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2. Mai 2025 deutsche bauzeitung

Bürgerzentrum in Niederwerrn

Die alten Ortslagen veröden rascher denn je, gerade auf dem Land. Gebaut wird dort immer noch bevorzugt am Rand, auf der »grünen Wiese«. Die viel sinnvollere und eigentlich auch wirtschaftlichere Innenentwicklung ist mühsam, aber sie ist machbar – wie eine unterfränkische Gemeinde eindrucksvoll zeigt.

Direkt neben der Industriestadt Schweinfurt gelegen, wuchs Niederwerrn mit dieser in den letzten Jahrzehnten de facto zusammen. Seine Einwohnerzahl hat sich seit der Nachkriegszeit mehr als verdoppelt auf heute 8 300. Wie ein zu schwacher Magnet liegt sein alter Dorfkern heute ganz im Westen der Gemeinde, während der Siedlungsbrei sich gen Osten ergießt, zum Oberzentrum Schweinfurt. »Wir sind eine Schlafstadt«, gibt die Bürgermeisterin unumwunden zu. Mit der Gesichtslosigkeit des Sprawl will sie sich indes nicht abfinden.

Als 2014 auch noch die Amerikaner ihre in dieser Zwischenzone gelegene Garnison räumten, begann die Gemeinde deshalb, ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept zu erarbeiten. Das noch recht junge Schweinfurter Architekturbüro Schlicht Lamprecht Kern stand ihr dabei zur Seite. »Wir merkten bald, dass wir es mit einer sehr engagierten Verwaltung zu tun hatten«, erzählt Stefan Schlicht, der bereits 17 Kommunen bei ähnlichen Prozessen begleitet hat – und selbst aus einem fränkischen Dorf stammt. Tatsächlich setzte Bürgermeisterin Bettina Bärmann zielstrebig auf die Integration von Alt und Neu in ihrer Gemeinde. Nachdem in Bürgergesprächen deutlich geworden war, dass großer Bedarf an einem Treffpunkt für Feiern und Zusammenkünfte vorhanden war – typisch geselliges Franken – , konzentrierte sich die Planung auf ein neues Bürgerhaus.

Als Standort wählte man den Übergangsbereich vom alten Ortskern zur Nachkriegssiedlung, wo mit dem Schulzentrum, der Bücherei und einer Seniorenwohnanlage bereits Anknüpfungspunkte für einen neuen zentralen Ort vorhanden waren.

Nun aber begann das Puzzlespiel mit den verwinkelten Parzellen des alten Dorfkerns. Im persönlichen Gespräch konnte die Bürgermeisterin einige Eigentümer:innen dazu bewegen, Grundstücke zu verkaufen oder zu tauschen (oder selbst in eine Seniorenwohnung zu ziehen). Am Ende konnten ein alter Stall abgerissen, die benachbarte Scheune als Nahwärme-Zentrale umgenutzt und ein winziges Fachwerkhaus zu einem Museum werden.

Ein Haus aus Stein und eines aus Holz

Auf der Freifläche dazwischen erweiterte man einen vorhandenen Weg zu einer Abfolge aus Plätzen, die das das neue Bürgerhaus in die Mitte nehmen. Dieses Konzept nutzt geschickt den Höhenunterschied entlang des Wegs von rund 9 m, um die Plätze mittels Treppen als Bühne zu gestalten. Sowohl die Bücherei als auch die künftige Musikschule hatten den Wunsch geäußert, hier Freiluftveranstaltungen abhalten zu dürfen. Und auch der traditionelle Plantanz, eine Art Volkstanz zur Kirchweih, soll hier stattfinden.

Der städtebaulichen Körnung des Orts entsprechend, gliedert sich das Bürgerhaus in zwei miteinander verbundene, giebelständige Baukörper. »Ein Haus aus Stein und eines aus Holz,« nennt Stefan Schlicht als Motiv und verweist auf die fränkischen Hofformen der Umgebung, wo oft ein massives Haupthaus von hölzernen Nebengebäuden umgeben sei.

Dem Hangverlauf verdankt die Südseite die mächtigeren Giebelfronten: Hier liegen auf zwei Ebenen Säle (im steinernen Teil) sowie der Eingang mit Lobby (im hölzernen Teil). Auf der Bergseite im Norden befindet sich nur das ebenfalls von der Bürgerschaft gewünschte Café, das unabhängig vom Bürgerhaus betrieben wird.

Aus der gründlichen Analyse des Orts heraus ist diese Aufteilung schlüssig. Stefan Schlicht betont deshalb, wie wichtig es ist, dass Entwicklungskonzept und hochbauliche Ergänzungen aufeinander aufbauen. »Sonst wollen die Architekten nur etwas Schönes hinsetzen und gehen nicht auf den Ort ein«, meint er aus Erfahrung.

Bis ins Detail überzeugt diese Ergänzung der städtebaulichen Situation. Das großzügige räumliche Gefüge im Inneren mit einer bei gesellschaftlichen Anlässen rege genutzten hölzernen Sitztreppe an der Lobby sowie hohen, mehrseitig belichteten Sälen unter raumhaltigen Dächern zeichnet sich im Außenraum schlüssig ab: Vom Saal für Trauungen im OG führen vier Fenstertüren auf den Hauptplatz hinaus – ein beliebtes Fotomotiv bei Hochzeitsgesellschaften, aber auch für Festreden geeignet. Eine weitere Bühne für das bürgerliche Leben.

Bis ins Detail nachhaltig und prägnant

Konstruktiv geht das Ensemble beachtliche neue Wege: Der steinerne Part besteht auf Anregung der Architekten aus R-Beton, recycelt aus dem Abbruchmaterial einer nahen Talbrücke. »Das war sogar günstiger als konventioneller Beton«, berichtet Stefan Schlicht. Veredelt wird die kerngedämmte Konstruktion durch die Oberflächenbearbeitung eines Steinmetzen: Der monolithische, nur durch einzelne, sinnig platzierte Dehnfugen gegliederte Block bekam so eine neben den glatten Laibungen raue, haptische Textur. Vorspringende Stürze über den Fenstern, auf den ersten Blick vielleicht etwas eigenartig, dienen dem Schutz der Klappläden. Heiß dürfte es sommers auf dem (wegen der vielen Events und einer zentralen Zisterne für die Dachentwässerung) recht baumlosen Vorplatz werden.

Der hölzerne Part ist oberhalb des betonierten Sockels ein Holzmassivbau, aus geschosshohen Tafeln sichtbar gefügt. Statt der Lochfassaden wie im Steinbau gibt es hier in Foyer und Café große Glasflächen, die von Lärchenholzstützen gegliedert werden. Gleichartig ist auch das Schaufenster am kleinen Museumsladen vis-à-vis gestaltet, durch das man jederzeit in die Sammlung eines örtlichen Krämers gucken kann (sogar das Licht lässt sich von außen einschalten).

Auch die Ausstattung ist allenthalben handwerklich fein gearbeitet. Eschenparkett, Lamellendecken, farbig belegte Tresen, Schränke und Typografie rahmen die Räume zurückhaltend; das Mobiliar im Café stammt aus einer örtlichen Dorfwirtschaft. Während viele Läden und Lokale inzwischen geschlossen wurden, lebt hier das Dorfleben wieder auf, zu besonderen Anlässen, aber auch im Alltag.

So sollen in einem angrenzenden Altbau die Musikschule und die Kinderbücherei Platz finden. Die unten vorbeiführende Schweinfurter Straße wird verkehrsberuhigt, mehrere Häuser entlang der Straße werden unter Beteiligung der Gemeinde noch umgebaut. Eine solche öffentliche Investition ziehe in der Regel das Sechsfache an privaten Investitionen nach sich, berichtet Stefan Schlicht. Die Städtebauförderung des Freistaats in Höhe von 60 % sowie teilweise eine Leader-Förderung der EU dürften sich also auszahlen – vom praktischen und ästhetischen Gewinn für den Ort einmal ganz abgesehen.

5. Juni 2023 deutsche bauzeitung

Einkehr am Teich

Wegkapelle in den Waldnaabauen

Die Tirschenreuther Teichpfanne ist eine amphibische Landschaft aus mehreren Tausend Fischteichen, die im Mittelalter von Zisterziensern der Abtei Waldsassen angelegt wurden. Wie eine geistliche Kartierung durchziehen dieses oft unwirtliche »Stiftland« Wegkapellen und -säulen. Eine moderne Variante dieser kleinen Orientierungs- und Zufluchtorte entstand nun im Naturschutzgebiet in den Waldnaabauen.

Peter Brückner ist schon als Bub durch die »Teichpfanne« gestromert. Eine »verwunschene Landschaft« nennt er diese ausgedehnte Senke um seine Heimatstadt, wo bis heute Karpfen gefischt werden: 10 000 ha ohne einen öffentlichen Verkehrsweg! Doch viele der Teiche verlanden, der Klimawandel, aber auch Biber und Otter verändern die Landschaft.

Bis in die 80er Jahre war hier ein 470 ha großer Stausee zur Versorgung der Ballungsgebiete geplant. Naturschützern gelang es schließlich Ende der 90er, das Naturschutzgebiet Waldnaabaue auszuweisen. Hier lassen sich über 300 besonders schützenswerte Tier- und Pflanzenarten beobachten, sogar Seeadler haben sich kürzlich angesiedelt.

Mittlerweile Architekt in Tirschenreuth, erarbeitete Peter Brückner in den Nullerjahren ein Konzept zur Besucherlenkung in dem sensiblen Gebiet. Entlang der stillgelegten Bahntrasse, die mitten hindurchführt, richtete er mehrere Stationen ein, an denen die Besucher etwas über die Kulturlandschaft erfahren. Eine 20 m hohe »Himmelsleiter«, die einen Überblick über die flache Teichlandschaft ermöglicht, und ein poetisch geschwungener hölzerner Steg für Wanderer waren 2011/12 seine ersten baulichen Beiträge.

Mit kleinem Budget

Auch eine Kapelle am Wasser war von Anfang an Teil von Brückners Planungen, doch es sollte dauern, bis er sie realisieren konnte. Erst ein Förderbescheid der EU und eine erfolgreiche Spendenaktion in der Bevölkerung machten sie 2022 möglich. 270 Spenderinnen und Spender trugen weit über die Hälfte der rund 270 000 Euro Baukosten. Als Initiator und Bauherr firmierte der lokale Rotary Club. Dessen Präsident seinerzeit: Peter Brückner. Die Entscheidungswege sind bekanntlich kurz in der Provinz. Für ihn ist die Kapelle darum »ein soziales Projekt«.

Eine kleine Halbinsel an einem trockengefallenen Teich wurde zum Standort, weil hier der Baugrund nach Auskunft des Statikers »wenigstens gleichmäßig schlecht« war. Die Teichpfanne ist in weiten Teilen ein Kaolinsumpf. Der Weißton war auch der Grund, dass sich in der Gegend die Porzellanindustrie ansiedelte. Das ist allerdings auch schon Geschichte. Brückner berichtet, der Sand an den Badeseen sei stellenweise so weiß gewesen, dass sie die Ufer »Hawaii« tauften.

Ein Abfallprodukt des Kaolinabbaus, der noch stattfindet, wanderte als Zuschlag in den Beton für den Sockel der Kapelle. Die umlaufende Sitzbank und die höheren Aufkantungen strahlen daher in kreidigem Weiß (und, Achtung, sie färben auch etwas ab).

Seit Langem betrieb Brückner Studien zu historischen Wegkapellen der Region. Beim Aufmaß stellte er gewisse Regelmäßigkeiten fest, etwa dass sie meist längsrechteckig sind und dass es Ecken für die Volksfrömmigkeit gibt, wo die Besucher Gaben oder Kommentare hinterlassen können. Das übernahm er in sein Konzept, das er vorwiegend an einem Modell entwickelte.

3 x 6 x 9 m misst der kleine Bau, der schlank und hoch am Teich aufragt. Der wurde nach dem Rohbau wieder geflutet. Sein Pegel schwankt um 5-10 cm. Von den Überlaufkästen, auch »Mönche« genannt, dringt stets ein leises Gurgeln und Murmeln herüber, sonst ist es im kühlen Vorfrühling hier atemberaubend still.

Himmel und Erde verbinden sich

»Die Kapelle steht mit dem Fuß im Wasser«, sagt Brückner. Sie wächst aus dem Teichgrund, aus der Erde. Den Part des Himmels übernimmt ein Bündel aus 325 Holzbalken, jeder ebenso dick wie die betonierten Aufkantungen, nämlich 25 cm. Die Schattenfuge zwischen »Erde« und »Himmel« bilden die Flansche der umgekehrt liegenden Stahl-T-Träger, in welche die Balken eingelassen und in denen sie verankert sind. Untereinander sind die außen sägerauen, innen gehobelten Hölzer durch schräg hineingetriebene, 50 cm lange Schrauben verbunden. Das mondgeschlägerte Fichtenholz wurde eineinhalb Jahre an der Luft getrocknet, ehe es der Zimmerer zur Baustelle brachte.

Dass das Balkenbündel kein reiner hohler Zweckbau ist, deutet sich bereits beim Näherkommen an: Im beinahe haushohen Eingangsspalt springen weitere Balkenlagen stufenweise zurück. Es handelt sich also nicht um eine Hülle, sondern um einen massiven Block, aus dem der Innenraum höhlenartig herausgeschält zu sein scheint.

Natürlich setzte man beim Bau die Aneinanderreihung der Balken einfach nach innen fort und nahm beim Vorbau immer kürzere Balkenabschnitte. Die 9 m Höhe von außen, bekrönt von einem Schlitzfries für ein Geläut und für Fledermäuse, erreicht der Innenraum erst auf der Seeseite, wo ein Vorsprung des Betonsockels eine Art Altar darstellt. Hier brennen meist Kerzen, was das dritte Element ins Spiel bringt (das vierte, die Luft, riecht nach Holz und Morast). Ansonsten fällt von oben aus dem sich kaminartig verengenden Luftraum das einzige Tageslicht.

Die etwas grob und atektonisch wirkende silbrige Lage Aluminium – auf die Balken applizierte Hammerschlagplatten – intensiviert das zenitale Licht für die Andacht haltenden oder auch nur Schutz suchenden Menschen. Ihnen wird indes jeder weitere Ausblick auf die Natur verwehrt. Einkehr ist das Thema dieses Raums. Allein durch die Ritzen des im Jahreszyklus schwindenden und quellenden Holzes fällt etwas direktes Sonnenlicht. Wer den Ausblick aufs (brackige) Wasser genießen will, muss um zwei Ecken herum auf die Sonnenbank (siehe Autorenfoto).

Den oberen Abschluss des Blocks bildet eine Wanne aus Titanzinkblech, aus der drei dünne Röhren als Wasserspeier ragen. Durch Blätter von den umgebenden Birken und Erlen war der Abfluss bereits verstopft, sodass Wasser in den Innenraum drang. Die Fischerhütten in der Umgebung mit ihren weit auskragenden Satteldächern waren da pflegeleichter konstruiert. Schwarzgrau wie diese wird der Holzblock auf absehbare Zeit werden und im Waldesdunkel aufgehen.

Im Geiste der Zisterzienser

Noch aber strahlt das honigfarbene Holz über dem Wasserspiegel, der das kleine Bauwerk noch erhabener und kraftvoller scheinen lässt. Zweifellos steht die Minikirche in der Tradition der die Natur überhöhenden, ihren Eindruck steigernden Bauwerke aller Zeiten. In ihrer Schlichtheit erscheint sie indes geistesverwandt mit dem Bauethos der Zisterzienser, die als fleißig, aber bescheiden galten.

Eher unbescheiden dürfen sich im heiligen Raum die Stifter präsentieren: Blitzblanke Tafeln prangen ringsum, wo sonst eher Votivbilder und dergleichen hängen. Das mag den Stolz der vielen Wohltäter auf ihr gemeinsam vollbrachtes Werk stärken, aber der Architektur, dem Raumeindruck tut es nicht gut. Dies gehörte doch eher ins Vestibül, wo bereits das (rege benutzte) Gästebuch und sonstige Gaben liegen, oder in den Außenraum.

Die Menschen, Jogger, Radler, Wanderer, Touristen, sie frequentieren die Einkehr am Wege. »Nach der Etappe ein kurzes Gebet« notiert ein dankbarer Sportler im genannten Buch. Es ist bereits das dritte seit der Eröffnung. Zur ökumenischen Weihe des Kirchleins, die selbstredend trotz Kreuzzeichen überkonfessionell gedacht ist, wanderte viel Volk herbei; nach Tirschenreuth sind es gut 2 km; Parkplätze gibt es nur für Fahrräder.

Auch Peter Brückner radelt noch oft durch das Paradies seiner Kindheit, das er mit seinen Bauten um die Trias »Aufstieg – Übergang – Einkehr« bereichert hat. Und weitere Kleinbauten sind geplant: eine begehbare Variante des zuvor erwähnten »Mönchs« und ein Ausguck für Vogelfreunde.

4. April 2023 deutsche bauzeitung

Raffinierte Schatulle

Showroom in Bad Schönborn

Die Entwicklung des Holzbaus vom Stab zur Platte und darüber hinaus bringt es mit sich, dass selbst Ingenieurholzbauten nicht mehr auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind. Beim Showroom des Möbelherstellers ophelis lernten die Planer sogar bewusst vom Betonbau, tragwerkstechnisch wie formal: Es gibt wunderbar runde Ecken und eine dank »wilder« Spanten zweiachsig gespannte Brettsperrholzdecke.

»Unser Bauherr wollte eine Holzhalle mit möglichst wenigen Stützen. Da landet man schnell beim Fachwerkbau«, erzählt Architekt Jens Ludloff. »Doch dessen Träger geben dem Raum immer eine Richtung, die bei der Präsentation der Möbel gestört hätte.« Diese stehen hier nämlich frei gruppiert im Raum: Regale, Stellwände, Tische und Sitzmöbel bilden »Inseln«, die ein Eigenleben entfalten sollen.

So entstand die Idee der Baumstützen, die eine aus Brettsperrholztafeln gefügte Decke tragen. Obwohl diese Tafeln kreuzweise verleimt sind, dürfen sie jedoch nach DIN nur einachsig gespannt verbaut werden.

Um dem Raum damit nicht abermals eine Richtung geben zu müssen, entwickelten die Ludloffs gemeinsam mit dem Tragwerksplaner Andreas Külich eine ebenso raffinierte wie simpel aussehende Form der Unterspannung, welche die Platten erstmals längs wie quer tragfähig macht.

Schraubpressverleimte, 8 cm schmale Brettschichtholzlamellen steifen die Deckenplatte aus, die so lediglich 16 cm stark sein kann. Sie wird quasi zu einer Serie aus kreuz und quer verlaufenden Plattenbalken. Die Spanten folgen dabei in ihrer Anordnung etwa dem Kräfteverlauf in der Platte, sind aber so dimensioniert, dass es »kein Problem ist, sie in einem etwas wilderen Muster drunterzukleben«, wie sich Jens Ludloff ausdrückt. Wo die Momentenlinie auf null fällt, liegen die Stöße der bis zu 15 m langen Platten.

Schlanke Stämme, wildes Blätterwerk

Rein ästhetisch stößt sich der Purist hier etwas an dem Gegensatz von disziplinierten Baumstützen und »wilden« Spanten. Die lassen sich zwar als Blätterwerk deuten, sehen aber gerade in der Schrägsicht wirklich chaotisch und auch etwas grob aus, da sie alle unabhängig von der Länge gleich hoch sind. Erst beim direkten Blick nach oben erschließt sich in dem Hin und Her eine gewisse strahlenförmige Ordnung.

Jens Ludloff ist ordentlicher Professor für Baukonstruktion an der Uni Stuttgart. Ihm liegt das materialübergreifende »Querdenken«, wie er es nennt, und er lernte in diesem Fall vom Betonbau, bei dem Plattenbalken ja häufig vorkommen, wenn auch nicht kreuz und quer. Dass sein Werk hier am Ende eine spielerische Note bekommen hat, schmälert die wie gewünscht richtungslose und auf jeden Fall extrem materialeffiziente Lösung nicht.

Verpackt und zugleich gestützt wird dieses formschöne, aber in sich noch nicht stabile Raum-Tragwerk von einer tragenden Außenhülle. Statisch besteht sie aus einem Kranz eingespannter Stützen im Format 8/20 cm, auch sie aus Brettschichtholz. Da dieser recht eng getaktete Kranz bis über die halbe Höhe (ca. 3 m) von einer Stülpschalung beziehungsweise innen von lasierten Dachlatten bekleidet ist, trägt er einen Teil der Deckenlasten und steift die gesamte Konstruktion aus.

Aus Beton ist hier lediglich die Bodenplatte. Trotzdem umkurvt diese Außenhaut die 910 m² große Halle so elegant organisch, dass einem sogleich Hugo Häring mit seinen Rundungen wie z. B. beim Gut Garkau in den Sinn kommt. Schon der Zugang über eine enge Rampe macht es spannend, bis sich der Schneckengang zur Halle weitet. Sehr gelungen ist hier die in die zweite Leitwand integrierte Garderobe.
Dahinter liegt der größte der insgesamt drei angegliederten Konferenzräume. Um ihn, der als einziger mit zum Hallenvolumen gehört, stützenfrei zu gestalten, ließen die Planer die eigentlich hier nötige achte Stütze weg und legten die Deckenplatte auf die Saalwand auf. Folglich wäre das »Blätterwerk« an dieser Stelle überflüssig. Um der Einheitlichkeit willen beließ man es und hängte ‧eine leichte Lichtdecke darunter ab.

Daneben docken in einem niedrigeren Quader weitere Räume für Meetings samt Küche und Toiletten an, doch liegen sie auf der Rückseite und zum betongrauen Altbau der Verwaltung hin ausgerichtet. Die Hauptansichten stört das untergeordnete Volumen nicht.

Ausnahmeerscheinung im Gewerbegebiet

Sehr ruhig und nobel bieten sich die übrigen Fassaden des trotz seiner rund 40 m im Karree unscheinbaren Baukörpers dar: Wie eine Schatulle wirkt er, deren flacher Deckel schmal auf einem umlaufenden Oberlicht aus Polycarbonat-Stegplatten ruht. Dass hinter dem Fensterband ein Großteil der Deckenkonstruktion verborgen liegt, enthüllt erst die nächtliche Beleuchtung, die den oberen Bereich etwas weniger hell erscheinen lässt.

Die vertikale Stülpschalung der Fassade ist aus Lärche, geölt und mit Eisenoxid geschwärzt, weshalb erst bei wirklich näherem Hinsehen (was die sie flankierende Bepflanzung mit Gräsern verhindert) die Materialität deutlich wird. Die Verarbeitung, auch der blechernen Attika, könnte an manchen Stellen besser sein. Die Ludloffs durften von Berlin aus nur die Leistungsphasen 1–5 übernehmen.
An diesem ringsum wild mit Discountern und Gewerbebauten zugestellten Nichtort zwischen Heidelberg und Karlsruhe zählt aber letztlich nur die geschützte Binnenatmosphäre des Gebäudes – darum auch das opake, 6 cm dicke Polycarbonat weit oberhalb der Augenhöhe des Betrachters. Angenehmes, diffuses Tageslicht verbreitet es, das durchaus noch die unterschiedlichen Himmelsstimmungen, aber ansonsten nichts vom Umfeld erkennen lässt. Sechs runde Oberlichter lassen etwas Zenitallicht einfallen und beugen als Lüftungselemente zudem sommerlicher Überhitzung vor.

Das Gebäude hängt übrigens am Nahwärmenetz der Möbelfabrik, das per Bauteil-Aktivierung den Betonboden durchströmt. Sollte der Leichtbau sommers doch stärker aufheizen als erwünscht, lässt er sich auf diesem Wege auch kühlen.
Die zumeist matt-weiß lasierten Oberflächen an den Wänden der Halle kontrastieren mit erdigeren Farbtönen in den Abteilungen, die mit der jeweiligen Möblierung harmonieren sollen. Einfache Dachlatten auf Textilbespannung im Rund der Halle sowie feine vertikale Leistenelemente im Konferenzsaal sorgen für eine gedämpfte Akustik. Der zerklüftete Plafond der Deckenkonstruktion dürfte den Hall zusätzlich reduzieren.

Während bei Tage diese Zerklüftung durch das diffuse Rundumlicht gemildert wird, betonen abends direkt an den Kanten der Spanten angebrachte lineare Leuchtkörper deren Plastizität: »Schattig wie im echten Wald« nennt das Jens Ludloff. »Wir wollten keine einheitliche Lichtsoße wie im Büro.«

Und woher hat er den Hang zur stromlinienförmigen Moderne, die auch in anderen Werken des Büros deutlich wird? »In der Jugend war ich mal in Miami«, sagt er, »und Flugzeugkonstruktionen fand ich schon immer spannend.«

ausgeklügelt und vorgefertigt

Ganz up to date ist indes der Grad an Vorfertigung des Gebäudes. Die besonders in der Seitenansicht und bei 14 m Abstand voneinander außer‧ordentlich schlanken Pendelstützen kamen in je zwei Teilen, die wie Bumerangs aussahen, auf die Baustelle. Am Fußpunkt messen sie 8 x 12 und am Beugepunkt 12 x 26 cm.
Sind die nicht allzu dünn? Tragwerksplaner Andreas Külich beruhigt: »Oben an der Decke sind sie über große Stahlteller kraftschlüssig mit der Brettsperrholzplatte verbunden, sodass ein stabiles Dreieck entsteht, wie bei der Fachwerkbauweise.« Möglich war das auch, weil die Deckenplatte extrem dünn ist und die Dachbegrünung nur extensiv. Ingenieurwissen und Gestaltung, es greift eben alles ineinander.

Kein white cube, sondern ein stimmiger »atmosphärischer Hintergrund«, wie es Jens Ludloff ausdrückt, umgibt die Kollektionen. Dem 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählenden Möbelhersteller ophelis, zuvor noch recht gediegen als Pfalzmöbel benannt, scheint der Showroom gutzutun. Vor Ort hört man nur sehr zufriedene Stimmen.

29. Januar 2023 deutsche bauzeitung

Mitte statt Mälze

Offener Dorftreff »Alte Mälze« in Lauterhofen

Die ländliche Oberpfalz tut sich bereits seit einigen Jahren mit wegweisender Architektur hervor. Maßgeblich trieb das der unlängst verstorbene Architekt Johannes Berschneider voran. In einem kleinen Marktort 40 km östlich von Nürnberg gelang seinem Büro nun die Verwandlung eines frühen Industriedenkmals in ein multifunktionales Gemeinschaftshaus.

Das als Mälzerei bekannte Baudenkmal stammt wie der benachbarte Gasthof und das schräg gegenüberliegende Rathaus aus dem 16./17. Jahrhundert. Erst nach dem Einbau des markanten Trockenturms im 19. Jahrhundert lieferte es das für die regionstypische Bierbrauerei benötigte Vorprodukt.

Einer der wenigen erhaltenen seiner Art, bot der kleine Giebelbau am Eingang zum Marktplatz von Lauterhofen zuletzt einen traurigen Anblick: Wasserschäden und Mauerwerksrisse waren so gravierend, dass der Eigner einen Abbruch erwog – als Ersatz war bereits eine Doppelgarage geplant. Dann jedoch kamen mehrere günstige Umstände zusammen, die schließlich zur Rettung der Mälze führten. In einem städtebaulichen Entwicklungskonzept hatte sich Lauterhofen die Stärkung der von Leerstand geplagten Ortsmitte vorgenommen, und der neue Bürgermeister suchte nach einem Pilotprojekt.

Architekt Johannes Berschneider aus dem nahen Pilsach kannte die Situation vor Ort und trat 2014 mit ersten Skizzen für eine Umnutzung der Mälze zum Kulturtreff an den Rat heran – unentgeltlich. Als diese Anklang fanden, wurden Mittel aus der Städtebauförderung und dem europäischen Regionalentwicklungsfonds aufgetrieben, sodass die Gemeinde die Mälze erwerben und Berschneider mit dem Umbau beauftragen konnte.

Die Kunst der Fuge

Seit den Pioniertaten des Diözesanbaumeisters Karljosef Schattner im gar nicht weit entfernten Eichstätt gilt hierzulande eine Herangehensweise als denkmalgerecht und zeitgemäß, die Vorgefundenes nach Möglichkeit bewahrt, historische Spuren offen legt und das neu Hinzugefügte klar ablesbar, ja sogar rückbaubar gestaltet.

Diese »Kunst der Fuge«, sie wurde also auch hier angewandt, und zwar ‧meisterhaft. War die tragende Konstruktion erst einmal stabilisiert, einige Balken an Dachstuhl und Fachwerkgiebel ausgewechselt, die maroden Decken entfernt, bot sich eine schon recht offene, bespielbare Struktur dar. Nur 14,80 x 7,20 m misst der leicht verzogene Grundriss, und natürlich genügten weder Deckenhöhen noch interne Erschließung der geplanten Nutzung mit Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten, Workshops und VHS-Kursen.

Also sortierten die Architekten den Innenraum komplett neu, beginnend im Keller. Um hier überhaupt stehen zu können, wurde der Fußboden tiefer gelegt, bis man auf den anstehenden Jura-Fels stieß. Der blieb am Rande des neuen Fliesenbodens sichtbar. Eine robuste Einbauzeile kam seitlich unter der Schräge des rauen, frisch verfugten Gewölbes hinzu, sodass hier auf immerhin 66 m² auch schmutzig gewerkelt werden kann. Das Gewölbe durchstößt am Ende eine gewendelte Treppe aus Schwarzstahl, dem Material, das in bester Schattner-Tradition auch hier den Ton angibt, nur punktuell – und mit Abstand – im alten Mauerwerk verankert.

Auf dem Gewölbe ruht das EG, das übrigens als einziges Geschoss barrierefrei direkt von der Straße aus erreichbar ist. Auch dieser Raum ist so pur wie möglich erhalten: Die Wände in weißem Kalkputz authentisch krumm geschlämmt, die Öffnungen präzise gefasst, teils mit Blechen aus geöltem Schwarzstahl, und fest verglast. Selbst in den Boden ist eine Glasplatte eingelassen, die Einblick in den Kreativkeller gewährt und etwas Tageslicht ins UG bringt.

Der neue Estrich ist mit einem Dreischicht-Eichenparkett belegt. Als ruhiger Plafond kultureller Darbietungen dient ein Schwarzstahlgehäuse, das die einläufige Treppe zur Galerie, die Garderobe sowie einen Lagerraum mit integriertem Heizkörper aufnimmt.

Die Installation der Heizung im Haus geschah sehr individuell: Neben den – auch zur Trockenhaltung des Mauerwerks nötigen – Heizschlangen in den Wänden gibt es an ein paar Stellen sichtbar verlegte Stahlrohre mit altmodischen Ventilen. Die kleine, mit Gas betriebene Heiztherme sitzt versteckt im Gewölbe des Mälzturms. Die für Aufenthaltsräume nötige Luftwechselrate wird über vorhandene kleine Luken erreicht.

Offenes Gebälk und stählerne Einbauten

Offen ist der Hauptraum im EG, der für 30 Personen zugelassen ist, auch nach oben. Von der früheren Zwischendecke sind nur noch die Querbalken erhalten. Auf diesen liegt, mit einigem Abstand zur Außenwand, die Galerie auf – auch wenn man meinen könnte, sie sei über das stählerne Geländer von den Sparren des Dachs abgehängt. Tatsächlich waren diese Stahlstreben nur nötig, weil die Galerie auf dem vorhandenen Gebälk zu stark in Schwingung geriet.

Ebenfalls auf den alten Deckenbalken ruht die komplett stählerne Toilettenbox, die von den Metallbauern komplett vorgefertigt und zum Einbau wieder demontiert wurde. Sie hält nach allen Seiten gebührenden Abstand. Wie an manch anderen Stellen kollidiert die Kunst der Fuge hier mit den berechtigten Interessen der Reinigungskräfte, die z. B. die gläserne Rückwand des Waschraums demontieren müssen, wollen sie das kleine Fenster dahinter putzen. Auch das Riffelblech der Böden mag mühsam zu reinigen sein. Fast ein wenig zu detailverliebt auch die raffinierte Waschtisch-Lösung in Form eines Bierfasses mit Kupferbrause.
Der Denkmalschutz ließ die Architekten gewähren. Und auch das Thema Brandschutz und Fluchtwege wurde in diesem überschaubaren Bau unverkrampft gehandhabt. So fügen sich etwa die Treppen sehr schmal ins vorhandene Gebälk – da müssen Entgegenkommende halt warten.

Unterm Dach, in dem die einläufigen »Gangways« schließlich enden, schuf man im Gebälk einen archaischen kleinen Sitzungssaal mit langer Tafel und Blick auf das – früher auch außen prägende – Fachwerk. Auch hier umgibt ein Geländer die neue Plattform, deutlich abgerückt von den alten Sparren, auf denen übrigens ein Kaltdachaufbau ausgebildet werden durfte.
Ganz anders schließlich zeigt sich der Charakter des »Allerheiligsten« im Haus, dem Mälzturm.

Separee im Turm

Er durchquert alle Etagen und mündet überm Gewölbe in einem neu entstandenen Oberlicht, das den gemauerten Kamin bekrönt. Dieser ungefähr quadratische, stark vertikale Raum wird als »Lounge« bezeichnet. Auf teils wiederverwendeten, teils neuen Ziegelplatten können sich hier kleine Gruppen besprechen oder auch nur die fast sakrale Höhe auf sich wirken lassen. Ein neuer schlichter Kronleuchter – aus Schwarzstahl – hängt unter der Decke. Die nun verglasten früheren Lüftungsöffnungen der Darre lassen etwas Licht hereinfallen.

Aus dem bemitleidenswerten baulichen Relikt in der Ortsmitte von Lauterhofen ist nach der Neugestaltung ein Blickfang geworden. Wer sich von Süden dem Marktplatz nähert, schaut direkt auf den nun weißen, von einem dezenten Dämmputz überzogenen Giebelbau mit seinem großen, stählern gefassten Fenster, das leicht aus der Mittelachse gerückt ist und sich nicht abdunkeln lässt. Wie schon der Turmraum im Inneren hat auch die zeichenhafte Fassade aus Giebel und Turm etwas von einer Kapelle. Die eigenartige, das Oberlicht bergende neue Turmhaube scheint den barock geschwungenen Zwiebelturm der Kirche vis-à-vis zu grüßen.

Doch geht es im Treffpunkt »Alte Mälze« keineswegs devot, sondern bunt und vielfältig zu, von Feiern über Theaterproben bis zum trendigen Coworking – die Gemeinde ist für fast alles offen. Andächtig verharrt indes manch einer im Zwiegespräch mit der so sorgfältig herauspräparierten Geschichte, der nun eine ebenso feine wie robuste, bespielbare Schicht hinzugefügt wurde. Bleibt zu hoffen, dass dieses Pilotprojekt ausstrahlt auf Ort und Region.

17. Januar 2022 deutsche bauzeitung

Speicher hinter Speichen

Fahrradparkhaus in Nürnberg

Im Wettstreit der Städte zählt die Infrastruktur fürs Fahrrad zu den Standortfaktoren, auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich hier noch eher wenig punktet. Das Fahrradparkhaus in Nürnberg ist das erste in der Stadt und soll in dieser Hinsicht ein Zeichen setzen. Es zählt zwar zu den kleineren dieses noch recht neuen Bautyps, seine gut durchdachte Architektur aber kann sich sehen lassen.

Hinterm Bahnhof, das ist normalerweise keine gute Adresse. Auch der prächtige neobarocke Hauptbahnhof in Nürnberg, der Zahl seiner Gleise nach der größte Europas, bot auf der Rückseite lange nur einen öden Parkplatz. Doch seit einiger Zeit bemüht sich die Frankenmetropole um ein ansehnlicheres Bahnhofsumfeld. Vorn hat Max Dudler gerade anstelle der Hauptpost zwei wuchtige Hotel-Blöcke hochgezogen, und hinten entstand nach Plänen von Rainer Schmidt ein einladender Grünraum am Übergang zur Südstadt, der Nelson-Mandela-Platz.

Zwischen diesem recht offen gestalteten Platz und dem Gleiskörper, flankiert vom alten und dem neuen Südausgang des Bahnhofs, sah die Stadt auf eigenem Grund ein Fahrradparkhaus vor, das erste in der Halbmillionenstadt. Wie viele andere Städte wollte man damit das ausufernde Wildparken der Radler um die Station eindämmen, das immer mehr zu einem Problem v. a. für Fußgänger, aber auch für die Rettungskräfte wurde. Außerdem galt es, den Haltern immer hochpreisigerer Drahtesel ein Angebot zu machen, diese für eine geringe Gebühr sicher und trocken unterstellen zu können.

Experimentieren mit dem noch neuen Bautyp

Das noch recht junge ortsansässige Büro SRAP Sedlak Rissland Architekten Partnerschaft bewarb sich mit einem Vorschlag samt Kalkulation und bekam daraufhin den Auftrag für das Projekt. Vorbilder für den Bautyp gibt es inzwischen viele, allein in Nordrhein-Westfalen existieren bereits an die 100 »Radhäuser«. Anders als etwa in den Niederlanden, wo die Bahn selbst die Infrastruktur vieler »Bike & Ride«-Angebote steuert (immerhin kommen 46 % ihrer Kundschaft mit dem Rad), fängt man bei uns vielerorts ständig neu an zu planen. Das ist schön für die Planenden, doch vielleicht nicht immer die effizienteste Herangehensweise. »Allein die Raster der Einzel- und Doppelstockparker bilden eine verbindliche Vorgabe«, sagt Architekt Robert Sedlak.

Der Abstand der beiden Bahnhofstunnels beschränkte die Länge des Bauwerks auf 112 m. Die Höhe des Bahndamms, dem man sich unterzuordnen hatte, schloss eine mehrgeschossige Anlage aus. Am Ende der Überlegungen stand also ein streng lineares einstöckiges Raumkonzept: 6 m breit, 3 m hoch, bietet die Stange mit einer Kombination aus Einzel- und Doppelparkern 399 Stellplätze, darunter auch Plätze für Lastenräder und zwei Servicecontainer sowie Reparaturmöglichkeiten.

Filigrane Platzfassade mit Moiré-Effekt

Den Bahndamm im Rücken, orientiert sich das Gebäude ganz auf den Platz nach Südsüdost. Die Architekten lösten diese einzige Fassade ihres »Fahrradspeichers« in eine prägnante, gut wiedererkennbare Stahlstruktur auf, die sich aber nicht aufdrängt. Motivisch macht sie Anleihen bei der typischen Speichenstruktur eines Fahrrads: Hinter den senkrechten Rundstählen folgt innen eine zweite Reihe gleichartiger, doch schräg stehender Streben.

Da die senkrechten Stäbe im Abstand planmäßig zwischen 30 und 45 cm variieren, wandern die Überschneidungen der zwei Stützenreihen in einer Sinuskurve auf und ab. So entsteht – zumindest bei entsprechendem Lichteinfall – ein reizvoller Moiré-Effekt, der die lange gleichförmige Front belebt. Gleichwohl wird das Gebäude als ruhige Raumkante im naheliegenden Stil etwa eines Bahnsteigs wahrgenommen. Wer seinen besonderen Zweck nicht kennt, könnte daran vorbeifahren, ohne es bewusst wahrzunehmen.

Leichte elementierte Stahlkonstruktion

Wenn es nach den Architekten gegangen wäre, hätten sich an den Stäben auch von außen Fahrräder anschließen lassen. Bei den zwei Fassadenschichten sollte es jedoch nicht bleiben: Die auch schlüssig um die Ecke gezogene Gitterstruktur gewährleistete zwar den gewünschten Diebstahlschutz, doch die Stadt Nürnberg als Bauherrin wollte offenbar mehr Kunden im statt am Gebäude sehen und verlangte als Finish das engmaschige Drahtgeflecht aus Edelstahl, das dieses kostenlose Anketten unterbindet. Da kannte sie offenbar ihre Bürger recht gut. Doch davon später.

Statischen Halt in Querrichtung geben dem Quader die in der betonierten Bodenplatte im Abstand von 5,50 m eingespannten Stahlstützen auf der Rückseite. Auf diesen rechteckigen Hohlprofilen sind Deckenträger mit Doppel-T-Querschnitt aufgelegt und verschraubt. Sie kragen ein ganzes Stück über die ebenfalls tragende Platzfassade hinaus und werden dort von weißen Blechpaneelen verhüllt. Das gibt der Fassade Plastizität und Tiefe und sorgt zugleich für den nötigen Sonnenschutz.
Im Inneren ist es durch das indirekt einfallende Sonnenlicht angenehm hell ohne Blendeffekte. Außen unmittelbar am Gebäude wären auch Sitzgelegenheiten denkbar. Allerdings wurden im Rahmen der Platzgestaltung recht wuchtige Holzbänke von der Fassade abgerückt aufgestellt. So dient die geschützte Zone entlang der filigranen Front eben als trockener Fußweg zwischen drinnen und draußen.

Hinter der eingerückten Aufkantung, auf den tragenden Trapezblechplatten, ist das Dach extensiv begrünt. Die weiße Lackierung mag für die Stahlteile eine etwas empfindliche Wahl sein, doch blieb die Struktur bislang von Vandalismus verschont. Nur etwas Rost und Staub sind schon zu sehen.

Zugänge gibt es an den Stirnseiten des Baus, zusätzlich einen in der Mitte – sonst wären die Wege gar zu lang. Leider konterkarieren die wuchtigen Zugangsticketautomaten die Leichtigkeit der Konstruktion ein wenig. Doch ohne Magnetkarte bleibt das Gebäude verschlossen. Für 70 Cent am Tag (oder 7 Euro im Monat bzw. 70 im Jahr) lässt einen die Schleuse mit dem Drahtesel passieren, ein fairer, durchaus üblicher Preis. Dank Automatik ist die Anlage rund um die Uhr zugänglich, LED-Lichtbänder für den Nachtbetrieb sind in die Decke eingelassen. Videokameras ersetzen den Hausmeister. Den Betrieb organisieren hier die städtischen Verkehrs- und Parkhausbetriebe.

Fremdeln mit dem neuen Angebot

Auch wenn die Technik offenbar schnell und zuverlässig funktioniert, wird der im September 2020 eröffnete Fahrradspeicher bislang erst zögerlich angenommen. Kaum zu einem Viertel voll waren die – übrigens einigermaßen übungsbedürftigen – Parkgestelle an einem normalen Werktag im November. Die Presse schreibt bereits, das alles in allem 1,5 Mio. Euro teure Parkhaus sei ein »Flop«. Denn draußen stehen indes viele Räder wie eh und je an Bäumen und Laternen.

Doch dieses anfängliche Fremdeln mit der ein wenig umständlicheren Art der Aufbewahrung ist aus anderen Städten bekannt. Sogar die Niederländer müssen für die Stationen mit dem Slogan werben: »Dein Rad will nichts anderes mehr«. Die Architekten selbst jedenfalls bekamen schon die Anfrage aus der Nachbarstadt, eine weitere, ebenso robuste wie elegante Anlage dieser Art zu planen.

9. August 2021 deutsche bauzeitung

Spätmoderne – gelüftet und geliftet

Neustadt a. d. Waldnaab: Umbau des Gymnasiums

Nichts ist so nachhaltig wie der Umbau gebrauchter Substanz, das gilt natürlich auch im Schulbau. Brückner & Brückner öffneten in der Oberpfalz einen etwas dämmrigen, aber funktionalen Rasterbau, wie vom Büro gewohnt auf handwerklich sehr solide Weise. Was sie dem Betonkomplex an schmückendem Beiwerk hinzufügten, ist indes diskussionswürdig.

Seit über 20 Jahren gelingen den Brückner-Brüdern in der Oberpfalz und in Mainfranken Umbauten von großer Prägnanz. Gerade erst errang das inzwischen 60-köpfige Team eine Auszeichnung beim Deutschen Architekturpreis für die in einem alten Kloster eingerichtete Musikakademie in Hammelburg und eine weitere beim Deutschen Städtebaupreis für die Umgestaltung der Fronfeste im heimischen Tirschenreuth zum Lernort. »Wurzeln und Flügel« überschrieb das Büro kürzlich treffend den Rückblick auf sein Schaffen, das tatsächlich einen frischen Wind in die abgelegene Gegend bringt, die so reich ist an historischen Relikten und doch oft unfähig, Geschichte weiterzuerzählen. Das wollen die Brückners, respektvoll, doch mit zeitgenössischen Mitteln.

Schwieriger wird es, wenn das Umzubauende selbst noch fast zeitgenössisch ist: Das Gymnasium in Neustadt an der Waldnaab wurde 1977 nach Plänen von Georg Rembeck, Xaver Bogner und Ferdinand Hasl fertiggestellt. Oberhalb der Kleinstadt im Wald gelegen, ist es ein funktionaler, doch recht düsterer dreigeschossiger Rasterbau, mit rauen Betonelementen verkleidet.

Nach 40 Jahren Nutzung stand eine Renovierung an: zu tiefe, darum dämmrige Räume, kein ausreichender Wärme- und Brandschutz, veraltete Technik, undichte Dächer, zum Glück kein Asbest. Eine Schwarzbrot-Aufgabe, eigentlich. Aber für Brückner & Brückner, die den Auftrag 2017 im VOF-Verfahren bekamen, musste offenbar ein ästhetischer Mehrwert dabei sein, ein Erkennungs-, ein Markenzeichen. Doch der Reihe nach.

Befreien und veredeln in drei Etappen

Der um zwei Atrien gruppierte, in alle Himmelsrichtungen ausgreifende Komplex erlaubte eine Sanierung in drei Abschnitten. Der Umbau gelang damit im laufenden Betrieb, was den rund 600 Schülerinnen und Schülern eine Zeit des Lernens in Baracken und dem klammen Landkreis als Bauherrn Kosten ersparte. Der bislang fertiggestellte erste Bauabschnitt lässt Art und Duktus der Sanierung erkennen.

Zunächst befreite das Team die zentrale Aula, die zugleich als Foyer und Verteiler dient. Der niedrige, von einer zeittypischen Akustikdecke schier erdrückte Raum ist nach dem Umbau kaum wiederzuerkennen: Die Decke zum ersten OG wurde geöffnet, sodass eine Galerie nun bei Darbietungen doppelt so vielen Gästen Platz bietet wie zuvor. Auch die Akustik hat gewonnen, was für den musischen Zweig der Schule wichtig ist. Über dem Ganzen spannt sich eine opake Lichtdecke, deren Helle wegen des darüberliegenden Klassentraktes zwar kein Tageslicht, doch ein täuschend ähnliches LED-Spektrum verstreut, sodass Aula wie Galerie angenehm zentriert und wohnlich wirken. Dazu trägt auch bei, dass die steinernen Sitzstufen durch hölzerne ergänzt wurden. Das fast etwas rustikale Finish in Eiche kontrastiert mit dem durchgängig weißen Putz und zieht sich so durchs Gebäude.

Vom nun recht hellen Zentralraum zweigen im Split-Level-System die Flure ab. Sie sind immer noch lang, doch befreite man sie wenigstens von den Fenstern am Schluss und ersetzte diese durch eine vollflächige Pfosten-Riegel-Verglasung. Die zeittypischen Fliesen an den Wänden schlug man ab und tünchte das freigelegte Mauerwerk weiß. Im Schulbau umstritten, hält sich die Nicht-Farbe bislang gut. Anstelle der Garderoben gibt es jetzt hölzerne Sitznischen für die Pause und (mittlerweile meist verhängte) Einblicke in die Klassenräume. Auch die bekamen große, teilweise zu öffnende Fensterelemente mit Rahmen aus Eiche (außen aus dunkel eloxiertem Aluminium). Allein dadurch und durch die Dämmung der Heizkörpernischen genügt die Konstruktion nun der EnEV. Natürlich wurden auch die Dächer saniert und die Heizung umgestellt auf Hackschnitzel.

Die für heutige Verhältnisse großzügigen Räume behielten ihren Zuschnitt und wurden nur durch tiefe hölzerne Paneele, hinter denen die Lüftung verschwindet, und eine schlichtere Akustikdecke mit eingelassenen LED-Leuchten veredelt. Was für ein Kontrast zum abwischbaren Kunststoff-Finish der 70er Jahre mit apfelgrünen Türblättern und orangefarbenen Laibungen!

Während die lebhaft strukturierten Steinböden in Fluren und Foyer – die Oberpfalz ist bekanntlich »steinreich« – nur aufgearbeitet werden mussten, liegt in den Klassenzimmern nun ein fast schwarzes Linoleum, das die ohnehin schon gediegene Stimmung weiter dämpft. Selbst die Heizkörper wurden schwarz lackiert.

Spiegel und Glitter am rauen Beton

Die 70er Jahre überdauern nun eigentlich nur noch außen am Gebäude, wo die charakteristische Betonfassade nicht wie so oft hinter einer Dämmschicht verschwinden musste. Ihre raue, gebrochene Streifenstruktur mit fast barock anmutenden Aussparungen über den Fenstern wurde einfach gereinigt, die Fugen zwischen den Elementen neu abgedichtet.

Doch auch hier gab es wesentliche Eingriffe. Gleich am Entree, an der Nordwestfassade, trifft die symmetrisch gefasste neue Freitreppe von der Bushaltestelle auf ein komplett geliftetes Gesicht: Wo bislang ein quer liegender Klassentrakt den direkten Zugang zur Aula versperrte, empfängt nun ein neues, breites Eingangsbauwerk.

Zwei zusätzliche Fluchttreppen, vom Brandschutz gefordert, nutzten die Architekten, um den neuen Eingang zu rahmen. Den geradezu monumentalen Effekt dieser Eckrisalite steigert der Materialkontrast: Während die zurückgesetzten schweren Eichentüren bereits Einblick in die Aula gewähren, verschwinden die Treppen hinter einer verspiegelten Fassade aus Alu-Verbundglas, die bis um die Ecke an die Schnittstellen des abgebrochenen Klassentrakts reicht.

Man mag dies einen gestalterischen Kunstgriff nennen: Entmaterialisierung durch scheinbares Verschwinden der Baumasse – zumindest ältere Architekten kennen noch die Argumentation, mit der meist kommerzielle Bauprojekte etwa in Altstadtlagen Akzeptanz finden sollten. Letztlich blieben die meisten dieser glatten Kisten aber fremd und alterten früh, von der aseptisch-hermetischen Ausstrahlung mal abgesehen. Die verspiegelten Rasterfassaden, auch unter dem Energie-Aspekt problematisch, blieben – zum Glück – ein Phänomen der Spätmoderne.

Instagrammable, aber dauerhaft?

Nun also ein Schulbau in diesem Kleid. Schüler, nach ihrem Urteil befragt, finden es »cool«. Vielleicht entspricht das Spiegelkleid sogar einer Generation der Selfies, die viel mit den Facetten ihres Selbstbildes beschäftigt ist? Rein baulich wirft die ungeschützte Haut hier aber Fragen auf, nach Dauerhaftigkeit (lässt sich da ein Fußball dagegen kicken?), Vandalismus, Vogelschlag.

Zumindest letzterer scheint bislang kein Problem zu sein. Der Naturschutz wurde an der Planung beteiligt. Auch Schäden sind nach einem Jahr Gebrauch keine zu sehen. Das kleine Gymnasium auf dem Land ist kein sozialer Brennpunkt, sondern eine gut geführte, für ihr Engagement mehrfach ausgezeichnete Einrichtung. Stapft man zur Schule durch den Wald, schallt einem fröhliche, handgemachte Musik entgegen.

Verzierter Beton: Ästhetisierung eines Alltagsbauwerks

Rein ästhetisch gibt das Nebeneinander von rauem (Kunst-)Stein und glattem Glas selbstredend viel her. Ein Schelm, wer dabei an einen runzligen Rentner denkt, der sich eine zu fesche Sonnenbrille leistet. Frivol wird es erst drumherum.

Denn auch die »Runzeln«, also die vertikalen Rillen im Strukturbeton, wurden verziert: Schmale Aluschienen schraubte man hinein, in wechselnder Dichte. Der Schelm nennt so etwas »Lametta«, ein modern geschulter Architekt fragt zumindest nach Sinn und Zweck der Maßnahme. Gerade von schädlichem Bauschaum verschont, wird die Fassade nun kunsthandwerklich beglückt. Tatsächlich dienen die Schienen offenbar nur dem ästhetischen Zweck, den Kontrast von rau und glatt, leicht und schwer, hell und dunkel zu entschärfen, was ja eigentlich nicht gewollt sein kann. Leichter wird der gewiss düstere Strukturbeton mit seiner Patina nur, wenn man arg die Augen zusammenkneift.

Solch oberflächliches Stirnrunzeln einmal weggewischt – im Kern kann man diese solide Schulsanierung nur loben. Im zweiten Bauabschnitt verwandelt sich ein ungeliebter Innenhof gerade in eine zweigeschossige Bibliothek als lichtes Pendant zur Aula; die Sporthalle wird nicht ersetzt, sondern ertüchtigt; und draußen kriegt die Theater-AG eine Freilichtbühne. Möglicherweise kommt neben die Freitreppe sogar noch ein neues Schwimmbad.

7. Juni 2021 deutsche bauzeitung

Fast wie in der Gründerzeit

Kita Ötztaler Straße in Stuttgart

Auch wenn Architektur für Kinder längst nicht mehr so laut und bunt daherkommt wie noch vor einigen Jahren – eine Kita, die den Bestand einfach ergänzt und sich gut ins Quartier einfügt, ist eine genauere Betrachtung und einen Artikel allemal wert. Mitten im Stuttgarter Neckarvorort Untertürkheim gelang einem erfahrenen kleinen Büro genau das.

»Wie hätte man das vor hundert Jahren gemacht?«, fragten sich Stefanie und Stephan Eberding von se, als sie mitten im intakten gründerzeitlichen Baublock einen Ersatz für die altersschwache Kita schaffen sollten. Das Büro, das die Suche im Namen trägt und schon rund ein Dutzend sehr indi­viduelle Kitas realisiert hat, fand hier als Antwort: ruhig und flexibel wie in der Gründerzeit!

Gleich nebenan macht es ihnen die ehemalige Kleinkinderschule (heute: Hort) vor, ein klar rhythmisch gegliederter Jugendstilbau mit offenen Etagen und großen Fenstern bis hinauf ins raumhaltige Dach. Ihm wollten sie einen Bruder im Geiste zur Seite stellen, mit zeitgenössischen Mitteln, versteht sich.

Klare Kante, aber durchlässig zum Hof

Nachdem den Architekten im Rahmen einer Machbarkeitsstudie klar geworden war, dass die auch deutlich zu kleine Vorgänger-Kita nicht zu halten und das Bewahrenswerte an der Situation der von alten Kastanien verschattete Hof war, wussten sie: Es läuft auf eine mehrgeschossige Lösung hinaus, die den Block auf der Nordseite schließt und sich zum Hof hin öffnet.

Der neue Baukörper ordnet sich der Jugendstilschule mit ihrem dominanten Mansarddach unter, indem er nur zwei Vollgeschosse hat und darüber ein Satteldach mit Kniestock, in den straßenseits vier Gaupen eingeklinkt sind, ein modern-machbares Echo der opulenten Dachlandschaft nebenan. Sechs Gruppen passen so in den Neubau, zwei auf jeder Etage. Die Dachräume werden zusätzlich durch vier Lichtkamine erhellt, die wie die Gaupen einen häuslichen Maßstab etablieren, der den im Kontext doch recht großen Baukörper feingliedriger macht.

Dazu trägt auch die Materialisierung der Fassaden bei: Wie bei der Schule ist dies nach außen Sichtmauerwerk, doch nicht weiß geschlämmt, sondern im roten Naturton des Klinkers, wie er ähnlich an etlichen Altbauten im Quartier vorkommt. Im selben Ton eingefärbter Mörtel beruhigt die Flächen, ebenso die nur wenigen großen (meist geschosshohen) Öffnungen, die von grauen Betonstürzen nachvollziehbar überspannt werden. Über die Nebenraumfenster und auch die Ruheräume der Kleinen zieht sich die Vormauerschale als ­offenes diagonales Gitter, eine elegante Lösung, um Luftbedarf und formale Großzügigkeit zu vereinbaren.

Innen ist das Haus symmetrisch zweigeteilt, auch brandschutztechnisch. In den Vollgeschossen gibt es einen etwas dämmrigen Innenflur, an dem straßenseitig die Nebenräume, zum Hof die Gruppenräume liegen. Parallel ­verläuft auf der Hofseite in den OGs ein gedeckter Laubengang mit den erforderlichen zwei Treppenhäusern an den Enden. Zwischen den Erschließungen spannt sich jeweils ein durchgesteckter Spielflur. Die Kita folgt dem Konzept der offenen Gruppenräume, in denen sich die Kinder selbst orientieren ­dürfen. Von daher ergibt das durchlässige, flexible Raumkonzept Sinn. Die ganz kleinen Kinder spielen im EG mit direktem Hofzugang, und im introvertierten Dach die größeren.
Im EG liegt gleich am Entree der große Bewegungsraum, der auch für Versammlungen genutzt wird und sich für Feste anmieten lässt. Leider wurde hier keine Bewirtungsmöglichkeit erlaubt. Auch eine Mehrfachnutzung des schönen Spielhofs verbieten die Regularien – im dicht bebauten Quartier ist er eine Oase, nun halt nur tagsüber für die Kita-Kinder. Nicht einmal die vom Hort nebenan dürfen ihn nutzen.

Ein robustes, flexibles Haus

Konstruktiv ist das Gebäude eine Mischkonstruktion aus Mauerwerk und Ortbeton-Massivbau, was auch die Logistik im sehr engen Quartier nahelegte. Der sauber brettergeschalte Sichtbeton empfängt einen gleich im Entree und zieht sich meist flächig durch die Flure. Die Aufenthaltsräume hingegen sind weiß verputzt. Kontrastiert werden diese Flächen stets vom hellen Holz des Ausbaus: Feine Lamellendecken, Holz-Glas-Trennwände, meist bodentiefe Holzfenstertüren mit Lüftungselementen bieten solide, langlebige Qualität; allein unter der Dachschräge kollidiert diese Finesse bisweilen etwas unschön mit den gewöhnlichen »Sauerkraut-Platten«. Das fällt bei den üblichen Flachdach-Kisten naturgemäß leichter …

Hat man sich aber einmal von der überkommenen Vorstellung verabschiedet, dass unsere Kinder in luftigen Pavillons im Park fernab jeden Trubels verwahrt werden, erscheint diese »urbane Kita« als eine recht humane Alterna­tive. Nah am Wohnort der Familien und damit fußläufig erreichbar, fügt sie sich in bestehende Netzwerke und stärkt das Quartier sozial, aber auch baulich. Wer hier aufwächst, braucht keine Helikoptereltern, kein Taxi hierhin und dorthin, sondern kann sich bald selbst orientieren. Viele Städte haben das auch aus Knappheit an Bauland längst erkannt und aus der Not eine Tugend gemacht. Den Planenden verlangt das die Fähigkeit ab, sich einzufügen, aber auch stadträumliche Bedürfnisse gegen die der Kinder abzuwägen, letztlich die Stadt kinderverträglich zu gestalten. Das ist hier mit einigem Erfolg versucht worden. Sicher, man wünschte sich schon bei der Annäherung ein breiteres Trottoir, vielleicht ­einen Shared-Space-Straßenraum, in dem die Menschen Vorrang vor den ­Autos genießen. Doch mit dem Daimler-Stammwerk fast in Sichtweite fällt die Verkehrswende offenbar schwerer als andernorts, wird jeder Pkw-Stellplatz verteidigt.

Auch das Gebäude selbst könnte in manchem noch kindgerechter sein: Die Laubengänge, speziell der im Kniestock, sind sehr neutral und karg gestaltet, als schlichte Verbindungswege. Es sieht bisher nicht danach aus, als funktionierte hier die gewünschte Mehrfachnutzung. Wie die Treppenhäuser entsprechen sie halt dem Brandschutz, entwickeln aber keinen rechten räum­lichen Eigenwert. Manchmal brauchen Kinder doch einen architektonischen Stups, um Räume zu erobern. Hier fehlt es vielleicht auch noch an Zeit, denn die Kita wurde erst im Herbst, mitten in der Pandemie, eröffnet und ist noch immer nicht voll in Betrieb. Zudem gilt es zu bedenken: Die anfangs ­erwähnte Flexibilität der Gründerzeit-Strukturen verband sich mit einem solche Interaktionen inspirierenden Detailreichtum, den heutige Budgets nicht mehr ­erlauben.

Dass hier trotzdem vieles richtig gemacht wurde, illustriert eine Beobachtung vor der Tür der Kita: Ein kleiner Junge an der Hand seines Vaters bummelt die Ziegelwand entlang. Er streicht bedächtig über die Fugen, be-greift vermutlich gerade, dass dieses große Haus ganz ähnlich gefügt wurde wie seine eigenen ersten Versuche mit Bausteinen. So beginnt Aneignung von Welt.

8. Mai 2019 deutsche bauzeitung

Elegant übers Getöse

Fussgänger- und Radfahrerbrücke in Lahr

Zwischen zwei im Rahmen der letztjährigen Landesgartenschau neu angelegten Stadtteilparks im Lahrer Westen liegt das Bundesstraßenkreuz B3/B415: vierspurig, zweistöckig, mit kleeblattförmigen Abbiegespuren. Eine vom Architekten und vom Ingenieur gemeinsam entwickelte Brücke überwindet dieses Hindernis höchst elegant und einprägsam.

»Als ich die Situation zum ersten Mal sah, war mir bewusst, das wird schwierig«, sagt Architekt Klaus Reuter. Für den im Jahr 2012 ausgelobten, ­beschränkten Wettbewerb entwickelte er mit dem Bauingenieur Achim Sattler darum »eine klare, ruhige Form, die dieses ganze Durcheinander neu bestimmt«.

Heterogen ist die Lage am westlichen Lahrer Stadtrand in der Tat: Punkthochhäuser, Grünanlagen und Gewerbegebiete säumen die Straßen – eine autogerechte Stadt ohne Form oder Fokus. Das Wegekreuz, an dem sich die zwei überörtlichen Straßen schneiden, wäre prädestiniert für ein Zeichen, das im kollektiven Bewusstsein haften bleibt, doch das Einzige, was der Knoten im Umfeld bis dahin hinterließ, waren Restflächen.

Während sich die meisten Mitbewerber beim Wettbewerb durch die verfahrene Situation eher kleinteilig hindurchlavierten, nutzt Reuters und Sattlers zu Recht prämierter Entwurf eben diese Restflächen für einen großen Auftritt: Im Grundriss ein ruhiges Kreisbogensegment mit weit ausgreifenden Rampen, hängt die Brücke im Kreiszentrum an einem 50 m hohen Pylon. Zwölf Seile halten diese »Sichel« harfenförmig, zwei weitere verankern die Stütze im Boden – im Ergebnis eine exzentrisch gelagerte Schrägseilbrücke: die neue Landmarke.

»Nadel« oder »Finger« nennen die Planer ihr Ausrufezeichen. Als Ganzes nimmt die markante Konstruktion auch vielfältige Bezüge auf, etwa zum organischen Verlauf der Fahrbahnen und, kontrastierend, zu den benachbarten Hochhäusern, die der Pylon knapp überragt.

So bildet die Brücke einen neuen Raum, auch wenn der weiterhin von Lärm und Abgasen geprägt ist. Elegant schlängelt sie sich mit einem durchgängigen Lichtraumprofil von 3,50 m erst über, dann unter den bestehenden Verkehrswegen hindurch, um dann sanft in die Parks überzuleiten – ein Kraftakt und ein Kunststück zugleich.

Torsionskasten, Widerlager und Gabelköpfe

Die Brücke ist eine Mischkonstruktion. Praktischerweise dienen die zwei geforderten Treppenabgänge als massive Widerlager für den stählernen, knapp 118 m langen Überbau. Dieser besteht aus einem aus Blechen geschweißten Torsionskastenträger, dessen etwa 1,40 x 1,60 m großer, unregelmäßiger Querschnitt zugleich die innenseitige vollwandige Brüstung der Brücke bildet. Die 3,50 m breite Gehfläche ist als auskragende orthotrope, also über aufgeschweißte Stege bzw. im Fachjargon Sicken versteifte Blechplatte auf der Unterseite des Kastenträgers angesetzt und endet sehr schlank in einem filigranen Geländer aus Flachstahl oberhalb einer Entwässerungsrinne.

Im Abstand von 7,85 m greifen die zwölf geschlossenen, 40 mm dünnen Drahtseile in angeschweißte Ösen. An diesen Stellen ist der Kastenträger durch Querbleche verstärkt. Torsion tritt durch diese wohlbalancierte Aufhängung nur bei asymmetrischen Lasten auf.

Im Winkel bis 38° zur Horizontalen laufen die Seile am Kopf des Pylons übereinander in Gabelköpfen zusammen, wodurch sie dort oben keine klare Harfe mehr bilden. Auch der Kopf wurde wie der Torsionskasten aus üblichen S355-Blechen bis 30 mm Dicke geschweißt. Der bogenförmig gegen die angreifenden Kräfte »gespannte« Pylon ist tailliert, er verjüngt sich entsprechend dem Momentenverlauf aus einem trapezförmigen zum dreieckigen Querschnitt. Zusammen mit den Anschlussblechen am Kopf entsteht so ein fast florales Erscheinungsbild.

Zwei 65 mm dicke Trossen verankern die eingespannte Stütze rückwärtig im Erdreich. Weil man am Standort erst in etwa 5 m Tiefe auf tragenden Grund stößt, erfolgte die Gründung über 10 bis 12 m lange und 88 cm dicke Bohrpfähle. »Bereits das Eigengewicht der Pfähle reichte fast, um die Lasten aufzunehmen«, merkt Ingenieur Achim Sattler an.

Seitlich eingespannt ist der Torsionskasten an beiden Enden über ein kraftschlüssiges Bauteil, das die Planer Igel nennen: Das Ende des Kastens ist hier verjüngt und greift über Kopfbolzen in die Bewehrung des Widerlagers. Insgesamt bleibt die stählerne Sichel also nur über die Seilaufhängung elastisch. »Das Brückenbauwerk beinhaltet eine Vielzahl von außergewöhnlichen Herausforderungen im Ingenieurbau« heißt es in der Begründung zum Stahlbaupreis 2019, den das Projekt unlängst zugesprochen bekam.

Die äußeren Rampen führen das L-förmige Profil der Stahlkonstruktion in Stahlbeton weiter, sodass der Materialwechsel zwischen den Bauteilen kaum auffällt: überdies läuft das Flachstahlgeländer an der Außenseite durch. Die bis zu 17 m frei spannenden Stahlbeton-Platten der Rampen sind mit ihren Pfeilern in Querrichtung biegesteif verbunden, in Längsrichtung hingegen ist eine Ausdehnung über gelenkige Auflager möglich, und so gibt es auf 56 m Länge nur eine einzige Dehnfuge. Die Steigung überschreitet an keiner Stelle des Überwegs 4,5 %, sodass keine Podeste notwendig waren.

Als relativ leichte Konstruktionen neigen Schrägseilbrücken zum Schwingen. Das ist auch in diesem Fall so, wenngleich es vor Ort nicht unangenehm oder gar beängstigend auffällt. Nachträglich wurden dennoch Schwingungstilger für die drei Eigenfrequenzen der Brücke angefertigt. Sie sollen noch zwischen die Rippen der Gehweg-Unterkonstruktion eingefügt werden. Dies wird hoffentlich bald geschehen, denn bislang stehen sie noch wie klobige Bänke auf der Brücke und damit dem Verkehrsfluss im Wege. Die Konstruktion ist auf eine Belastung von 5 t ausgelegt, um z. B. auch eine Befahrung mit Reinigungsfahrzeugen zu ermöglichen.

Die Wegflächen des Überbaus wurden mit besandetem Epoxidharz beschichtet. An der geschlossenen Brüstung ist die Beschichtung zudem signalrot eingefärbt, was tags wie nachts – dann effektvoll illuminiert – den kühnen Linienschwung des prägnanten Brückenbauwerks hervorhebt. Untersicht und Geländer, an dessen Flachstahlprofilen entlangstreifender Wind mitunter eigenartige Heultöne erzeugt, sind mit Eisenglimmer lackiert.

In sieben Teilen quer durch die Republik

Zum Entwurf entwickelte das Planungsteam auch eine Montageanleitung – bei weitgespannten und komplexen Brücken ist dieser Nachweis der Baubarkeit auch unabdingbar. Während die Betonbauteile vor Ort gegossen werden konnten, mussten die Bestandteile der Stahlkonstruktion aus dem Ruhrgebiet zur Baustelle transportiert werden. Dies erfolgte beim Pylon in zwei Teilen, beim Überbau in fünf ca. 6 m breiten Abschnitten, die erst vor Ort miteinander verschweißt wurden. Die Bundesstraße 415 musste während des Einbaus des letzten Teilstücks für drei Wochen gesperrt werden: Während der Schweißarbeiten bis zum Einhängen des Überbaus fingen auf der Straße ­errichtete Leergerüste dessen Eigenlast ab.

Ein triftiges Argument für die weitgespannte Hängekonstruktion – neben ihrer Eleganz – ist, dass sie mit nur wenige Fußpunkten im nicht zugänglichen und auch kaum von Anprall gefährdeten Kreuzungsbereich auskommt und so auch die Baulogistik beträchtlich erleichterte. Dass der zu begehende Bereich des Überbaus seitlich, statt wie üblicherweise auf dem Kastenträger angeordnet wurde, führte zu einer Minimierung der Bauteilhöhe, was wiederum zur Verringerung der notwendigen Gesamtlänge beitrug.

Am Ende wurde die Fertigstellung der Brücke trotz langen Planungsvorlaufs doch noch zur Zitterpartie, da die Stahlbaufirma mit der Produktion der Segmente im Verzug war. Die Brücke wurde aber im vorigen April zur Eröffnung der Landesgartenschau gerade noch rechtzeitig fertig. Dieser Stress indes war rasch vergessen. Die Lahrer sind stolz auf ihre seit Herbst letzten Jahres öffentlich zugängliche Landmarke am Stadteingang und nutzen sie rege zum Promenieren und Joggen.

Solange mit der Verkehrswende zumeist nur eine zusätzliche, andere Mobilität und kein Rückbau von Straßen gemeint ist, wird es noch reichlich Gelegenheit geben, Barrieren der autogerechten Stadt gefahrlos und ästhetisch zu überwinden, etwa im Rahmen der vom Bund geförderten Radschnellwege. Es bleibt zu hoffen, dass dies weitere Bauwerke von solcher Prägnanz und Kühnheit wie die Brücke in Lahr hervorbringen wird.

Das Team Henchion Reuter und EiSat arbeitet daran, auch künftig seinen Beitrag dazu zu leisten: Vor Kurzem erst errang es mit der Emscher-Querung in Castrop-Rauxel einen zweiten Preis, abermals mit einer grazilen Schrägseilbrücke.

5. November 2018 deutsche bauzeitung

Wald-Achtsamkeit mit Kompromissen

Meditationshaus in Krün

Soll der Pavillon seinen Zweck erfüllen, müssen Architektur-Touristen unbedingt draußen bleiben: Er dient als Rückzugsraum für Yoga und die in Japan aufgekommene Therapieform »Waldbaden«. Als Architekten hat man sich gezielt einen Meister der Verbindung von Natur und sensiblen Bau-Kunstwerken ausgesucht – aber auch dieser unterlag beim Bauen in den Bergen dem Zwang zum Kompromiss und musste die angestrebte Einheit von Bild und Konstruktion aufgeben.

Auch wenn Kengo Kuma inzwischen große Kulturbauten realisiert – gerade erst das Victoria and Albert Museum im schottischen Dundee –, ist er ein Meister der kleinen Form geblieben. Für den Anti-Helden der japanischen Architektur ist »Smallness« viel mehr als eine Fingerübung; sie ist Lebensprogramm und Weltmodell. Dass er derzeit als Nr. 5 der Architektur-Weltmeister gehandelt wird, spricht für seine Virtuosität, zumal eben dieses Star-System Architektur bisher allein in den großen Metropolen und als laute Landmarke gelten ließ. Kengo Kuma profilierte sich dagegen meist auf dem Lande. International bekannt machten ihn vier Bauten in dem waldreichen Bergstädtchen Yusu­hara weit im Süden Japans.
Mitten im Wald steht auch sein neues Werk, bei einem Fünf-Sterne-Resort rund 15 km hinter Garmisch, für das nachhaltiges Bauen zur angebotenen Wellness gehört.

Vorigen Sommer lud der Hotelier ihn ein und man stapfte gemeinsam zwei Stunden durch den Wald, um den rechten Platz für das gewünschte Meditationshaus zu finden. Dass Kuma insgesamt viermal hierher kam, zeigt, wie nah ihm Landschaft und Bauaufgabe gingen: Die Szenerie des Hochtals am Fuße des Wettersteingebirges, auf über 1000 m zwischen Karwendel und Zugspitze gelegen, erinnert wirklich ein wenig an Japan, wie man es von Zeichnungen kennt. Kuma äußerte, dass er hier eine Verwandtschaft spürt. Und ein religiöses Gebäude fehlte bislang noch im umfangreichen Œuvre. Über seinen Bezug zum Wald sagt er im Gespräch: »Ich bin in einem alten Holzhaus aufgewachsen und gehe immer noch sehr gern in den Wald. Vielleicht ist das sogar eine noch ältere Erinnerung: Die Menschen wurden im Wald geboren, und er hat sie oft beschützt.«

Waldesruh und Mimikry

Wer dem schmalen Pfad folgt, der sich vom Hotelparkplatz 300 m durch den Fichtenwald schlängelt, lässt den Trubel des 130-Zimmer-Hotels bald hinter sich. Auf dem kleinen Hügel herrscht Waldesruh.

»Meine erster Gedanke war: Wie schaffe ich Harmonie mit dem Wald? Wir wollten ein bescheidenes Bauwerk schaffen«, erklärt der Architekt. »Der Wald ist wie eine Art Filter für das Licht, die Luft. Die Blätter, die Zweige, das schafft eine ›weiche‹ Atmosphäre. So ist der Wald das Vorbild für unsere Details.«

Die Rückseite des Gebäudes, der man sich zuerst nähert, folgt vollkommen dieser Mimikry: Ein Geflecht aus ineinander gesteckten kurzen Brettern beschirmt unter dem flachen Walmdach die Stirnwand. Das Material, Weiß­tanne aus der weiteren Umgebung, bezeichnet der Architekt als »leise«, weil sie sehr homogen wirkt und wenig Maserung erkennen lässt. Mit der Zeit, wenn das Holz vergraut und Flechten sich darauf ansiedeln, wird der Bau­körper in seiner Umgebung fast aufgehen, so eins ist er materiell mit ihr.

Mies mit Mütze – und Brettergewitter

Beim Umrunden des Gebäudes auf der kleinen Lichtung schält sich aus dem Geflecht indes ein kristalliner Glaskörper, wie wir ihn von Kuma schon kennen – etwa im filigranen Glass/Wood House in New Canaan und zuletzt im Coeda House in Shizuoka (s. db 9/2018, S. 62). In bester Mies‘scher Tradition trennt nur eine bodentiefe Scheibe den mit Eichenparkett belegten Hauptraum vom moosigen Außenraum. Das leicht auskragende Walmdach entpuppt sich indes als komplexere, aus fünf Dreiecken gefügte Konstruktion mit einem kleinen Fenster an der Spitze.

Was nun aber diesen »Mies mit Mütze« besonders macht, ist das Weiterweben oder eher -wabern des Holzgeflechts: Aus der noch disziplinierten, wohlgefügten Rückseite, hinter der übrigens eine massive Betonwand mit WDVS steht, entwickelt sich die hölzerne zweite Haut nach und nach zu einer Art Wolke oder Kissen, die mal hier, mal da in wechselnden Winkeln unter der Traufe hängt – Kumas Filterschicht in Analogie zum Wald. Bestand diese äußere Schicht bei seinen anderen Projekten aus sehr vielen feinen »Pixeln« unterschiedlichen Materials, so sind es hier insgesamt »nur« 1 550 Bretter, deren Mehrzahl im Innenraum das raumhaltige Dach ausfüllen.

Dort entlädt sich über dem transparenten Hauptraum ein regelrechtes Brettergewitter, das wenig von einer Akustikdecke hat, sondern eher an Kurt Schwitters’ expressionistisch wuchernden Merzbau von 1923 erinnert. Das ­Innen und das Außen des Holzgewölks sind dabei durch die rechtwinkligen Glasscheiben strikt getrennt.

Kumas Kompromiss mit Stahl: das Tragwerk

Wer von ferne noch mutmaßte, die Bretter hätten – aufgrund ihrer relativen Größe und nach Art von Kumas berühmten Kantholz-Stabwerken – tragende Funktion, hat die Rechnung ohne die enormen Schneelasten des Standorts gemacht. »Dies ist eine wahnsinnig raue Gegend«, sagt Kumas Projektleiterin aus dem Pariser Büro fast entschuldigend. Der Statiker aus dem nahen Garmisch erinnert an die Erdbebenzone und meint: »Rein aus Holz wäre das alles viel mächtiger geworden.« … Auch die geforderte Feuerwiderstandsklasse F30 wäre mit den dünnen Hölzern nicht zu erreichen gewesen, wie Barbara Poberschnigg, die den Bau vor Ort ausführende Architektin, anmerkt.

Die Dachlast wird also von Stahlträgern auf einem traufparallelen Ringbalken aus verschraubten Doppel-T-Trägern aufgenommen, zusätzlich querversteift und mit einer 12 cm dicken Massivholzplatte gedeckt. Darauf ruhen Dichtung, Dämmung und Zinkblechdeckung samt Schneefängern. Die Lastabtragung geschieht über einen massiven Betonkern und die Rückwand sowie – innerhalb der Verglasung – schlanke eingespannte Stahlstützen, die man aus Kumas früheren Glashäusern kennt. Zwischen den in mühsamer Kletterarbeit abgehängten Brettern sind die kräftigen weißen Stahlträger zu erkennen. Kumas Konstruktionen sind bisweilen sehr raffiniert (etwa, wenn er im Coeda House das Stabwerk der zentralen Baumstütze mit unsichtbaren Karbonstäben verbindet), aber ist das hier noch konstruktiv klar und »ehrlich«?

Raumwirkung vor konstruktiver Klarheit

»Ich versuche immer, größtmögliche Transparenz zu schaffen«, sagt Kuma dazu und bestätigt, dass ein reiner Holzbau stärkere Querschnitte erfordert hätte: »Wir versuchten daher, einen guten Kompromiss zu finden, ähnlich wie im neuen Olympiastadion in Tokio, das wir zurzeit planen. Dort verbinden wir Stahlrohre mit Brettschichtholzträgern.«

Nun gut, Konstruktion ist nicht alles. Die Atmosphäre im Haus strahlt die vom Bauherrn gewünschte meditative Ruhe aus. Der Wald umfängt den Besucher, außen real und formal abstrahiert von oben und hinten, allerdings nur visuell. Denn thermisch wie akustisch ist das kontrolliert be- und entlüftete, als (per Kaminofen) beheiztes Nichtwohngebäude errichtete Haus rundum isoliert, die Drei-Scheiben-Verglasung beugt Zugerscheinungen vor. Es ist warm und fast zu still. Die Geräusche des Waldes dringen erst herein, wenn die breite Schiebetür auf der Westseite geöffnet wird.

Mehr Naturnähe bietet eine offene Yoga-Plattform in Sichtweite. Beim »Waldbaden« spielen ja gerade die ätherischen Elemente des Waldes eine Rolle.
Das Weißtannenholz, das frisch durchaus streng riechen kann, ist im Innenraum in dieser Hinsicht, zumindest bewusst, nicht mehr wirksam. Auch eine schalldämpfende Wirkung der zerklüfteten Holzkonstruktion war vor Ort nicht wahrnehmbar: Die hölzerne Höhle mit 270 °-Panorama klingt relativ hart, zumal das 160 m² große Haus absichtlich von Möbeln freigehalten wurde – bisher steht im Hauptraum nur ein Gong, und man kann fast eine Stecknadel fallen hören.
Wenige Downlights hängen versteckt in der Bretterskulptur (auch außen) und tauchen den Raum indirekt in gedämpftes Licht. Während bei Tag die Verglasung nur schemenhaft Einblick erlaubt, löst sich die Trennwirkung nachts auf, und die Höhle leuchtet überaus mystisch mitten im Wald.

Achtsamkeit beginnt auf der Baustelle

Ließ sich die Waldlichtung noch schonend roden und mit einem Rückepferd freiräumen, musste zum Bau doch schweres Gerät in den Wald: Dank sorgfältiger Nacharbeit sind Baustraße und -platz jedoch bereits wieder gut zu­gewachsen – auch das gehört für die Initiatoren zur Achtsamkeit. Diverse Auflagen waren zu erfüllen. So musste eine nötige Dränage auch deshalb gelegt werden, um Zink-Einträge ins Grundwasser zu verhindern. Kengo Kumas holzbauerfahrene Kontaktarchitektin vor Ort, Barbara Poberschnigg vom Innsbrucker STUDiO LOiS, ist des Lobes voll über die gute Zusammenarbeit mit dem Meister aus Fernost – sie plant bereits ein weiteres Gebäude mit ihm.

Das Meditationshaus ist ganzjährig nutzbar und verfügt neben WCs auch über einen Raum für die Teezeremonie. Dieser nüchterne Raum liegt introvertiert auf der Nordseite des Gebäudes und ist mit Tatami-Matten ausgelegt. Das Hotel vermietet das Haus auch stundenweise. Vorrangig wirbt es aber mit seinen Meditationsexperten, die den Besucher mitnehmen auf eine »Reise in die Stille«.

2. September 2013 deutsche bauzeitung

Das Dorf in der Kiste

Kindertagesstätte im Baukastensystem in Frankfurt a. M.

U 3 macht mobil: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für unter Dreijährige hat in den Kommunen rege Bautätigkeit ausgelöst – inzwischen gibt es in Deutschland rund 52 000 Kitas. Während sich andere dabei mit Provisorien behelfen, ging Frankfurt a. M. frühzeitig mit gutem Beispiel voran: 2009 lobte die Stadt einen Architektenwettbewerb aus, der Baukasten-konzepte für Kitas verlangte, die an 34 Standorten im Stadtgebiet realisiert werden sollten – Ernst May wäre sicher begeistert. Doch ein erster gebauter Prototyp zeigt auch die Grenzen dieser Vorgehensweise auf.

Der Erfinder des »Neuen Frankfurt« könnte der neuesten Vorortsiedlung der Stadt gewiss wenig abgewinnen: Der Riedberg, ein Stadtteil für immerhin 15 000 Einwohner, ist fest in der Hand privater Bauträger. Mitten in dieser zusammengewürfelten Ödnis in bester Südhanglage ließ die für den Stadtteil federführende »Hessen Agentur« einen der fünf Preisträger-Entwürfe des städtischen Kita-Wettbewerbs als Prototyp errichten. Mehr noch als andere öffentliche Gebäude im Quartier liefert er ein totales Kontrastprogramm: Zwischen braven Doppelhäusern und der Baustelle eines Gymnasiums hält sich der zweistöckige Neubau gestalterisch so sehr zurück, dass man nicht einmal auf Anhieb den Eingang findet.

Minimalismus für Kinder

Von »Schöne Aussicht« wurde die Kita zwischenzeitlich in »Schatzkiste« umbenannt, wohl weil sich Kinder wenig um die ferne Skyline Frankfurts scheren und vielleicht auch, weil die Kita äußerlich schlicht eine Kiste ist. Hinter dem obligatorischen Maschendrahtzaun erhebt sich ein flacher Quader auf quadratischem Grundriss. Zentralbauten wie dieser sind bekanntlich schwer zu verorten. Wenn nun noch alle vier Seiten des Gebäudes gleich aussehen, nämlich aus einer verglasten Pfosten-Riegel-Konstruktion mit vorgelagertem Fluchtbalkon bestehen, fällt die Orientierung zusätzlich schwer.

Ist die Pforte im Zaun gefunden, empfängt einen kein Schild, nur eine Schließanlage, um den Zugangscode einzugeben. Anschließend steht man zunächst in einer Art Schleuse vor einer schweren Glastür, luftdicht, wie es der Passivhausstandard verlangt. Erst dahinter öffnet sich der großzügige, abermals quadratische »Dorfplatz«, der von einem großen Oberlicht erhellt wird und in den eine großzügige Treppe eingestellt ist. Dies ist eindeutig das Zentrum, der Schatz des Gebäudes.

Suche nach dem Selbstverständlichen

Für Projektleiter Jochen Günzler von Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten besteht das Wesen des Entwurfsprozesses darin, sich im Team »so lange im Kreis zu drehen, bis Selbstverständliches entsteht«. Hier war es der Dorfplatz, wo es hieß: »So muss es sein.« Tatsächlich ergibt sich beim Spiel mit vier Rechtecken (im Fall dieser Kita sind das drei identische Gruppenräume und ein Büro/Küchenmodul) das einprägsame Schema mit windmühlenartigen Fluren, die in einen zentralen Hof münden. Dieser Typ wurde bereits vielfach ausgeführt (vgl. etwa den Kindergarten in Buchen in db 9/2009), denn er birgt große Vorzüge: kompaktes Volumen, rationell herstellbar durch viele identische Bauteile.

Doch es gibt neben der erwähnten städtebaulichen Neutralität des Bautyps auch interne Schwächen, die besonders kleine Kinder irritieren. So ist die Zahl der räumlichen Situationen gering: Besonders die Flure werden leicht ver- wechselt; durch die Vorfertigung der Module lassen sie sich kaum variieren. Die Besonnung der verschiedenen Gruppenräume ist anders als bei einer linearen Reihung sehr unterschiedlich.

Warten auf die »zweite Schicht«

Bei aller Robustheit und Praktikabilität bedarf der Bautyp also einer differenzierenden Überformung durch eine »zweite Schicht«. Architekten können diese als Farb- oder Materialwechsel oder andere Abweichungen einplanen, um besondere Situationen zu schaffen. Hier auf dem Riedberg übernimmt allein die skulptural in den Hof gesetzte zweiläufige Treppe diese orientierende Funktion.

Leider wurde auch die Chance vertan, über eine differenzierende Freiraumplanung prägnante Orte zu schaffen: Die Spiel- und Grünanlagen sind einfacher Standard und bauen weder Bezug noch Spannung zum Gebäude auf – hier waren offenbar zu viele Ämter im Spiel. Und was hätte sich allein aus der markanten Hangkante alles gestalten lassen! Darin hätte sogar noch ein ganzes besonntes Sockelgeschoss Platz gefunden. In dieser Situation erweist sich ein Baukasten-Ansatz als zu starr. Nun wird es an den Nutzern sein, dem soliden, aber etwas eintönigen Standard mit Esprit und Chuzpe auf den Leib zu rücken. Begonnen hat die engagierte Leitung schon mit einer konkreten Schatzkiste und passenden »abenteuerlichen« Schildern an den Gruppenräumen. Potenzial zur Aneignung bietet auch die große Raumhöhe der Gruppenräume, die bei den Kleinen locker Platz für eine zweite Ebene lässt. Hier kann in den mit 75 m² riesigen, von raumhohen Glasscheiben begrenzten Quadern mit Fantasie eine kontrastierende Welt aus kleinen Höhlen und Nischen entstehen. Darüber mögen puristische Architekten die Stirn runzeln, aber Kinder brauchen und lieben sie.

Option Umnutzung

Das zweigeschossige Bausystem aus zweimal vier Quadern verwenden die Architekten an vier weiteren Standorten im Stadtgebiet. Platz finden die kompakten Quadrate auch auf Restflächen, vorwiegend in Kleingartenarealen. Dabei variiert die Größe der Höfe, und die Unterteilung der Gruppenräume wird z.T. für unter Dreijährige verändert; im Riedberger Typ gibt es dagegen nur zwei Gruppen für über Dreijährige zu ebener Erde sowie im OG drei Hortgruppen.

Ein Kostenvorteil gegenüber individuellen Entwürfen entsteht v. a. durch die gemeinsame Ausschreibung mehrerer gleichartiger Gebäude. Ob diese aber den Aufwand übersteigen, um den fehlenden Ortsbezug auszugleichen, sei dahingestellt. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die fünf Gebäude später unterscheiden, wie sie Wurzeln schlagen. Man könnte die neutralen »Kisten« fast als Instrumente oder Leinwände verstehen, auf denen die Nutzer »spielen«.

Und wenn es mal zu wenige Kinder gibt, um die Kitas zu füllen? Dann sind die Gebäude womöglich neutral genug, um sie ganz anders zu nutzen, für betreutes Wohnen etwa, wie Projektleiter Günzler mutmaßt. Diese Perspektive ist mehr noch als der – in der Marktübersicht und bei diesen geringen Stückzahlen keineswegs triftige – Kostenvorteil das wohl wichtigste Argument für derart neutrale Strukturen, auch wenn es zunächst nahe liegt, kindgerechtere Räume zu fordern.

Konstruktion und Haustechnik

Im Konstruktiven hat sich das Architektenteam früh von der Vorstellung verabschiedet, hier ließen sich tatsächlich vorgefertigte Raummodule wie in einem Lego-Baukasten zusammenfügen. Der Vorfertigungsgrad der Mischkonstruktion aus Stahlträgern und -stützen (vorwiegend in der Fassadenebene) sowie Holzwänden und -decken ist stattdessen eher gering: Die Wände werden im Rahmenbau beplankt angeliefert, die meisten Installationen wie der Ausbau nachträglich eingebracht. Das enge konstruktive Raster von 61,5 cm wird de facto nicht streng eingehalten. Etwas schade ist, dass von der Holzkonstruktion im fertigen Gebäude wenig sichtbar bleibt. Allein die Decke über dem Dorfplatz ist als offen hölzernes Gittertragwerk erkennbar.

Die Decken der Gruppenräume spannen von der Fassade zur Hofwand und kragen dort für die Galerien aus. Die Trennwände zu den Fluren haben lediglich aussteifende Funktion. Nachdem im Riedberger Prototyp eine Holzrippendecke eingebaut worden war, kommt in den vier weiteren Kitas eine Holz-Beton-Verbunddecke zum Einsatz, deren höheres Gewicht einen raumklimatischen Vorteil bedeutet. Die trotz der zweischichtigen Fassade hohen Energieeinträge durch die Vollverglasung lassen sich so besser abpuffern.

Haustechnisch verfügt das im Passivhausstandard ohne Zertifizierung errichtete Gebäude über eine mechanische Lüftungsanlage, die jedoch vorwiegend in der kalten Jahreshälfte läuft, wenn Fernwärme den Restwärmebedarf deckt. Überschüssige Wärme entweicht über das große Oberlicht im Hof. Zwei Ventilatoren in der Fassade sorgen zusätzlich für Querlüftung. Wie die Sonnenschutzrollos in der äußeren Fassadenebene wird diese Haustechnik manuell bedient.

9. Januar 2013 deutsche bauzeitung

Wunderkammern der Armut

Dauerausstellung »Die Schwabenkinder« in Wolfegg

Wie macht man eine Ausstellung (fast) ohne Exponate? Das grenzübergreifende Geschichtsprojekt »Die Schwabenkinder« erinnert an die alljährlichen Armutswanderungen aus den Alpentälern ins reiche Oberschwaben. Weil arme Leute kaum etwas Museales hinterlassen, suchten die Historiker nach anderen Spuren, um von deren Schicksal zu erzählen. Herausgekommen ist eine gerade in ihrer Schlichtheit anrührende Inszenierung, die unlängst den renommierten CommClub Award bekam – für »crossmediales Storytelling«.

Am Anfang der Schau steht ein Paar Stiefel, alt und abgenutzt. Die Reise in die Fremde, das »Schwabengehen«, so die Botschaft, war eine Qual. Die Kinder aus Tirol, Vorarlberg oder Graubünden legten enorme Strecken zurück, die nun im Rahmen des EU-Programms »Interreg« rekonstruiert und als touristische Fernwanderwege ausgeschildert wurden. Was die heutige Erlebnisgesellschaft schätzt, waren damals jedoch Trecks von Elend und Ausbeutung, die zahlreiche Opfer forderten. Kaum acht Jahre alt, wurden jene Bergbauernkinder, die der Hof nicht ernähren konnte, im zeitigen Frühjahr über die verschneiten Bergpässe geschleust, um auf »Kindermärkte« in Friedrichshafen oder Ravensburg zu gelangen. So deckten die Großbauern über Jahrhunderte ihren Bedarf an billigen Knechten und Mägden, die keinerlei Rechte (etwa auf Schulbildung) kannten. Erst 1921 machte Württemberg dieser schon lange als Sklaverei angeprangerten Praxis ein Ende, indem es die Schulpflicht auch für Ausländer gelten ließ. Dass die beteiligten Regionen dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte gemeinsam aufarbeiteten, war überfällig, aber nur mühsam zu konkretisieren: Erst ein Puzzle aus alten Dorfchroniken und letzten Zeitzeugenberichten ließ Umfang und Ausprägung des Schwabengehens deutlich werden. Neben der Wolfegger Dauerausstellung gibt es einige weitere Museen, die sich dem Thema widmen (siehe www.schwabenkinder.eu).

Mit dem iPod ins Elend

Nur wenige Exponate, wie die Stiefel, ein Gemälde eines Marktplatzes oder ein Bündel, das die Kinder mitschleppten, verankern die Wolfegger Schau in der »objektiven« Wirklichkeit. Der Rest sind von den historischen Forschungen unterfütterte, aber letztlich fiktive Schicksale von acht Kindern, die den Besuchern individuell über Audioguides vermittelt werden. Hierfür stehen 50 iPods zur Verfügung, die an den vier Stationen der Ausstellung aktiviert werden. Kinder aus den betreffenden Herkunftsregionen haben die Berichte gesprochen, sodass ein authentischer Eindruck entsteht.

Die vier Stationen widmen sich den Themen Heimat, Weg, Markt und Alltag. Die Architekten »verpackten« sie in vier Boxen auf dem Dachboden der mächtigen mittelalterlichen Zehntscheuer, dem Eingangsgebäude des Bauernhausmuseums. Ihr Inneres ist allein durch frei stehende Stützen gegliedert und eignet sich darum für Veranstaltungen aller Art. So findet hier jährlich ein gutes Dutzend Hochzeitsfeiern statt. Damit die ins OG entrückte Ausstellungsebene abseits der Besucherströme auch gefunden wird, durchbricht eine weitere Box die Decke. Dieser karge Treppenturm lockt die Besucher über ein subtiles Formenspiel. Zu ebener Erde ist ein Multifunktionsmöbel integriert, das einerseits als Empfang und Kasse dient, anderseits auch als Anrichte für die Bewirtschaftung genutzt werden kann. Da es auf Rollen steht, lässt es sich komplett in den Treppenturm hineinschieben, wo sodann auch die dort integrierte Küchenzeile hinter der einheitlichen grauen Fichtenschalung verschwindet.

Raue Schale, blauer Kern

Ist die umgebende Scheune knorrig und krumm, so überrascht der Einbau mit Präzision und Finesse: Die Einbauten sind nicht in Glas und Stahl, wie man das seit Karljosef Schattners Vorbild hinreichend kennt, sondern ebenfalls in Holz ausgeführt (was bei einem Gesamtbudget von einer halben Million auch eine Kostenfrage war). Den Kontrast schaffen Textur und Farbgebung des Holzes sowie eine schmale Fuge zwischen Alt und Neu.

Das Äußere der Boxen ist hellgrau lasiert und scharfkantig. Ihr Inneres leuchtet in Hellblau, der Leitfarbe des hiesigen Schwabenkinderprojekts, das auch an Stellwänden und Medienmaterial verwendet wird. Es stehe für den Himmel, der die Kinder in der Fremde an die Heimat erinnert, heißt es. Jedenfalls zieht das Treppenhaus den Besucher so in seinen Bann – auch wenn die Tünche wenig ätherische Assoziationen an Schwimmbäder durchaus aufkommen lässt. Man durchläuft beim Hinaufsteigen eine Art farbiger Gehirnwäsche und wird en passant auf eine Zeitschiene gesetzt, die das Phänomen Schwabengehen verfolgt. Oben angelangt, lassen sich die Themenstationen gut überblicken. In loser Folge stehen die mal länglichen, mal eher kubischen Boxen auf der Tenne aufgereiht. Vor dem Einstieg und auch am Schluss geht der Blick hinaus ins Freilichtmuseum, wo die überflüssig gewordenen bäuerlichen Bautypen der Gegend hübsch versammelt sind. Auch in einem dieser Gebäude findet sich übrigens die Kammer eines »Schwabenkindes«.

Im Innern der Boxen sind mal Monitore angebracht, mal senden Beamer Bilder von der Decke herab. Der Kindermarkt wird durch die Schattenrisse der Bauern auf weißem Tuch und eine Geräuschkulisse simuliert, den Alltag auf der Wiese beim Vieh (man nannte die Schwabenkinder auch Hütekinder) macht ein künstlicher Himmel atmosphärisch greifbar, auf den wechselnde Licht- und Wettersituationen projiziert werden. In der Heimat-Box verströmen Schindeln, Schwarten und Scheithölzer als einziges Zugeständnis ans Regionale heimelige Stimmung, während ansonsten preiswerte MDF-Platten, lackiert oder beschichtet, den Hintergrund für den eigentlichen Kern der Ausstellung bilden: auf den iPod-Monitoren ablaufende, auf das jeweilige Raumthema abgestimmte Geschichten.

Neue Wege statt Nachahmung

Frei nach dem Motto »Laptop und Lederhosen« wagt die Präsentation also den Spagat zwischen Tradition und neuen Medien. Direktor Stefan Zimmermann will weg vom verstaubten Image des Heimatmuseums und zielt mit den iPods auf ein jüngeres Publikum. Im Wettbewerb sei das Konzept von VON M Architekten das einzige derart abstrakte und medienbasierte gewesen. Wenn draußen in den Bauernhäusern so viel authentisches Anschauungsmaterial vorhanden sei, könne die Sonderausstellung damit nicht konkurrieren und müsse neue Wege gehen. In den wiedererrichteten Höfen des Museums dürfen die Besucher im Rahmen von »Praxismodulen« typische Armeleute-Gerichte kochen oder auf Strohsäcken schlafen. Hier oben bleibt die Vermittlung der ohnehin dünnen Erkenntnislage abgehoben.

Dass durch die individualisierte Medienführung jeder Besucher allein bleibt und kein Austausch mit anderen Besuchern möglich ist, nimmt das Konzept in Kauf – man kennt diesen Autismus ja inzwischen von allen großen Museen der Welt. Von der Technik überforderte Besucher hat der Direktor dann auch noch nicht bemerkt. Auch Vandalismus war bislang kein Thema. Abnutzungserscheinungen sind bereits zu beobachten, erscheinen dem »armen« Gegenstand aber durchaus angemessen, zumal die Lebensdauer einer solchen »Dauer«-Ausstellung im Allgemeinen ohnehin nur auf 5-10 Jahre angelegt ist.

Die Gästebücher für die acht fiktiven Schwabenkinder am Ende der Ausstellung sind mit rührenden Botschaften und Kommentaren schon gut gefüllt – das Konzept scheint demnach anzukommen. Auch die Besucherzahlen im ersten Jahr geben dem Direktor Recht: Von 70 000 im Jahr 2011 stiegen sie auf 94 000 in der vergangenen Saison.

Dies mag aber auch mit der Brisanz des Themas zu tun haben. Das Schwabengehen sei im kollektiven Gedächtnis der Region durchaus noch präsent, meint Direktor Zimmermann. Viele Familien verbinden damit persönliche Schicksale, und auch aus den Partner-Regionen in Österreich und der Schweiz kämen Menschen herüber, um zu sehen, wie die Nachkommen der einstigen Dienstherren mit dem Thema umgehen. Die Gegenüberstellung von archaischem Gegenstand und hochtechnischer Vermittlung eröffnet dafür offenbar einen gangbaren Weg, welcher Identifikation, Einfühlung, Sich-Wundern erleichtert, ohne plump und sentimental daherzukommen. Dies ist kein Themenpark, kein Ort des Gruselns, wo man sich am Elend Anderer weidet. Eher sind die vier Boxen simple »Wunder-Kammern« der Armut.

Ein moralisches Urteil scheut die Schau indes. Gut möglich, dass daran immer noch die Agrarlobby Anteil hat, die in der Region durchaus mächtig ist. Heute kommen die Saisonarbeitskräfte nur von weiter her, aus Osteuropa, sind aber nach wie vor ziemlich rechtlos. Das Museum lädt heute auch Vertreter von Amnesty International, die auf das immer noch akute Problem der Kinderarbeit hinweisen dürfen, zu Führungen ein. Wer nach dem Rundgang durch den blauen Treppenschacht hinabtaucht, bekommt als Abschluss der Zeitschiene mit auf den Weg, dass heute weltweit schätzungsweise 215 Mio. Minderjährige bezahlte Kinderarbeit leisten.

19. November 2012 deutsche bauzeitung

Vom Schandfleck zum Schmuckstück

»Haus der Begegnung« in Königstein im Taunus

Baudenkmäler haben zwar keine strengen EnEV-Vorgaben einzuhalten – eine halbwegs wirtschaftliche Nutzung muss aber möglich sein. Bei der Sanierung des »Haus der Begegnung« ist diese Gratwanderung zwischen Bewahren des Charmes und energetischer Ertüchtigung weitgehend gelungen, sodass es unlängst sogar eine Green Building-Auszeichnung bekam: eine Erfolgsgeschichte aus dem Taunus, die, nach jahrelangem Auf und Ab, Investorensuche und bereits erteilter Abrissgenehmigung, von einer glanzvollen Wiedergeburt erzählt.

Rund 300 m² Glasfassade mit Blick in den Taunus – das Markenzeichen des »Haus der Begegnung« machten das kirchliche Zentrum seinerzeit zum »modernsten und schönsten Tagungshaus Hessens« (so die zeitgenössische Presse 1955), aber auch zu einer Energieschleuder. Denn zu Veranstaltungen musste der karge Nachkriegsbau früher drei Tage lang vorgeheizt werden. An sonnigen Tagen wurde es dann aber hinter der bleiverglasten Südwestfassade rasch zu warm. Eine innere Schutzverglasung, später ein grüner Anstrich, zuletzt, in den 80er Jahren, die komplette Verbretterung schufen zwar bauphysikalisch Abhilfe, doch ruinierten sie gerade das Markenzeichen des Hauses.

Obwohl das Gebäude 1988 unter Denkmalschutz gestellt wurde, schien schließlich alles auf einen Abriss hinauszulaufen. Die Stadt als neue Eigentümerin konnte Anfang der 90er nachweisen, dass ihr der Betrieb wirtschaftlich nicht mehr zumutbar war, 2000 erteilte das Landesamt für Denkmalpflege die Abrissgenehmigung. Erstaunlicherweise kam es fünf Jahre später zu einem Bürgerbegehren, das sogar die damals regierende Partei spaltete und die Wende einleutete: Unterstützt vom Förderprogramm der Deutschen Energieagentur dena (Modellvorhaben »Niedrigenergiehaus im Bestand«), die seit 2007 energetische Sanierungen öffentlicher Gebäude wissenschaftlich begleitet, gab der Stadtrat den Umbau und die Sanierung zu einem »Leuchtturmprojekt« in Auftrag. Dies wird der Rolle des Gebäudes in der Königsteiner Geschichte, v. a. aber auch der besonderen Ästhetik dieses 50er-Jahre-Baus gerecht.

Offen, transparent und in Bauhaus-Manier

Das »Haus der Begegnung« wurde 1955 als Zentrum der katholischen Vertriebenen auf einem ehemaligen Kasernengelände am Rande Königsteins eingeweiht. Hier fanden Kongresse, Seminare und Bischofskonferenzen statt, außerdem sammelte die Organisation »Kirche in Not/Ostpriesterhilfe« Kräfte für Osteuropa. Zu diesem asketisch-missionarischen Anspruch passte die schlichte, unprätentiöse Behausung (Architekt: Hans Busch, Frankfurt, mit dem Künstler Jupp Jost), geschmückt allein mit einem weit ausgreifenden Engels-Sgraffito auf den Hauptschauseiten, der in elegantem Schwung in die Glasfassade hineinreichte. Sie stand in Anknüpfung an die Bauhaus-Moderne für Offenheit, Transparenz und demokratische Werte. Ursprünglich schloss sich seitlich noch ein niedrigerer Bettentrakt für Gäste und Mitarbeiter an. Er war zum Ende der 90er Jahre hin zwar nutzlos geworden, ergänzte das Ensemble aber zu einem reizvollen Hof, einer Zuflucht in der Zeilen-Vorstadt. Davon ist – leider – nach der Sanierung nur noch das luftige Torgebäude übrig geblieben, das den Eingang zum Quartier markiert. Die Sanierer mussten aus Kostengründen Prioritäten setzen.

Die 2009 von Architekten und Stadt veranschlagten 5 Mio. Euro erwiesen sich ohnehin bald als zu knapp kalkuliert: Das »Haus der Begegnung« war seinerzeit vom billigsten Bieter errichtet, das Baumaterial aus Trümmerschutt zusammengebacken, Pläne waren nur lückenhaft hinterlassen. Die Darmstädter Architektengruppe werk.um unter Leitung von Arne Steffen, beauftragt zunächst mit einem Gutachten, daraufhin mit der Ausführungsplanung, war zwar fasziniert von der »unverdorbenen« Qualität des ohne viele Veränderungen erhaltenen Haupthauses, sah sich aber mit einer nach heutigen Maßstäben äußerst mageren Statik und zahlreichen Bauschäden konfrontiert.

Immerhin war dem Gebäude mit den gängigen Mitteln beizukommen: Betonsanierung, Dämmung von Außenwänden, Böden und Decken, Erneuerung der Fenster sowie nahezu sämtlicher Oberflächen und natürlich der Haustechnik. Abgesehen von der besseren Anbindung des einst als Garagen für die Missionsbusse dienenden und nun für weitere Tagungsräume zu nutzenden UGs durch ein neues Treppenhaus gab es keine Eingriffe in tragende Strukturen.

Unverdorbenes nicht verfetten

Eine im Denkmalschutz gern bevorzugte Innendämmung schied für die Architekten aus: zu teuer, bauphysikalisch zu problematische Anschlussdetails, heißt es von dort. Die Denkmalpflege stimmte einem WDVS unter der Bedingung zu, dass die vorhandenen Sgraffiti auf die neue Außenhaut übertragen werden. Das gelang dann auch in akribischer Kleinarbeit – die Architekten sind dabei voll des Lobes für die Handwerker. Der dunkelgrau gefärbte Putz ist von einer fast händisch-rohen Rauheit, die einem aus Nachkriegsbauten vertraut ist.

Die 10 cm Dämmschicht aus Polystyrol-Hartschaum führte zumindest bei der Fassade nicht zur befürchteten Verfettung, da auch die neuen Fenster herausgerückt wurden und fast bündig mit der Fassade abschließen. Die Dachüberstände hingegen sind erkennbar mächtiger, die zuvor sanft gebogenen Eternitplatten der Eindeckung etwas zu eckig geworden. Die schlanken Aluprofile der Lochfenster wurden wieder im Stile der 50er durch feine weiße Umrahmungen abgesetzt, die mehrflügeligen Fenster getreu den Vorbildern gefertigt.

Bleifenster auf Dreifachverglasung

Die große Glasfassade indes musste völlig neu konzipiert werden. Da die prägenden schmalen Bleifenster lückenhaft waren, musste diese »Schmuckschale« originalgetreu neu aufgebaut werden (ein Kirchenfenster-Experte nahm sich dieses Themas an). Als Trägerschicht dienen großformatige, von schmalen Leisten gehaltene und durch aufgeklebte Sprossen weiter unterteilte Elemente aus gängigem Dreifachglas. Als Vorbild für dieses Laminierverfahren diente Gerhard Richters unlängst für den Kölner Dom gefertigtes Kirchenfenster. In dieser Größe ist die Fassade aber ein Novum und zumindest in der Gliederung nah am Original. Ohne eine Hinterlüftung in Form einer Doppelfassade – eine aufwendigere Option, die aus Kostengründen verworfen wurde –, musste der Energieeintrag durch Sonnenschutzverglasung reduziert werden, die glücklicherweise keinen ausgeprägten Spiegeleffekt hat.

Im Innenraum steuert eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung der verbleibenden Wärmelast entgegen und sorgt nach ersten Erfahrungen für guten thermischen Komfort. Abluftöffnungen und -kanäle wurden in den Wänden, über den Fenstern und in der neuen, stark vergrößerten Brüstung der Empore versteckt. Die Zuluft wird über einen Erdkanal nach Bedarf vorerwärmt oder -gekühlt. Die Restwärme erzeugt ein Pelletkessel im UG. So liegt der Primärenergiebedarf bei respektabel niedrigen rund 100 KWh/m²a, was 65 % unter dem Höchstwert der hier maßgeblichen EnEV 2007 und immer noch 40 % unter dem schärferen Limit von 2009 liegt.

Fifties Revival, nur: Was ist hier noch alt?

Abgesehen von der fachlichen Begleitung durch die dena gab es für das Pilotprojekt einen zinsvergünstigten Kredit der KfW, der mit 550 Euro/m² NGF folglich 250 Euro höher war als die typische kfW-Förderung, sowie einen fünfstelligen Zuschuss aus Denkmaltöpfen. Mittlerweile sonnt sich die Stadtverwaltung in der Publicity für ihr »Green Building« und bereut keinesfalls den Mehraufwand für die Sanierung. Das Haus bewährte sich in diesem Sommer schon bei einem großen Musikevent und erfreut sich auch im Alltag reger Belegung durch örtliche Vereine und Institutionen. Kaum einer trauert hier mehr den kühneren Abriss- und Neubauplänen nach, die es einmal gab.

Wer das Gebäude betritt, erlebt ein runderneuertes Haus, an dem außer Kubatur und Gliederung allerdings nur noch sehr wenig sichtbar alt ist. Alles ist zwar so originalgetreu wie möglich, doch insbesondere die optische Leichtigkeit, die Beschwingtheit der 50er Jahre musste an einigen Stellen geopfert werden, meist aus Sicherheitsgründen wie etwa bei den Treppengeländern und den Stützen im großen Saal oder bei der Empore, in der die neue Technik untergebracht werden musste. Allein der wunderbare Mosaikboden aus großformatigen Natursteinen im Foyer strahlt, poliert und ausgebessert, noch den echten informellen Charme aus. Von der abgehängten Saaldecke aus gefalteten Acella-Elementen (PVC-Paneelen von seidigem Glanz), die über die Jahre löchrig wurden, ließ sich nur noch ein schmaler Streifen über der Empore original erhalten. Die nachgebildete Konstruktion trägt weiter wesentlich zur guten Raumakustik bei. Im bereits früher veränderten Foyer erlaubten sich die Planer hingegen, die abgehängte Holzlattendecke zu entfernen, um mehr Licht ins Innere zu leiten. Auch durch behindertengerechte Einbauten in den Tagungsräumen gibt es Störungen der Harmonie, doch insgesamt ergibt sich ein stimmiges Bild. Die Architekten blieben hier ganz in der dienenden Rolle, und fraglich ist, ob eine mutigere Kontrastierung dem Interieur gutgetan hätte.

Im Außenraum jedoch nahm man erstaunlich wenig Rücksicht auf die alte Situation, und das tut dem Ort nicht gut: An die Stelle der prägenden und städtebaulich wichtigen Hof-Situation trat eine offene, grafische Beetgestaltung, die Fluchttreppen landen auf einer ungeschützten, lediglich gesplitteten Terrasse. Ausgerechnet auf dem urbanen Präsentierteller reichten offenbar Geld und Gestaltungshoheit der Akteure nicht aus, um großzügiger zu planen. Warum wagte man etwa anstelle des obsoleten Bettentrakts keinen Neubau für Hotel oder Gastronomie, der den im Stadtgefüge etwas abgelegenen Ort zudem beleben und zu einem Platz machen würden? Keinen Fake wie ein paar Schritte weiter, wo eine nagelneue Altenresidenz im historistischen Retro-Mix steht, sondern einen Dialog mit den 50er Jahren. Dann würde womöglich für alle deutlich: Mit seiner formalen Klarheit und Kargheit wirkt das »Haus der Begegnung« in dieser reichen Stadt geradezu provozierend zeitgemäß.

11. Juni 2012 deutsche bauzeitung

Leicht und leuchtend

Konferenz- und Veranstaltungszentrum in Cartagena (E)

Farbe wirkt direkt, emotional, das ist bekannt. In medial überreizten Zeiten wie diesen ist der heftige Griff in den Farbtopf deshalb besonders populär. Wenn farbige Architektur dann noch so spielerisch leicht und klug inszeniert wird wie bei diesem multifunktionalen Gebäude in Südspanien, ist ihr Erfolg garantiert – eigentlich. Doch bei einem Besuch vor Ort bleiben Fragen offen.

Einen Stimmungsaufheller wie »El Batel« hat die Region Murcia dringend nötig. Nach einem Jahrzehnt des Booms mit den landesweit höchsten Wachstumsraten herrscht Katerstimmung, am sichtbarsten im Immobiliensektor: Leerstände, verwaiste Baustellen, Spekulationsruinen, wohin man blickt. Von den jungen Leuten ist derzeit die Hälfte arbeitslos, und gerade die Qualifizierteren wandern ab.

Mit dem Konferenz- und Veranstaltungszentrum am Hafen von Cartagena setzen Stadt und Region auf eine Gegenbewegung, auf »Qualitätstourismus«. Doch um die zahlungskräftige Kongress-Klientel buhlen gegenwärtig viele Standorte in Spanien. Um hier mithalten zu können, hat man gerade einen neuen internationalen Flughafen zwischen Murcia und Cartagena aus dem Boden gestampft, der den Nachbarn in Alicante und Almeria Gäste abjagen soll.

Der Erfolg dieser Bemühungen ist bisher zweifelhaft. Im März eröffnete Königin Sofia El Batel mit großem Gefolge, doch das Programm des Zentrums liest sich bislang bescheiden. Genug Platz also, die ungewöhnliche Architektur an der heißen Hafenpromenade genauer zu betrachten.

Container und Lampion: die Gebäudehülle

Was andernorts gern als »Palast« repräsentiert, kommt hier zunächst als schlichter Container daher: lang und schmal und v. a. niedrig. Eingeschossig nimmt das Entree den Maßstab des benachbarten Museumsbaus auf, ehe es gen Osten zum Auditorium in die Höhe und, wie man erst drinnen merkt, in die Tiefe wächst. Überhaupt: Die äußere Klarheit und Reduziertheit einer Fabrikhalle lässt den inneren Reichtum an räumlichen Situationen und farbiger Sinnlichkeit zunächst nicht ahnen. Als Determinanten ihres Entwurfs nennen die Architekten die strikte Geradlinigkeit der Hafenmole und die ruhige Horizontalität des Meeres. Offensichtlich ist zudem der Bezug zum nahegelegenen Containerumschlagplatz im Hafen.

Die beiden 210 m langen Hauptfronten sind als ein Meter tiefe Doppelfassaden ausgeführt, deren einheitliche Haut aus einer Art semitransparenten Stülpschalung besteht. Gedrungen V-förmige Profile aus Methacrylat (Acrylglas) außen und Polycarbonat innen werden von simplen Metallprofilen, wie sie aus dem Gewächshausbau bekannt sind, gehalten. Das UV-stabile Acrylglas und das brandhemmende Polycarbonat sind dabei äußerlich nicht zu unterscheiden. Beiden sind 1 mm breite Pigmentstreifen in phosphoreszierendem Orange, Gelb, Blau und Grün eingelegt, welche gemeinsam mit Längsrillen eine je nach Standpunkt des Betrachters variable Brechung des Lichts bewirken. Die filigrane Stahlkonstruktion im Scheibenzwischenraum ist so nur verschwommen erkennbar.

Die Hoffnung war, auf diese Weise auch die Verschmutzung zu überspielen, denn: »Cartagena ist eine sehr schmutzige Stadt«, wie Architekt José Selgas sagt. »Wenn es regnet, regnet es Saharastaub.« Dies gelingt zumindest besser als bei einer Glasfassade, die auch aus Kostengründen ausschied – sie wäre doppelt so teuer gewesen. Mit 150 Euro/m² ist diese Wandkonstruktion unschlagbar günstig, auch weil in Cartagena Europas größte Fabrik für Polycarbonat steht (die Gegend ist voll von riesigen Kunststoff-Gewächshäusern). Das Material ist nach Auskunft des Architekten ebenso dauerhaft und noch bruchfester als Glas und bestand alle Härtetests. U. a. ließ man Skater in voller Fahrt auf die Fassade prallen.

Da die Temperaturen in Cartagena im Mittel bei 20 °C liegen und kaum einmal unter 10 °C fallen, hat die Wand bauphysikalisch jedoch weit weniger Funktionen als in Mitteleuropa. So ist die aus 5,2 m langen und 22 cm breiten Profilen bestehende Stülpschalung »durchlüftet« und entlässt die eingefangene Wärme gleich wieder nach draußen, zumeist ohne künstliche Klimatisierung, wie Architekt Selgas betont. Bei dieser Low Tech-Planung waren wiederum der Staub und die Vögel zu beachten, die bei breiteren Fugen in den Zwischenraum eingedrungen wären. Die Reinigung der Fassade wird indes ein Dauerthema bleiben. Eine Heizung hat das Gebäude übrigens nicht, allein die in den Böden unsichtbar verlegte Klimaanlage vermag Temperaturspitzen auszugleichen.

Mit Einbruch der Dämmerung lassen weiße LED-Strahler am Fuße der Fassade den kantigen Container zum weithin leuchtenden Lampion werden. Schemenhaft ist dann auch das Innere des Gebäudes zu erkennen. An dessen rückwärtigem, höheren Teil und auf den Dachterrassen glimmen gelbe und weiße Röhren aus Acrylglas auf, die dort die Verkleidung und den Sonnenschutz bilden.

Drittes Fassadenelement sind großformatige knallorangefarbene ETFE-Luftkissenelemente (mit 15 x 60 m die größten bislang gefertigten), die in der östlichen Einkerbung des Baukörpers hängen und v. a. das Foyer des Auditoriums prägen.

Tagheller Plastik-Pop: das Innere

Die Uferpromenade, deren Ende El Batel bildet, setzt sich im Inneren des Gebäudes fort. Zwei bis 100 m lange Rampen führen hinauf zu einem Ausstellungsbereich und hinab zu den vier Sälen. Unmittelbar am Eingang geht es über eine Rolltreppe hinauf zum Restaurant und zur Verwaltung. Dank der durchlässigen Hülle und gläserner Brüstungen ist es im gesamten Inneren taghell, auch die Konferenzsäle lassen sich durch indirekten Lichteinfall über die Decken ohne Kunstlicht nutzen.

Nicht nur in der Horizontalen, auch vertikal gerät hier vieles in Bewegung: Die Wände, aus denselben V-Profilen wie die Fassade opak gefertigt, hier aber vertikal gereiht, schwingen leicht ein- und auswärts, bis sie für die breiten Eingänge der großen Säle zurückweichen. Wild und scharfkantig wie Wunden sind immer wieder Öffnungen ausgesägt, an denen hinter der milchigen »Haut« das orangene »Fleisch« des Gebäudes hervortritt – Ticketverkauf, Empfang sind die Funktionen dieser im ruhigen Fluss der Räume plötzlich beunruhigenden Störungen. Doch es kommt noch extremer: Der zuvor eher niedrige, von weißen geschlitzten Metallblechen gedeckte Verkehrsraum weitet sich im Foyer des Auditoriums spektakulär nach oben, wo eine Kaskade leichter Stahltreppen zu den oberen Rängen führt.

Warm und kalt, fast psychedelisch: das Farbkonzept

Strahlend orange sind die ETFE-Wände und auch die Stufen dieses Foyers gehalten, »um die Besucher hierher zu locken«, wie José Selgas sagt. »Mit Orange verbinden die Menschen Wärme und Geborgenheit, so dass sie sich hier gern aufhalten.« Die hier einfallende Abendsonne verstärkt diesen Effekt noch. Eigentlich herrscht aber permanenter Sonnenuntergang. Ein positiver Nebenaspekt von Orange sei, dass der Schmutz darauf nicht so sichtbar sei wie auf den weißen (!) Gummiböden im übrigen Foyer, merkt der Architekt an.

Umso krasser der Kontrast, sobald man das anschließende Auditorium betritt, das felsartig verschalte Betonwände abschirmen: Hier sind die Polycarbonat-Wände wie die 1500 Sitze tiefblau gefärbt, eine Spiegelfolie hinter den Kunststoffplatten führt zu unsteten Lichtreflexen. Der Betrachter wähnt sich auf einem Tauchgang (oder in einem Eisblock?). Tatsächlich liegt das Auditorium unter der Wasserlinie in einem Betontrog. Das Blau strahlt Ruhe aus, Konzentration, doch unwillkürlich fröstelt es einen auch. Neutrale Helle verströmt allein die Tageslichtdecke – aus Polycarbonatplatten. Offenbar leidet die Akustik nicht unter den »billigen« Oberflächen. Sie könne es mit Räumen aus feinsten Hölzern aufnehmen, heißt es.

Diese, so stark von Farben dominierten Räume sind sicher überaus einprägsam. Wie die vielen teils legendären Designer-Sitzmöbel aus der Pop-Ära, die locker über das Gebäude verteilt sind, wird El Batel mit diesen fast psychedelischen Raum-Erfahrungen verbunden bleiben – als eine populäre »Marke«. Ob ihre Intensität den Menschen auf Dauer guttut, sei dahingestellt. Menschen halten sich ja nie länger als einige Stunden darin auf.

Auch im Außenraum tauchte der Kontrast Warm-Kalt schon auf: Die Uferpromenade ist um das Gebäude mit warmen Holzdielen belegt, aus denen Palmen und Felsbrocken herausragen, die beim Aushub der Baugrube auftauchten. Vor 100 Jahren, ehe die Hafenmole errichtet wurde, lag hier ein beliebter Strand, von dem der Name »El Batel« (der Kahn) herrührt. Und auf assoziative Weise lässt sich das fein modellierte Innenleben des Zentrums lesen als eine Reminiszenz an diesen Strand, der von einer harten Hülle überformt wurde.

Dass hier 18 500 m² flexible Nutzfläche geboten werden, sieht man dem äußerlich so bescheiden auftretenden Gebäude nicht an. Mit 34,5 Mio. Euro (1865 Euro/m²) wurde es in zehn Jahren Planungs- und Bauzeit zwar teurer als prognostiziert, doch immer noch sehr kostengünstig, zumal im Vergleich zu ähnlich großen Werken bekannter Stars wie Calatrava oder Foster. Das Büro von José Selgas und Lucia Cano ist klein, 8–10 Leute sitzen in ihrem originellen halboffenen Büro-Rohr am Rande von Madrid. Eben haben sie ein weiteres Konferenzzentrum in Placencia vollendet und sich um den Bau eines anderen in Bochum beworben. Keines sieht auch nur annähernd so aus wie El Batel, und so darf man gespannt sein, was selgascano mit ihrer experimentellen Denkart noch entwerfen werden.

29. Februar 2012 deutsche bauzeitung

Zerklüftete Passagen zum Fluss

Plaza Pormetxeta in Barakaldo, Grossraum Bilbao (E)

Es hätte auch einfach eine Bahnüberführung werden können. Doch was drei junge spanische Architekten 2001 im Europan-Wettbewerb entwarfen und schließlich realisierten, ist eine spannende Abfolge multifunktionaler Räume am Übergang von der Stadt zum Fluss. Hat das scharfkantig, coole Design auch seine Tücken, zum maroden Ort passt die Plaza durchaus; sie ist ein markanter Aufbruch zu neuen Ufern.

Die 100 000 Einwohner-Stadt Barakaldo, auf halbem Weg zwischen Bilbao und der Atlantikküste gelegen, stand nach dem Niedergang ihrer Stahlindustrie in den 90er Jahren vor großen Veränderungen: Ein seit dem 19. Jahrhundert versperrter, 40 ha großer Uferstreifen entlang des Nervion wird seither als neuer Stadtteil entwickelt. Mit Unterstützung des EU-Programms URBAN und der staatlich-regionalen Organisation Ria 2000 versucht die Stadt vom »Bilbao- Effekt« zu profitieren. In der Nachbarstadt haben weitsichtige öffentliche Investitionen in neue Infrastruktur (Öffnung zum Flussufer, Bau einer Metro) und markante Architektur (besonders, aber längst nicht nur, das Guggenheim Museum von Frank O. Gehry von 1997) aus der rostenden Hafenstadt ein Touristenziel erster Güte werden lassen. Nun schließt Barakaldos Uferquartier eine der letzten Lücken in der neuen Bandstadt entlang des Flusses.

20 m Höhenunterschied für Klippen und Höhlen

Eine Barriere zwischen der alten, am Hang gelegenen Stadt und der Uferzone bildet aber weiterhin die Trasse der Vorortbahn. Im Bereich der neuen Plaza schafft der Entwurf der drei Architekten den mit 20 m Höhenunterschied verbundenen Sprung über die Bahn allerdings mit spielerischer Leichtigkeit: Eine artifizielle Landschaft aus Rampen, Terrassen, Toren und Balkonen führt mäandernd hinüber, öffnet und verstellt im Wechsel den Blick auf Stadt und Fluss, bildet metallene Klippen und Höhlen, um schließlich in einem Platz zu Füßen der umgenutzten alten Stahlwerksverwaltung zu münden, wo rostige Pergolen Spielinseln überwölben.

Nun sind solch spitzwinklig-polyedrische Gebilde nichts Neues mehr, seit CAD-Programme nach Belieben »Faltungen« generieren, berechnen und baubar machen. Ein gewisser anti-modischer Reflex ließ beim Autor erst nach, als er selbst über diese komplexen Klippen schritt. Die künstliche Landschaft verlockt tatsächlich dazu, dem bunten hexagonalen Pflaster zu folgen und aus der engen Stadt oder dem tristen Bahnhof hinüberzugehen ins Offene. Unterwegs auf den Rampen bieten sich immer wieder Räume zum Verweilen, um aus der Deckung der metallenen Rahmen voraus- oder hinabzuschauen auf das Treiben der Stadt und das träge Gleiten des Flusses, wo ein kleiner neu gestalteter Bootsanleger auf Passagiere wartet.

Schräge Flanken, scharfe Kanten

Regnet es, und das ist im Norden Spaniens gar nicht so selten, erweisen sich die von Weitem so trutzigen Überhänge indes als durchlässig für Nässe, denn die vieleckigen Volumen bestehen – auf einer tragenden Basis aus Beton – aus geschlitzten und schräg aufgebogenen Aluminiumplatten, die von einem leichten Stahlfachwerk gehalten werden. Edelstahlschienen bilden die scharfen Grate, an denen die Aluplatten sichtbar verschraubt sind.

Bei den changierenden kristallinen Oberflächen, die je nach Blickwinkel geschlossen wie Stein oder durchsichtig wie Schleier wirken und zudem nachts von (plump) aufgesetzten LED-Strahlern in ein kaltes Licht getaucht werden, hatten die Architekten offenbar die amorphen Gesteinsformationen der Umgebung mit ihren Eisenerzminen im Sinn, und auch nautische Assoziationen gab es im Team.

An dieser »Küchenreiben ähnlichen« Oberflächengestaltung stoßen sich viele Leute vor Ort, im übertragenen und im Wortsinn: Spielende Kinder verletzten sich schon an den scharfen Kanten. Zudem erschienen die schrägen Brüstungen der Bauaufsicht zu einladend für kleine Kletterer – sie ließ davor reguläre Metallgeländer errichten. Das sieht nicht nur unschön aus, es konterkariert auch die Idee von der belebten, fließend modellierten Brücke, wo die Leute auf runden Sitzhölzern verweilen sollen. Dieses erwünschte »Herumlungern« wird nun gerade an den interessanten Stellen unterbunden. Skater nutzen die Rampen aber offenbar gern, auch für Ballspiele bieten sich die geschützten Terrassen an. Erste Dellen im weichen Blech und Graffiti zeugen von weniger willkommenen Besuchern.

Prekärer Platz unter künstlichen Bäumen

Auf der eigentlichen Plaza zu Füßen des Übergangs, wo um das ehemalige Verwaltungsgebäude des Stahlwerks herum Platz zum Verweilen und Spielen geschaffen wurde und künftig auch Ladenfläche sowie die Abfahrt in eine Tiefgarage vorgesehen sind, dort also finden sich dann doch noch echte Felsen: Als reizvoller, auch vom differenzierten Beleuchtungskonzept unterstrichener Kontrast zum glatten, kalten, Patina-freien Metall sind die hölzernen Bänke auf Brocken aus roh gebrochenem Stein befestigt.

Und, weitaus kontroverser: Die in rostigem Cortenstahl ausgeführten »Bäume« – wie die kranartigen Leuchten eine Reverenz an das aufgelassene Stahlwerk an dieser Stelle – sind mit grobem Schotter belegt, der allein von einem Maschendrahtgeflecht gehalten wird.

Der so erzielte Schattenwurf mag dem von Bäumen tatsächlich ähneln; das bereits nach kurzer Zeit starke Durchhängen der schweren Netze weckt aber nicht eben Vertrauen in diese reizvolle Konstruktion. Architekt Javier Peña Galiano betont, es handle sich bei dem Geflecht um ein Schweizer Spezialprodukt, und fürchtet keinen fatalen Schaden an dieser Stelle. Doch wer wird seine Kinder hier guten Gewissens spielen lassen?

So verwundert nicht, dass die Meinungen über die Plaza vor Ort überwiegend ablehnend sind. »Tonto«, albern und dumm, sei die Gestaltung, und mit fast 10 Mio. Euro viel zu teuer, ist zu hören.

Doch haben das die Leute von Gehrys Guggenheim Museum, Calatravas Brücke oder Norman Fosters Metrostationen anfangs nicht auch gesagt? Inzwischen nennen sie die muschelförmigen Abgänge zur Metro liebevoll »Fosteritos« (Fosterchen) und promenieren sonntags stolz ihren Fluss entlang.

Vernetzung mit Nebenwirkungen

Die Plaza, das sei etwas für die Touristen, murrt man in Barakaldo. Und sicher haben die unerfahrenen Architekten aus dem sonnigen Murcia und Madrid die baskischen Eigenarten teilweise falsch eingeschätzt und beim Umsetzen ihres urbanistisch wie plastisch überzeugenden Konzepts zu unbefangen experimentiert.

Anscheinend mangelte es den zahlreichen beteiligten Akteuren der Operation auch am Willen zur Verständigung. Doch funktional ist sie, die neue Plaza Pormetxeta, bequem zu begehen – und unverwechselbar: Fremd und verlockend liegt sie vor der Stadt, eine schimmernde Landmarke im gesichtslosen Siedlungsbrei, die, wenn der Immobilienmarkt wieder anzieht, noch durch einen 80 m hohen gläsernen Turm ergänzt werden soll. Er war von Anfang an Teil des Entwurfs und erinnert ebenfalls entfernt an einen Kran. Im Kern ist die Plaza Pormetxeta jedoch kein weiteres Objekt, sondern ein verbindender Raum, der einen andersartigen Blick auf die einzigartige Topografie der Nervion-Mündung eröffnet. Wie der viel zitierte Bilbao-Effekt lehrt, sind es heutzutage eben auch solche »geliehenen«, oft skurrilen Identitäten, die Orte prägen, Aufsehen erregen, und »Platz machen« in den Köpfen und in den Städten für neue, übergreifende Ideen. Was ist dagegen schon eine Bahnüberführung?

1. Februar 2012 deutsche bauzeitung

Riese im Niemandsland

Krankenhaus in Kortrijk (B)

Für die medizinische »Maximalversorgung« der Bevölkerung werden weiterhin zentrale, hochtechnisierte Großkliniken gebaut. Doch Häuser mit über 1 000 Betten, die »alles unter einem Dach« bieten, sind extrem komplex und architektonisch schwer vermittelbar – in der Vergangenheit waren es häufig wahre Ungetüme. Im Süden Belgiens unternahm ein berühmtes Büro nun einen neuen Versuch der Domestizierung.

1 060 Betten, 21 Operationssäle, Tageskliniken, Therapiezentren, Verwaltung, Läden, Restaurant, Parkhäuser – das Raumprogramm des neuen Allgemeinen Krankenhauses Groeninge passte nicht in die flämisch-kleinteilige Siedlungsstruktur der Stadt Kortrijk mit ihren nur 75 000 Einwohnern. Vier bestehende Krankenhäuser wurden dort weitgehend aufgegeben, um draußen auf der grünen Wiese den »großen Wurf« zu realisieren: ein zentrales, sogenanntes Vollkrankenhaus für die Region Westflandern, das auch den nahen nordfranzösischen Ballungsraum Lille bedienen könnte, wenn Europa eines Tages auch gesundheitsbürokratisch zusammenwächst. Basierend auf einem Wettbewerb von 1999 entstehen hier in zwei Bauabschnitten zwischen 2010 und 2017 insgesamt knapp eine halbe Million Kubikmeter umbauter Klinik-Raum. Der erste Bauabschnitt ist seit gut einem Jahr beendet und bereits zwei Krankenhäuser sind nun um- und hier eingezogen.

Wer vom Stadtzentrum Kortrijks zum Torso des Neubaus hinausfährt, passiert weitläufige Gewerbegebiete, heterogene Büroparks, Einfamilienhaus-Siedlungen. Das dichte Netz von Autobahnen hat dem ländlichen Flandern erst im letzten Jahrzehnt einen gewaltigen Schub an Verstädterung beschert. Man lebt, arbeitet, shoppt auch hier inzwischen regional, und das heißt zumeist: mit dem Auto.

In direkter Nachbarschaft des knapp 15 ha großen Klinikgeländes zeugen zwei Bauernhöfe von der vorherigen Nutzung der Gegend. Ihr Status als Baudenkmal verhindert derzeit noch den Bau eines 2500 Pkw fassenden Parkhauses am Rande des Areals. So prägen provisorische Großparkplätze den ersten Eindruck vom Komplex: Blech, wohin man blickt. Eine im Wortsinn »verfahrene« Situation, die solche massiv Verkehr induzierenden Auslagerungen grundsätzlich fragwürdig macht.

Lang gestreckt, unspezifisch

Der flachen, nur von einzelnen Dämmen durchzogenen Landschaft angepasst, erhebt sich der Neubau nur wenig über das Gelände: Drei Geschosse ohne Sockel, ohne vertikale Akzente prägen sein Bild. Dafür geht es mächtig in die Breite: Über 1,5 km zieht sich die einheitliche Fassade ums Gebäude. Dennoch ist der Eingang leicht gefunden: Dort, wo kein Blech parkt, sondern ein gen Süden offener »Ehrenhof«, durch Lampen und Beete gegliedert, in die Mitte des Komplexes führt. Die gleichförmig rhythmisch gegliederte Fassade und die vordergründig symmetrische Gruppierung der Baumassen auf den zentralen Block hin erinnern tatsächlich an klassische Schlossanlagen. Nichts lässt außen den Zweck des Gebäudes erkennen. Dem Augenschein nach könnte es ebenso gut ein Hotel, einen Firmensitz oder ein Ministerium beherbergen.

Oberstes Gebot: Flexibilität

Dass weitere Höfe den Komplex gliedern, wird sich dem Besucher erst im Innern erschließen. Das Gebäude wird am Ende aus vier an den zentralen Block angeschlossenen Baukörpern bestehen, von denen drei selbst einen länglichen Innenhof umschließen. So ergibt sich im Grundriss eine Art Windmühlen-Layout von funktionaler Logik: Im Zentrum sind die Operations- und Kreißsäle sowie die Intensivmedizin untergebracht, in den länglichen Flügeln reihen sich die Zimmer von Tagesklinik (EGs), Pflegestationen (OGs) und Verwaltung.

Zunächst ist der Besucher jedoch etwas irritiert, dass der großen Geste des Ehrenhofs scheinbar keine räumliche Tiefe im Innern folgt. Weil das Zentrum den intensivmedizinischen Funktionen vorbehalten und darum streng abgeschirmt ist, prallt man im Entrée gegen eine Wand, und die querliegende Lobby leitet einen stracks zu den Seitenflügeln, deren Erschließung außen um den zentralen Block herumgeführt wird. Nicht einmal der Empfangstresen steht auf der Achse (und auch kein Chefarzt- oder Direktorenzimmer, wie mir versichert wurde).

Zurück zum Korridor

Nachdem im Krankenhausbau der letzten Jahrzehnte immer wieder versucht wurde, die starre Reihung der Zimmer an langen Fluren zugunsten überschaubarerer und leichter bedienbarer Cluster aufzugeben, kehrt dieser Entwurf zum klassischen Korridor zurück. Als Hauptgrund dafür wird die größere Flexibilität genannt: Stationen lassen sich so im 90 cm-Raster verkleinern oder vergrößern; sogar die Büros der Verwaltung oder Behandlungsräume können an die Stelle von Patientenzimmern rücken.

Die Architekten haben zwar versucht, durch farbige Lichthöfe Identität und Abwechslung in ihre Bausteine zu bringen, doch bleiben die bis zu 120 m langen Flure trotz der hochwertigen Gestaltung öde Schläuche, auf denen das Personal unnötig weite Wege zurücklegt. Die zweihüftige Aufteilung sorgt dabei mit 26 m Tiefe für eine gewisse Kompaktheit (und für einige Aufenthaltsräume ohne Tageslicht), die lichte Raumhöhe von 3,60 m allerdings schafft nur in den Zimmern und Vorzonen Großzügigkeit. ›

Ausgeklügelte Fertigteilfassade

An den Fassaden zeigt sich das Serielle indes von seiner vorteilhafteren Seite. Hier vermieden die Architekten die Technik-Exzesse der vergangenen Jahrzehnte und entschieden sich für eine ruhige Reihung tragender Sichtbetonelemente. Ursprünglich in regionstypischen Ziegelverblendern geplant, fiel die Wahl aus Kostengründen auf die sauber vorgefertigten Betonteile, die geschossweise gestapelt ineinandergreifen. Die Ortbeton-Flachdecken wurden in die Fassadenelemente hineingegossen und nachgespannt, sodass sie bei geringer Bauhöhe rund 8 m überbrücken.

Inklusive Fensterebene ist die Fassade 1,10 m tief. Die Drehung der Stützen um 45 Grad (alle weisen nach Süden) und ihre Zuspitzung verleihen der Fassade im Außenraum eine enorme Plastizität; ins Innere streut sie angenehm gedämpftes Licht. Außerdem verhindert sie so unerwünschte Einblicke, jedoch auch jedwedes flandrisches Landschaftspanorama …

Eine klassische tektonische Fügung dieser Art taucht im Œuvre der Architekten immer wieder auf, zuletzt, filigraner, im eScience-Lab der ETH Zürich, wo Dietmar Eberle auch Entwerfen lehrt.

Die enorme Tiefe der Fassade ist allerdings – mit der ebenfalls im Hinblick auf Flexibilität gewählten großen Raumhöhe – hauptverantwortlich für die in Relation zur Nutzfläche außergewöhnlich große Kubatur des Gebäudes. Doch dürfte sich diese Investition bald bezahlt machen, da die Fassade sowohl aufwendigen Sonnenschutz als auch Klimatisierung überflüssig macht und sehr pflegeleicht ist. Hinter der soliden Hülle verschwinden die billigen Fensterrahmen aus PVC, und Änderungen an der bauphysikalisch wirksamen Hülle lassen sich im 90 cm-Raster leicht vornehmen. Aber nicht nur die Fassadenhülle ist für das Innenraumklima verantwortlich. Erdsonden unterstützen das Energiekonzept, das ansonsten belgientypisch unambitioniert daherkommt.

Heilen durch Architektur?

»Das Klinikum sollte selbst ein Heilgegenstand sein – nicht der Technik unterworfen, sondern von einer Atmosphäre geprägt, die Gelassenheit und Ruhe ausstrahlt und vom eigentlichen Aufenthaltszweck ablenkt« (aus dem Erläuterungstext der Architekten). Wie gesehen, mag das Gebäude diesem hohen Anspruch äußerlich gerecht werden. Auch die Patientenzimmer und Behandlungsräume sind sorgfältig und hochwertig (Parkett) gestaltet. Die Neutralität und Flexibilität der übrigen räumlichen Organisation dürfte jedoch Patienten wie Personal die Orientierung im weitläufigen Haus eher erschweren, zumal bislang kein nachvollziehbares Leitsystem installiert wurde, das die vielen ähnlichen Situationen klären könnte. So sieht beispielsweise die Kinderstation aus wie alle anderen Stationen, von einem neckischen Wandbild am Eingang abgesehen. War der Klinikbau hier nicht schon weiter?

Der graue belgische Granit, der Böden und Wände in den Vorzonen bedeckt, und die kalte direkte Beleuchtung erinnern in ihrer »ewigen« Solidität gar an Bauten der 30er Jahre. Für den ein oder anderen Patienten oder Besucher wird dies gewiss ungemütlich wirken.

Es bleibt zu hoffen, dass die noch ausstehende Gestaltung der Innenhöfe unverwechselbare Orte prägen wird, die eine Verbindung zur Landschaft mit ihren Bauernhöfen und Alleen herstellen, aber auch künstlerische Akzente setzen könnte. Besondere Räume im Haus sind bereits die hölzerne gelbe Kapelle und ein Raum der Stille, beide oberhalb des Foyers gelegen. So sollte sich die strenge, starke Struktur der Riesen-Klinik durch kalkulierte Regelverstöße mit Leben füllen und trotz der isolierten Lage im Niemandsland zu einem geschätzten Stück Stadt werden.

11. April 2011 deutsche bauzeitung

Hölzerne Heimat

Büroporträt des »Holzbauers« Christian Lehmann aus St. Georgen

Architektonisch sei der Schwarzwald ein »Notstandsgebiet«, meinen manche und blicken neidisch nach Vorarlberg mit seinen durchaus vergleichbaren Ressourcen. Doch es keimt auch hierzulande Hoffnung auf: Mitten im Südschwarzwald entwickelt ein gelernter Zimmermann Holzbauten von eigentümlicher Schönheit und Effizienz. Dabei setzt er auf einen Verbund von Fachleuten, ganz wie in der Musterregion hinter dem Bodensee.

Das Beste an St. Georgen ist, dass es zwischen den Boom-Regionen von Freiburg und dem Bodensee liegt. Auf dem »Scheitel Alemanniens« selbst gedeihen scheinbar keine besonderen Orte. »Wenn Sie heute über unsere Schwarzwaldhöhen fahren, können Sie in Neubaugebieten nicht mehr erkennen, ob das ein Schwarzwalddorf ist oder ein Ort in Hessen oder sogar in Norddeutschland«, klagt Christian Lehmann.

Er ist hier oben auf einem alten Sägebauernhof groß geworden, hat das Holz sozusagen in die Wiege gelegt bekommen. Also wurde er Zimmermann, Restaurator, Energieberater – und einer der gefragtesten Fachleute für zeitgemäßen Holzbau in der Region. Seine Projekte, die er teils alleine, teils mit befreundeten Architekten realisiert, wurden schon vielfach preisgekrönt. Doch auch er hat mehr in den benachbarten Ballungsräumen zu tun als im Schwarzwald, wo der Holzbau eigentlich zu Hause ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden hier 40 % der Gebäude aus Holz errichtet, in den Nachkriegsjahren waren es nicht mehr als 10 %, heute dürften es noch weniger sein.

Alles begann damit, dass Christian Lehmann in den 90er Jahren als Betriebsleiter einer großen Holzbaufirma mit Architekten zusammenarbeitete, die andere Formvorstellungen hatten als die gewöhnlichen von Krüppelwalm und Lochfassaden. V. a. Herbert Schaudt aus Konstanz prägte mit seinen filigran aufgelösten Strukturen eine ganze Generation junger Planer, die fortan geschosshohe Glasflächen, Holznetzfassaden und schlanke Dachränder entwarfen. Indes: »Alle wollen ein Flachdach haben, aber bauen können es die wenigsten«, soll Schaudt gesagt haben.

Holz-Netz-Werk

Doch Christian Lehmann wusste Rat. Bereits Ende der 80er Jahre hatte er an der Übertragung der nordamerikanischen Holzrahmenbauweise auf deutsche Vorschriften für den Bund deutscher Zimmermeister (BDZ) mitgewirkt und daraus ein eigenes Bausystem abgeleitet. Er teilte die Begeisterung der Architekten für lichte Räume und feingliedrige Konstruktionen. Früh setzte er sich für eine Zusammenarbeit in Netzwerken, ähnlich denen, die der Vorarlberger Szene immer wieder innovative Schübe bescheren, ein. Nachdem aus seiner abendlichen Teamarbeit mit den progressiven Architekten einige Aufsehen erregende Neubauten in Holzsystembauweise hervorgegangen waren, darunter der erste viergeschossige Holzbau in der Region (in Villingen-Schwenningen, gemeinsam mit Linie 4 Architekten), wagte Lehmann 2003 den Sprung in die Selbstständigkeit. Im Souterrain einer kleinen Wohnanlage, die er mitten im St. Georgener Teilort Peterzell aus heimischer Douglasie errichtete, betreibt er seither sein Büro. Im Haus wohnt der kräftige, zumeist stoppelbärtige Mann Anfang 50 mit seiner Familie (Lehmann hat fünf, z. T. schon erwachsene Kinder). Auf dem Schild der kleinen Firma steht – architektonisch pur – »lehmann_holz_bauten – beraten betreuen bauen«. Eine Sekretärin und ein Mitarbeiter sind vor Ort, während der Chef die Bauvorhaben besucht. Er ist froh, dass nicht wie in seinem früheren Job »50 Leute im Hof stehen, die beschäftigt werden wollen«. Zehn, zwölf Häuser im Jahr, das könne er gut schaffen, wenn er den Kontakt zu den Bauleuten nicht verlieren wolle. Er spricht ihre Sprache, duzt sich mit den meisten und setzt auf persönliche Beziehungen.

Die verhalfen ihm auch zu ersten Aufträgen in der näheren Umgebung, die wir hier dokumentieren. Ein Cousin betreibt die Zimmerei, in der Lehmann gelernt hat. Andere Handwerker und Architekten haben sich wie er aus großen Betrieben heraus selbstständig gemacht und auf dem Land angesiedelt.

Dieses Netzwerk ist Christian Lehmann wichtig, er »träumt davon, dass ´die Hölzernen´ an einem Strang ziehn« und »der Holzbau im Schwarzwald wieder zum Markenzeichen wird«. In Rundschreiben hält er Kollegen und Kunden über seine Vorhaben auf dem Laufenden und wünscht ihnen »Gottes reichen Segen«. Weltoffen, findig und doch verwurzelt, gelingt es dem Holzbauer Lehmann auf diese Weise, so etwas wie Heimat neu zu interpretieren.

Denn das alte Bild vom dunklen Tann mit heilen Höfen stimmt längst nicht mehr. Von den etwa 10 000 landwirtschaftlichen Anwesen im Schwarzwald werden nur noch rund 30 % im Haupterwerb betrieben, und jährlich werden es 3 bis 5 % weniger. Die typischen, mächtigen Eindachhöfe eignen sich nicht für moderne, effiziente Betriebsabläufe. Aus Bewunderung für diese Relikte einer anderen Zeit hat Christian Lehmann den Beruf des Restaurators gelernt, hat Studien und Erhebungen für mögliche Umnutzungen angestellt: Allein 1 500 m² Dach umzudecken kostet 100 000 Euro, zehnmal so viel wie beim üblichen Einfamilienhaus. Darüber ist Lehmann pragmatisch geworden – und erfinderisch.

Gengenbach: Langhaus im Schindelkleid

Von den vielen Wohnhäusern, die lehmann_holz_bauten schon realisiert haben, ist dies wohl das außergewöhnlichste, zugleich aber unauffälligste. Der Entwurf stammt von der Stuttgarter Architektin Dagmar Bürk Kaiser. In einer kleinen Talbucht des Kinzigtals, am Rande eines geschützten Weinbergs in Gengenbach, brachten die Planer das in zweiter Reihe stehende Haus fast zum Verschwinden, indem sie es nahezu komplett in Schindeln kleideten. Fünf Jahre nach Fertigstellung hat sich auf dem rauen, ungeschützten Holz so viel Patina gebildet, dass es in der Umgebung aufzugehen scheint. Schmal und hoch, trägt das Haus archetypische Züge. Allein die geschosshohen Glasflächen, dem Wohnwert geschuldet, und zwei kastenförmige Erker durchbrechen den ruhigen Umriss. Lehmanns effizientes Bausystem, das auf klare Raster, wenige Durchdringungen, Kastenelementdecken und einen reduzierten Schichtenaufbau in den kompakten Außenwänden setzt, bleibt in diesem belebten Familienhaus ganz selbstverständlich im Hintergrund. Muss man erwähnen, dass sich die mit entworfenen Einbaumöbel vorzüglich integrieren?

Die Schindeln, obwohl ein schwarzwaldtypisches Element, wurden hier nicht wie die Fensterrahmen und Erker aus heimischer Lärche gefertigt. Forschungen im Vorfeld – der Bauherr ist gelernter Förster – hatten ergeben, dass Lärchenholz dafür nur in höheren Lagen beständig genug ist (was man den exponierten Presshölzern und Balkonen heute schon ansieht). Kanadische Rotzeder, im Allgäu von Hand gespalten, war deshalb das Material der Wahl.

Ein verwandtes Haus, von derselben Architektin entworfen, entstand vor Kurzem jenseits des Schwarzwalds in Donaueschingen-Aasen. Hier bildet eine vertikale, dunkel lasierte Nadelholzschalung die Wetterhaut des wiederum sehr »puren« Giebelbaus. Er öffnet sich erst auf der Rückseite und am seitlichen Eingang in kastenförmigen Erker-Elementen. Im Innern tragen stählerne Stützen eine zentrale Galerie-Ebene.

Buchenberg: Die Wohnbox auf der Tenne

Von Weitem ist dem einsam oberhalb von St. Georgen gelegenen Tälerbauernhof kaum anzusehen, dass hier der Generationswechsel auf unkonventionelle Weise »über die Bühne« gegangen ist: Die Flur musste nicht durch ein neues Leibgedinghaus zersiedelt werden, denn die Familie der Tochter fand auf der Tenne Platz. Unter das mächtige, rund 12 m überspannende Gebälk des nicht mehr bewirtschafteten Hofs schob Christian Lehmann eine hölzerne »Box«. Auf der Süd- und Westseite halten Loggia und Wintergarten Abstand zum ansehnlich präparierten Gebälk, im Osten schmiegen sich Schlaf- und Kinderzimmer unter die Schräge. Nur ein schmaler Streifen der Dachdeckung wurde durch Glas ersetzt, Latten und Gebälk blieben erhalten. Ein Netz aus Latten – das Holz aus dem eigenen Wald – verbirgt rings um die Loggia die verglaste Südfassade.

Ausgetretene Dielen der von Werkstatt und Holzlager gerahmten »Brücke« (der befahrbaren Auffahrt) grenzen effektvoll an glattes Eichenparkett im eigentlichen Wohnraum. Der ist als Allraum gestaltet, von welchem die Zimmer über Einbauschränke abgeteilt sind. Das angenehm helle, nur vielleicht etwas hellhörige Ganze wird allein von einem großen Kachelgrundofen beheizt. Pfosten-Riegel-Fassade wie Einbauten sind ohne Schnickschnack sehr fein gestaltet, mit tatkräftiger Unterstützung des Bauherrn, der gelernter Orgelbauer ist. So ließen sich die 110 m² Wohnfläche für 150 000 Euro realisieren. Derzeit plant die Familie, wegen Nachwuchs', noch das Geschoss unter der Tenne auszubauen.

Langenschiltach: Ein Wohnzimmer für Milchkühe

Als Architektenkammer und Regierungspräsidium im vorigen Jahr den Architekturpreis »Baukultur Schwarzwald« auslobten, kamen nur 13 der 169 Einsendungen aus dem Bereich Landwirtschaft. Das ist bezeichnend für die, auch in dieser Region v. a. von billigen Fertigbauten geprägte Szene. Dass es auch anders geht, bewies Christian Lehmann auf einem Hof in Langenschiltach, unweit von St. Georgen. Die jungen Bauersleute wollten für ihre neue »Milchviehliege- halle« – so heißt ein Bio-Kuhstall im EU-Jargon – Holz aus dem eigenen Wald verwenden. In dem filigranen Skelettbau, den Lehmann entwickelte, sind 110 Festmeter Fichte verbaut. Einfach gesteckte Bohlenwände nach altem Vorbild umhegen die Liegefläche, so dass sich die 24 Kühe und 15 Stück Nachzucht sichtlich wohl fühlen. Dank Lowtech-Details lässt die Konstruktion je nach Bedarf Licht und Luft herein. Lediglich 135 000 Euro Baukosten für ein so individuelles »Wohnzimmer« für ihr Vieh freuten die Bauherren obendrein – eine Fertighalle wäre kaum günstiger gewesen. Von der gut eingepassten Photovoltaikanlage auf dem Trapezblechdach abgesehen, hatten es weder Material noch Planer oder Handwerker weiter als 10 km bis zur Baustelle. Regionales Bauen, wörtlich genommen.

Nach acht Jahren Selbstständigkeit zählt Christian Lehmann mittlerweile Menschen aus ganz unterschiedlichen Kreisen zu seinen Bauherren: Vom traditionellen Landwirt über aufgeschlossene Fach- und Führungskräfte der heimischen Industrie bis hin zum Ruhe suchenden Stadtflüchtling von weither. Alle schätzen die Verbindung von Innovation und Ortsbezug in seinen Bauten. Wir werden die Ideen, die auch in Zukunft vom kargen Scheitel Alemanniens herabkommen – oder dort oben für einen lebendigen, »hölzernen« Schwarzwald sorgen – also weiter mit Interesse verfolgen.

8. Februar 2011 deutsche bauzeitung

Camouflage für ein Kraftwerk

»Iller-Wasserkraftwerk« in Kempten / Allgäu

Dass technische Anlagen künstlerisch überformt werden, ist erstens selten – die Ingenieure haben hier zumeist das Sagen – und zweitens heikel: Metaphorisches, wie ein Heizwerk als Vulkan (im Goetheanum), oder Fantastisches, wie in Hundertwassers Wiener Müllverbrennungsanlage, wirkt oft unbeholfen oder dekorativ. Beim Bau eines Laufwasserkraftwerks in Kempten wählten die Architekten, spät hinzuberufen, einen anderen Ansatz. Das Echo ist enorm.

Staubalkenwehr, Zulauf, Maschinenhaus – das sind seit jeher die Teile eines Wasserkraftwerks, heutzutage allenfalls noch ergänzt um »Fischaufstiegshilfen«. In Kempten stand eine solche Standard-Planung als Ersatz für ein kleineres Kraftwerk der 50er Jahre kurz vor der Realisierung. Doch dann erhoben die Genehmigungsbehörden Einspruch: Im Naturraum der Iller, zwischen zwei denkmalgeschützten alten Textilfabriken, solle sich die Anlage besser einfügen. Da eine der mächtigen Fabriken derzeit zu Wohnungen umgebaut wird, sollte zudem für einen besseren Schallschutz gesorgt werden.

Um die Auflagen zu erfüllen, rief der Bauherr – der regionale Energieerzeuger – einige Architekten zu einem Wettbewerb zusammen. Den gewann das Kemptener Büro becker architekten mit einem tatsächlich außergewöhnlichen Ansatz: Über Stauwehr, Zulauf und Turbinenhaus stülpten die Planer eine stromlinienförmige Betonskulptur, die zu beschreiben schwerfällt. Eine dem Flussbett entwachsene, geschliffene Felsformation? Ein kalbender Gletscher? Ein gestrandeter Wal? Ein neuer Dinopark? Jedenfalls haben wir es hier weder mit einer platten Metapher noch mit reiner Dekoration zu tun. Die Form scheint von innen heraus gewachsen, nur für diesen Ort geschaffen.

Der Technik übergestülpte Skulptur

Fangen wir mit den Fakten an: Das Kraftwerk nutzt einen Höhenunterschied von 5,10 m zur Energieerzeugung. Über den Zulaufkanal und Saugschläuche werden zwei sogenannten Kaplan-Turbinen pro Sekunde 64 m³ Wasser zugeführt – dieses »Schluckvermögen« wurde gegenüber dem Vorgängerbau mehr als verdreifacht. Die senkrecht eingebauten Schaufelräder der 45 t schweren Turbinen drehen sich dagegen um ein Vierfaches langsamer und darum leiser als die alten: Mit nur 150 Umdrehungen pro Minute leisten sie jeweils 1 370 kW, zusammen 10,5 Mio. kWh im Jahr, was ausreicht, um rund 3 000 Haushalte mit Strom zu versorgen.

Die darüber gestülpte Hülle, ein mehrfach unbestimmtes Flächentragwerk, ist das Ergebnis intuitiver Formfindung. Als Ausgangspunkt der Entwurfsüberlegungen beschreibt Michael Becker die »Versinnbildlichung der Wasserdynamik vom beruhigten Einlauf über das Aufwerfen und Hinabstürzen des Wassers im Bereich der Turbinen und das nach der Stromerzeugung wieder der Iller zugeführte Durchlaufwasser«. Die »vom Flusslauf ausgewaschenen Gesteinsformationen in unmittelbarer Nachbarschaft des Kraftwerksstandorts mit ihren teils bizarren Anmutungen« nennt Becker als wesentliche weitere Inspirationsquelle. Doch die Vieldeutigkeit war gewollt: »Fast jeder Betrachter findet seine eigene Metapher«, hat der Architekt bemerkt.

Die beiden Endpunkte Krafthaus (mit Generatoren und Transformator) und Staubalkenwehr (mit Rechenreinigungsanlage) verbindet der Entwurf mit einer durchgängigen Gebäudehülle, die ungefähr in der Mitte unter dem historischen Stahlfachwerkbogen des Kabelstegs hindurchtaucht, der damit vor dem Abriss bewahrt werden konnte.

Der gesamte, knapp 4 000 m³ Rauminhalt fassende Aufbau wurde in Ortbetonbauweise errichtet. Punktuelle Gleitlager verbinden die Haube mit dem technischen Unterbau. Eine umlaufende, 2 cm weite Horizontalfuge betont effektvoll diese Trennung. Längenverformungen lassen sich so unabhängig ausgleichen. In Querrichtung stabilisieren Rippenbögen wie Spanten eines umgedrehten Schiffsrumpfs die Konstruktion – tatsächlich wurden sie zuerst errichtet und erst dann eine sägeraue hölzerne Schalung als »Beplankung« aufgebracht. Das Motiv der »ruppigen Rippen« – Schalungsspuren sind überall sichtbar – gliedert und rhythmisiert den Bau-Körper: Mal schlüpft der Besucher durch schmale, spärlich beleuchtete Katakomben, in denen man sich wie in der Speiseröhre eines Dinosauriers vorkommt, dann wieder findet er sich in weiten, zum Wasser offenen Gewölben wieder. Das Ganze wirkt wie ein piranesihaftes Labyrinth, in das ein nicht unbeträchtlicher Teil der im Kraftwerk verbauten 3 000 t Beton geflossen ist. 230 t Baustahl kamen hinzu. Die Statiker des ersten, »normalen« Kraftwerksentwurfs sollen von der Überarbeitung durch die Architekten zunächst wenig begeistert gewesen sein, griff diese doch auf eigenwillige Weise in die Routine des großen Münchener Ingenieurbüros ein.

Die 25 cm dicke Hülle des Aufbaus erhielt als oberen Abschluss eine im Vergleich zu Blecheindeckungen kostengünstigere und zudem fugenlose PU-Beschichtung; der Iller-Splitt darin sorgt für eine kleinteilig-changierende Oberfläche. Selbst Türen und Luken überzieht dieses dauerhafte Finish, so dass eigentlich nichts darauf hinweist, dass es sich bei der Skulptur nicht um ein Kunstwerk handelt. Selbstverständlich wurden sämtliche Maschinen erst nach der Errichtung der Hülle vom Kran durch maßgeschneiderte Luken eingebaut und lassen sich auch auf diesem Wege wieder austauschen.

Um Tauwasser gar nicht erst entstehen zu lassen, sind die lauten Räume im Maschinenhaus innen mit einer Lage Schaumglas beschichtet; auch das Summen der Mechanik wird dadurch einkapselt. Das Rauschen des Wassers an den Auslässen halten die scharfkantig ausgeformten Hauben zumindest teilweise zurück: Am Staubalkenwehr wurde neben der Fischtreppe eigens ein auf diese Weise überwölbter Notablauf geschaffen, denn das Wasser darf nach den (ziemlich aberwitzigen) Lärmschutzbestimmungen nur an den durchschnittlich acht Tagen im Jahr rauschen, an denen das Wehr vom Hochwasser überspült wird.

Vieldeutiger Publikumsmagnet

Das Licht wird hingegen nicht reglementiert: Aus den »Mäulern« und Fugen der Konstruktion dringt bei Dunkelheit rätselhaftes, z. T. farbiges Licht, und in den »Felsspalten« versteckte Strahler inszenieren die plastische Erscheinung im dunklen Fluss. Ein neuer Radwanderweg führt hinter hoher Betonbrüstung am Kraftwerk vorbei. So rückt diese »vergessene Ecke« der Stadt wieder ins Bewusstsein der Menschen. Zur Eröffnung des Kraftwerks im vorigen Jahr kamen 10 000 Schaulustige, und die wöchentlichen Führungen sind noch immer überbucht – der Betreiber hat eigens vier Arbeitsplätze zu diesem Zweck geschaffen, zielt dabei aber freilich mehr auf die Promotion seines Ökostrom-Angebots. Die Leute kommen jedenfalls wegen des eigenartigen Bauwerks.

Auch der Architekt kann sich vor Anfragen aus dem In- und Ausland kaum retten. Auf den »Bilbao-Effekt« angesprochen, mag Michael Becker jedoch mit dem Jetset der Hadids und Gehrys nicht in einen Topf geworfen werden. Auch wenn einem bei oberflächlicher Betrachtung tatsächlich Verwandtschaften mit modischen »Blobs« und »Faltungen« in den Sinn kommen – Becker versteht seinen Beitrag als dienendes (»devotes«), auf den Ort bezogenes Bauwerk, dessen hoher Identifikationswert gerade aus dieser Unterordnung erwachse. Da hat kein Star seine Duftmarke hinterlassen, kein CAD-Programm eine nie dagewesene Pirouette gedrechselt. Und das ist für nicht medial vorbelastete Betrachter (falls es die noch gibt) wohl auch glaubhaft erlebbar.

Mögen die Ingenieure es auch als höchst ineffiziente Materialschlacht betrachten – die Kraftwerkshülle entstand komplett in bildhauerischer Handarbeit. Es existiert ein drei Meter langes Modell davon, das am Ende eingescannt und auf der Baustelle anhand von 4 000 Messpunkten umgesetzt wurde: eine banale Bauaufgabe, in einer rätselhaften Skulptur zum Verschwinden gebracht.

17. Januar 2011 deutsche bauzeitung

Geflieste Stadtlandschaft

Sporthalle mit Stadtteilzentrum in Rijeka

Große Baukomplexe mit homogenen Oberflächen zu überziehen, ist seit einigen Jahren »en vogue«. Avancierte Darstellungs- und Fertigungstechniken haben »Blobs« und »Faltungen« entstehen lassen, die Analogien zur Natur herstellen, im Stadtraum aber oft recht fremd wirken. Auch das Zamet Centar in der kroatischen Hafenstadt Rijeka, ganz in Keramik gekleidet, will mehr Landschaft sein als Gebäude. Hier ist es den jungen Architekten allerdings weitgehend gelungen, ein umfangreiches Bauprogramm in die disparate Vorstadt einzufügen und eine neue, signifikante Mitte zu schaffen.

»Gromaca« heißen die Mauern aus aufgeschichteten Felsbrocken, welche die Kulturlandschaft der Kvarner Bucht durchziehen. Früher trocken aufgeschichtet, heute meist verfugt und als Verblender vor Stahlbeton verwendet, prägen sie selbst in der Großstadt Rijeka noch das Bild vieler Hanglagen – als Stützmauern einer Bandstadt zwischen Gebirge und Meer. Wo der gewachsene Fels zutage tritt, wird die erstaunliche Analogie von geologischer Struktur und Menschenwerk deutlich. Als die Zagreber Architekten 3LHD gebeten wurden, ein multifunktionales Zentrum in einen jener weitläufig wuchernden Vororte der Stadt zu integrieren, griffen sie darum das Motiv der Gromaca auf: nicht nur als konstruktive Notwendigkeit, sondern als inhärente Logik des Orts. Entstanden ist auf diese Weise eine »topologische« Architektur, die komplexe Funktionen einem gestalterischen Gesetz unterwirft, das gleichsam aus der Landschaft erwächst. Das städtebauliche Gemenge aus Wohnhochhäusern, niedrigen Zeilenbauten, einer Schule und einem kleinen Ladenzentrum verlangte nach einer durchlässigen (die Architekten nennen es »porösen«) Anlage: Hangauf, hangab sollte man möglichst rasch überall hingelangen können. So gliedert eine der Felsstruktur analoge Streifenstruktur das Gelände und trägt dieser Durchlässigkeit Rechnung. Der langgestreckte Hang wird quer zum Gefälle in 22 Portionen geteilt, die mal als Gebäude, mal als Treppenweg Gestalt annehmen: »Faltungen«, funktional interpretiert.

Poröse Landschaft

Es war ein kluger Entschluss des Bauherrn, den Hauptprogrammpunkt einer für internationale Wettbewerbe tauglichen Sporthalle (Handball, Basketball) mit einer Reihe kleinteiliger Funktionen für den Stadtteil zu kombinieren: Ortsverwaltung, Bibliothek sowie insgesamt 13 flexibel als Laden, Bar oder Büro zu nutzende Lokale füllen nun auf zwei Etagen die kammartige Struktur zwischen den großzügigen Treppen, die in einen geräumigen Platz münden. Erst in der östlichen Hälfte, vis-à-vis der Wohnhochhäuser, türmt sich die Formation zur Sporthalle auf. Dieselben »tektonischen« Streifen rücken hier bis nah an die Quartiersstraße heran. Ihre »Verwerfungen« oder Fugen dienen dazu, Licht in die Halle zu holen, denn – das ist ein weiteres formales Prinzip der Anlage – die senkrechten Flächen zwischen den Streifen sind verglast. Es wirkt, als habe der Mensch seine Funktionen der Landschaft untergeschoben. Das »glaubt« man indes nur der niedrigeren Hälfte der Anlage mit ihren kleinteiligen Nischen und sanft abfallenden Schrägen, die übrigens gern von Kindern zum Rutschen benutzt werden. Die Sporthalle, zusätzlich von einer Tiefgarage unterbaut, ist dafür schlicht zu groß. Wer von Osten, vom Stadtzentrum Rijekas heranfährt, erfasst zunächst nicht die Landschaftslogik, denn er sieht nur wuchtige, sich ausbauchende Baumasse. Die beiden ungleichen Hälften des Projekts halbwegs zusammenzuhalten, gelingt nur über die einheitlichen Oberflächen: Fliesen und Glas.

Fliesen als Ersatz für Fels

Ein früheres Projekt, die Sport- und Stadthalle im ländlichen Bale/Istrien (s. db 1/2008), hatten die Architekten tatsächlich mit trocken aufgeschichteten Steinen nach Art der Gromaca bekleidet. Bei ihrem Projekt in Rijeka griffen sie erstmals auf keramischen »Ersatz« zurück: handelsübliche Steinzeug-Fliesen in Grau- und Beigetönen, geliefert aus dem italienischen Modena. Zu Fünfecken zugeschnitten, wurden die 11 mm dicken Fliesen zu sechseckigen Mustern zusammengesetzt. In dieser Textur überziehen 51 000 Fliesen den gesamten Komplex, nur kontrastiert von der kühl blaugrünen Industrieverglasung an den Vertikalen. Was Puristen irritiert: Die Fliesen sind mal konventionell im Mörtelbett verlegt (auf den Ortbeton-Konstruktionen am Platz), mal hinterlüftet auf eine Alu-Unterkonstruktion geklebt (an der Stahlkonstruktion der Halle). Sonderlich solide wirkt letzteres nicht, und erste Schäden durch Rempeleien und Steinwürfe sind erkennbar. Da man zugunsten der großen Linien auf Sockel oder Schutzleisten verzichtete, hat auch die Verglasung mancherorts schon gelitten. Im Hintergrund waltet Bauchemie, wohin man blickt. Von den Gromaca -Mauern ist hier nur noch ein vages Bild geblieben, eine Oberfläche, die ebenso auf die Nahtstruktur von Bällen wie auf die Haut von Reptilien anspielt. In der Praxis des nassen ersten Sommers hat sich die Oberfläche jedoch als pflegeleicht erwiesen. Besonders rutschig wurde es nicht, nur Pfützen gab es stellenweise, und es kam im Platzbereich zu unansehnlichem Algenwuchs. Dem will der Bauherr nun mit einer chemischen Beschichtung entgegenwirken, denn eine Reinigung, etwa mit Dampfdruck, könnte Schäden insbesondere an den hinterlüfteten und den silikonverfugten Konstruktionen anrichten.

Weiterer Kritikpunkt: In den kleinen Räumen am Platz wird es stellenweise zu heiß – das gewünschte Bild der abstrakten »Faltungen« ließ die Planer hier mit Öffnungen geizen. So hält man es in der sinnvoll eingerichteten, aber fensterlosen Bibliothek unter schwarzer Decke sommers nur mit Klimaanlage aus. Der »Anker« der Anlage, die Sporthalle, ist eine Welt für sich. Den internationalen Standards folgend, wendet sich die Arena mit ihren 2 380 Sitzplätzen vom Außenraum ab. Rijeka hat derzeit kein Spitzenteam zu bieten, so kooperiert man im Alltagsbetrieb mit der benachbarten Schule, die den Hallenraum – bei eingefahrener Tribüne – zweigeteilt nutzen kann. Auch als Konzertsaal oder für Konferenzen taugt der Raum. Holzfaserplatten an den Decken dämmen und dämpfen, Holzparkett sorgt im Kontrast zur kühlen Keramik draußen für eine warme Atmosphäre. Das im Hallensport gar nicht so erwünschte Tageslicht dringt nur indirekt über die Tribünen und einige Oberlichter in der gewaltigen Stahlstruktur herein (Spannweite 55 m). Die nach außen hin komplett verglaste Ostfassade ist innen völlig geschlossen – Landschaftslogik. Auch zum Platz hin im Westen mit seinem tagsüber recht regen Treiben gibt es erstaunlicherweise kaum Sichtkontakt, nur eine Lounge im Obergeschoss blickt hinaus Richtung Meer. Hätte hier, bei weniger kohärenter Gestaltung, ein offeneres Foyer nicht eine reizvolle »Bühne« im Stadtraum abgegeben, die auch die Funktion des »Gebirges« im Wortsinn durchschaubarer gemacht hätte?

Sportstätten sind inzwischen ein Schwerpunkt des Architekturbüros 3LHD. Unlängst erhielt es sogar den Auftrag für einige Hallen in Kanada. Das 1994, mitten im Balkan-Krieg, von Noch-Studenten in Zagreb gegründete Büro (3LHD bedeutet: drei Linkshänder) ist längst auch international erfolgreich. Tatsächlich war die Globalisierung im zunächst desolaten Land anfangs ihre einzige Chance zu überleben. Doch der Erfolg stellte sich dann auch daheim rasch ein: Zweimal haben sie ihr Land bereits mit originellen Expo-Pavillons repräsentiert. Für Rijeka entwarfen sie den symbolträchtigen Steg zur Erinnerung an den Jugoslawien-Krieg (wie beim Zamet Centar mit einer industriellen Oberfläche, die von weitem wie Stein wirkt), derzeit planen sie den neuen Busbahnhof, übrigens, wie das 20 Mio. Euro Projekt Zamet Centar ohne ein reguläres Wettbewerbsverfahren, wie es in der EU bei öffentlichen Aufträgen vorgeschrieben ist. Der Bauherr des Zamet Centar, Rijekasport Ltd., ist formell eine private Gesellschaft, jedoch eine hundertprozentige Tochter der Stadt. Die traditionsreiche Hafenstadt leidet sichtbar unter dem Niedergang ihrer maritimen Lebensgrundlagen und versucht, mit Investitionen in große Sportanlagen ein neues Image aufzubauen. Mit niveauvoller, innovativer Architektur hofft man selbstverständlich auch hier auf eine Art »Bilbao-Effekt«. Die Bewerbung um die Mittelmeerspiele blieb indes schon mehrfach erfolglos. Wie ambivalent sich die Globalisierung auswirkt, wird auch im Œuvre des Büros deutlich: Offensichtlich folgen die vier Architekten mit ihren inzwischen 30 Mitarbeitern internationalen Trends – im Fall des Zamet Centar gibt es etwa eine formale Verwandtschaft mit Peter Eisenmans City of Culture in Galicia. Konzeptionell stark und reflektiert bringen sie damit frischen Wind in die lange Zeit ziemlich abgeschottete Architekturszene ihrer Heimat, sie riskieren aber auch, den Blick für das beträchtliche kulturelle »Kapital« ihrer Region aus den Augen zu verlieren. Wie das Zamet Centar zeigt, kann diese Gratwanderung allerdings durchaus gelingen. Trotz der genannten Schwächen ist ihnen ein zeitgeistiger, doch eigenständiger Beitrag gelungen, der bereits rund um den Globus Beachtung fand. Nicht zuletzt aber ist das lebendige kleine Zentrum ein Gewinn für die unmittelbare Nachbarschaft.

3. November 2010 deutsche bauzeitung

Transluzenz statt Transzendenz

Katholische Kirche in Dietenhofen

Das Licht spielt im Kirchenbau seit jeher eine wesentliche Rolle. Schon die Glasfenster der Gotik dienten dazu, theologische Inhalte wie mystische Stimmungen zu vermitteln – Licht galt und gilt als Medium des Immateriellen, Glas als ein besonderer Baustoff. Die Ganzglasfassaden von heute haben die Möglichkeiten hier enorm gesteigert: In dieser modernen Kirche auf elliptischem Grundriss taucht man in einen Licht-Raum jenseits der Bilder und Symbole. Nicht nur im Klerus umstritten, zeigt diese freie und zugleich fremde Form aber auch die Ambivalenzen des Baustoffs auf.

Egon Eiermanns Berliner Gedächtniskirche (1957-61) habe sich ihm als ein Ort großer innerer Ruhe eingeprägt, gesteht der Architekt Karl Frey, nach Vorbildern befragt. Nicht transzendent, sondern transluzent, lichtdurchflutet, stellte er sich deshalb auch die Kirche vor, die er im mittelfränkischen Marktort Dietenhofen westlich von Nürnberg zu entwerfen hatte. In einem langen Prozess entstand so ein höchst unorthodoxes Gebäude für 125 Gläubige, der erste Kirchenneubau im Bistum Eichstätt seit über 20 Jahren und das erste energieautarke Gotteshaus Deutschlands. Im traditionell evangelisch geprägten Nürnberger Land waren die rund 800 Dietenhofener Katholiken bislang in einer Notkirche am Ortsrand zusammengekommen. Da die Gemeinde gegen den Trend gewachsen und der Altbau marode geworden war, stellte die Diözese im fernen Eichstätt 1992 einen Neubau in Aussicht. Man erwarb das Gelände einer ehemaligen Fleischerei am westlichen Rand der Altstadt, in Sichtweite der alten evangelischen Kirche, die das Ortsbild prägt. Das Terrain fällt gen Süden um einige Meter zur Landstraße ab, die hier, einer grünen Bachaue folgend, zur Hauptstraße wird. Rückseiten von Gewerbebauten im Norden, ein schmuckes barockes Stadthaus im Osten, das ist der Kontext des Entwurfs.

Auf einer um wenige Stufen abgehobenen Terrasse, einen Riegel aus Nebenräumen im Rücken, platzierte der Baumeister ein Objekt, das rasch als »Silo«, »Seelengarage« oder »Kühlturmarchitektur« angefeindet wurde, noch dazu mit einem »Wassertank auf Stelzen« als Glockenturm. Es ist die abstrakte, konsequent industriell realisierte Kehrseite eines schlüssigen, wegweisenden Innenraumkonzepts: »Draußen lästern die Leut`, drinnen werden sie still«, sagt der Architekt.

Die Crux: Eine Zylinderellipse ist als Kirche nicht »lesbar«. In der Tradition der Moderne als »reine Form unter dem Licht« realisiert, verweigert sie sich den Bildvorstellungen und soll statt dessen auf das »ganz Andere« verweisen – und dies sichtbar machen: Gerade die Fremdheit des Objekts werde dem historischen Umfeld gerecht, betont sein Erfinder. Außerdem spricht sie auch Menschen an, die mit herkömmlicher Kirchensymbolik nichts zu tun haben wollen.

Schuppenhaut und Waldesdämmern: die zweischichtige Fassade

Ein Kranz aus 24 Stahlstützen umschließt den im Grundriss 16 x 24 m messenden Raum. 10 m hoch, wurden die leiterartig verdoppelten Stützen im Plateau eingespannt, so dass keine diagonale Aussteifung nötig ist. Der Kranz trägt eine ebenfalls stählerne, 50 t schwere Deckenkonstruktion, deren verschweißtes Rippennetzwerk im Innenraum sichtbar ist. Sie ihrerseits trägt zu Speicherzwecken eine ebenso schwere flache Betonplatte, auf der Dämmung und Dichtung angebracht sind.

Die bauphysikalisch wirksame Hülle in der Vertikalen bildet das ortsbildprägende, vom Boden bis zur Dachkante reichende Schuppenkleid aus 384 bedruckten Glaselementen – tatsächlich kennt man solche »blinden« Glaskonstruktionen inzwischen von allerlei Zweckbauten. Hier handelt es sich indes um eine ausgeklügelte Sonderkonstruktion: Die im Siebdruckverfahren vierfach bedruckten ebenen Scheiben (insgesamt 550 m²) verdecken die Stahlkonstruktion komplett. Eine Scheibe reicht jeweils von Stütze zu Stütze, was den Ellipsenzylinder zu einem 24-kantigen Polygon-Körper macht. Nach Art von Gewächshäusern überlappen die Scheiben einander in der Vertikalen wie Schuppen. Jedes Glaselement besteht aus zwei Scheiben heißgelagertem Einscheibensicherheitsglas (ESG-H). Dabei ist die äußere – äußerlich für »die Lebendigkeit der Reflexion« (Architekt) quer geriffelte – innen ätzweiß bedruckte Scheibe 8 mm dick; die hinter 16 mm gasgefülltem Scheibenzwischenraum folgende Innenscheibe ist klar und 6 mm dick. Mit einem U-Wert von 1, 1 und einem g-Wert von 27 ist die Konstruktion thermisch wirksam. Sichtbar gefasst werden die Scheiben von seitlichen Pressleisten aus Alu, die wiederum über Stahlpfosten und -riegel auf angeschweißte Stege der Stahlkonstruktion geschraubt sind. Untereinander dichten elastische Gummistreifen das Schuppenkleid ab. Einzelne Scheiben in der untersten und zweitobersten der 12 Lagen der Fassade sind quergeteilt und mittels Scharnieren klappbar, um eine Hinterlüftung der Konstruktion zu gewährleisten. Sobald die Temperatur einen bestimmten, frei regelbaren Wert überschreitet, öffnen sich diese Klappen, um die Warmluft aus dem Zwischenraum der Fassade abziehen zu lassen. Dies also ist die kühle, die kantig-kristallene Schicht der Fassade, die sich der Architekt gern noch differenzierter gewünscht hätte. Tatsächlich hätte eine noch feinere Stückelung des Schuppenkleids wohl eine homogenere, fremdartigere Wirkung entfalten können. Und die in der dritten Lage integrierte »Kunst am Bau«, ein Kreuzweg, bleibt schlicht unverständlich: Die veränderte Siebdruckstruktur wirkt, als sei das Glas hier provisorisch mit Zeitungen abgeklebt worden.

288 einfache Glasscheiben bilden die innere Schale der Fassade. Sie wurden im Gegensatz zur äußeren Haut nicht industriell, sondern von Hand bearbeitet: Sichtbar ungleichmäßig ziehen sich schwarze Streifen quer über die Fläche, die, nach der Bemalung sandgestrahlt, völlig matt wirkt. Auch diese Schale ist schuppenartig leicht geneigt montiert, doch lassen ein paar fingerbreit Abstand Luft und Geräusche hindurch dringen. Die braun lackierte Konstruktion ist hier sichtbar.

Die Stimmung eines Walddickichts in der Abenddämmerung schwebte dem Architekten vor, als er diese Schicht entwarf. Tatsächlich lässt die Glasfassade die wechselnden himmlischen Lichtstimmungen wundersam gefiltert und gedämpft herein. Akzentuiert durch farbige Streifen mundgeblasenen Glases an den Scheitelpunkten der Ellipse, entsteht ein ätherisches Panoptikum, das tatsächlich – wie im Vorbild Wald – naturreligiöse Züge trägt. Leider dringen auch die Geräusche der Außenwelt störend herein, zumal bei geöffneten Lüftungsklappen. Keine »feste Burg«, eine dünne Membran umgibt schließlich den Raum. Der enorme Nachhall in dieser harten Höhle mag Kirchenmusiker beflügeln, das gesprochene Wort machte er so gut wie unmöglich. Erst eine Lautsprecheranlage schuf Abhilfe. Bauphysikalisch erfüllt die gläserne Hülle ansonsten weitgehend ihren Zweck. Sechs Erdsonden, deren Pumpen von der Photovoltaikanlage auf dem Dach gespeist werden, sorgen sommers via Lüftungsanlage für etwas Kühlung im aufgeheizten Rund (zur Messe müssen die Lüftungsklappen der Außenhaut aus akustischen Gründen geschlossen werden), im Winter wärmen sie den Raum über eine Fußbodenheizung auf maximal 18 Grad. Die Gemeinde trägt es mit Fassung – dienten doch »Rundhütten und Zelte« dem mittlerweile viel besichtigten Bau als Vorbild.

Offen für Interpretationen: der Innenraum

Mögen Akustik, Temperatur oder auch das Gestühl des Kirchenraums nicht immer angenehm sein, optisch hat Frey in seinem ersten und letzten Gotteshaus für die Diözese – er ging vor Kurzem in Ruhestand – tatsächlich die angestrebte »große innere Ruhe« erreicht: Wenn der Baumeister den Raum als eine »Umarmung« empfindet, lässt sich das durchaus nachvollziehen. Indes drängt sich das Kirchliche, Institutionelle dabei nicht in den Vordergrund. Da die liturgischen Regeln und Bezüge frei interpretiert wurden, etwa durch den allenthalben waltenden Modul 12 cm, die Konnotation der Farben oder den auf wenige Worte reduzierten Kreuzweg, ist der Einzelne frei, zu assoziieren, zu denken, zu fühlen. Und in einer so abstrakten Kirche »ohne Heiligenkitsch und Barocknippes« (Beitrag im Online-Forum kreuz.de) entfaltet dann gar eine einzelne konkrete Marienfigur ihre besondere Wirkung.

17. August 2010 deutsche bauzeitung

Hybrid am Berg

Mehrfamilienhaus »Wohnen an der Barnimkante« in der Fehrbelliner Strasse

Ursprünglich als reines Holzhaus geplant, wurde dieses Projekt zu einer Mischung aus Stahl- und Betontragwerk mit Holzfassaden. So kombiniert es die Vorzüge der drei Materialien: große stützenfreie Räume dank vorgespannter Decken, breite Öffnungen dank Stahlträgern, schlanke Wände dank hochgedämmter Fassadenelemente, die sogar – und das macht das Projekt dann doch zum »Holzhaus« – hofseitig über sieben Geschosse mit Lärchenbrettern verschalt werden durften.

Für Berliner Verhältnisse ist der Prenzlauer Berg tatsächlich ein Berg: Von der Torstraße zum Teutoburger Platz steigen die Straßen besonders steil an. Oben am Platz entstand in einer Baulücke das Projekt »Wohnen an der Barnimkante«, das die geologische Besonderheit dieses eiszeitlichen Randes zum Thema macht. Ohne die einheitliche Berliner Traufhöhe von 22 m zu durchbrechen, überragt das neue Haus seine Hinterhoflandschaft um volle zwei Geschosse – und gestattet seinen Bewohnern ein Panorama der gesamten Innenstadt. Mit dieser Lage als Startkapital gelang es der Architektin, ein auch ansonsten ungewöhnliches Haus zu realisieren.

Seit den 90er Jahren im Kiez heimisch, wohnte sie zuletzt im heruntergekommenen Nachbarhaus, das sie 2004 denkmalgerecht sanierte und umbaute. So entstand gemeinsam mit dem Eigentümer der Baulücke (praktischerweise ihr Ehemann) die Idee, hier einen Neubau zu realisieren: ein Vorderhaus mit einem an die Brandwand des Nachbarhauses gebauten Seitenflügel. Nachdem dafür zunächst eine Baugruppe im Gespräch war, die mit der Architektin das Pionierprojekt eines reinen siebengeschossigen Holzhauses wagen wollte, entschied sich das Paar doch zu einer Lösung in Eigenregie.

Zu groß schienen die Risiken einer solchen Pioniertat. Die Baugruppe fand andernorts eine Lücke: In der Esmarchstraße 3 baute sie (mit den Architekten Kaden+Klingbeil) tatsächlich ein »reines« Holzhaus, bei dem das Material aber aus Brandschutzgründen zugeputzt wurde.

»Sichtholz«

Die Architektin findet solche Kompromisse fragwürdig. Sie wollte das Holz, zumindest auf der Hofseite, sichtbar lassen. Im ökologisch sensibilisierten Prenzlberg sollte das ein zugkräftiges Wohlfühl-Argument sein. Holz als Tragwerk aber hätte nicht die stützenfreien Innenräume ermöglicht, die für einen Verkauf der Wohnungen auf dem freien Markt ratsam sind. Anders als eine Baugruppe, die schon früh ihre Grundrisse festlegen kann, schätzen Bauträger die Flexibilität, um unterschiedliche Bauherren anzusprechen. Also entstand die Mischkonstruktion aus Stahlskelett, weit spannenden Betondecken und nichttragenden Holzrahmenwänden. Während die ruhig gegliederte Platzfassade mit anthrazitfarbenen Faserzementplatten bekleidet wurde, durfte die Hoffassade freier gestaltet werden. Breite, fast geschosshohe Öffnungen am Vorderhaus und schmale Schlitze am Seitenflügel stehen sich gegenüber. Geschickt wurde ein »Berliner Zimmer« vermieden, indem im schwer zu belichtenden Zwickel zwischen den zwei Baukörpern das großzügige Treppenhaus untergebracht wurde.

Zwei Brandschutzgutachten für die Holzbeplankung

Um die Beplankung jedoch wurde lange gerungen. Die Berliner Bauordnung lässt Holz als Bekleidungsmaterial im Geschossbau nicht zu. Die Bauaufsichtsbehörde verlangte folglich ein Brandschutzkonzept, das die Abweichung durch ein Gutachten absicherte. Zwei Gutachten, letzteres quasi amtlich von der Materialprüfanstalt in Leipzig, waren schließlich notwendig, um die Beamten davon zu überzeugen, dass die geschossweise angebrachten horizontalen Bleche und ein Wandaufbau mit feuerhemmenden Calziumsilikatplatten den Brandüberschlag an der Holzfassade ebenso lange hinauszögern wie ein Verputz. Mehrere Monate Verzögerung kostete der Streit – ein Präzedenzfall, gewiss.

Die Bretter aus unbehandelter, astreicher Lärche geben im Kontrast zu den leichten stählernen Geländern und der gewendelten Fluchttreppe ein gelungenes Bild ab. Fern einer deplatzierten Zirbelstüberl-Romantik bringen sie doch etwas natürlich Warmes, Leichtes, Weite Atmendes in die Enge des steinernen Berlin – als sei an der Barnimkante ein Bootsanleger der Eiszeit wiedererstanden…

Integration in den Stadtraum

»Die Straße ist der Innenraum der Stadt«, sagt die Architektin und fügt das Haus außen, auf der Platzseite, unauffällig ein. Flankiert von zwei prächtigen Baudenkmälern, wäre jede aufgeregte Pose dem Haus auch schlecht bekommen. Zwanzigmal dasselbe französische Fensterformat (aus Lärchenholz), in Vierergruppen geschossweise abgesetzt und nur leicht »baugruppenmäßig« verwackelt angeordnet, sagen schlicht: Hier wird gestapelt gewohnt, mit nicht ganz so üppiger Deckenhöhe wie nebenan (immerhin 2,80 m) und geschossweisen Variationen im Grundriss. Erst über der Traufkante weicht die Zurückhaltung: Schon beim Umbau des denkmalgeschützten Nachbarhauses konnte statt des verlangten Schrägdachs eine verglaste Gaube durchgesetzt werden. Nun gelang es der Architektin sogar, ein geräumiges Staffelgeschoss zu realisieren, das in der Straßenflucht zwar kaum in Erscheinung tritt – erst vom Platz aus sieht man den »Kasten« –, ein Nachbarhaus indes deutlich überragt.

Hell und flexibel – das Innere

Wie die äußere Erscheinung, so vermeidet die innere Gestaltung das Auffällige, Luxuriöse. Die elf Wohnungen – sieben im Vorderhaus, vier im Seitenflügel, darunter eine Maisonettewohnung – sind alle verschieden. Drei Installationskerne lassen die Küche mal vorn, mal hinten stehen, mal wird durchgewohnt, mal konventionell in Zimmern. Pastell- oder erdfarben getönte Wände geben den Räumen Tiefe und setzen sehr schöne Akzente. Die Käufer seien der ursprünglichen Baugruppe ähnlich, sagt die Architektin, mehrere junge Familien mit Kindern leben im Haus. Der um die Mittagszeit sonnige Hof konnte mit dem des Nachbarhauses zusammengelegt und einheitlich gestaltet werden (karges Stahlkantendesign von Topotek 1), so dass die Kinder außer den eher schmalen Balkonen etwas Ausweichfläche geboten bekommen. Und dann liegt ja der große Platz gleich vis-à-vis. Eine Baugemeinschaft hätte die Dachterrasse mit dem spektakulären Blick vielleicht allen Parteien zugänglich gemacht.

Im Vergleich zu anderen Neubauten im Stadtteil gibt sich das Haus aber ausgesprochen schlicht und, auf der Straßenebene, freundlich: statt abweisender Fliesen ein Sockel aus Faserzementplatten von nur geringfügig dunklerer Farbe (graffitiresistent), darin ein einladendes großes Schaufenster mit Holztür (das Büro der Architektin), statt eines Tiefgaragenschlundes ein nur schmales, passend lärchenholzbekleidetes Rolltor. So war die Architektin sehr erstaunt, ja verbittert, als Autonome auf die Baustelle einen Anschlag verübten. Mittlerweile scheint die Szene aber beruhigt, vielleicht gar überzeugt. Andere Projekte, etwa der luxuriöse, abgeschottete Marthashof (s. S. 37) werden im Kiez weit kontroverser wahrgenommen als die Barnimkante.

Standard bei der Haustechnik

Im Vermarktungskonzept des Gebäudes wurde die Ökologie großgeschrieben. Schaut man genauer hin, handelt es sich um ein gut gedämmtes Niedrigenergiehaus mit Dreischeibenverglasung und einer (zentralen) Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Eine Gasbrennwerttherme mit nur 60 kW versorgt die Fußbodenheizung und wärmt das Brauchwasser. Auf weitergehende Öko-Konzepte wurde indes verzichtet – es gibt keine Solaranlage, keinen Grauwasserkreislauf oder baubiologische Materialien. Beim ersten großen Projekt waren die Planer offenbar unsicher, ob der Markt den Mehraufwand honoriert. Eine Baugemeinschaft mit ihrer klaren Eigentümerstruktur wäre da wohl mutiger gewesen – auch das spricht für diese Trägerschaft.

Der Erfolg der »Barnimkante« lässt Susanne Scharabi inzwischen Größeres wagen: Während sie sich bisher beruflich nur in ihrem Kiez bewegte (derzeit entsteht eine Mensa für die nahe Waldorfschule – ganz aus Holz), ist ihr nächstes Projekt, gemeinsam mit einem Kollegen, eine Baugruppe mit über 60 Parteien in Berlin-Treptow.

11. Mai 2010 deutsche bauzeitung

Glückliche Fügung

Heilbronn: Ölsaatenspeicher wird Science Center

Die Bauaufgabe »Science Center« legt technoide, noch nie da gewesene große Gesten nahe, die jedermann sich merken kann. Nichts dergleichen findet sich in Heilbronn, wo vor Kurzem »Süddeutschlands größtes Science Center« angesiedelt wurde: Junge Architekten ergänzten hier einen nutzlosen Speicher um ein äußerlich verwandtes, dienendes Bauwerk. Erst in der Fuge zwischen beiden Gebäuden wird es spannend.

Der alte »Hagenbucher« ist ein Klotz. Benannt nach der Ölmühle, die hier auf der Neckarinsel seit dem späten 19. Jahrhundert Raps, Leinsamen und Mohn verarbeitete, war der 1936 errichtete Speicher das letzte, mächtige Überbleibsel dieser Industrie. Das »Schloss der Ölbarone« hieß er auch. Als nach den Bombardements im Zweiten Weltkrieg alles ringsum in Schutt und Asche lag, stand der Hagenbucher noch, weithin sichtbar, unverwüstlich.

Für 10 000 t Last gebaut, ließ sich die Konstruktion auch nach dem Krieg nicht zu akzeptablen Kosten beseitigen. So dienten die 3 500 m² lange Zeit als Lager für eine Spedition und als Schulfundus. In die nach dem Krieg zu ächst grüne Aue hatte die Stadt über die Jahre andere großmaßstäbliche Nutzungen platziert, ein Hotel, eine Turnhalle und vor allem: Parkhäuser. Für den Hagenbucher reifte im Rathaus erst zu Beginn des neuen Jahrtausends der Entschluss, ihn zum Standort eines Science Centers zu machen – mit großzügiger Hilfe von Sponsoren aus der Region. Schließlich stehe das dominante Bauwerk doch für das Selbstbewusstsein der heimischen Industrie.

Entscheidung gegen das Spektakel

Die Ausschreibung des Anfang 2007 ausgelobten Architektenwettbewerbs ließ indes offen, wie mit dem Klotz zu verfahren sei – er stand nicht unter Denkmalschutz, ja, er forderte in seiner Massivität eigentlich dazu heraus, sich an ihm abzuarbeiten, und gar mancher von den Verantwortlichen erhoffte sich einen »Gehry-Effekt« für die Stadt. Knapp 300 Büros bewarben sich, gut dreißig kamen in die engere Wahl, darunter einige bekannte Namen, die dem Speicher spektakuläre Auf- und Anbauten verpassen wollten. Parallelen zum Kaispeicher A im Hamburger Hafen drängten sich auf, der seit 2003 von Herzog & de Meuron zur neuen Elbphilharmonie überhöht wird, für bald eine halbe Milliarde Euro. Wohl auch, weil das Budget in Heilbronn ein viel bescheideneres war – nur ein Drittel des Raumprogramms sollte in einen Neubau – entschied sich die Jury gegen ein Spektakel. Ein unbekanntes Berliner Büro, erst 2004 gegründet, war mit Glück als »junges Büro« in die Auswahl gekommen. Sein Entwurf eines schlichten, den Speicher ergänzenden Zwillings brachte die Preisrichter geschlossen hinter sich. Die rotbraune Ziegelhaut des alten legt sich auch um das neue Gebäude, so dass beide als Einheit gelesen werden – mit einer entscheidenden Trennung: der gläsernen Fuge. Das Bild einer aufgeschnittenen Kiwi diente den Architekten als Metapher für den geteilten Baukörper mit brauner Haut und einem hellgrün leuchtenden Innenraum. Der scharfe Schnitt soll zugleich Sinnbild für das wissenschaftliche Sezieren sein, das Vordringen zum inneren Kern der Dinge, was ja durchaus frisch und köstlich sein kann. Mit formaler Strenge und tektonischer Klarheit gelingt hier also gleichwohl – ohne technoiden Schnickschnack, der sowieso bald veraltet wäre – eine symbolische Aussage über den Inhalt des Gebäudes. Denn es geht in der »Experimenta« tatsächlich nicht darum, die Technik nur zu bewundern, sondern um den Prozess des Entdeckens, auch der eigenen Talente, Interessen und Fähigkeiten. Wer die Nutzung nicht kennt, mag den Komplex aber auch für ein Hotel- oder Konferenzzentrum halten. Interne Fugen, Gräben oder »Straßen« sind ja typologisch eher unspezifisch.

Erschliessung und Ortsbezug

Zunächst sorgt der »Durch-Schnitt« im Gebäude für eine logische Zirkulation in der Vertikalen. Nachdem für den Anbau das vorhandene Treppenhaus des Speichers abgerissen worden war, wuchs entlang der Schnittkante eine neue einläufig gestapelte Treppenkonstruktion empor, welche das Foyer im EG mit den fünf Geschossen des Neubaus (Verwaltung, Labore, Sonderausstellungen) verbindet. Über die Fuge hinweg führen jeweils kurze Brücken zum Speicher hinüber, der dank des Anbau-»Rucksacks« völlig frei für die Exponate bleiben konnte. Wer sich also durch die vier Etagen der Ausstellung bewegt, überquert zwischendurch immer wieder die Fuge. Dabei lässt sich nicht nur die schön präparierte alte Ziegelwand mit ihren Narben im Streiflicht effektvoll bestaunen; die Gäste können auch durch einen Blick über die Neckaraue kurz Abstand gewinnen von der Reizüberflutung in der Ausstellung. Endpunkt des Parcours sind schließlich die Panoramafenster im obersten Stockwerk. Alt und Neu, raue Ziegelwand und glatte Alu-Paneele stehen sich an der Fuge, durch Lichteffekte betont, spannungsvoll gegenüber.

Der Zugang ins Gebäude liegt jedoch nicht in der Fuge, sondern im Neubau auf der Nordseite. Hier ist der Ziegelquader mit seiner gerasterten Lochfassade aufgeständert, das Entree verglast. Im Foyer wurde die grellgrüne Schnittfassade der Fuge als Leitmotiv an die Decke umgeklappt. Der massive Empfangstresen, ebenfalls Teil der grünen Skulptur, lenkt die Gäste durch zwei Schleusen zur Fuge, wo vor den Garderoben das Treppenhaus, die Lifte und ein Gang zur Gastronomie abzweigen. Umgang mit dem Bestand

Der schmale, einhüftig erschlossene Neubauquader schiebt sich stadtseitig ein Stück am Speicher vorbei, so dass er den alten Mühlkanal überspannt und seine leuchtende Schnittseite sichtbar wird. In der Höhe und vor allem in der Textur passt er sich jedoch dem Altbau an: Die Ziegel wurden eigens in einem der letzten, denkmalgeschützten Ringöfen im Alten Land gebrannt, das zwischen Rot und Dunkelbraun changierende Verblendmauerwerk im selben Kreuzverband hochgezogen wie vor gut 70 Jahren, mit sehr gut versteckten Mäanderfugen. Allein die neuen Öffnungen weichen in Proportion und Fassung deutlich vom Bestand ab, so dass einem eher Louis Kahns Institutsbauten als die alte Industrie in den Sinn kommen.

Dem Speicher stiehlt der Anbau jedoch nicht die Schau, er stärkt ihm vielmehr den Rücken, dämmt ihm zudem die Breitseite. Der konische Grundriss des Altbaus war übrigens nicht funktional begründet, sondern zeichnet den Umriss der alten Stadtmühle nach.

Die trüben alten Gitterfenster blieben an ihrem Platz, der gleiche anthrazitfarbene Glimmerton prägt auch die neuen schmalen Stahlprofile der Zugangstüren und die Profile der Pfosten-Riegel-Glasfassade in Fuge und Foyer. Von innen setzte man allerdings großflächige Fenster mit hellen Alurahmen auf die Fensteröffnungen, um dem Wärmeschutz Genüge zu tun. Das sieht ebenso wenig elegant aus wie die – wegen der enormen Abwärme der Exponate und 100 000 erwarteten Besuchern jährlich – benötigten Klima- und Kabelkanäle, die allenthalben die mächtigen Unterzüge der Deckenkonstruktion queren. Seitens der Ausstellungsmacher war die Installation von oben und nicht über eine Bodenaufdoppelung erwünscht. Die Etagen befinden sich in ständigem Umbau, der Charakter ist eher »Werkstatt« als Museum; es lärmt und plappert, musiziert und summt aus allen Ecken. Der karge Speicher mit seiner weiß getünchten Konstruktion tritt völlig in den Hintergrund, er gibt dem Labyrinth der Stationen noch einen gewissen Halt, mehr nicht.

Am gravierendsten griffen die Architekten aber in die Dachlandschaft des Gebäudes ein. Für einen stützenfreien Saal für Veranstaltungen und die Klimatechnik trug man das oberste Stockwerk samt Pultdach ab. Die neue Stahlkonstruktion lagert nun auf den erhaltenen Umfassungsmauern, in welche die Panoramafenster gebrochen wurden, gerahmt von Betonwerksteinlaibungen.

Saalfoyer und Café-Lounge gehen ineinander über; wie der Saal folgen sie einer ganz anderen, edlen Neubau-Ästhetik mit rotem Boden und Räuchereichenholz. Wie auch im Restaurant im EG, für welches die alten Rundbogenfenster wieder geöffnet und ein raffinierter Tag-Abend-Wechsel des Ambientes inszeniert wurde, wechselt der Charakter hier komplett. Diese Räume werden auch unabhängig von der Experimenta für Veranstaltungen genutzt. Hierzu muss man wissen, dass gut die Hälfte des Budgets von Sponsoren bestritten wurde, die insbesondere die Einrichtung wesentlich mitbestimmten. Größter Financier war die Stiftung einer großen Supermarktkette, was nicht nur an der Typografie des Experimenta-Logos, sondern wohl auch in den lästigen Scannern deutlich wird, die einen an den Schleusen wie auch an vielen Exponaten erfassen. Da ist sie nun doch, die schöne neue Welt der Technik, die dezent auszublenden oder zumindest im Zaum zu halten dem Gebäude bis dahin gelang. Insgesamt überzeugt das Haus aber als robuste, sinnig erschlossene Hülle für eine Erlebniswelt, der sie historische Tiefe, Bodenhaftung verleiht. Und sollten Wissenschaft und Technik einmal nicht mehr genügend Neugier wecken – wonach es derzeit nicht aussieht –, ließe sich das Ensemble leicht auch für andere Ausstellungen wiederum umnutzen.

31. März 2010 deutsche bauzeitung

Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin

Keine grüne Symbolik

Ein errechneter Primärenergiebedarf von 55, gemessen sogar von 44 kWh/m²a – das ist ein guter Wert für ein Gebäude mit Büro- und Konferenzräumen, die EnEV erlaubt das Doppelte. Dabei sieht die neue Heinrich-Böll-Stiftung im Herzen Berlins keineswegs wie ein bislang typischer Ökobau aus – im Gegenteil, sie wirkt klassisch-elegant und wohltuend zeitlos. In der selbsternannten »grünen Denkfabrik« liegen die Stärken im Verborgenen. Doch wird durch den Neubau auch ein Wandel im Verständnis von Nachhaltigkeit und Ökologie deutlich, der fragwürdig ist.

12 000 Euro an jährlichen Stromkosten allein, um die Computerserver zu kühlen – das war früher. Heute, im Neubau, zahlt die Heinrich-Böll-Stiftung denselben Betrag für die Heizung des ganzen Hauses: Der Fernwärme-Anschluss im Keller ist winzig, ein 1 ½“-Rohr. Die Abwärme der Computerserver, in wasserdurchströmten »Cool Racks« eingefangen, reicht in der Übergangszeit aus, um das Gebäude komplett zu heizen. Das funktioniert mit weitgehend natürlicher Lüftung: Fenster zum Hof sorgen für den Luftaustausch. Erst dort wird die Abwärme der Abluft zentral auf die Frischluft übertragen. Im Sommer zieht die Wärme auf demselben Weg durch das dann offene Glasdach ab, von außen strömt Frischluft nach. Zusätzlich kühlt ein von Schweizer Ingenieuren neu entwickeltes System, dessen Herzstück ein recht simples Aggregat im Keller ist, eine Art großer Grill aus Kupferrohren. Während der erwärmte Rücklauf aus der Fußbodenheizung/-kühlung durch das Gerät strömt, wird kaltes Leitungswasser über den Rohren des Grills versprüht. Die Verdunstungskälte kühlt das Wasser in den Rohren, ehe es zurück zirkuliert. Teil des Wasserkreislaufs sind auch dezentrale Brüstungsklimageräte unter den Fenstern, wo je nach Bedarf kleine Lüfter für die Verteilung der Kühle sorgen. 6 m³ Leitungswasser täglich (Kosten: 12 Euro) genügen dem adiabatischen Rückkühler, um die Büros angenehm zu temperieren. Heizung wie Kühlung arbeiten im »Niedrigsttemperaturbereich« zwischen 18 und 27 Grad C.

Eine beeindruckende Bilanz ökotechnischer Neuerungen, sympathisch einfach, angemessen für eine Institution, die Ökologie, Bildung und Menschenrechte fördert und hier Partner aus aller Welt empfängt. Bert Bloß, technischer Leiter der Stiftung, kennt alle Zahlen und engagiert sich für kleinste Details. Er ließ z. B. noch nach Fertigstellung alle Umwälzpumpen austauschen, da sie überdimensioniert waren. Weil er so wesentlich mithalf, den Energiebedarf seines Arbeitgebers zu senken, erhielt er bereits einen »Green CIO Award«.

Doch die Innovationen funktionieren gewiss nur in einem Gehäuse, das kompakt, dreifachverglast, supergedämmt und solide konstruiert ist. Die knapp 7 000 m² der Stiftung wurden sinnvoll geteilt in zwei öffentliche und vier darüberliegende Büroetagen. Die 1 400 m² Konferenzbereich, bei größeren Anlässen herkömmlich klimatisiert, kragen als vollverglaste Beletage in den angrenzenden Stadtgarten aus. So wurde die Grundfläche des Gebäudes minimiert, was den nahegelegenen alten Bäumen das Überleben sicherte. Auf eine Tiefgarage wurde verzichtet. Dennoch irritieren einige wesentliche Eigenschaften des Neubaus den Betrachter.

Kalte Schulter

Da ist zuerst die Materialwahl. Aluminium ist dafür bekannt, dass es bei der Herstellung größte Energiemengen verschlingt (14 000 kWh/t allein für die Elektrolyse). Hier wird es nicht nur für die Fassade, sondern auch in den Innenräumen verwendet. Selbst wenn es unbeschichtet und damit voll reziklierbar bleibt, belastet die graue Energie die Ökobilanz – nach dem Schweizer Minergie-P-Eco-Standard hätte es da schon Schwierigkeiten gegeben. Die EnEV lässt die Materialbilanzen dagegen außer Acht.

Ein weiterer Punkt ist die völlige Gleichbehandlung der Fassaden, unabhängig von den Himmelsrichtungen. Die Komplettverglasung der Beletage mag gestalterisch zwingend für die Selbstdarstellung der Stiftung sein, sie beschert dem Gebäude indes auch mit Sonnenschutzverglasung größte Wärmelasten. Die »Transparenz der Demokratie«, sie wurde schon zu oft beschworen. Ökologisch sinnvoll sind bewohnte Glashäuser nicht.

Überdies zeigt das Gebäude dem angrenzenden Stadtteil die kalte Schulter. Kontextualiät, Einbindung in vorhandene Netz- und Regelwerke sozialer, historischer, ästhetischer Art – das ließe sich als die »weiche« Seite der Ökologie bezeichnen, neben den »harten« Fakten von Stoffströmen und Energieeffizienz. Zudem wirkt die Lage am Rande des Stadtgartens (es durfte nur ein ehemaliger Parkplatz bebaut werden) unglücklich.

Der Solitär kommt hier nicht zur Geltung. Das Gebäude wirkt wie gekappt – tatsächlich war erst eine Etage mehr geplant; später wurde diese zurückgestutzt.

Kein Ranken und kein Holz

Warum kleidet sich nun eine so fortschrittliche, unangepasste Institution wie die Heinrich-Böll-Stiftung in einen »Verschnitt zweier Mies-Gebäude«? Das Zitat stammt von Piet Eckert selbst, die Architekten e 2 a beziehen sich explizit auf das Farnsworth House und das Seagram Building. Seit den 70er Jahren galt die gerasterte Stahl-/Glas-Moderne und ihre vielen Nachahmer rings um den Globus als Inbegriff von Dominanz, Big Business, Energieverschwendung. Viele diplomatische Vertretungen der USA sahen so aus. Hatte sich die Alternativbewegung nicht anfangs vorgenommen, alles anders zu machen?

Das ist lange her, und offenbar wollte die Stiftung jene »grüne« Nischenarchitektur vermeiden, keine Rankfassade also und kein Holz, nirgends. Nach Jahren grüner Regierungsbeteiligung wollte sie endlich als seriöse, professionelle Institution ernst genommen werden. Dabei ist die Stiftung aber offenbar ins andere Extrem verfallen. »Wir wollten keine Windräder auf dem Dach, keine Freak-Architektur«, sagt auch Piet Eckert. »Wir haben genau das Gegenteil davon gemacht«. Dabei ist nur teilweise Ideologie im Spiel – beide Gebrüder Eckert waren früher Mitarbeiter von Rem Koolhaas (»fuck context«, wir erinnern uns). Dort lernten sie auch, mit geringen Mitteln zu arbeiten – z. B. eine Kunsthalle für 2 000 Euro/m² zu errichten. Das enge Budget mag an manchem schuld sein. So sei es einfach rationeller gewesen, die teure Dreischeibenverglasung ringsum einheitlich zu bestellen, bemerkt der Architekt. Ökonomie sticht Ökologie.

Karges Innenleben

Richtig gespart wurde an der Innenausstattung. Das Gebäude rangiert nach Kriterien des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung »knapp über einem Provisorium« (Piet Eckert). Da keine Lüftungskanäle oder Sprinklerleitungen – aufgrund des Brandschutzkonzepts ließen sich Letztere ver-meiden – zu verbergen waren, verzichtete man im ganzen Haus auf abgehängte Decken. Holzwolle- und Akustikplatten, in den Konferenzräumen Tieftonabsorber aus Blech sowie Vorhänge übernehmen die Funktion der Schalldämpfung. Ein Sisalteppich hellt die Büroflure auf. Ansonsten dominiert roher Stahlbeton, mit eigens herbei geschafftem Schweizer Schalungssystem errichtet. Bezahlbar war nur ruppige Rohbauqualität.

Graue, spindartige Stahlschränke und nackte Neon-Lichtbänder machen das Ambiente nicht gemütlicher. Im Übrigen ist die Arbeitswelt ganz konventionell organisiert, die Chefs residieren zuoberst in den lichten Ecken, dazwischen wechseln offene und geschlossene Zellen, als Treffpunkt dienen Küchen in dunklen Innenecken. Handbeschriftete Tafeln an den Türen sowie Topfpflanzen und bunte Seidentücher zeugen von dem Versuch, Leben in die Kargheit zu bringen. Der robuste Bau verträgt es gut, er verlangt geradezu danach, individualisiert und in Besitz genommen zu werden.

Gipfel freudloser Monotonie ist der Innenhof im Bürotrakt. Da er im Brandfall auch als Rauchabzug dient, durfte er weder möbliert noch begrünt werden. So ist es ein rings von grauen Raster-Oberflächen umgebener Schacht, der wohl manchmal für eine Art »Fensterkonferenz« genutzt, aber nicht zum Verweilen betreten wird. Wäre statt der grauen Betonplatten nicht wenigstens eine Art bekiester Zen-Garten möglich gewesen? Oder ein Wandgemälde? Eine Scheu vor Symbolik, vor Subjektivität, vor Emotion durchzieht das Gebäude. Intellektualität und Energieeffizienz allein war der grün-alternativen Bewegung jedoch nie genug. Wenn heute grüne Kernkompetenzen zu Kennzeichen des Mainstreams werden – alle Welt redet schließlich irgendwie von Nachhaltigkeit – , sollten sich die alternativen Vordenker da nicht gerade ihrer anarchischen, emotionalen, unwirtschaftlichen Seiten entsinnen, ehe sie – wie schon häufig bei der Kleidung – gar nicht mehr auffallen?

Grüne DenkWerkstatt

Die »Kunst am Bau« findet im zentralen Treppenraum statt: Ist das nüchterne Foyer passiert, überrascht der grasgrüne Teppich mit dem Motiv einer Schafherde, die hinauf in die Beletage rennt. Dankbar, in dem kühlen Bau ein so selbstironisches Element vorzufinden, trabt man hinterher. Der Bezug zu einer Böll-Erzählung ist nur vage, und es lässt sich im Gehen manch freie Assoziation dazu finden. Wie auch der Konferenzbereich viele Möglichkeiten bietet: Wird er mit bis zu 300 Gästen bespielt, hat das Haus die Qualität eines Platzes, was allerdings nur visuell in die Außenwelt wirkt. Warum gibt es keine offene Freitreppe zum Stadtgarten? Warum ist die Cafeteria noch immer verwaist? So etwas integriert ein Haus ins Stadtgefüge.

Immerhin, die Möglichkeiten der Beletage werden intensiv genutzt, die Stiftung leistet wichtige Arbeit, derzeit mit einem Schwerpunkt zum globalen Klimawandel (Programm unter www.boell.de). Unter den schwarzen Stahlträgern der Konstruktion und der sichtbaren Technik bekommt das Ganze Werkstattcharakter. So bleibt zu hoffen, dass das spröde Gebäude und seine klimafreundliche Technik auch den Rahmen dafür schaffen, neu über das Wesen – und die Klischees – ökologischen Bauens nachzudenken.

13. Januar 2010 deutsche bauzeitung

Flexible Hülle für die Super-Röhre

Forschungsgebäude für einen Hochfeldtomografen in Heidelberg

Die Technik wechselt, das Gebäude aber bleibt – gerade in der Forschung müssen Bauten auf veränderte Inhalte vorbereitet sein. Die Apparatemedizin etwa entwickelt sich so rasch, dass für Labore und Analysegeräte nur hochflexible bauliche Strukturen in Frage kommen. Wie aber lässt sich solchen Gebäuden ein Gesicht geben, das vielleicht sogar etwas über die komplizierte Nutzung verrät? Das Beispiel vom Krebsforschungszentrum Heidelberg zeigt, wie es gehen kann.

Der Apparat, um den es hier geht, wiegt stolze 32 t. Das »T«, das ihn besonders macht, steht jedoch nicht für Tonne, sondern für Tesla, die magnetische Feldstärke. Sieben Tesla, das 140 000-fache des Erdmagnetfeldes, ist das Feld stark, das der neue Hochfeldtomograf des Krebsforschungszentrums aufbaut, um in Schnittbildern bis auf die molekulare Ebene der Krebszellen von Probanden und Versuchstieren vorzudringen. Im Klinikbetrieb zugelassen sind bislang nur 3,5 Tesla. Das neue Gerät bedeutet also einen Maßstabssprung.

Beim Bau in direkter Nachbarschaft zu anderen Instituten und Kliniken ging es folglich nicht nur um den Schutz für diese kolossal teure »Röhre«, es musste auch vor dem Gerät und seinem Kraftfeld geschützt werden. Wie stark das ist, davon konnte sich der Rezensent selbst ein Bild machen: Schon vor der Röhrenöffnung lässt es metallene Pinnwände schweben und Armbanduhren stillstehen; mancher bekommt einen metallischen Geschmack im Mund; es können Wahrnehmungsstörungen auftreten.

Diesen Gefahren der Materie ließ sich nur mit einem Mittel begegnen – mit mehr Materie: Die Magnet-Röhre wurde in eine 250 t schwere Hülle aus Stahl eingebaut. »Sie sah aus wie ein Stück von einem U-Boot«, berichtet der Projektleiter vom Büro Heinle, Wischer und Partner, das diese seltsamen Kräfte architektonisch zu bändigen hatte. Weitere, als Faradayscher Käfig fungierende Hüllen, dieses Mal in den Wänden, waren nötig, bis die arbeitsrechtlich zulässige Feldstärke von 20 milli-Tesla erreicht wurde. Zwei Sicherheitsschleusen schirmen den Untersuchungsraum deshalb vom übrigen Gebäude ab. Vor dem Betreten des Röhrenraums sind tunlichst alle Metallgegenstände abzulegen. Träger von Herzschrittmachern hält schon vor dem Gebäude ein Geländer mit Warnschildern auf. Um die benachbarten physikalischen Institute der Universität nicht zu stören, wurde der Tomograf in der entgegengesetzten Ecke des Gebäudes platziert. Im Hause selbst trennt ein geräumiger Korridor die zu Vorbereitung und Auswertung dienenden Labors vom magnetischen »Herz« des Hauses. Diese dauerhaft nutzbaren Räume sind im Gegensatz zum fensterlosen Untersuchungsbereich ausgesprochen hell gehalten. Hier kommt dem Haus seine solitäre Stellung zugute.

Die Fassade als magnetische Wahrnehmungsstörung

Lassen sich die hier wirkenden unsichtbaren, aber doch mächtigen Kräfte architektonisch oder gar städtebaulich darstellen? Soll man sie überhaupt sichtbar machen oder eher verstecken? Dass hier etwas Besonderes passiert, vermittelt schon das Format des Gebäudes: Nur 25 m im Quadrat misst der Grundriss, 7 m erhebt sich der Quader über dem Gelände – ein Zwerg inmitten zum Teil vielstöckiger Labor- und Verwaltungsgebäude. Das Haupthaus des Krebsforschungszentrums wurde Anfang der 70er Jahre ebenfalls von Heinle, Wischer und Partner entworfen. Der Unité-artige Riegel wird derzeit totalsaniert.

Gebäude 243 für den 7-Tesla-Tomografen entzieht sich dagegen der nüchternen Labor-Ästhetik. Man nimmt es gar nicht als Nutzraum wahr. Umgeben von einem »Burggraben« – die erwähnte, elegant gelöste Grenze für Träger von Herzschrittmachern – , strahlt es etwas Unnahbares, fast Sakrales aus. Dazu trägt sein gedrungenes Format, aber auch ganz wesentlich die Fassade bei. Sie ist tatsächlich »nutzlos«, denn die unregelmäßig gereihten vertikalen Lamellen sind in einigem Abstand frei vor die schwarze Faserzementfassade montiert. Wer am Gebäude entlanggeht, nimmt die eigentlich banalen Alu-Latten als irritierenden Wechsel von Geschlossen und Offen, Hell und Dunkel wahr. Formaler Ausgangspunkt dafür waren die Feldstrukturen, die Metallspäne um Stabmagneten ausbilden. Räumlich umgesetzt, werden diese Strukturen jedoch zu Vexierbildern, welche die Quaderform des Gebäudes auflösen und wie eine Allegorie der Wahrnehmungsstörungen im Herzen des Gebäudes erscheinen. Der ursprüngliche Plan, die Lamellen aus reflektierendem Edelstahl zu fertigen und erheblich dichter anzuordnen, musste leider aufgegeben werden. Die Spiegelungen hätten die nebenan landenden Hubschrauberpiloten gefährlich irritiert. Auch reichten die rund 5 Mio. Euro Gesamtbudget nur für 200 Stück, die außerdem an den Zugängen unterbrochen werden mussten. Dennoch überspielt dieser Vorhang den durch Fen- ster und Leitungen doch inhomogenen Quader wirkungsvoll und macht aus ihm mehr als eine »Garage« für die »Super-Röhre«, wie ihn Spötter anfangs bezeichneten.

Flexibler Rasterbau mit verschiebbaren Stützen

Bei aller Kunst am Bau wurde das Gebäude an sich doch als hochflexibler »Behälter« konzipiert. Die Konstruktion basiert auf einem Stahlstützen- raster von 8,40 m, das mit dem laborüblichen Ausbauraster von 1,20 m konform geht. Die Mittelzone der im Grundriss neun Felder ist besonders variabel, da sich die vier zentralen Stützen entlang der Unterzüge verschieben lassen. Der Tomograf wurde nicht umbaut, sondern in die fertige Hüllkonstruktion eingebracht. Über eine Hintertür ist die Gerätetechnik zugänglich. Hier wird zum Beispiel das flüssige Helium zur Kühlung des Magneten angeliefert.

Auch die gesamte Technik selbst musste vom Magnetfeld abgeschirmt werden. Beispielsweise wird der Untersuchungsraum über Projektoren beleuchtet, da Glühbirnen vom Magnetfeld rasch zerstört würden (für die Grundbeleuchtung des Gebäudes sorgen in die Decken integrierte LEDs). Insgesamt gelang aber eine gute funktionale Trennung von technischen Zonen und solchen, die dem menschlichen Aufenthalt dienen. Die zweigeschossige Halle ist so geräumig, dass sie auch als Treffpunkt und für Präsentationen genutzt wird. Die tragende Stahlkonstruktion ist zwar aus Brandschutzgründen ummantelt (F 60), die voll verglaste, tragende Nordfassade der Labors, leichte Trennwände, Stege und Treppe sowie das Geländer aus »Maschendraht«, bilden gleichwohl eine filigrane Binnenstruktur. Speziell entwickelt wurden die »Technik-Module« der Labortrennwände: Hierin sind alle technischen Installationen wie Heizung, Zu- und Abluft sowie Lichtschalter und Schränke gebündelt, so dass sich die Raumteiler auf dem Doppelboden verschieben lassen. Man wird sehen, ob diese Möglichkeiten der Flexibilität hier tatsächlich genutzt werden, oder ob – wie bei vielen früheren Angeboten dieser Art – die Macht der Gewohnheit stärker ist. Absehbar ist indes, dass die Untersuchungsmethoden weiter verfeinert werden – mit ungewissen räumlichen Konsequenzen. Darauf ist dieses Gebäude, auch durch seine ansprechende Gestaltung, so gut wie möglich vorbereitet.

3. November 2009 deutsche bauzeitung

Stoischer Stapel

Verwaltungs- und Geschäftsgebäude »Torre Burgo« in Porto

Hochhäuser sind starke Zeichen. Lange bevor Konstruktion und Details entwickelt werden, haben Marketing und Machtpolitik heutzutage ein Image, ein Bild parat, das ein Gebäude kommunizieren soll. Nicht so in diesem Fall: Der Architekt dieses Turms verweigerte sich den Bildern. Sein Minimalismus wirkt, gemessen an aktuellen Highrise-Kreationen, spröde, als Großform fast plump. Bei der Gestaltung der Fassade spielt er dagegen ein delikates tektonisches Spiel, das als Sonnenschutz sinnvoll ist, konstruktiv aber keineswegs ehrlich.

»Sie ist falsch«, sagt der Architekt, auf die viel bewunderte Fassade angesprochen. »Sie ist interessant, aber falsch. »Ich glaube immer noch (ich bin ein Dinosaurier), dass es eine enge Beziehung zwischen Material, Sprache und Gebäudesystem gibt. Diese Beziehung kann verändert werden, versteckt oder umgekehrt, aber sie ist ein Ausgangspunkt. Ohne sie gilt: Anything goes …«

Als Eduardo Souto de Moura Ende der 80er Jahre von einer portugiesischen Großbank den Auftrag für das Hochhaus an der Avenida de Boavista in seiner Heimatstadt erhielt, hatte er bis dahin fast nur Einfamilienhäuser geplant. Sein Respekt vor der neuen Bauaufgabe war entsprechend groß: »Ich wich zurück vor dem ›Skyscraper‹ wie der Stierkämpfer vor dem Bullen. Als ich ihn schließlich bei den Hörnern gepackt hatte, war von den ›Fachleuten‹ bereits alles Wesentliche entschieden: Die Feuerwehrleute hatten die Höhe festgelegt (70 m), die englischen Berater den Stützenabstand (drei Autos), die Ingenieure die Dimension der Träger.« Ein zentraler Kern mit zwei Treppen und vier Liften musste sein, und bei 24 m Seitenlänge endete die maximale Belastbarkeit des Fundaments. »Was übrig blieb, war die Architektur der Außenhaut. Die Besitzer zierten sich, schlugen ein ›prêt-à-porter‹ vor: »Kein Holz oder Stahl (der Architekt, damals gerade Gastprofessor in der Schweiz, hatte als abstraktes Bild einen Stapel Holzpaletten ins Spiel gebracht, später, als Mies-Fan, rostigen Corten-Stahl vorgeschlagen), vorgefertigter Beton ist vulgär. Granit, ja. Wir sind schließlich in Porto, der Stadt aus Granit!« Also schlug Souto de Moura eine tragende, 8 cm dicke Granitfassade vor. Antwort der Ingenieure: »Das Tragwerk steht nicht zur Diskussion, das Gebäude stürzt sonst ein. Das Ingenieurwesen ist im Gegensatz zur Architektur eine Wissenschaft. Lassen Sie uns arbeiten.« So viel zu den bitteren Erfahrungen des Architekten im Hochhaus-Business, die er mit Ironie verarbeitet hat. Das Projekt wurde in den 90er Jahren als Corporate Headquarter ad acta gelegt, erlebte dann aber 2003 mit einem spanischen Investor einen Neuanfang. Dieser erwog für das genehmigte Volumen verschiedene Nutzungen, darunter auch Apartments, entschied sich dann aber für vermietbare Büroflächen mit Ladennutzungen im EG des flachen Riegels, der die Turm-Plattform flankiert.

Learning from Mies

Als Bewunderer des Mies'schen Minimalismus nimmt Souto de Moura mit seinem Ensemble explizit Bezug auf dessen Federal Center in Chicago von 1959-74: Der Hochhausquader ist von der Straße zurückgesetzt und bildet mit einem niedrigen zweiten Quader einen Platz. In Porto ist alles etwas kleiner, der Turm nur halb so hoch wie jener in Chicago, doch das Prinzip der eigenständigen Setzung eines Orts wirkt auch hier: Vom disparaten Umfeld, halb Brache, halb zerbröckelnde Straßenrandbebauung, gewinnt der Torre Burgo durch die erhöhte Plaza eine hehre Distanz. Selbst das Kunstobjekt paraphrasiert Mies: Was in Chicago Alexander Calders Flamingo, ist in Porto Angelo de Sousas Stahlobjekt – ein farbig-frei geformter Kontrast zum monochrom-orthogonalen Umfeld. Allerdings verzichtet Souto de Moura auf die Gliederung des Turms. Kein Sockel, kein oberer Abschluss zieren den »Palettenstapel«, angeblich hat der Architekt die Fassadengliederung aus einem Schrank-Entwurf übernommen …

Palettenstapel, Kartenhaus, Sonnenschutz – die »falsche« Fassade

Wer sich dem Torre Burgo entlang der Avenida de Boavista von Westen oder Osten nähert – die häufigste Wahrnehmung des Gebäudes auf dem Weg von der Stadt zum Meer oder umgekehrt –, der nimmt ein fast geschlossenes, maßstabsloses hellgraues Volumen wahr, eine Kiste. »Noch so eine Bausünde der 60er, wie es sie in der Umgebung einige gibt«, ist man schon geneigt zu denken. Erst auf der Höhe der Plaza, wenn die Brache bzw. das Drive-in-Restaurant passiert sind, werden Feinstruktur und Sinn der Fassade deutlicher: Die Schlitzfassade aus dünnen Steinplatten, getrennt durch »Abstandhalter« aus Aluminium, schützt vor der tiefstehenden Sonne am Morgen und Abend. An der Nordfront zur Plaza sowie auf der Südseite zum Douro-Ufer geben sich die Abstandhalter scheinbar als lagernde Querträger zu erkennen, welche als brise-soleil die Glasvorhangfassade vor der hoch stehenden Mittagssonne schützen. Beides ist hochwirksam für die Innenräume, als konstruktives Bild jedoch falsch: Weder sind die metallenen Abstandhalter Stirnseiten durchlaufender Träger in einem Stapel aus Stäben, noch sind die die Glasfassade flankierenden Granitscheiben die Stirnseiten solider Steinplatten; selbst die Alu-Querträger der Glasfassaden wären ab der vierten Etage statisch nicht notwendig. Der ganze Turm ist als Ortbetonskelett im 3 x 3 x 3 m-Raster errichtet. Die Hülle ist ein plastisch reizvolles, aber tektonisch falsches Spiel. Daraus macht der Architekt auch keinen Hehl: So verschraubt er die keine zwei Zentimeter dünnen Granitplatten sichtbar, klappt ein ganzes Feld der Steinhaut auf, um den Eingang ins Gebäude freizulegen – hier gibt sich der Schwindel klar zu erkennen. Ganz ähnlich verfährt Souto de Moura beim liegenden Quader nebenan. Der soll als Ausschnitt eines räumlichen Bandes wirken. Folgerichtig sind seine Stirnseiten einfach mitten in der Konstruktion abgeschnitten. Das darf man wohl Manierismus nennen.

Zweierlei Anonymität

Gefragt, was er angehende Architekten heute lehren würde, antwortet Souto de Moura, ganz Vertreter der »Schule von Porto«: Zeichnen, Konstruieren und Geschichte. Er plädiert für eine »anonyme« Architektur, die nicht ihren Schöpfer in Szene setzt, sondern zu einem Teil des Gemeinwesens wird. Beim Torre Burgo ist dies schwierig. Die Anonymität ist eher die eines neutralen »spec office building«, das eigenen Regeln folgt, die der Architekt nicht zu bestimmen hat. Die offene Plaza wirkt unbelebt, ohne ausreichenden Schutz, wenn auch der helle Siebzehngeschosser sie keineswegs erdrückt. Fallwinde, hochhaustypische Zugerscheinungen, sind zumindest sommers nicht das Problem. Die Gebäude wirken wie Möbel darauf abgestellt, es fehlen die Übergangsräume zwischen drinnen und draußen – und die Passanten. Denn betreten wird das Anwesen in der Regel von der zweistöckigen Tiefgarage im Sockel – der teure rote Gummiboden spricht hier für sich. Auch weil es im Torre keine öffentlichen Nutzungen gibt (wie etwa eine Dachterrasse, die spektakuläre Blicke bis zum Atlantik bieten könnte, aber mit Klimageräten vollgestellt ist), liegt die Plaza meist verwaist da. Die Aufwertung des Straßenraumes der Avenida, einst eine Prachtstraße nach Pariser Vorbild, kommt nicht in Gang, die geplante Metro-Linie ist nicht in Sicht.

Noch ist unklar, was auf den Brachflächen westlich und nördlich des Torre entstehen wird. Glaubt man seinem Betreiber, markiert der Torre Burgo das Herz des neuen »Central Business District«. Die Finanzkrise hat indes auch Portugal hart getroffen, und so steht der Torre Burgo, vor bald zwei Jahren eröffnet, zu drei Vierteln leer. Gut möglich, dass daran auch die zu wenig repräsentative Gestaltung Mitschuld trägt, der »ehrliche« Eingang etwa, der ungeübten Augen auch wie eine Dauerbaustelle erscheinen mag. Ironie kam in der Geschäftswelt noch nie gut an, Blendwerk dagegen schon.

Leerstand trotz praktischer Grundrisse

Rein praktisch sind beide Gebäude gut nutzbar. Die siebzehn Etagen des Turms lassen sich vielfältig unterteilen. Zielgruppe sind Finanzdienstleister, Anwaltskanzleien und dergleichen. Kehrseite der Flexibilität ist die Erschließung über den finsteren innenliegenden Kern, der – möglicherweise von Rem Koolhaas' nahegelegener Casa da Música angeregt – ganz in Edelstahl gekleidet wurde. In die Büros fällt ausreichend Tageslicht, um ohne oder mit nur wenig zusätzlichem Kunstlicht auszukommen. Der Betreiber garantiert den Nutzern eine Raumtemperatur zwischen 19 und 23 °C, was ihm dank der Fassadengliederung auch mit vergleichsweise wenig Klimatisierung gelingt. Auch hier in Südeuropa reagiert man inzwischen sensibler auf gestiegene Unterhaltskosten und rechnet die Verbräuche nicht mehr pauschal pro Fläche, sondern individuell ab. Direktes Sonnenlicht fällt kaum in die Büros, innenliegende Rollos regulieren den Lichteinfall. Einige Fenster lassen sich ausklappen.

So effizient und nutzerfreundlich könnte das Hochhaus eine Zukunft haben. Traurig nur, dass gleichzeitig wenige Kilometer weiter die großartige Altstadt dem Zerfall überlassen wird. Hat da wieder jemand Hochhaus mit Fortschritt gleichgesetzt und falsche Prioritäten gesetzt? Schon das direkte Umfeld des Torre zeugt von einer wenig weitsichtigen Stadtplanung.

»Kleine Länder produzieren immer kleine Architektur«, sinniert Eduardo Souto de Moura noch. »Und als wir groß waren (waren wir das jemals?), wurden ›große Werke‹ an ausländische Architekten vergeben.« Auch unter diesem Aspekt ist der Torre Burgo ein formal bemerkenswert eigenständiger Beitrag des EU-Nachzüglers Portugal zum Thema Hochhaus, selbst wenn er die Grenzen einer »angemessenen Gestaltung« dieser Bauform abermals aufzeigt.

7. Oktober 2009 deutsche bauzeitung

Blattwerk und Tangram

Betriebsrestaurant in Ditzingen

Das Raster ist tot, es lebe das Puzzle – diese Botschaft scheint die weitgespannte Stahl-Holz-Konstruktion über der neuen Trumpf-Kantine zu vermitteln, deren komplexe Struktur analog zur Natur erst dank CNC und individualisierter Massenfertigung möglich wurde. Mit ihren Gebäuden für den schwäbischen Präzisionsmaschinenbauer haben die Architekten schon öfters Sehgewohnheiten verrückt. Doch dieses Mal wirft der Neubau – zweifellos großzügig und skulptural sinnig – vor allem auch Fragen nach der Angemessenheit und den Grenzen konstruktiver Analogien auf.

Seit über zehn Jahren gestaltet das Büro von Frank Barkow und Regine Leibinger die bauliche Entwicklung des Konzerns Trumpf. Am Stammwerk Ditzingen, wo sich Leibingers Vater einst vom Lehrling zum Chef hochgetüftelt hatte, machten Erweiterungen und Umnutzungen eine völlige Reorganisation des Firmengeländes möglich. Schon bald nach der vielpublizierten neuen Laserfabrik im Westen des Werkes wurde auf der Ostseite eine ehemalige Gewürzmühle erworben und umgebaut. Zwischen diesem neuen Dienstleistungszentrum, den Verwaltungsgebäuden aus den Sechzigern und dem 2003 hinzugekommenen Vertriebs- und Servicezentrum blieb ein Freiraum übrig, der für die Anlage eines großzügigen Betriebsrestaurants genutzt werden sollte: Eine »soziale Mitte«, die es für jeweils 700 Mitarbeiter im Schichtbetrieb auszulegen galt, zugleich aber auch Betriebsversammlungen fassen sollte. Die bisherige Kantine für die insgesamt 2 000 Mitarbeiter war vor allem akustisch ungenügend in einem der Altbauten untergebracht.

Das unregelmäßige Fünfeck des neuen Gebäudes reagiert auf die bestehenden Raumkanten. Sein »Bug« weist nordwärts zur gewagt aus- kragenden, blitzblanken Pförtnerloge am 2007 hierher verlegten Haupteingang, das breite »Heck« steckt südseits in einem Hügel, der die nahe Autobahn auszublenden bestrebt ist.

Die nautischen Metaphern mögen fehl am Platze sein; sie drängen sich dem Betrachter gleichwohl auf, weil das stählern konstruierte Gebäude halb im Boden versunken liegt: Eingegraben, um an das Tunnelsystem anzuschließen, das alle Werksteile wetterunabhängig miteinander verbindet, gibt es seine 31 000 m³ Baumasse nicht gleich preis. Das Aha-Erlebnis folgt erst, nachdem man die unterirdischen Gänge passiert und den Boden des Raumes betreten hat, den »Kantine« zu nennen weit untertrieben wirkt.

Schwamm, Blatt, Waben – die Formfindung

Hatten die Architekten in ihren Bauten bislang – in der Tradition des mit Stanzmaschinen großgewordenen Unternehmens – überwiegend mit Metalloberflächen experimentiert, erschien ihnen für eine Gemeinschaftsfunktion das anheimelndere Holz angebracht. Sie verwenden es jedoch in Kombination mit Stahlträgern und -stützen, um mehr Leichtigkeit zu erreichen. Das Dach sollte das prägende, alles verbindende Element sein. Als Struktur-Vorbild für dieses schwebte den Entwerfern das Blatt, der Schwamm und eine Wabenstruktur vor:

Was beim Blatt die Stiele und die Hauptadern – die Primärstruktur – sind, sollten hier die Stahlträger übernehmen. Was die Blattverästelungen aus-füllen – die Sekundärstruktur – sollte das Holztragwerk sein. Ein Deckgewebe – aussteifende Holzelemente und Dichtbahnen – überzieht beide.

Die offenporige räumliche Struktur von Schwämmen bot eine Möglichkeit, Tragverhalten und günstige Akustik zu verbinden. Doch wie diese Strukturen bauen? Schließlich entstand eine Mischform, die durch vertikale Vor- und Rücksprünge plastisch-räumlich wirkt. Dabei übernehmen die Überstände keine statische Funktion. 1 550 Brettschichtholz-»Stäbe« aus Fichte, 10 cm breit und zwischen 90 und 150 cm hoch, insgesamt 3,6 km lang, bilden die wabenartige Struktur, die innerhalb der von den Stahlträgern aufgespannten neun Dreiecke statisch wie ein Trägerrost funktioniert.

Keine der Waben ist identisch. CNC-Sägen und -Fräsen haben sie in präzise Form gebracht, wie bei einem Tangram-Puzzle geht am Ende alles auf. An jeder Ecke verbinden sternförmige Laschen die Holzwaben miteinander; an den Wangen sind sie zusätzlich sichtbar verschraubt. An die Stahlträger sind Befestigungslaschen angeschweißt. Hinzu kommt die unterschiedliche Neigung der neun Dachflächen, so dass Übergangshölzer nötig waren, um die entstehenden Zwischenräume zu füllen. Die ausführende Holzbaufirma baute zunächst ein 1:1-Modell mehrerer Module, um die effizienteste Verbindungstechnik zu ermitteln.

Da die Verbindungen sehr aufwendig sind, entschied man sich aus Kostengründen für eine deutliche Vergröberung der Struktur auf 295 Knoten , was dem Ziel der Strukturanalogie geschadet hat. Die erstrebte Leichtigkeit ist weg, die Waben sind wieder Bauwerke und keine Schwämme und lasten doch erheblich auf dem Raum.

Spindeldürre Stützen

Die bis zu 40 m weit spannenden Stahlträger und die neun Stützengruppen wurden dagegen extrem abgespeckt. Mit Materialstärken von bis zu 6 cm an hochbelasteten Stellen und kompliziert zu schweißenden Knoten erfüllen sie statisch gewiss ihren Zweck. Für die mächtig geratene Holzwabenkonstruktion wirken aber insbesondere die Stützen zu zart. Das Auge »wiegt« die Wabenkonstruktion eben nicht als leichtes Blatt oder Schwamm, sondern als doch recht massive Holzkastenstruktur. Manch einer mag sich dabei gar an abgehängte Decken der siebziger Jahre erinnern. Auch andere Bauten von Barkow Leibinger wecken Reminiszenzen an diese Zeit.

Ansonsten erfüllt die Wabenkonstruktion, in Kombination mit der gelochten Aussteifungsschicht, sehr gut ihren Zweck: Trotz der harten Ober- flächen im übrigen Raum ist der Geräuschpegel noch angenehm. Und zum gewöhnungsbedürftig prekär anmutenden Tragwerk ihrer Kantine werden die – zumeist technisch versierten – Mitarbeiter schon Zutrauen entwickelt haben.

Raumhoch verglast

Frappierend ist die Helligkeit im Raum: Immerhin 4 m unter Straßenniveau, erhält der Raum über die vom Dach bis zum Boden reichende Rundum-Verglasung viel direktes und indirektes Sonnenlicht. Die grünen Böschungen geben dahinter etwas Hülle, verwehren aber die weiteren Ausblicke auf das Firmengelände. Da sich das öffentliche Leben auf dem »Campus« ansonsten nur in den Verbindungstunneln abspielt, ist dies schon eine gehörige Steigerung des Wohlbefindens. Auf der Rückseite können die Mitarbeiter sogar draußen auf einer Terrasse sitzen.

Die gerade im Verhältnis zur Decke fast schwerelos wirkende Fassade trägt nur sich selbst, sie wird durch die vertikalen Aluminiumschwerter mit wechselnden Hochpunkten ausgesteift – wieder eine (hier nur scheinbar willkürlich gestaltete) dreidimensionale Fassade des Büros. Am Übergang zur auskragenden Dachkonstruktion (s. Abb. 5) verläuft ein vertikal beweglicher Kunststoffbalg, der die thermischen und lastabhängigen Bewegungen des Daches um 6 cm auszugleichen in der Lage ist.

Noch-nie-Dagewesenes

Bleiben noch nicht-tragende Details anzufügen: Die gesamte Logistik und die Küchenfunktionen verschwinden geschickt im Mezzanin-Geschoss. Der felsenhafte Bau stärkt der gesamten Struktur den Rücken, der sichtbare Teil wurde zudem in dunkel eingefärbtem Beton errichtet, was seine Schwere unterstreicht. Vor diesem Hintergrund heben sich die strahlend weißen Anrichten aus fugenlosen Mineralwerkstoff-Platten ab. Der Estrich glänzt dagegen hellgrau, er enthält trotz seiner scheinbaren Härte schwingungsdämpfende Polyurethane.

Fliesen, indes keine mit sanitärer Ausstrahlung, tauchen an drei Orten im Gebäude auf: am Eingang in der dreieckigen Erweiterung des Tunnels in Grün, im sichtbaren Ausgabebereich der Küche in Weiß und an der Rückseite des Gebäudes zum Hang hin in Blauschwarz. Die insgesamt 12 000 Fliesen entstammen einer Kleinserie aus dreidimensionalen (konkaven und konvexen) Terrakotta-Elementen, die formale Anklänge an die Gesamtform der Kantine enthalten.

Die Dachfläche ist von den umliegenden Gebäuden aus gut sichtbar. Darum hat man nur die nötigsten Abzüge und Öffnungen hier installiert, die massivere Technik dagegen in zwei seitliche Türme ausgelagert. In einige Waben integrierte Oberlichter unterstreichen in ihrer Selbstähnlichkeit die Gesamtform, wirken von außen aber wieder mehr dekorativ, wie Edelsteine.

Es ist wohl diese Ambivalenz von Nutzen und Dekor, das spielerische Zusammenwirken von scheinbarer Willkür und präzisester Kalkulation und Technik, die das OEuvre von Barkow Leibinger für modern geprägte Architekten angreifbar macht. Ihr zeittypisches Streben nach »Noch-Nie-Dagewesenem« verunsichert, weckt aber auch Neugier und Staunen, gerade bei »ungeschulten« Betrachtern. Der – nicht realisierte – raupenförmige Pavillon für das Deutsche Architekturmuseum ist nur ein weiteres Beispiel dafür.