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Profil

Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Innsbruck und Graz, seit 1984 Architekturjournalist, von 1990 bis 2001 Architektur- und Immobilienjournalist für eine Wiener Tageszeitung, von 2001 bis 2006 Pressereferent des Österreichischen Verbandes der Immobilientreuhänder, seit April 2007 Textautor für die Baumschlager Eberle Gruppe. Ab März 2010 zuständig für die Pressebetreuung der Baumschlager Eberle Gruppe. Seit März 2015 Pressereferent von RLP Rüdiger Lainer + Partner.

Publikationen

Gert Walden (Hg.) Annäherungen / Approaches, Springer, Wien 2010
Gert Walden (Hg.), Bauten Bilder Perspektiven, Eigenverlag RLP, Wien 2017

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Artikel

5. April 2002 Neue Zürcher Zeitung

Eine Stadt für die Kleinsten

Roland Gnaigers Kindergarten in Bregenz

Kunterbunt angeordnet und immer wieder den Massstab wechselnd, bestimmen Hochhäuser, mehrgeschossige Wohnbauten und Einfamilienhäuser den Bregenzer Ortsteil Braike. Dort haben die Architekten Roland Gnaiger und Gerhard Gruber die nicht ganz einfache Aufgabe übernommen, einen Kindergarten zu entwerfen, der diesem Verwirrspiel aus urban-peripheren Parametern und örtlicher Bauordnung die Stirn bieten kann. Hier bot sich eine streng geometrische Grundstruktur als bewährtes architektonisches Instrument an, um einen selbständigen Ort der Konzentration und der Kommunikation zu schaffen. Der Baukörper wurde daher L-förmig angeordnet und bis an die Grundstücksgrenzen herangeschoben. Der Freiraum, der aus dieser Ordnung entsteht, ist grosszügig. Mit Holzzäunen, einer Pergola und den Gebäudeteilen selbst ist er von seiner Umgebung abgeschirmt.

Wenn dieser Kindergarten in der klassischen Typologie eines ebenerdigen Mini-Mundus gegenüber den „richtigen“ Bauten erstarren würde, könnte er leicht ein wenig abgeschlossen wirken. Doch dieses Problem haben Gnaiger und Gruber sehr elegant gelöst. Der geteilte Baukörper ist nämlich zweigeschossig angelegt, so dass eine zweite Ebene der Freiräume konstituiert werden konnte. Die fünf Gruppenräume der Kinder befinden sich im ersten Stock, verfügen jeweils über einen separaten Eingang, eine eigene Loggia und ein kleines Atrium. Verbunden werden diese kleinsten Spiel- und Arbeitseinheiten über einen zentralen Gang. Das Raumangebot ist also differenziert, auf die Bedürfnisse nach Geborgenheit und nach erweiterter Perspektive - hin zum Bodensee - zugeschnitten. Angenehmer kann es eigentlich in einem Kindergarten nicht sein. Dabei ist die Architektur zurückhaltend, in ihrem Materialmix aus Beton und Holz fast schon spröde, aber sie eröffnet Räume, die in ihrer Massstäblichkeit flexibel und weitgehend neutral gehalten sind. Sich auf Sprache und Typologie der klassischen Moderne berufend, haben Gnaiger und Gruber die Qualität der zweiten Ebene der Dachfläche voll ausgenützt. Atrium und Loggia zählen denn auch zum sinnvollen Repertoire der österreichischen Architekturtradition.

Die beiden Architekten bauten für Kinder ohne jegliche kindlichen Attitüden. Im Gegenteil zeigen sie den Kleinsten auf sehr unprätentiöse Weise, wie sich Raum verändern, vergrössern und verkleinern kann, wie sich Dreidimensionalität logisch entwickelt und einen immateriellen Reichtum entfalten kann, der auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar ist. In diesem Sinn ist auch die Halle im Erdgeschoss wie ein Boulevard organisiert - mit der grossen Achse über die gesamte Gebäudelänge und den kleinen Nischen zum Spielen oder Speisen. Das Gebäude unterscheidet sich von den üblichen Kindergärten in seinem Anspruch auf die innenräumliche und städtebauliche Dimension. Beinahe wie ein grosszügiges Hotel wirkend, ist es auch Schnittstelle für das gesamte Quartier. Seine Geometrie schafft mit dem längeren, vorgezogenen Bauteil einen kleinen Platz, während die Pergola des Freibereichs und der kürzere Gebäudetrakt die Grenzen zum Strassenraum bestimmen. Eine Stadt der Kinder ist damit in Bregenz entstanden, die ihre Auswirkungen unmittelbar auf die urbanen Dispositionen der Erwachsenen zeigt.

31. Januar 2002 Neue Zürcher Zeitung

Konstruktives aus dem Osten

Junge österreichische Architektur in Wien

Die Architektur des Landes begleiten, sichten und in den europäischen Kontext einfügen, diese Aufgabe stellt sich Kurator Otto Kapfinger erneut mit dem zweiten Teil der Ausstellung «Emerging Architecture - kommende Architektur» im Architektur-Zentrum Wien. Solche Ausstellungen sind natürlich von der Person des Auswählenden stark geprägt, doch in der gegenwärtigen Schau geht die Bilanz einer «Curator's Choice» auf. Der Ausstellungsmacher versucht nämlich nicht, Tendenzen, Stile und damit seine eigene Person zu propagieren. Kapfinger ist vielmehr dem Unterschiedlichen und Verbindenden von architektonischen Haltungen auf der Spur - mit wissenschaftlicher Präzision, die auf nur ein Ziel ausgerichtet ist: die Perspektiven einer möglichen Entwicklung österreichischer Architektur. Dieses Konzept mag angesichts des heutigen Architekturkonsums altmodisch wirken, seine Nachhaltigkeit zeichnet sich aber jetzt schon ab.

Die Ausstellung «Emerging Architecture 2» ist eine Leistungsschau von zehn Teams und gleichzeitig eine Standortbestimmung der jüngeren österreichischen Baukunst, die zu betrachten sich lohnt. Die Zeiten der grossen Gesten und der selbstverliebten dreidimensionalen Bilder scheinen vorbei zu sein. Die jüngere Generation reflektiert zwar durchaus das Zeichenhafte der Architektur, geht aber in ihrer Auslotung der baukünstlerischen Möglichkeiten sehr viel weiter. Mit unterschiedlicher Wertigkeit kommt wieder das Strukturelle, das Fliessende und Flexible der Architektur zur Geltung. Diese Betonung eines aus Konstruktion und membranhafter Hülle gewonnenen Raumes wird mit grosser Konsequenz vorangetrieben, sie äussert auch den Einfluss der Denkarbeit eines Helmut Richter oder von Coop Himmelblau in den frühen Jahren. Die Jungen haben aber genügend Potenzial, um ihre eigenen Positionen zu formulieren. Die Experimente mit der orthogonalen Konstruktion werden von den Büros Cukrowicz & Nachbaur, Gangoly, Marterer & Moosmann und Gutmorgeth vorangetrieben. Die Expansionen des Raumes hingegen interessieren Tschapeller, Holodeck, Mitterberger, Fasch & Fuchs, Flöckner & Schnöll und Gerner & Gerner. Sie stellen die technischen Vorgaben in Frage und forcieren damit die sinnliche Wahrnehmung. Das alles ist spannend, weil die im positiven Sinn traditionellen Wege der österreichischen Architektur verlassen werden. Gleichzeitig lassen sich auf das Werk und den Ort ausgerichtete Problemlösungen erkennen. Es wäre allerdings verfehlt anzunehmen, die Ausstellung reflektiere den vorherrschenden Trend in der Architektur Österreichs. «Emerging Architecture 2» thematisiert den Aspekt des Konstruktiven in unterschiedlichem Licht vor dem Hintergrund der Komplexität der Baukunst dieses Landes.


[ Bis 15. April im Architektur-Zentrum Wien. Otto Kapfinger: Emerging Architecture - kommende Architektur, Band 2. Springer-Verlag, Wien 2002. 255 S., EUR 39.90 (Emerging Architecture, Band 1. Springer-Verlag, Wien 2000. 255 S., EUR 43.-). ]

10. Januar 2002 werk, bauen + wohnen
24. November 2001 Spectrum

Hoch die Käseglocke!

Raster und Modul, Vorfertigung und Montage: die Baumethoden der Wirtschaftswunderära. Was helvetische Baukünstler mit ebendiesen Mitteln für die Architektur erreicht haben, führt die Ausstellung „Nachkriegsmoderne Schweiz“ im Wiener Ringturm eindrücklich vor Augen.

Nicht Shanghai oder Havanna waren die Ziele der Architekturenthusiasten in den fünfziger und sechziger Jahren. Nein, es war schlichtweg die Schweiz, denn das aktuelle Spesenrittertum des Kulturbetriebs existierte ja noch nicht, und die geographische Erreichbarkeit war damals noch ein Thema.

Mit Vespas, Lambrettas und Puch-Rollern steuerte die einstmals junge Generation österreichischer Nachkriegsarchitekten das südwestliche Nachbarland an, um ihr Informationsdefizit in Sachen Moderne zu kompensieren. Und der Weg hat sich gelohnt. Die Schweizer Nachkriegsmoderne knüpft unmittelbar - abgesehen vom Intermezzo des heimattriefenden Landi-Stils der vierziger Jahre - an die erste Moderne an. Die helvetischen Architekten thematisieren neue Aufgaben für ihre Zunft: Strukturierung des Raums mit Hilfe von Raster und Modul, Flexibilität der Nutzung und Montagebauweise. In diesem Land, vom Bombenkrieg unberührt, wird mit den technischen Grundlagen für ein neues Bauen experimentiert, wie auch die Auswirkungen für die Architektur auf hohem Niveau analysiert werden.

Die Ausstellung „Nachkriegsmoderne Schweiz“ im Ringturm vermittelt nun einen ausgezeichneten Blick in die einstmals hoffnungsfrohe Zukunft vor einem halben Jahrhundert. Die beiden Kuratoren, Walter Zschokke und Adolph Stiller, haben dafür 14 Bauten von Werner Frey (1912 bis 1989), Franz Füeg (Jahrgang 1921), Jacques Schader (geboren 1917) und Jakob Zweifel (Jahrgang 1921) ausgewählt.

Repräsentativ für die Bautypen der industriellen Gesellschaft, finden sich darunter Wohnhausanlagen, Bürogebäude und Bauten aus dem gesamten pädagogischen Bereich. Sachlich distanziert, in ihrer Kühle den Bauten entsprechend, werden die Exponate aufbereitet. Den Möglichkeiten der Nachkriegsmoderne entsprechend natürlich mit den analogen Medien Film (Regie: Georg Radanowicz), Photographie (Doris Fanconi) und Plänen. Ihr Einsatz generiert gepaart mit dem präzisen Raumprogramm eine nobel zurückhaltende Atmosphäre, die als Äquivalent der dargestellten Bauten dem Besucher unaufdringlich wie auch didaktisch begegnet. Die Kuratoren haben sich nämlich in der Ordnung der Exponate vom Städtebau der Nachkriegsmoderne leiten lassen: Im Ringturm sind nun wieder diese kleinen Höfe, diese querenden und begleitenden Wege zu finden, wie sie charakteristisch für den Städtebau der vier präsentierten Architekten sind.

Nachkriegsmoderne in der Schweiz bedeutet nämlich im besonderen ein Untersuchen der Beziehung zwischen Individuum und Gruppe. Die Architekten nützen die Chancen der Zeit, um ihr Statement über ein neues Verhältnis der Menschen untereinander abzugeben. „Gemeinsam und allein“, so könnte das gemeinsame Thema der städtebaulichen Annäherung beschrieben werden. Vorbei sind die Zeiten des Kollektivismus der Zwischenkriegszeit, die Egalité wird postuliert. Neu ist eine wohlüberlegte Balance zwischen Individuum und Gruppe. Die Kuratoren gehen in der Auswahl der Objekte auf diesen gebauten Diskurs ein. So findet man im Ringturm das Jugendheim Erika von Werner Frey (Zürich 1958/59) oder Jacques Schaders wichtige Kantonsschule Freudenberg (Zürich 1956 bis 1960). Bauten also, die a priori das Zusammenleben artikulieren oder wie bei Franz Füegs Kirche St. Pius in Meggen/Luzern (1964 bis 1966) zumindest temporär und zeichenhaft einen Ort der Gemeinschaft bilden.

Der helvetische Urbanismus ist allerdings nicht unter der Käseglocke einer heimatlichen Tradition entstanden. Vielmehr mußten über die alpinen Grenzen hinweg die städtebaulichen Entwicklungen in den Niederlanden und die gedankliche Vorarbeit von Claude Lévi-Strauss reflektiert werden. Der französische Ethnologe veröffentlichte 1955 seine Studien „Traurige Tropen“, die starke Resonanz erfuhren. Nicht mehr das historistische Denken des 19. Jahrhunderts mit dem Überwinden der Natur, sondern eine ahistorische Betrachtungsweise wird hier propagiert.

Strukturen aus der Natur, die Vorbilder primitiver Kulturen wurden Anknüpfungspunkte der Architekten für die Organisation des modernen Raums. Unwillkürlich wird man an das Waisenhaus des Niederländers Aldo van Eyck in Amsterdam erinnert, wo ein vielzeiliger Cluster um einen zentralen Hof aufgemacht wird, um schließlich in der Stadtlandschaft zu versanden.

In den Niederlanden wie in der Schweiz ist nur noch wenig vorhanden von den Monolithen und Wohnstangen der ersten Moderne. Im Gegenteil, vor allem die Deutschschweizer Architekten haben es mit der Maßstäblichkeit ihrer Anlagen sehr genau genommen, wie sie auch die Möglichkeit einer Expansion der Strukturen schon im Entwurf berücksichtigt haben. Aber damit nicht genug: Was die Schweizer Gruppe - als solche kann man sie durchaus bezeichnen - besonders hervorhebt, ist die Öffnung des Dreidimensionalen.

In der Kantonsschule von Jacques Schader etwa wird mit der Typologie traditioneller Gangschulen gebrochen und das neue Leitbild des Zusammentreffens von Schülern und Lehrern mit der zentralen Halle formuliert. Daher ist gerade die Kantonsschule ein bedeutendes Beispiel für die „Durchdringung und Verflechtung einzelner Geschoße und Raumelemente, also die Verwendung der dritten Dimension als wesentliches gestalterisches Mittel“, schrieb Schader 1960 in der Zeitschrift „Bauen + Wohnen“. Wie übrigens Ausstellung und Katalog das hohe Niveau der theoretischen Auseinandersetzung dieser schweizerischen Architekten dokumentieren.

Sehr früh schon war sich auch Franz Füeg der Chancen und Gefahren der neuen Baukunst bewußt. In seinem Vortrag „Was ist modern in der Architektur? Eine Strukturanalyse der zeit-genössischen Baukunst“ (publiziert 1958) zieht er die Grenzlinien zwischen Moderne und Modernismus. Moderne Baukunst ist für ihn charakterisiert durch einen „Raum, der nicht für sich selbst besteht, sondern stets nur aus der Beziehung zu anderem erst zum Raum wird“. Der Modernismus hingegen habe von diesem Anliegen noch kaum Kenntnis genommen. Dieser produziere Städte, die nicht für den Menschen, sondern für einen imaginären Mechanismus gebaut seien.

Raster und Modul, Vorfertigung und Montage sind für die vier Schweizer Architekten nur technische Möglichkeiten, nicht Fetische des eben genannten Mechanismus. Immer wieder kommt in den Schriften und Bauten die Anthropozentrik ihrer Architektur zum Ausdruck. Damit versperren sie sich vielleicht die Sicht auf das Visionäre des technischen Zeitalters, wie es die Gruppe Archigram in ihrer dekorativen Flower-Power-Manier angedacht hat. Die schweizerische Architektur der Nachkriegsmoderne hat bisweilen einen etwas betulichen Grundton, etwas von der Attitüde des „guten Menschen“. Sie verweigert sich damit aber auch den Verwertungsmechanismen des damals grassierenden Wirtschaftswunderfunktionalismus mit seinen sogenannten Zweckbauten, die heute nicht einmal den Investoren nützen.

Knapp 50 Jahre nachdem die Bauten der zweiten Schweizer Moderne entstanden sind, kann man sich fragen, wo das Entwicklungspotential dieses Strukturalismus lag. Ohne Zweifel ist die technische Kompetenz der Architekten für die Zukunft schlichtweg überlebensnotwendig, um gegen Haustechnik-Planer bestehen zu können. Die Vorstellung von der flexiblen Raumgliederung im industrialisierten Bauen ist eigentlich schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Allein, die Präzision im Detail, wie sie diese Schweizer Architekten beherrscht haben, wird weiterhin zu den aktuellen Herausforderungen zählen. Auch die Prämisse der dienenden Funktion der Architektur im Zeichen eines humanistischen Weltbildes bildet eine immer noch sehr wichtige und wirksame Gegenposition zum künstlerischen Subjektivismus mancher formalistischer 3D-Designer im Modebetrieb des Marketing-Artikels Architektur.

In der gegenwärtigen Diskussion um das Physiognomische in der Architektur, um die Alternative „Blase oder Box“ ist die Schweizer Nachkriegsmoderne ein Referenzprodukt für die wiederaufgelegte Abstraktion und Dynamisierung der Architektur. Was die Schweizer nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings kaum untersucht haben und worin sie sich deutlich von den „Modernisten“ der Gegenwart unterscheiden, das ist das Physiognomische der Architektur. Die Struktur mit ihrer gedanklichen Perspektive im Unendlichen eröffnet dafür keine Option, sodaß das Defizit der gestalthaften Erkennbarkeit von Architektur nicht bewältigt werden konnte.


[Die Ausstellung „Nachkriegsmoderne Schweiz: Architektur von Werner Frey, Franz Füeg, Jacques Schader und Jakob Zweifel“ im Wiener Ringturm (Wien I, Schottenring 30) ist noch bis 14. Dezember zu sehen (Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr).]

1. September 2001 Neue Zürcher Zeitung

Koketter Bau im Gründerzeitquartier

Die «Miss Sargfabrik» sorgt für ein neues Wiener Wohngefühl

Orange leuchtet sie im grauen Gründerzeitviertel: Ein wenig konservativ, ein wenig kokett, wie sie halt so sind, die Wiener Mäderln, steht die «Miss Sargfabrik» an der Strassenkreuzung Missindorfgasse/Fenzlgasse und macht allein schon durch die Farbe auf sich aufmerksam. Den Namen hat sie von ihrer Vorgängerin, der ersten «Sargfabrik», geerbt, die tatsächlich auf dem ehemaligen Areal einer Produktionsfirma für letzte Ruhestätten errichtet worden ist. Der Name steht aber auch für ein Wohnkonzept, das vom Architektenteam BKK-3 (Franz Sumnitsch und Johann Winter) nach der «Sargfabrik» (1996) weiterentwickelt wurde. So ist denn die «Miss Sargfabrik» trotz ihrer leicht morbiden Namensgebung - ein bisserl Schmäh muss sein - das ambitionierte Ergebnis der architektonischen Recherche von BKK-3 und des Engagements des Bauträgers, des Vereins für integrative Lebensgestaltung.


Zelt und Höhle

Mit der Idee, eine Nische der Wiener Wohnbauförderung zu nutzen, konnten die üblichen Auflagen betreffend Zimmeranordnung und Parkplatzverpflichtung umgangen werden. Die «Miss Sargfabrik» ist nämlich - ob es der Lady passt oder nicht - schlichtweg ein Wohnheim, das per definitionem nicht den biederen Förderungs- und Grundrissbestimmungen unterliegt. Für die Architekten eröffnete dieses Ausblenden der kommunal bestimmten Wohnrituale die Möglichkeit, ihre «Miss Sargfabrik» unkonventionell einzukleiden: nach aussen hin und im Inneren, wo sich die wahren Werte der Lady entfalten können. Sumnitsch und Winter konzentrierten sich auf das Erfahrbarmachen des Wohnraums: Keine Raumskulptur mit schäbigen Grundrissen, wie die Gasometer-Kreationen von Coop Himmelblau, wurde hier intendiert. Vielmehr wurde bis in die kleinste der 39 Wohnungen das Erlebnis des Dreidimensionalen in den Vordergrund gerückt.

Bei den Garçonnièren, sie machen die Hälfte der Wohnungen aus, half dabei der Trick mit dem Knick. Anstelle der gewöhnlichen platten Trennwände sind in den Kleinstwohnungen mit rund 40 Quadratmetern die Wandscheiben zackig ausgefallen, während die Raumhöhen von den Entrées an den Laubengängen bis zur Strassenfront differieren. Auf diese Weise entstehen zwei Varianten der Behausung. Die extrovertierte, welche sich zum Freien hin öffnet, und die introvertierte mit mehr Platz im Wohnungszentrum. «Zelt und Höhle» - diese beiden archetypischen Spielarten des Wohnens, wie sie Gottfried Semper beschrieben hat, werden hier zeitgemäss formuliert. Rampen und flache Stiegen zeigen auf jeden Fall den Niveauunterschied an, wobei mit der durchgehenden Höhe an der Längsseite des Objekts eine ziemlich stereotype Strassenfront an der Fenzlgasse entsteht.

Bei den grösseren Wohnungen (70 bis 120 Quadratmeter) konnten die Architekten noch mehr an der Vielfalt der Wohnebenen feilen. Mit dem klassischen Split-Level lässt sich da schon einiges machen. Da ist Platz für Kleinarchitekturen - wie etwa eine Kanzel im Küchenbereich - als witzige, aber praktisch adaptierte Zitate der herrschaftlichen Baukunst im Wohnheim. Da wird auch die schwierige Ecksituation souverän gemeistert. Die schrägen Bodenflächen werden konsequent von den ansteigenden Fensterrahmungen begleitet, um in die Längsfront überzugleiten. An der Schmalseite des Hauses lüftet die «‹Miss Sargfabrik› dann ihr Rockerl». Hier wird die Strassenfront zur Schauseite des Inneren, aufgeschlitzt eröffnet sich die strukturelle Gliederung, um die Fassade letztlich in ein Emblem für innovatives Wohnen zu verwandeln. Wie überhaupt die Arbeit von BKK-3 mit äusserster Konsequenz die Kombination von individuellem Wohnnutzen und gemeinsamem Zusammenleben in das Räumliche einer skulpturalen Architektur transponiert.


Orange Bauskulptur

Die «Miss Sargfabrik» ist nämlich nicht nur kokett und konservativ, sie verfügt auch über einige Tugenden, die sie im Kontext der Wiener Architekturszene zur Ausnahmeerscheinung machen. Dazu zählen primär die Gemeinschaftseinrichtungen. Nicht wie üblich irgendwo im Keller versteckt, bilden sie - der Karl-Marx-Hof lässt grüssen - den Mittelpunkt des Hauses. Die Bibliothek, die Computerstationen und die Küche spielen gemeinsam den integrativen Part im Leben der «Miss Sargfabrik». Darüber hinaus ist die Architektur bis ins Detail hinein instrumentiert, um Räumlichkeit und Kommunikation miteinander in Einklang zu bringen. Die Laubengänge etwa, sonst ungeliebte Passagen des Transitorischen, sind ausreichend gross dimensioniert, um auch tatsächlich Platz anzubieten für Gespräche im halböffentlichen Raum. Sie erschliessen aber auch hier wieder mit den Öffnungen in den Brüstungen und Decken die Höhen und Tiefen der Lady und ihrer leicht morbiden gründerzeitlichen Umgebung.

Das orange Kleid der «Miss Sargfabrik» tut da einfach gut. Bei strahlendem Sonnenschein wirkt es überraschend zurückhaltend, in den grauen Wiener Wintermonaten erzeugt das Kolorit positive Grundstimmungen. Generell generiert die Architektur also eine Atmosphäre, die über die Gegenwart hinaus auf eine mögliche optimistische Zukunft des Wohnens verweist. Wie sehr dieser kräftige Farbtupfer in der Wiener Wohnlandschaft auch in der Szene anerkannt wird, zeigte auch kürzlich die Würdigung durch den 7. Architekturpreis der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie an.

25. Juli 2001 Neue Zürcher Zeitung

Wohnungen aus vier Zylindern

Der Umbau der Gasometer in Wien-Simmering

«Wenn der Architekt nichts weiss, dann macht er einen Kreis.» Diese Binsenweisheit hat sich bei der Sanierung der Gasometer in Wien-Simmering ins Gegenteil umgekehrt. Hier waren es nicht die Architekten, die ihre Kreise zogen, sondern die vier ehemaligen Gasbehälter aus dem späten 19. Jahrhundert haben die zylindrische Form vorgegeben. Nach einem Bauträgerwettbewerb im Jahr 1995, bei dem die Errichtergesellschaften auch den Architekten beistellen, erhielten Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer die Planungsaufträge. Rund 620 Wohnungen, Büroflächen, eine Rockhalle sowie eine durchgehende Einkaufsstrasse waren gefordert, um mit den vier brachial ausgehöhlten Denkmälern der Industriebaukunst ein lebensfähiges Stadtviertel zu konstituieren.

Hinter den Fassaden ist nicht viel übrig geblieben von den rund 75 Meter hohen Gasometern. Immerhin bilden sie eine kreisrunde, weithin sichtbare Kulisse am Südostrand von Wien, die von den Architekten zu füllen war. Doch damit nicht genug der urbanen Lebenszeichen: Coop Himmelblau haben zusätzlich noch an der Nordseite eines Gasometers ihre geknickte und gewölbte Wohn- und Bürowand angedockt, die reichlich pathetisch verkündet, dass sich die Architektur nicht nur den Zwängen eines der europaweit grössten Sanierungsfälle unterwirft. Diese Zwänge sind beachtlich, wenn man sich den Umgang der Architekten mit der Kreisform anschaut. Insgesamt darf man den Bewohnern, vor allem in den unteren Etagen, möglichst viele Sonnentage wünschen, denn die Belichtung reicht bei trübem Wetter schlichtweg nicht aus.

Jean Nouvel hat in seinem Gasometer das zentrale Belichtungsproblem zu lösen versucht, indem er den betonierten Wohnungskranz ganz stringent in Segmente aufteilt. Ihre mit Blech verkleideten Trennwände lassen Raum frei und verstärken den Lichteinfall ein wenig. Coop Himmelblau führt einen trompetenförmigen Trichter in den Innenhof des Gasometers ein, damit die Wohnungen nicht ganz im Dunkeln bleiben. Manfred Wehdorn versucht mit Terrassen den Anschein mediterraner Grosszügigkeit zu erzeugen. Wilhelm Holzbauer schliesslich ordnet die Wohnungen windmühlenartig um einen Erschliessungskern an, so dass die Bewohner Aussicht auf die denkmalgeschützte Gasometerfassade haben. Die Architekten hatten eigentlich wenig Chancen, Wohnwerte aus den Zylindern zu zaubern. Die Ergebnisse sind unbefriedigend, die Wohnungsgrundrisse streckenweise skurril, und vom Raumerlebnis der Innenhöfe kann im besten Fall noch bei Jean Nouvel gesprochen werden. Eine Kongruenz zwischen der Gliederung der Gasometerfassaden und den Wohnungen wurde nicht hergestellt. Zusammen gesehen stellen die alten Gasometer und die neue Architektur allerdings ein bildwirksames Ensemble dar. Ein «Wahrzeichen» für den desolaten Bezirk Simmering also, das - besonders von der Stadtautobahn aus betrachtet - wieder an die autistischen Avantgarde-Skizzen der sechziger Jahre erinnert.

Nun ja, Wien ist eben anders, und die Überlagerung verschiedener Schichten von Vergangenheit lässt sich hier besonders gut vermarkten. Auch wenn die alten Ziegelsteinkreise mit ihren Betonfüllungen nur bescheidenen Wohnwert bieten, sind sie bereits nahezu vollständig verkauft oder vermietet. Die Ausblicke der Wohnungen auf die Innenhöfe können wohl kaum der Grund für die Nachfrage sein. Viel eher ist es der immaterielle Mehrwert, den sich die Bewohner erkauft haben. Prestige, Chic, Label und Individualität werden mit den «City-Klassikern» (so der Werbeprospekt) am Stadtrand assoziiert. Und damit können die Gasometer punkten, während gewöhnliche Wohnungen an der Peripherie zum Teil leer stehen. Die Gasometer sind aber mehr als nur aufgemotzte Stadtrandbehausungen. Erstmals haben private Bauträger und die öffentliche Hand annähernd zeitgleich die Infrastrukturen für ein neues Stadtviertel bereitgestellt. Bei dieser Leistung darf man nach vergeblichen zehn Jahren «Wohnbauoffensive» allerdings nicht ausser acht lassen, dass die Gasometer schon bald von einer dichten Packung Bürobauten umgeben sein werden und dass die Investoren mit ihrem Verwertungsdenken Überhand gewonnen haben. Es werden also wieder Stadtspiele an der Peripherie aufgeführt, nur diesmal ergänzt durch einen hohen Anteil an Entertainment.

6. Juli 2001 Neue Zürcher Zeitung

Wiener Wohnberg, Grazer Ufo und Villacher Zwischenräume

Visionen des Zusammenlebens im Rahmen von «Europan 6»

Junge Architekten bringen ihre Ideen ein, die Städte oder auch private Bauträger die Grundstücke - das ist eine Grundidee von «Europan».Zum sechsten Mal wurden nun nationale Wettbewerbe für Architekten unter 40 in insgesamt 67 europäischen Städten entschieden. Besondere Aufmerksamkeit erheischten diesmal die Beiträge aus Österreich. Hier haben sich die Städte Wien, Graz und Villach beteiligt, um das Nachdenken über die Zukunft des Wohnens zu unterstützen. «Zwischenorte - Architektur im Prozess zur urbanen Erneuerung» lautete das Europan-Thema. Nicht mehr ausschliesslich Wohnkonzepte für morgen waren gefragt. Vielmehr war es heuer erstmals möglich, auch die Mischformen des Zusammenlebens neu zu überdenken. Und das ist auch richtig so, weil monofunktionale Kohabitationen eigentlich der Vergangenheit angehören sollten. Neu ist bei «Europan 6» zudem, dass nun intensiver der Versuch unternommen wird, die Siegerprojekte auch tatsächlich zu realisieren. Die Chancen stehen dafür gerade in Wien recht gut, wo nicht die Gemeinde das Grundstück zur Verfügung stellt, sondern das ambitionierte Bauunternehmen Mischek. Die Firma will mit Unterstützung des neuen Planungsstadtrates RudolfSchicker das Projekt der erstrangierten Architekten Anna Popelka und Georg Poduschka im südöstlichen Stadtteil Simmering ausführen.

Auf gut Wienerisch gesagt, ist das gewählte Grundstück nur eine «Gegend» - kaum städtische Verdichtung, ziellos hingestreute Wohnbauten und die üblichen Gewerbebetriebe. Popelka & Poduschka implantieren diesem fragmentarisch- urbanen Gebiet eine geballte Ladung Architektur, die in mehrfacher Hinsicht die Sachkundigkeit ihrer Urheber artikuliert. Statt der landläufigen Blockrandbebauungen konstruieren sie eine Raumhülle, deren Begrenzung nicht nur die Bauordnung, sondern - viel elementarer - der Sonnenlichteinfall gegenüber den angrenzenden Häusern bildet. Diese Spielregeln, um maximale Volumina zu erreichen, klingen zwar simpel, in der Umsetzung stellen sie aber eine massive Herausforderung dar. Das vorläufige Ergebnis zeigt nun einen «Wohnberg» - mit Büros und Geschäften -, wie wir ihn ähnlich aus den sechziger Jahren kennen, erschlossen von einer zentralen Halle. Die Unbefangenheit der jungen Architekten gegenüber einem in Misskredit geratenen Bautyp macht sich jedoch bezahlt. Die bauliche Hülle mit aussen liegenden Terrassenwohnungen eröffnet im Dialog mit der Halle genügend Möglichkeiten, um «spezielle Räume» zu schneidern.Keine Rede also mehr von «Nutzungsneutralität», die Architekten arbeiten mit dem gesamtenklassischen Instrumentarium der Volumen, Hohlräume und Blickverbindungen.

Dem Revival der «Wohnberge» in Wien folgt die Grazer Wiederfindung der «fliegenden Untertassen». Wie Ufos haben die Laibacher Architekten Rok Okman, Spela Rogel und Josip Konstantinovic ihre spiralförmigen Baukörper auf der «Gstättn» einparken lassen. Und trotzdem sind keine autistischen Baukörper dabei herausgekommen, sondern ein witziges Netzwerk aus Abgeschiedenheit und Öffentlichkeit, das eine neue Stadtlandschaft generiert. Weniger spektakulär erscheint das von den Berliner Wettbewerbsteilnehmern Zeynep Ayse Hicsasmaz, Thorsten Bunk und Jahn Monner eingereichte Siegerprojekt für Villach. Sie definieren ein Regelwerk der Zwischenräume, eine Grammatik, welche die Massstäblichkeit und Positionierung der Baukörper bestimmt. Als mikrourbane Parallele zur Landschaft finden sich die Berge, Flüsse und Seen der Umgebung abstrahiert im Durchströmen der Siedlungswege und in der Höhenstaffelung der Bauten wieder. Das Nachdenken über die Möglichkeiten des Zusammenlebens hat sich mit «Europan 6» für die drei Städte gelohnt. Gerade im eher theoriefeindlichen Klima Österreichs sind die Aufforderungen zum Vertrauen in die Kompetenz der Architekten umso wesentlicher, als die tradierten Strickmuster der Bebauung von Seiten der Bewohner deutlich wahrnehmbar in Frage gestellt werden.

4. Mai 2001 Neue Zürcher Zeitung

„Vienna goes international“

Neue Hochhäuser für die Donaumetropole

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sah sich Wien aus seiner Randlage plötzlich ins Zentrum Europas verschoben. Der neu erwachte Optimismus führte zur Planung und Realisierung mehrerer Hochhäuser. Diese städtebauliche Amerikanisierung der Donaumetropole kulminiert nun im «Twin Tower» von Massimiliano Fuksas.

Wie kein anderer Gebäudetyp illustriert das Hochhaus Wiens Wirtschafts- und Architekturgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem «Hurra wir leben noch» folgte in den fünfziger Jahren ein «Wir sind wieder wer», und die Wiener Städtische Versicherung beauftragte Erich Boltenstern mit dem Bau eines Hochhauses am Donaukanal. Doch die Wirtschaftswunder-Euphorie währte nicht lange. Wien blieb bis in die achtziger Jahre am Rande Westeuropas. Lediglich Johann Stabers geschwungene Y-Türme der Uno-City demonstrierten Bruno Kreiskys Weitblick. Der Architekt Hugo Potyka empfahl damals in einer Studie für die Wiener Stadtplanung sogar den Verzicht auf Hochhäuser. Dann fiel der Eiserne Vorhang, Wien sah sich als «Drehscheibe Mitteleuropas», und Coop Himmelblau entwarfen für die Stadtplanung das «Wiener Hochhaus». Dieses war mit 130 Metern nicht wirklich hoch und für bestimmte Standorte vorgesehen, an die sich später jedoch keiner halten sollte.


Ein Doppelturm von Fuksas

Dem Katzenjammer der abgesagten Expo 1995 folgte in Sachen Hochhaus eine Vollbremsung. Doch dann stieg auf dem Ex-Expogelände ein erster Versuchsballon. Dieser steht wie seine Nachfolger für die Probleme, die Wiens Altmeister und Altavantgardisten mit dem Typus Hochhaus in funktioneller Hinsicht haben. Da Wilhelm Holzbauers 1993 geplanter und 1997 fertiggestellter «Andromeda-Turm» in erster Linie Investoren anlocken soll, stört das Verhältnis zwischen opulenter Erschliessungs- und geringer Nutzfläche nicht wirklich. Holzbauer entwarf ein solides, im Grundriss elliptisches Türmchen mit auskragenden Glas-Erkern, das sich brav in die Kulisse der Uno-City-Türme einfügt. Mehr Mut zur Selbständigkeit bewiesen wenig später Coop Himmelblau mit einem skulpturalen, ebenfalls an der städtischen Ausfallachse nach Norden gelegenen Wohnturm. Mit seiner schräg verlaufenden Stahl-Glas-Konstruktion wirkt der Bau gestenreich. Doch ist er in der Ausführung ebenso banal wie seine Wohnungsgrundrisse. Was für die Hochhäuser von Holzbauer und Coop Himmelblau zutrifft, gilt auch für den im Stadtbild auffälligsten Turm - den «Millennium Tower» von Boris Podrecca und Gustav Peichl am Donauufer: Dieser ist aus der Ferne formal in Ordnung, im Grundriss allerdings problematisch. Denn auf zwei sich überschneidenden Kreisen - Carlo Scarpas Tomba Brion lässt grüssen - kann man kaum sinnvolle Büroräume einrichten.

Fast möchte man meinen, ein international renommierter Architekt habe den Wienern zeigen müssen, wie ein stimmiges Hochhaus zu planen sei. Der Italiener Massimiliano Fuksas hat 1995 für Grossinvestoren nahe der südlichen Ausfallachse Triesterstrasse zwei «Twin Tower» genannte Bürotürme entworfen, die elegant mit Wiens baukünstlerischen Attitüden und skulpturalen Ambitionen aufräumen. Die beiden 138 und 127 Meter hohen Baukörper über der trapezförmigen, zweigeschossigen Sockelzone mit Entrée und Entertainment-Center sind in ihrer materiellen Erscheinung auf ein Minimum reduziert. Aus der Untersicht betrachtet, verläuft die Stahl-Glas-Konstruktion mit ihrem orthogonalen Netzwerk ins Unendliche des Himmels. Die Büros selbst verwandeln sich aus dem Blickwinkel der Autofahrer in Vitrinen, lassen das Tageslicht zum Generator von Reflexionen, Schichtungen und Illusionen werden.

Mies van der Rohe, aber auch Italiens Futuristen hätten ihre Freude an diesem Doppelturm gehabt. Die im Winkel von 59 Grad zueinander stehenden Baukörper wachsen bei Annäherung und Entfernung zum geschlossenen Ganzen zusammen, um sich dann wieder - je nach Richtung und Distanz - in Einzeltürme aufzuteilen. Ein dreidimensionales Kaleidoskop wurde da am Wienerberg geschaffen, welches allein durch die räumliche Disposition unterschiedliche Bilder erzeugt. Dieser Effekt funktioniert bei jedem Wetter: Bei schlechtem Licht oder in der Nacht wird die Transparenz der Büroetagen aufgewogen durch das Patchwork der erleuchteten Büros. Die einzelnen Etagen sind zwar mit neutralen Spezialgläsern vor der Wärme geschützt, vor der Lichteinstrahlung allerdings nicht. Die Folgen einer solchen maximalen Transparenz lassen sich leicht vorhersagen.


Fensterrecht gegen Transparenz

Aus funktioneller Notwendigkeit und mentalem Schutzbedürfnis wird man die Fenster verkleben. Das ist zwar nicht im Sinn des Architekten, aber ein Fensterrecht hat hier eben jeder, und das nicht erst seit Friedensreich Hundertwasser. Die mögliche und wahrscheinliche Konterkarierung der planerischen Intention deutet indirekt an, was sich bei einer Betrachtung von Fuksas' Architektur unmittelbar aufdrängt: Ist der Meister ein Testamentsvollstrecker der Moderne? Die Frage lässt sich unterschiedlich beantworten. Fuksas reagiert in seltener Harmonie mit seiner Architektur auf den abstrakten, weil für anonyme Mieter bestimmten Raumbedarf der Investoren. Und diesen Bedarf hat schon Le Corbusier auf den Punkt gebracht, lange bevor sich Bürohaus-Developer darüber im Klaren waren. Mehr ist Fuksas zum zentralen Thema des Arbeitsplatzes nicht eingefallen. Er setzt auf die perfekte Formulierung dieses abstrakten, ökonomisch bedingten Raumerfordernisses. Die Flächen können, wie üblich, gemäss den Vorgaben des Rasters unterteilt werden, womit der Part des Architekten in diesem Planungsbereich endet.

Es hängt also von den Mietern ab, wie sie mit dem transparenten Gebilde umgehen. Fuksas und sein Team (Projektleitung: Ralf Bock) haben allerdings nicht nur die Wünsche der Investoren ausgeführt. Die durchlaufenden Betonpfeiler des Tragwerks strukturieren die vertikale Einheit der Bürotürme, der Geschäftslokale im Sockel und des unterirdischen Entertainment-Centers. Hier in der Sockelzone wird - im Gegensatz zu den Büroflächen - die Raumfolge in das Regelwerk des Rasters eingeschrieben, erfolgt der Befreiungsakt gegen das Prinzip des Orthogonalen. Hier ist Fuksas wieder, wie man ihn von früheren Bauten her kennt: gebärdenreich, expressiv, auf die Spannung zwischen den Raumelementen bedacht. In die zweigeschossige Sockelzone wurde symbolisch der «fliegende Teppich» eingezogen. Eine nahezu schwebende Zwischenebene für die Verbindung der Etagen und die Liftzugänge. Von hier aus öffnet sich der Blick über dreieckige Sichtfenster auf die Türme, in die Tiefe des Entertainment-Centers und auf die Umgebung. Einem Schnittmuster ähnlich sind die von Fuksas gebildeten Erschliessungsflächen, die in einem unruhigen Zusammenspiel von geschlossenen Wänden und Öffnungen gerade noch die Orientierung ermöglichen.


Eine neue Skyline

Wie unter einem Stroboskop blitzen die einzelnen Raumsituationen auf, suchend nach einer grösseren Ordnung, die Fuksas in seiner Unruhe letztlich entgleitet. Zur Ruhe kommt das Gelände neben dem «Twin Tower» in naher Zukunft ebenfalls nicht. Nach einem zum Schlechteren abgeänderten Bebauungsplan von Fuksas werden vier Wohnhochhäuser und niedrigere Geschossbauten im - verkehrstechnischen - Chaos der Wiener Südeinfahrt errichtet. Zusammen formen sie dann eine Skyline, die in ihrer Staffelung der Höhen an dieser Stadtkante eine «Welle» in den Himmel schreiben soll. Doch damit sind die Wiener Hochhausambitionen noch nicht erschöpft. In der City wurde gerade Hans Holleins «Media Tower» am Donaukanal mit der publikumswirksamen Schrägstellung der oberen Etagen vollendet (NZZ 10. 4. 01). Noch höher hinaus will das Versicherungsunternehmen Uniqa ebenfalls am Kanal. Heinz Neumann hat ein Gebäude entworfen, das sich spiralförmig über die Gründerzeitbauten hinaufwindet. «Vienna goes international» - nach den ersten tastenden Schritten in Sachen Hochhausbau entschloss sich die Stadtverwaltung sogar, den Abriss eines Altbaus, des Kaipalastes von Ignaz Reiser, am Donaukanal zu genehmigen (NZZ 21. 2. 01). Dieter Henke und Marta Schreieck konnten sich mit ihrem Projekt im geladenen Wettbewerb der Zürich-Kosmos-Versicherung durchsetzen.

10. April 2001 Neue Zürcher Zeitung

Ambivalente Architektur

Hans Holleins Media Tower in Wien

Wiens Zentrum liegt nicht an der Donau, sondern am Donaukanal, der die Grenze zwischen der Innenstadt und dem angrenzenden 2. Bezirk markiert. Diese Trennlinie der Quartiere ist nicht nur eine topographische; zwischen den beiden Bezirken verläuft auch eine soziale Schranke. Entsprechend war auch die Schauseite am Kanal von der Innenstadt hinüber zum 2. Bezirk von schlichten, nach dem Weltkrieg verunstalteten Gründerzeithäusern geprägt. Aber immerhin blieb eine durchgehend ruhige Bebauungshöhe eingehalten, die erst von den Verwaltungsbauten der sechziger und siebziger Jahre durchbrochen wurde.

Architekt Georg Lippert hatte 1959 mit dem Haus der Bundesländer-Versicherung ein zeitgeistiges, zart ausschwingendes Gebäude entworfen, das den Eingang zum 2. Bezirk markierte. Das stimmte noch bis vor kurzem. Denn zurzeit wird unmittelbar angrenzend an der Taborstrasse der neue Media Tower von Hans Hollein bezogen, der ziemlich rabiat mit dem alten Lippert-Bau konkurriert und ihn quasi als Dominante zu verdrängen sucht.

Hollein hatte den Auftrag für den Media Tower mit seinem gebärdenreichen Projekt schon 1994 in einem Wettbewerb, an dem auch Jean Nouvel, Adolf Krischanitz und Heinz Neumann beteiligt waren, für sich entscheiden können. Die Intention Holleins, mit der vorgegebenen Höhenlinie zu brechen, wurde vom Auftraggeber, der Generali-Versicherung, und von der Stadtverwaltung honoriert. Österreichs Stararchitekt placierte auf dem schmalen Grundstück zwei unterschiedlich hohe Türme, wobei der höhere ausserdem um drei Grad aus der Vertikalen geschwenkt wurde. Diese minimale Abweichung, dieses Auskragen verleiht dem Turm mit seiner hermetisch abschliessenden Spiegelverglasung und dem Info-Screen eine Signifikanz, die mehr als nur eine vordergründige Assoziation mit Pisa erweckt. Die konstruktiv aufwendige Schräglage verleiht dem 80 Meter hohen Turm aus der frontalen Sicht von der Innenstadt her das Flair des Solitären. Die künstlerisch generierte Abweichung vom Orthogonalen in der Grossform, welche als subjektiver Gestus für den urbanen Kontext überzeugt, findet sich konsequent geplant immer wieder im gesamten Objekt.

Das Ausgreifen in den Raum, um die zweidimensionale Stadtansicht des Gebäudes in eine mehrschichtige Ecklösung zu verwandeln, wird von der in den oberen Etagen angehängten Box eines Besprechungsraumes unterstützt. Zu ebener Erde wiederholt die Kleinform der mehrgeschossigen Stahl-Glas-Konstruktion wie eine transparente Plakatwand die Idee von der Konstitution einer neuen Ecksituation am Eingang zum 2. Bezirk. Allerdings ereignet sich gerade in der Eingangssituation des Guten zu viel. Das Entrée selbst mutiert letztlich zum kleinen Hinterbühneneingang vor der grossen Inszenierung des Meisters. Holleins Solitär aus zwei Türmen - ein Widerspruch nur im Sprachlichen - basiert in seiner skulpturalen Konfiguration auf der Vorstellung vom Schürfen oder Graben aus dem übergeordneten Volumen, um einen ambivalenten Raum zu schaffen. Während der höhere Turm als Landmark für alle Sichtachsen der Stadt verantwortlich ist, erweist Hollein mit dem um 24 Meter niedrigeren Baukörper seine Reverenz gegenüber der Innenstadt, die zusätzlich durch die aufgesetzte Kleinarchitektur eines Konferenzsaales akzentuiert wird.

Diese Dualität aus Skulpturalem und Orthogonalem setzt sich innen fort. Im kleineren, orthogonal angelegten Turm löst Hollein die sture Stapelung von Etagen auf. Eine mehrgeschossige Halle mit ihren schrägen Betonsäulen und gekurvten Decken bringt Spannung und auch die für Hollein charakteristische Atmosphäre des Höhlenartigen in einen sogenannten Zweckbau ein, der sich in Sachen Büroorganisation nicht wesentlich von simpleren Bauten unterscheidet. Hollein versucht eben mit den Möglichkeiten der Architektur, Wahrnehmungen zu verändern, Abläufe zu irritieren und sich mit utilitaristischen Arbeitskonzepten zu konfrontieren. Auch im höheren Turm möchte er dieses Ziel erreichen. Dort ist selbst im Inneren die minimale Schrägstellung der Betonstützen erlebbar. Sie verschieben das plane Rahmenwerk für die wohl beste Aussicht auf Wien um eine Nuance, damit die plane Frontalität der Betrachtung auch von den Benutzern hinterfragt wird. Das Experiment Holleins mit der dreidimensionalen Wahrnehmung hat sich insgesamt für Wien gelohnt. In ihrer Komplexität demonstrieren die beiden Türme, was mit dieser Architektur in der Stadt erreicht werden kann, wenn der Auftraggeber bereit ist, auch entsprechende Budgets aufzubringen.

2. Februar 2001 Neue Zürcher Zeitung

Kristalliner Käfig für Kiefern

Ein Supermarkt von Dominique Perrault in Tirol

Das österreichische Bundesland Tirol ist für Dominique Perrault, den Architekten der viel diskutierten Bibliothèque nationale de France in Paris, so etwas wie ein Reduit. Hier hat er an Kitzbühels Bewerbung für die Olympischen Spiele mitgearbeitet, hier hat er den Wettbewerb um die Erweiterung des Innsbrucker Rathauses gewonnen - und die Aussichten auf eine Realisierung sind trotz dem eher trüben Kulturklima der Landeshauptstadt (erinnert sei an Zaha Hadids Probleme mit der Bergisel-Sprungschanze) gut. Noch besser für Perrault ist, dass im Dezember 2000 sein Supermarkt für die Firma «M-Preis» in der Unterinntaler Industriegemeinde Wattens nach nur 19 Wochen Bauzeit fertiggestellt werden konnte. Und zwar an einer urbanistisch nicht ganz einfachen Stelle: direkt gegenüber André Hellers Kristallwelten-Spektakel, der Ortsausfahrt und dem Übergang zur Agrarlandschaft.

Perraults Antwort auf diese Situation ist getragen von grosser Gelassenheit, er reagiert mit einem Solitär und erreicht dennoch die Einbindung seines Baukörpers in diese periphere Lage. Eine orthogonale Struktur, die dem Bautypus entgegenkommt, bildet die ruhige Basis für eine architektonische Geste, die gezielt den Rahmen der kommerziellen Nutzung relativiert. In den Raster des Gebäudes ist nämlich ein gewelltes Gerüst aus vertikalen Stahlträgern und Drähten eingeschrieben, die gleichsam wie ein Zaun neun Kiefern umfassen. Eine solche Einfriedung fällt ins Auge, macht aufmerksam. Aber sie verweist auf mehr: Zum einen bringen die hochalpinen Gewächse die Natur wieder symbolisch ins Tal herunter, zum anderen instrumentieren sie die visuelle Aufhebung der Grenzen zwischen innen und aussen. Diesem Implantieren eines biologisch generierten Artefakts eignet allerdings auch ein Widerspruch, ein Widerspruch, der sich in der Beziehung zwischen der Natur und ihrer zivilisatorischen Aneignung wieder findet: unmittelbar an Ort und Stelle nachvollziehbar und vom Architekten in seinem Mikrokosmos ästhetisiert.

Perraults «Käfig für Kiefern» schwingt aus, zieht sich zurück, erinnert ein wenig an das biomorphe Design der fünfziger Jahre, schafft Raum und antwortet ebenso irritierend wie formal überzeugend der orthogonalen Struktur der Verkaufshalle. Der französische Architekt äusserte selbst, dass er in Wattens «einen Kristall» bauen wollte. Dazu ist die Zeit günstig, denn die Industrie liefert dafür die geeigneten Mittel. So sind in die schmalen Profile der Metallrahmen Glasflächen mit transparenter Wärmedämmung eingefügt. Die wohlproportionierten Fassaden schimmern opak, grünlich bis weiss - je nach Witterung - und erzeugen den beabsichtigten, trendigen Entmaterialisierungseffekt. Das Spiel mit der Irritation setzt Perrault im Inneren fort. Hier ist nichts mehr vom Zarten, vom Transparenten zu spüren. Kräftige silberfarbige Fachwerkträger gliedern die 800 Quadratmeter grosse Halle, den Plafond bilden OSB-Platten mit ihren überlappenden, hellen Holzschichten, während der Boden aus schwarzen Platten den entsprechenden Kontrast liefert.

Die Halle leistet jedoch mehr, als nur den neusten Stand der Ingenieurskunst zu präsentieren. Perrault inszeniert mit einfachen Mitteln eine Abfolge im Räumlichen, die innerhalb der vorgegebenen Struktur funktioniert. Der Architekt hat nämlich die äusseren Regale parallel zu den Schmalseiten des Gebäudes positioniert, während zum Mittelpunkt hin die Verkaufsstände den beiden Längsseiten folgen. Auf diese Weise entsteht ein für Benutzer sinnvoller Kreislauf ohne Sackgassen, überschaubar, logisch und mit Blick nach aussen. Perrault bricht in Wattens mit dem vorherrschenden Typus der schlecht beleuchteten Black Boxes üblicher Verkaufslokalitäten, er inszeniert unterschiedliche Raumerlebnisse und muss dabei nicht auf die dubiosen Mittel des Event-Marketings zurückgreifen. Die Architektur allein reicht aus, um eine Bauaufgabe wieder aufzuwerten, die landläufig zur Unwirtlichkeit vorab der kleineren Gemeinden beiträgt.

6. Juli 2000 Der Standard
31. Mai 2000 Der Standard

Publikationen

2009

Baumschlager Eberle Annäherungen | Approaches

Mit über 300 realisierten Bauten zählt Baumschlager Eberle heute zu den besonders erfolgreichen Architekturbüros im internationalen Rahmen. Die hohe Akzeptanz von Baumschlager Eberle resultiert aus dem Konzept, die Wünsche der Nutzer, den unmittelbaren Gebrauchswert und kulturelle Nachhaltigkeit zu verbinden.
Hrsg: Gert Walden
Verlag: SpringerWienNewYork