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Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne
Die Kolonialgeschichte Afrikas hat viele, manche mehr, manche weniger ausführlich beschriebene Kapitel – das der Architektur ist hierzulande so gut wie unbekannt. Umso verdienstvoller ist die derzeit im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin
gezeigte Schau, die sich Asmara widmet. Im Stadtzentrum der im ostafrikanischen Hochland gelegenen Hauptstadt Eritreas befinden sich auf einer Fläche von etwa vier Quadratkilometern rund 400 Bauten, die zusammen eines der weltweit größten erhaltenen Ensembles der klassischen Moderne bilden, vergleichbar mit Tel Aviv oder Miami South Beach.
Ab 1900, als Asmara Hauptstadt der italienischen Kolonie Eritrea wurde, entstanden Verwaltungs-, Kultur- und Geschäftsbauten im Zeichen des Historismus, ähnlich wie in anderen Kolonialstädten. Der Großteil des Stadtzentrums wurde aber erst in den 30er Jahren errichtet. Zwischen 1935 und 1941 wuchs die Stadt explosionsartig; sie entwickelte sich von einer Provinzstadt zur afrikanischen Metropole europäischer Prägung mit Bauten in allen Facetten der italienischen Moderne. Zu den schönsten Gebäuden gehören sicher die futuristisch anmutende Tankstelle Fiat Tagliero, deren 30 Meter auskragende Betondächer an Flugzeugflügel erinnern, 1938 erbaut von Giuseppe Pettazzi, und das nur ein Jahr zuvor von Mario Messina errichtete „Cinema Impero“. Mit seiner sehr feinen, sachlich gestalteten Fassade und dem leicht ornamentalen Art-déco-Interieur mit afrikanischen Stuckmotiven gilt es als ein herausragendes Beispiel der Kinoarchitektur jener Jahre.
Die eigens für die Schau im DAZ gefertigten Modelle dieser und drei weiterer Ikonen des italienischen Neuen Bauens in Asmara bereichern die Ausstellung, deren Bild- und Planmaterial im Wesentlichen auf dem Buch „Asmara – Africa’s Secret Modernist City“ von Edward Denison, Guang Yu Ren und Naigzy Gebremedhin beruht. Anschaulich werden die Themen der Moderne (Wohnen, Arbeiten, Verkehr etc.) in Zusammenhang mit Asmara betrachtet, die Genese der Stadt aufgezeigt und die architektonischen Ziele der italienischen Moderne beleuchtet, wobei auch deren Ambivalenz in Asmara reflektiert wird. So stehen die Stadtwerdung und das einzigartige architektonische Ensemble gleichzeitig für den Faschismus und die imperialistische Expansionspolitik Italiens. Mussolini wollte Asmara nach dem Vorbild Roms ausbauen, und der Städtebau diente zur Durchsetzung von ethnischer und sozialer Segregation. Dass die eritreische Bevölkerung die Stadt dennoch im Laufe der Zeit angenommen und eine kulturelle Versöhnung in Form einer nicht von Zerstörung begleiteten Adaption stattgefunden hat, beweist auch die Tatsache, dass das gesamte Stadtzentrum im Jahr 2001 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Darüber und über die Probleme, die bei der Instandsetzung und Restauration der Bauten auftreten – angefangen bei den Materialien, die oft aus Italien importiert worden waren, bis zu den Handwerkern, die mit den damals verwendeten Techniken nicht mehr vertraut sind – berichtet ein in der Schau gezeigter Film.
Die Ausstellung, initiiert von einer deutsch-eritreischen Kulturinitiative, wirft nicht nur Licht auf ein bislang kaum erforschtes Gebiet, sie soll vielmehr auch die Bemühungen unterstützen, Asmara in die Unesco-Welterbeliste aufzunehmen. Nicht zuletzt das könnte ein breiteres Interesse für die afrikanische Moderne in der Architektur wecken, wo es noch Vieles zu entdecken gibt.
[ Deutsches Architektur Zentrum DAZ, bis 3. Dezember, Di–Fr 10–17, Sa, So 14–18 Uhr ]
Zurück in eine kulturelle Zukunft
Wiederaufbau in Sarajewo
Der Krieg in Bosnien liegt bereits mehr als fünf Jahre zurück. In Sarajewo sind die Cafés gut besucht, und in den Läden findet man ein breites Warenangebot. Doch täuscht dies darüber hinweg, dass der Weg in eine aussichtsreiche Zukunft noch weit ist. Da können schon Planungen für ein neues Kulturzentrum Hoffnungen wecken.
Am Fluss, im Tal und auf den Hügeln liegt Sarajewo, die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Gerahmt von einer bis zu 2000 Meter hohen Gebirgskette, erstreckt sich die Stadt entlang der Miljacka von Ost nach West. Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich Bauten aus verschiedenen Epochen aneinander. Sie decken die ganze Spanne ab von den niedrigen, oft hölzernen Häusern aus türkischer Zeit - die Ursprünge des heutigen Sarajewo reichen zurück ins 15. Jahrhundert - über die steinernen, blockartigen Bebauungen aus der österreichisch-ungarischen Ära bis hin zu den Kultur-, Freizeit- und Geschäftsbauten der sozialistischen Moderne und zu den Siedlungen der fünfziger bis achtziger Jahre.
Situation nach dem Krieg
Das bauliche und damit auch das kulturelle Neben- und Miteinander prägte lange die Vorstellung von Sarajewo, der Stadt zwischen Orient und Okzident. Schon seit Jahrhunderten stehen im Zentrum Sarajewos christliche, jüdische und islamische Gotteshäuser dicht beisammen. Der «Mythos Sarajewo» wurde stark erschüttert und beinahe zerstört durch den Krieg und die Belagerung der Stadt zwischen 1992 und 1995. Doch in einem Brief «An die Freunde in Sarajewo» schrieb der Architekt und ehemalige Belgrader Bürgermeister Bogdan Bogdanovic 1993: «. . . es gibt Städte, die man nicht morden kann, solange in ihnen auch nur ein urbaner Mensch existiert . . .» Bevölkerung und Stadt haben die jahrelange Belagerung überstanden. Die Aggressoren auf den Hügeln rundherum zielten zwar nicht auf eine flächendeckende Zerstörung Sarajewos, aber auf eine Zerstörung des multikulturellen städtischen Lebens. Dazu gehörte auch die Vernichtung von Kulturbauten. So ging nur wenige Monate nach Kriegsbeginn im August 1992 mit der Nationalbibliothek ein wesentliches Stück geschriebener und dokumentierter bosnischer Kultur in Flammen auf; mehr als zwei Millionen Bücher, Periodika und Manuskripte verbrannten.
Der Bosnienkrieg ist nun seit mehr als fünf Jahren vorüber - offiziell beendet durch den Friedensvertrag von Dayton. Seitdem leistet die internationale Gemeinschaft Wiederaufbauhilfe in dem seit 1992 unabhängigen Staat. Dieser muss nicht nur die Folgen eines Krieges überwinden. Er befindet sich darüber hinaus inmitten eines Transformationsprozesses, der das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System gleichermassen betrifft. Die Migration während des Krieges veränderte die Zusammensetzung der Bevölkerung besonders in den Städten gravierend. Bezeichnen sich heute etwa 80 Prozent der Einwohner der Hauptstadt Sarajewo als bosniakisch (muslimisch), so waren es vor dem Krieg nur 45 Prozent, 30 Prozent waren serbisch, 15 Prozent kroatisch. Etwa ein Drittel der rund 375 000 Einwohner Sarajewos sind heute Flüchtlinge aus ländlichen Gebieten. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen. Noch sind kaum neue Strukturen aufgebaut, und ausländische Investitionen sind eher selten. Die Arbeitslosigkeit, aber auch die Korruption ist gross. Auch in anderer Hinsicht wirkt die Hypothek des Krieges schwer: Die Gruppe der 20 bis 50 Jahre alten Bürger, die ja den Wiederaufbau von Stadt, Staat und Gesellschaft tragen müsste, ist zahlenmässig klein. Viele sind umgekommen, und viele sind ausgewandert. Auch jetzt noch verlassen gerade diejenigen das Land, die am dringendsten gebraucht würden: Junge mit einer guten Ausbildung, aber ohne Hoffnung auf eine Zukunft im eigenen Land.
Doch der Krieg hat neben einer perforierten Gesellschaft auch eine perforierte Stadtlandschaft hinterlassen: Strassen, Fassaden, Mauern, Schilder sind gespickt mit Einschusslöchern und Granattreffern. Da, wo die Frontlinien innerhalb Sarajewos verliefen, standen oftmals nur noch Skelette von Häusern. Doch fünf Jahre Wiederaufbau haben neben der Instandsetzung der Infrastruktur (Wasser- und Energieversorgung, Bildungs- und Gesundheitswesen) auch viel Fensterglas, Putz und Farbe gebracht. Der Altstadt sind die Kriegsschäden kaum mehr anzusehen. Minarette und Moscheen sind wieder aufgebaut, meist finanziert durch Spenden aus der arabischen Welt. Den Schwerpunkt beim Wiederaufbau aber bildet weiterhin die Sanierung von dringend benötigtem Wohnraum. Denn in Sarajewo wurde während des Krieges jede zweite Wohnung beschädigt oder völlig zerstört.
Wiederaufbau aber heisst: die materielle Wiederherstellung des Vorkriegszustandes. Ein Neuanfang ist damit nicht gemeint, und Verbesserungen sind kaum möglich. Für Konzepte oder Strategien eines Wiederaufbaus von Stadt und Gesellschaft auf der Basis struktureller Planungen scheint sich zurzeit von Seiten lokaler wie internationaler politischer Entscheidungsträger kaum jemand zu interessieren.
Kultur als Hoffnungsträger
Umso bedeutsamer sind die wenigen Planungen, die tatsächlich für etwas Neues stehen: für eine zukunftsorientierte Entwicklung. Dazu gehört das Projekt eines internationalen Kulturzentrums im Stadtteil Marijin Dvor. Es besteht aus der Universität - ein städtebaulicher Wettbewerb für die Errichtung eines Campus auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne wurde im vergangenen September ohne einen definitiven Sieger entschieden -, aus einer Bibliothek, die um die geretteten Bestände der Nationalbibliothek errichtet werden soll, aus dem Nationalmuseum, welches das älteste und reichste auf dem Balkan ist, aus einer vom jungen Londoner Büro Urban Future Organization geplanten Konzerthalle und aus einem Museum für zeitgenössische Kunst. Für dieses wird Piano den minimalistisch anmutenden Kubus des ehemaligen Revolutionsmuseums um einen pavillonartigen Anbau erweitern.
Die Kultur hatte während der Belagerung für die Einwohner Sarajewos eine besondere Bedeutung: Theateraufführungen, Konzerte und Ausstellungen gehörten mit zur Überlebensstrategie, sie waren Nahrung für eine Seele, die das Leben und die Geselligkeit liebt. Susan Sontag brachte Theaterstücke auf die Bühne, andere renommierte Künstler wie Pistoletto, Opalka, Kapoor oder Cragg fertigten eigens Werke für Sarajewo und schenkten sie der Sammlung «Ars Aevi», einem von bosnischen Künstlern bereits wenige Monate nach Beginn der Belagerung initiierten Kulturprojekt. Man hoffte, eine grosse und vielfältige Kollektion zusammenzutragen und ihr eines Tages ein eigenes Museum geben zu können.
Eine Ausstellung der Sammlung im Juni 1999 in Sarajewo zeigte 107 Kunstwerke. Das langfristige Konzept von «Ars Aevi» sieht vor, verschiedene Ausstellungspavillons über die Innenstadt zu verteilen. Diese Pavillons sollen Treffpunkte für Einheimische und Besucher aus aller Welt sein und so im Kleinen werden, was Sarajewo selbst seit Jahrhunderten ist - Schnittpunkt der Kulturen aus Ost und West, Nord und Süd. Anfangs sollen verschiedene europäische Länder eine Art Patenschaft für jeweils einen Pavillon übernehmen, verbunden mit einem finanziellen Engagement. Als erstes Land sagte Italien die Beteiligung an dem Projekt zu, und für die Planung des ersten Pavillons konnte Renzo Piano aus Genua gewonnen werden. Er sieht das zukünftige Museum für zeitgenössische Kunst als Erweiterung des ehemaligen Revolutionsmuseums, eines weissen Kubus aus den sechziger Jahren. Neben dieses Gebäude will Piano zunächst einen «Stützenwald» auf einer Fläche von 150×50 Metern bauen. Nach und nach können dann dort Ausstellungsebenen eingehängt werden.
Durchquert werden die horizontalen Ebenen von einer langen einläufigen Treppe, deren Enden - unter der Erde wie auf dem Dach - Auditorien bilden. Auf der zwischen Alt- und Neubau gebildeten Piazza finden die Skulpturen der Sammlung Aufstellung. Nach Pianos Vorstellung soll das Museum keineswegs eine Insel im Stadtgefüge sein. Mittels Fussgängerbrücken sollen sowohl der künftige Universitätscampus angeschlossen werden als auch der am gegenüberliegenden Ufer der Miljacka gelegene Stadtteil Grbavica, der während des Krieges von serbischen Extremisten besetzt und vom Rest der Stadt abgeschnitten war. Zurzeit schreiten die Planungen voran; wenn die Finanzierung weiterhin gesichert ist, kann in spätestens zwei Jahren mit dem Bau des Museums begonnen werden - ein Hoffnungsschimmer für viele in der moralischen, städtebaulichen und architektonischen Nachkriegs-Trümmerlandschaft.