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8. Januar 2019 deutsche bauzeitung

Lehrwerkstatt der Improvisation

Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin

Für die Schauspiel-Hochschule Ernst Busch in Berlin haben Ortner & Ortner ein vormalig von den Opernwerkstätten genutztes Gebäude umgebaut, mit einem markanten Bühnenturm ergänzt und es dadurch in eine »Werkstätte des Theatermachens« verwandelt. So wenig wie möglich verändern, war der Leitgedanke, der ein überraschend freundliches Bauensemble hervorgebracht hat.

Die Adresse lautet Zinnowitzer Straße, das war zu Mauerzeiten Randgebiet, zumal von Ost-Berlin aus gesehen. Da war die Mauer, die »Staatsgrenze der DDR« ganz nahe, dahin ging man nicht.

Es war eine Gegend, in der Einrichtungen angesiedelt wurden, die nicht im Rampenlicht stehen sollten. Wie die Werkstätten für die Opernhäuser im Zentrum der »Hauptstadt der DDR«. Allerdings wurde auch die Ausbildung des Nachwuchses, in diesem Falle der Schauspielkunst, in der Peripherie Ost-Berlins angesiedelt und im Laufe der Zeit die vier Studiengänge für Schauspiel, Regie, Choreographie und Puppenspielkunst auf verschiedene Standorte verteilt.

Sie galt es, endlich wieder zusammenzuführen. Die Opernwerkstätten, deren von ihren Spielorten weit entfernte Lage im vereinten und verkehrsreichen Berlin sich als zunehmend problematisch gestaltete, boten sich an. Der langgestreckte Bau, 1943 mitten im Krieg als Stahlbetonkonstruktion begonnen, aber erst 1953 fertiggestellt, bot eine ideale Hülle, um das Raumprogramm unterzubringen, das die derzeit rund 175 Studierenden in ihrer Ausbildung benötigen – mit Ausnahme der als »Studiobühne« bezeichneten größten aller sonst üblichen Probebühnen für ein komplettes Ensemble plus Zuschauer, wie sie als Krönung des Ausbildungsgangs naturgemäß vorhanden sein muss; am besten deren zwei.

Klippen umschiffen

So war die Aufgabe gewissermaßen von selbst gegeben, der sich die Teilnehmer des Wettbewerbs von 2011 stellten. Ortner & Ortner gingen als Sieger daraus hervor. Sie wollten das Bestandsgebäude erhalten, bis auf eine Ecke an der straßenseitigen Schmalseite, in die ein turmartiger, über die Bauflucht­linien hinausragender Bauteil eingefügt werden sollte, der zwei Probebühnen übereinander und zwischen ihnen noch die Bibliothek der Hochschule aufnehmen sollte. Aufgenommen hätte: Denn »ungerupft« blieb der Entwurf der Architekten nicht. Man könnte wieder einmal ­eine Berliner Lokalposse erzählen, die von – anfangs gemäßigten – Kostensteigerungen handelt, vom daraufhin verfügten Projektstopp, von dramatischen Protesten und schließlich einer eher widerwilligen Genehmigung des Vorhabens, das am Ende mit 44 Mio. Euro weit teurer wurde als der zunächst abgelehnte Zwischenstand; »gedeckelt« hatte die Politik das Projekt anfänglich bei 33 Mio. Euro unabhängig vom damals noch zu findenden Realisierungsentwurf. Allerdings müsste dann auch vom Vergehen der Jahre sowie von der Steigerung der Baukos­tenindizes gesprochen werden und nicht zuletzt von der Insolvenz einer beteiligten Firma, deren nicht erbrachte Leistungen neu ausgeschrieben werden mussten und nur für deutlich mehr Geld zu bekommen waren. Dass die Baukonjunktur in Berlin angezogen hat, davon wissen gerade öffentliche Auftraggeber ein Lied zu singen, deren parlamentarisch bewilligte Kalkulationen samt und sonders Makulatur werden.

Im Wandel begriffen

Aber all das Wehklagen verstummt, nimmt man den fertigen Bau in Augenschein. Das ist, wortwörtlich gesehen, erst einmal gar nicht einfach: Denn wiewohl seine Adresse Zinnowitzer Straße lautet, liegt er doch nicht unmittelbar an dieser, sondern zurückgesetzt in einer Art Hinterhofsituation. Ein Bebauungsplan lag nicht vor, die Genehmigung erfolgte gemäß des Einfügungsgebots des § 34 Baugesetzbuch. Was die darin benannte »Eigenart der näheren Umgebung« betrifft, so lässt sich diese nur als heterogen bezeichnen. Die vormalige straßenseitige Freifläche hat der Berliner Senat einem privaten Bauträger überlassen, der darauf den mächtigen Riegel eines erkennbar für zahlungskräftige Nutzer gedachten Apartmenthauses errichtet hat.

Die Gentrifizierung, hier ist sie mit Händen zu greifen. Umso sympathischer kommt der kratzbürstige Bau der Schauspielschule zum Vorschein, hat man erst einmal den Wohnblock umrundet und steuert durch eine frei gelassene Baulücke auf das Gebäude zu. Ins Auge springt: Der Probe- oder Studiobühnenturm.

Ortner & Ortner mit Projektarchitekt Roland Duda haben ihn ganz und gar mit senkrechten Latten aus langlebiger Lärche umkleidet. Das Ganze ist, wie gesagt, aus den Fluchtlinien des Bestandsbaus gerückt, sodass der Bühnenturm den Blick auf die lange Seitenfront des – übrigens nicht denkmalgeschützten – Altbaus verstellt. Stattdessen wird der Besucher nach links gelenkt, wo sich der Haupteingang der Hochschule befindet, eingesetzt in den erhaltenen Teil der alten Schmalseite. Von der Straße aus ist der Eingang nicht zu sehen, das mag man bedauern oder aber als erwünschte Folge des »Statements« betrachten, das die Architekten mit ihrem Lattenrost-Turm machen. Der kommt optisch eher als etwas Unfertiges zur Geltung, als eine noch nicht abgeschlossene Baustelle, mehr noch als Einrüstung. Die Abstände zwischen den Latten – die nur aus der Ferne so wirken, denn es handelt sich natürlich um recht kräftige Balken – sind groß genug, eine Ahnung dessen zuzulassen, was dahinter liegt. Bei Dunkelheit dann, wenn die Räume beleuchtet sind, strahlt das Gebäude durch seine transluzente Bekleidung aus Polycarbonatplatten von innen heraus und macht neugierig.

Arbeiten und ausprobieren

Man betritt das Gebäudeensemble also in seinem viergeschossigen Bestandsbau. Geradeaus öffnet sich das Foyer, doch der Blick fällt nach links auf eine einladende, offene Cafeteria – auch dies ein neuer Anbau, freilich nur eingeschossig. Wo früher geradezu eine Portiersloge gewesen wäre, steht ein offener Tresen als Informationsschalter. Daneben führt ein Flur durch die gesamte Länge des Gebäudes. An ihm liegen rechts und links die Werkstätten, für Bühnenaufbauten und Kostüme – für alles, was ein Theater benötigt. Das ist die Botschaft des Hauses: Hier geht es um Arbeit, um all jene Arbeiten, die der Erzeugung der Illusion vorausgehen, die »Theater« bedeuten.

Darum – so die Grundidee – ist alles entweder so belassen, wie es vorgefunden wurde, oder in einer solchen Weise ergänzt, dass der Werkstattcharakter hervorgehoben wird. So sind die Flure und überhaupt alle Bauteile wie etwa die Betonstützen der Konstruktion nur bis zur Höhe von 2,30 m ordentlich verputzt. Was darüber liegt, verblieb, wie es sich nach Abschluss der Rohbauarbeiten darbot. Das hat bei freigelegten Wänden aus Abbruchziegeln oder aus Kalkstein seinen eigenen Charme, bei den blanken und an ihren Kanten verspachtelten Rigipsplatten des Trockenbaus ist das allerdings doch einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Zudem sind die verputzten Wände mit einer Schultafelfarbe gestrichen, sodass sich ein jeder mit Kreide darauf verewigen kann – was die Studierenden dann auch bis in den letzten Winkel hinein mit großem Eifer getan haben. Ob zwischendurch jemand abwischen kommt?

Beton wird Skulptur

Die vertikale Erschließung erfolgt durch eine neue, angemessen dimensionierte, dreiläufige Treppe aus Beton, die in zweifach abgewinkeltem Verlauf frei nach oben führt – ein kantiges, robustes Objekt, eine Betonskulptur, die den Charakter des Gebäudes markant betont und sich doch eigenständig gibt – nicht zuletzt, weil sie frei im Raum steht. Und der Besucher merkt, dass die Architekten an mehreren Stellen solche Offenheit herbeigeführt haben. So ist z. B. durch Heraustrennen eines Deckenabschnitts ein länglicher, zweigeschossiger Raum entstanden, den die Studenten als Tischtennisecke nutzen. Lustig, dass die spiraligen Heizkörper unter den Fenstern des früheren OGs an Ort und Stelle blieben.

Am Ende des Gebäudetrakts führt eine winzige Bestandstreppe nach oben. Im 1. OG den Flur zurück führt der Weg an der Bibliothek vorbei, durch eine in Holzrahmen gefasste Glaswand abgetrennt und einsehbar. Der ursprüngliche Entwurf, der die Bibliothek im neuen Turm ansiedelte, ließ sich nicht realisieren; sie musste in das – daraufhin etwas gedrängte – Raumprogramm des Hauptgebäudes integriert werden.

Ihre Umsetzung ist aber dennoch von der gleichen Luftigkeit, die die Architekten überall im Haus spüren lassen. Die minimalistische Einrichtung in Holz strahlt Wärme aus, zumal im Kontrast zu den rohen Materialien des Bauwerks selbst. Überhaupt bilden Türen, Türrahmen, Fußleisten aus glattpoliertem Holz ein angenehmes Pendant zum roh Belassenen.

Und damit zum Bühnenturm. Die Lattenbekleidung draußen setzt sich im Inneren fort, sodass die beiden Probebühnen (inklusive je eines Umgangs um sie herum) gänzlich von Holz umschlossen sind. Die beiden Studiobühnen selbst sind einfache frei bespielbare Blackboxes mit zusammenschiebbarer Zuschauertribüne und erhöhten Regieräumen. Dekorationen und Bühnenbilder können seitlich hereingebracht werden, für die obere Bühne auch über einen Lastenaufzug.

Belassen, was ist

Dem Hauptgebäude war in den 50er Jahren noch ein fast quadratischer, gebäudehoher Anbau als Verwaltungstrakt angefügt worden; in ihm haben heute die Dozenten ihre Zimmer, dazu gibt es Räume für kleinere Lehrsegmente wie etwa die Sprechausbildung. Hier wie fast überall haben die Architekten so viel wie möglich so weitgehend wie möglich erhalten und belassen.

Das gilt auch für die Fassade des Altbaus. Sie erhielt ein WDVS, das in hellem Grau verputzt wurde und die in nunmehr tieferen Laibungen befindlichen, neuen und dunkelgrauen Fensterrahmen betont. Die Fassade mit ihren gleichmäßig gereihten stehenden Fenstern, so sagt Manfred Ortner, habe etwas vom Rationalismus, der italienischem Architekturströmung in den späten 20er und den 30er Jahren. Im 3. OG sind die Fenster kleiner, sodass der Bau eine hohe Attikazone aufweist, die von einem fein profilierten Gesims abgeschlossen wird. Auch das ist keine Neuerfindung, sondern ein typisches Detail der Erbauungszeit mit ihrem Griff ins klassizistische Formenrepertoire (nebenbei wird das aufgesetzte, niedrige Technikgeschoss den Blicken entzogen). Der warme Farbton der Holzlatten passt vorzüglich zum lichten Grau der Putzfassade, dürfte aber an Farbe verlieren und sich allmählich selbst einem silbrigen Grau annähern.

Die Grundidee von Ortner & Ortner überzeugt. »Das Unfertige planen«, haben sie sie genannt; bei der Schauspielschule ist das Unfertige, Provisorische, Veränderbare keine billige Ausrede für unverputzte Wände und sichtbar geführte Rohrleitungen, sondern bildet die Folie, vor der das Schauspiel seine Illusion entfaltet. »All the world’s a stage«, möchte man Shakespeare zitieren: Mitten in Berlin, in einer halb ruppigen, halb schon geschniegelten Ecke der Stadt steht jetzt ­eine Bühne, auf der die ganze Welt entstehen kann.

5. März 2018 deutsche bauzeitung

Stilvoll inszeniert

Erzbischöfliches Berufskolleg in Köln-Sülz

Was für ein Auftritt! Ein mehrfach geknicktes Gebäude schließt die Ecke zwischen Berrenrather und Universitätsstraße im (weiteren) Kölner Universitätsviertel ­ab und gibt der Straßeneinmündung in diesem von starkem Auto-Verkehr geprägten Areal endlich eine überzeugende Fassung. Herzstück des Projekts ist das organisch geformte Atrium, das gleichermaßen Verkehrsfläche, Begegnungsstätte, Aula und Lichtraum ist. Doch auch alle übrigen Bereiche des Gebäudes zeichnen sich durch eine sorgsame, differenzierte und wohlüberlegte Lichtplanung aus. Leider noch keine Selbstverständlichkeit.

Über Jahrzehnte zog sich die städtebauliche Ordnung dieses Areals ­hin. ­Bereits in den späten 60er Jahren entstand das Ensemble des Katholischen Studentenheims, das sich um ein wahres architektonisches Kleinod, die betonbrutalistische, skulpturale Kirche Hl. Johannes XXIII von dem Bildhauer Josef Rikus herum gruppiert. Nun schließt das Berufskolleg an diesen Komplex an und gibt ganz nebenbei auch der Kirche eine platzräumliche Fassung.

Auch farblich scheint das Kolleg auf die Kirche in rohem Sichtbeton antworten zu wollen. Der polygonal geknickte, von keinem Standort aus im Ganzen zu erfassende Bau nach einem Entwurf von 3pass Architekt/innen Stadtplaner/innen Kusch Mayerle BDA zeigt eine glatte Fassadenfläche, schließen doch die großen Fenster bündig mit der Fassade aus dänischen Klinkern ab. Aus der Fernsicht zeigen sich die Ziegel im Sonderformat von nur 4 x 22,5 cm der dänischen Firma »Petersen Tegl« als hellgraue Fläche, aus der Nahsicht hingegen farblich ungemein differenziert, von Hellgrau über verschiedene Grün-Grau-Töne bis zu dunklem Anthrazit abgestuft und selbstverständlich nach dem Zufallsprinzip über die Fassadenfläche verteilt.

Ein drei doppelte Flügeltüren breiter Haupteingang in dem schräg gegen die Straße und ihre Baufluchtlinie gestellten Bauteil lädt großzügig ins Innere ein. Sofort ist man im Hellen: Ein weitläufiges, gebäudehohes Atrium, gefasst durch die umlaufenden Galerien der drei Stockwerke, wird überwölbt von einer filigranen Stahlkonstruktion, die kein festes Dach, sondern eine semitransparente EFTE-Kunststoffhülle trägt. In der Untersicht scheint das insgesamt dreilagige Kunststoffgewebe abwechselnd konvex und konkav geschwungen, und zwar in nebeneinander liegenden Bahnen jeweils gegensinnig. Die drei Geschossgalerien sind organisch geformt, sie folgen ganz unterschiedlichen Kurvenverläufen, überlagern sich oder ziehen sich ­zurück. Der amöbenhaften Form der Öffnung gen Himmel folgt die Dachkonstruktion aus gegeneinander jeweils leicht schräg gestellten, segmentbogenförmigen stählernen Dachträgern unterschiedlicher Spannweite.

Differenziertes Lichtkonzept

Auffällig ist die Helligkeit im Gebäudeinnern. Das Tageslicht, so reichlich es durch die Kunststoffhülle einfällt oder besser -fließt, würde nicht ausreichen, um bis in die übereinanderliegenden, das Atrium umrundenden Balustraden und Verkehrsflächen zu gelangen. Das Konzept der Lichtplaner von Licht Kunst Licht sieht daher umlaufende Lichtbänder vor, die unmittelbar an den Rand der mit Holzwolle-Leichtbauplatten bekleideten Decken gesetzt sind. Sie zeichnen den Verlauf, die Kurvigkeit der Balustraden nach, sie verhindern, dass der Raum an den Rändern in unklare Dämmerung absinkt. Zugleich werden die Verkehrswege gleichmäßig von oben ausgeleuchtet. Die Anordnung der Lichtleisten in der Höhe bringt es mit sich, dass sie über die Türen aller Lehr- und Funktionsräume hinweggezogen werden können. Lediglich die »offenen Lernräume« bilden Aussparungen – Freiflächen, die durch großflächige Befensterung geradewegs nach außen, auf die viel befahrenen Straßen und die heterogene Stadtlandschaft dieses Areals schauen. Diese Zwischenzonen zwischen Lernen und geselligem Beisammensein sind zudem durch Parkett in dunklem Holz ausgezeichnet.

Grundsätzlich ist das Holz im Hause aber hell: Kiefern-/Fichtenholzlaminat in sehr weißer Beizung. Es hebt sich kaum von den Betonwänden ab. Türrahmen, Brüstungen, Geländer, Handläufe sind in Holz gehalten. Nur die Sonderräume Cafeteria und Bibliothek haben von den Innenarchitekten Keggenhoff & Partner dunkles Holz bekommen, als Parkettboden sowie gefaltete ­Decken und Wandbekleidung. Dunkles Holz ist auch das ­Material der »Lichtplomben« – Aussparungen in den Betonbrüstungen, in ­denen sich Lichtleisten mit sechs nebeneinander angeordneten Downlights verbergen. Sie dienen der besonderen Ausleuchtung etwa des großen Atriums, über dem eine an der Bedachung befestigte Beleuchtung von vorneherein ausschied. Im Übrigen dient das Atrium nicht nur als Verkehrsfläche, sondern kann auch für Veranstaltungen genutzt werden. Die einläufig hinaufführende Treppe, die gegenüber dem Haupteingang beginnt und das Atrium gegen seinen schmaleren Fortgang in die Tiefe des Gebäudes hinein begrenzt, hat in ihrem unteren Teil, zwischen EG und 1. OG, neben den Treppenstufen auch solche mit doppeltem Höhenabstand zum darauf Sitzen. Über den schmaleren Teil des Atriums führen Brücken, je nach Stockwerk unterschiedlich angeordnet, sodass sich in diesem hinteren Teil reizvolle Verschränkungen von Bauteilen je nach Blickwinkel des Betrachters ergeben.

Die Materialität des Gebäudes ist hingegen sehr klar und übersichtlich. Die Fassaden werden von den Klinkern geprägt; im Innern dominiert Sichtbeton alle Wände. Er ist glatt, nicht schalungsrau wie bei der benachbarten Kirche, ohne jedoch seine »einfache« Herkunft und Herstellung zu leugnen. Dazu kommt das Holz in zwei Helligkeitsstufen und das Metall der Fensterrahmen. Die Betonwände werden innerhalb der Schülerschaft kontrovers bewertet, ­wie Architektin Judith Kusch berichtet, die auch nach der Fertigstellung des ­Gebäudes in engem Kontakt mit Bauherren und Nutzern steht. Sie hebt ­zugleich hervor, dass es bislang auch nicht die geringsten Anzeichen von ­Vandalismus gibt.

Die Bibliothek verdient besondere Erwähnung. Sie ist im Grundriss an ­herausragender Stelle angeordnet: an der Gebäudeecke, die von beiden kreuzenden, verkehrsreichen Straßen umflossen wird. Große Fensterflächen ­machen sie im Wortsinne zum Schaufenster. Die vom Eingang her fächerartig sich spreizenden Bücherregale geben den Blick in die ganze Raumtiefe frei. Lesetische hingegen sind unmittelbar an den Fenstern angeordnet. Holzboden und Holzdecke exakt in jener Fläche, die die Regale aufspannen, unterstreichen den noblen Charakter. Es ist, als wollte das Berufsbildungskolleg hier, in unmittelbarer Nähe der Universität und ihrer zahlreichen Institutsbauten, ihren Anspruch als Bildungsstätte subtil, aber doch erkennbar unterfüttern. – Ehe nun allerdings Bedenken hinsichtlich des traditionellen Bildungsträgers Buch aufkommen, sei erwähnt, dass die Klassenräume durchweg auf gängigem Stand der Technik mit Whiteboards und dergleichen ­ausgestattet sind. Überhaupt die Klassenräume: Sie folgen der unregelmäßigen Form des Gebäudegrundrisses und sind ebenfalls polygonal geknickt. Dies wiederum bilden die Lichtleisten in der Decke ab, jeweils drei an der Zahl, die den ganzen Raum blendfrei ausleuchten. Sie alle sind, wie Projektleiterin Stephanie Große-Brockhoff betont, sorgsam vor Ort gefertigt und auf Gehrung geschnitten, um auch nicht den kleinsten dunklen Rest-Winkel zu lassen. Und natürlich bündig in die Decken eingepasst.

Die durchgängige Helligkeit des Gebäudes – und nebenbei erwähnt, aber alles andere als nebensächlich: die erstaunliche Ruhe aufgrund sehr wirksamen Schallschutzes – lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass dies ein Lernort durch und durch ist, ein Ort der Konzentration, der Zielorientiertheit; und wenn man, mit Blick auf den katholischen Träger der Einrichtung, ketzerisch sein wollte, könnte man sagen: ein Ort protestantischen Bildungseifers. Doch der ist, wie soziologische Untersuchungen belegen, längst konfessions­übergreifend verankert.

29. September 2016 deutsche bauzeitung

Architekturkritik – eine Annäherung

Um eine Architekturkritik relevant für einen kulturellen Diskurs zu gestalten, sollte ihr Autor einige ­Fähigkeiten mitbringen: u, a. Fachwissen, Neugierde und den Blick für die Nutzbarkeit der Architektur. Bestenfalls nähert er sich dem Gebäude aus gänzlich unterschiedlichen Blickwinkeln.

Manfred Sack, der jahrzehntelange Architekturkritiker der »Zeit«, war voller Bewunderung für Julius Posener. In der Besprechung von dessen Autobio­grafie zitiert er 1993 Poseners Eingeständnis: »Ich war jetzt sechzig. Ich ­ge­stehe, dass ich als Lehrer der Geschichte in noch stärkerem Maße Dilettant war als beim Entwurf.« Und Sack fügt hinzu: »Er kannte seine Begabung, sich sprachlich über Nicht- und Halbwissen hinwegzuhelfen. Es hört sich an wie die Absolution für Journalisten wie mich.«
Das aus der Feder von Manfred Sack zu lesen, klingt nach Koketterie. Es ist Koketterie.

Denn wenn je ein Kritiker penibel darauf geachtet hat, dass sein Urteil wohl begründet sei, auf nachprüfbare Tatsachenfeststellungen gegründet, dann war es Manfred Sack.

Und doch ist es wiederum auch keine Koketterie, sich selbst »Nicht- und Halbwissen« wenn schon nicht grundsätzlich zu attestieren, so es doch im Zweifelsfall für sich in Anspruch zu nehmen. Denn wie genau und vollständig wüsste der Kritiker jemals über den Gegenstand seiner Kritik Bescheid, dass er sich rühmen dürfte, diesen Gegenstand ­tatsächlich zu kennen, ihn zu »wissen«?

Julius Posener ist allen, die sich für die Geschichte der Architektur, besonders die Vor- und Frühgeschichte der Klassischen Moderne interessieren, als sprachmächtiger Historiker in Erinnerung, und selbst wer ihn nicht mit dem Zeigestock in der Hand vor der Tafel im Hörsaal hat reden hören, meint den Klang einer, seiner Stimme zu hören.

Posener war ein Erzähler, ein ­Geschichtserzähler und gern auch mal ein Geschichtenerzähler. Doch lange, bevor er Geschichtsprofessor wurde, war er ein Kritiker, der sich im Exil mit dem Verfassen von Kritiken über Wasser hielt, dabei doch eigentlich ganz in seinem Metier war. Wenn Manfred Sack den Älteren rühmt, so sagt er damit etwas über ein Idealbild des Kritikers. Was über Architekturkritik zu sagen wäre, gilt mutatis mutandis für alle Kritik, die in den verschiedenen Sparten an kulturellen Hervorbringungen geübt wird. Immer geht es darum, im Medium der Sprache – gesprochen oder geschrieben – eine konkrete Hervorbringung, sei sie zu sehen, zu hören oder allein intellektuell zu erfassen, zugleich zur Anschauung zu bringen wie zu würdigen.

Würdigen? Als Aufgabe der Kritik? Man muss sich nicht lange mit griechischer Philologie aufhalten, um auf die Wortbedeutung des zugrunde ­liegenden Verbums krínein hinzuweisen: trennen, unterscheiden, urteilen. Ebenso wie Kritik ein zunächst neutrales Wort ist, so verhält es sich mit Würdigung. In der Würdigung steckt die Aufgabe, einer Sache gerecht zu werden. Ihr ihre Würde zu geben und zu lassen. Das ist das Gegenteil des Zerreißens, das der Kritik gern als Antrieb unterstellt und in manchen Fällen tatsächlich auch so gehandhabt wird. Würdigen bedeutet, die Aufgabe zu verstehen, die zu bewältigen der Künstler oder hier der Architekt sich vorgenommen hatte, die Umstände, unter denen diese Bewältigung vonstatten ging, und das Ergebnis, das sich der Wahrnehmung, im Falle der Architektur gar der konkreten ­Benutzung, darbietet.

Der Kritiker verfolgt also im Geiste den Entstehungsprozess des Werks nach, um zu erkennen und sodann zu beurteilen, ob die zugrunde liegende Aufgabe gelöst wurde.

Die Aufgabe wird sicher nicht allein darin bestanden haben, etwa eine funktionierende Nasszelle in einen Wohnungsgrundriss zu integrieren – obgleich auch das in manchen Fällen Auf­gabe genug sein kann –, es wird auch ästhetische Rahmenbedingungen gegeben haben, und es wird, bei einem nutzbaren Ding wie einem Bauwerk, zweifellos und durchaus nicht zuletzt auf die Ökonomie angekommen sein, etwas, das heutzutage, im Sinne einer zunehmend wahrgenommenen ökologischen Verantwortung, nicht mehr als auf das Budget des Bauherrn oder der Gebäudenutzer beschränkt zu denken ist.

Als Picassos Name einem breiten Publikum zum Synonym für moderne Kunst geworden war, andererseits aber noch erhebliche Aversionen dieser Moderne gegenüber bestanden, wurde gern dahingesagt, »so kann mein Kind auch malen«.

Warum, kam die Entgegnung, warum tut es das dann nicht? So leicht, wie es aussah, war auch die moderne Kunst nicht aus dem Handgelenk zu schütteln. Um wie viel mehr gilt das für die Architektur. Noch der grimmigste Verächter moderner Architektur wird nicht behaupten, dass er selbst es mindestens ebenso, ja eigentlich viel besser könne.

Die Architektur genießt mithin einen Vorteil, der zugleich ihr Nachteil ist. Der Vorteil ist, dass sie ganz augenscheinlich nur von dem geübt werden kann, der sie erlernt hat, und es ist ersichtlich, dass dieses Lernen ein langes und umfangreiches gewesen sein muss, ehe der erste Stein auf dem anderen ruht und ein Dach die Mauern deckt. Der Nachteil – oder doch wiederum ein Vorzug – ist, dass Architektur von jedermann genutzt und darum auch beurteilt werden kann. Ob eine Tür hoch genug ist, ein Fenster genügend Licht einlässt, der Boden eben, das kann jeder beurteilen. Muss es beurteilen, denn Architektur ist zum Gebrauch bestimmt. Eben darum wollte Adolf Loos bekanntlich nur zwei Bauaufgaben der Sphäre der Kunst zurechnen, das Grabmal und das Denkmal; und Loos, der vor und neben seiner Tätigkeit als Architekt journalistisch tätig war und zu formulieren verstand, spitzte etwas für die Kritik sehr Wesentliches zu: »Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, das ­niemandem zu gefallen hat. Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer ­Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen. Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.«

Das lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass der Zweckcharakter der ­Architektur ihr eine Zurückhaltung auferlegt, die andere Sparten der Kultur im Zuge der Moderne vollständig ablegen konnten. Der Kritiker ist der ­Anwalt dessen, was Loos absichtsvoll mit »konservativ« bezeichnet. Die Kritik muss sich den Standpunkt des Nutzers zu eigen machen, zumindest auch zu eigen machen; der Architek­turkritik ist dadurch ein Element von Naivität zu eigen, insofern sie nicht im Fachdiskurs oder auch nur -jargon verharren und Einverständnis vortäuschen kann, sondern immer wieder die schlichte Frage stellt: Warum macht er das, der Architekt? Und warum macht er es womöglich anders, als es bislang üblich war? Musste er überhaupt etwas anders machen?

Kurzfristige Moden haben in der Architektur keinen Bestand; dazu ist sie in ihrem Entstehungsprozess zu langwierig und in ihrer Nutzungsdauer zu langfristig. Das ist ein weiteres Element dessen, was Loos mit konservativ umschreibt. Und das ist, was der Kritiker, gerade auch im Vorgriff darauf, dass gebaute Architektur so bald nicht aus dem Gesichtskreis verschwindet, als Maßstab seiner Kritik heranziehen muss.

Diesem, man könnte es nennen: retardierenden Moment der Kritik steht ein progressives gegenüber. Architektur, da sie nie nur auf sich selbst bezogen sein kann, nimmt gesellschaftliche Strömungen auf, spiegelt sie wider, befördert sie oder widersetzt sich ihnen. Aber sie kommt nicht drum herum. Wenn es Zeit ist für Neues, wie beispielhaft für das »neue bauen« zwischen den Kriegen, für das sozial verantwortliche Bauen, kommt dem Kritiker die Rolle des Wegbereiters zu. Die Formulierung gesellschaftlicher Ansprüche ist eine Aufgabe der Kritik; und da wir gerade eine Zeit neuer Herausforderungen im ­Zuge der weltweiten Migration, oft zur »Flüchtlingskrise« verkürzt, erleben, ist es an der Kritik, die Architektur zur Bewältigung solcher neuen Aufgaben zu erinnern.

Es liegt auf der Hand, dass Architekturkritik nicht durchweg denselben Kriterien genügen kann und muss. Sie ist anders in der Fachzeitschrift als in der Tageszeitung. Das erforderliche Maß an Professionalität, an Vorbildung, steigt mit der Professionalität der Leser. Es droht, wie immer, die Falle der bloßen Selbstbezüglichkeit: Kritiker und Kritisierter sprechen dieselbe Sprache, sie bewegen sich im Zirkel des Einverständigen.

Da kommt der eingangs zitierte Julius Posener in den Blick. Er vermochte es, ein stupendes Wissen mit der Naivität oder besser Neugier des ersten Blicks zu verbinden.

Es war ein Architekt – noch einer, der für seine Aperçus berühmt ist –, der diese Frische des Blicks, so unabdingbar für den Kritiker, auszudrücken vermochte: Ludwig Mies van der Rohe. Er beschrieb, wie er der Montage des Stahldachs über der Neuen Nationalgalerie in Berlin zusah: »Und als das große Dach sich lautlos hob, da habe ich gestaunt.«

Nicht immer sind technische Kühnheiten zu erleben, ästhetische vielleicht noch eher; aber eines sollte dem Kritiker gegeben sein, bevor er an seine sprachliche Arbeit geht: das Staunen. Manfred Sack, der die Berufsbezeichnung Kritiker nicht gerne hörte, hat es in seiner uneitlen Art einmal so gesagt: »Man ist eben neugierig.« Wenn sich der Neugier, dem Staunen das Wissen zugesellt und die Ernsthaftigkeit der Perspektive der Nutzer, dann wäre eine Kritik möglich, die Unterscheidung ist und Urteil zugleich.