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11. Juni 2002 zolltexte

umwelt und natur

Ressourcendenken bestimmt heute unser Verhältnis zum uns umgebenden Raum. Das war nicht immer so. In der Renaissance war die Natur die Meisterin, die der Mensch in der Kunst zwar nachahmen, aber nie erreichen konnte, weshalb die Kunst auf einschlägigen Darstellungen auch als Affe abgebildet ist, während die Natur durch eine wohl gerundete Dame verkörpert wird.
Heute haben wir eine Umwelt, damals hatte man Natur. Ob es zwischen diesen Begriffen einen systematischen Unterschied gibt, worin er bestehen könnte und welche Konsequenzen dies hat, diese Fragen bilden das Zentrum der Auseinandersetzung mit der räumlichen Gestalt von Begriffen.

Wozu einen Unterschied zwischen zwei Begriffen machen, die man (zumindest mit ein wenig näherer Bestimmung wie zum Beispiel „natürliche Umwelt“) notfalls synonym gebrauchen kann? Ist das nicht ein sinnloses Gedankenspiel? Nein, weil die räumlichen Vorstellungen, die die Begriffe jeweils evozieren (und daher vorher implizieren), unser gesamtes Herangehen an die Probleme beeinflussen.

Naturschutz und Umweltschutz sind nicht dasselbe – da liegt es nahe zu vermuten, dass auch das, was sie schützen, nicht dasselbe ist. Mit der Verwendung der Begriffe „Umwelt“ oder „Natur“ verbindet man unterschiedliche Positionen.
Ausgangspunkt für die Abgrenzung ist die Überlegung, dass der Begriff „Natur“ keine ausgezeichneten Stellen hat, wäh-rend der Begriff „Umwelt“ eindeutig ein Zentrum impliziert, um das herum sich die Welt konstituiert. Auch der von manchen Autoren bevorzugte Begriff „Mitwelt“ hat eine hierarchische Gliederung zur Grundlage, nämlich die Unterscheidung der Welt vom „mit“nehmenden Subjekt. Nun lässt sich die These aufstellen, dass die räumliche Struktur eines Begriffes auch die Struktur des Problembewusstseins beeinflusst.

Um es ganz deutlich zu sagen: „Umwelt“ ist ein vektorieller, gerichteter Begriff, der auf sein eigenes Zentrum verweist. Was aber steht im Zentrum dieses Begriffes? Wenn man nicht gerade Sys-temtheorie betreibt und damit ganz einfach das untersuchte System in den Mittelpunkt rückt, dann steht im Geheimen immer der Mensch im Zentrum der Umwelt. Umweltschutz wäre dann in letzter Konsequenz Menschenschutz, während der Naturschutz eine vom Menschen getrennte Welt schützt, eben die Natur. „Natur“ enthält den Menschen heute nicht mehr, wenngleich öfters auf die biologische Gebundenheit der Spezies verwiesen wird. Naturschutz heißt, andere Lebewesen vor dem Menschen schützen. Nimmt es da noch Wunder, wenn Naturschutz und Umweltschutz nicht an einem Strang ziehen?

Über den Naturbegriff und seine historische Entwicklung gibt es Berge von Literatur unterschiedlichster Ausrichtung (vgl. etwa MOSCOVICI, 1982; RAPP, 1981; TORRANCE, 1992; zusammenfassend KORAB, 1992). Wesentlich für unsere Überlegungen scheint die Unterscheidung in „natura naturans“, die schöpfende Natur, eine Begrifflichkeit, wo Natur als Kraft, als Prozess verstanden wird, und „natura naturata“, jener Begriff, der das Geschaffene bezeichnet, also die materielle Seite der Natur betont. Vorstellungen über Natur sind vom kulturellen Kontext abhängig, eine Natur für sich mag es, wenn überhaupt, dann nur außerhalb des uns Wahrnehmbaren geben. „Natur“ ist ein „amorpher“ Begriff oder zumindest ein in sich homogener. Die Natur hat kein materielles Zentrum, der Mensch allerdings steht denkend außerhalb der Natur. Nützlich am Naturbegriff ist seine Einbeziehung prozes- sualer Komponenten – Natur ist, wird und vergeht gleichzeitig.

Zum Umweltbegriff wurde weit weniger geschrieben, wohl auch, weil es den Begriff erst seit etwa 1800 überhaupt gibt. Von einem Dichter als subjektzentrierter Begriff erfunden, wurde „Umwelt“ vom Biologen Jakob von Uexküll nach 1920 mit neuem Bedeutungsinhalt versehen in die gesellschaftliche Diskussion getragen.

Der heute gebräuchliche Umweltbegriff entwickelte sich in den 70er Jahren nach einer Übersetzung von „environmental protection“ aus dem Englischen. Neben diesem gesellschaftlich relevanten Begriff gibt es Sonderbedeutungen in einzelnen Disziplinen, von denen vor allem der Umweltbegriff der Systemtheorie über die Disziplin hinaus Bedeutung hat. „Umwelt“ hat aber jedenfalls einen unklaren Bedeutungsumfang und wird in beinahe jedem „Umweltbuch“ anders definiert (vgl. JÄGER, 1994; ausführlich WINIWARTER, 1994).

„Natur“ als Begriff bringt aber auch ein Problem: Während „Umwelt“ auf den Menschen im Zentrum verweist, schließt „Natur“ ihn aus. Ein synonymes Verwenden der beiden Begriffe scheint deshalb inadäquat. Eine Beziehung zwischen den Begriffen zu konstituieren, ist im Zusammenhang mit menschlicher Aktivität möglich: Umwelt ist vergesellschaftete Natur; Natur, die in irgendeiner Form in Beziehung gesetzt wird zum Menschen. Dabei kann es sich um materielle wie ästhetische Beziehungen handeln.

In der Umweltforschung kommt es auf die Beziehung zur Gesellschaft an, somit ist klar, dass uns der Umweltbegriff weiterhin zu beschäftigen hat, dass wir angehalten sind, die Probleme, die durch die Zentrumsorientierung aufgeworfen werden, zu lösen, statt im Naturbegriff unser Heil zu suchen. Gehen wir also auf die Suche nach einer brauchbaren Vorstellung davon, welche Teile der Natur der Umweltbegriff in welcher Weise strukturiert und welche Art von Beziehung zwischen Menschen und Umwelt konstituiert wird.

Globus, Sphäre und dergleichen

Für unsere Annäherung an Umweltprobleme, wenn wir den Terminus einmal einfach so verwenden wollen, ist bestimmend, welches Bild wir uns von dem Raum machen, in dem sie auftreten. Es ist dabei vor allem wesentlich, in welche Beziehung wir uns selbst zu dem Teil der Welt, in der das Problem lokalisiert ist, setzen. Lebt der Mensch in der Welt oder lebt er auf ihr? Lebt der Mensch eingehüllt in Sphären (die da wären: Biosphäre, Noosphäre, Lithosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre ...), so ist er notwendig ein kleiner Teil des Systems, dessen Rettung er plant. Lebt er aber auf der Welt, lebt er auf einer Oberfläche, die Welt liegt somit unter dem Menschen – ein räumlicher Aspekt, der Relevanz für die Art des Umgangs mit der Welt hat.

Diese Welt, wenn sie erst einmal abstrakt geworden ist, erkennt man durch Denken und nicht durch Wahrnehmung (vgl. INGOLD, 1993). Die Welt ist dann aber auch durch den denkenden Menschen steuerbar geworden. Topografischer Ausdruck dieser Steuerungsmöglichkeit ist das Schaffen von Landkarten, die den direkten Kontakt mit den Dingen der Welt durch die abstrakte Repräsentation der Dinge ersetzen.

Um nun den Umweltbegriff zu einem geeigneten Arbeitsbegriff werden zu lassen, könnte es sich lohnen, seine „innere Struktur“ einmal anzusehen, weniger im Sinne einer Definition als im Sinne der Klärung, mit welchem Aspekt des Phänomens „Umwelt“ sich jemand gerade beschäftigt.

Strukturen der „Umwelt“

Umwelt ist also ein subjektzentrierter Begriff. Damit kann letztlich kein Konsens erreicht werden, was die zu schützende Umwelt betrifft, da sie sich von jedem Standpunkt aus anders darstellt. Das Diktum eines amerikanischen Abgeordneten „All politics is local“ ließe sich in „Alle Umwelt ist lokal und subjektiv“ ummünzen. Diese Umwelt wird aber dem globalen Problemhorizont nicht gerecht.

Soweit nun dieses Problem eines der Begrifflichkeit ist, könnte es durch eine Strukturierung des Umweltbegriffes aufgelöst werden, der damit von seiner immanenten Subjektzentrierung befreit würde. In Zusammenhang damit steht aber noch mehr: Die Frage nach dem „Machbaren“, nach der „Steuerbarkeit“ stellt sich anders, wenn der Fragesteller unangefochten im Zentrum steht. Globales Umweltmanagement wird heute auf Basis dieser Zentralstellung versucht. Spiegel in die Stratosphäre zu hängen zum Ausgleich der Strahlungsbilanz ist nur ein Vorschlag von vielen, die vom Glauben an die „grenzenlose“ Machbarkeit zeugen.

Die Strukturierung geht von der Frage aus, welches Verhältnis Umwelt und Raum zueinander haben. Dabei schwingt mit, dass Begriffe selbst bereits eine bestimmte Vorstellung von Raum (mit)transportieren. In der Umweltgeschichte, von der dieser Beitrag ausgeht, sollte ebenso wie in allen anderen Umweltwissenschaften Wert darauf gelegt werden, mit einem Umweltbegriff zu operieren, der gut definiert ist. Dies setzt voraus, dass auch die räumlichen Implikationen klar sind.

Es gibt eine Reihe von Einteilungen der Umwelt. Aus jener Einteilung der Umwelt, wie sie in der Arbeitsmedizin geläufig ist, wurde das Konzept der Umweltzonen erstellt. Sein Vorteil besteht darin, dass sich mögliche Konfliktpunkte als Überlappung solcher Zonen, in denen sich simultan oder aufeinander folgend mehrere Individuen aufhalten, klar darstellen lassen.

Mit dieser Einteilung in Zonen ist nur der räumliche Aufbau der Umwelt, nicht aber ihre prozessuale Komponente und auch nicht die Frage nach der Art der Interaktionen abgedeckt.
Was durch eine solche Einteilung ebenfalls nicht abgedeckt ist, ist die Frage nach der „Umweltrelevanz“ von Verhaltensweisen. Welche Interaktionen jeweils als relevant für den Zustand der Umwelt empfunden werden, ist eine wichtige Frage, in der der Standpunkt des heutigen Beobachters von dem des (historischen) Individuums stark abweichen kann. Das vorgeschlagene Modell ist also sehr unvollständig. Trotzdem bietet es einiges an Erklä-rungsleistung: Beim Versuch, Publikationen mittels dieses Modells zu ordnen, zeigt sich, dass historische Umweltforschung sich derzeit hauptsächlich mit „community surroundings“ – mit der Umwelt auf Ebene des Gemeinwesens – beschäftigt.

Als einer der Gründe für das aktuelle „Umweltproblem“ lässt sich die mangelnde Verbindung der verschiedenen Umweltebenen feststellen. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht zeigt sich, dass das allgemeine Bild von Umwelt nicht spezifisch genug für das Stellen spezifischer Fragen ist. Somit sollte eine Struktur für Umwelt auf der Basis von Funktionen und Prozessen entwickelt werden.

Um eine historische Entität – sei es eine Person, eine Gemeinschaft wie Kloster oder Dorf oder ein ganzer Personenverband, zum Beispiel eine Grundherrschaft, in neuerer Zeit auch ein Unternehmen, ein Konzern oder ein Nationalstaat – in ihren Umweltbeziehungen zu charakterisieren, wird hier vorerst eine Gliederung dieser Umwelt in Teilsysteme vorgeschlagen.

Das erste Teilsystem stellt die „stoffliche Umwelt“ dar. Energie und Materialien werden hier zusammengefasst, da Energie sich immer aus Stoffverbrauch ableiten lässt, im Falle menschlicher Arbeitskraft etwa in Form von Nahrungsmitteln, aber auch in Form von Energieträgern wie Holz, Holzkohle, fossilen Brennstoffen. Wir erfassen hier die materiellen Bedingungen des Lebensraumes, die wesentlichsten davon sind: räumliche und zeitliche Verfügbarkeit und Qualität von Klima, Wasser, Böden, Verfügbarkeit von Naturprodukten wie zum Beispiel Holz und Bodenschätzen.
Menschliche Gesellschaften haben aber darüber hinaus eine „strukturelle Umwelt“. Unter diesem Begriff werden die Bedingungen und Möglichkeiten der Nutzung der stofflichen Umwelt zusammengefasst, also rechtliche, politische, ökonomische und technische Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen der Nutzung der stofflichen Umwelt müssen noch genauer definiert werden, etwa in Anlehnung an die Strukturierungstheorie von Giddens (1988). Wichtig für die „Umweltrelevanz“ solch struktureller Merkmale ist die Dauer, die ein Strukturmerkmal hat.

Es gibt sehr lange bestehende Organisationen und Organisationsformen und solche, die sich in kurzen Abständen stark verändern. Gerade weil in der Umweltgeschichte oft starker Wert darauf gelegt wird, jene lang dauernden Effekte, die sich außerhalb der unmittelbaren Wahrnehmung von Individuen abspielen, zu untersuchen (etwa Erosion, Änderungen des Meeresniveaus oder Anreicherung von Schadstoffen in der Nahrungskette) ist ein Bezug zur „Dauer von Strukturen“ wichtig. Konkret wäre hier etwa nach der Infrastruktur einer Gemeinschaft zu fragen, die die Größe des Raumes, der die Ressourcenbasis bildet, determiniert.

Darüber hinaus existiert eine „geistige Umwelt“. Sie stellte einen Rahmen dar, in dem in einer Gesellschaft gedacht, geglaubt und gelebt wird. Die Fragen nach „Werten“, aber auch nach Kommunikationsformen gehören hier ebenso dazu wie Jenseitsvorstellungen, genauso die Frage nach dem subjektiven, auch spirituellen und symbolischen Platzbedarf des Individuums.

Umgang mit Umwelt bedeutet demnach auch, welche Wahrnehmungsformen und Anschauungen (insgesamt also: welche Bilder) sich Menschen an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt von ihrer Umgebung machen, was sie als schön, was als wild, als hässlich, aber auch als angenehm, als bedrohlich und als angstmachend empfinden. Ausgehend von diesen Bildern lässt sich festlegen, welche Zugangsweisen zu Natur jeweils welchen Umgang mit Natur hervorriefen und hervorrufen.

Geht es in der strukturellen Umwelt um die konkret zu einer materiellen Ressource führenden gesellschaftlichen Konstrukte, fragen wir hier nach den ideellen Rahmenbedingungen, die den Umgang auf einer abstrakteren Ebene bestimmen.

Der „Raum“, der sich selbst als gesellschaftlich konstruierter Begriff darstellt, hat in dieser Struktur Plätze mit klaren Funktionszuweisungen. Die Umgebung eines Dorfes etwa ist gleichzeitig landwirtschaftlich genutzter Raum, auf Wegen und Straßen durchmessener Raum, sie enthält ausgezeichnete Plätze mit positiver oder negativer Wirkung auf Menschen und andere Lebewesen – etwa heilige oder verfluchte Orte. Gemäß diesen unterschiedlichen „Nutzungen“ sind wir nicht von einem Raum umgeben sondern müssen nach vielen Funktionen des Raumes fragen.

Fasst man gemäß der obigen Ausfüh-rungen Umweltprobleme als Probleme im Umgang mit Raum auf, wird die zentrale Fixierung auf den Menschen relativiert. Von der „Umwelt“ gelangt man zum Lebensraum und zur (Kultur)Landschaft, womit Planung auf einem anderen Niveau stattfinden kann und soll als auf der Ebene von Problemen und Einzellösungen.

Statt einer Zusammenfassung

Die Ausführungen in diesem Beitrag kreisten, ohne dass dies eingangs explizit gesagt wurde, auch um die Frage, was denn eigentlich ein „Umweltproblem“ sei. Begreifen wir Umwelt als genutzten Raum, handeln Umweltprobleme unter anderem davon, warum wir welche Landschaft als schön oder hässlich empfinden, welche Gefühle in uns von „dunk-len Wäldern“ und „sonnigen Wiesen“ erweckt werden. Diese ästhetische, emotionale Komponente lässt sich erforschen, wenn man die Geschichte berücksichtigt: Unser Zugang zur Wahrnehmung ist ein historisch bedingter, hängt davon ab, welche „innere Geschichte des Raumes“ in unserem Umweltverständnis gespeichert ist. In Zolltexte war vor kurzem von den ungelösten Problemen im ästhetischen Herangehen an Landschaft die Rede (STROHMEIER, 1994). Der historische Zugang auf Basis von Umweltzonen und Teilsystemen, der hier kurz skizziert wurde und der sich aus dem Unbehagen mit den Begriffen „Umwelt“ und „Natur“ entwickelte, könnte diesen Aspekt der „Umweltfrage“ lösen helfen.

„Umwelt“ lässt sich, teilt man sie räumlich und inhaltlich, in voneinander unterscheidbare „Aspekte“ als objektiver Begriff verwenden, der nicht mehr ausschließlich vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters aus gesehen wird. Ansätze zu einem solchen Umgang mit dem Umweltbegriff sind viele zu orten, gerade deshalb erscheint es wichtig, auch auf theoretischer Ebene über den Begriff und seine räumliche Struktur weiterzudenken.

Postscriptum - seven years after

… oder: Zurück zur Theorie kann nie schaden, von Verena Winiwarter

Die Forderung, doch bitte präzise Begriffe als Arbeitsgrundlage verwenden zu wollen, ist wahrscheinlich so alt wie der wissenschaftliche Diskurs. Kein Wunder daher, wenn ich beim Wiederlesen denke, dass die Grundidee noch trägt: Zwischen Umwelt und Natur besser zu unterscheiden, den Umweltbegriff aus seiner Vieldeutigkeit zu lösen und wenigstens in ein Schema räumlicher und inhaltlicher Faktoren einzupassen, das wollte ich. Was ich als Desiderate angedeutet habe, wurde in meinen und in vielen gemeinsamen Arbeiten einer interdisziplinären Gruppe zum Teil eingelöst. Anhand von Rechtsordnungen der frühen Neuzeit (Weistümern) habe ich versucht, die agrarische Infrastruktur in die Gesamtbeurteilung der historischen und ökologischen Prozesse einzubeziehen (WINIWARTER,1999). Mit Langzeitanalysen unter Einbeziehung der „persistenten Landschaftselemente“ haben wir versucht, der Forderung nach der Untersuchung der Dauer von Strukturmerkmalen gerecht zu werden (PROJEKTGRUPPE UMWELTGESCHICHTE, 1999, 2000). Die „geistige Umwelt“ (ein Faktor, na gut, aber was für einer, viel schwammiger geht’s ja nicht ...) haben wir durch Überlegungen zu „Handlungen“, „Handlungsmustern“ und „Tradition“ als verschieden verstetigte Formen des Umgangs mit Natur erfreulicherweise konkretisiert, zu finden in den Glossarien der eben zitierten beiden CD-ROMs. Technische und ökonomische Strukturbedingungen sind vermischt zu „Produktionsbedingungen“ geworden, die auch der Agrargeschichte als wesentliches Strukturierungsmerkmal dienen könnten (WINIWARTER, 2001). Die Zonierung der Umwelt aber, die eine gute räumliche Konkretisierung zu sein schien und von der ich mir eine Systematik der Umweltprobleme erwartete, die ist sanft entschlafen. Sie erscheint mir heute viel zu sehr an den Bedingungen des Heute orientiert und kann historische Zustände in keiner analytisch nützlichen Weise beschreiben. Als eines der vielen Themen der Einführungsvorlesung zur Umweltgeschichte dient dieser erste Teil allerdings bis heute. l





WINIWARTER V. (1999): Landscape Elements in the late Medieval Village: Can information on land-use be derived from normative sources? In: Medium Aevum Quotidianum 41, S. 22-42.
PROJEKTGRUPPE UMWELTGESCHICHTE (1999): Landschaft hat Geschichte. Historische Entwicklung von Umwelt und Gesellschaft in Theyern. CD-ROM-Veröffentlichung, WUV-Verlag Wien, ISBN 3-85076-462-1.
PROJEKTGRUPPE UMWELTGESCHICHTE (2000): Kulturlandschaftsforschung: Historische Entwicklung von Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Natur. Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr (Hg.). Schriftenreihe Forschungsschwerpunkt Kulturlandschaft, Bd. 7, Wien.
WINIWARTER, V. (2001): Landwirtschaft, Natur und ländliche Gesellschaft im Umbruch. Eine umwelthistorische Perspektive zur Agrarmodernisierung. In: Ditt Karl, Gudermann Rita, Rüße, Norwich (Hg.). Agrarmodernisierung und ökologische Folgen. Westfalen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Forschungen zur Regionalgeschichte. Bd. 40. Hg.: Walter, Bernd. Paderborn/München/Wien/Zürich. S. 733-767.

1. April 2000 zolltexte

landschaft auf vierfarbkarton

Betrachtungen zur kulturellen Konstruktion des Blickes (1)

Kaum ein Medium kann auf eine solche Erfolgsgeschichte verweisen wie die Ansichtskarte. Die Landschaftsbilder auf den Karten sind sorgfältige Konstruktionen, wenn auch die Prinzipien der Konstruktion weder bei den KäuferInneN wie bei den HerstellerInneN reflektiert werden. Die abgebildeten Landschaften dienen heute als Vermittler zwischen den touristischen Erwartungen und der Realität des Reisens. Dreck, Regen, Verkehrslawinen und Stau vor Sehenswürdigkeiten oder beim Schilift, Landschaftszerstörungen gleich neben der Piste, moderne Bauten in „malerischen“ Vierteln, all das lassen die Postkarten sorgfältig aus. Wenn der Tourist eine Karte nach Hause schickt, kann sie als Erfolgsmeldung über den realisierten Traum gelten, der sich dabei durchaus nach der jeweiligen Mode richtet. Inzwischen sind auch Ansichtskarten zielgruppenspezifisch, vom Enkerl, das der Oma schreiben will, bis zum DJ, der seiner Fangemeinde in die heimatliche Disco einen Gruß vom Schneesurfen zukommen lassen will, jeder wird adäquat bedient.

Touristische Wahrnehmung und die damit verbundene Anspruchshaltung ist vermutlich eine bislang eher unterschätzte Kraft im Prozeß der touristischen Umgestaltung von Landschaften in Touristenparks. Denn der Erfolg eines Gebietes hängt entscheidend davon ab, wie sehr es den ManagerInneN vor Ort gelingt, die Erfüllung der Träume ihrer Gäste zu gewährleisten, auch wenn sie diese, so gut es geht, lenken. Durch konstruierte Landschaftsbilder auf Postkarten wird touristische Wahrnehmung gesteuert, die touristische Erwartungen verstärkt, welche sich letztlich in Bulldozer und Pistenraupen verwandeln können.
Der wissenschaftliche Kontext

Landschaftswahrnehmung ist kulturell konstruiert. Mit der Konzentration auf eine einzige Form dieser Konstruktion, nämlich die (Ansichts-)Postkarte, gelingt es, die Mechanismen der Produktion und des Konsums von Landschaft tiefergehend zu analysieren. Ansichtskarten sind Medium in einem Kommunikationssystem, das aus FotografInnEn, VerlegerInneN, VerkäuferInneN, KäuferInneN (=SenderInneN) und AdressatInnEn besteht. In einem zweiten ökonomischen Kreislauf, der grundsätzlich anderen Prinzipien unterliegt, ist die Ansichtskarte als Sammelobjekt von dem abgebildeten Ort nahezu unabhängig noch einmal im Umlauf. Systematische Arbeiten zu diesem Thema wurden im Rahmen eines in den Zolltexten bereits referierten Projekts des Forschungsschwerpunkts „Kulturlandschaftsforschung“ unternommen (vgl. STROHMEIER, 1999), sie liegen in Form eines Endberichts (vgl. BÈKÈSI, WINIWARTER, 1998) und einiger kleinerer Beiträge aus dem Umfeld des Projekts vor (vgl. BÈKÈSI, 1998, WINIWARTER, 1997). Sandor Bekesi hat seine Ideen zu einer Wahrnehmungsgeschichte auch in seiner akademischen Abschlußarbeit weiterentwickelt (vgl. BÈKÈSI, 1998). Die hier in der Folge gemachten Bemerkungen sind meine Fortsetzung der gemeinsamen Projektarbeit.

Zur Erfolgsgeschichte der kleinen Bilder

Postkarten mit Bildern, wie wir sie heute kennen, haben sich in der Zeit nach 1890 entwickelt. In ihrer ersten Erfolgsgeschichte finden wir sie als das „Telefon des kleinen Mannes“. Zu einer Zeit, in der die Post mehrmals täglich ausgetragen wurde, dienten sie der lokalen Vereinbarung von Terminen und ähnlichem. Das Telefon hat die Postkarte zwar aus dem lokalen Benachrichtigungsbereich verdrängt, aber der Massentourismus hat die Postkarte als sein wesentliches Medium übernommen. Damit setzt die zweite Erfolgsgeschichte ein. Die Verbreitung der Heimfotografie macht die Karte nicht unnötig, verändert allerdings ihre Bildinhalte. Tendenziell wird die Abbildung von Sehenswürdigkeiten unwichtiger, der Bildwitz und die globale Karte, letztere durchaus auch wegen der zunehmenden Konzentration im Ansichtskartenverlagswesen, gewinnen an Boden (vgl. Abb. 1). Postkarten hatten in den 50er und 60er Jahren unseres Jahrhunderts in den sich neu touristisch definierenden Gegenden die Aufgabe, durch Abbildung und Vervielfältigung Sehenswürdigkeiten zu etablieren. Heute, wo die kollektive Organisation individueller Besonderheit im Reiseverkehr dominiert, wie Hennig (HENNIG, 1997: 21) ausführt, ist die zielgruppenspezifisch vielfältige Repräsentation von touristischer Landschaft eine institutionalisierte Möglichkeit der individuellen Handlung im Kollektiv. Alle schreiben Postkarten, aber jede/r kann sich seine/ihre eigene aussuchen.
Die Art der Mitteilungen hat sich geändert, die Funktion der Postkarte hat sich ebenso verändert wie das Herstellungsverfahren, die Struktur der Produktion und die Motive, doch der Erfolg der Postkarte kann getrost als ungebrochen gelten.

Touristische Wahrnehmung und die Rolle der Postkarte

Heute ist die Ansichtskarte nach wie vor „das“ Medium der Kommunikation zwischen den TouristInnEn und ihren sozialen Bezugsgruppen zu Hause. Die soziale Bezugsgruppe ist es auch, nach der die Karten ausgewählt werden. Großmütter bekommen andere Karten als die ArbeitskollegInnEn eines Schreibers/einer Schreiberin, dies kommt zu den individuellen Vorlieben oft noch dazu, sieht man von den Freizeit- und Schreibeprofis ab, die nur ein Motiv kaufen, weil die AdressatInnEn einander nicht kennen und die Karten sowieso nicht vergleichen könnten.

Die Karte vermittelt aber nicht nur zwischen dem Reisenden und daheim, sie vermittelt vor allem zwischen der örtlichen Realität und den durch Reiseprospekte, Reiseführer, Videos und Fernsehsendungen verbildlichten Träumen von einem Ort. Eine wesentliche Rolle für die touristische Wahrnehmung spielt das Wetter, dessen Launen erst in virtuellen Welten wie der geplanten „Stronach-Kugel“ wirklich beizukommen ist. Das sprichwörtliche „Postkartenblau“, die ewigliche Sonnenidylle, die das „Kaiserwetter“ unserer Großeltern abgelöst hat, ist eine Folge der Position der Postkarte am Rande des Traumes.
Diese Traum-Bilder zu analysieren, ist nicht ohne trainierten Blick auf den Forschungsgegenstand möglich. Im Rahmen des Projekts „Kulturlandschaft im Kopf“ hat Sandor Bèkèsi über 500 Ansichtskarten nach einem systematischen Raster beschrieben, der nicht nur Vergleichbarkeit, sondern auch eine Wahrung des Abstands zum Bild gewährleisten sollte. Die Ergebnisse der Auswertung der beiden untersuchten Orte Kitzbühel und Eisenerz liegen, wie erwähnt, als Projektbericht vor (vgl. BÈKÈSI, WINIWARTER, 1998). Vieles an einer Postkarte hängt nicht am eigentlichen Motiv, sondern am Ambiente, an der Stimmung des Himmels, an der grafischen Gestaltung der Karte, an eingefügten Symbolen und Beschriftungen, am Format und an der Beziehung der Karte zum „üblichen“ Bild eines Ortes (vgl. Abb. 2 und 3).

Einige wichtige grafische Formen, die auf Postkarten Verwendung finden, sollen in der Folge vorgestellt werden. Dabei sei ein Hinweis auf die Kartenrückseite gestattet. Postkarten sind zweiseitig, und die erklärenden Texte der Rückseiten gelegentlich erst Schlüssel zum Verständnis. Die Rückseitentexte sind daher in einigen Fällen als Bildunterschriften der Abbildungen wiedergegeben.

Der Rahmen: Rahmen sind mehrdeutige grafische Mittel: Sie machen Landschaft klein und signalisieren in der Umkehr der Größenverhältnisse auch eine Bedeutungsumkehr. Sie machen Landschaft aber auch austauschbar, ordnen sie den touristischen Bedürfnissen unter und stilisieren sie gleichzeitig zum Kunstprodukt (was diese Landschaften oft längst sind). Die Rahmen haben eine lange Geschichte, wir kennen Postkarten mit Rahmen schon seit dem Beginn dieses Jahrhunderts, und die Rahmensetzung boomt nach wie vor. Der Rahmen umschließt im gezeigten Fall, wie die Rückseite verrät, ein „Motiv“, auch dies eine signifikante Zuweisung (vgl. Abb. 4).

Das Landschaftsmosaik: Die Mosaikkarte zerstückelt die Fläche der Karte in mehrere, oft sogar viele Teile. Neben dem praktischen Verkaufseffekt, daß eine solche Karte an vielen Orten abgesetzt werden kann, ermöglichen diese Karten auch die Überwindung der natürlichen Grenzen visueller Wahrnehmung von Landschaft. Sie machen den synchronen Blick möglich und helfen auch so, die Menschen über die Landschaft zu (er-)heben (vgl. Abb. 5).

Die Schipisten – Langlaufloipen - Wanderwege Karte: Ob in rot, schwarz oder blau, ob mit Strichen, Ringen oder Pfeilen, aus einem Foto mit Ortsansicht und Berg wird mit Hilfe der Druckerpresse ein operationales Landschaftsbild, das seine Benutzungsanleitung gleich mitliefert (vgl. Abb. 6).

Die benannten Berge: Berge haben Namen und Seehöhen, erst das macht sie zu touristisch interessanten Objekten, und auch diese Form der Aneignung bietet für die Fremden eine Möglichkeit, es den Einheimischen nicht nur gleichzutun, sondern sie gar zu übertreffen. Daneben ist das Panorama von oben eine Fortsetzung des herrschaftlichen Blicks der fürstlichen und königlichen Vogelschau auf die eigenen Ländereien, und nicht umsonst sind Flugaufnahmen von ungebrochener Beliebtheit als Kartensujet, seit die ersten Flugzeuge überhaupt Kameras mitnehmen konnten.
Menschen vor Landschaft: Das Trachtenpärchen und die schöne Sennerin, der starke Bergfex oder der aus den Wellen entsteigende Adonis (zu allem gibt es Beispiele in der Sammlung der Autorin): Die intime Verbindung, die zwischen Landschaften und ihren BewohnerInneN hergestellt wird, macht diese zum Teil des touristischen Angebots. Kein Wunder, wenn Tourismus und Regionalkultur in einem Sammelband der Volkskunde (PÖTTLER, 1994) erst jüngst wieder in ihrer problematischen Verbindung analysiert wurden (vgl. Abb. 7).

Symbolische Aufladung: Nicht nur die Innsbrucker Nordkette, über der auf einer Karte aus dem Jahr 1938 das Hakenkreuz schwebt, sondern auch die Ausstattung von Karten mit der alpinen Blumentrikolore aus Edelweiß, Almrausch und Enzian ist als symbolische Aufladung zu bezeichnen. Die Anreicherung der Landschaft mit Symbolen macht sie zur Trägerin von Ideologie, aber auch austauschbarer, die durch Blumen als solche gekennzeichneten „Alpen“ müssen vor allem eines sein: typisch, nicht aber besonders. So arbeiten die Karten wie die Tourismusindus-trie auch an ihrer eigenen Konkurrenz: Wenn erst einmal kein Unterschied mehr erfahr- und wahrnehmbar ist, dann wird es zunehmend egal, wohin eine/r fährt.
Mit den oben kurz beschriebenen und anderen grafischen Veränderungen werden aus Fotos von Landschaften Postkarten, und es erübrigt sich fast festzustellen, daß die nachträgliche Veränderung des Bildes („die Retusche“) seit Beginn des Mediums dazugehört, ob es sich um Alpenglühen, drucktechnische Blauung des Himmels oder um die Veränderung signifikanter Teile der Landschaft handelt.

Landschaft, Tourismus und Postkarte – eine Dreiecksgeschichte

Bildpostkarten sind als kulturell geformte und überformte Blicke auf Landschaft Teil des kollektiven Bildinventars touristischer Wahrnehmung. Sie sind aber auch ein Werkzeug zur symbolischen Aneignung von Landschaft. Bildpostkarten sind operationale Bilder, die den Gebrauch der Landschaft als Kulisse oder wie Hennig meint (HENNIG, 1997) als Bühne für Urlaubsaktivitäten ermöglichen und fördern. Ihre Stellung an der Grenze zwischen Traum und Realität verleiht ihnen eine wichtige Funktion im Leben der TouristInnEn und auch landschaftsveränderndes Potential: Die Bildproduktion ist Teil der Tourismusindustrie, die kollektiv machbare individuelle Träume verspricht und dafür reale Landschaften touristisch zurichtet, sowohl durch Retusche und Reproduktionsprozesse in medialen Bildern als auch im konkreten Landschaftsbau, ob es nun pittoreske Ferienhäuser oder gleich ganze Themenparks sind, deren Abbildung dann die Realität wieder in den Status des Traumhaften erhebt. Die Wiederherstellung des so produzierten kollektiven Traumes in der individuellen touristischen Realität ist Teil erfolgreicher Freizeit- und Urlaubsgestaltung. Wolfgang Kos hat von „Moden“ der Landschaftsdarstellung gesprochen (vgl. KOS, 1995). So wie die Bekleidungsindustrie in einem Zyklus von Herstellung kollektivierbarer individueller Ausdrucksformen und ihrer Ablösung durch neue Formen von Saison zu Saison neue Menschenbilder erzeugt und fordert, so ist die Tourismusindustrie in einem Zyklus der Herstellung von Sehenswürdigkeit und Neuigkeit mit der Herstellung immer neuer Landschaftsbilder beschäftigt.

Die Ansichtskarte baut heute auf den Möglichkeiten der Fotografie auf, und was über diese zu sagen ist, gilt in verstärktem Maße für die daraus hergestellten Produkte. Dies hat insbesondere für die Frage des „Ansehens“ (im Sinne von „schauen“) von Postkarten Gültigkeit. Was Nancy Leys Stepan über die Fotografie sagt, trifft ebenso für Postkarten als Teil des Universums touristischer Repräsentation von Realität zu:
„Fotografien sind immer Repräsentationen der Welt, genauso wie sie Abbildungen sind. Die Auswahl von Objekten für die Fotografie, die Rahmung, das Licht, die Konventionen wie etwa „pittoresk“, die zur Repräsentation benutzt werden; das Verhältnis des Fotos zu anderen Fotos sowie zu anderen Zeichensystemen in der Vergangenheit und in der Gegenwart, alles hat Anteil daran, wie Fotografien angesehen werden.“ (von der Autorin übers. aus: STEPAN, 1994).

Die Erschaffung von Sehenswürdigkeiten hat die „Sehensunwürdigkeit“ als Nebenwirkung. Das Verhältnis des Abgebildeten zum Nicht-Abgebildeten schafft Landschaftsabfall zwischen den einer Besichtigung würdigen Teilen. Damit wird ein Netz von durch Betonpisten miteinander verbundener und durch Parkplätze „erschlossener“ Orte gefördert, das immer konzentrierter und vom realen Umfeld immer abgehobener die Traumbedürfnisse der TouristInnEn erfüllt. Dazu kommt noch, daß der Themenpark – in den USA und etwa auch in Dänemark längst klassisches Urlaubsziel – touristische Bedürfnisse zunehmend virtuell befriedigt. Damit werden ästhetische Kriterien für den Schutz der jeweiligen Einmaligkeit real existierender Landschaften langsam, aber sicher untergraben. Die Botschaft der Ansichtskarten läßt sich in polemischer Überspitzung lesen als eine Botschaft über Landschaften als transportabel, als verformbar, anpaßbar, nutzbar und letztlich auch wegwerfbar. Die symbolische Herrschaft über die Landschaft, wie sie in Mosaikkarten und Luftaufnahmen zum Ausdruck kommt, ist Abbild, Sinnbild und Folge des industriegesellschaftlichen „anything goes“. Landschaften sind für den Tourismus eine unverzichtbare Ressource, wie der Chef einer der größten Reiseveranstalter in einem Interview mit „Die Zeit“ auch formulierte, ohne allerdings auf die visuelle Ressource „Landschaft“ einzugehen:

Zeit: „Der Ferienboom bringt mehr Verkehr, mehr Flächenverbrauch, mehr Abfall und einen großen Druck auf sensible Landschaften mit sich. Bleibt die Umwelt auf der Strecke?“

Natur: „Eine heile Natur ist die Basis für einen funktionierenden Tourismus. Die TUI hat als erster Großveranstalter ein professionelles Umweltmanagement eingeführt. Auch konzernübergreifend haben wir uns das Thema Umwelt auf die Fahnen geschrieben“ (CORSTEN, 1999).
In der „heilen Natur“ ist die Ästhetik nur implizit. Wenn Landschaften in marktgängige Ressourcen verwandelt werden, so geschieht das im Bild wie im Realen. Die „heile Natur“ ist dann womöglich „Natur aus zweiter Hand“, in der die Geschichte der kulturellen Präferenzen, Moden und Aneignungen eingeschrieben ist, wie jene des Bergbaues oder der Schwerindustrie.

Zum Schluß

Diese Analyse setzt ProduzentInnen wie KonsumentInnen von Postkarten leicht in die „böse Ecke“; damit ist niemandem gedient. Touristisches Reisen erfüllt eine gesellschaftliche Funktion, wie sie Christoph Hennig in seiner unter dem Titel „Reiselust“ verfaßten Analyse der modernen Urlaubskultur exzellent herausgearbeitet hat (vgl. HENNIG, 1997). Die zentrale Rolle, die Postkarten dabei spielen und die in seinem Buch keine entsprechende Würdigung erfährt, sollte hier dargestellt werden. Mehr als zu einem bewußteren Umgang mit den allgegenwärtigen Karten anzuregen, kann ein solcher Beitrag nicht anstreben. Allen Reisenden (und wer ist das heute nicht) seien schlußendlich noch einige Anbote zum Weiterdenken gemacht, die an Hennig anschließen.

Postkarten sind moderne Märchen. Sie erzählen Bildgeschichten darüber, wie es einmal war und ist, darin sind sie zeitlos. Sie spielen in einer uns bekannten Welt, deren Teile sie als Versatzstücke ihrer Erzählung brauchen, mit diesen Ausrüstungs- und Einrichtungsgegenständen erzählen sie aber ihre ganz eigene, ganz besondere Geschichte. Ebenso wie der Tourismus das Ventil für die überschüssigen Symbole geworden ist und darin das Fest und auch den Karneval in seiner ursprünglichen Bedeutung einer verkehrten Welt abgelöst hat, so sind die Ikonen des Tourismus, die Ansichtskarten, Ventile für den gesellschaftlichen Überschuß an Träumen und Symbolen, moderne Bildmärchen, deren Erfolgsgeschichte deshalb noch lange weitergehen wird.

Die Märchen der Brüder Grimm und ihrer Zeitgenossen haben die Kinderzimmer des Bürgertums vor hundert Jahren mit Phantasie aufgeladen. Sie haben Kinder wie Erwachsene dazu eingeladen, ihre jeweilige Realität mit individuellen Ausformungen der kollektiven Phantasie anzureichern. Märchen dienten nicht der Auflehnung, sie konnten und sollten transformiert werden in individuelle Entwürfe des kollektiv Akzeptierten. In gleicher Weise setzen uns Ansichtskarten auf die touristische Schiene. Auch die modernen Märchen des Tourismus wirken im Sinne der Konformität. Ausbruchsversuche sind in der Vielfalt der Angebote für alle Zielgruppen immer schon einkalkuliert.

Dr.phil. Verena Winiwarter geboren 1961 in Wien, ist Umwelthistorikerin und arbeitete in den letzten Jahren an interdisziplinären Projekten im Forschungsschwerpunkt „Kulturlandschaftsforschung“ des bm:wv mit. Ab 1.2.2000 beschäftigt sie sich als Inhaberin einer Hertha-Firnberg-Nachwuchsstelle des FWF am Institut für Anthropologie der Universität Wien mit interdisziplinärer Wissenschaftstheorie im Grenzbereich Biologie/Geschichtswissenschaft.

1 Die ersten Forschungsarbeiten zu Ansichtskarten als Medium touristischer Aneignung von Landschaft wurden von der Autorin gemeinsam mit Wolfgang Tobisch im Auftrag des bm:wv, Abteilung für gesellschaftsbezogene Forschung durchgeführt. Die weiteren Forschungsarbeiten, aus denen der Beitrag schöpft, wurden im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Kulturlandschaftsforschung ebenfalls im Auftrag des bm:wv geleistet. Dafür ein Danke an Sandor Bèkèsi für die Zusammenarbeit. Alle abgebildeten Ansichtskarten stammen aus der Sammlung der Autorin.

Literatur:
BÈKÈSI, S. (1998) Die Aneignung von Landschaft im Bild: wahrnehmungsgeschichtliche Untersuchung zum Popularmedium Ansichtskarte am Beispiel von Neusiedler See - Seewinkel. Ungedr. Dipl.Arb. Wien.
BÈKÈSI, S. (1998): Der Seeblick. Historische und aktuelle Landschaftsbilder vom Neusiedler See. In: Zolltexte Nr. 1/1998, S. 38-42.
BÈKÈSI, S., WINIWARTER, V. (1998): IFF Raum und Ökonomie, Forschungsschwerpunkt Kulturlandschaft: Kulturlandschaft im Kopf. Forschungsbericht an das BMWV zum Forschungsprojekt „Kulturlandschaft im Kopf“. Dieser Projektbericht kann gegen Ersatz der Vervielfältigungskosten am IFF, Abteilung Raum und Ökonomie bezogen werden. Da das IFF derzeit in Übersiedlung begriffen ist, hier die e-mail Adresse roswitha.pogner@univie.ac.at als konstanteste Möglichkeit der Erreichbarkeit für etwaige Bestellungen.
CORSTEN, R.,(1999): (Chef der HTU -Reisegruppe) In: Die Zeit Nr. 30/22.Juli S. 48. Interview.
HENNIG, C. (1997): Reiselust. Touristen, Tourismus und Urlaubskultur. Frankfurt a. M.
KOS, W. (1995): Imagereservoir Landschaft. Landschaftsmoden und ideologische Gemütslagen seit 1945. In: SIEDER, R., STEINERT, H., TALOS, E. (1995) Österreich 1945-1995. Gesellschaft Politik Kultur. Wien.
PÖTTLER, B. (Hg.) (1994): Tourismus und Regionalkultur. Referate der österreichischen Volkskundetagung 1992 in Salzburg. Wien.
STEPAN, N.L. (1994): Photographing Medicine in Brazil, Bull.Hist.Med. 68 S. 141.
STROHMEIER, G. (1999): Kulturlandschaft im Kopf. Wahrnehmung und Bild österreichischer Landschaften. In: Zolltexte Nr. 1/1999, S. 37-40. Wien.
WINIWARTER, V. (1997): Alpenblumengrüße. In: Oberösterreichische Umweltakademie beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung (Hg.) (1997): Wo i leb ... Kulturlandschaften in Österreich. Katalog zur Ausstellung. Linz.


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