisher mit exquisiten Details in Verbindung gebracht hat, der wird vielleicht ein wenig enttäuscht sein. Aber das ist in dieser Größenordnung trotz der Bausumme von etwa 286 Mio. Euro weder möglich, noch wäre es wünschenswert. Die Architektur hat ihren großen Auftritt auf der Außenseite. Im Innern regiert König Fußball, niemand sonst. Es wird atemberaubend sein, ihm dabei zuzusehen.

9. April 2005 Der Standard

Mit gutem Gewissen auf schwierigem Terrain

SPLITTERWERK lassen den Hang durchs Haus laufen, InnoCAD stemmen sich über die 100-jährige Hochwassermarke

Ist es nicht pervers? Generationen von Architekturstudenten werden zwar Semester für Semester darauf getrimmt, munter Hotels, Museen und Fußballstadien aufs Papier zu bringen, so gut wie nie aber werden sie mit dem konfrontiert, was ihnen als jungen Architekten am ehesten blühen wird - dem Einfamilienhaus. Das gilt in aufgeklärten Kreisen als die Brutstätte des Bösen. Weil es die Familie „zementiert“, nuscheln die Salonrevolutionäre unter den Professoren, oder, so die mildere Variante, weil es die Landschaft „verhüttelt“. Oder, jetzt spricht der Pragmatiker, weil sich als Architekt damit kein Geld verdienen lässt. Stimmt ja alles auch irgendwie, nur ist noch nicht einmal das letzte Argument so stark, dass nicht unzählige enthusiastische Architekten, keineswegs nur die jungen, ihre Zeit in endlosen Bauherrenbesprechungen vergeuden würden, schließlich will das Portfolio mit fertigen Werken gefüllt sein.

Die beiden Architektengruppen SPLITTERWERK und InnoCAD sind keine Anfänger mehr. SPLITTERWERK besteht seit 1988, InnoCAD immerhin seit 1999. Beide sind aus der Technischen Universität Graz hervorgegangen. Die einen sind bereits im ersten Semester aus den Zeichensälen in ein selbst organisiertes Büro geflüchtet, die anderen haben die verschwenderisch üppigen Stiegenpodeste im Gebäude von Günther Domenig kurzerhand besetzt und ebenfalls schon während des Studiums zu bauen begonnen. Während SPLITTERWERK immer auch Projekte im Grenzbereich zur Kunst gemacht hat, ist InnoCAD ein Büro, das bereits beeindruckend viele Gebäude realisieren konnte, zum Teil sogar als eigener Bauherr. Zu warten, dass eines Tages die Tür aufgeht und ein Kunde hereinspaziert, haben sie sich längst abgewöhnt.

Im Falle von SPLITTERWERK ereignete sich aber genau das. Aufgrund eines Zeitungsartikels meldete sich ein Interessent und bestellte für sich und seine Familie ein Ferienhaus auf einem geerbten Grundstück mit Hanglage in der Weststeiermark. Der Bauherr hatte vor, nicht mehr als drei, vier Wochenenden im Jahr das Haus zu nutzen, wollte aber mit der Gegend weiter verbunden sein, in der er aufgewachsen war. Das Ergebnis ist von so radikaler Einfachheit, dass einem Adolf Loos einfällt, der Skeptiker aufgeschäumten Originalitätswahns: „Unsere ganze neue Architektur ist am Reißbrett erfunden (. . .) Gute Architektur kann beschrieben, sie müßte nicht gezeichnet sein.“ Der „Grüne Laubfrosch“ lässt sich ganz in diesem Sinne erklären: ein Dach über einem Hang, der durch das Haus hindurchläuft. Auf dem schrägen Boden ein Glaskasten aus Baumarkttüren, darin ein Kasten aus verspiegelten Möbelelementen schwedischer Herkunft, darüber drei verschiebbare Schlafplattformen, neben WC und Dusche (im Kasten) die einzigen horizontalen Ebenen. Das war's. Was im Moment noch fehlt, sind Sitzmöbel, die sich aus dem schrägen Boden herausfalten lassen, und die endgültige Bauabnahme durch die Gemeinde, die sich an dem grünen, nachts beleuchteten Dach stört. Dabei ist das Haus ja kein Haus, sondern irgendetwas sehr anderes, sehr Aufregendes zwischen Raumexperiment und Scheune.

Im Gegensatz zum Wohnbau „schwarzer Laubfrosch“ (ALBUM vom 17. 7. 2004), der die Bewohner mit Farbblasen einschließt, ist sein grüner Verwandter auf maximale Offenheit angelegt. Der Traum der Moderne von der Auflösung der Architektur in der Landschaft wird hier aber nicht naiv weitergedacht. Die Privatsphäre bleibt durch steuerbare Lamellen gewahrt, mit denen der Unterstand verschlossen werden kann. Je nach Laune in Schwarz oder Weiß. Die offenen Giebelseiten sind mit Maschendraht bespannt und werden irgendwann zuwachsen. So sehr das Haus eine Herausforderung für die Bewohner der schrägen Ebene sein mag, so zurückhaltend, ja technisch zeigt es sich nach außen. Landschaftsschutz einmal nicht mit nachgeahmter Tradition, sondern in der Sprache landwirtschaftlicher Nutzbauten.

Für InnoCAD ist es nicht das erste Mal, dass die jungen, alle im Jahr 1972 geborenen Architekten zu ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen abtauchen und aus dem Fundus der Siebzigerjahre hervorziehen, was die meisten, die diese Zeit noch in den Knochen haben, lieber auf dem Müllhaufen der Geschichte deponiert sehen würden. Mit orange-braun gestreiften Sonnenschutz-Markisen wurden bereits die Balkone des Apartmenthauses „G40“ in Graz umhüllt, und in mehr als einem Wettbewerbsprojekt von InnoCAD finden sich geschmiedete Balkongitter, deren ornamentale Verschlingungen schwüle Bilder von Kleingarten- und Grillparty-Idylle heraufbeschwören. Bei der Casa D sind nicht nur die Materialien daran schuld, dass sich auf Anhieb gar nicht entscheiden lässt, ob das Haus 1975 oder 2005 gebaut wurde. Die Rückseite erinnert in ihrer gedrungenen Massivität an den Bunkerstil unzähliger Bauten der Siebziger, seinerzeit die Zeichen einer neuen Innerlichkeit und des Abwehrzaubers gegen Umweltzerstörung und gesellschaftliche Umbrüche.

Dennoch ist das Haus mehr als nur ein Bildträger. Obwohl die Umgebung so banal erscheint, lauert in dem Neubaugebiet im oberösterreichischen Hartkirchen eine Bedrohung, die von den Fertighäusern der Nachbarschaft nach Kräften kaschiert wird. Denn das Gelände ist eine Hochwasserzone. Für InnoCAD ein willkommener Anlass, um zu demonstrieren, dass gute Architektur auch einen funktionellen Mehrwert haben kann und nicht allein durch einen bestimmten Geschmack definiert ist. Um das Haus vor allen Widrigkeiten zu schützen, wurde es mit Stahlprofilen über die Marke des „100-jährigen Hochwassers“ gehoben.

Wenn schon Einfamilienhaus, mögen sich InnoCAD gedacht haben, dann soll es wenigstens so aussehen, als hätte es bereits eine dreißigjährige Geschichte. Wirkt doch die Umgebung nur deswegen so trist, weil sie noch keine Chance hatte, einen Platz im Leben zu finden.

9. April 2005 Der Standard

Traumräume

Housemania! Österreich sucht den Superbau! Bewirb dich zum Casting mit Plänen und Fotos! Moment, Moment, das war jetzt doch übertrieben. Aber immerhin: Derzeit läuft ein Wettbewerb, um das beste Einfamilienhaus Österreichs zu küren. Jeder darf „mitvoten“. Im Internet (www.sbausparkasse.at), nur noch wenige Tage. Verantwortlich ist, man ahnt es bereits, eine Bausparkasse sowie, das überrascht dann doch, das Wiener Architekturzentrum. Die Bastion politisch korrekter Ausstellungen, die Festung gegen Starmania im Architekturbetrieb, das Bollwerk zur Verteidigung der architektonischen Qualität. Nicht, dass zu erwarten wäre, dass der Wettbewerb dessen hehre Ziele unterläuft. Aber ihm eine Richtung zu geben, gegen das Ideal des freistehenden Einfamilienhauses etwa, das hätte doch drin sein müssen. Wäre doch zu schön gewesen, wenn eine Bausparkasse auf den Gedanken käme, den von ihr geförderten Flächenfraß nicht auch noch zu honorieren, sondern zu vorbildlicher Verdichtung aufzurufen. Zugegeben, auch diese Seite hier zeigt, dass an dem Einzelhaus (übrigens beide nicht im Wettbewerb) keiner vorbeikommt. Aber war es nötig, die Teilnehmer des Webvotings mit einem Computerprogramm namens „3D Traumhaus Designer“ zu locken (Beispiele rechts), einer Mordwaffe gegen jeden Versuch der Aufklärung?

26. März 2005 Der Standard

Die Poetik eines Thermoputzvorsprungs

Der „Spiegel“ zählte sie zu den Neuen Romantikern: Die Architekten Hild & K. aus München sind auf der Suche nach einer verfeinerten Alltäglichkeit. Am 1. April hält Andreas Hild einen Vortrag in Wien.

Venedig, Architekturbiennale, im September des vergangenen Jahres: Nach langen Jahren der Ödnis und Langeweile ist den Deutschen in ihrem Länderpavillon eine Überraschung gelungen. Durch die klassisch-strengen Räume ringelt sich eine Fototapete, die die deutsche Realität, von der Dönerbude bis zum Tagebau, geschickt mit vierzig neueren Architekturprojekten durchsetzt. Das Ganze ist nicht nur grafisch beeindruckend und eine mutige Kuratorenentscheidung (verantwortlich: Francesca Ferguson) gegen das unter Architekten so verbreitete Bedürfnis, die eigene Arbeit auf einen eigenen Sockel gesetzt zu bekommen.

In der Schwierigkeit, viele der Neubauten aus der Menge des abgebildeten Siedlungsbreis überhaupt herauspicken zu können, steckte sogar der Hauch einer neuen Tendenz, die Morgenröte einer möglichen neuen Richtung, die ein bestimmter Teil der deutschen Architektur ganz unmerklich eingeschlagen hatte und die nun in Venedig zum ersten Mal präsentiert wurde: weniger architektonischer Protz, mehr Zuneigung zur Normalität, zum Hässlichen, zur dezenten Veredelung von Satteldach und Vollwärmeschutz.

Das wohl am schwersten als „Architektur“ zu erkennende Bauwerk auf der Fototapete war ein Parkhaus und stammte von Andreas Hild. Wer dem Architekten in Venedig über den Weg lief, musste den Eindruck bekommen, er sei so etwas wie der Pate der neuen, interessanten Strömung in der sonst so seichten deutschen Architektur. Hild ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Arbeit der Kollegen aufs Korn zu nehmen und zu sortieren, wer denn nun eigentlich zu Recht dabei ist und wer nicht.

Sein Parkhaus ist ohne Zweifel ein Prototyp für eine Architektur auf den zweiten Blick. Es steht in der Messestadt Riem, einer Retortensiedlung auf dem Gelände des ehemaligen Münchner Flughafens. Die Wohnbauten ringsum, meist lange Zeilen mit drei bis fünf Geschoßen, sehen aus, als habe die Bauindustrie einfach alles, was an Katalogdetails vorrätig ist, einmal ausprobieren wollen. Hild stört das nicht: „Riem wird boomen, ganz sicher. Den Leuten ist doch die Architektur egal, solange ein Park in der Nähe ist und die Grundrisse nicht allzu mies sind.“ Die drei Bauten, die sein Büro in Riem bisher errichten konnte, neben dem Parkhaus noch das angrenzende Bauzentrum der Stadt München sowie ein Wohnbau, treten im großen Formengeplänkel als spröde Verweigerer auf.

Aber Hild ist kein Minimalist, der sich nach möglichst kistiger Einfachheit sehnt. Prägend für ihn waren die Studienjahre bei Miroslav Sik an der Eidgenössichen Technischen Hochschule in Zürich. Hild zählte dort zum schwarz gekleideten Kreis, der mit spitzen Schnallenschuhen Tag und Nacht mit dem Meister unterwegs war, um die „Analoge Architektur“ aus der Taufe zu heben. Mitte der Achtzigerjahre entstanden in Siks Umfeld riesige, altmeisterlich mit Kreide kolorierte Perspektivzeichnungen von beunruhigenden Vorstadtszenarien, in die die Studenten ihre Entwürfe hineinsetzten. „Analog“ bedeutete, dass versucht wurde, die Brüche in der Architektur des 20. Jahrhunderts zu kitten und Verdrängtes freizulegen. Viel monumentales Pathos kam dabei zutage, aber auch ein Interesse an längst abgelegten Ornamenten und Mustern.

Als Hild sich Anfang der Neunzigerjahre zusammen mit Tillmann Kaltwasser selbstständig machte, wurden sie bereits nach ein, zwei Bauten als Geheimtipp gehandelt. Aus Hild & Kaltwasser wurde durch den tragischen Tod des Partners dann später Hild & K.

Das Büro zählt zu den wenigen, die zwar für eine Haltung bekannt sind, sich aber nicht auf eine typische „Handschrift“ festlegen lassen. Weil sie in Berlin die verlorenen Stuckverzierungen als flache Grafik in die Fassade eines Gründerzeithauses einritzen ließen oder eine Bushaltestelle mit computergefrästem Blumenmuster entwarfen, rangierte sie der Spiegel vor einigen Monaten unter die Neuen Romantiker in der Kunst. Aber sie können auch anders. Das Münchner Bauzentrum etwa ist ein knochentrockener Betonbau, in dem die Romantik nur in der fast klassizistischen Detaillierung des tragenden Skeletts zum Vorschein kommt. „Etwas für Feinschmecker“, sagt der Architekt mehr als einmal bei der Tour, die zu einigen seiner Bauten in München führt.

Nur für Feinschmecker ist auch ein Laborgebäude, das jüngst fertig gestellt wurde. Aus Kostengründen wurden die unterschiedlichen, von Geschoß zu Geschoß variierenden Funktionen hinter eine stur durchlaufende Fassade mit nur zwei Fenstergrößen gepackt. Der einzige gestalterische Luxus besteht aus einer farbigen Lasur, die den Fensterraster aufnimmt und eine Art Stoffmuster à la Burberry über den Bau legt. Sehr zurückhaltend, bei Sonnenschein ist es fast nicht zu sehen. Aber stärkere Farben, erklärt Hild, hätten zur Folge, dass der glatte Putz sich unterschiedlich aufheizt und reißt. „Sind doch alle schon kaputt, diese schwarzen Putzbauten bei euch da in Österreich.“ Er hingegen sei überzeugt, dass Architektur nicht nur mit dem Kopf durch die Wand, sondern auch auf einem intelligent affirmativen Weg machbar sei: „Plastikfenster, hohl klingender Plastikverputz, das hat doch auch alles ein poetisches Potenzial.“

Das mag sich vielleicht akademisch anhören, aber Hild ist Praktiker. Er weiß, wie Gebäude funktionieren. Im Inneren des Laborgebäudes sind die Farben daher um einiges kräftiger. Der Rhythmus von Schwarz und Grau ist so stark, dass die übliche Unordnung eines Universitätsverwaltungsflurs mit all den Aushängen und Zimmerpflanzen vollständig geschluckt wird.

Hier zeigt sich, dass Hild eigentlich ein eher barocker Charakter ist, der sich nur damit abgefunden hat, dass heutige Bauaufgaben in den seltensten Fällen die Möglichkeit bieten, im Überfluss zu schwelgen. Schon gar nicht in Deutschland.

12. März 2005 Der Standard

Best- und Billigsträume

Den Zusammenprall der Baugiganten Porr und Strabag hätte Peter Gattermann, der Vorsitzende der Vergabekommission für das Klagenfurter EM-Stadion, sich lieber erspart. Denn es sei gar keine Frage gewesen, wer den besseren Entwurf abgegeben hätte, so Gattermann im Gespräch mit dem STANDARD. Dass in der ganzen Skandalgeschichte nur über Baufirmen und Kosten, nicht aber über die Architektur gesprochen wurde, sei doch absurd. Die Porr hätte ja keineswegs das billigste, sondern das beste Angebot vorgelegt. Gattermann ist überzeugt, dass ein Architekturwettbewerb das geeignetere Verfahren gewesen wäre. Man weiß zwar mittlerweile, dass der Wiener Architekt Albert Wimmer auf dem Porr-Pferd durchs Ziel geritten ist, aber wer die Namen der anderen Entwerfer hören will, stößt auf Schweigen. Zu erfahren ist immerhin, dass die anderen Architekten durchweg schwache Leistungen erbracht haben, darunter auch ein deutsches Büro, das den Stadion- und Hallenbau zu seinen Spezialitäten zählt. Nur Wimmer habe die Jury überzeugt, wie der Rückbau von EM-Größe (Nachtansicht) auf Normalbetrieb (Tagansicht) ohne gestalterische Einbußen abgewickelt werden kann. Was die anderen vorgeschlagen haben, werden wir vielleicht nie erfahren.

12. März 2005 Der Standard

Bloß keine Zersiedelung

Architekt Charles Correa besucht Wien

Charles Correa ist einer der wenigen, wenn nicht der einzige Architekt des modernen Indiens, dessen Arbeiten im Westen bekannt sind. Auf Initiative des Architekten Carl Pruscha wurde er in dieser Woche in die Österreichische Kurie für Wissenschaft und Kunst aufgenommen.

Er habe in Indien die fantastische Erfahrung gemacht, dass der Architektur die Fähigkeit zugesprochen wird, die Gesellschaft zu ändern, so Correa im Gespräch mit dem STANDARD. Prägende Erfahrungen seien für ihn die Bauten von Le Corbusier gewesen, der in Chandigarh ab 1950 eine neue Regierungshauptstadt für den indischen Bundesstaat Pandschab errichtete. Von ihm habe er gelernt, dass ein Architekt immer mehr erreichen müsse, als den Auftraggeber zufrieden zu stellen.

Was seine Aufgaben als Mitglied der Kurie sein könnten, wurde von Carl Pruscha angesprochen. Pruscha zeigte sich entsetzt, dass ein gewichtiger Teil der österreichischen Hilfe für die Tsunami-Opfer in Form von kleinen Not-Häusern verbaut werde, die jeder Erfahrung mit der Architektur dieser Region zuwider liefen. Möglicherweise könnte Correa Aufklärungsarbeit über die klimatischen und kulturellen Erfordernisse leisten.

Correa, der 1930 geboren wurde, ließ keinen Zweifel daran, dass die Zersiedelung eines der Hauptprobleme der gegenwärtigen Architekturentwicklung sei.

„Jeder Platz in einer historischen Stadt, ob in Indien oder Europa, funktioniert wie eine Maschine. Die Form ist der Bauplan, nach dem die angrenzenden Häuser als Einzelteile entwickelt werden können, ganz gleich ob traditionell oder zeitgenössisch.“

Durch die Zersiedelung aber gäbe es nur noch Einzelteile, aber keinen Bauplan mehr. Speziell in den Wohnbauten sei das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft gespeichert, so Charles Correa weiter. Ein Verlust wäre unersetzbar.

9. März 2005 Der Standard

„Zwei Stadien in einem“

Der Architekt Albert Wimmer erläutert seinen Entwurf für das Klagenfurter Stadion

Es wird langsam Zeit, ihn den österreichischen Stadion-Experten zu nennen. Für Architekt Albert Wimmer ist der Bau des Klagenfurter Stadions bereits die dritte Arena, die in seinem Wiener Büro geplant wird. Er war bereits in Salzburg und Innsbruck tätig, bezeichnet die drei Stadien aber im Gespräch mit dem STANDARD als jeweils „einzigartige Aufgabenstellungen“.

Während in Innsbruck und Salzburg zunächst Bauten für eine Besucherzahl von jeweils rund 18.000 Fans entstanden, die bis zur Europameisterschaft noch aufgestockt werden müssen, wird das Klagenfurter Stadion gleich von Beginn an 30.000 Zuschauer aufnehmen können. Diese Größe wird für die drei Klagenfurter EM-Vorrundenspiele benötigt. Danach aber wäre es viel zu groß und wird daher auf 12.000 Plätze zurückgebaut.

Diesen Prozess der kontrollierten Schrumpfung zu bewältigen ist nicht nur eine gestalterische, sondern auch eine logistische Aufgabe. Denn es wäre, so Wimmer, nicht nur „enttäuschend, wenn das Stadium nach der EM nur noch halb so groß ist“, sondern auch, wenn für die demontierten Teile keine weitere Verwendung gefunden werden könnte.

Das Stadion ist daher so angelegt, dass sich aus den Bauteilen, die nur für die EM-Spiele benötigt werden, ein zweites Stadion bauen lässt. Über einen möglichen Standort weiß Wimmer noch nichts zu sagen, für ihn zählt zunächst nur, dass es überhaupt möglich ist, diese Form von „Nachhaltigkeit“ zu realisieren. Die Wiederverwertbarkeit betrifft vor allem die Tribünen. Da sie aus Stahl konstruiert sind, können sie anderorts wieder aufgestellt werden.

Ob zur Europameisterschaft, oder danach - das Stadion steht unter einem hohen Verwertungsdruck. In der langen Rampe, die sich durch einen Park in die Zuschauerbereiche hineinzieht, sieht der Architekt nicht nur einen Naherholungsraum. Hier soll bei Veranstaltungen „Geld eingespielt werden“, etwa durch Verkaufs- oder Verpflegungsstände.

Eine Entwicklung wie in Deutschland oder der Schweiz, wo Sportstadien mit Shoppingmalls kombiniert werden um ihre wirtschaftliche Basis zu verbreitern, hält Wimmer zwar für interessant, „aber dafür hat Klagenfurt nicht das Potenzial“. Stattdessen wird dem Fußball-Kessel ein Ballsportzentrum und eine Fußballakademie zugeordnet. Diese sollen für zusätzliche Auslastung sorgen.

Finden Konzerte oder andere Veranstaltungen statt, wird der Rasen einfach abgedeckt. „Die Lösung, den Rasen wie auf einem Tablett herauszufahren um dadurch angeblich flexibel zu sein hat sich nicht bewährt“, so der Architekt.

Er träumt davon, dass sich das Stadion zu einem öffentlichen Ort entwickelt, „ähnlich einem Marktplatz“. Wenigstens zur EM dürfte dieser Wunsch in Erfüllung gehen.

5. März 2005 Der Standard

Wer zeigt uns mehr als schöne Häuser?

Bühne frei für die Nabelschau: Fünfzehn Architekten präsentieren sich auf dem „Turn On“-Architekturfestival im Radiokulturhaus. Was bringt so ein Vortragsmarathon?

Immer wieder dieselbe Klage. Zum Beispiel unlängst, anlässlich der Eröffnung der aktuellen Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Direktor Dietmar Steiner war einerseits stolz, den Architekten Ottokar Uhl wieder vom Staub der Geschichte befreit zu haben und präsentierte ihn als „Österreichs einzigen intellektuellen Architekten“, der in den Sechzigerjahren Kirchen im Industriebauverfahren und dann Wohnbauten im Mitbestimmungsverfahren errichtete. Andererseits hält er damit den heutigen Architekten vor, sie hätten, anders als Uhl, keinen Zugang mehr zur Theorie. Dasselbe sagt auch Wolf Prix, Frontman der Erfolgsgruppe Coop Himmelb(l)au, immer wieder zu seinen Studenten an der Wiener Angewandten.

Der Architekt, ohnehin unter permanentem Selbstverwirklichungsverdacht („der will sich doch bloß ein Denkmal bauen“), bekommt auch innerhalb der eigenen Szene mächtig Druck, doch bitte mehr zu können, als nur termingerecht und kostengünstig etwas abzuliefern, das Chancen hat, in die Hochglanzmagazine oder auf Seiten wie diese hier zu kommen.

Da ist es schon mutig, fünfzehn Architekten zu einem „Festival“ einzuladen, das kein Thema hat, sondern damit wirbt, ein „non-stop“-Programm zu haben. Margit Ulama, die Organisatorin, nimmt das Wagnis, Architekten über nichts anderes als ihre eigene Architektur reden zu lassen, nun schon zum dritten Mal auf sich und bittet am heutigen Samstag ins Radiokulturhaus. Wer aber schon erlebt hat, wie Kongressteilnehmer verzweifelt nach einem roten Faden suchen, der kann sich hier entspannt zurücklehnen. Aber reicht das? Reicht es, schöne Bauten in Lichtbildern vorbeirauschen zu sehen wie bei einem Amazonas-Abend in der Urania?

Die einzige Regel auf diesem Kongress für die ganze bauinteressierte Familie - es gibt auch ein Kinderprogramm - besteht darin, dass jeder nur ein einziges Gebäude vorstellen darf. Das allein aber erwies sich im vergangenen Jahr als erstaunlich hilfreiches Instrument, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Denn wer seine Redezeit dazu missbraucht, um schalltechnische Finessen auszubreiten, oder sich von einem sauber gelösten Detail zum nächsten hangelt, der mag zwar immer noch zu den guten Architekten zählen. Aber die, deren Architektur das Ergebnis eines klar entwickelten Gedankens ist, treten anders auf. Nicht unbedingt als glänzende Redner, aber doch immer als Persönlichkeiten.

Die Theorie, dieses schillernde Wesen, zeigt sich dann nicht in Querverweisen auf Foucault, Derrida oder wen auch immer. Die Architekten scheinen seit Jahrzehnten davon besessen, ihre Profession mit geborgtem Wissen anzureichern, das sich nicht selten als schiefe Metapher hinter einer schrägen Säule versteckt. Vitruv, der allererste Architekturtheoretiker, forderte zwar, dass der Architekt umfassend gebildet sein müsse. Aber dieses Wissen dient nicht zur Abschreckung, es materialisiert sich, wenn es denn vorhanden ist, in einem Gebäude, das dann so unterhaltsam zu lesen ist wie ein gutes Buch. Auf diese Verwandtschaft zielt die berühmte Stelle aus Victor Hugos Buch Notre Dame de Paris, wo mit dem Beginn des Buchdrucks das Ende der Baukunst eingeläutet wird. Nur hat das Buch die Architektur nicht umgebracht, sondern nur ärmer gemacht. In den seltensten Fällen hat sie noch eine Geschichte zu erzählen.

Das wirkungsvollste Mittel, wieder zu Geschichten zu kommen, ist die biografische Erzählung. Nicht umsonst tragen alle großen Stars der gegenwärtigen Weltarchitekturszene so schillernde, oft ein wenig erschwindelte Biografien mit sich herum. Frank Gehry saß nicht in einer selbst gezimmerten Hütte am Strand von Malibu herum, bevor er sich aufschwang, die Welt mit Stahlblechgewittern zu überziehen, sondern hatte da die erste Karriere schon hinter sich. Zaha Hadid hatte es sicher nicht leicht, als Frau und Irakerin, aber ohne die Millionen der Eltern hätte es wohl nie den großen Durchbruch gegeben.

Kommen Architekten von diesem Kaliber, und ja, Zaha Hadid ist auch dabei, dann strömt das Publikum. Zum Glück liegt der Schwerpunkt des „Turn-on“-Kongresses jedoch bei einer gut zusammengestellten Auswahl von Architekturbüros, die sich selbst behaupten müssen und durch keinen Rummel um die Person gedeckt sind.

Die Geschichten müssen also aus einer anderen Richtung kommen. Und sei es, dass die Architektur ganz bewusst Hintergrund wird. Nur das ist an diesem Wochenende nicht zu erwarten. Niemand steht derzeit unter dem Verdacht, in die Fußstapfen von Hermann Czech zu treten. Bleibt also abzuwarten, wer sein Gebäude zum Sprechen bringt und wer es besser nur in Bildern gezeigt hätte.

5. März 2005 Der Standard

Lehrräume

Im Abstand von wenigen Tagen kursierten zwei Meldungen, deren Brisanz bisher noch nicht einmal ansatzweise erfasst wurde. Zwei Wiener Hochschulen, die Technische Universität und die Universität für angewandte Kunst, erwägen eine Übersiedelung. Die TU hat das Entwicklungsgebiet Flugfeld Aspern ins Auge gefasst, lediglich das Hauptgebäude am Karlsplatz solle bestehen bleiben. Die „Angewandte“ ist mit ihren Plänen noch nicht so weit, diskutiert wird ein Neubau von Coop Himmelb(l)au im Rahmen eines ominösen „Hauses der Kultur“ auf der Wiener Donauplatte. Der bisherige Standort solle aber, zumindest in Teilen, beibehalten werden. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie Immobilienentwickler sich die Finger lecken, wenn sie an die innerstädtischen Filetgrundstücke denken, die momentan noch von beiden Institutionen gehalten werden. Merkwürdig, dass bereits Coop Himmelb(l)au als Architekten ins Spiel gebracht werden, obwohl doch (noch!) Hochschulbauten trotz Finanzautonomie zu den öffentlichen Aufgaben zählen, die durch Wettbewerbe vergeben werden. Ganz und gar unerträglich aber ist die Vorstellung, das studentische Leben mit allen seinen Begleiterscheinungen (siehe Bild) aus der Innenstadt in Retortenregionen zu verbannen.

19. Februar 2005 Der Standard

Bau und Gegenbau

Zwei extrem verschiedene neue Museen in Leipzig

Leipzig - wenn dieser Name fällt, geht seit einiger Zeit ein Raunen durch die Kunstszene. Die Leipziger Schule war schon zu DDR-Zeiten eine Hochburg gegenständlicher, aber in ihrem verschrobenen, fantastischen Realismus auch im Westen geschätzter Malerei. Zumindest bei Kritikern und Museumsleuten, die den Glauben an die große Kunst im Theorienebel der vergangenen Jahrzehnte nicht verlieren wollten. Die Meister sind zwar mittlerweile fast alle tot, aber genährt von deren Mythos erobert gerade eine neue Generation den Kunstmarkt, angeführt vom Maler Neo Rauch, dessen reklametafelhaften, aber ungleich schwerer entzifferbaren Ölgemälde unlängst auch in der Wiener Albertina zu sehen waren.

Was aber in Leipzig fehlte, war ein Museum. Nach vielen Verzögerungen konnte im Dezember ein Neubau eröffnet werden, der sich zurzeit noch nackt, ohne die endgültige Fassade zeigen muss. Nackt, aber nicht aus Budgetmangel, sondern sehr bewusst, ist auch ein zweiter, zum selben Zeitpunkt eröffneter Ausstellungsbau, die Erweiterung der „Galerie für zeitgenössische Kunst“, kurz GFZK, geleitet von der Österreicherin Barbara Steiner und errichtet von dem jungen deutsch-österreichischen Architektenteam AS-IF (Paul Grundei, Stephanie Kaindl und Christian Teckert). In einer Entfernung von 15 Gehminuten bietet die Stadt nun eine Gegenüberstellung von zwei jeweils hochkarätigen, aber von Grund auf verschiedenen Museumskonzepten. Sie zu vergleichen, trotz unterschiedlichen Anspruchs und obwohl das eine von seiner Größe her die Pförtnerloge des anderen sein könnte, heißt nicht etwa, Äpfel gegen Birnen auszuspielen, sondern kann grundsätzliche Fragen in direkter Konfrontation klären. Wo hat man das schon, dass die Architekturkritik kaum mehr geschrieben werden muss, weil sie in gebauter Form in der Nachbarschaft herumsteht?

Das größere der beiden, das Museum der bildenden Künste, wurde nach einem gewonnenen Wettbewerb von den Berliner Architekten Hufnagel Pütz Rafaelian geplant. Eine große Kiste, die zusammen mit einer niedrigeren Randbebauung einen innerstädtischen Platz auffüllen sollte. Doch vorerst steht das Museum allein und unfertig auf einer grünen Wiese, denn das Geld reichte weder für einen Überwurf aus Glas, noch fanden sich Investoren für den Ring aus Bürogebäuden, der dem Haus städtebaulichen Halt bieten sollte. Trotz allem ist es ein faszinierend ausgehöhlter Sichtbetonkubus, dessen Inneres so verschwenderisch von Lufträumen durchzogen ist, dass man sich fragt, wo denn eigentlich die Kunst abgeblieben ist. Die eigentlichen Ausstellungsräume sind mit einer Fläche von 8000 Quadratmetern zwar alles andere als bescheiden dimensioniert, wurden aber in geschlossene Betonkuben verpackt und lassen dem Schaudern über den Raum den Vortritt vor dem Staunen im Angesicht der Kunst.

Für Barbara Steiner, Direktorin der GFZK, sind das Pathosformen, die den Betrachter zu einem Winzling schrumpfen lassen. Ihr Haus soll nicht überwältigen, sondern die Kunst aus der Sphäre der Hochkultur auf Augenhöhe herunterbringen. Der Feind heißt „white cube“. Die scheinbar neutralen, weißen Ausstellungsräume, in denen seit der Moderne jede Konservenbüchse mit unwiderstehlichem Glanz geadelt wird, sind für Barbara Steiner in Wahrheit hoch ideologische Behälter.

Als unverhofft ein sächsischer Minister 2,5 Millionen Euro für einen Erweiterungsbau in Aussicht stellte, verzichtete die Direktorin auf einen Wettbewerb und entwickelte zusammen mit den Architekten von AS-IF ein Gebäude als Manifest ihrer Kritik am traditionellen Museum. Die architektonischen Ideen, die vor Jahren von Christian Teckert, einem der Mitglieder von AS-IF, zusammen mit Christof Schlegel für den damals von ihr geleiteten Kunstverein Wolfsburg entworfen wurden, sollten nun in einen größeren Maßstab übersetzt werden.

Der flache, rund 1000 Quadratmeter große Pavillon könnte, von außen betrachtet, als Schulerweiterungsbau aus den 1960er-Jahren durchgehen, so nüchtern und karg ist er auf die kleine Parkfläche neben der bestehenden Villa gesetzt, dem bisherigen Standort der GFZK. Dort gibt es die gefürchteten, weißen Rechteckräume, im Neubau hingegen keinen einzigen. Die unregelmäßigen Raumzuschnitte sind das Resultat eines verblüffenden Schiebewandsystems. Mitunter riesige Wandscheiben lassen sich mit einer Hand verschieben, wodurch immer wieder neue Sequenzen entstehen. Für jede neue Ausstellung lassen sich andere Wege, Belichtungssituationen und Raumstimmungen schaffen. Es ist kaum fotografierbar, wie sehr sich der Innenraum durch das Verschieben ändert. Der Effekt ist so dramatisch, dass nur zu bedauern ist, dass die Wände aus Sicherheitsgründen nicht von den Besuchern bewegt werden dürfen. Statt vor ewigen Wahrheiten in Sichtbeton zu erstarren, hätten sie hier die Möglichkeit, die Architektur selbst in die Hand zu nehmen.

8. Februar 2005 Der Standard

Raumwunder in der Amöbenhülle

Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron krönen den Campus der technischen Universität in Cottbus mit einer Bibliothek

Die „Verführungskraft der Form“ sei bei der Realisierung der anspruchsvollen und außergewöhnlichen Universitätsbibliothek eine wichtige Hilfe gewesen, sagte bei der offiziellen Eröffnung am vergangenen Freitag die Architektin Christine Binswanger, Partnerin bei Herzog & de Meuron.

Der 30 Millionen Euro teure Bibliotheksbau für die Brandenburgische Technische Universität wurde seit langem erwartet. Nicht nur von den potenziellen Nutzern. In den vergangenen Jahren blickte man mit banger Miene nach Cottbus und fragte sich, ob ausgerechnet in der von hoher Arbeitslosigkeit gezeichneten Region Lausitz ein neues Meisterwerk der Architekten aus Basel zu erwarten ist, die bislang noch jedes Mal die Öffentlichkeit verblüffen konnten, selten aber unter so hohem Kostendruck gearbeitet haben. Doch über einen Zeitraum von zwölf Jahren hielten die Brandenburger den Baslern die Treue.

Dass es so lange gedauert hat, erscheint aus heutiger Perspektive fast als Glücksfall. Die Architekten haben die mittlerweile längst sprichwörtlichen „Schweizer Kisten“ weit hinter sich gelassen, mit denen sie im Jahr 1993 den zweiten Platz beim Wettbewerb für einen Campus-Masterplan der Technischen Universität Cottbus belegten.

Aus der Kiste sprang plötzlich ein Gebilde, dessen gekurvte Außenform an eine Amöbe erinnert. Die dynamische Hülle sei jedoch kein Selbstzweck, versichern die Architekten, sondern aus den Bewegungsrichtungen der Umgebung abgeleitet.

Bedruckte Fassade

Inmitten eines städtebaulichen Scherbengerichts verbreitet die Bibliothek eine fast eisige Ruhe. Wie eine ondulierte Marmorklippe erhebt sich die Fassade aus einem eigens angeschütteten Hügel, denn das Glas wurde mit weißen Buchstaben bedruckt.

Ein Markenzeichen der Architekten, könnte man annehmen. Doch hier ist es mehr als ein Selbstzitat. Die unentzifferbare Buchstabensuppe antwortet auf die trügerischen Zukunftsversprechen eines Fassadenmosaiks auf der anderen Seite der Karl-Marx-Straße, das im Stile des sozialistischen Realismus den Haupteingang der Universität markiert.

Im Innern der Bibliothek herrscht jedoch kein fröhliches, nicht einmal ein unfreiwilliges Chaos, denn die Bücherregale ziehen sich in unerwartet strengen Reihen durch den gekurvten Bau. Erst hier zeigt die Außenform ihre wahre Stärke. Aus dem Zusammenprall zweier Geometrien, der frei geformten und einer strikt rechtwinkligen, entsteht ein Raumwunder, das auch denjenigen endgültig überzeugen dürfte, der bisher von Herzog & de Meuron nichts als intellektuell aufgeladene Fassadenkunst erwartete.

Die einzelnen Ebenen sind jeweils so in den Bau hineingestellt, dass sie die Aus- und Einstülpungen nie ganz ausfüllen. Dadurch entstehen Lufträume, die alle Geschoße miteinander verbinden. In den zwei- oder dreistöckigen Leerräumen befinden sich die in weiß und grau gehaltenen Leseräume. Sämtliche Bücher sind als Freihandbestand in den engeren, eingeschoßigen, aber nicht abgeschlossenen Bereichen untergebracht. Böden und Wände werden dort durch breite Streifen in Gelb, Grün, Pink, Rot und Blau gegliedert, was dem Besucher Orientierung verschafft, wie tief er bereits in den dichten Regalwald vorgedrungen ist.

Dass eine Bibliothek im „digitalen Zeitalter“ ganz andere Formen annehmen müsse, konnte in Cottbus widerlegt werden. Die elektronische Verfügbarkeit des Wissens äußert sich nur in der großen Zahl von 700 Arbeitsplätzen. Nicht nur die Universitätsangehörigen, sondern auch die Bewohner von Cottbus haben hier kostenlosen Zugang zu einer Ressource, die, das versichern die Bibliothekare, sich in der klassisch auf Papier gedruckten Form in den nächsten Jahrzehnten stärker vermehren wird als jemals zuvor. Bisher wurde noch jede Bibliothek zu klein konzipiert.

5. Februar 2005 Der Standard

Quadratur des Kreises

Der neue Tower des Wiener Flughafens ist ein Zwitterwesen zwischen Turm und Hochhaus, sein Membranbauch wird mit Projektionen bespielt.

Wenigstens von außen sollte der Turm längst fertig sein. Im vergangenen Herbst war das Baugerüst bereits verschwunden. Doch dann stellte sich heraus, dass die Firma, die zu einem verdächtig niedrigen Preis die Fassade zu errichten bereit gewesen war, nicht sauber gearbeitet hatte und noch dazu in den Konkurs gerutscht war. Also musste die Fassade wieder ausgetauscht werden. Dieser Tage verschwindet das Gerüst zum zweiten Mal. Ein leider gar nicht so seltener Fall im Baugewerbe, wo mit harten Bandagen um jeden Auftrag gekämpft wird. Architekten und Auftraggeber sind oft machtlos, weil derjenige Anbieter einer bestimmten Leistung den Zuschlag erhält, der den günstigsten Preis macht, selbst wenn allen klar ist, dass es dabei eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen kann.

Der Zeitplan bis zur Fertigstellung des neuen Flughafenkontrollturms, kurz Tower, kann dennoch gehalten werden. Markiert doch die Übersiedelung des Towers von der jetzigen Vorfeldposition in die zweite Reihe den Start der millionenschweren Verjüngungskur, der der Flughafen Wien-Schwechat in den kommenden Jahren unterzogen wird. Erst wenn der neue Tower in Betrieb geht, kann der Teil des Flughafens, wo der bisherige Kontrollturm steht, abgerissen werden, was wiederum die Voraussetzung ist, um mit dem Bau eines neuen Passagierterminals, genannt SkyLink, beginnen zu können. Kernstück der Flughafenerweiterung nach einem Entwurf der Vorarlberger Architekten Baumschlager und Eberle ist eine neue Ankunftshalle, die bananenförmig an den bestehenden Terminal 1 anschließt. Von dort gelangen die Passagiere in einen 460 Meter langen Pier, an dem auch zwei Großraumflugzeuge vom Typ Airbus 380 andocken können. An den beiden bestehenden Piers, die sich von der Abfertigungshalle wie ein gezwirbelter Schnurrbart ins Vorfeld schieben, wäre für Flugzeuge dieser Größenordnung kein Platz. Mit SkyLink steigt die Kapazität in der ersten Ausbaustufe auf 25 Millionen Passagiere pro Jahr (2004 waren es 14,4 Mio.), Fertigstellung ist Anfang 2008.

Der Entwurf von Baumschlager & Eberle umfasste jedoch nicht nur den SkyLink, sondern definierte auch den städtebaulichen Rahmen für das Büro- und Parkhausquartier nördlich der bestehenden Abfertigungshalle. In diesen Raster war auch der neue Tower einzufügen, für den ein eigener Wettbewerb stattfand, den das Architektenbruderpaar Zechner & Zechner für sich entscheiden konnte. Zu den Referenzen des überraschend jungen Teams zählt unter anderem der neue Grazer Hauptbahnhof.

Wie so oft gab das kreative Jonglieren mit den Spielregeln den Ausschlag für das Projekt. Statt den Turm mit seinem Schaft einfach in die Erde zu rammen, wurde er in einen Bürowürfel integriert, der an dieser Stelle gar nicht vorgesehen war. Aus dem Tower wurde ein Gebilde, das eher an ein Hochhaus erinnert. Nur war andererseits weder genug Programm noch ein entsprechendes Budget vorhanden, um ein richtiges Hochhaus auf allen Etagen zu füllen. Eine kommerzielle Vermietung ist wegen der extrem hohen Sicherheitsanforderungen ausgeschlossen. Es galt also, die Strecke zwischen den sechs oberirdischen Bürogeschoßen und den fünf Geschoßen des eigentlichen Towers, immerhin eine Distanz von etwa 45 Metern, mit mehr als einem simplen Betonschaft zu überwinden. Die Lösung, eine weiße Membranhaut, die mit einem Stahlskelett am Betonkern befestigt ist, transformiert die Geometrien von Sockel und Gebäudekopf. Die Form ist daher nicht „gestaltet“, sondern ergibt sich aus einer schrittweisen Umwandlung des Quadrats in einen gequetschten Kreis, der dem optimalen Blickwinkel der Fluglotsen zu den zwei Start- und Landebahnen entspricht. Dass der verhüllte Betonschaft nicht exakt in der Mitte des Bürogebäudes sitzt, gibt der schlauchartigen Membran einen zusätzlichen Kick. Je nachdem, wo auf dem Flughafengelände man sich befindet, ändert der Tower seine Gestalt. Mal wirkt er dickbäuchig und „fast schwanger“ (Architekt Martin Zechner), mal scheint er nach vorne zu kippen. Die Verkleidung, haben die Statiker aus dem Büro Lorenz errechnet, hat für die Stabilität des Turms sogar günstige Auswirkungen. Die Membranhaut ist ein Kunstgriff, sich ein Programm zu erfinden, an das zuvor niemand gedacht hat.

Demnächst werden die Projektoren in Betrieb genommen, mit denen der Tower mit Werbung oder auch Kunst bespielt werden soll. Bei Tag und Nacht. Auch an bewegte Bilder ist gedacht. Zusätzlich stehen Lampen hinter der Haut bereit, um den Tower zum Leuchtturm zu machen. Nur muss berücksichtigt werden, dass die Piloten weder geblendet, noch von einem überdimensionalen Palmers-Girl abgelenkt werden dürfen. Mit der Medienfassade wird zugleich ein symbolischer Tauschhandel abgeschlossen. Die Öffentlichkeit bekommt ein Spektakel, muss dafür aber darauf verzichten, dass der Turm betreten werden darf.

Die Schutzmaßnahmen sind dezent, aber unübersehbar. Gilt doch für den Tower die gleiche Sicherheitsstufe wie für das Flughafenvorfeld. Das bedeutet nicht nur Zugangskontrollen mit dem schaurigen Namen „Personenvereinzelung“. Es muss auch ausgeschlossen werden, dass ein sprengstoffbeladenes Fahrzeug an den Betonschaft gelangen kann. Nichts aber wäre störender als eine Mauer. Daher wurde die Zufahrt um eine Etage abgesenkt. Die Sperren ziehen sich in die Tiefe, anstatt in die Höhe. Nebenbei entstand so ein kleiner Garten, als Pausenfläche für die Mitarbeiter der Austrocontrol, die in die Büroetagen im Sockel einziehen wird. Doch das ist kein Vergleich zum spektakulärsten Raucherbalkon Österreichs, der den Fluglotsen oben im Kopf des Gebäudes zur Verfügung steht.

22. Januar 2005 Der Standard

Statt Bier lockt hier nun Baukunst

In Lois Welzenbachers Adambräu wird jetzt Architektur ausgestellt, diskutiert und gesammelt. Für die Restaurierung verantwortlich: Die Architekten Köberl, Giner und Wucherer.

Der Architektur der Moderne wird nachgesagt, sie habe den „neuen Menschen“ als idealen Bewohner ihrer Reißbrettplanungen im Visier gehabt. Das Proletariat sollte seine schmuddeligen Ketten absprengen und in den weißen Gesundheitssiedlungen einer täglichen Reinigung durch Licht- und Luftbäder unterzogen werden. Doch das Glück der Massen ließ sich weitaus schwieriger organisieren als die handfesten Wettbewerbsvorteile, die mit einem viel weniger sozialistischen Betätigungsfeld verbunden waren. Immer wieder suchten Industrielle die Nähe zu den avantgardistischen Architekten, war doch einigen von ihnen schon zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bewusst, dass ein gutes Gebäude das eigene Unternehmen in Schwung bringen kann. Nicht nur, indem das hehre Ziel „menschlicher Arbeitsplätze“ verwirklicht wird, sondern auch, weil die PR-Funktion moderner Fabriken sehr früh erkannt wurde. Eine der Ikonen der modernen Architektur, Walter Gropius' im Jahre 1911 begonnenes Fagus-Werk in Alfeld an der Leine, steht nicht zufällig an einer Bahnlinie. Der Produzent von Schuhleisten aus Birkenholz (lat. fagus) setzte auf die Werbewirkung seines Baus, sonst hätte Gropius diesen für ihn so wichtigen Auftrag wohl nie erhalten.

Auch das „Adambräu“ in Innsbruck, geplant und erbaut zwischen 1926 und 1931 durch Lois Welzenbacher, sähe wohl anders aus, wenn es nicht in unmittelbarer Nähe zu den Gleisen des Innsbrucker Hauptbahnhofs errichtet worden wäre. So aber vereinigten sich Sachzwänge und Geltungsbedürfnis zu einem weithin sichtbaren Zeichen. Das Adambräu-Areal war bereits seit dem neunzehnten Jahrhundert der Standort der gleichnamigen Brauerei. Jahrzehnte später, als Welzenbacher für einige Neubauten angefragt wurde, war der Platz knapp geworden. Ein neues Sudhaus ließ sich nur noch als Hochhaus einfügen, in dem die sonst in die Breite gehenden Produktionsprozesse vertikal gestapelt werden, ein Novum in der Brauereiarchitektur. Doch Welzenbacher hatte nicht nur die Funktionsabläufe des Brauturms im Kopf. Für das in den Zügen vorbeifahrende Publikum, alles potenzielle Biertrinker, öffnete er die Wände des Hauses, um die blank polierten Kupferkessel hinter großzügigen Glasflächen in Szene zu setzen.

Nachdem 1989 zuerst die Braukessel verkauft und schließlich 1994 das gesamte Adambräu-Gelände vom neuen Besitzer, der Linzer Brauunion, stillgelegt wurde, war die Zukunft des Gebäudes höchst unsicher. Das Land Tirol hatte es abgelehnt, den Bau unter Denkmalschutz zu stellen, obwohl die herausragende Bedeutung Lois Welzenbachers für die Tiroler Architektur der Moderne und seine prägende Wirkung als Hochschullehrer in der Nachkriegszeit längst bekannt waren. Der Zufall wollte es, dass gleich zwei Innsbrucker Architekturinstitutionen auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten waren. Das Architekturforum unter der Leitung von Arno Ritter startete eine Rettungskampagne für das Brauhochhaus und schloss sich mit dem Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck zusammen, das unter der Leitung von Professor Rainer Graefe die Nachlässe zahlreicher Tiroler Architekten verwahrt. Ritter konnte Friedrich Achleitner, der 1968 mit Ottokar Uhl eine Monografie über Welzenbacher verfasst hatte, für ein Gegengutachten gewinnen und legte gleich noch ein Nutzungskonzept vor, das vorsah, das Adambräu zum neuen Domizil für Architekturforum und Baukunstarchiv zu machen.

Der Plan ging auf. Doch erst verstrichen Jahre, in denen die Architekten Rainer Köberl, Thomas Giner und Erich Wucherer die Behörden erst mühsam überzeugen mussten, dass in dem Brauhochhaus auch Ausstellungsflächen, Archivräume, Büros und Seminarräume untergebracht werden können, ohne die Grundstruktur schwerwiegend zu verändern. Die verschiedenen Bereiche des Hauses finden jetzt zwanglos zu einer neuen Nutzung. Hinter der Glaswand befindet sich nun die „Lounge“ des Architekturforums, das sich zur Übersiedelung in „aut - Architektur und Tirol“ umbenannte. Über enge Stiegen und Stege, die sich einst um die technischen Einbauten herumschlängelten, gelangt man hinunter in die beiden Ausstellungsräume. Zur Eröffnung bleiben sie weitgehend leer. Die Ausstellung „vermessungen“ lässt dem Haus den Vortritt und beschränkt sich auf eine akustische und filmische Reise durch die Architektur.

In den darüber liegenden Geschossen zeigt sich der Bau zugeknöpft, da dort die Silos der zu Malz verarbeiteten Gerste untergebracht waren. Das enge Kammersystem aus Stahlbeton wurde mit Diamantsägeblättern chirurgisch exakt aufgeschnitten und mit Gitterrostböden unterteilt, auf denen künftig die Planschränke des Architekturarchivs aufgestellt werden. So bleibt der Eindruck erhalten, dass dieses Haus einst in senkrechter Richtung von allem durchspült wurde, was das Reinheitsgebot zulässt. Über den Silos befindet sich hoch oben auf Ebene 6 der Ausstellungsraum des Baukunstarchivs, wo derzeit aus den eigenen Beständen ein Überblick zur Tiroler Architektur gezeigt wird, bei dem natürlich auch Zaha Hadid nicht fehlen fehlen darf.

8. Januar 2005 Der Standard

Auf eigene Faust

Für ihr erstes Haus gaben sich deadline architects selbst den Auftrag und wurden zu Hoteliers

Die Spatzen pfeifen es von den Baugerüsten: Der Beruf des Architekten ist nicht mehr das, was er einmal war. Vor allem nicht in Berlin, wo sich nach der Euphorie der Nachwendejahre erst der Jammer über die konservativen Leitbilder des Stadtumbaus und seit der Jahrtausendwende dann eine lähmende Wirtschaftskrise breitmachte, die schließlich alle Architekten erfasste, ganz gleich wie modern oder auch nicht sie sich zuvor gebärdeten.

Aber die Symptome eines tiefgreifenden Wandels treten unter diesen Umständen nur besonders krass hervor. Auch in Österreich zeichnet sich ab, dass die Arbeitsbedingungen künftig andere sein werden. Architektur wird einerseits immer mehr zum Produkt, das sich jemand, der über genügend Kapital verfügt, so problemlos kaufen kann wie ein neues Auto. Immer weniger Auftraggeber sind bereit, in die Rolle des Bauherren zu schlüpfen, die traditionell mit viel Mühe verbunden ist. Sich klar werden, was eigentlich entstehen soll, in endlosen Gesprächen mit dem Architekten über die richtigen Wege zur Umsetzung zu streiten - all das wird zunehmend an Spezialfirmen ausgelagert, die damit für sich werben, dass sie nichts anderes tun, als erfahren, effizient und nervenschonend für alle Beteiligten ein Bauprojekt so einfach abzuwickeln wie einen Autokauf. Dass die Architektur bei einem so reibungslosen Verfahren leicht auf der Strecke bleibt, befürchten nicht wenige Architekten und versuchen, sich vom Ende der Befehlskette wieder ein paar Stufen nach vorne zu kämpfen. Immer mehr schreiben sich das Zauberwort „Consulting“ auf die Visitenkarten und hoffen, das an die mächtigen Projektentwickler verlorene Terrain wieder zurückzuerobern (siehe Oliver Schürer / Gordana Brandner: architektur:consulting, Verlag Birkhäuser 2004, € 24,50).

Bloß kann es gerade jungen Architekturbüros leicht passieren, dass sie zu diesem Spiel um sehr viel Geld erst gar nicht zugelassen werden. Die Zeiten, wo ein Wettbewerbsgewinn den Start ins Berufsleben markierte sind leider vorbei, da die Hürden zur Teilnahme massiv gestiegen sind und ebenso die Zahl der EU-weit antretenden Konkurrenten. Was also tun, wenn nach fünf Jahren intensivem Networking und der mittlerweile üblichen Selbstausbeutung in diversen Kunstprojekten noch immer kein Auftrag vor der Tür steht?

Britta Jürgens und Matthew Griffin, ein deutsch-kanadisches Architektenpaar mit Studienerfahrungen in Berlin (sie) und an der Architectural Association in London (er) hatten das Warten satt. Sie beschlossen, auf eigene Rechnung und Gefahr ein Grundstück zu kaufen und ihr eigener Projektentwickler, Bauherr und Architekt zu werden. In einem stark vom Klinikum Charité geprägten Teil von Berlin-Mitte entdeckten sie in einer vom Chic der Stehcafés, Galerien und Schuhgeschäfte noch weitgehend verschonten Hessischen Straße eine Lücke. Keine Baulücke im üblichen Sinne, sondern eine Durchfahrt zwischen zwei schlichten Wohnbauten der fünfziger Jahre, in der noch Reste eines Hinterhaustrakts standen. Dieser wurde im ersten Schritt saniert und für die eigenen Wohnbedürfnisse aufgestockt. Vorne an der Straße aber gab es einen neun Meter breiten Streifen, der ebenfalls bebaut werden durfte. Was heisst durfte - dort musste etwas hin, eine cash-cow am Besten, als Refinanzierung des Grundstückskaufs und natürlich auch als Visitenkarte und Referenz der Architekten. Ein Bürobau wurde diskutiert und verworfen. Aus der früheren Beschäftigung mit temporären Stadtnutzungen war die Idee noch im Kopf, dass es für die Nomaden der Neuzeit eine Zwischenform von Hotel und Appartement geben müsste, eine großzügige Wohnung für Arbeitsbesuche in einer anderen Stadt.

Also wurde „Bender“ mit acht Minilofts ausgestattet, zwei auf jeder Ebene, darüber, auf weiteren zwei Etagen, das Architekturbüro. Die zwischen 85 und 130 Quadratmeter großen Lofts können über die Webseite www.miniloft.com gebucht werden. Es gibt die Varianten „Classic“ (im rückwärtigen Altbau) oder „Ex-“ und „Introvertiert“ im Neubau, je nachdem ob man es schätzt, raumhohe Fenster auf der gesamten Längsseite der Raums zu haben oder lieber ein eher traditionelles Zimmer mit Ausblick. Die Preise scheinen im Vergleich zu Wien recht günstig, nur muss man wissen, dass der Berliner Hotelmarkt derart eingebrochen ist, dass die Differenzen zu einem 4-Sterne-Hotel minimal sind. Aber ein Hotel mit seinem globalisierten Standardkomfort ist eben etwas ganz anderes als ein Miniloft, wo auch im Neubau die Raumhöhe großzügige 3,80 Meter beträgt. Die Gäste wissen es anscheinend zu schätzen und bleiben durchschnittlich eine Woche.

Für Berliner Verhältnisse ist der Baukörper geradezu avantgardistisch. Dabei sei es ihnen doch darum gegangen, erklärt Matthew Griffin, in der Wahl der Materialien die Umgebung zu spiegeln. Die Haut aus ungeglätteten Edelstahlbahnen blitzt an den meisten Tagen des Jahres nicht frech hervor, sondern reflektiert den mehr oder minder grauen Berliner Himmel. Auch die seitlichen Aluminiumpaneele, deren Farbe der Hersteller als „Champagner“ bezeichnet, sind eine Referenz an den beigen DDR-Ton der Nachbarn.

Trotz aller Erfahrungen können sich deadline eine Zukunft als Projektentwickler allerdings nicht vorstellen. Nach „fünf schlaflosen Jahren“ sind sie froh, endlich wieder „nur Architektur“ machen zu können.

8. Januar 2005 Der Standard

Sandsackräume

Günstig, relativ schnell und vor allem dauerhaft ganze Siedlungen zu bauen ist nicht nur in Asien gegenwärtig bitter nötig. Nader Khalili hat die traditionelle Lehmarchitektur seiner iranischen Heimat in ein zeitgemäßes Bausystem übersetzt, das im November mit dem Aga Khan - Preis ausgezeichnet wurde. Seine „Superadobes“, die er auf einem Testgelände in Kalifornien in immer neuen Varianten optimiert, gehen auf eine Studie zurück, zu der ihn die NASA beauftragte: So leicht wie möglich sollten die Materialen sein, die mit zum Mond fliegen um dort eine Raumstation zu errichten. Khalili, der an der renommierten Architekturschule sci-arc in Los Angeles lehrt, schlug vor, lediglich Sandsäcke mitzunehmen, den Sand gäbe es einfach überall. Für die Anwendung auf der Erde kommt nur noch Stacheldraht hinzu, der zwischen die Ringe gelegt wird, um ein Verrutschen zu verhindern, sowie unter Umständen ein wenig Zement gegen das Aufweichen. Ein Flüchtlingscamp im Iran wurde nach seiner Methode bereits errichtet. Der große Erfolg blieb bislang aus. Khalili vermutet, dass die Millionenbeträge, die für Zeltstädte ausgegeben werden, ein lukratives Geschäft sind, aus dem er herausgehalten werden solle.

Publikationen

2023

Protestarchitektur
Barrikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023

Protestbewegungen prägen den öffentlichen Raum nicht nur durch ihre Botschaften, sondern in vielen Fällen auch durch ihre – meist temporären – Bauten. Dieser These gehen das Deutsche Architekturmuseum DAM in Frankfurt und das MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien in einem Ausstellungsprojekt nach,
Hrsg: Oliver Elser, Anna-Maria Mayerhofer, Sebastian Hackenschmidt, Peter Cachola Schmal, Jennifer Dyck, Lilli Hollein
Verlag: Park Books

2017

SOS Brutalismus
Eine internationale Bestandsaufnahme

SOS Brutalismus ist ein Notsignal. Seit den 1950er-Jahren sind weltweit Bauten bedeutender Architekten des 20. Jahrhunderts entstanden, die Ausdruck einer kompromisslosen Haltung sind. Oft, aber nicht immer, sind sie aus Sichtbeton (béton brut, daher der Begriff Brutalismus). Viele der oft kontrovers
Hrsg: Oliver Elser, Philip Kurz, Peter Cachola Schmal
Verlag: Park Books

2009

Wohnmodelle - Experiment und Alltag
Housing Models. Experimentation and Everyday Life

Die Spanne reicht vom chilenischen Sozialwohnbau zum Selbst-Weiterbauen über die Wiener Sargfabrik bis hin zu einer elitären Wohngemeinschaft in Tokio. Das Projekt Wohnmodelle. Experiment und Alltag geht anhand von elf internationalen Wohnbauprojekten der Frage nach, wie Architekturexperimente im
Hrsg: Oliver Elser, Michael Rieper, Künstlerhaus Wien
Verlag: Folio Verlag

2001

Sondermodelle. Die 387 Häuser des Peter Fritz

Peter Fritz war ein Bastler, der in seiner Freizeit Architekturmodelle entwarf und baute - doch »nicht alle Bastler sind harmlos«, wie Walter Grasskamp bemerkte. Dieses kuriose Bilderbuch für alle Kunstliebhaber und Architekturfreunde beweist diese These. Was tun mit 387 kleinen Architekturmodellen,
Hrsg: Oliver Elser, Österreichisches Volkskundemuseum, Oliver Croy