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9. Mai 2014 Der Standard

Wie man Hochhäuser bezwingt

Ein Armenviertel in Jakarta soll geschleift werden, die Bewohner leisten demokratischen Widerstand: Ascan Breuers Dokumentarfilm „Jakarta Disorder“ zeigt wirkungsvolle politische Basisarbeit.

Wien - „Jakarta ist eine Stiefmutter“, sagt der Bauarbeiter, der von der hochgelegenen Etage des Rohbaus den Blick über die smogverhangene Metropole schweifen lassen kann. Er meint es nicht wohlwollend - er kenne drei Kollegen, die während ihrer Tätigkeit in die Tiefe gestürzt sind. Berufliche Alternativen sind allerdings für diese Leute aus den ärmeren Schichten Indonesiens kaum vorhanden: „Es ist eine grausame Stadt.“

Der junge Mann hat gleich in mehrfachem Sinne recht. Denn die Hochhäuser werden in einem Areal Jakartas hochgezogen, an dem sich die sogenannten Kampungs befinden, Armenviertel, die vor allem Migranten auf ungewidmetem Land errichtet haben. Die Kontraste könnten kaum größer sein: auf der einen Seite das improvisierte Gassenwerk, in dem sich Menschen ein Heim zusammengeflickt haben und wo manche noch mit Ziegen und Kühen wie auf dem Land leben; unmittelbar daran grenzen die Reißbrettarchitekturen, wo Wohnungen für die betuchteren Bewohnern der Boomtown entstehen sollen.

Ascan Breuer, selbst familiär mit Indonesien verbunden, fasst diese Diskrepanz in Jakarta Disorder wiederholt in Einstellungen zusammen. Der Fokus des Dokumentarfilms, den er über fünf Jahre hinweg recherchiert hat, liegt jedoch auf jenen Bewohnern der Kampungs, die der Verdrängungspolitik nicht tatenlos zusehen. Eine eigene Organisation, das Urban Poor Consortium (UPC), tritt in Form einer Graswurzelbewegung für diesen nichtrepräsentierten Teil der Bevölkerung ein.

Breuer durchläuft einzelne Etappen der Bewusstseinsbildung, zeigt politische Basisarbeit - wer keine Stimme hat, muss sich mobilisieren, Unterstützer finden. Zwei Aktivistinnen, Wardah und Oma Dela, erhalten eine hervorgehobene Position: Dela lebt selbst in einem der betroffenen Viertel, Wardah, die auch das UPC vertritt, kennt deren Defizite. Forderungen wie jene nach einer rechtlichen Absicherung der dort praktizierten Arbeit und ein Ende der Vertreibungen werden an die Unterstützung eines Präsidentschaftskandidaten geknüpft.

Das Engagement der beiden Protagonistinnen bildet Jakarta Disorder auch auf einer emotionalen Ebene ab - ihr Weg ist beschwerlich, Bürokratien bedeuten nicht das einzige Hindernis. Musik unterstreicht die Dynamik des Geschehens zuweilen etwas über Gebühr. Manchmal neigt der Film auch zu impressionistischen Details, welche die prekären Lebenssituationen nicht weiter erhellen. Kleinere Unebenheiten in einem Film, der lieber konkret die Mühsal der Selbstorganisation verfolgt, als Phrasen über globale Gefälle zu schwingen. Jetzt im Kino

8. April 2008 Der Standard

Häuser, die das Licht reinlassen

Heinz Emigholz' höchst sehenswerter Architekturfilm „Schindlers Häuser“

Wien - Architektur nimmt im Kino meistens nur eine unterstützende Rolle ein, selten wird sie zum Subjekt des Films, das für sich allein betrachtet und erfahren werden kann. Der deutsche Filmemacher und Künstler Heinz Emigholz hat diesem Manko innerhalb seiner Serie Photografie und Jenseits ein eigensinniges Langzeitprojekt entgegengesetzt. Er nähert sich Architekten, die meist außerhalb des etablierten Kanons stehen, allein über ihre Bauwerke an - ein ehrgeiziger Versuch, filmisch Architektur zu beschreiben.

Architektur als Autobiografie nennt er dieses Konzept: In starren Einstellungen, die selten die Länge von fünf, sechs Sekunden überschreiten, werden einzelne Gebäude eines Architekten porträtiert und dann in der Reihenfolge ihrer Entstehung aneinander geschnitten. Mit Fortdauer des Films macht man sich so mit einem Stil vertraut, erkennt wiederkehrende Motive, entdeckt Variationen - ein Leben (und architektonisches Denken) wird als Folge von Bauwerken nachvollziehbar.

Nach den Banken des US-Architekten Louis Sullivan, den Brückenkonstruktionen des Schweizers Robert Maillart und den eigenwilligen Bauten des Amerikaners Bruce Goff hat Emigholz nun drei Architekten mit Österreichbezug ausgewählt, über die er mit der heimischen Produktionsfirma Amour Fou Filme realisiert. Den Anfang macht der 1887 in Wien geborene Rudolph M. Schindler, ein Schüler von Adolph Loos (dem der nächste, bereits fertig gestellte Film gilt) und Otto Wagner. Bereits 1914 ging Schindler in die USA, um in Chicago zunächst als Assistent von Frank Lloyd Wright zu arbeiten, dann zog er nach Los Angeles weiter.

Suchbild mit Billboard

Schindlers Bauwerken - und das ist nur einer der beträchtlichen Reize von Schindlers Häuser - muss man gewissermaßen auf die Spur kommen. Nicht von ungefähr stellt Emigholz eine Art Suchbild an den Anfang, eine typische Straßenkreuzung von L. A. mitsamt Billboard, und bemerkt mit sonorer Stimme aus dem Off, hier habe sich ein Schindler-Haus versteckt. Und fügt hinzu, es sei eigentlich ein Verbrechen, ein Gebäude aus seiner sozialen Wirklichkeit zu isolieren und auf einen Autor festzulegen.

Der Film spielt mit diesem Widerspruch. Emigholz wird schweigen, und die Häuser rücken ins Zentrum, ohne dass freilich ihre natürliche Umgebung ganz ausgeblendet würde. Das wäre im Falle Schindlers nämlich das noch viel größere Verbrechen: Seine ganze Architektur zielt auf die Durchdringung von außen und innen, auf ein Zusammenspiel, das insbesondere das kalifornische Licht für die raffinierte Beleuchtung von Innenräumen zu nutzen weiß. Schindler baute von den 20er-Jahren bis in die 50er-Jahre im Großraum L. A. vor allem Privathäuser, was seine Arbeit, die wenig auf repräsentative Zwecke aus war, mit der Zeit in Vergessenheit geraten ließ.

Emigholz' stets ein wenig geneigte Einstellungen nähern sich den oft an Hängen liegenden Häusern auf habituelle Weise an: Sie stilisieren nicht - manche Bauwerke sind ziemlich renovierungsbedürftig -, sondern sammeln Teilansichten mit dem dazugehörigen Sound des Ortes. In Summe vermitteln sie ein Raumgefühl, in dem die klare Formsprache Schindlers ebenso zutage tritt wie seine dynamischen Raumübergänge, die, etwa im berühmten Haus Kallis, auch die umgebende Natur elegant einbeziehen. Emigholz lässt den Betrachter an diesen gelungenen Symbiosen ein wenig teilhaben.