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Profil

Architekturstudium an der TU Graz
Mitarbeit in Architekturbüros in Wien und Graz (Hermann Czech, Alfred Bramberger, Manfred Wolff-Plottegg und Heinz Wondra)
1990 Ziviltechnikerprüfung
Seit 1992 Architekturpublizistin in in- und ausländischen Fachzeitschriften, seit Herbst 2000 auch für das Presse Spectrum
1997 Hochschulkursus für Kulturjournalismus und kulturelle Öffentlichkeitsarbeit am ICCM in Salzburg.
1997 – 1998 Öffentlichkeitsarbeit für die Sektion Architekten der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten.
2001 – 2004 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt
2004 – 2009 Inhaltliche Redaktion von www.gat.st
2008 Gründung von architektouren-graz/ljubljana

Lehrtätigkeit

Seit 1996/97 in loser Folge Lehraufträge an der TU Graz, z.B. Grundlagen der Gestaltung, Architekturkritik und Ausgewählte Kapitel Architekturtheorie

Mitgliedschaften

Mitglied von Guiding architects

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Artikel

20. August 2021 Spectrum

Wo die Jungen daheim sind

Kann gute Architektur soziale Wirksamkeit entfalten? Das Jugendzentrum Echo im Norden von Graz macht deutlich, mit welchen gestaltenden Ideen und welchem Anspruch an Qualität dies möglich wird.

Architekturkritik scheint aus der Mode gekommen zu sein. Man könnte konstatieren, dass an ihre Stelle die Architekturberichterstattung getreten ist, selbst in einschlägigen Fachmedien, die ihre Beiträge an eine geschulte Leserschaft richten und im Gegensatz zu den Tageszeitungen kaum die Aufgabe der Architekturvermittlung wahrnehmen müssten. Information über das aktuelle Geschehen in Architektur und Stadtentwicklung – ja. Doch könnte oder sollte es nicht genauer und differenzierter, wie durch ein Brennglas, betrachtet werden, um als konstruktive Kritik im Sinne der aus dem Griechischen kommenden Wortbedeutung von Wert sein zu können?

Ich sage es gleich: Mein Ehrgeiz ist nicht, Neuigkeiten mitzuteilen, auch wenn ich mich eher dem Feld der Architekturvermittlung verpflichtet fühle. „Wohlwollende Architekturkritik“ war sie für Walter Zschokke, den viel zu früh verstorbenen Kollegen, der mich vor mehr als 20 Jahren ins Schreiben über Architektur für das „Spectrum“ eingeführt hat. Mein Ansinnen ist, eine Art des Betrachtens zu üben, die eingehender ist, die länger andauert und den Blick auch einmal von der Seite oder aus dem „Off“ auf den Gegenstand der Betrachtung wirft.

Drei Jahre sind vergangen, seit das Jugendzentrum Echo in Graz eröffnet wurde. In der Stadt gibt es ein Dutzend Einrichtungen für offene Jugendarbeit, die ein Beitrag zu gesellschaftlicher Teilhabe und Integration sein soll. Zwei davon wurden in den vergangenen Jahren neu errichtet – durch inhaltliche und budgetäre Vorgaben sorgfältig vorbereitet durch die Abteilung GBG – Grazer Gebäude- und Baumanagement, die dafür einen geladenen Architekturwettbewerb ausgeschrieben hatte. Ihr obliegen alle Bauvorhaben der Stadt Graz.

Bei meinem Erstbesuch traf man viele Fachleute, die jeden Winkel inspizierten, doch kaum Jugendliche. Gut kommuniziert wird, wofür das neue Jugendzentrum als niederschwellige Einrichtung für die Freizeit stehen sollte: als Ort der Begleitung in Selbstständigkeit und Mündigkeit, als Ort für den Erwerb von Bildungsinhalten, die für alltägliche Handlungs- und Sozialkompetenzen wichtig sind. Zur Unterstützung und Anregung, um das eigene Entdecken von Ressourcen und Potenzialen zu fördern. Letztlich steht es auch für ein zweites Zuhause, besonders für bildungs- und sozial benachteiligte Jugendliche, die beengten Wohnverhältnissen entfliehen können.

Ich wollte wiederkommen und das Haus, das mich bei der ersten Begegnung neugierig gemacht hatte, in Betrieb erleben. Ich wollte sehen, ob mein fachliches Sensorium, meine Interpretation von Städtebau und Architektur – von Struktur und Raumangebot, Nutzungsqualität und Atmosphäre – in eine Übereinstimmung gebracht werden kann mit den postulierten Zielen der Arbeit mit Jugendlichen. Ob soziale Themen mit Architektur gelöst werden können, ist eine immer aktuelle Frage. Betrachtet man die Architekturgeschichte, so ist sie zu verneinen – was nicht heißt, dass die Architektur nicht Lösungen anbieten kann. Architektur mit Engagement kann im Einzelfall als „sozialer Raum“ wirksam werden.

Diese Erkenntnis gilt für das Jugendzentrum Echo, ein Entwurf von Pürstl Langmaier Architekten, in erfreulicher Weise. Die beiden haben es meisterlich verstanden, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und gemeinsamem Tun wie nach Rückzug – unter sich sein und Ruhe finden – gleichermaßen gut räumlich zu verorten und verteilen.

Es beginnt mit der Lage des Gebäudes, in der Mitte eines idyllisch gelegenen Wiesenstücks, zwischen einer steilen Böschung und dem kleinen Wasserlauf des Mühlgangs an der Leuzenhofgasse, gerahmt von altem Baumbestand. Schon die Annäherung von der Wienerstraße ist niederschwellig, kann langsam erfolgen. Zwischen dem Hauptbau und einem kleineren, dem Zugang näheren Baukörper, der die Werkstatt und ein Lager birgt, wird ein großer überdachter und befestigter Vorbereich aufgespannt. Hier kann Tischtennis gespielt, Rad gefahren oder gebastelt werden, und von hier geht es auf die freien Wiesenflächen, die als Bewegungs- und Sportplatz oder Pflanzbereich in Hochbeeten genützt werden. Das Haupthaus ist bis auf wenige abschließbare Räume gut zu überblicken. Sein Kern ist ein lang gestreckter, großer Gruppenraum, der durch Theke und Küchenzeile, durch von den Jugendlichen zusammengebaute Sitzmöbel und einen Fußballtisch in Zonen unterschiedlicher Aktivitäten geteilt wird.

An diesen zentralen Aufenthaltsbereich docken die Architekten unregelmäßig drei Kuben mit niedrigerer Raumhöhe an, die nach innen mit Glasfronten abschließbar sind und damit Rückzugsbereiche für Einzelarbeit, Indoorsport oder Lernen bilden. Die Vorgabe der Einsehbarkeit zu Innen- und Außenbereichen wird auch mit großen Fensterelementen zwischen den Kuben erfüllt. Abgeschlossen, auch akustisch, sind ein Musikproberaum und das Büro. Ein Bereich für Mädchen, die hier wie in den meisten Jugendzentren eine Minderheit bilden, ist bei Bedarf abtrennbar. 2019 war der Anteil der Mädchen gegenüber Vorjahren und dem Vorgängerhaus bereits erfreulich gestiegen, wie sich überhaupt die Anzahl der jugendlichen Besucher von zwölf bis 19 und die Summe der Kontakte fast verdoppelt hatten. Der Kontakt zu vielen blieb auch in der Pandemie, bei geschlossenem Zentrum, aufrecht. Das macht deutlich, wie wichtig besonders für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund in engen Wohnungen das Zentrum als Treffpunkt und erweiterter „Wohnraum“ ist.

Wohnatmosphäre, ganz ohne unnötiges Möbelhaus-Chichi, verbreitet auch der Werkstoff Holz, der von den Architekten dominant eingesetzt wurde – konstruktiv als Holzmassivbau und mit den Oberflächen der Brettsperrholzplatten in allen Räumen, die unbehandelt blieben. Dass die Burschen und Mädchen zur Mitgestaltung der Innenräume ermuntert wurden und die Theke ein Gemeinschaftswerk ist, schaffte, wie man an den steigenden Zahlen von aktiv Teilhabenden sehen kann, Identifikation und Verbundenheit mit dem Haus. Mehrmals im Jahr an Samstagnachmittagen ist das Zentrum als Repair-Café für alle geöffnet. Bald wieder! Eine Ermunterung, selbst zu sehen und zu spüren, dass gute Architektur auch soziale Wirksamkeit entfalten kann.

4. August 2021 Spectrum

Geborgen im Kindergarten – so baut man in Zeiten des Klimawandels

Nahe Graz und damit weit entfernt von der eigentlichen Stätte ihres kreativen Wirkens, konnte das Architekturbüro Berktold Weber einen Kindergarten verwirklichen, der viel über Vorarlberger Erfahrung im Umgang mit Holz verrät.

Stärker und nachhaltiger als alles andere – als die Konjunkturlage oder hohe Preise für Grundstücke und Baukosten – werden der Klimawandel und die Pandemie für künftiges Baugeschehen bestimmend sein. Schon jetzt berichtet die Immobilienbranche, dass ein Trend zum Wohnen im nahen Umfeld der Städte bemerkbar ist, wo man das Ländliche, Landschaft und Grün, noch zu finden hofft. Balkone und Terrassen gelten als Basics, will man Wohnungen gut verkaufen. Für Schulen wird der Einbau von Anlagen zum Luftaustausch diskutiert, und neugebaute Lernorte wie der Schulcampus in Neustift im Stubaital von fasch&fuchs.architekten, die eine enge Verschränkung von Innen- und Außenraum bieten, haben bei allen Qualitätsbewertungen in Fachkreisen „die Nase vorn“. Dass Häuser energieeffizient geplant sein müssen, also Energiekosten und Kosten für den Betrieb über die gesamte Lebensdauer von Gebäuden mitberechnet werden, ist heute „State of the Art“.

Das Erfreuliche: Mehr und mehr österreichische Kommunen machen Themen wie sparsamen Verbrauch von Boden, von Ressourcen aller Art und Nachhaltigkeit zum programmatischen Teil von Entwicklungskonzepten. Die Marktgemeinde Lannach, rund zwanzig Kilometer südwestlich von Graz, zählt dazu. Nach dem gelungenen Neubau eines Gemeindezentrums setzt man den Weg mit Qualitätsarchitektur fort. 2017, als mehr Kindergarten- und erstmals Kinderkrippenplätze nachgefragt wurden, schrieb man einen geladenen Architekturwettbewerb aus, den das in Vorarlberg ansässige Architekturbüro Berktold Weber gewinnen konnte.

Das neue Gebäude liegt am Rand einer sehr großen, leicht abschüssigen Wiese, die als Erholungsbereich der nahe gelegenen Volksschule und eines kleinen Kindergartens dient. Der räumliche Zusammenhang war erwünscht, auch wenn der Zugang zum neuen Kindergarten mit Kinderkrippe über eine andere Straße erfolgen sollte.

Es gibt Räume, in denen man sich von Anfang an gut aufgehoben und geborgen fühlt, ohne dass einem bewusst ist, was diese Empfindung auslöst. Das Material Holz und besonders Oberflächen in Holz tragen dazu bei, eine Atmosphäre des Wohlfühlens zu schaffen. Helena Weber und Philipp Berktold konzipierten den konstruktiven Aufbau mit Holz als Wunschmaterial der Gemeinde unter „Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten“ – so, wie es im Ausschreibungstext verlangt wurde. Massive Veränderungen des Geländes wie Aufschüttungen wurden vermieden. Alle erdberührenden Teile am Hang einschließlich der Bodenplatte sind aus Beton und bilden eine Art Sockel, der von der Zugangsseite als solcher erkennbar ist und die Erschließung und die Nebenräume enthält. Die Hauptebene mit den Aufenthaltsräumen liegt darüber an der großen Wiese. Ihre Außenwände sind hochwärmegedämmte Holzrahmen mit Stahlstützen als Verstärkung, um bei Bedarf später ohne hohe Mehrkosten den Kindergarten durch Aufstocken erweitern zu können. Auf die Gruppenräume des Kindergartens können so in kurzer Zeit, sogar bei laufendem Betrieb, zwei weitere Einheiten aufgesetzt werden. Das ist klug gedacht und geplant, denn die gut erschlossenen Orte südlich von Graz wurden, gerade jetzt, zum stark nachgefragten Lebensmittelpunkt.

In der derzeitigen Ausbaustufe sind die Räumlichkeiten von Kindergarten und Krippe L-förmig um einen Spielhof angegliedert, der wie ein geschützter Innenhof wirkt, weil er seine Grenzen zur großen Wiese durch zarte Stützen und ein umlaufendes Band in Holz andeutet. Als Zwischenzone zum Spielplatz fungiert eine Terrasse, die durch einen weiten Dachüberstand geschützt wird. So kann der Außenraum das ganze Jahr über als Erweiterung genützt werden, als Plein-Air-Lern- und Spielort, der im Sommer mit Tischen bestückt ist und im Winter dem Bewegungsdrang der Kleinen entgegenkommt.

Das Hauptgeschoß wirkt als singulärer Körper, sodass der Kindergarten auch von der Zufahrt her nicht als zweigeschoßig wahrgenommen wird. Es dominiert das Obergeschoß, das zugleich leicht und kompakt auf einem Sockel sitzt, der sich in jeder Hinsicht zurücknimmt. Zum Spielhof hin dominieren raumhohe Glasfronten, die das Innere mit dem Außenraum fast verschmelzen lassen und optimalen Luftaustausch ermöglichen. An drei Außenseiten der Hauptebene schließt ein Balkon an, der durch ein Geländer aus Glas begrenzt wird – Blickfreiheit, abwechselnd mit Holzlamellen, die, gezielt gesetzt, eine Art zweite Haut bilden. Sie erzeugen wechselnde, lebendige Lichtstimmungen. Die abgestuft gegliederte, feine Holzfassade wirkt wie ein Vorhang vor der Fassade. Für die Architekten soll diese „Neststruktur“ Geborgenheit vermitteln.

In den Gruppenräumen sind Gruppendynamik, Zuschauen vom Rand aus oder auch Rückzug individuell möglich. Für die Kleinsten gibt es einen Aufenthaltsraum mit definierten Spielecken und Kletterlandschaft, den Schlafraum und den Bereich mit großem Esstisch und kleiner Küche, der als offen zugängliche Zone für alle mit Blick in den Garten geplant wurde.

Schön, dass die Architektin und der Architekt auch mit ihren Ideen zur Möblierung überzeugen. Das große, multifunktionale Einbaumöbel mit Galerie in den Gruppenräumen, die kleinen dreidimensionalen Landschaften zum Klettern und nahezu alle Möbel tragen ihre Handschrift. Was dadurch entstehen konnte, ist ein atmosphärisches Ganzes, sind freundlich-helle Räume zum Wohlfühlen, eingebettet in Weißtanne an den Wänden, in eine schallabsorbierende Holzakustikdecke und ein dezentes Farbkonzept für Raumteiler und Regalflächen.

Was der Gesamteindruck auch deutlich macht: Es bedarf hoher Kunstfertigkeit, jedes noch so kleine Detail mit großem Können und Wissen um seine Wirkung zu planen und dabei nicht das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Großzügigkeit und spürbare Wertschätzung, nicht nur für das Material Holz, sondern auch für die Arbeit der Pädagoginnen, prägen die Atmosphäre in diesem Gebäude. Das ist besonders beachtenswert, weil hier nicht nur Vorarlberger Sorgfalt und Präzision ihren Ausdruck finden, sondern auch die offensichtlich gelungene Zusammenarbeit mit regionalen Gewerbe- und Handwerksbetrieben vom Zimmerer bis zum Fenster- und Möbelbauer.

20. Juli 2021 Spectrum

Wie viel Grün darf bleiben?

In Graz und Umgebung gewinnt man derzeit den Eindruck, dass schier alles, was an Grund und Boden noch zu haben ist, mit Wohnungen verbaut wird, ohne dass die Stadt regulierend eingreift.

Baukräne, Schwerverkehr und Baustellenlärm – wo immer man derzeit Graz durchquert, ist zu sehen, dass selbst die Pandemie dem Bauboom in der zweitgrößten Stadt Österreichs nichts anhaben konnte. Das ist einfach zu erklären, befanden sich die derzeit überall in die Höhe wachsenden neuen Quartiere, Siedlungen und Wohnblöcke doch schon vor 2020 im Status von Planung und Genehmigungsverfahren. Nicht einleuchtend hingegen ist die Tatsache, dass sich von Jänner 2016 bis Jänner 2021 bei einem Bevölkerungszuwachs von 16.098 Personen eine Steigerung der Wohnungsanzahl um 26.322 feststellen lässt. Rund 331.000 in Graz Gemeldeten stehen derzeit mehr als 202.000 Wohnungen gegenüber. Schon 2017 wurde im Wohnbericht der Stadt Graz der Leerstand von Wohnungen, den man anhand des nicht vorhandenen Stromverbrauchs auch exakt feststellen könnte, mit 6000 bis 7000 geschätzt.

Nun liegt mir ferne, die Leser mit trockenen Zahlen und Statistiken zu langweilen, aber einige geben uns einen Ausblick auf die zu erwartende Entwicklung von Graz – etwa jene, die einer detaillierte Aufstellung eines Vereins zu entnehmen ist, der sich „Unverwechselbares Graz“ nennt. Die zivilgesellschaftliche Initiative, der ein ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamts ebenso angehört wie Soziologen und Lehrende der FH, macht sich stark für eine sensible, restriktivere Steuerung der Stadtplanung, um identitätsstiftende Charakteristika von Straßenzügen und Stadtvierteln erhalten zu können. In ihrer Recherche fand die Gruppe heraus, dass der vorgenannten Zahl von mehr als 200.000 Wohnungen noch rund 15.000 hinzugefügt werden müssen, die derzeit „in der Pipeline sind“. Mit klingenden Bezeichnungen wie „Wohntraum“ werden diese von Bauträgern bereits beworben, scheinen aber in der Statistik, die im vorigen Jahr nur einen Bevölkerungszuwachs von 203 Personen ausweist, noch nicht auf.

Es gibt also keinerlei Korrelation zwischen dem Wohnungsbedarf in Graz und den seit 2016 geplanten Wohnungen. Was überwiegend gebaut wird, ist ein Angebot an Anleger, das aufseiten der Bauträger offen als solches beworben wird. Euphemistisch werden sie „Vorsorgewohnungen“ genannt. Diesen Umstand zeigt auch die Gesamtzahl der geförderten Mietwohnungen, die in den fünf Jahren für die gesamte Steiermark bei 5000 liegt. Man könnte anmerken, dass, wer keine Zinsen erhält für sein Erspartes, doch frei sein muss in der Entscheidung, welche Geldanlage er wählt. Dass der freie Markt regelt, ob das Investment in eine Wohnung gewinnbringend sein wird oder nicht, weil der Markt gesättigt ist.

Das gilt nicht, wenn es um Stadtentwicklung und Stadtraumordnung geht. Stadtplanung hat vorausschauend tätig zu sein und Rahmenbedingungen für eine geregelte Entwicklung vorzugeben, die dem Wohl und den Grundbedürfnissen aller Bürger Rechnung trägt und nicht nur den Partikularinteressen Einzelner, die „naturgemäß“ dort bauen wollen, wo sich mit Grundstückskauf und Baukosten noch satte Gewinne ausgehen. Als Geschäftsmodell ist dies nachvollziehbar, kann jedoch nicht die Basis für weitreichende Entscheidungen sein – für das Wo, Wie, in welchem Ausmaß und welchem Tempo sich eine Stadt entwickelt.

Verdichtung ist die Devise im aktuellen Stadtentwicklungsprogramm. Gebaut werden soll nur dort, wo Infrastruktur, Erschließung und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr gegeben ist. Schaut man sich das jetzige Wohnangebot an, so findet man sowohl Bauträgerwettbewerbe nach dem „Grazer Modell“ für Quartiere am Stadtrand, die ohne öffentliche Anbindung an Bus oder Straßenbahn im Takt genehmigt wurden, wie auch Beispiele von massiver Verdichtung im Villenviertel, das unzureichend erschlossen ist. Die Problematik solch ungezügelten Baubooms liegt jedoch nicht in einzelnen „Ausreißern“, sondern in der Tatsache, dass er generell den großen Herausforderungen einer modernen Stadtplanung nicht genügt. Die müsste durch gezielte Maßnahmen Quartiersbildung fördern. Stichworte: Durchmischung von Arbeit, Wohnen und Dienstleistungen mit öffentlichen Einrichtungen und Stadtäumen sowie eine Vielfalt von Bewohnergruppen in jedem Stadtteil. Bei einem zu großen Anteil an derzeit gefragten Mikrowohnungen sind häufiger Mietwechsel und Leerstand vorprogrammiert. So können Wohnanlagen dieser Art auch zu sozialen Problemfeldern werden. Was dann?

Sollte in einer Zeit von Klimaveränderung und drohenden Klimakatastrophen nicht die bauliche Entwicklung des urbanen Raums dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und so gering wie möglich gehalten werden? Seit Jahren appelliert selbst die Hagelversicherung, die enorme tägliche Versiegelung von Boden in Österreich zu stoppen. In Graz werden hochpreisige Angebote mit zweistelliger Wohnungszahl und entsprechender Menge an Autoabstellflächen an die Stelle von Einfamilienhäusern mit Gartengrund gesetzt. Immer noch ist Kahlschlag von altem Baum- und Strauchbestand zu beobachten, der nur unzureichend durch Neupflanzungen ersetzt wird. Bauträger haben nach wie vor das Recht, den als Maximum festgelegten Wert der im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Bebauungsdichte auszunützen, und tun das auch.

All das trägt dazu bei, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs mit 34,1 Prozent in Graz erschreckend hoch ist und noch zunehmen wird. Konzepte für eine bessere Versorgung mit öffentlichem Verkehr sind also gefragt – auch um die riesige Menge der individuell anreisenden Pendler zu stoppen. Und es gibt sie: mehrere Verkehrskonzepte, präsentiert von den regierenden Stadtparteien, von der Opposition, der zuständigen Verkehrsstadträtin, von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen wie „Move it“, die sich fürs Radfahren einsetzen, und sogar von einzelnen, unbezahlt arbeitenden Architekten und Stadtplanern, denen die Stadt am Herzen liegt.

Problematisch sieht eine Gruppe Architekten um Stoiser Wallmüller, die gerade eine Verkehrsanalyse für Graz vorgestellt hat, die Tatsache, dass die aktuellen Mobilitätskonzepte unabhängig voneinander und nicht auf Basis einheitlicher Grundlagen erstellt wurden. Forcierte Modelle wie die Minimetro der Stadtregierung, S-Bahn oder die Straßenbahn können so kaum vergleichend untersucht und evaluiert werden. Dass ein Gutteil von Modellen und Studien zur Entwicklung der Stadt nicht von Abteilungen der Stadtverwaltung beauftragt wurde, die für die Stadtentwicklung arbeiten, kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Die Bürger wollen ein Mitspracherecht für ihren Lebensmittelpunkt haben. Dieses Grundrecht einer aufgeklärten Gesellschaft entlässt die Stadtregierung und Stadtplanung allerdings nicht aus der Verpflichtung, die Stadt für alle gedeihlich zu entwickeln.

28. April 2021 Spectrum

Bauen um jeden Preis?

Resorts, Chalets, Lodges: Große Bauprojekte als lukrative Investments sollen der Südsteirischen Weinstraße einen touristischen Höhenflug bereiten. Doch der Bauboom in der geschützten Kulturlandschaft ist umstritten.

Mitte April im Südsteirischen Weinland. Es ist ein grauer, ungewöhnlich kalter Tag, von den frisch verschneiten Nordhängen des Pachern bläst eisiger Wind. Ich fahre von Ehrenhausen, dem „Tor“ zur Weinstraße, einem historischen Kleinod, auf die Hügel und Höhen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig zur touristischen Destination entwickelten. Ich will mir ein Bild machen von dem, was ich kürzlich mit ungläubigem Staunen der Zeitung entnommen hatte.

Berichtet wurde, dass Dutzende millionenschwerer Projekte in Planung und schon in Bau seien, da im vorigen Jahr die Region bis in den Spätherbst regelrecht gestürmt worden sei von Gästen. Vom Wirtschaftstreuhänder aus Bayern war die Rede, der schon seit Jahren aufkauft, was im „letzten Schlaraffenland Europas“ an Gaststätten, Beherbergungsbetrieben und Rebflächen zu haben ist. Von einer Rebenhof Living GmbH, die ein „Zuhause in der wunderschönen Südsteiermark am höchsten Punkt der Südsteirischen Weinstraße“ in 74 Chalets und Appartements bewirbt – offensichtlich ein Angebot für Zweitwohnsitze. Und vom Grazer Industriellen mit einem Faible für zeitgenössische Architektur, der den bekannten ehemaligen Buschenschank auf dem Jägerberg kaufte, um dort ein feines Seminarhotel mit Feinschmecker-Restaurant zu „entwickeln“.

Seit 1992 trägt das Südsteirische Weinland das Prädikat Naturpark. Es gibt ein überörtliches Entwicklungsprogramm für die Region, in dem als oberste Prämisse die Erhaltung der typischen Kulturlandschaft als Lebensraum für Bewohner und Gäste festgeschrieben ist. Ulrike Elsneg zeigt in ihrer Masterarbeit „Kulturlandschaftsdynamik in der Südsteiermark“ eindrücklich auf, dass schon seit Jahrzehnten strukturelle Kleinteiligkeit und Vielfalt – das Neben- und Miteinander von kleinen Streusiedlungen und einzelnen Hofstellen zwischen Weingärten mit Rainbegrenzungen, Streuobstwiesen, Ackerflächen und Laubwaldstücken – zurückgehen. Die geplanten Investments, eine massive Zunahme an Bauland und Bausubstanz, werden diese Entwicklung rasant beschleunigen. Noch ist die Wirkmächtigkeit des Landschaftsbildes mit seiner charakteristischen Prägung gegeben und vermag jene Anziehungskraft auszuüben, für die man sich mit Großinvestitionen rüsten will.

Fragt man bei kritischen Geistern nach, so fällt immer wieder ein Begriff: Baulandausweisung als „Erholungsgebiet“ – in genauer Definition die Umwidmung von Freiland in Bauland für touristische Zwecke. Eine solche kann im Zuge einer Revision des Flächenwidmungsplans mit Zweidrittelmehrheit durch den Gemeinderat erfolgen. Und sie erfolgt anlassbezogen, so die Kritiker, auf Zuruf und in unterwürfiger Ehrerbietung. Sie müsste viel strenger ausgelegt werden. In der gesetzlichen Verordnung, die 2009 in das Steirische Raumordnungsgesetz eingebracht wurde, finden sich für das Erholungsgebiet höchst unverbindliche Festlegungen wie: „Im Interesse der Erhaltung ihres Charakters können Flächen bezeichnet werden, die nicht bebaut werden dürfen.“ Halt! Können und nicht: müssen? Voraussetzung für von der Gemeinde vorgenommene Baulandausweisungen ist, dass ein Örtliches Entwicklungskonzept vorliegt. Üblicherweise wird damit der Raumplaner der Gemeinde beauftragt. Doch kann dieser seine Aufgabe unabhängig wahrnehmen, will er der örtliche Raumplaner bleiben?

Natürlich wird jedes Konzept auf Basis der Gesetze erstellt und enthält Prämissen wie die „Erhaltung bzw. Verbesserung des regionalspezifischen Landschaftsbildes und der landschaftsraumtypischen Strukturelemente“ und Einschränkungen der Nutzung durch naturräumliche Gegebenheiten, etwa die Topografie. Im ÖEK Gamlitz sind die Beibehaltung der landschaftlichen Gliederung durch das Freihalten von unbebauten Höhenlagen und exponierten Lagen vor weiterer Verbauung sowie die Einbettung von Neubauten in Hanglage festgeschrieben. An Baugenehmigungen für Resorts und Anlagen für Chalets zeigt sich jedoch, dass die Baulandausweisung für touristische Nutzung großen Spielraum für Interpretationen zulässt. Zu großen, finden Kritiker.

Ich fahre weiter, die schmalen Straßen entlang, die an diesem unwirtlichen Tag menschenleer bleiben. Nicht nur einsetzender Eisregen hindert mich daran, ein kleines Gebilde aus Holz und viel Glas näher anzusehen. Es scheint das Musterhäuschen einer Reihe neuer „Lodges“ zu sein, wie ich später auf der Website des Betreibers lese – „Panoramatherapie“ eingeschlossen, Einbettung in die Blumenwiese nur behauptet. Nicht weit danach muss ich einbremsen. Ein Steilhang mit exakt gezogenen Rebzeilen tut sich auf, wie ich ihn im Weinland noch nie gesehen habe. Kein Rain, kein Baum, kein Wiesenstück als Gliederung mildern die Monotonie der hier neu entstandenen Landschaft. Als ich am Eingangstor der ortsfremden Umzäunung „Domaine“ lese, weiß ich, wo ich bin. Hier durfte der Investor, nachdem er aus der Konkursmasse das zu Beginn der Zweitausenderjahre neu entstandene Weingarten- und Weinkellerareal „Terra Gomeliz“ gekauft hatte, kolportierte 30 Hektar Wald zur Rebfläche machen. Weingärten schauen anders aus, auch Chalets, wie sie an dieser Stelle im nunmehrigen touristischen Erholungsgebiet als Erweiterung der bestehenden, „landschaftstypischen Bebauungsstruktur am Grat“ geplant sind.

Noch ist außer einer Großbaustelle nicht viel vom angekündigten Bauboom zu sehen, doch das Bild wird im nächsten Frühling schon ganz anders sein. Die Frage bleibt: Wie lange verträgt die Kulturlandschaft der Weinstraße, dass selbst gegen naturgegebene Beschränkungen gerodet und das Gelände moduliert, dass erweitert, aus- und aufgebaut wird und auf Tausenden Quadratmetern Resorts entstehen? Wann ist der Zeitpunkt gekommen, da das Bild von einzigartiger Schönheit zerstört sein wird?

Zu lange hat man in der Südsteiermark einseitig nur auf Bewusstseinsbildung für Baukultur gesetzt. 2006 wurde in drei Gemeinden ein Gestaltungsbeirat installiert, der heute in dieser Form nicht mehr existiert. Ein Bauherrenbegleiter wurde herausgegeben und 2016 der Region der LandLuft Baukulturpreis zugesprochen. Die Erkenntnis, dass die Kulturlandschaft weniger durch fehlendes Bewusstsein für Baukultur als durch anlassbezogene, zu wenig strenge Auslegung von Schutzbestimmungen und Raumordnung gefährdet wird, ist schmerzhaft. Längst schon müsste die Aufsichtsbehörde mit übergeordneter Verantwortung einschreiten. Erster Widerstand von Ortsansässigen wird laut, und das ist gut so. Für eine breite Einsicht in die Tatsache, dass mit all den geplanten touristischen Großprojekten gerade das „Kapital“ Landschaft mit Wein, das heute für den Wohlstand der Region steht, in seiner Substanz angegriffen wird und zu schwinden droht, braucht es noch viele laute Verbündete.

22. März 2021 Spectrum

Bad Gastein im Umbruch – ist die Zeit des Klotzens vorbei?

Fest steht: Bad Gastein ist einzigartig. Ob geplante Rieseninvestitionen den Charakter des Kurorts erhalten werden, ist indes fraglich. Liebhaber des Ortes sind skeptisch.

Man muss lange suchen, um jemanden zu finden, der es nicht kennt. Zumindest ein Bild von Bad Gastein, ein ziemlich exaktes, hat jeder im Kopf. Wer schon einmal dort war oder Kindheitserinnerungen an den Ort hat, wer den Kurort also von früher kennt, der hat die Erzählungen über Entwicklungen der vergangenen Jahre mit Freude aufgenommen. Deutsche Wochenmagazine berichteten vom vorsichtigen unternehmerischen Neustart durch Gastein-Liebhaber, von Frischzellenkuren für eine Handvoll Hotels, denen mit kleinem Budget, aber großem Gespür für den Wert des Bestehenden neues Leben eingehaucht wurde. Kreative Köpfe im Ort richteten ein Café im Kraftwerk ein, ein sommerliches Art-Festival wurde ins Leben gerufen, und Yoga-Tage wurden Bestandteil der neuen Angebote.

Bei einem Aufenthalt im Oktober 2020 fiel mein Lokalaugenschein dann doch eher deprimierend aus: Noch waren Leerstand, langsamer Verfall und Abbruchspuren ortsbeherrschend, aber auch ungepflegte Plätze und holprige Wege, nachlässig reparierte Straßen und verlotterte Bushaltestellen.

Zuversicht war da im Wissen, dass die Zukunft für einen in seiner Charakteristik und Einzigartigkeit wiederbelebten, der Zeit angepassten Ort der Erholung schon begonnen hat. 2017 konnte das Land den leer stehenden Straubinger-Komplex, der knapp am Wasserfall liegt, von Investoren zurückkaufen, die ihre Besitztümer jahrzehntelang hatten verfallen lassen. Nach ersten Erhaltungsmaßnahmen wurden das Hotel, das fürsterzbischöfliche Badeschloss und die Alte Post an eine deutsche Investorengruppe weiterverkauft. Dann war Funkstille.

Im Februar 2021 präsentierte der neue Eigentümer in einer Pressekonferenz – ihm zur Seite Landeshauptmann, Bürgermeister sowie Erich Bernard und Markus Kaplan von BWM Architekten – detaillierte Pläne für das unter Schutz stehende Ensemble. Man erfuhr, dass alle Bewilligungen im Behördenverfahren im Einklang mit dem Bundesdenkmalamt und dem Gestaltungsbeirat der BH Sankt Johann im Pongau erteilt worden waren. Das gewaltige Rauschen im Blätterwald mit Titeln wie „Die mondäne Welt in den Alpen kehrt wieder“ und „Neues Hochhaus für das Manhattan der Alpen“ schien die Euphorie zu bestätigen.

Die Kritik, die dennoch aufgepoppt ist, erläutert anhand des geplanten vertikal ausgerichteten Zubaus, der das Ensemble direkt im Anschluss an das Badeschloss bergseitig ergänzen wird, dass das 1997 beschlossene Entwicklungskonzept für Bad Gastein nicht eingehalten wird. In diesem heißt es, dass in Ortsteilen das geschlossene Ortsbild und dessen Charakteristik zu pflegen und zu erhalten sind und bei Neubauten und Renovierungen auf ausgewogene Proportionen zu achten ist. Das „Hochhaus“ wird die höchste Stelle des Badeschlosses, den Dachfirst, um beinahe 30 Meter und den Straubingerplatz, der die Mitte der beiden neuen Hotels bildet, inklusive Zugang zum auf dem Dach geplanten Pool um knapp 54 Meter überragen. Der gar nicht schlanke Neubau hält, selbst wenn eine farblich zurückhaltende Gestaltung seiner Fassaden vor der Naturkulisse des steil aufragenden Talschlusses vorgesehen ist, einem Vergleich mit der gründerzeitlichen Bebauung nicht stand.

Dominante Kubaturen der Belle-Époque-Hotels wie das L'Europe sind nämlich, genau betrachtet, keine in die Höhe wachsenden „Hochhäuser“, auch wenn sie immer wieder als solche bezeichnet werden. Es sind scheibenförmige Bauwerke, die sich von ihrer Eingangsebene „souterrain“, als Substruktionen, annähernd so weit nach unten erstrecken wie nach oben. Diese unvergleichbare Bauweise ist der besonderen Topografie geschuldet, der enormen Steilheit des Geländes um den Wasserfall, von dem aus sich der Badeort entwickelte. Mit dem vertikalen Bauboom in Manhattan hat das historische Bad Gastein, das sich in früheren Zeiten nicht nur am Straubingerplatz fast als geschlossene Bebauung zeigte, also nichts gemein. Nun könnte man einwenden, dass nicht das erste Mal mit der Stadtentwicklung in Bad Gastein gebrochen wird und neue Zeiten neue Formen der Bebauung verlangen. Das stimmt. Nicht alles, was zur Ankurbelung eines neuen Tourismus nach dem Krieg gebaut wurde, fügt sich harmonisch in den steilen Hang. Auch Garstenauer setzte mit der „Horizontalen“ des Kongresszentrums, das mit seiner platzartigen Erweiterung und dem begehbaren Flachdach als Sonnenterrasse das Zentrum bildet, einen markanten Kontrapunkt. Für den Architekten, der in Bad Gastein zudem das Felsenbad und die Parkgarage plante, war das der sichtbare Ausdruck eines Ortes der Begegnung. Friedrich Achleitner bewertete diese Strukturveränderung der 1960er als Bereicherung des Ortsbildes, die Architekturkritikerin wiederum sieht im Kongresszentrum eine Spange, die im Zusammenspiel mit Topografie und Ortsbild das Verbindende verdeutlicht.

Erklärt wurde, dass es den „Turm“ mit zusätzlichen 88 Zimmern brauche, weil die Bestandsfläche von 13.000 Quadratmetern nicht ausreichend sei, um die ökonomisch notwendige Anzahl von Betten zu schaffen. Diese Argumentation ist sattsam bekannt. Doch ist dieses „Immer mehr, immer luxuriöser, immer höher“ noch zeitgemäß? Müssen wir nicht davon ausgehen, dass der Klimawandel uns eine einschneidende Änderung des Lebensstils abverlangt, dass Beschränkung und Wertewandel unser Leben künftig prägen werden? Außerdem: ob sie schlüssig ist in Zeiten einer nach der Pandemie von vielen vorausgesagten Rezession? Bad Gastein sollte auch diesbezüglich aus seiner Geschichte lernen.

Durch Abriss historischer Bauten, wie er mehrfach genehmigt wurde und dem Hotel Mirabell bevorsteht, und unsensibel gesetzte Neubauten sieht der Architekturhistoriker Norbert Mayr „das einzigartige Spannungsverhältnis zwischen den Gründerzeit-Wolkenkratzern, die sich durch einen dominanten Auftritt behaupten, und den Steilhängen des Talkessels, die erfolgreich dagegenhielten“, akut gefährdet. Der das Ortsbild prägende Dialog zwischen Kulturlandschaft und Baukultur sei mit dem Punkthochhaus, das überall stehen könnte, zu Ende. Bekanntheit und besondere Anziehung verdankt Bad Gastein seiner Einzigartigkeit. Pioniere eines Neustarts wie die Hoteliers Olaf Krohne und die Familie Ikrath arbeiten genau damit. Sie sehen den Ort als kulturelle Bühne, in der neben neuen Konzepten auch verstaubter Glanz Platz haben wird, als einen Ort, der gleichermaßen behutsam wie langsam entwickelt werden muss.

Eine Gegenstimme zu erheben, wo nach jahrzehntelanger Agonie nun eine Rieseninvestition lang ersehnten Aufschwung bringen soll, ist schwierig. Gastein-Liebhaber bleiben dabei: Die Zeit des Klotzens ist vorbei. War der Ökonom Leopold Kohr, der mit seiner Philosophie des Kleinen, Überschaubaren die Rückkehr zum menschlichen Maß propagierte, nicht ein Salzburger? Zum Thema: Online-Vortrag „Aufbruch in Bad Gastein“ mit Zoom-Diskussion: Do., 25. März, 18.30 Uhr, initiativearchitektur.at

5. Februar 2021 Spectrum

Wie aus einem Guss?

Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, Neues zu Bestehendem: So fügt sich eins ans andere im architektonischen Alltag. Manchmal freilich misslingt eine Fügung – etwa wenn ein Gebäude ergänzt, eine Altstadt rekonstruiert werden soll.

Immer schon dachte ich mir, dass dem Fügen in der Architektur mehr Beachtung geschenkt werden sollte, ist doch schon jedes Bauwerk die Summe seiner Einzelteile, auch wenn das fertige Werk „wie aus einem Guss“ wirken kann. Stein auf Stein, Decke auf Wand, Horizontales auf Vertikales, oft auch Neues zu Bestehendem – so fügt sich eins ans andere im Bauen. Anfügen, Einfügen und somit Verdichtung entsprechen dem Wesenszug der historisch gewachsenen Stadt und sind sozusagen ihr Alltag, wenngleich das Weiterbauen selten unumstritten erfolgt.

Wir kennen die Rekonstruktion als Anlass des Fügens und die Diskussionen dazu. So wurde etwa in Frankfurts Zentrum von 2012 bis 2018 auf einer Brache, die seit der weitreichenden Zerstörung der historischen Mitte 1944 leer geblieben war, die „Neue Frankfurter Altstadt“ errichtet. 35 Gebäude, mittelalterlichen Stadthäusern nachempfunden, mit Gassen und kleinen Plätzen als neues Altstadt-Wohnquartier, ein ganzer Stadtteil in historisierender Gewandung. Kein Wunder, dass die Initiative des durch die Politik unterstützten Immobilienentwicklers begleitet war vom vielstimmigen Lärm unzähliger Befürworter und Kritiker – meist Stadtbewohner auf der einen und Baufachleute auf der anderen Seite. Das Einfügen der Neu-Altstadt zwischen der Kunsthalle Schirn und dem Dom nach dem Muster von schützenswerten Denkmälern fand breiten Zuspruch.

An die Geschichte erinnern soll auch die Wiedererrichtung des Alten Schlosses auf der Spreeinsel in Berlin, das wohl meistdiskutierte öffentliche Projekt der vergangenen Jahre. Die detailgetreue Rekonstruktion von drei Fassaden des riesigen Schlosses, einst Kaiserresidenz und ein Hauptwerk des norddeutschen Barocks, ist ein symbolischer, wenn nicht ideologischer Akt. Nachdem es im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war, sollte es danach wieder hergestellt werden. Als es Teil des DDR-Territoriums wurde, ließ die neue Führung es 1950 sprengen und errichtete auf dem Areal Jahre später den Palast der Republik, der nach der Wiedervereinigung bis 2008 abgerissen wurde. Ein Neubau, das heutige Humboldt Forum, sollte an die frühere Bedeutung des Hohenzollernsitzes anknüpfen. Der siegreiche Entwurf des Architekten Franco Stella fügt nun also die originalgetreu nachgebauten Barockfassaden an die streng gerasterte Steinfassade des Ostflügels. Neu-Alt trifft um die Ecke auf Neu – aber wie? Selbst ein Laie kann erkennen, dass diese Art der Fügung, dieser Zusammenschluss nicht gelungen ist.

Ideenreich und subtiler stellt sich der Wiederaufbau eines Flügels im Museum für Naturkunde in Berlin dar. Auch dort haben die Schweizer Architekten Diener & Diener auf die Neufassung eines städtischen Ensembles gesetzt. Der Ostflügel des Museums war im Zweiten Weltkrieg bis auf Fassadenreste zerstört worden und bis 2006 als Ruine stehen geblieben. Die Hauptgeschoße des Museums führen die Architekten im neuen Trakt weiter. Die Notwendigkeit, lichtempfindliche Tierpräparate optimal aufzubewahren, nützten sie, um die umgebende Gebäudehülle fensterlos zu gestalten. Dafür nahm man von den originalen Fassaden Abdrücke ab, die mit Beton ausgegossen wurden. Diese Fertigteile wurden in die zerstörte Fassade eingefügt und füllen nun die Leerstellen. Rhythmus und Form der Fassade wurden aufgenommen, der graue Beton setzt sich jedoch deutlich erkennbar von der erhaltenen Bausubstanz mit den Fenstern, die zugemauert wurden, ab. Hier stellt das An- und Einfügen für die Architekten nicht eine Rekonstruktion des Baudenkmals im eigentlichen Sinn dar, sondern eine in Szene gesetzte Bewahrung von Geschichte.

Es lassen sich auch Beispiele von (Ein-)Fügung finden, die erst heute übereinstimmend als vorbildlich gelten. In die Architekturgeschichte eingegangen ist der Gerichtshof in Göteborg von Gunnar Asplund. Bereits im Jahr 1913 hatte der Architekt einen Wettbewerb für den Um- und Zubau des Gerichts gewonnen, der eine völlige Transformation der Hülle nach einer national-romantischen Idee bedeutet hätte. Umplanungen erfolgten, wurden verworfen, und erst 1937 wurde die jetzige Form fertiggestellt. Asplund nahm die horizontale Gliederung des Bestands auf, interpretierte Fensterachsen und Säulengliederung neu, hielt sich präzise an die Traufenhöhe und stimmte den Anbau farblich mit dem Altbau ab. Die Fuge bildet ein schmaler, fensterloser Rücksprung, hinter dem sich eine Nebentreppe befindet.

Vorhandene Charakteristika und Qualitäten einer historischen Architektur aufzunehmen und sie gleichermaßen respektvoll wie abstrahierend in Neues zu transformieren schien mir immer richtiger als ein Kopieren des Vorhandenen. „Man wird begreifen müssen, dass jede Baukunst an ihre Zeit gebunden ist und sich nur an lebendigen Aufgaben und durch die Mittel ihrer Zeit manifestieren lässt. In keiner Zeit ist das anders gewesen“, schreibt Mies van der Rohe in einem Aufsatz. Bauten sieht er als Schöpfungen ganzer Epochen, ihrem Wesen nach unpersönlich, aber „reine Träger eines Zeitwillens“.

Beim Thema des Weiterbauens – dem An- und Einfügen – wird der Historie nur dann mit Wertschätzung begegnet, wenn man sie nicht versteckt, übertüncht oder geistlos kopiert. Genaues Schauen und lustvolle Auseinandersetzung mit diesem Thema wurde zur persönlichen Erkenntnis, die sich mit den Jahren vertieft hat.

Einer, der dieses Wissen mit großer Sorgfalt und Kreativität bei all seinen Bauten angewandt hat, ist Klaus Kada, der im vergangenen Dezember achtzig Jahre alt wurde. Nicht nur als Architekt, sondern auch als Meister des Fügens ist ihm dieser letzte Absatz gewidmet. Kadas Gesamtwerk als Zeitwille zu entdecken lohnt allemal. Glas und neue Glastechnologien sind darin nicht nur Ausdruck ihrer Zeit, vielmehr spannt das Material Räume und Schichten unterschiedlicher Entstehungszeit und Funktionen unter sich auf. Glas bildet eine transparente, Licht bringende Zäsur und zugleich eine feine Verbindung, die sich als Gestaltungselement nicht in den Vordergrund drängt. Diese gekonnte Art des Fügens kann man bei Kada auch an Bauten entdecken, die zur Gänze neue Architekturen sind, wie das Festspielhaus in Sankt Pölten. Am deutlichsten wird sie, wo Alt und Neu zum Ganzen vereint werden soll: dem Glasmuseum in Bärnbach, einem Schlüsselwerk im Œuvre des Architekten. Von allen kann man lernen.

Mehr noch, davon sollten Architekten lernen. In letzter Zeit werden vermehrt Wettbewerbsentwürfe abgegeben, in denen das Erweitern – das Weiterbauen am Bestand von Schulen etwa – zu spannungsloser Scheinharmonie verkommt. Eine Fassade, gleich über Alt und Neu gezogen – und schon ist Geschichte nicht mehr sichtbar. Die Größe von Baukörpern, ihre Proportionen, auch ihr Verhältnis zu Freiraum und Landschaft wirken dann nicht mehr stimmig. Wollen wir das?

12. Dezember 2020 Spectrum

Mit dem Rücken zum Berg

Unkonventionell und gleichermaßen seriös: So beschreibt die Jury der Geramb-Rose die Herangehensweise an ein neues Stadthotel im Herzen von Graz. Die Herausforderung dabei: die Adaptierung eines mehr als 400 Jahre alten Denkmals am Fuße des Schlossbergs.

Da war die Welt des Städtetourismus noch in Ordnung. „Hotel-Boom: Zehn neue Hotels in Graz sind gerade im Anflug“, titelte eine Grazer Zeitung im November 2019. Die Nächtigungszahlen in Graz stiegen im Herbst um zehn Prozent, die Aussichten für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends schienen rosig. Selbst der Tourismus-Chef, bekannt als besonnener Manager, war voller Zuversicht, bis 2023 eine halbe Million an Übernachtungen dazugewinnen zu können, und meinte, dass Graz diese Hotelneubauten „vertragen“ könne.

Nun kam es ganz anders, doch da das Planen und Bauen lange Vorlaufzeiten verlangen und einiges zu diesem Zeitpunkt schon „in der Pipeline“ war, wurden 2020 in Graz tatsächlich zwei neue Hotels eröffnet. Das der Hotelkette beim Hauptbahnhof muss nicht extra vorgestellt werden. Das andere jedoch, das sich bescheiden nach seiner Adresse nennt, lohnt näherer Betrachtung. Es vereint in sich mehrere Themen des Bauens im historischen Zentrum von Graz, die eine Herausforderung für das Weltkulturerbe sind. „Kai 36“ liegt in der Verlängerung der Sackstraße, einer der ältesten Straßen von Graz am Fuße des Schlossbergs, die durch ein Tor vom Kai am Ufer der Mur getrennt war. Auch wenn sich der Blick dort weiten kann und die Uferstraße von Bäumen gesäumt ist, stehen die Häuser am Kai dicht aneinandergebaut, mit dem Rücken zum steilen Hang des Schlossbergs. Das Haus mit einem auffallend weit ausladenden Schleppdach über drei Geschoße nimmt eine Sonderrolle ein. Es ist eines der ältesten, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet. Trotzdem stand es lange leer, bis der Grazer Rennsportmanager Helmut Marko es kaufte und beschloss, es auszubauen und seinem Portfolio von drei Hotels hinzuzufügen. Der Umbau wurde in die Hände von Nicole Lam gelegt, die bereits den jüngsten Neubau, das Hotel „Lend“, für den Hotelier geplant hatte.

Mit dem unter Denkmalschutz stehenden Ensemble betrat die Grazer Architektin Neuland. In enger Abstimmung mit dem Denkmalamt und der Altstadtkommission wurde die historische Struktur freigelegt und lediglich ein neuer Treppenaufgang geschaffen, der nun auch innen liegend den Hofflügel erschließt, der früher nur über einen Balkon zugänglich war. Anstelle eines steilen Pultdachs wurden diesem Hoftrakt zwei Ebenen mit Hotelzimmern aufgesetzt. Das Haupthaus blieb in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten, die Fassade wurde denkmalgerecht saniert. Mehrere Achsen im Erdgeschoß schloss die Architektin durch gut gesetzte Durchgänge zu einem Kontinuum mit unterschiedlichen Gewölben zusammen, die jetzt eine Café-Bar mit kleiner, offener Küche, die Rezeption und den Treppenaufgang enthalten. In diesem zur Straße gewandten Bereich, der vermutlich auch in früheren Zeiten unterschiedliche Funktionen hatte und jetzt noch durch Stufen unterbrochen wird, entstanden atmosphärisch differenzierte Orte des Verweilens. Das radikal Neue zeigt sich erst, wenn man mit Lift oder Treppe an Höhe gewinnt und aus dem Hofhaus hinaus auf eine der oberen Hangterrassen tritt. Dem dritten Bestandsgebäude im Hof, einem frei stehenden, dicht am Fels gebauten Stöckl wurde ein Geschoß aufgesetzt, das nun von oben über eine kleine Terrasse mit Wiesenfläche erreicht wird. Noch höher, eine Terrassenstufe weiter, das einzige gänzlich neue Implantat: ein kleines Hofhaus für ein Apartment und die Toiletten für die Nutzer der Freiräume. Ensemblewirkung mit den beiden Dachaufbauten entsteht, weil alle drei Dächer wie eine Plastik bearbeitet und geformt und über die Fassaden hinab mit Kupferblech überzogen wurden. Spürbar ist auch, dass der kleine Neubau in einem guten Verhältnis zum überbauten Bestand steht. Lage und Proportion sind wohlüberlegt. Das erzeugt Spannung.

Mit diesen Einbauten, aber auch mit der Vielfalt der Freiräume unter Einbeziehung vorhandener Geländestufen und der neu genutzten Terrassen, Treppen und Zugangswege entsteht ein lebendiges Ganzes – erkennbar als Zeitschicht von 2020. Dass die Gratwanderung zwischen Bewahrung und Erneuerung im historischen, über die Jahrhunderte unterschiedlich genutzten Denkmal mit diesem Plan gelingen kann, erkannte die Grazer Altstadtkommission offensichtlich und genehmigte ihn trotz der sensiblen Lage am gut einsehbaren Abhang des Schlossbergs. Für den Bauherrn war die Erweiterung unabdingbar, entstand doch auch mit den Aufbauten nur eine Anzahl an Zimmern, die für kühle Rechner noch immer weit unter den üblichen Grenzen der Wirtschaftlichkeit liegt.

Die Gäste erwarten 21 individuell gestaltete Zimmer, die mit dem Lift, im Stiegenaufgang oder über den kleinen Innenhof erst gefunden werden wollen. Wenn auch unter den riesigen Dachflächen das Gebälk sichtbar blieb, so zeigt sich doch überall im Inneren das Bedürfnis der Architektin, dem Haus ohne rechte Winkel eine frische, unkonventionelle Note zu verleihen. Sanitärzellen bleiben als Raum im Raum ersichtlich, und die Treppe ins oberste Geschoß wird als formschönes, kompaktes Möbel gestaltet. Wo nichts im Lot war, wurden Böden so verlegt, dass Puristen vermutlich die Nase rümpfen – schräg, in ungewöhnlichen Formaten und im Materialmix Naturstein und matt belassenes Holz. Nichts wirkt luxuriös. Öffentliche Bereiche wie das Café, das auch der Frühstücksraum für die Hotelgäste sein wird, sollten die Intimität von Wohnräumen spiegeln. Was man aus Lokalen in hippen Stadtquartieren von Berlin oder München kennt, findet sich auch hier – Naturmaterialien und Detailverliebtheit, ein üppiger Mix an Mobiliar und überall Kunst an den Wänden.

Am Kai Nummer 36 wurde auf äußerst schwierigem Terrain ein Mehrwert geschaffen, der zeigt, dass Erhaltung und sensibles Weiterbauen unserer historischen Stadtlandschaften nicht nur notwendig sind, um eine Stadt am Leben zu halten, sondern auch befruchtend schön sein können. Die Jury der Geramb-Rose 2020 sah im Hotel „ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein Bestandsobjekt, das für eine ganz andere Nutzung vorgesehen war, eine neue räumliche Vielfalt entwickeln kann“. Der Gast, der in jeder Stadt das Besondere finden und hinter die Kulissen, die historischen Fassaden, blicken will, wird hier das Gefühl haben, ins Innere vorgedrungen und für die Zeit seines Aufenthalts willkommen zu sein.

21. August 2020 Spectrum

Vom Lärm der Dächer

Wer das Flachdach ablehnt, wenn es um landschaftsverträgliches Bauen geht, macht es sich zu leicht. Die Baugeschichte lehrt uns, dass Eingliederung ein komplexes Thema ist – es setzt das Erkennen der Vorzüge einer Landschaft voraus.

Die Sache sei spätestens seit den 1990ern „gegessen“, dachte ich, bis ich auf der letzten Seite der Immobilienbeilage einer Tageszeitung auf diesen Artikel stieß. Ich musste gar nicht nachdenken, war vielmehr aus dem Bauch heraus überzeugt davon, dass das, was hier behauptet wurde, kein Thema sei, das man heute noch in Grundsätzlichkeit bespricht.

Mit der Frage als Aufhänger, ob ein „Tiny House“ ins Ortsbild passt, wurde kurzerhand abgehandelt, wodurch, oder besser: womit ein harmonisches Bild in Orten und Landschaften gestört werden kann. Was ein erschöpfendes Thema für eine gründliche wissenschaftliche Abhandlung wäre, wurde da, munter durcheinandergewürfelt, nicht mehr als angerissen: die zunehmende Individualisierung Bauwilliger, das Auffallen, dem entsprechend sich nicht eingliedern wollen, der Wunsch nach dem Bauen auf der grünen Wiese, daraus folgend Zersiedelung und – das Flachdach. Nun sehe man aber langsam, dass bestimmte Bauformen sich tatsächlich „schwerer in ein harmonisches Landschaftsbild eingliedern“, wurde der neue Baukulturkoordinator im Amt der Steiermärkischen Landesregierung zitiert. Das Flachdach gehöre dazu. Der Experte vergleicht es mit Lärm, konnte man lesen. Ähnlich wie laute Musik könne es im Landschafts- oder Stadtbild auch visuelle Reize geben, die eine gewisse Grundharmonie stören.

Einiges von dem, was danach noch an möglicher Störung aufgezählt wurde, konnte ich ohne Einschränkung nachvollziehen: schrille Farben etwa und auffällige Werbemittel, als Werbungen tituliert. In hügeligen Gegenden störten besonders große Baukörper und Flachdächer eine gewisse Grundharmonie, stand da. Ersteres war mir zu pauschal, und die Behauptung, dass sich das Flachdach als Bauform in hügeliger Landschaft schwerer eingliedern oder einpassen lasse, war gar nicht nachvollziehbar. Ich war baff. Hatte meine Mutter mich vergeblich studieren lassen?

Schon in den ersten Semestern des Studiums hatte mich Frank Lloyd Wrights Kaufmann-Haus, das als „Fallingwater“ 1939 in die Architekturgeschichte einging, maßlos beeindruckt. Dieses Ferienhaus, das direkt über einem Wasserfall errichtet worden war, war nicht in der Natur, vielmehr mit der Natur gebaut. Eine einzigartige Synthese – trotz auskragender Terrassen und, ja, Flachdach. Die Eingliederung der Architektur in ihre Umgebung gelang mit präzise gesetzten Kontrasten: die großen Felsblöcke gegen die Linearität der horizontalen Stahlbetonbrüstungen, ihre Glätte gegen das Grobe des aufsteigenden Steinmauerwerks, das mit den Baumstämmen zu verschmelzen scheint. Wright soll von Harmonie gesprochen haben und meinte damit ein Ganzes: das Gebäude und seine Umgebung bis hin zur Pflasterung und Bepflanzung. Voraussetzung war für ihn neben der Berücksichtigung des menschlichen Maßstabs ein ehrfurchtsvolles Verständnis für die „Natur der Natur“. Das schrieb Dietmar Steiner im Aufsatz „Die Natur der Landschaft“, der sich in seinem Buch „Häuser im Alpenraum“ aus 1983 findet.

Bei Steiner finde ich auch ein österreichische Beispiel einer „bedingungslosen Einordnung des Baukörpers in die umgebende Landschaft und die natürliche Formation des Terrains“, das mich just zu einem Zeitpunkt während des Studiums begeisterte, als wir Bauforschung anhand historischer Bauten der landwirtschaftlichen Nutzung betreiben mussten. Es war das Haus Heyrovsky von Lois Welzenbacher, 1932 fertiggestellt. Bei all den Unterschieden, ja Gegensätzen zwischen den bäuerlichen Nutzbauten, für die wir damals präzise Aufmaß und Zeichnung erstellten, und dem Ferienhaus für die Familie eines Wiener Chirurgen auf dem Hang über dem Zeller See gab es auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Klar, die Städter hatten andere Bedürfnisse als die Bauern, die den Tag im Freien, in der Natur verbringen und sich abends in die warme Stube zurückziehen. Welzenbacher konzipierte das Haus auf die Vorstellung hin, Sonne und Natur gleichsam ins Haus zu holen. Es öffnet sich der Landschaft und den Himmelsrichtungen über einen großen Bogen, über Panoramafenster und den stufenlosen Übergang auf eine große, von Balkon beschattete Terrasse, die wiederum eingebettet ist in die sie umgebende Wiese. Das Haus wurde mit einem fast flachen Dach aus Blech gedeckt.

Gemeinsamkeiten mit dem Typus des südsteirischen Bauernhauses auf dem Hang? Doch! Nicht die Baumaterialien, nicht die Form des Baukörpers oder die Fenstergrößen lassen gedankliche Assoziationen entstehen, sondern generell die Haltung zur Landschaft und zum Hang. Das flache, horizontal betonte Haus Welzenbachers duckt sich gleichsam in eine Mulde des Geländes, zeigt talseitig zwei Etagen, bergseitig ein Geschoß weniger und dieses mit Holz verschalt. Bauernhäuser auf dem Hang wurden an windgeschützten Plätzen im Gelände positioniert, orientierten sich immer an den Höhenschichtenlinien und waren demnach schmal und lang. Nie hätte ein Bauer früher gemacht, was heute selbstverständlich scheint, wenn man in hügeligem Gelände baut: den Grund aufschütten, künstlich modulieren, ein für horizontales Terrain geplantes Haus draufsetzen – als wäre ganz Österreich wie die Niederlande.

August Sarnitz, der 1989 in Eigendefinition eine Werkgenealogie zu Welzenbachers Bauten verfasste, spricht beim Haus am Zeller See von organischer Architektur und interpretiert „organisch“ hier als die ideale Verbindung von Bauwerk, Material und Landschaft. Unser Experte würde diese vermutlich mit Grundharmonie bezeichnen. Moment mal, trotz des flachen Dachs? Dessen bin ich mir sicher, denn unser Experte ist in der Lage, Qualität zu erkennen. Er würde mit Sarnitz übereinstimmen, der schreibt: „Im Bereich des landschaftsgebundenen Bauens gelang Welzenbacher mit diesem Haus ein Meisterwerk, das in Europa zu jener Zeit einzigartig war.“

Lassen wir den scharfsichtigen, heuer viel zu früh verstorbenen Dietmar Steiner noch einmal zu Wort kommen, der zum selben Haus 1983 schrieb: „Die architektonische und künstlerische Qualität dieses Entwurfs ist auch nach fünfzig Jahren noch ein bleibender Vorwurf an jene, die das Bauen im Alpenraum an der Dachneigung bestimmt wissen wollen und außerstande sind, eine tatsächlich rücksichtsvoll in die Landschaft eingepasste Architektur zu erkennen.“ Dies sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die den alten Glaubensstreit „Flachdach versus Steildach“ aufwärmen.

Landschaftsgebundenes Bauen setzt das Erkennen der Qualitäten, der Vorzüge und Eigenheiten, aber auch der Herausforderung voraus, die ein Baugrund in der Landschaft ist. Dabei können geschulte Augen helfen. Den Bauwilligen ist eine tiefgehende innere Befragung ihrer eigenen Wohnbedürfnisse zu raten. Was daraus entstehen kann, wird passgenau – nimmt Rücksicht, fügt sich ein, entsteht mit der Natur. Steildach oder Flachdach? Zweitrangig.

10. Juli 2020 Spectrum

Die Welt etwas besser bauen

Er galt als „Anwalt des Menschen“ und interessierte sich für die sozialen und politischen Dimensionen des Bauens: der aus Böhmen gebürtige Nachkriegsarchitekt Ferdinand Schuster. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet sich das Haus der Architektur Graz seinem Werk.

„Man kann natürlich auf Architektur verzichten und nur ,bauen‘, für die ,Wirtschaftsgesellschaft‘ etwa. Die Welt wird sich weiterdrehen. Aber sie wird dann ärmer, grauer und ,erbarmungslos praktisch‘ (Adorno) sein, wie unsere Sprache, wenn wir darauf verzichten, sie auch poetisch zu gebrauchen. Wer gegen die Verarmung unserer Existenz ist, muss Architektur wollen. Das, meine ich, ist aber ein politischer Akt.“ Wie oft wurde Ferdinand Schuster, der mit diesen Sätzen seinen Vortrag „Architektur als Medium“ schloss, oberflächlich als Funktionalist tituliert. Wer die in der äußerst kurzen Schaffensphase entstandenen, in einer klaren Bildwirkung gehaltenen Industriebauten – drei Kraftwerke und ein Umspannwerk – nur als dem Zweck dienende Gebäude sehen kann, lässt Kenntnis und vertieften Blick vermissen. Beides würde zeigen, dass nur der Ersatz eines traditionellen Brückenkrans durch einen von der Außenwand unabhängig funktionierenden Portalkran die heute noch so modern wirkende, filigrane Glasfassade der Maschinenhalle des Fernheizkraftwerks Graz-Süd (1963) möglich machte.

Schusters Bauten ist stets eine bis ins Kleinste durchdachte Konzeption abzulesen, auch wenn diese wie bei der Siedlung Kapfenberg-Redfeld (1958) in Form und Materialität einfach wirkt. Die für Mitarbeiter der Böhler-Stahlwerke errichteten Reihenhäuser könnte man auf den ersten Blick für Behelfswohnbau der frühen Nachkriegsjahre halten. Ihre sparsam dimensionierten Grundrisse waren jedoch Teil der Entwicklung eines Typs und passen sich ein in seine lebenslange Suche nach einer zeitgemäßen Definition von Architektur. Was Schuster unter „Architektur“ im Gegensatz zum „Bauen“ verstand, würde man heute als Baukultur oder hohe architektonischer Qualität im Sinne eines um Ästhetik und Wirkung erweiterten Begriffs von Funktionalität sehen.

Ab 1953 führte der Architekt ein Büro in Kapfenberg. 1952 hatte er seine Dissertation über die Grundlagen für die Ortsplanung der „Arbeiterstadt Kapfenberg“ fertiggestellt. „Der Architekt, vor eine Aufgabe gestellt, sollte immer zuerst versuchen, diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen“, schrieb er und handelte konsequent danach; nicht erst, als er 1960 zum Baureferenten der Stadt ernannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ferdinand Schuster die Stadt, die in ihrer Entwicklung maßgeblich von den Böhler-Werken beeinflusst wurde, mit Schulbauten, Kindergärten und dem Stadionbad schon sichtbar geprägt. Sein städtebauliches Engagement beeinflusste alle Planungen dieser Zeit. Dabei ging es dem als gänzlich uneitel beschriebenen Menschen sicher nicht darum, als Platzhirsch Aufträge zu ergattern.

Schuster war als Stadtplaner wie als Architekt durch „Anwalt des Menschen“ für eine lebenswerte Stadt. Der Wiederaufbau der Kriegszerstörungen und der Ausbau von Redfeld wurden forciert, es brauchte Wohnungsbau, Kindergärten und Schulen. In der Tradition des sozialistischen Städtebaus sah Schuster in Letzteren wichtige erweiterte Funktionen. Er bedachte dabei die Erwachsenenbildung, Vereinstätigkeiten und außerschulischen Sport und positionierte Schulen als zentrale Kultur- und Begegnungsorte nahe den Wohnsiedlungen. Kirchen und das Pfarrzentrum „Zur Heiligen Familie“ in Kapfenberg-Walfersam entstanden aus Schusters Feder. Achtzig Prozent aller Planungen aus Schusters Büro wurden in Kapfenberg umgesetzt. Solide Qualität und zeitlosen Gebrauchswert beweisen sie durch kontinuierliche Nutzung bis heute.

Schusters theoretisches Interesse galt herauszuarbeiten, was die Architekturform semantisch als Zeichen leisten kann und soll. Es ging ihm nicht allein um konventionelle Symbolkraft oder die ikonische Funktionsweise von Architektur. Er fasste die Kraft der Bedeutung eines Objekts viel komplexer auf und erweiterte sie um die Beziehungen zu den Benützern und Kommunikationsprozesse. Im erwähnten Vortrag über die Zeichenfunktion der Architektur sprach er auch von den Bedeutungen, die der Architektur (er meinte Formen) „zuwachsen“, ob wir wollen oder nicht. Damit bewies Schuster eine Offenheit gegenüber der Zukunft, die er nicht lange leben konnte.

Wenn im Seelsorgezentrum St. Paul in Graz-Waltendorf, das 1974 zur Pfarre erhoben wurde, die semantische Dimension der Kirchenarchitektur nicht existent ist, zumindest was die traditionelle Symbolik betrifft, so ist das nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Schuster setzt hier die Öffnung der Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil in einen Mehrzweckraum um, die für ihn auch die Absenz von Zeichenhaftigkeit bedeutete. Das im Raster errichtete Stahlskelett mit der zart gegliederten Fassade aus liegenden Eternitsandwichplatten und Oberlichtbändern schätzte Achleitner noch 2000 als konsequentesten Bau ein, den eine offene Kirche in Österreich hervorgebracht hat. Dem Pfarrer war der Raum zu wenig sakral, daher setzte er eine Reihe von Veränderungen durch, die das heutige Erscheinungsbild des Kirchenraums prägen, aber seine einstige Originalität vermissen lassen.

1964 wurde Schuster als Institutsvorstand an die Lehrkanzel für Baukunst und Entwerfen an die TH Graz berufen. Seine Antrittsvorlesung lautete „Architektur und Politik“. Beim gleichnamigen Symposion im Jahr 2000 in Kapfenberg erinnerte Achleitner an die Situation in den damaligen Architekturzeichensälen: „Schusters Bemühen um eine mitteilbare, praktikable Architekturtheorie hat in Österreich nichts Vergleichbares, und – das war ihre Tragik – sie blieb im sprichwörtlichen Grazer Vakuum in Wirklichkeit ohne Resonanz.“ Die Studierenden teilten sich angeblich in zwei Gruppen: in die seiner Anhänger und jene, die „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ antrieb. Bei den Rebellen traf die analytischen Strenge des umfassend humanistisch Gebildeten nicht auf fruchtbaren Boden. Am 11. Juli 1972 ging Ferdinand Schuster im Hochschwabgebiet in den Freitod.

Im September jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Aus diesem Anlass spürt eine kleine, feine Ausstellung im Haus der Architektur Graz dem Leben und Werk von Ferdinand Schuster nach, und eine umfangreiche Publikation, erschienen bei Park Books, macht als Ergebnis eines Forschungsprojekts an der TU Graz die Relevanz seiner Schriften und Arbeitsweise für heute deutlich. Die Ausstellung wird danach in Kapfenberg und Wien zu sehen sein.

2. Mai 2020 Spectrum

Aufstieg in neuen Schuhen

Einst als Straßendorf entstanden, durchlief Premstätten, südlich von Graz, über die Jahre einige Wandlungen. Jüngster Streich, der dem Markt städtischen Charakter verleihen soll: ein Gemeindehaus – im Rang eines Rathauses. Das Streben nach Prestige ist nur allzu offensichtlich.

Nun, das Dorf ist real, wuchs an zur Marktgemeinde Premstätten, die nach der Gemeindezusammenlegung 2015 mehr als 6000 Bewohner zählt. Seine strategisch gute Lage, fünfzehn Kilometer südlich von Graz, mit Anschlüssen an zwei Autobahnen, dem nahe gelegenen Flughafen und einem Freizeitzentrum am Schottersee führte in drei Jahrzehnten zur Ansiedlung großer Industrien und zu erstaunlicher Prosperität, die sich in reger Bautätigkeit ausdrückt. Im Örtlichen Entwicklungskonzept 2009 wurde daher dem weiteren Ausfransen der Siedlungsgebiete in die Felder eine Absage erteilt und wurden Entwicklungsstränge für Industrie und Gewerbe festgelegt. Von einem Grundsatz zum Gelingen territorialer Umwandlung, die Alfons Dworsky und Judith Leitner in ihren „Überlegungen zum Bauen auf dem Land“, formulieren, ist darin nichts zu finden: „Baulich-räumliche Strukturen zu erfassen heißt, den Zusammenhang zwischen Naturraum, Kulturraum, Siedlungssystem und Haus zu erfassen und bei jeder Veränderung eines Teilsystems das Gesamtsystem im Auge zu behalten.“

Historisch gesehen war das Dorf als Straßendorf entstanden: Wohnhäuser als Einzelbauten zur Hauptstraße hin, meist mit dem First parallel dazu, ein großer Innenhof mit Stall und Scheune als Abschluss, dahinter Gärten und Felder. Die Bauern wurden, wie überall, weniger und konzentrieren sich auf Gemüseanbau. Die Neubauten der Post, des Notars, des Bäckers, der zum Cafetier wechselte, des Gastwirts, der um ein Hotel erweiterte, und der obligatorischen Supermärkte stehen bunt zusammengewürfelt an der Hauptstraße, die noch heute die wichtigste Ortsverbindung ist.

Das jüngste Bauvorhaben der Gemeinde, die seit Jahren eine der drei reichsten in der Steiermark ist, war ein neues Gemeindeamt, das – angesichts der Entwicklung ist man geneigt zu sagen: naturgemäß – den Rang eines Rathauses erhalten sollte. Als solches sollte es auch einen angemessenen zentralen Platz einnehmen. So wurde entschieden, ein frei gewordenes Gewerbeareal am Rand des Parks aufzukaufen, das Amt dorthin umzusiedeln und den umliegenden öffentlichen Raum zum Hauptplatz zu erklären. Der Prozess der Planung wurde vorbildlich durchgeführt. Man hatte von früheren Bauvorhaben gelernt und wollte jeden Anschein von Bevorzugung vermeiden. Mit dem Projektmanagement wurde die Bundesimmobiliengesellschaft BIG beauftragt, ein geladener Architekturwettbewerb mit sieben Teilnehmern ausgeschrieben und der Planungsauftrag an die Erstgereihten, das Grazer Büro Ederer Haghirian vergeben, das mit Bauten für die Universitätsklinik Graz bekannt geworden war.

Das Raumprogramm des sieben Millionen teuren Neubaus spiegelt den Wunsch der Gemeinde, das neue Zentrum zu sein. Er vereint auf einer Länge von fünfundvierzig Metern und zwei Etagen, die räumlich und visuell voneinander getrennt sind, die Ämter aller Fachbereiche, die Verwaltung und die Büros des Bürgermeisters, ein Standesamt mit Trauungssaal, einen Klubraum, ein Tourismusbüro und ein Café. Die Ausgestaltung mit großzügigen Foyers und hochwertigen Materialien wie Stein, Parkett, edlem Holz und Polstermöbeln zeugt von Großzügigkeit, aber schafft eine Atmosphäre, die vielen Ortsbewohnern sicher noch länger fremd bleiben wird. Größe und Wirkung des Rathauses stehen für Aufstieg und Repräsentation. Das wird schon am riesigen überdachten Vorbereich zum Haupteingang ausgedrückt, der als offene Gebäudeecke über beide Geschoße ausgebildet wurde und in Zukunft für unterschiedlichste Aktivitäten genützt werden soll. Auch die Neugestaltung des Parks, in dem einige Bäume der Erstbepflanzung gefällt und andere neu gepflanzt wurden, die Fahnenreihe mit den Bannern von der EU bis zum Marktwappen und die Adresse „Hauptplatz 1“ zeugen vom Bedürfnis nach Prestige. In eine neue Dimension eingetreten ist man auch mit dem Ausmaß an befestigten Flächen vor, neben und hinter dem Gebäude. Fünfzig neue Parkplätze an der Rückseite des Gebäudes neben den bestehenden am Rande des Parks widersprechen zeitgemäßen Geboten geringer Bodenversiegelung.

Mit dem Dorf von einst hat das nichts mehr zu tun, auch wenn in einer Projektbeschreibung festgehalten wird, dass das neu errichtete Gebäude dort steht, wo früher kleine Lebensmittelhändler gemeinsam mit der Kirche den Ortskern bildeten. Offensichtlich waren das Erfassen und Aufnehmen von baulich-räumlichen Strukturen des gewachsenen Orts, wie Dworsky und Leitner sie beschreiben, und Einfügung in das Bestehende keine Themen, die in der Projektvorbereitung diskutiert und ausgelotet wurden. Dann hätte auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden müssen, das Gemeindeamt als straßenbegleitende Bebauung an den östlichen Rand des Parks zu setzen und den dadurch lärmgeschützten Park, von der Hauptstraße abgewandt, um das zugekaufte Grundstück zu erweitern. Doch wer wäre dafür zuständig? Der Ortsplaner, die Raumplanung? Wem einen Vorwurf daraus machen, wenn anzunehmen ist, dass die historische Identität der Gemeinde nur noch von Alten und Nostalgikern erinnert wird?

Das Dorf ist aus sich selbst herausgewachsen. Die Schuhe, in denen es nun auftritt, sind etwas zu groß; ganz so, wie Schuhe in alten Zeiten für die Kinder gekauft wurden. Ob der Ort in sein neues Rathaus hineinwachsen wird? In städtische Identität? Sicher ist, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben und grundlegende Transformation des Landes, wie sie im prosperierenden Bezirk Graz-Umgebung im Gange ist, nicht die einzige Herausforderung bleiben wird.

28. Februar 2020 Spectrum

Gut verhüllt ist halb bewahrt

Renovieren, sanieren, rekonstruieren: wie sich Glasgow und die Schotten für das kulturelle Erbe ihres großen Sohns Charles Rennie Mackintosh ins Zeug legen.

Dies sollte ein Artikel über die Transformation einer Stadt werden, die sich nach dem Wegfall lukrativer Handelsbeziehungen und dem Niedergang ihrer Industrie neu erfinden musste. Strukturwandel gelingt in Glasgow seit 1990 erfolgreich, als die Stadt zur sechsten Europäischen Kulturhauptstadt ernannt wurde; 1999 folgte die Adelung als City of Architecture and Design. Während das Feld der Dienstleistung neu ist, knüpft man mit der Kultur an die Zeit an, in der die Stadt am Fluss Clyde durch Schiffsbau, Baumwollindustrie und regen Handel mit den Kolonien zu einer der reichsten Städte der Welt aufstieg. Seit 1845 gab es eine Kunsthochschule, und Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt zum kulturellen Zentrum selbstbewusster Künstler und Intellektueller, die sich zwar der europäischen Avantgarde jener Zeit nahe fühlten, aber einen eigenen Ausdruck fanden.

Einer aus der großen Gruppe von Designern und Künstlern des Glasgow Style war der Architekt Charles Rennie Mackintosh – der gleichermaßen interessiert an der „Arts & Crafts“-Bewegung des viktorianischen England war wie am Wiener Fin de Siècle, dem er auch durch eine Einladung zur Ausstellungsbeteiligung in der Sezession 1900 nahestand. Im heutigen Glasgow wird „Mack“ als großer Bürger der Stadt gesehen, und er ist omnipräsent, obwohl seine öffentlich zugänglichen Bauten hier und in der ländlichen Umgebung der Stadt wenige sind. Seine „Tea Rooms“ und die einzige öffentlich zugängliche Villa, das „Hill House“, eignen sich als touristische Hotspots, und doch wird spätestens, wenn man die dramatisch-tragische Geschichte der zweimal durch Brand verlorenen „Glasgow School of Art“ hört, deutlich, dass seine Bedeutung weit darüber hinausweist.

Heute prägt Mackintosh nationale Identität. Seine Bauwerke, die er fast alle gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Margaret Macdonald, ausstattete, stehen im Mittelpunkt eines lebendig und umfassend geführten Diskurses über das Wie der Erhaltung und Pflege nationalen Kulturerbes. Das wird schon augenscheinlich, wenn man sich dem „Hill House“ nähert. Die ländliche Idylle Helensburgh am Fjord des Clyde wurde zur idealen Sommerfrische für reiche Händler und Industrielle, und auch der Verleger Walter Blackie beauftragte Mackintosh 1902, dort ein geräumiges Domizil für seine siebenköpfige Familie zu planen. Kunstsinnige Nachfolger konnten das Gesamtkunstwerk „Hill House“ wegen der enormen laufenden Kosten nicht halten, sodass es zweimal samt Mobiliar auf den Markt kam.

Heute ist es im Besitz des National Trust for Scotland (NTS), der es wiederum nur mit der großzügigen Unterstützung des National Heritage Memorial Fund kaufen konnte. Macintosh hatte einen neuen Putz auf Basis von Portlandzement, der resistenter gegen Risse und Wasser sein sollte, verwendet, um auf Blechabdeckungen an der flächigen, ornamentlosen Fassade verzichten zu können. Das erwies sich als fatal, weil die Feuchtigkeit, die im Laufe der Zeit doch eindringen konnte, den Sandstein „wie Aspirin im Wasser“ aufzulösen beginnt, so der Präsident des NTS. Es galt also, rasch erste Schutzmaßnahmen zu treffen, um Zeit zu gewinnen für die Entwicklung der besten Lösung für eine nachhaltige Restaurierung. So entstand die „Hill House Box“ als temporäre Einhausung. Über eine riesige Stahlrahmenkonstruktion spannen sich ein Dach und eine transparente Struktur aus Millionen von Metallringen, die zu einer Art Kettenhemd verbunden wurden – eine atmungsaktive Hülle als Regenschutz, die dem Gebäude seine Sichtbarkeit und es langsam austrocknen lässt. Für Besucher, die alle Räume weiterhin betreten können, bleibt der Blick in die Landschaft uneingeschränkt. Darüber hinaus hat man nun auch die Möglichkeit, das „Hill House“ über Treppen, Stege und Brücken bis hoch über seine Dächer hinaus zu erleben und eine völlig neue Perspektive zu erhalten. Haben die Wohnräume nichts Museales und wirken so belebt, als hätten sie seine Bewohner gestern verlassen, so gleicht das Haus nun als Ganzes innerhalb der luftigen Hülle einem besonderen Artefakt, das man im Museum an zentraler Stelle platziert, um es von allen Seiten betrachten zu können.

Das ist ebenso spannend wie einmalig, doch vom offenen Umgang mit der Restaurierung lässt sich einiges ableiten und auch lernen. Die Konservierung des „Hill House“ ist eine nationale Anstrengung und soll ein Prozess sein, bei dem die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen wird. Mehr noch, zum „Wie“ der Erhaltung soll eine Art öffentliches Gespräch geführt werden. Das ist klug, denn Akzeptanz und Identifikation kann nur gelingen, wenn man sich als Teil eines Vorhabens sieht. Und es hält die kollektive Erinnerung lebendig. Fragen danach, wie viel im Original wiederhergestellt und was abgeändert werden kann oder darf, wurden auch bei Mackintoshs „Willow Tea Rooms“ in Glasgow gestellt, wo Umbauten und die Entfernung des Mobiliars das Haus verkommen hatten lassen. Letztendlich entschied man sich, das Objekt nach Plänen, Fotos und Farbstudien so originaltreu wie möglich zu rekonstruieren, was mit unvorstellbar großem handwerklichem Aufwand und finanziellem Einsatz auch gelang. Ein eigener Verein wurde gegründet, und Unterstützung kam von vielen Seiten, selbst von der Nationalen Lotterie. Zum 150. Geburtstag des Architekten wurden 2018 die „Tea Rooms“ als Sozialunternehmen wiedereröffnet. Man serviert wie einst Tee oder Dinner und erklärt in einer Führung, warum die „Willow Tea Rooms“ heute eine Wiederherstellung und keine Replik sind. Eine solche wäre die „Glasgow School of Art“, von der nach den beiden verheerenden Bränden nicht viel mehr als Mauerreste erhalten blieben. Trotzdem entstand der Ruf nach einem erneuten Wiederaufbau.

Befürworter und Gegner befeuern täglich einen Diskurs, bei dem es um das Wie eines solchen Mammut-Unterfangens geht. Sein Ausgang ist noch offen. Was bereits ablesbar ist: Pflege und Erhaltung des gebauten Erbes scheinen viel stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert als hierzulande. Offensichtlich werden sie als nationale Aufgabe gesehen, die den Staat, private Spender und die Mitsprache von Bürgern brauchen. Das fand ich jüngst in Glasgow so außergewöhnlich, dass dies ein Beitrag über Bewahrung wurde und nicht über Veränderung. Oder einer über Transformation durch Bewahrung – oder umgekehrt?

9. Januar 2020 Spectrum

Universität Graz: Vom Lesen auf dem fliegenden Teppich

Dass eine Bibliothek ganz im Zeichen von Wissenserwerb und Forschung steht, wird niemanden überraschen. Mit der neu gefassten Grazer Universitätsbibliothek hat man darüber hinaus einen vibrierender Ort der Begegnung geschaffen.

Wozu vergrößert man das Raumangebot einer Bibliothek in Zeiten digitaler Megalomanie, in der mehr Informationen auf ein Smartphone passen, als man sich aus den gesammelten Bänden einer Kleinstadtbücherei holen kann? Wer heute Bibliotheken baut, will nicht mehr Speicher für noch mehr Bücher, sondern Orte der Begegnung schaffen. Lesen ist nur eine Option. Was gelesen wird, wird immer häufiger digital zur Verfügung gestellt. Diese weltweiten Trends machen auch vor der Universität als Ort des Forschens nicht halt. 2015 wurde für die Sanierung und Erweiterung der Uni-Bibliothek Graz ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem die „Gesamtbetrachtung der städtebaulichen Situation unter Berücksichtigung von qualitätvollen Außen- und Freiräumen“ verlangt wurde. Aus den 35 Beiträgen stach einer heraus: Signifikanz durch klare Formen und Proportionen wurde von der mutigen Jury mit dem ersten Preis bedacht.

Das Atelier Thomas Pucher aus Graz sah vor, die mehrfach durch Zubauten veränderte Bibliothek aus 1890 radikal zu „bereinigen“. Der Anbau aus den 1970ern im Norden wie der Verbindungsgang zum Hauptgebäude wurden entfernt, die historische Fassade wieder freigelegt. Dem Ring mit dem historischen Lesesaal als Kern wurden zwei Geschoße aufgesetzt – mit gläserner Fuge in guter Grazer Architekturtradition. Der als „fliegender Teppich“ bezeichnete neue Baukörper kragt im Norden weit aus und bildet mit dem Hauptgebäude der Universität in luftiger Höhe eine Fluchtlinie. Darunter entstand, etwas abgehoben von der nun deutlich artikulierten Ost-West-Achse, ein großzügig dimensionierter Platz, der punktgenau der Forderung nach einer städtebaulichen Aufwertung der Freiräume auf dem Campus entspricht.

In verblüffender Präzision wird hier nun die Logik der Wegeführung erkennbar. Dem Durchgang vom Geidorfgürtel folgt mit großer Freitreppe der Weg durchs Areal, die Kreuzung der fußläufigen Verbindungsachsen wird einsehbar und der neu konzipierte, erhöhte Platz mit dem Zugang zur Bibliothek als Terrasse schon in der Annäherung erlebbar. Das zentrale Entree ist als lange gläserne Fuge ausgebildet, die alle Bereiche erschließt. Auch hier gelingt den Architekten, Ordnung und Orientierung zu schaffen. Die Zugänge zur Ausleihe, zum historischen Lesesaal, zur Verwaltung, zu den Aufzügen, zu den neuen Leseplätzen im Schwebebalken und der neue, extern der Universität zur Verfügung stehende Hörsaal sind additiv angeordnet. „Open Access“ auch hier.

Als Herzstück können die differenziert ausgestalteten Lese- und Arbeitszonen in den neuen, obersten Geschoßebenen bezeichnet werden. In luftig-heller Arbeitsatmosphäre entscheidet man sich hier entweder für den akustisch getrennten Leiseraum mit Galerie, der mit langen Tischen und Bildschirmen ausgestattet ist, oder für den intimen Platz in einer Koje an der Längsfront gegenüber der Freihandbibliothek. Es gibt Sitzstufen mit Stromanschluss und eine Lounge mit Sofas, in der sich bequem die neuesten News lesen lassen. Das strahlende Weiß der massiven Stahltragkonstruktion und das dominierende, schöne Rot des Teppichbodens, der die Schritte schluckt und eine visuelle Klammer bildet, sind Muntermacher und wirken auch an einem grauen Wintertag einladend. Im Sommer werden die Plätze auf der nach Süden gerichteten Dachterrasse begehrt sein, doch schon jetzt staunt man über die beinahe volle Belegung der Plätze an einem Samstagvormittag. An dieser Stelle scheint eine Beobachtung angebracht. Vergleicht man die Pläne im Wettbewerbsstadium mit jenen, die nun umgesetzt wurden, so wird klar: Des Architekten zündende Idee – den Bestand entrümpeln und aufwerten durch eine rundum verglaste aufgesetzte Großform – blieb ohne Abstriche erhalten. Das ist im Prozess der Realisierung nicht selbstverständlich. Oft verwässern Kosten- oder Zeitdruck, Anforderungen an Sicherheit, Bauphysik oder anderes eine Idee. Hier nicht. Alles, was sich in der Detailbetrachtung an Unterschieden zeigt, stellt eine Entwicklung zum noch Besseren, Praktikablen dar. Hier wanderten die Treppenhäuser auf die Längsseite, ebenso die Regale für die Freihandaufstellung, und machten Durchblicke und Durchlässigkeit von Nord nach Süd und zwischen den beiden Ebenen möglich. Die Entscheidung, das zentral liegende historische, höchst filigrane Glasdach zu entlasten durch ein weiteres in Überkopfhöhe, brachte nochmals Verbesserung. Die Glasfronten an den Gängen konnten entfallen, ein großzügiges Raumkontinuum entstand.

Dass die neue Bibliothek in ihrer signifikant herausragenden Form der Grazer Universität zum Symbol für Fortschritt gereicht und trotzdem keines jener ikonografischen Monster ist, denen man gerade jetzt, zu Beginn des neuen Jahrzehnts, verächtlich das baldige Aussterben voraussagt, liegt wohl am Arbeitsmotto von Thomas Pucher: „Explore the function. Make it simple. Design with style. Get an icon“ ist auf der Website des Ateliers zu lesen. Zurzeit wird mit Hochdruck an der Ausführungsplanung der Sinfonia-Warsovia-Konzerthalle in Warschau, einem mehr als 100-Millionen-Euro-Projekt, gearbeitet. In solchen Prozessen muss auch Platz sein für die Ideen anderer. War Thomas Pucher, wie man hört, anfangs nicht ganz glücklich über das Projekt „Perspectiva Practica“, mit dem Anna Artaker den „Kunst am Bau“-Wettbewerb der Bibliothek gewann und die große Fläche an der Unterseite der Auskragung gestalten wird, so sieht er der noch folgenden Gestaltung nun mit großer Offenheit entgegen.

Es gibt Kritiker, die bedauern, dass die Bücher in Depots in den Tiefgeschoßen verräumt werden und nicht mehr als schöne Erstausgabe im Mittelpunkt stehen; sie werden lernen, den Wert von neuen öffentlichen Räumen, die Kommunikation und Kooperation fördern, hoch einzuschätzen. Die Gegenwart stellt uns vor so große komplexe Aufgaben, die allein zu lösen wir außerstande sind. Dazu braucht es solche Denkräume, nicht Vereinzel(l)ung. Bestenfalls wird in der Bibliothek der Zukunft, meint der Architekt, nicht nur Wissen abgerufen, sondern in fruchtbarer Vernetzung und Zusammenarbeit auch neues Wissen generiert. Wenn gute Architektur wie diese in Graz solche Prozesse unterstützt, sollte es allen, auch den sich der Tradition verpflichtet fühlenden Skeptikern, recht sein. Analog oder digital ist nicht wirklich eine Frage.

16. November 2019 Spectrum

Einmal öko reicht nicht

In Eisenerz soll ein Supermarkt mit direktem Zugang von der Bundesstraße errichtet werden. Die Folge: Das Grundstück zwischen zwei Straßen muss meterhoch aufgeschüttet werden. Ortsbildschutz für die historischen Nachbargebäude scheint nebensächlich. Ein Besuch.

Dies ist eine Erzählung, die noch kein Ende hat. Es besteht die Chance, sie zu einem guten Abschluss zu bringen – gut für alle Beteiligten und schonend für die Umwelt. Ihr Inhalt ist ein Bauvorhaben, bei dem die Bauherrenschaft von Beginn an Vorgaben machte, die wenig Spielraum für Kreativität ließen. Der Reihe nach.

2016 reichte Billa einen Plan für einen neuen Supermarkt in Eisenerz ein. Dieser sollte knapp an der Bundesstraße stehen und die beiden bestehenden Filialen, eine im Ortskern und eine nahe einer früher bedeutenden Bergarbeitersiedlung, ersetzen. So weit, so gut: Eisenerz setzt auf mehr Tourismus, Billa auch auf den Durchzugsverkehr. Das Grundstück, ursprünglich ein Hang zwischen zwei Straßen mit beträchtlichem Höhenunterschied, ist noch bebaut mit einem Gebäude, das um 1960 eines der ersten Großkaufhäuser der Region war. Es lag nahe der Ortsmitte, von der tiefer gelegenen Zufahrtsstraße aus erschlossen und direkt angebaut an ein jetzt unter Denkmalschutz stehendes Ensemble. Heute liegt das „Forum“ in der Zone des Ortsbildschutzes, der 1980 verordnet wurde, und ist ein Gegenüber von Sgraffito geschmückten Wohnhäusern, die sich die geneigte Straße entlang reihen wie auf einer Perlenkette.

Billa legte den Plan eines Baumeisters vor. Das leer stehende Bauwerk soll zur Gänze abgetragen und der dadurch entstehende Bauplatz bis zu neuneinhalb Meter hoch aufgeschüttet werden, um darüber das neue Gebäude niveaugleich mit der Bundesstraße zu errichten. Ein Billa-Markt auf dem Tablett, die Sichtbarkeit von der Bundesstraße als oberste Maxime – und alles mit weitreichenden Folgen. Zur tiefer liegenden Straße und zu den historischen Nachbarhäusern hin war eine ebenso hohe Stützmauer geplant, zum natürlichen Niveau des Nachbargartens Böschung, Stützmauer und Zaun. Der beigezogene Ortsbildsachverständige lehnte das Vorhaben in dieser Form ab und erteilte Auflagen, was die Höhenlage des Gebäudes, seine ungegliederte Masse und die monströsen Stützmauern betraf. Minimale Änderungen folgten – nichts, was substanziell Verbesserung und avancierte Architekturqualität gebracht hätte. Aus der Stützmauer wurde ein 160 Meter langes, im Zickzack verlaufendes Rampenbauwerk, das nun den Zugang vom Ortszentrum darstellt. Die unnatürliche Höhenlage blieb unverändert. Neu war, dass ein von der Gemeinde beauftragter zweiter Gutachter nunmehr grünes Licht für die um keinen Deut bessere Variante gab. Wie und womit er begründete, dass die Empfehlungen des Erstgutachtens nun erfüllt seien, ist haarsträubend. Es könnte zum Lehrbeispiel für unzureichende Gutachten und Gutachter werden. Wer nun glaubt, dass dagegen von der Baubehörde, der Gemeinde oder der Ortsbildkommission, die informiert war, Einspruch erhoben wurde, der irrt.

Unmut regt sich seit der Bauverhandlung in den sozialen Medien gegen die Einwände der Nachbarin, die, über die ihr zustehenden Rechte hinaus, auf der Unvereinbarkeit der vorgelegten Planung mit den Vorgaben des Ortsbildgesetzes beharrt. Tatsächlich ist viel Porzellan zerbrochen worden in der Geschichte, in der wohl die Hauptbeteiligten – Gemeinde und Billa – nur zu ihrem Eigennutz gehandelt haben. Der Schutz des Ortsbilds wurde offensichtlich als vernachlässigbare Marginalie gesehen. Doch welche Lehre, welcher Erkenntnisgewinn lässt sich ziehen? Waren qualitätvoll gelöste Bauvorhaben immer schon eine Herausforderung, so ist die Komplexität des Bauens heute aufgrund der unumgänglichen Aufforderung zu sparsamem Ressourcen- und Energieverbrauch und umfassendem Schutz der Umwelt noch höher. Billa wäre gut beraten gewesen, das beste maßgeschneiderte Projekt über einen Architekturwettbewerb zu finden oder aus einem Pool aus exzellenten Architekten zu schöpfen, die längst bewiesen haben, dass sie Bauaufgaben in sensibler Lage wie in Eisenerz bewältigen. Unternehmen wie Sutterlüty in Vorarlberg, MPreis in Tirol und Spar mit Beispielen in der Steiermark gehen seit Jahren diesen Weg und zeigen auf, wie erfolgreich gutes Bauen in jeder Hinsicht ist.

Der jetzt eingereichte Entwurf wird nicht nur aus ökologischer, sondern könnte auch aus ökonomischer Sicht für Billa ein Misserfolg werden. Man bedenke: ein Rückbau und die kostenintensive Entsorgung des Abbruchmaterials, die enormen Mengen an Material für die Aufschüttung des Bauplatzes und die Notwendigkeit einer zeitraubenden, temporären Überschüttung mit noch mehr Gewicht, damit sich der Baugrund stabilisiert. Dazu kommt, dass ein Bauwerk mit Rampen und Stützmauern äußerste Präzision in der Konstruktion und ständige Wartung im Eisenerzer Winter verlangt.

Billa hätte für sein Bauvorhaben Hilfe und fachlichen Rat gebraucht. Die Steiermark hat laut Internet einen Baukultur-Beirat, der die Baukultur-Leitlinien zur Umsetzung bringen soll. Seit vielen Jahren gibt es einen Baukultur-Beauftragten. Doch was wird getan, um die Leitlinien zur Baukultur aus der Papierform zu holen und zumindest dort mitzugestalten, wo das Land über Gesetze und Fördermittel Mitsprache und Entscheidungsmacht hat? Eine solche hätte auch die Ortsbildkommission auf Grundlage des Ortsbildgesetzes. Warum gab es kein entschiedeneres „Nein, so nicht“, nachdem der erste Sachverständige eine substanzielle Änderung des Entwurfs empfohlen hatte und diese nicht kam? Warum keine Koordination der Beteiligten, um über Gespräche Überzeugungsarbeit für eine ortsbildverträgliche Lösung zu leisten?

Trotz aller Versäumnisse wäre es für die Einsicht, dass man heute nicht mehr ressourcenverschleudernd bauen kann als Unternehmen, das mit Nachhaltigkeit punkten will, ein Klimaaktiv-Partner ist und mit Greenpeace kooperiert, nicht zu spät. Für eine Umkehr zurück an den Start auch nicht. Ein Gebäude, das intelligent auf dem Bestehenden aufbaut, oder eine neue, qualitativ hochstehende Architektur, die sich besser ins Ortsbild einfügt, wäre ein Gewinn für alle und könnte glaubwürdig für eine notwendige Wende im Bausektor stehen, in der unser Tun den Erfordernissen des Umweltschutzes in seiner ökologischen und ökonomischen Dimension angepasst wird. Mit Stolz bewirbt Billa eine Filiale in Perchtoldsdorf als Blue Building, das für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet wurde. Nur leider macht ein „Öko-Billa“ genauso wenig einen Sommer wie eine einzige Schwalbe.

25. Mai 2019 Spectrum

Wie viel Raum braucht der Mensch?

Goldene Zeiten für Graz-Umgebung als zweitattraktivsten Bezirk Österreichs: Auf Teufel komm raus wird neu gebaut. Die Bodenversiegelung schreitet rasch voran – eine neue Raumordnung scheint notwendig.

Herrscht da Goldgräberstimmung? Als aufmerksame Beobachterin der massiven Bautätigkeit südlich von Graz konnte man auch ohne das neueste Zukunftsranking schlussfolgern, was nun schwarz auf weiß feststeht: In der Studie, die die Attraktivität und Entwicklungsfähigkeit der österreichischen Regionen untersuchte, nimmt Graz-Umgebung unter den 94 Bezirken den zweiten Platz ein und punktet vor allem in den Kategorien Arbeitsmarkt sowie Wirtschaft und Innovation.

Viel gebaut bedeutet Verbrauch von Boden, der in ländlichen Gemeinden meist hochwertiger, zuvor landwirtschaftlich genutzter Boden ist. Österreich ist europäische Spitze im Bodenverbrauch. Hier wird täglich dreimal so viel Agrarland in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt wie in Deutschland. In der Schweiz gibt es Initiativen zum Flächenschutz von agrarischem Kulturboden. Davon erfahren wir nur, wenn, wie 2015, Österreichs Hagelversicherung einen dramatischen Appell zur Reduktion der Bodenversiegelung veröffentlicht, damit die Auswirkungen des Klimawandels nicht noch durch „toten Boden“ verstärkt werden, in dem kein Wasser versickern und kein Kohlendioxid gebunden werden kann. Bodenverbau soll in der Schweiz direkt an den Erhalt der Ernährungssicherheit durch ausreichende Flächen zur Versorgung der Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln aus der Region gekoppelt werden.

Solche Maßnahmen finden sich nicht in unserer überörtlichen Raumordnung, obwohl der Tenor ihrer Grundsätze Ähnliches enthält: Freihaltung von Gebieten mit der Eignung für eine Nutzung mit besonderen Standortansprüchen, Nutzung von Boden unter Beachtung eines sparsamen Flächenverbrauchs, einer wirtschaftlichen Aufschließung und Vermeidung von Zersiedelung, Entwicklung der Siedlungsstruktur unter Berücksichtigung von Klimaschutzzielen und sparsamer Verwendung von Energie und Ausrichtung an vorhandener Infrastruktur sind nur einige der Ziele, die auf dem Papier gut klingen.

Die örtliche Raumplanung, die den Kommunen obliegt und im Flächenwidmungsplan Bauland und/oder nicht zu bebauendes Freiland ausweist, ist also gefordert, Raum klug und weitsichtig zu ordnen, wie es das Steiermärkische Raumordnungsgesetz aus 2010 vorgibt: „Raumordnung ist die planmäßige, vorausschauende Gestaltung eines Gebietes, um die nachhaltige und bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohles zu gewährleisten.“ Dies umzusetzen fällt wirtschaftlich schwachen Gemeinden nicht leicht, müssen doch etwa zwei Drittel ihres Gemeindebudgets aus Kommunal- und Grundsteuern aufgebracht werden. Das lässt verstehen, dass es in Gemeinden mit Mangel an Arbeitsplätzen und Abwanderung schwerfällt, Begehrlichkeiten zur Umwidmung von Grünland in Bauland abzuweisen. Anders sollte es in boomenden Regionen wie dem Umland von Graz sein. Wann, wenn nicht jetzt wäre es möglich, den Paradigmenwechsel vom sorglosen Bodenverbrauch zu sparsamer, ressourcensparender Bodenverwendung vorzunehmen? Was wie ein Widerspruch klingt, ist keiner, denn in konjunkturell guten Zeiten kann man sich Achtsamkeit und ökologische Überlegungen leisten. Ein Paradigmenwandel wäre jetzt angesagt, denn alles, was wir weiter verschwenderisch verbauen und zubetonieren, formt unumkehrbar den Lebensraum, den wir unseren Kindern hinterlassen.

Nicht nur in Graz-Umgebung scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass an Schotterteichen neuerdings mehrgeschoßige Wohnanlagen für Ganzjahreswohnen hochgezogen werden? In den Gemeinden Kalsdorf und Premstätten, das aufgrund von Betriebsansiedlungen zu einer der finanzstärksten Gemeinden der Steiermark aufstieg, wurden solche Bebauungen genehmigt. Was als wilde Seeverbauung mit Wochenendhütten begann, wurde später durch die Errichtung einer Kanalisation legalisiert und weiter ausgebaut, zuerst nur mit Ferienhaus-Widmung, nun als Ganzjahreswohnsitz. Der Eingriff in das Landschaftsbild ist unschön, doch schwerwiegender ist, dass die Aufschließungs- und Erhaltungskosten der Gemeinden aus öffentlichen Geldern in solch ortsfernen Gebieten wesentlich höher sind als in dichten Siedlungsstrukturen, dass es kaum Anschluss an den öffentlichen Verkehr gibt, im Umfeld weder Kindergärten, Schulen noch Nahversorger zu finden sind – kurz: dass für jede Versorgungsfahrt das Auto eingesetzt wird. Die Notwendigkeit einer Folgen- und Folgekostenabschätzung wird seit Jahren betont, doch wo bleibt sie, wenn sich an den Ortseinfahrten Gewerbezentren ausbreiten und Felder und Wiesen durch Supermärkte, Parkplätze und Hallen versiegelt werden?

Möglicherweise hat ein substanzielles Umdenken des Bürgermeisters der Marktgemeinde begonnen, wenn er im privaten Zwiegespräch betont, dass er vielen Ansuchen von Bürgern um Umwidmung eine Abfuhr erteilen muss, weil er jetzt nur noch im Ortskern und nahe an bestehender Infrastruktur bauen lässt. Wenn es um ressourcenschonendes Bauen geht, stellt sich die Frage des Wo, Wie und Wieviel. Das müsste allen Beteiligten, vom Bürgermeister als oberster Bauinstanz bis zum Ortsplaner, Architekten und Bauwerber, klar werden.

Besserer Bodenschutz, weniger bauen bedingen einen Bewusstseinsprozess, der sich bereits im Raumordnungsbeirat, dem beratenden Gremium in Angelegenheiten der übergeordneten Raumordnung, widerspiegeln müsste. Dort haben bis heute die Umweltanwältin und fallweise herangezogene Sachverständige nur beratende Funktion ohne Stimmrecht, im Gegensatz zu den Vertretern aller Landtagsklubs, der Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer und des Gemeinde- und Städtebunds. Dass das Bewusstsein fehlt oder nicht genügt, um zukünftig Entwicklungen in die falsche Richtung zu verhindern, zeigt das Beispiel der geplanten Betriebserweiterung eines bekannten Industriellen im Bezirk. Die riesige Investition für die erweiterte Produktion geht einher mit einer enormen Versiegelung durch Neubau, Parkplätze, Zufahrten und Vorplätze. Das anlässlich des Spatenstichs publizierte Schaubild macht deutlich, dass minimierte Bodenversiegelung weder dem Architekten noch dem Bauherrn ein Anliegen ist. Was zählt, ist die wirtschaftliche Expansion. Das Lächeln des Landeshauptmanns zeigt Zufriedenheit.

Es braucht also mehr als Ausbildung und Bewusstsein, um die Entwicklung prosperierender ländlicher Regionen vom sorglosen Bodenverschleiß zur sparsamen Bodenverwendung zu steuern. Ohne weiterreichende Gesetze mit strengeren Ge- und Verboten wird es nicht gehen. Anreizsysteme zur Erhaltung von Grünland könnten wirksam sein. Aller Anfang läge in einer Raumordnung, die interdisziplinär eine Strategie erarbeitet, in der Klima- und Artenschutz, regionale Ernährungssicherung und die drastische Einschränkung des Bodenverbrauchs nicht papieren bleiben.

23. Februar 2019 Spectrum

Wandel im ehemaligen Rotlichtviertel: Lend - und wie weiter?

Lange war er als Rotlichtviertel und Substandard-Lebensraum verschrien: der Grazer Bezirk Lend. Mittlerweile ist der Wandel nicht mehr zu übersehen. Ob die Erfolgsgeschichte nördlich des Lendplatzes weitergehen wird, entscheidet sich jetzt. Eine Stadtwanderung.

Wenn Narrative über die Entwicklung von Stadtquartieren als touristische Attraktion vereinnahmt werden, so ruft das bei mir Skepsis hervor. Gemeinhin wird der Beginn des Aufschwungs im Grazer Lendviertel am Kulturhauptstadtjahr 2003 und der zeitgleichen Eröffnung des Kunsthauses, das genau an der Grenzlinie zwischen den Bezirken Lend und Gries liegt, festgemacht. Als ehemalige Handwerksquartiere am rechten Murufer, in die über lange Zeit nichts investiert worden war, hatten beide ein eher tristes Dasein gefristet. Gleich hinter der repräsentativen Gründerzeitbebauung am Kai hatte sich eine Nachtclub- und Rotlichtszene etabliert, und frei werdender Substandard-Wohnraum war vor der Jahrtausendwende fast nur mehr an Migranten vermietbar.

2003 gab zweifellos den wichtigsten Impuls für die Transformation des Umfelds um den Südtiroler Platz. Im Rücken des Kunsthauses, in der Mariahilferstraße, wurde diese Veränderung schneller sichtbar. Dort standen mehrere Häuser zum Verkauf, wurden saniert, und in die freien Geschäftslokale zogen Mutige aus der Kreativszene und Sozialvereine wie „Tagwerk“ ein. Dass sie von der Stadt unterstützt wurden, um die Mieten für ihre Ladenlokale aufbringen zu können, ist eine der Legenden über den Aufschwung des Lendviertels. Der Wandel hatte schon 1999 mit der gelungenen Neugestaltung des Lendplatzes durch Norbert Müller im Rahmen der Initiative „Platz für Menschen“ des jung verstorbenen Vizebürgermeisters Erich Edegger begonnen. Der dortige Bauernmarkt wurde zum beliebten Treffpunkt, die türkischen Läden trugen zur Attraktivierung bei. Die aktive nachbarschaftliche Aneignung des öffentlichen Raums als Stadtraum, der nicht bloß kommerziellen Interessen vorbehalten ist, ist das Anliegen des „Lendwirbels“, der heuer zum elften Mal im Frühling stattfindet. Seine Initiatoren und sozialen Netzwerker tragen heute mehr zur gedeihlichen Entwicklung des Lendviertels bei als die Stadtplanung – ja, sie bilden mit ihren Anliegen für eine entscheidungsoffene Mitgestaltung des eigenen Lebensraums eine kritische Instanz gegenüber Tendenzen, ihr Viertel als Teil der „City of Design“ für den Tourismus und die sogenannte Kreativwirtschaft zu vermarkten.

Immobilienentwickler, die auf eine Aufwertung des Viertels durch höchste Qualität setzen, sind rar. Megaron, hinter der die Grazer Gruppe Pentaplan in Personalunion als Architekten und Bauträger steht, ist einer. Sie haben risikoreich auf die steigende Attraktivität des Lendviertels gesetzt und waren mit einem markanten urbanen Gebäude mit gemischter Geschäfts-, Büro- und Wohnnutzung im Jahr 2000 Impulsgeber. Zwei Jahre lang verkauften sie nichts, doch ihr Gespür für Orte und Entwicklungen mit Lebensqualität machte das Unterfangen letztlich zum Gewinn. 2004 ersteigerten sie eine Immobilie am Platz und planten mit einer Förderung zur Schaffung von Wohnraum durch umfassende Sanierung anhaltend nachgefragte Mietwohnungen. Der preisgekrönte „Goldene Engel“ führt das Urbane des Platzes mit einer repräsentativen Stadtfassade und mit öffentlich zugänglichen Flächen im Erdgeschoß fort und ist ein gutes Beispiel für die sozialverträgliche Transformation des Bezirks, der zwischen 2006 und 2011 zum am schnellsten wachsenden der Stadt wurde. Das Wohnen am rechten Murufer wurde für die Jungen attraktiv. Alteingesessene, Migranten und Studenten prägen das Stadtbild in einem lebendigen Nebeneinander. In der öffentlichen Wahrnehmung endet das heute nach wie vor mit dem Lendplatz. Das vorstädtisch klein geprägte Gewerbe- und Wohngebiet um die Wiener Straße bis zum Kalvariengürtel bleibt noch ausgeblendet, obwohl sich dorthin bereits die Begehrlichkeiten von Immobilienentwicklern verlagert haben.

Dazu der Versuch einer Charakteristik des Vorgefundenen: AVL, ein international tätiger Motoren- und Prüfsystementwickler, besetzt mit einem stetig wachsendem Konglomerat aus Büro- und Forschungsbauten und einer massigen Hochgarage ein großes Areal am Beginn der Wiener Straße – introvertiert, abgeschlossen und unter Privatisierung einer ehemals durchs Firmenareal führenden Straße. Das Gebiet östlich der Wiener Straße hingegen, entlang von drei parallel geführten Nord-Süd-Verbindungen, ist stark durchmischt. Mehrgeschoßige Wohnbauten, denen man ablesen kann, dass sie an der Stelle von früheren Einfamilienhäusern und Gewerbebetrieben sitzen, wechseln sich ab mit kleinen Vorstadthäusern in großen Obstgärten. Eingeschoßige, teils winzige hundertjährige Wohnhäuser stehen neben neuen Wohnblöcken, die ihre Areale bis auf ein Maximum der erlaubten Bebauungsdichte im Kerngebiet bebaut haben. Das treibt kuriose, teils gar nicht stadtverträgliche Blüten. Ein Beispiel? Austritte oder kleine Terrassen von Wohnungen im Erdgeschoß bis an den Gehsteigrand, abgetrennt durch eine mauerdichte Umzäunung. Zwei neue Bauten stechen wohltuend hervor, der neueste Coup von Pentaplan: die 2018 mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnete „Prinzessin Veranda“. Das Wohngebäude ist ebenso als herausragender urbaner Solitär in einen Zwickel zwischen zwei Straßen gesetzt wie das Hotel Lend, das Nicole Lam ins ehemalige Niemandsland neben Bordell und Hochgarage gesetzt hat.

Gebaut wird hier bald an allen Ecken und Enden. Für das nächste große Investment, kolportierte 300 Wohnungen in einem noch gewerblich genutzten Areal am Beginn der Wiener Straße, hat die Stadt einen Bebauungsplan erstellt. Dieser könnte überall im Stadtgebiet umgesetzt werden, die vorgesehene geschlossene Blockrandbebauung nimmt leider keine der jetzt noch vorhandenen raumbildenden Merkmale des Stadtteils auf – weder Öffnungen noch Durchblicke in die Grundstückstiefe noch Wegeführung durch das Areal. Genau das aber macht für den aufmerksamen Stadtwanderer den Charme der noch rudimentär vorhandenen alten Vorstadt zwischen Lendkai und Wiener Straße aus. Dass das Alte, Kleinteilige bald Vergangenheit sein wird, ist eine Realität. Zu groß sind die Begehrlichkeiten für das zentrumsnahe, gut erschlossene Quartier. Stadtverdichtung als Devise ist in einer Stadt der kurzen, fußläufigen Wege nicht falsch. Doch halt! Einiges an den liebenswerten Besonderheiten könnte in die Transformation des Gebiets aufgenommen werden. Die großen, nur mit Stichstraßen erschlossenen Flächen geben es vor: Durchblicke und bis weit in tiefe, schmale Grundstücke hineinführende Wege, die aufgenommen, öffentlich gemacht und weitergeführt werden könnten, ohne Einzäunungen. Stadt ist nun einmal eine dichte Gemengelage aus öffentlichen, halb öffentlichen und privaten Interessen.

Für das Lendviertel gilt: Seine Heterogenität ist eine feinkörnige Durchmischung, seine Vielfalt eine Ressource und ein Schatz, der nicht durch 08/15-Neuplanung verschwinden darf.

6. Januar 2019 Spectrum

Leistbares Wohnen: So geht's!

In Zeiten von schwindenden Flächen ist leistbares Wohnen eine besondere städtebauliche Herausforderung. Klagenfurt zeigt, wie es gelingen kann – 2018 gab es dafür den Landesbaupreis.

Im Jahr 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten wohnen, und schon jetzt gibt es in wachsenden Agglomerationen einen enormen Bedarf an Wohnraum. Bei einer internationalen Konferenz über Soziales Wohnen im Dezember 2018 in Wien fielen bemerkenswerte Sätze zum Thema: „Wir können Wohnen nicht dem Markt überlassen.“ Und: „Selten kommen Interessensgegensätze so deutlich zum Vorschein wie in der Wohnbaupolitik.“

Michael Ludwig, der sie formulierte, war einst Wohnbaustadtrat. Wiens Bürgermeister wusste genau, wovon er sprach, als er betonte, dass das Wohnen aus der neoliberalen Entwicklung herausgenommen werden muss, weil die Privatisierung des Wohnungsmarkts den Kommunen die Möglichkeit nimmt, regulierend einzugreifen. Leistbaren Wohnraum zu schaffen ist eine Herausforderung, in der es um weit mehr geht, als geförderte Wohnungen für sozial Schwache bereitzustellen. Ureigenste Charakteristiken der Stadt sind Diversität und Vielfalt. Will man sie steuern, muss Durchmischung jeden neuen Siedlungsraum prägen. Damit Gemeinschaft gelingt und hohe Akzeptanz erhält, braucht es bauliche Voraussetzungen, aber auch programmatische soziokulturelle Unterstützung.

Wohnzufriedenheit kann nur entstehen, wenn neue Siedlungsgebiete infrastrukturell erschlossen und angebunden werden, wenn der Weg zur Arbeit und zur Deckung des täglichen Bedarfs nicht kostbare Tagesfreizeit ,auffrisst‘; wenn schwierige Lagen und Grundstücke – und in vielen dicht bebauten Agglomerationen sind nur mehr solche verfügbar – so bebaut werden, dass in den Wohnungen Emissionen von Verkehr und Lärm geschickt ausgeblendet werden. Wohnbauforschung muss umweltverträgliche Typologien und Wohnungsgrundrisse entwickeln, Bund, Land und Stadt müssten Mittel zur Verfügung stellen, damit diese auch ohne Ausschöpfung maximaler Dichten und höchster Effizienz realisiert werden können. Städte wie Wien, die Baulandbevorratung betreiben, haben die Möglichkeit, Bauland an Bauträger unter dem Marktwert weiterzugeben, an bestimmte Bedingungen geknüpft.

Auch die Klimaveränderung wird urbanes Wohnen sichtbar verändern. Österreich ist unrühmliche europäische Spitze im Bodenverbrauch. Weniger Boden versiegeln, Flachdächer begrünen und nützen, Grünraum mitplanen, gemeinsames „Garteln“ fördern – all das trägt dazu bei, das Mikroklima in Wohnquartieren zu verbessern. Tatsache ist auch, dass ein angemessenes Grünangebot im Nahbereich der Wohnung die Zahl der Stadtbewohner, die sich jedes Wochenende ins Auto setzen und in Kolonnen aufs Land flüchten, reduziert.

Städte sind immer Motor gesellschaftlicher Veränderung gewesen. In Klagenfurt, das nicht zu den wachsenden Hauptstädten zählt, treten einige der genannten Themen noch nicht zugespitzt auf. Lange Wartelisten für erschwingliche Mieten gibt es dennoch. Umso bemerkenswerter ist, dass Klagenfurt den Bau einer Siedlung mit fast 100 Wohnungen an der Glan initiiert hat, bei dem durch gezielte Steuerung Voraussetzungen geschaffen wurden, die leistbares Wohnen gelingen lassen.

Und das kam so: Für ein Grundstück in ihrem Besitz schreibt die Stadt als Ausloberin 2011 einen Architekturwettbewerb aus, in dem sie Voraussetzungen für ein gedeihliches städtisches Miteinander bedacht und präzise formuliert. Stark im Wandel befindliche Lebensformen sollen sich in einem differenzierten Angebot an Wohnraum ausdrücken. Den Wettbewerb für sich entscheiden kann Eva Rubin, die mit ihrem Projektleiter Jürgen Wirnsberger den Entwurf ab 2013 auch umsetzen wird.

Doch bis dahin geht die Stadt einen Weg, der bemerkenswert und vorbildlich ist und gegenüber der städtischen Finanzabteilung sicher nicht einfach durchzusetzen war. Sie verkauft das Grundstück nicht an den Bestbieter, sondern wählt in einem Evaluierungsprozess unter Interessenten jene Wohnungsgenossenschaft aus, die bereit und am besten geeignet ist, das geförderte Projekt so umzusetzen, wie es geplant wurde und von der Stadt gewünscht wird.

Individuellen Bedürfnissen und der Durchmischung im verdichteten Geschoßbau geschuldet ist ein Angebot von vierzehn verschiedenen Grundrissen auch für Startwohnungen, betreutes Wohnen, eine betreute Wohngemeinschaft und Wohnungen für AlleinerzieherInnen, die mit dem Angebot eines zusätzlichen Homeoffices konzipiert wurden (und zum Bedauern der Architektin nicht als solche vergeben wurden).

Eva Rubins grundlegende Faktoren für den Entwurf waren Maßstäblichkeit und eine lebendige Gliederung der Baumassen, um Erkennungswert und Identifikation mit dem Zuhause zu fördern. Zur möglichen Höhenentwicklung im Wohnungsbau vertritt die Tochter von Roland Rainer eine klare Haltung: Die maximale Höhe ist dort gegeben, wo die direkte kommunikative Verständigung zwischen der Wohnung und dem Freibereich vor dem Haus gerade noch möglich ist.

Zehn bis zu vier Geschoße hohe Baukörper sind deutlich in der Höhe abgestuft und sichtbar gegliedert zwecks Optimierung der Sonneneinstrahlung. Was damit auch angestrebt wurde und wie selbstverständlich gelang, ist ein maßvoller Übergang zur im Süden vorgelagerten, öffentlich nutzbaren Wiese, zur schönen Baumpflanzung am Ufer und zum Radweg entlang der Glan. Die Wohnungen im Erdgeschoß haben private Kleingärten. Jene am halb öffentlichen Grün und dem zentralen, teils befestigten Platz sind durch Hecken und halb hohe Lüftungsschächte der Tiefgarage getrennt, die Privatheit garantieren sollen. Der große Gemeinschaftsraum, auch zum Platz hin angelegt, eine gedeckte Spielfläche und die Wegeführung zur Erdgeschoß- und zur Laubengangerschließung signalisieren allerdings urbane Betriebsamkeit.

Alles an baulichen Voraussetzungen für das Entstehen geglückten Zusammenlebens in einer aufeinander Rücksicht nehmenden Gemeinschaft ist in dieser Anlage gegeben – von der Abschottung vom Verkehr der angrenzenden Straße durch einen höheren Querriegel bis hin zu den mietbaren Hochbeeten. Wie die Siedlung mit Leben erfüllt wird, wird sich nach und nach zeigen. Ganz so wie in der dichten Stadt, die auch nicht an einem Tag zu dem wurde, was sie heute ist.

Als Best-Practice-Beispiel kann sie jetzt schon dienen. Sie beweist, dass es möglich ist, guten Wohnraum zu schaffen, wenn nicht Gewinnmaximierung die Prämisse ist, sondern der Wille der Politik, leistbaren Wohnraum zu schaffen; wenn die Länder stärker als Förder- und Geldgeber auftreten, die Städte ihre Aufgabe auch darin sehen, geeignete Flächen aufzukaufen und bereitzustellen. Und wenn alle Beteiligten daran interessiert sind, die hohe Lebensqualität in Städten zu erhalten.

21. April 2018 Spectrum

Was bleibt den Kindern?

Fachleute fordern, die Bauten der Nachkriegsmoderne systematisch zu erfassen, um Baudenkmäler dieser Zeit schützen zu können. Im Einzelfall zeigt sich, dass Expertise noch fehlt: zum Umbau des Speisesaals der Schulschwestern in Graz.

Wir befinden uns mitten im Jahr des Europäischen Kulturerbes, das die EU 2018 ausrief. Auch Österreichs Bundesdenkmalamt beteiligt sich daran und stellt seine Veranstaltungen unter das Motto „Der Zukunft eine Vergangenheit geben“. Das klingt auf den ersten Blick rätselhaft, weckt dadurch Interesse und lässt eine deckungsgleiche Interpretation mit dem Anliegen einer Aktionsgruppe zu, die sich vergangenen Herbst formiert hat. „Bauten in Not“ macht auf Baudenkmäler in Österreich aufmerksam, deren Zukunft ganz und gar noch nicht gesichert ist. Den sich vorwiegend zivilgesellschaftlich engagierenden Architekturwissenschaftlern und Architekten geht es um eine breite Bewusstseinsbildung für die Bedeutung der Baukultur des 20. Jahrhunderts – mit starkem Fokus auf die Nachkriegsmoderne.

Die Forderung, sich endlich systematisch und umfassend dieser Periode des Wiederaufbaus zu widmen, richtet sich an das Bundesdenkmalamt, das diese Notwendigkeit selbst schon 2008 angesprochen hat. Was davon ist es wert, in die jüngere österreichische Architekturgeschichte aufgenommen zu werden? Gefordert wird die Erarbeitung von Wissen und Beurteilungskriterien zur Thematik. Analysekompetenz ist die wichtigste Grundlage für den Diskurs zur respektvollen, adäquaten Erhaltung von wichtigen Baudenkmälern, der mit Eigentümern und Nutzern geführt werden muss. Zurzeit scheinen Kompetenz und eine klare Haltung noch nicht vorhanden. Das wird am Umgang mit Bauten in ganz Österreich, die akut gefährdet oder schon zerstört sind, sichtbar. In der Beschreibung des Aufgabenbereichs des BDA Steiermark findet sich ein bemerkenswertes Bekenntnis: „In Graz findet auch die jüngere Architektur in der Denkmalpflege Beachtung, die ,Grazer Schule‘ zählt dabei zu den bekanntesten Phänomenen der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts.“

Der Speisesaal der Schulschwestern (1973–77) von Günther Domenig und Eilfried Huth in Graz-Eggenberg stellt ein Schlüsselwerk jener lokalen Architekturbewegung dar, die der verflachten, nur mehr funktionalistisch geprägten Moderne des Wiederaufbaus eine Abfuhr erteilte. Das Bauwerk im Innenhof des Klostergevierts „mit seiner frei geformten, animalisch anmutenden Struktur aus Spritzbeton“ (Achleitner) symbolisiert den Wertewandel zu einer individualisierten, auf den Ort bezogenen Bearbeitung jeder Bauaufgabe.

Nun wurde dem Speisesaal, der nach Paragraf 2a als Bau im öffentlichen oder kirchlichen Eigentum unter Schutz gestellt worden war, ein neuer Verbindungsgang zum Schultrakt des Klosters hinzugefügt – unter Einbeziehung und Begleitung der Altstadtkommission und des Bundesdenkmalamts in Graz. Die Architekten gingen an das kleine Bauwerk seinerzeit heran wie an eine Skulptur. In die Diagonale gesetzt, sollte es ein Kontrapunkt zur strengen Orthogonalität des Klostergevierts werden. Ein Merkmal solch plastisch-organischer Ausformung von Räumen ist, dass sie als solitäre Form Wirkkraft entfalten, auch dann, wenn wie beim Speisesaal der Baukörper (welch passender Ausdruck!) über einen offenen Gang an den Bestand angebunden wird. Auch eine zweite Verbindung zum Klostertrakt gab es von Anfang an – sorgfältig gewählt, von Besuchern gar nicht wahrgenommen war jene zur Küche, aus der die Speisen in den Saal gebracht wurden.

1988 ließ man die Spritzbetonschale aufwendig mit Rheinzink überziehen, um einer größeren Undichtheit des Daches zuvorzukommen. Veränderungen passierten also, die Solitärwirkung blieb. Vor wenigen Jahren stellten die Schwestern nun die Versorgung über die hauseigene Küche ein. Mit der externen Anlieferung der Speisen wollte man auch die Funktionsabläufe entflechten, weg vom internen Teil des Klosters. Die Lösung dafür sahen die Klosteroberin und die Architektin nur in der nun neu positionierten Essensausgabe, in einer im Schultrakt situierten Abwäsche und einem neuen Verbindungsgang. Die Altstadtkommission als Begutachterin und das Bundesdenkmalamt schlossen sich dieser Meinung an.

Ein großer Fehler, denn diese Maßnahme wirkt sich gravierend aus. Der von den Architekten präzise gesetzte frühere Ausgang in den liebevoll gepflegten Blumengarten mit exotischen Bäumen wurde geschlossen, fungiert nun als Anschluss zum Anbau. Dabei war das kleine Landschaftsstück mit organischer Anordnung von Wegen und Beeten schon in einer Zeichnung von Domenig als integraler Teil des Bauwerks angelegt. Nun wurde es in zwei Teile zerschnitten, von denen einer weitgehend der neuen Zufahrt zum Opfer fiel.

Die Architektin erzählt, dass ihr schlichter Erstentwurf des Verbindungsgangs von der Altstadtkommission abgelehnt und sie aufgefordert wurde, architektonischen Ausdruck und Form an das organische Gebilde anzupassen. Fatal, denn die Solitärwirkung der Architektur des Speisesaals ist massiv beeinträchtigt. Das Ergebnis kann nicht anders als misslungen bewertet werden, auch wenn der finanzielle Aufwand zur gewünschten qualitativen Analogie überproportional hoch war. Der Leiter des steirischen BDA, Christian Brugger, sieht darin keine (Zer-)Störung des Baudenkmals, „weil der Speisesaal so stark ist“, und ergänzt, dass die nunmehrige Hinzufügung „ein Bauwerk ist, das ja wieder einmal rückgebaut werden kann“.

Wer wie die Autorin diese Einschätzung nicht teilt, ist der Meinung, dass bei dem Schlüsselwerk der „Grazer Schule“ die Fachleute beider Institutionen versagt haben. Ihre Aufgabe wäre gewesen, Überzeugungsarbeit zu leisten und die jetzige Leitung der Schulschwestern für die Erkenntnis zu gewinnen, dass dieser Solitär keine zusätzliche Anbindung an das Klostergeviert verträgt. Aufgabe der Architektin des Umbaus wäre gewesen, eine Alternative für die gewünschte Entflechtung zu entwickeln, durch die der Verbindungsbau entfallen wäre. Ich behaupte, dass dies mit einer guten Idee und Überzeugungskraft hätte gelingen können. Erforderlich dafür wäre allerdings Expertise gewesen – sich der Bauaufgabe tiefgehend zu widmen, Charakteristik und Qualität des Denkmals umfassend zu analysieren und es aus dieser Erkenntnis heraus vor Verschandelung zu schützen.

Was an Baukultur dieser wichtigen Zeit des Aufbruchs in Österreich werden wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen, was wird der Zukunft eine identitätsstiftende Vergangenheit geben können?

3. März 2018 Spectrum

Eingang um die Ecke

Kein Stück Baukultur ist sakrosankt – Eingriffe zur Funktionsänderung müssen erlaubt sein. Die Frage ist: Wer plant und autorisiert den Umbau? Zu wessen Vorteil? Ein brisantes Thema, aufgezeigt anhand der neu gestalteten Zugangsebene des Kunsthauses Graz.

Architekturkritik thematisiert, wenn sie Bauten vorstellt, vorwiegend Objekte im Originalzustand – diese sind neu, erst kurz in Verwendung und noch unverändert. Über ältere Werke der Baukunst wird im historischen Kontext gesprochen, wenn sie etwa unter Schutz gestellt werden sollen oder ihnen Zerstörung droht. Mögen sie noch so bedeutend sein als touristische Attraktion, als Schlüsselwerke in der Entwicklung der Architektur und ihrer Geschichte: Zwischen dem einen und dem anderen Moment ihrer Existenz bleiben selbst bedeutende Bauten unbeachtet vom wertenden Blick, dabei muss Architektur erst ihren Gebrauchswert unter Beweis stellen. Sie muss nicht nur in der geplanten Form „funktionieren“, sondern, wenn nötig, auch angepasstwerden können an neue Anforderungen an die räumliche Organisation, an Arbeitsplätze, technische Ausstattung.

So weit, so gut. Architekten planen nicht als Selbstzweck und haben nicht im Sinn, ihre Arbeit als unantastbares Kunstwerk zu konservieren um den Preis von vitaler Nutzung. Dennoch verlangt schon der Respekt gegenüber der kreativen Leistung eine sorgfältige Abwägung, ob bauliche Eingriffe wirklich notwendig sind. In diese Analyse solltendie Architekten eines Gebäudes einbezogen werden, denn wer ist vertrauter mit einem städtebaulichen, funktionellen und gestalterischen Konzept? Wer kann besser damit umgehen? Die Frage, wen man mit der Aufgabe betraut, stellt sich dann vermutlich nicht mehr. Was bleibt, ist das Wie. Aktuelles Beispiel: das Grazer Kunsthaus.

Teil der Stadtlandschaft

Dieses außergewöhnliche Stück Baukunst passt sich so gut in die Stadtlandschaft ein, dass man es heute nicht mehr missen möchte. Seine Eingangsebene sollte neu gestaltet werden. Barbara Steiner, seit 2016 die Leiterin des Kunsthauses, ortete im Erdgeschoß zahlreiche Probleme, die sie aufgrund der Verlegung des Cafés ein Jahr davor ins Unerträgliche verstärkt sah. Das Lokal war vom Nordteil der Eingangsebene an die Straßenfront ins Eiserne Haus gewandert, auf die Fläche des ehemaligen Medienkunstlabors. Ein attraktiver Gastgarten mit Westsonne trägt zum großen Erfolg des jetzigen Pächters bei.

Die ehemalige Kleinküche, weitab vom neuen Ort der Speisenzubereitung, wurde als Depot mitverpachtet, und genau dies sollte ein Hauptargument für den Umbau werden. Bemängelt wurden der regelmäßige Transport von Lebensmitteln und Abfall durch das Foyer, Küchengerüche in den Ausstellungsräumen, die angeblich zur Beanstandung durch Kreditgeber führten, Leergutstapel im Foyer und Warenanlieferung vor dem Kunsthaus. Dringlich sei die Neuprogrammierung des Erdgeschoßes auch gewesen, weil es bis dahin keine angemessene Verbindung zum murseitigen Vorplatz gegeben habe.

Der Umbau ging unter Einbeziehung des ehemaligen Projektleiters und eines örtlichen Architekturbüros vonstatten. Peter Cook und Colin Fournier, die Architekten des Kunsthauses, wurden darüber anlässlichder Ausstellungseröffnung zum Werden des Kunsthauses informiert – auch über eine Erweiterung der Fläche für das Café. Zum Stein des Anstoßes wird jetzt, wovon laut Fournier nicht die Rede war: dass sich das zum Restaurant ausgebaute Café nun über die gesamte Fläche des Eisernen Hauses erstreckt und den für die Architekten wichtigsten, von ihnen großzügig und frei angelegten Zugang okkupiert.

„Der neue, an das Eiserne Haus angefügte Bau ist angehoben, sodass die Erdgeschoßebene offen, transparent und frei zugänglich bleibt“ heißt es schon 1999 in der Beschreibung des Wettbewerbprojekts. Und weiter: „Der Hauptzugang erfolgt von der stark frequentierten Fußgängerzone bei den Haltestellen.“ Mit dem Konzept des offenen, uneingeschränkt zugänglichen Foyers als Erweiterung des öffentlichen Stadtraums wurde seinerzeit der Wettbewerb gewonnen. Das Eiserne Haus, Brückenkopf mit stark von Passanten frequentierter Schaufront, sollte nicht nur einbezogen werden in die Eingangsebene, sondern den dominanten Zugang bilden – dazu angetan, sich auch spontan für einen Ausstellungsbesuch zu entscheiden.

Diese Durchlässigkeit ist nun gestört, streng genommen zerstört. Der direkte Weg von der Brücke, der Fußgängerzone, den Straßenbahnhaltestellen und dem Südtirolerplatz mutierte zum im Winter einzigen Eingang ins Café-Restaurant. Vorbei an Kaffeetischen und Küchenkräutern kann man sich von hier immer noch den Weg ins Foyerbahnen, das nun jedoch leer geräumt wirkt und nach Wegweisern zum neuen, außer Sicht befindlichen Ticketschalter und Museumsshop verlangte. Dass Letzterer - nun seitlich vor, unter und hinter dem Aufgang in die Bubble – deplatziert und unaufgeräumt wirkt, sei nur am Rande erwähnt.

Ein anderer Aspekt: Nicht nur Kindern erklären wir das Kunsthaus in der Diktion seiner Architekten als „Friendly Alien“, der mitten in Graz gelandet ist. Die mit Licht animierte Haut der Bubble soll Besucher anziehen und das Rollband diese auf geradem Wege vom Ticketkauf in den geheimnisvollen Bauch geleiten. What's now?

Kommerzielle Begehrlichkeiten

Die Probleme, die vorgeblich zum Umbau geführt haben, müssten einerseits weiter bestehen und hätten andererseits ohne Vergrößerung des Cafés gelöst werden können. So gibt es nach wie vor keine Geruch stoppende Abtrennung des Restaurants zum Foyer, und die neue Schauküche rückte sogar näher an die Ausstellungsräume heran. Für das Lebensmitteldepot konnte Raum im Untergeschoß frei gemacht werden, der mit der Küche durch einen bestehenden Lift verbunden ist. Und die Anlieferung erfolgt laut Mitarbeitern nun vor der Öffnung. War die Lösung der Probleme in der Raumorganisation mit dem jetzt vorliegenden Ergebnisnur Vorwand, um die Effizienz vom „Wirtschaftskörper Museum“ zu steigern (Titel einer Veranstaltung im Haus im Jänner)?Geht es in Wirklichkeit um die Erfüllung von privatwirtschaftlichen Begehrlichkeiten? Wir werden es nicht erfahren.

Dabei sollte nicht nur der despektierlicheUmgang mit dem geistigen Erbe der Architekten, sondern vor allem die Konsequenz des Umbaus für die ursprüngliche Absicht, öffentlichen Raum zu schaffen, Thema werden. Selbst Passanten, die ganz nebenbei an Kunst herangeführt werden, könnten die immer noch schwachen Besucherzahlen heben. Auch das spricht gegen jede Barriere durch kommerzielle Interessen.

19. Januar 2018 Spectrum

Grazer Schnauze in Berlin

Einst als Boygroup mit klingendem Namen angetreten, haben die Grazer Architekten „Love“ mit der hoch ausgezeichneten Unternehmenszentrale „50Hertz“ in Berlin internationales Format erreicht.

Meine erste Begegnung mit der Gruppe „Love“ ist mir noch in guter Erinnerung. Es muss um2000 gewesen sein, als ein junger Architekt, als Deutscher rhetorisch gut geschult, in einem Vortrag ein Projekt für den arabischen Raum präsentierte – zur Schau gestellt mit erstaunlichem Selbstbewusstsein und einem Optimismus, was seine Realisierung betrifft, der für ältere Erfahrene an Naivität grenzte. Nun, das in Graz ansässige Architekturbüro Love Architecture and Urbanism gibt es immer noch (Thomas Pucher verließ das Büro 2005), und aus der smarten Boygroup mit vollmundigen Auftritten wurde ein Trio international reüssierender Architekten mit grauen Schläfen und immer noch jugendlich-unverbraucht wirkendem Habitus.

Im Oktober 2017 wurde den Architekten nun in Berlin feierlich der „DGNB Diamant“ verliehen. Es ist dies eine Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, die ins Leben gerufen wurde, um das Thema endlich ganzheitlich zu betrachten. Dabei bewertet die Kommission, in die der Bund Deutscher Architekten und die Bundesarchitektenkammer eingebunden sind, in ihrer Nachhaltigkeitsanalyse die gestalterische und baukulturelle Qualität eines Bauwerks. Ein Kriterium stellt die Angemessenheit der Lösung der Bauaufgabe dar, worunter man sich die Maßstäblichkeit eines Gebäudes, seine Einbindung, aber auch Beständigkeit und Zeitlosigkeit vorstellen kann. Dazu kommt die Frage nach dem städtebaulichen Kontext, der jene nach der Erschließung und dem Umgang mit Freiflächen einschließt.

Keine Scheu hat man davor, die Gestalt eines Bauwerks – Proportion, Komposition, Materialität, Farbgebung und seine Anmutung – zu bewerten. Mark Jenewein, Herwig Kleinhapl und Bernhard Schönherr erhieltendie Würdigung, die weltweit erstmals vergeben wurde, für das 50Hertz Netzquartier.

Die neue Unternehmenszentrale des ehemals ostdeutschen Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz liegt in der Europacity um den Berliner Hauptbahnhof und den historischen Hamburger Bahnhof, der heute das Museum für Gegenwartskunst beherbergt. 2013, als „Love“ als eines von 18 Büros einen Wettbewerbsbeitrag abgab und den Sieg in der ersten Stufe mit dem dänischen Architekturbüro Henning Larsen teilen musste, war dieses Gebiet noch eine städtebauliche Wüste. Die Ära Stimmann, der als Senatsbaudirektor das Antlitz des modernen Berlin mit seinem Diktum nach einem „kontextuellen Städtebau im Sinne kritischer Rekonstruktion, orientiert am historischen Stadtgrundriss und an lokaler Bautypologie“, stark geprägt und auch eingeschränkt hatte, war zwar vorbei, die ersten Bauten am Areal wie der „Tour Total“ von Barkow Leibinger mit seiner monotonen Rasterfassade waren jedoch nicht dazu angetan, eine spannende Wende zu signalisieren.

Im Entwurf von „Love“ sah die Jury Innovation und entschied sich in der zweiten Stufe für ein Projekt und einen Außenauftritt, der an frühere Industrie- und Brückenarchitektur am nahe gelegenen Humboldthafen eher erinnert als an die Berliner Stein- und Lochfassaden. Das markante Tragwerk vor der Fassade bildet eine netzartige Struktur. Sie besteht aus weißen, diagonal gespannten Stahl-Beton-Verbundstützen, die autonom vor der Glasfassade liegen und so größere Gestaltungsfreiheit für Innenräume entlang der Fassade ermöglichen.

Das Transmissionsunternehmen bevorzugte, so erzählen es die Architekten, von Anfang an ihr Projekt, weil seine Erscheinung Offenheit, Transparenz und Dynamik ausdrückt. Auch die Struktur des Fachwerks, das durch Weglassen aller statisch nicht wirksamen Stützen zusätzliche Spannung erhält, wird zur Symbolik. Einzelne Stützenfolgen werden nachts beleuchtet und hervorgehoben, sodass dynamische Linien entstehen, die an Sinuskurven erinnern.

Das bis 13 Geschoße hoch gestapelte Gebäude folgt in Umfang und Volumen den Vorgaben des städtebaulichen Masterplans. Die Architekten sehen es als Regal mit supertiefen Fachebenen, die Platz schaffen für unterschiedliche Vorstellungen von Arbeitswelten. Der Grundtenor des Unternehmens für das Nutzungskonzept war, den erwünschten Wandel zur offenen, teamorientierten Arbeitsweise in Großraumeinheiten umzusetzen. Dennoch wurde ein Partizipationsverfahren eingeleitet, in dem jede Abteilung in Workshops wie bei einem Puzzle die Lage und Gestaltung ihrer Arbeitsplätze, Lounges, Rückzugs- und Besprechungsräume innerhalb der einzelnen Ebenen mit den drei fixen Erschließungskernen festlegen konnte. Aufgelockert wird die Raumstruktur durch kleine Höfe oder Loggien mit unterschiedlichem Zuschnitt, die in die gläserne Außenhaut eingeschnitten wurden.

Diese Freibereiche, die sich als Arbeitsplatz, Ort der Kommunikation oder Kurzerholung eignen, liegen nie übereinander. Jede Etage bietet Bereiche, die nicht direkt mit dem Thema Arbeit am Schreibtisch assoziiert werden. Das Ergebnis ist, dass keine Büroeinheit aussieht wie die andere und eine Atmosphäre entstehen konnte, die den Großraum verschwinden lässt. Eine Befragung der rund 500 Mitarbeiter ergab, dass niemand das Gefühl hat, auf einer 20 mal 20 Meter großen Ebene zu sitzen.

Selbst an typisch grauen Berliner Tagen strahlt das 50Hertz Netzquartier heitere Leichtigkeit aus. Man spürt, als Besucher davorstehend, dass nicht nur die Bereitstellung von Plätzen in der hauseigenen Kindertagesstätte, ein Betriebsrestaurant, Fahrradabstellplätze und Duschen für Mitarbeiter an besten Aussichtsplätzen zum kulturellen Unternehmenswandel beitragen, sondern auch das Gebäude selbst diesen zum Ausdruck bringt. Und es wird nachvollziehbar, was die Kommission des „DGNB Diamant“ unter Anmutung versteht.

Zum Gelingen des Bauvorhabens hat sicher auch das Aachener Büro Kadawittfeld beigetragen, mit dem „Love“ eine Kooperation einging, um die Fährnisse des Bauens in Deutschland ab dem Genehmigungsverfahren gut zu meistern. Der Preis für „Urbanen Wohnraum in Holz“ 2017 für die Aufstockung des Projekts „Wilder Mann“ in Graz zeigt, wo das Büro heute einzuordnen ist.

Kein Zweifel, die Boygroup ist längst erwachsen geworden, vordergründig Modisches in ihren Arbeiten kommt kaum noch vor. Ihre Passion für Architektur ist nicht geschwunden, Erfahrung und Professionalität hingegen sind sichtbar gewachsen. Keine Änderung des Büronamens, bitte!

9. Dezember 2017 Spectrum

Die Vision des Paters

Zum Abschluss erhielt der langjährige, lange fällige Umbau von Basilika und Geistlichem Haus in Mariazell durch Feyferlik/Fritzer einen würdigen Preis. Die Kirche erneuert damit ihren Ruf als Ermöglicherin von Baukultur.

Bauherrenpreise würdigen ein in hoher Qualität gelungenes Bauvorhaben und seine Auftraggeber unter dem Aspekt, dass es zwischen den Beteiligten, vor allem zwischen Bauherren und Architekten, ein gutes Einvernehmen gab. Der Zeitfaktor, die Dauer des Planungs- und Bauprozesses, spielt für die Verleihung des Preises in der Regel kaum eine Rolle, und doch scheinen Zeit und Kontinuität, die man dem Werden von Bauprojekten gewährt, wesentlich zu sein für ihr Gelingen. Tatsächlich machen es Wettbewerbs- und Vergaberichtlinien für öffentliche Bauten heute fast unmöglich, große Bauvorhaben, die in zeitlicher Distanzund einzelnen Bauabschnitten erfolgen müssen, „aus einer Hand“ und damit „in einem Guss“ umsetzen zu lassen.

Einer der heurigen Bauherrenpreise wurde für die Erneuerung der Basilika Mariazell und des ihr zugeordneten Geistlichen Hauses vergeben – ein Umbau, der ein Vierteljahrhundert in Anspruch nahm. So lange Zeit mit einem Bauherrn an einem Projekt arbeiten zu können sei ein Geschenk im Arbeitsleben eines Architekten, stellten Wolfgang Feyferlik und Susanne Fritzer, die mit ihrem Grazer Büro alle Baumaßnahmen planten, fest. Nun, der Vorteil und Gewinn von gelingender kontinuierlicher Zusammenarbeit liegen, betrachtet man das jetzt abgeschlossene Gesamtwerk, auch aufseiten des Bauherrn. In Mariazell war dies der Superior Pater Karl Schauer, der, wie sich die Architekten erinnern, stets eine Vision für das Gesamtprojekt verfolgt habe.

„Im Anfang war Tatendrang“ nannte ich meinen Bericht über das Mammutvorhaben anlässlich der Fertigstellung des neu geordneten barocken Altarraums der Basilika einst im „Spectrum“ (27. Jänner 2001), dem noch weitere 17 Jahre folgen sollten. Aus der Historie des Bauens kennen wir solch lange währende Auftragsverhältnisse. Sinan, dem Hofarchitekten mehrerer Sultane, haben wir die schönsten Beispiele osmanischer Architektur zu verdanken; Le Nôtre, der Landschafts- und Gartenarchitekt im Dienste von Ludwig XIV, schuf nicht nur die berühmte Gartenanlage von Schloss Versailles, die zumgrößten Vorbild barocker Gartenbaukunst in ganz Europa wurde. Beide arbeiteten einzig für das Ansehen und Prestige ihrer Auftraggeber, reich ausgestattet mit Mitteln und Privilegien. Feyferliks/Fritzers Planungsaufgabe ist weder damit zu vergleichen noch mit der kontinuierlichen Tätigkeit von Architekten in der Bauabteilung von Kirchen im Deutschland und Österreich der kirchlichen Erneuerung der Nachkriegszeit. Sie wurden anfangs zur architektonischen Begleitung von aufwendigen Restaurierungsarbeiten in der Basilika gerufen.

Das Gesamtwerk Mariazell, hält Pater Schauer in einem Resümee anlässlich der Preisverleihung fest, „ist ein gewachsenes, immer wieder neu erdachtes, oftmals korrigiertes, von vielen Sponsoren ermöglichtes und mit Ausdauer und Zähigkeit umgesetztes Projekt“. Dies verweist auf den Ablauf und die Vorgangsweise an diesem Projekt in einem kolportierten Gesamtumfang von 34 Millionen Euro. Es setzt sich aus vielen einzelnen Bau- und Restaurierungsmaßnahmen zusammen. Geld musste aufgetrieben werden, Überlegungen zu Lösungen wurdenoft direkt am Ort getroffen, nicht nur, um auf unvorhersehbar ans Tageslicht getretene Vorgaben des historischen Gemäuers adäquat und rasch zu reagieren, sondern auch um jede Maßnahme bestmöglich in das kulturelle Erbe von Fischer von Erlach und Domenico Sciassia einzubetten.

Damit lässt sich der Architekten langjähriges Engagement am ehesten mit der kontinuierlichen Arbeit von Gion Caminada in einem kleinen, landwirtschaftlich geprägten Ort im Kanton Graubünden vergleichen. Caminada, selbst aus Vrin stammend, war dort nicht nur als Ortsplaner tätig, sondern hat auch über einen Zeitraum von Jahrzehnten viel an Bestand erhalten und behutsam erneuert, erweitert und umfunktioniert. Die Intention des Architekten und der Bewohner war nie, aus Vrin ein Gesamtkunstwerk zu machen. Es ging ganz einfach darum, die Wohnhäuser, Ställe, das Schlachthaus, das Gemeindeamt und damit das Leben im Dorf geänderten Bedingungen anzupassen – respektvoll im Umgang mit dem Vorhandenen, aber ohne Dogma und Angst vor dem Neuen.

Ähnliches lässt sich von den zahlreichen Umbauten in Mariazell sagen: Jede einzelne Baustufe wurde mit Sorgfalt und Detailgenauigkeit den Bedürfnissen angepasst, individuell geplant und ausgeführt. Gleichwohl wurde nie das große Ganze aus den Augen verloren, und so ist am Ergebnis sicher auch für Laien ein stimmiges Gesamtkonzept für die Materialwahl, die Farb- und Raumgestaltung ablesbar oder sinnlich zu erfahren. Letzteres wäre eher im Sinne der Architekten, die es nie darauf anlegen, dass ihre Eingriffe spektakulär hervorstechen, jedoch auch keine Scheu davor haben, Konventionen zu ergründen und Alternativen zu finden, die funktioneller oder kostengünstiger sind oder von ihnen einfach nur als schöner empfunden werden.

Was hier abstrakt klingt, lässt sich an vielem in der Neugestaltung der Basilika, der Turmbereiche, der Außenanlagen und dem Geistlichem Haus anschaulich zeigen. Wer Bauten dieser Architekten kennt, der weiß, dass sie gerne reduzieren, schlanker machen und aus ihrer Sicht Unnötiges weglassen. Das geschieht nie als Selbstzweck. Es soll dort den Eindruck von Leichtigkeit erzeugen, von Transparenz, Helligkeit, ästhetischer Anmutung, wo es angebracht scheint. Und an anderen Orten wiederum archaischeEinfachheit in Material und Form zeigen, wo Wirkung und Würdigung im Zusammenspiel mit dem historischen Baujuwel hervorgehoben werden sollen.

In Pater Schauer fanden die Architekten einen Partner, der diese Haltung verstehen konnte und mittrug. Ein respektvoller Umgang mit dem Kulturerbe prägt das jetzige Gesamtwerk als neue Schicht. Zugleich zeigt sich an allen Stellen des geschichtsträchtigen Ortes, dass auch an neue Eingriffe der Anspruch gestellt wurde, hochwertig, innovativ und nie gewöhnlich oder modisch zu sein. So bekam das Superiorat Mariazell, das zum Stift St. Lambrecht gehört, am Übergang ins 21. Jahrhundert für sein rundum erneuertes Baudenkmal, das der früheren Rolle der Kirche als Auftraggeberin von Außergewöhnlichem und Neuem im höchsten Maß gerecht wird, einen ebenbürtigen Preis.

28. Oktober 2017 Spectrum

Dieses war der erste Streich . . .

Der erste von zwei Bauabschnitten des neuen Med Campus Graz ist fertig: ein Gebäude, das sich als funktions- und verbrauchsoptimierte Maschine präsentiert – verschwenderisch ist hier nichts. Von den Grazer Architekten Riegler Riewe.

Das kommt nicht oft vor. Selbst in einer durch enorme Bautätigkeit gekennzeichneten, stetig wachsenden Stadt wie Graz entsteht ein Bauwerk solcher Größe nur im Abstand von Dezennien. 40.000 Quadratmeter an Bruttogeschoßfläche, etwa 200.000 Kubikmeter umbauter Raum wurden für den ersten von zwei Bauabschnitten des neuen Med Campus der Medizinischen Universität Graz errichtet und im Oktober den Nutzern übergeben. Annähernd gleich groß war nur der Bau für die Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Uni Graz,kurz ReSoWi genannt, der exakt 21 Jahre früher eröffnet wurde und lange als der zweitgrößte Universitätsbau der Nachkriegszeit in Österreich galt.

In dem sogenannten Modul 1 wird ein großer Teil der vorklinischen Institute nun an einem Standort vereint, der in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universitätsklinik liegt. Die Nähe zwischen angewandter Medizin dort, auf dem Areal des 1914 erbauten ehemaligen Landeskrankenhauses, und Lehre und universitärer Forschung auf der anderen Seite der Straße ins Stiftingtal gilt als ideal.

Unter den 57 teilnehmenden Architekturbüros überzeugte im zweistufigen, EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb das Projekt der Grazer Architekten Riegler Riewe die Jury einstimmig. Ihr Konzept interpretiert die Idee der Universität als Campus neu, indem stadträumlich verdichtet und in die Höhe gestapelt wird. Damit gelang es den Architekten auch, der schon im Wettbewerb nachdrücklich geforderten Nachhaltigkeit des Bauens – einer ganzheitlichen Betrachtung von gebauter Ökonomie, Ökologie und Nutzerkomfort – Rechnung zu tragen.

Der traditionellen Vorstellung des Campus als weitläufiges, durchgrüntes Gelände mit thematisch verbundenen Einzelgebäuden, wie sie auf dem WU Campus in Wien umgesetzt wurde, folgen die Architekten in ihrem Projekt nicht. Ihr Campus am Fuß des Rieshangs erscheint als eine mächtige Großform – signifikant und identitätsstiftend. Erst beim Betreten identifiziert der Blick den Campus als dichtes Gefüge aus linear gestaffelten Baukörpern auf einem zweigeschoßigen Sockel. Dieser tritt selbst in der Annäherung kaum in Erscheinung, weil die Fassaden der beiden Sockelgeschoße und jene der Aufbauten so ineinandergreifen, dass keine Fuge sichtbar wird. Beide sind subtil miteinander verwoben und zugleich funktionell feinsäuberlich getrennt – unten Lehrräume und Hörsäle, darüber die Institute für Forschung und Laborarbeit.

Mit dem schon 2014 fertiggestellten Zentrum für Wissens- und Technologietransfer (ZWT) sind es sechs schlanke und deshalb hoch aufragend wirkende Doppelbaukörper (einer fehlt noch), also eigentlich zwölf lang gezogene Strukturen, die in einem reizvollen Spannungsverhältnis zu den präzise dazwischen angelegten Freiräumen stehen. Die abwechslungsreiche Abfolge von kleinenInnenhöfen, unterschiedlich breiten Wegen,Gassen und Plätzen lässt die Anlage, gewachsenem städtischen Raum gleich, zu einem dichten Gewebe aus umbautem Raum und öffentlichem Freiraum werden.

Das kennen wir schon von Riewe Riegler. Diese Struktur verpassten die Architekten in den Jahren 1997 bis 2000 einem landschaftlich öden Baufeld mit heterogener baulicher Nachbarschaft. Ihre Antwort damals für die informationstechnischen Institute der TU Graz auf den Inffeldgründen: ein dichtes orthogonales Netz aus unterschiedlich langen, parallel liegenden Baukörpern, Straßenräumen und kleinen Platzerweiterungen, die über durchlässige Erdgeschoße und Brückenmiteinander verbunden wurden.

Nun also diese gedankliche Fortführung, die sich auch in wesentlich größerem Maßstab umsetzen ließ. Ob sich die Durchwegungen und Begegnungszonen, die Querverbindungen über Brücken zwischen den Instituten wirklich als kommunikationsfördernd erweisen, wird sich zeigen. Baulich angelegt sind sie, und sie werden auch noch erweitert und zum Krankenhaus zu nützen sein, wenn erst der zweite Bauabschnitt des Med Campus auf dem Deck der vor Jahren gebauten Parkgarage für das Krankenhaus realisiert wird. Beide werden dann über eine Fußgänger- und Fahrradbrücke verbunden sein und noch stärker als derzeit die gewünschte Einbindung dieses Ortes in seine Umgebung verdeutlichen.

Primär fungiert die Campusebene als horizontale Verbindung aller Funktionen, auch jenen, die wie die Laborbereiche nicht öffentlich zugänglich sind. Sie sind den Instituten zugeordnet, die in enger Zusammenarbeit mit den Nutzern je nach Funktion in den tieferen und in schmalen, einhüftigen Baukörpern angeordnet wurden. Diese Grundrissfiguration soll optimale Tageslichtverhältnisse garantieren und auch damit Fakten für die Nachhaltigkeit der Bauten liefern.

Generell wurde strikt darauf geachtet, dass bauliche Maßnahmen die Lebenszykluskosten der Gesamtanlage deutlich mindern (errechnet wurden 29 Prozent). Als erster Erfolg gilt, dass der Med Campus als erstes österreichisches Labor- und Forschungsgebäude mit Platin, der höchsten Zertifizierungsstufe der Österreichischen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, ausgezeichnet wurde.

All diese „Hard Facts“ zeigen einen verantwortungsvollen, in die Zukunft gerichteten Umgang mit unseren Ressourcen. Die offenen, verbindenden Strukturen des Campus stehen auch für die Förderung gedanklicher Freiräume.

Klassische architektonische Bewertungskriterien, wie die Einfügung des Baues in seine Umgebung, das Erkennen und Aufgreifen der speziellen Physis des Ortes als Bedingung für seine Form, lassen sich dabei nicht anwenden. Dieses Gebäude präsentiert sich als funktions- und verbrauchsoptimierte Maschine, und ob sie so funktioniert wie geplant, wird sich erst in Jahren zeigen. Anforderungen an einzelne Teile der Maschine, etwa an Laborräume, müssen so hohen funktionellen Auflagen genügen, dass ihre Designqualität nachrangig wird. Großzügig zeigen sich das Entree und die daran anschließende Aula mit Umgang. Schon darüber wird die Intention zur Raumeffizienz an der geringen Höhe der Erschließungsbereiche, die als Lernzonen Doppelfunktionen haben, sichtbar. Verschwenderisch ist an diesem Gebäude nichts.

Umso mehr Bedeutung gewinnt, dass die Grundzüge des städtebaulichen Wettbewerbkonzepts frei von Brüchen und schwachen Kompromissen realisiert werden konnten. Dass Grundsätze wie die Offenheit des Campus gegenüber seiner Umgebung und die gewünschte Verbindung und Kommunikation zwischen den internen Abteilungen auch im geschäftigen Betrieb erkennbar bleiben. Dass die feine Durchgestaltung der Fassaden, ihre subtil-farbige Lebendigkeit und zugleich ganzheitliche Wirkung der Großform ihre Massigkeit nimmt. So wie gutes Design von Maschinen diesen neben höchster Funktionalität auch ästhetische Anmutung und Eleganz verleiht.

24. Juni 2017 Spectrum

Es boomt, aber tut sich etwas?

In der wachsenden Stadt Graz boomt der Wohnungsbau. Zeit, um nachzuschauen, ob das konjunkturelle Hoch dazu führt, größere Vielfalt und höhere Standards des Wohnens zu entwickeln.

Wer sich je mit der in Österreich singulären Entwicklung der Architektur in Graz und der Steiermark ab den 1980ern beschäftigt hat, der weiß, dass dem Wohnungsbau dabei eine entscheidende Rolle zukam. Das von der damaligen Landesregierung initiierte Modell Steiermark legte in einem dem Wohnen gewidmeten Arbeitskreis besonderes Augenmerk auf eine qualitative Anhebung der Wohnsituation – weg vom reinen Funktionalismus des Wiederaufbaus hin zu einem zukunftstauglichen sozialen Wohnbau, der auf die nun bessere ökonomische Basis der Bewohner und ihre folglich entstehenden Ansprüche eingehen sollte.

Tatsächlich erblühte daraus der sogenannte experimentelle Wohnbau, der sich, typisch für die Steiermark, ganz ohne Wohnbauforschung und theoriegeprägte Herangehensweise entfalten konnte – einzig, wie Heiner Hierzegger in einem Geleitwort zum ersten Wohnbaukatalog schrieb, „im Mut, ausgefahrene Wege zu verlassen und unkonventionelle Lösungen anzubieten“. Strukturelle Veränderung lag in der Einführung von Architekturwettbewerben, die Bauvorhaben optimal vorbereiten sollten, und einem von der Politik geforderten besonderen Engagement. Entstanden ist Vielfalt: von der Großstruktur der Terrassenhaussiedlung zu Baugruppen-Initiativen, von der autofreien, dörflich geprägten Wienerberger Siedlung bis zur kleinen Wohnzeile auf dem Land.

Auch das Ende dieser fast eineinhalb Jahrzehnte dauernden Initiative ist bekannt. Das Wohnbau-Experiment wurde nach einem wahlbedingten Wechsel der politischen Verantwortung 1992 als gescheitert erklärt und ziemlich abrupt beendet. Von eitler Selbstverwirklichung von Architekten war die Rede und davon, dass einiges misslang. Der Gründe dafür könnten viele aufgezählt werden. Manch ein Scheitern war systembedingt, etwa durch das enge Korsett der Förderrichtlinien und ein Business-as-usual-Gebaren von gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften. Danach entzündetesich jede Diskussion über einen zukunftsgerichteten sozialen Wohnungsbau an zu geringen Fördermitteln bei hohen Baukosten und wachsenden bauphysikalischen Vorschriften, die die Umsetzung von architektonischer Qualität und Vielfalt angeblich unmöglich machte.

Seit Jahren steigt die Einwohnerzahl von Graz kontinuierlich, und die Stadt hat offensichtlich immensen Bedarf an neuen Wohnungen. Man muss weder besonders fachkundig sein noch bis in entlegene Stadtrandgebiete wandern, um staunend zu sehen, wiederzeit letzte Baulücken, städtische Brachen und ehemals landwirtschaftlich genützte Flächen verbaut werden. Kein Zweifel, Bauen in Graz hat Hochkonjunktur.

Geändert haben sich Strukturen und Prämissen der Wohnversorgung. Geförderter Wohnbau, der nur von gemeinnützigen Bauvereinigungen und Kommunen errichtet werden kann, ist in den Hintergrund getreten. Ein Großteil der Wohnungen wird heute über Banken finanziert (genaue Zahlen sind nicht abrufbar). Investoren sind Immobilienentwickler, die sich auf die Errichtung von Wohnraum konzentrieren, und Unternehmen, die als selbstständig tätige Zweige aus gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften hervorgegangen sind, um gewinnorientiert bauen zu können. Wohnungsbau ist in Zeiten, in denen Vermögende ihr Geld lukrativer anlegen wollen als auf der Bank, ein gutes Geschäft geworden.

Nachfrage schafft Angebot und vice versa – das war immer schon so. Neu am aktuellen Wohnungsmarkt ist, dass Nutznießer und Verbraucher nicht mehr in einer Person vereint sind. Wer kauft, bewohnt sein Anlageobjekt nicht selbst, und Mieter haben keinerlei Einfluss auf seine Qualität, Größe und Ausstattung. Wohnqualität als wesentliche Grundlage für ein gutes Leben kann oder, besser gesagt, könnte ausschließlich der Käufer einfordern.

Zeit also, um Nachschau zu halten, ob und wie dieser Qualitätsanspruch zurzeit in Graz, der Stadt, die um neue Bürger wirbt, erfüllt wird – heute, da Wohnungspreise in Graz statistisch bei 4000 Euro und mehr pro Quadratmeter liegen.

Fest steht, dass der Wohnungsmarkt in drei Teile zerfällt: in ein Angebot an hochpreisigen Wohnungen, die als Luxus und privates Paradies angeboten werden. In ein Angebot an geförderten Wohnungen in Großanlagen, die in Miete oder Mietkauf vergeben werden. Hier prüft der sogenannte Wohnbautisch die Einhaltung der Förderrichtlinien. Innovation sucht man vergeblich, aber das Bemühen um eine funktionelle Optimierung immer kleiner werdender Wohnungsgrundrisse und die Erhaltung vonStandards wie zweiseitiger Orientierung ist ablesbar. Und dann gibt es noch den frei finanzierten Wohnungsbau, der Rendite versprechende Vorsorge- und Anlegerwohnungen anbietet. In einem solchen Angebot wie dem aktuellen Bauvorhaben „Brauquartier Puntigam“, in dem rund 800 Wohnungen errichtet werden, sinken Qualität, Größe, Ausstattung der Wohnungen auf erschreckend niedrige Mindeststandards.

Das Kritikerherz freut sich, wenn es auf ein einziges Beispiel eines frei finanzierten Geschoßwohnbaus stößt, bei dem Ungewöhnliches ausprobiert wurde. Die sogenannten „Eggenberge“ stellen einen neu gedachten Typus des Wohnblocks mit begrüntem Innenhof dar, wie er die Grazer Gründerzeitquartiere charakterisiert. Der Sockel enthält gewerbliche Nutzung und die Garage, Wohnungen beginnen erst ab dem ersten Obergeschoß. Das Außergewöhnliche sind jene Wohnungstypen in jedem Geschoß, die mit großen, über die gesamte Trakttiefe eingeschnittenen Terrassen eine bewegte Dachlandschaft bilden, die die Wohnanlage markant charakterisiert. Der überwiegende Anteil der anderen Wohnungstypen sind größere Wohnungen, die zweiseitig orientiert sind. Ein Wermutstropfen: ein kleiner Anteil an Wohnungen mit deutlich geringerer Qualität. Pentaplan hat diese erfrischend lebendige Anlage geplant – ein Grazer Architekturbüro, das sich seit vielen Jahren mit Akribie und mittlerweile großer Erfahrung der systematischen Entwicklung finanzierbarer Alternativen zum geförderten Wohnbau verschrieben hat.

Was man daraus ableiten kann? Die Qualität des Wohnungsbaus regelt zurzeit nicht einmal mehr der Markt, und frei finanzierter Wohnungsbau zeigt nur in seltenen Einzelfällen höhere Wohnqualität als der geförderte. Von Experimenten in Graz keine Spur. Und die wichtigste Erkenntnis: Eine breite Entwicklung und Realisierung zeitgemäßer, an gesellschaftliche Veränderungen angepasste Wohnformen findet auch in Zeiten der Wohnbaukonjunktur nicht statt. Ein sozialer Wohnbau bräuchte erneut politische Rückendeckung und eine Steuerung, die durch Anreize und Engagement gekennzeichnet ist, damit Wohnen als Grundrecht besser, schöner und damit lebenswerter werden kann. Der Weg dahin scheint heute nicht kürzer zu sein als in den 1980ern, als in der Steiermark Architekten immerhin zu Experimenten animiert wurden.

29. April 2017 Spectrum

Adelung auf dem Berg

Die Kapelle von Krumbach

Ein Raum über einfachem Grundriss, eine kleine Bauaufgabe – und doch eindrucksvoll: die Kapelle Salgenreute in Krumbach, Vorarlberg. Verantwortet von Bernardo Bader.

Le Corbusier erdachte eine, die zur Weltarchitektur zählt, und derPritzker-Preisträger Peter Zumthor ihrer gleich zwei: Kapellen als Andachtsräume sind, ungeachtet ihrer geringen Größe und oft nur symbolischen Honorierung, eine geschätzte Bauaufgabe der Architekten. Solche kleinen Andachtsräume – egal, ob zum Totengedenken,als Pilgerstätte, auf dem Berg – adeln jedes Architekten Werk.

Bei der Planung von Kapellen unterliegt der Architekt kaum Zwängen und Normen. Kapellen sind keiner Beschränkung zur strengen, reinen Funktionalität und weder ökonomischen Zwecken noch Gewinnstreben unterworfen. Ihre Funktion beschränkt sich auf Weniges, aber Elementares. Andachtsräume sollen Orte sein, die Besinnung und innere Einkehr ermöglichen. Will man als Kirchengemeinde oder privater Stifter heute eine Kapelle bauen lassen, so sind meist nur geringe oder gar keine Geldmittel vorhanden. Die Bauaufgabe verlangt dem Architekten also die Fähigkeit zur Beschränkung ab – von Größe, Baukosten, aber auch von überbordendem Gestaltungswillen und Selbstdarstellung. Der Planer muss „einfach“arbeiten. Die Chance zum Gelingen? Es gibt eine scheinbar elementare Sehnsucht vieler Menschen nach Einfachheit in unserer an Überfluss und visueller Überflutung orientierten Zeit. Zugleich erwartet man von Sakralbauten, dass sie spirituelle, atmosphärisch aufgeladene Orte sind. Genau darin liegt die Herausforderung.

Das Einfache, das nicht anspruchslos, gewöhnlich und dürftig ist, kann nur das Resultat eines Prozesses sein, von allem nicht zu viel und nicht zu wenig. Das beginnt mit der Positionierung des Baukörpers in der Landschaft, geht weiter in der Wahl von Proportion und Größe. Es ist die Suche nach dem richtigen Lichteinfall, die Auswahl von Materialien und die Ausbildung und Ausarbeitung von Details. Andachtsräume wie die Bruder-Klaus-Kapelle von Peter Zumthor in Wachendorf in der Eifel, die in den erst zehn Jahren ihres Bestehens zu einem Pilgerort wurde, sind in ihrer fast schon archaischen Einfachheit komplex. Sie zeugen von hoher handwerklicher und technischer Kunstfertigkeit.

Naheliegend, dass sich in Vorarlberg eineReihe von kleinen modernen Sakralbauten finden lässt, die besondere sind. Eine davon ist die Kapelle Salgenreute in Krumbach. Bernardo Bader, der in dieser Gemeinde seine Kindheit verbracht hat und die Landschaft des Moores und des Hügelrückens aus Nagelfluh, auf dem sie steht, wie seine Westentasche kennt, hat sie geplant. Schon seit ungefähr 1880 stand an ihrer Stelle eine kleine Lourdeskapelle. Sie ist der Ausgangspunkt einer Erzählung von Möglichkeitsräumen und ihrer Umsetzung durch viele, die ihr Können und ihre Kraft einsetzen wollten. Es ist eine Geschichte des Gelingens, die uns zeigt, was entstehen kann, wenn in einer Gemeinschaft alle an einem Strang ziehen, abseits von Parteienzugehörigkeit und fern von nachbarlicher Missgunst oder Standesdünkeln. Mag sein, dass die besondere Bauaufgabe die Tradition und Kultur des Miteinanders belebt hat, mag sein, dass es für die Krumbacher selbstverständlich ist, Herausforderungen gemeinsam zu meistern,seit unter Bürgermeister Arnold Hirschbühl die Aufgaben in der Gemeinde nach Kompetenz und Engagement und nicht nach Parteistärke verteilt werden.

Jedenfalls war die alte Kapelle so sanierungsbedürftig, dass sich die Gruppe aus interessierten Nachbarn und Ortsbewohnern, die sie ursprünglich erhalten wollte, entschloss, sie doch abzureißen und an derselben Stelle neu aufzubauen. Mit Exkursionen und diskursiven Gesprächen vertiefte man sich in das Thema des Neubaus, selbst nachdem Bernardo Bader sich bereit erklärt hatte, unentgeltlich einen Entwurf vorzulegen. Die Arbeit blieb eine gemeinschaftliche, vom Abbruch bis zur Einweihung des neuen Hauses im Sommer 2016. Für einfachere Arbeiten stellten sich in einem großen Maß ehrenamtliche Mitarbeiter zur Verfügung. Die anspruchsvolle Facharbeit der Zimmerer, Tischler, Maler und der Restauratorin der historischen Marienstatue wurde zu Sonderkonditionen angeboten, und Spenden und eine kleine finanzielle Beteiligung der Gemeinde ließen den Wunsch zur Wirklichkeit werden.

Ohne Turm steht die Kapelle nun auf einem schmalen Plateau, gerahmt im Hintergrund durch eine Reihe von Bäumen. Ihr hoch aufragendes, steiles Dach charakterisiert die Form der Kapelle, die monolithisch wirkt, weil Dach und Wandflächen mit einem Material, Lärchenschindeln, bekleidet sind. Eine Steinstufe führt vom Wiesensaum hoch. Ein nicht alltägliches Bauwerk hat traditionell ein Fundament, auch wenn es in der offenen Landschaft steht. Der langsamen Annäherung über den Pfad entsprichtein offener Vorbereich unter dem Dach, das Westwerk. Auch das schwere zweiflügelige Portal aus Holz, das außen mit Messing in schöner Handarbeit beschlagen ist, verlangsamt die Annäherung. Innere Sammlungbraucht Zeit.

Betritt man die Kapelle, fällt der Blick zuerst auf eine homogen wirkende Raumschaleaus Holz, in der sich hoch aufstrebende Sparren zart abzeichnen und die Wände rhythmisieren. Boden, Wand und die steile Dachuntersicht aus unbehandelter Tanne bilden ein Ganzes, das mit aussteifenden Scheiben so konstruiert wurde, dass weder Zugbänder noch Rahmengurte notwendig wurden. Harte, einfach geformte Bänke aus Tanne strukturieren den Raum unaufdringlich. Bequem muss es nicht sein. Traditionelle Elemente werden beibehalten, jedoch eigenständig und zeitgemäß interpretiert in Material und Ausführung.

Der Altarraum verengt sich schräg zu einem wandhoch verglasten, rahmenlosen Ausblick in die Landschaft. Das lässt ihn länger erscheinen. Als „heiliger Raum“ wird er durch eine niedrige Stufe abgesetzt. Ein Anstrich mit weißer Kalkfarbe vereinheitlicht Wand und Boden. Der Ambo als ebenso weißer Block, ein Kerzenständer und die aus der Mitte gerückte Madonna auf einem zarten Wandbrett sind alles an Ausschmückung. Raum kann bewusst wahrgenommen werden, sich nach und nach zum Ganzen formen und so zu Ruhe und Andacht führen.

Es zeigt sich, dass auch in der Beschränkung unter glückhaften Umständen Baukunst entstehen kann. Was für alle Beteiligten wohl mehr zählt, ist, erlebt zu haben, dass in einer guten Gemeinschaft die Kraft steckt, schier Unmögliches wahr werden zu lassen. Es ist gebaut auf festem Grund.

4. März 2017 Spectrum

Was ein gutes Bauwerk aushält

Koolhaas in Venedig

Die Geschichte der Erhaltung von historischen Bauwerken ist eine der ständigen Veränderung, meint das Office for Metropolitan Architecture (OMA). Sein Spiritus Rector, Rem Koolhaas, legt im ehemaligen Handelshaus der deutschen Kaufleute in Venedig Schichten frei und fügt Neues sparsam hinzu.

Wenn Rem Koolhaas dem Fondacodei Tedeschi in Venedig neues Leben einhaucht, so erregt dies Aufsehen weit über die Fachwelt hinaus. Zum einen ist das ehemalige Handelshaus der deutschen Kaufleute an der Rialtobrückeein geschichtsträchtiger Ort, an dem die Geschäftsleute aus dem Norden unter Aufsicht venezianischer Sensale seit dem 13. Jahrhundert ihre Waren handelten, zum anderen hat Koolhaas mit seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Ausstellungen auf der Biennale mehrmals kritisch den Umgang mit historischer Bausubstanz thematisiert. 2008 war das sanierungsbedürftige Gebäude, das noch bis 2011 die Hauptpost beherbergte, von der Stadt an die Benetton-Gruppe verkauft worden, die ihrerseits Rem Koolhaas beauftragte, den denkmalgeschützten Bau mit dem glasüberdeckten Innenhof in ein Einkaufszentrum für gehobene Ansprüche zu verwandeln. Doch weder sein Name noch die Expertise zum Schutz von Baukultur machte es dem Architekten leicht, seine Ideen durchzusetzen. Als die ersten Pläne bekannt wurden, kam es zu massiven Protesten.

OMAs erstes Konzept hatte vorgesehen, den zu erwartenden Besuchermassen ein entsprechendes Spektakel zu bieten, indem auffallende Rolltreppen in Knallrot prominent in den zentralen Innenhof platziert wurden. Schaulustige hätten die Halle Geschoß für Geschoß in luftiger Höhe gequert. Das war selbst der venezianischen Aufsichtsbehörde zu viel, die dem Hauptanliegen des Architekten jedoch wohlwollend gegenüberstand. Die bauhistorische Untersuchung der Bausubstanz hatte gezeigt, dass der Fondaco dei Tedeschi bis in die 1930er-Jahre wiederholt umgebaut worden war. Von den alten Mauern war wenig geblieben, selbst die Arkaden waren mit moderner Technologie und Material renoviert worden. Rem Koolhaas lehnte es ab, mit seinem Eingriff eine der vielen Bauphasen als die authentische und richtige zu rekonstruieren, und plädierte für ein Sichtbarmachen dieser Zeitschichten als „Accumulation of Authenticities“. In der Überarbeitung der Planung wurde die Rolltreppe aus dem Hof in den seitlichen Gebäudetrakt verlegt, die Dachterrasse verkleinert und ein hölzerner Ponton im Canale Grande weggelassen. Der Genehmigung zum Umbaustand nichts mehr im Weg.

Die immer noch rote Rolltreppe, nun auf einen etwas verstaubt wirkenden Retro-Look abgemildert, schneidet scharf in die Geschoßdecken ein. An den Trennwänden zu den Arkaden zeigt OMA seine forensische Methode der Freilegung: Handgeschlagene Ziegel und Ergänzungen neuerer Art, vermauerte Gewölbebögen, Wandverstärkungen und raue Träger aus Beton machen die wechselvolle Geschichte und Nutzung des Baus, der nie ein Palazzo war, sichtbar. Zu den sparsam, aber gezielt gesetzten Interventionen zählen neue Durchblicke und Verbindungen. OMA verewigt sich mit einer großen, über zwei Ebenen geführten Öffnungder Arkadenwand hin zu Rolltreppe und Shopfläche. Die Hofüberdachung wird erneuert. Sie ist immer noch lichtdurchlässig, wirkt nun aber massiver, weil sie ein dezent auf den Bau aufgesetztes fünftes Geschoß trägt, das mit einer Glas-Stahl-Konstruktion abgeschlossen wird.

Der Höhepunkt für all jene Besucher, die sich nicht an Fendi, Gucci und Dior sattsehen, werden dieser über der Halle entstandene Raum und die von dort erreichbare Dachterrasse mit dem grandiosen Rundblick auf Kanal, Markt und die Dachlandschaft Venedigs werden. Zurzeit ist der Raum mit großformatigen Arbeiten von Fabrizio Plessi bestückt. Als Ausstellungsraum scheint er nicht wirklich geeignet. Mit geringer Höhe wirkt er trotz natürlichen Lichts etwas gedrungen, und das perforierte Stahltragwerk wirft Schatten. Die Architekten haben beide als öffentlich zugängliche Orte mitnicht kommerzieller Nutzung konzipiert, unddas soll so bleiben.

Skepsis ist angebracht, denn auch die große Fläche des viergeschoßigen Arkadenhofs sollte frei von Möblierung bleiben und als öffentliche Piazza fungieren – gewidmet den Bürgern der Stadt wie Besuchern und Konsumenten. So kommunizierte es jedenfalls die Stadtverwaltung, als Kritik am zunehmenden Ausverkauf der venezianischen Kulturgüter für Konsumzwecke laut wurde (Benetton hatte schon zuvor nahe dem Markusplatz einen Gebäudekomplex mit Hotel, Kino und einem traditionsreichen Theater erworben und rein kommerziell umgewidmet). Die Piazza, von OMA ursprünglich nurmit einem neuen, auffallend rot-weiß gestreiften Boden in Marmor ausgestattet, gibt es nicht mehr. War es für viele Venezianer schon ein Sakrileg, den historischen Brunnen aus der Mitte zu entfernen und ihn seitlich auf einem Rollpodest abzustellen, so folgte nun eine weitere Verfehlung. Die freie Fläche wurde einem Café zugeschlagen und mit unbeschreibbar kitschigem Design von Philippe Starck möbliert, das laut Eigenbeschreibung inspiriert ist von Gondeln, dem Dekor venezianischer Theater und Fresken, die den berühmten Karneval zeigen.

Das hat Rem Koolhaas, der gerne das gesamte Erdgeschoß als öffentliche Piazza gesehen hätte, nicht verdient. Er, der die Inneneinrichtung der einzelnen Shops-im-Shop als integralen Teil des Umbaus sah, musste diese dem englischen Architekten Jamie Fobert überlassen. Der Mieter des Tempels für Luxuswaren, das in Hongkong ansässige Unternehmen DFS, hat dem Einrichter von Flagship Stores die Aufgabe eher zugetraut als dem nach stringenten Konzepten planenden Theoretiker Koolhaas. Das Ergebnis dieser Verkommerzialisierung ist eine Überfrachtung der Räume mit unterschiedlichen Einrichtungen in Dutzenden Materialien und Formen. Nicht auszudenken, hätte auch OMA dem Gebäude noch stärker seinen gestalterischen Stempel aufgedrückt. Oder die Entscheidung getroffen, alle Unebenheiten und zeitlichen Brüche desBauwerks zu glätten und überdecken.

So wirkt das Raue, Ungeschönte als elementare Kraft des mächtigen Bauwerks und zeigt, dass es durch Aneignung eines entfesselten Marktes nicht zerstört werden kann. Sein kraftvoller Ausdruck bleibt erhalten – zumindest dort, wo man noch frei flanieren kann: in den Arkadengängen, beim Blick über den Innenhof und aus Fenstern und Durchbrüchen, die von OMA mit einfachen, schönen Gittern versehen wurden. Der neueFondaco dei Tedeschi kann somit als Symbolfür die Lebenskraft Venedigs gesehen werden – entwicklungsfähig mit Potenzial zur Transformation.

21. Januar 2017 Spectrum

Lernen vom Lapidaren

Die neue Schule braucht neue Räume. Doch wie sie offen und wandelbar konzipieren, in die Zukunft gedacht, ohne sie neutral und unpersönlich zu gestalten? Eine Nachschau in Graz-Eggenberg.

Viel wird gesprochen über die Notwendigkeit einer neuen Schule, die auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. Wie der häufigen Erwerbstätigkeit beider Elternteile, wie der Alleinerzieher und der steigenden Zahl von Schulpflichtigen mit migrantischer Herkunft optimal entsprechen? Während große Lösungsansätze dieser gesellschaftspolitisch relevanten Fragen wie die Ganztagsschule und die Gesamtschule von konservativen Kräften als Gleichschaltung und Einschränkung individueller Entfaltungsmöglichkeit blockiert werden, muss der Schulalltag auch ohne große Reform an die neuen Aufgaben angepasst werden.

All das braucht neu gedachte Räume. Christian Kühn sprach an dieser Stelle (im „Spectrum“ vom 19. November 2016) von einer stillen Revolution im österreichischen Bildungsbau seit einigen Jahren, und tatsächlich gibt es bereits in mehreren Bundesländern sogenannte „Leuchtturmprojekte“ – Schulen mit differenziertem Raumangebot, wo jahrgangsübergreifend und in Kleingruppen auch außerhalb der Klasse gearbeitet werden kann und Arbeitstempo und Lernfortschritt individuell gefördert werden. Solche Schulen sind Orte für den ganztägigen Aufenthalt. Sie entsprechen dem natürlichen Bewegungsdrang von Kindern, erlauben Rückzug für besondere Konzentration und andererseits optimale Entspannung in Lernpausen.

Nicht immer kann ein neues Programm baulich neu umgesetzt werden – Veränderung muss auch in „alten Schläuchen“ möglich sein. Gerade jetzt steht die Sanierung und energetische Aufrüstung von Schulen an,die in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg gebaut wurden. Sie ist häufig mit größerem Platzbedarf und funktioneller Neuordnung verbunden. Für Architekten sind diese Aufgaben Herausforderungen in vergleichbarer Größe: das bauliche Umsetzen neuer Schulkonzepte auf der grünen Wiese ebenso wie die Umgestaltung der in die Jahre gekommenen Klassen-Gang-Schulen in einladende, neu dimensionierte Bildungsräume.

An beiden hat sich der Grazer Architekt Hans Mesnaritsch in 35-jähriger Tätigkeit im eigenen Büro erprobt. Er gilt als Schulbauspezialist. In seiner Werkliste finden sich knapp 20 Schulen und universitäre Bildungseinrichtungen, die vorwiegend in der Steiermark stehen und allesamt aus Architektenwettbewerben hervorgingen. Die genaue Zahl im Kopf zu haben ist nicht die Sache des nie marktschreierisch Auftretenden, der seit einigen Jahren mit Franz-Georg Spannberger als Juniorpartner plant. Die jüngste Realisierung eines gewonnenen Wettbewerbsdes Duos ist die Volksschule Algersdorf im Grazer Bezirk Eggenberg, direkt gegenüber der „Auster“ von Fasch & Fuchs.

Vorgabe war, die Schule, die zuvor gemeinsam mit der Neuen Mittelschule in einem mehr als 100 Jahre alten, Ehrfurcht gebietenden, mächtigen Solitär untergebracht war, als sogenannte Clusterschule zu konzipieren, in der je vier Jahrgangsstufen zu einer großzügigen Einheit zusammengefasst sind. Als Schulerhalter scheint die StadtGraz auf diesen Typus zu setzen, nachdem die 2014 in Betrieb genommene Volksschule Mariagrün (Architekturwerk Kalb Berktold) mit ihrer Gruppierung von Klassen und Lehrerzimmer um einen multifunktionalen „Dorfplatz“ nicht nur positive Resonanz, sondern auch mehrere Auszeichnungen erhalten hat.

Die Volksschule Algersdorf liegt in einemBezirk mit hohem Anteil an migrantischem Zuzug. In ihrem ersten Jahr des Bestehens wird Nachmittagsbetreuung angeboten, jedoch keine Ganztagsschule mit verpflichtendem Unterricht am Nachmittag. Der Direktor begründet dies damit, dass sich finanzschwache Familien die dafür zurzeit von den Eltern zu bezahlenden Kosten nicht leisten könnten und sich anderenfalls einen neuen Bezirk als Wohnort suchen würden.

Auch die Architekten folgten in ihrer Konzeption der Schule weniger ideologischerProgrammatik als vielmehr Grundsätzen für das Bauen, die sie in ihren Schulhäusern seit Langem anwenden und verfeinern. So sind es sorgfältig überlegte Lösungen für klassische Themen der Architektur – Belichtung und Durchblicke, einfache Orientierungsmöglichkeit, flexible Nutzung von Räumen und Möbeln –, die an dem kammartig nach Westen geöffneten Gebäude auffallen.

Der Baukörper wirkt zu den beiden Straßen hin monolithisch kompakt und einfach, wenngleich die Differenzierung der Funktionen sorgfältig vorgenommen wurde. Passivhausqualität war gefordert. Die Antwort: Selbst der Turnsaal ist Teil des großen Ganzen, innerhalb der Baufluchtlinien tiefer gelegt und zum Foyer hin großzügig verglast. Seine Dimension ist stimmig, stellt man sich vor, dass schon jetzt, vor dem möglichen Vollausbau auf 16 Klassen, innerhalb einer kurzen Zeitspanne 219 Kinder morgens das Schulhaus stürmen und ihren Arbeitsbereich in einem der beiden Geschoße ansteuern. Diese Eingangshalle ist zentraler Kreuzungspunkt aller Aktivitäten am Vormittag und Nachmittag. Hell und großzügig gestaltet, lässt sie Raum für schulische Aktivitäten, die heute vielleicht noch gar nicht angeboten werden. Als Rückgrat fungieren, additiv aneinandergereiht und klar getrennt von den Clustern, Sonderräume für Werken, den Englischunterricht und die Bibliothek, dazwischen Sanitärräume und auf der Eingangsebene Direktion und Konferenzraum. Die Gänge davor werden sicher nicht als solche wahrgenommen. Sie sind breit und hell, zu Terrasse und Garten hin belichtet und erlauben axiale Durchblicke über die gesamte Gebäudelänge.

Was sich angeblich kaum eine Lehrerin vor der Fertigstellung als angenehm einladend vorstellen konnte, zeigt nicht nur die hohe Qualität der Planung, sondern trägt maßgeblich zur freundlich-ruhigen Arbeitsatmosphäre bei: Die Wände, in Sichtbeton ausgeführt und roh belassen, werden mit präzise eingesetzten, schön detaillierten Tür- und Fensterelementen in Holz (Rüster) und einem Bodenbelag aus massivem Parkett nobilitiert. Nichts wirkt hier „billig“, keine Detaillösung unbewältigt. Das Lapidare entspricht den Architekten, die in ihrem Entwurf darauf bedacht waren, pädagogische Innovationen zu ermöglichen, nicht jedoch, solche inallzu starrem Rahmen für alle Zukunft festzulegen. Eine Schule mit so vielfältigem Raumangebot lässt Platz für Unterrichtskonzepte, die wir heute noch gar nicht kennen. So gesehen ist sie gerade wegen ihrer räumlichen Großzügigkeit und hohen Ausführungsqualität effizient und nachhaltig konzipiert.