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17. Mai 2025 Neue Zürcher Zeitung

Santiago Calatrava dient die Kunst als Experimentierfeld für seine Architektur – darin gleicht er auch Le Corbusier

Der menschliche Körper, das organisch gewachsene, inspiriert den in Spanien geborene Wahlschweizer zu seinen Bauten. Dabei gibt es eine Art von Konstruktion, die dem Architekten ganz besonders entspricht.

Santiago Calatrava ist Architekt und Bauingenieur. Wie Le Corbusier ist er aber auch Künstler. Und wie der grosse Schweizer Architekt hat er darin seine Freiheit zum Experiment gefunden. Übrigens kann man auch von Calatrava behaupten, was schon auf Le Corbusier zutraf: dass der gebürtige Spanier und Wahlschweizer ein ausgesprochen künstlerisches Verständnis von Architektur pflegt. Auch Calatravas Gebäude haben etwas von begehbaren Raumskulpturen.

Doch Calatravas architektonisches Werk hat nichts mit Le Corbusiers brutalistisch-funktionalem Modernismus zu tun. Im Gegenteil: Die Baukunst von Santiago Calatrava zeugt von geradezu exzentrischer Leichtigkeit. Und von markanter Eigenwilligkeit: Jedes seiner Werke ist gleichsam ein Signature-Piece – unverkennbar in seinem charakteristischen Ausdruck.

Wobei man bei seinen grossen Bauten – seien es Bahnhöfe, kulturelle Institutionen und Museen – unweigerlich an riesige Gerippe von Urwesen, auch an urzeitliche Quallen oder Muscheln und Schnecken denken mag. Selbst mit den Strukturen von Blattwerk oder riesigen Vogelflügeln könnte man seine Architektur vergleichen. Das organisch Gewachsene jedenfalls ist eine kaum zu übersehende Eigenschaft von Calatravas Bauen.

Ein Brückenbauer

Kein Wunder, hat der 1951 in Valencia geborene Architekt und Künstler immer wieder Brücken gebaut. Diese Bauwerke ohne Innenraum entsprechen seiner Neigung zur bildhauerischen Auffassung von Gebautem. Seine Brücken – man denke an die Zubizuri-Fussgängerbrücke in Bilbao, an die Kronprinzenbrücke über die Spree in Berlin oder an die 120 Meter lange und 48 Meter hohe Schrägseil-Konstruktion der Samuel-Beckett-Brücke in Dublin – sind schwebende Gebilde im reinen Lichtraum. Sie verbergen ihre Konstruktionsweise nicht, sondern legen sie offen zutage. Von diesen rhythmisch-leichten Konstruktionen in lichtem Weiss aber lässt sich leicht auch eine Brücke schlagen zu Calatravas Kunst.

Wobei sich diese, im Gegensatz zu seiner Baukunst, alles andere als unverkennbar ausnimmt. Wiedererkennung ist kein Merkmal dieser Kunstwerke. Calatrava wildert denn auch in sämtlichen Gefilden der bildenden Kunst: Er befasst sich mit der Kleinplastik oder der monumentalen Aussenskulptur ebenso wie mit der Aktmalerei oder dem kunsthandwerklichen Dekor. Was als verbindendes Element ausgemacht werden kann, ist das Rhythmisch-Organische.

Geradezu musikalische Qualitäten weist seine gemalte Komposition mit drei Grazien auf, die sich in der Oberfläche eines an Monet erinnernden Seerosenteichs spiegeln. An eine Harfe wiederum erinnert seine Skulptur mit Stahldraht und schwarzem Granit unter dem bezeichnenden Titel «Musical Star I» von 1999.

Der menschliche Körper als zeichnerisches Werk

Rhythmisch durchkomponiert ist auch sein «Climbing Torso», ein Konstrukt aus weissen Marmorwürfeln und Chromstahl-Verstrebungen, das ähnlich wie Brancusis «Säule der Unendlichkeit» in den imaginären Raum zu wachsen scheint. Dieses Prinzip sollte Calatrava auch in seinen Eichenholz-Skulpturen sowie in dem riesigen Obelisken von 2009 vor dem Israel Institute of Technology in Haifa wiederaufnehmen.

Dass Santiago Calatrava dabei an organisches Wachstum denkt, verrät der Begriff Torso. Eine ähnliche Konstruktion aus schneeweissen Marmorwürfeln wird einer leichten Drehung unterzogen. Diesen «Turning Torso» hat der Künstler nach der Skizze eines sich leicht drehenden Männerkörpers entworfen.

Der menschliche Körper ist zentral in seinem künstlerischen, vorab zeichnerischen Werk. Oft glaubt man, es bei seinen weiblichen Akten überdies mit Aquarellen von Auguste Rodin zu tun zu haben. Zum Verwechseln ähnlich scheinen diese frei mit Bleistift und Wasserfarbe aufs Blatt geworfenen Studien. Sie sprechen dieselbe sinnliche Sprache wie die erotischen Aquarelle des grossen französischen Bildhauers.

Bei Rodin findet Calatrava denn auch die direkte Verbindung zwischen Skulptur und Architektur: Die Baukunst sei reine Manifestation von skulpturalen Volumen, wie es Rodin einmal formuliert hatte. Und all dies gründet bei Calatrava auf dem menschlichen Körper – auf der Schönheit, wie sie Calatrava in dessen natürlicher Harmonie erkennt: fünf Finger, die in eine Hand übergehen, dann in ein Handgelenk, und weiter in einen Arm und eine Schulter. Es folgt die Brust und schliesslich der ganze Körper. So fliesst alles ineinander in einer Körperarchitektur reinster Vollendung.

Höhepunkt der Immaterialität

Calatrava hat insbesondere den weiblichen Körper in langen Sitzungen mit Modellen studiert – und mit Kohle aufs Papier gebracht. Der Kohlestift gilt ihm dafür als das geeignetste Arbeitsmittel. Je nachdem, wie viel Druck er ausübt oder wie stark er den Strich mit dem Daumen verwischt, gelingt ihm die Imitation der Weichheit des Körpers, seiner Rundungen und des Lichts auf seiner Haut: eine Inkarnation mit Kohle auf Papier gleichsam. Für Calatrava sind solche Studien vergleichbar mit dem Schwarz-Weiss-Film, der allein mit Licht und Schatten Atmosphäre schaffe, wie er einmal bekannte.

Aber auch die klassisch-antike Auffassung vom Körper interessierte ihn. Calatrava hat sie in der Glyptothek in München studiert. Dort faszinierten ihn die Giebelfiguren des Frieses des Aphaia-Tempels auf der griechischen Insel Ägina. Die Figurenparade stellt den Krieg um Troja dar. Die sogenannten Ägineten – Griechen und Trojaner – sind in heftige Kämpfe verwickelt. In der Mitte ragt majestätisch Athena, die Schutzgöttin der Griechen, auf. Die Krieger aus weissem Marmor – nackte Soldaten, bewehrt mit kreisrunden Schildern – zählen zu den berühmtesten und schönsten Marmorskulpturen der Antike.

Calatrava interessierte sich dabei vor allem für die Wechselbeziehung zwischen menschlichen Gliedern in ihren harmonischen Bewegungsabläufen und dem Prinzip des Kreises in Gestalt der runden Schilder. Diesen Dialog deklinierte er in Zeichnungen, Aquarellen und schliesslich auch in Eisenskulpturen durch. Jedes dieser Werke erzählt dabei sein eigenes Drama und Heldenepos.

In diesen Arbeiten erinnert Calatrava nicht zuletzt auch daran, dass der menschliche Körper einst bedeutender Bestandteil der Architektur war. Ein Paradebeispiel ist der Parthenon-Tempel auf der Akropolis. Dessen berühmter Fries befindet sich im British Museum in London. Die antiken Darstellungen von Göttern und Helden, von unzähligen menschlichen Körpern in dramatischer Bewegung, haben Künstler von Giorgione über Manet bis Rodin inspiriert.

Beflügelnde Baukunst

Der Mensch sozusagen als das Mass aller Dinge in der Baukunst wie in der bildenden Kunst: Einer von Calatravas Kriegern aus Eisen hält gleich zwei Schilder hoch, als wollte er sich mit diesen kreisrunden Schwingen in die Lüfte erheben. Und in den Lüften zu Hause ist denn auch Calatravas Architektur. Beste Beispiele dafür sind sein Opernhaus in Valencia mit seinem schwebenden Dach oder sein Milwaukee Art Museum, das aussieht wie ein futuristisches Flugobjekt. Um eine leichte, beflügelnde und lichte Baukunst ist es ihm stets zu tun. Dabei fasziniert Calatrava insbesondere das Phänomen des Lichts.

Licht macht Materie einerseits erst sichtbar, anderseits aber ist es auch imstande, in seinem Widerschein alles Materielle zu entmaterialisieren. Wie dabei Architektur selbst zur reinen Lichterscheinung wird, hat Claude Monet nicht weniger als dreiunddreissig Mal in seinen Gemälden der Kathedrale von Rouen vorgeführt.

Anders als der Impressionist, aber mit demselben Ziel, spielte Calatrava die Immaterialität des Lichts auch schon in einer Serie von kinetischen Kunstwerken durch. Darin kombinierte er dünne, farbige Metallstreifen zu monochromen, dynamischen Wandreliefs. Von einem Motor bewegt, erzeugen diese Bilder ein faszinierendes Kaleidoskop von Farbschattierungen. Diese Werke in Calatravas Schaffen führen die Dematerialisierung von Farbe durch Licht vor Augen. Und darin liegt auch der Schlüssel zu seiner Baukunst der Leichtigkeit.

[ Santiago Calatravas bildnerisches Schaffen wird in einem sorgsam gestalteten und grosszügig bebilderten Katalogbuch erstmals umfassend vorgestellt. Der von Nick Mafi herausgegebene Band «Calatrava – Art» ist im Hirmer-Verlag erschienen (376 S., 310 Abb. 65 Euro). ]

8. März 2025 Neue Zürcher Zeitung

Meisterwerke aus fünf Jahrhunderten auf den Sockel gehievt: Winterthur ist wieder ein Ort der Kunst

Mit der Wiedereröffnung des neu gestalteten Kunstmuseums Reinhart am Stadtgarten findet die umfassende Neuorganisation der Winterthurer Museen ihren Abschluss. Die hier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden Kunstsammlungen von Weltformat verfügen nun über optimale Sichtbarkeit.

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24. Februar 2025 Neue Zürcher Zeitung

Le Corbusier war ein Alleskönner und auch ein Opportunist

Dem Schweizer Multitalent schwebte eine Synthese von Architektur, Kunst und Design vor. Das Zentrum Paul Klee in Bern erschliesst den Kosmos Le Corbusier mit einer umfassenden Ausstellung. Und diskutiert auch die Kontroverse um den Kunst-Allrounder wegen seiner Haltung zum Faschismus.

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1. Juni 2022 Neue Zürcher Zeitung

Heidi Hortens privates Kunstmuseum: In einem lichten Wiener Stadtpalais sollen die Schatten der NS-Vergangenheit verscheucht werden

Sie ist eine der reichsten Frauen der Welt und sammelt Kunst von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart. Weil sie jetzt ein Privatmuseum eröffnet, liess die Milliarden-Erbin die geschäftlichen Aktivitäten ihres Ehemannes während des zweiten Weltkriegs aufarbeiten.

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4. Mai 2022 Neue Zürcher Zeitung

«Let’s do it in Uster» – Walter De Marias Skulptur erhält ein eigenes Zuhause

Im Zellwegerpark Uster wird ein Raum für internationale Kunst eröffnet. Die Walter-A.-Bechtler-Stiftung zeigt dort auch permanent Walter De Marias zweitausendteilige Skulptur, die der amerikanische Künstler für den Bührlesaal im Kunsthaus entworfen hatte.

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29. November 2021 Neue Zürcher Zeitung

In Seoul beginnen die Leute jetzt, Hausfassaden zu streicheln

Südkoreas trendige Hauptstadt mausert sich zum neuen Kunst-Hub Ostasiens. Zur rechten Zeit kommt da ein ungewöhnlicher Art Space, der von den Basler Architekten Herzog & de Meuron realisiert wurde. Bereits hat sich Seoul in dieses Gebäude verliebt.

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26. Juni 2021 Neue Zürcher Zeitung

Ein funkelnder Diamant der Kultur: Der neue Kunst-Hotspot der Schweizerin Maja Hoffmann in Arles ist vollendet

Die Kulturförderin und Erbin des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche, Maja Hoffmann, investiert in Südfrankreich Millionen in die Kunst. Die letzte Etappe ihres ehrgeizigen Projekts, der Ausstellungsturm von Frank Gehry, ist nun nach zehnjähriger Bautätigkeit abgeschlossen worden.

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9. Februar 2021 Neue Zürcher Zeitung

Wohnen Sie schon mit Kunst zusammen?

Der Anti-Künstler Donald Judd war der Schöpfer von unterkühlter Minimal Art, seine Wohnräume aber waren voll von warmer Lebendigkeit. Ein Plädoyer für Kunst in gelebter Wohnlichkeit.

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10. Oktober 2019 Neue Zürcher Zeitung

Landesmuseum Zürich: Ein historistisches Gesamtkunstwerk, ausgestattet mit modernster Technik

Nach abgeschlossener Sanierung erstrahlt der westliche Museumsflügel des Zürcher Landesmuseums wieder in ursprünglichem Glanz.

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29. Juli 2016 Neue Zürcher Zeitung

Brücke zur Schweizer Geschichte

Nach fünfzehnjähriger Planungs- und Realisationszeit ist es soweit: Am kommenden Wochenende eröffnet das neue Landesmuseum mit einem Fest und zwei neuen Ausstellungen seine Tore.

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28. Juli 2016 Neue Zürcher Zeitung

Mit dem Knirps zum Ritter und dann in die Bar

Die Erlebniswelt des neuen Museumskonzepts bietet für alle etwas – von kleinen Kindern über grosse Forscher bis hin zu wahren Genussmenschen. Die Zauberformel lautet: Szenografie und Animation.

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28. Juli 2016 Neue Zürcher Zeitung

Ausserirdische am Schlossfest

Am Tag der offenen Tür stellt sich der Neubau mit seinen Ausstellungen vor. An Führungen kann man sich klug machen, an Konzerten vergnügen sowie im Innenhof die ganze Nacht hindurch festen.

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14. Mai 2016 Neue Zürcher Zeitung

Diesseits von Eden

Wie beginnt man eine Ausstellung über Gärten? Natürlich mit dem Sündenfall, denn zumindest die westliche Gartenkultur ist geprägt von der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.

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5. November 2011 Neue Zürcher Zeitung

Zürcher Pionier der Denkmalpflege

Mit dem Zeichenstift durchwanderte Johann Rudolf Rahn auf seinen Streifzügen zu wichtigen Baudenkmälern die ganze Schweiz. Der Zürcher Gelehrte gilt als Pionier der Denkmalpflege – sein Werk hat bis heute nichts an Bedeutung eingebüsst.

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19. August 2010 Neue Zürcher Zeitung

Ein Doppelporträt

Das Museum für Gestaltung Zürich konnte kürzlich über hundert Vintage Prints und spätere Abzüge aus René Burris berühmtem Le-Corbusier-Konvolut erwerben. Diese Fotos bilden den Kern einer Ausstellung im Museum Bellerive.

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23. Juli 2008 Neue Zürcher Zeitung

Pittoreskes Indien der Gärten und Paläste

Frühe Architekturfotografie auf dem indischen Subkontinent

«Picturesque Views» heisst eine Ausstellung im Museum Rietberg, die anhand von frühen Fotografien ein pittoreskes Indien in Schwarz-Weiss und Sepia vor Augen führt. Einen thematischen Schwerpunkt dieser wertvollen Fotodokumente bildet die indische Mogul-Architektur.

Die islamischen Gartenanlagen, prächtigen Alleen und majestätischen Paläste der Mogul-Herrscher waren wie geschaffen, den Durst westlicher Fotografen nach exotisch-orientalischen Bildern zu stillen. Und so liess die europäische Faszination für alles Orientalische Indien zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum prädestinierten Ziel fotografischer Exploration werden. Die gegenwärtige Ausstellung «Picturesque Views» im Museum Rietberg macht denn deutlich, dass das koloniale Indien auch Pionierland der Kunstfotografie war.

Die Ausstellung, die das Museum Rietberg vom Museum für Asiatische Kunst in Berlin übernehmen konnte, vereint rund 70 Fotografien, darunter solche von international bekannten Grössen wie Samuel Bourne oder Felice Beato. Es sind aber auch Arbeiten zu sehen von anderen wichtigen Vertretern ihres Faches sowie von weniger bekannten Fotografen, die den Grossen nicht blind nacheiferten, sondern teilweise ganz eigene Wege beschritten.

Ein eigener Block der feinen Schau ist selbstverständlich dem meistfotografierten Monument Indiens gewidmet: dem Taj Mahal in Agra. Erbaut vom Mogul-Herrscher Shah Jahan als Mausoleum für seine Lieblingsgattin nach deren Tod 1631, war das Bauwerk aus weissem Marmor rasch zum Inbegriff europäischer Orientphantasien geworden und insofern ein ideales Motiv romantisch inspirierter Fotografen. Zu den Ikonen früher Fotografie in Indien gehören denn Aufnahmen des Taj Mahal von John Murray (1809–1898), Samuel Bourne (1834–1912) und Felice Beato (1834–1907?).

Sie alle konzentrierten sich auf der Suche nach pittoresken Motiven auf die Prachtsbauten der Moguln. Angestrebt wurde dabei mit Vorliebe die Verbindung von Architektur, Ruinenlandschaft und Natur, um stimmungsvolle, teils melancholisch, teils idyllisch anmutende Kompositionen zu erhalten, die durchaus an Gemälde der deutschen Romantik erinnern.

Dank neuen Techniken erhöhten sich Brillanz und Tiefenschärfe rasch, wie besonders gut an Beispielen von Samuel Bourne und Felice Beato ersichtlich wird. Der Stein der Monumente und Säulenhallen lässt sich hier gleichsam anfassen, so deutlich treten die körnige Oberflächenstruktur und die gemeisselten Reliefverzierungen hervor.

Bournes Aufnahmen aus dem Kaschmirtal, der einstigen Sommerfrische der Grossmoguln, gehören dabei zu den Spitzenwerken seines fotografischen Schaffens. Sein gekonnter Umgang mit Licht und Schatten tritt am deutlichsten in dem zeitlosen und von jedem Exotismus befreiten Werk mit einer Pappelallee hervor. Hier schwebte Bourne wohl weniger das Pittoreske seiner anderen Indien-Bilder vor als vielmehr das Sublime, wie er es vor allem auch in seinen Himalaja-Aufnahmen suchte und fand.

Kaum ein anderer hat die Gärten und Paläste der Moguln in Lucknow (Lakhnau) so stimmungsvoll eingefangen wie Felice Beato. Seine Panoramen von Lucknow gehören zu den eindrucksvollsten Stadtansichten der frühen Fotografie. Auf vielen seiner Bilder, die nicht nur der reinen Schaulust verpflichtet waren, sind überdies die Spuren der Kämpfe des grossen Aufstands von Lucknow und der Zerstörungswut der englischen Armee abzulesen. Das Pittoreske erhält in diesen Bildern einen seltsamen Beigeschmack.

Das Fremde und Exotische offenbarte sich für den westlichen Blick aber auch in den Menschen, sofern sie nicht mehr nur als Statisten auf den Fotografien fungierten. Besondere Faszination geht in der Ausstellung von den Bildern Lala Din Dayals, des Hoffotografen des Nizam von Hyderabad, aus. Die Aufnahme einer Strassenszene in Hyderabad mit dem berühmten Char-Minar-Bau im Hintergrund gibt das städtische Treiben wieder. Ein besonders berückendes Zeitzeugnis ist aber die Porträtaufnahme der sechsten Tochter des Nizam von Hyderabad. Hier treffen zwei Welten aufeinander: Die Foto zeigt das kleine Mädchen um 1899 in westlicher Kleidung und mit einem gezähmten Geparden an der Kette. Ein beispielhaftes Bild für eine verloren gegangene Epoche Indiens, deren originäre Exotik durch die Kolonialmacht nach und nach verdrängt worden war.

[ Zürich, Museum Rietberg (Gablerstrasse 15), bis 26. Oktober. Katalog Fr. 48.–. ]