Akteur

Livio Vacchini
* 1933 Locarno 2007 Basel

Formale Klarheit

Zum Tod des Architekten Livio Vacchini

4. April 2007 - Roman Hollenstein
Als Mitte der siebziger Jahre die Kunde von einer neuen, regional geprägten Tessiner Baukunst um die Welt ging, glaubte man in Mario Botta, Aurelio Galfetti, Luigi Snozzi und Livio Vacchini Vertreter einer einzigen «Tendenza» zu sehen. Doch dann zeigte es sich, dass jeder dieser Meister einen eigenen Ausdruck pflegte. Am sperrigsten sollte sich das Werk des am 27. Februar 1933 in Locarno geborenen Vacchini entwickeln. Mit seinen klassisch gedachten, aber kompromisslos ausgeführten Bauten stellte er bald schon architektonische Modeströmungen in Frage. So wagte er - ausgehend von Mies van der Rohes Rationalismus und Louis Kahns konstruktiver Logik - eine kreative Auseinandersetzung mit den postmodernen Tendenzen jener Zeit. Davon zeugt das Schulhaus von Montagnola, in dem er die Antike befragte, oder die dem Kontext verpflichtete Casa Rezzonico in Vogorno im Verzascatal.

In den neunziger Jahren wurde Vacchinis Architektursprache zusehends rigoroser, so dass einem die Turnhalle in Losone wie eine Neuinterpretation des revolutionären Klassizismus aus dem Geist der Spätmoderne erschien. Sein Hang zur Abstraktion, der sich bereits 1985 im tischartigen Atelierhaus in Locarno angekündigt hatte, steigerte sich im Spiegelmonolithen des Postgebäudes an der Piazza Grande von Locarno zum spröden Architekturtraktat. Es erstaunt daher nicht, dass Vacchini ausserhalb seiner Heimat vor allem in Frankreich Erfolge feiern konnte. Zwar schmerzte ihn das Scheitern seines grandiosen, zusammen mit Silva Gmür konzipierten Projekts für ein neues Rathaus in Nizza. Doch gab er sich nicht geschlagen, selbst als sein 1997 preisgekrönter kristalliner Entwurf für die neue Synagoge in Dresden unausgeführt blieb.

Seinen letzten grossen Wurf konnte er vor drei Jahren realisieren: die von einem dunklen Stahlgitter umhüllte Galleria Luini in Locarno. Sie offenbart die Quintessenz seines theoretischen und praktischen Schaffens sowie seinen Sinn für grosse Formen und perfekte Proportionen. In diesem spürt man Vacchinis Liebe zur hellenischen Welt, der er in seinem vollkommensten Werk ein Denkmal setzte: der zwischen Olivenbäumen in Contra hoch über dem Lago Maggiore gelegenen Casa Vacchini. Nicht dort, sondern im Spital von Basel ist nun Livio Vacchini am 2. April im Alter von 74 Jahren gestorben. Mit ihm verliert die Schweiz einen grossen Architekten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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