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Artikel

23. Dezember 2020 Neue Zürcher Zeitung

Schloss mit lustig: Das ambitionierteste deutsche Kulturprojekt seit der Wende bleibt ein Streitpunkt

Der Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz in Berlin ist vollendet. Aber wie schafft man die Bespielung des Humboldt-Forums in einer Zeit, in der das Existenzrecht ethnologischer Sammlungen infrage steht?

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22. Oktober 2020 Neue Zürcher Zeitung

Adieu, TXL! So einen Flughafen wie Berlin-Tegel wird es nie mehr geben

Die Entstehungsbedingungen waren aussergewöhnlich, das quälende Ende in Raten war es auch. Die Geschichte des legendären Berliner Flughafens zwischen Sehnsuchtsort und Architekturikone.

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12. Juli 2019 Neue Zürcher Zeitung

David Chipperfield vollendet in Berlin mit einem Eingangstempel die Museumsinsel

Soll keiner sagen, in Berlin gäbe es nicht auch das Glück des Gelingens. Am Freitag wird auf der Museumsinsel in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel der Neubau von David Chipperfield eingeweiht. Die James-Simon-Galerie dient als Tor zu Deutschlands schönster Kulturlandschaft – und formuliert die neue Antithese zum wiederaufgebauten Schloss.

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29. November 2016 Neue Zürcher Zeitung

Berlin, Bollywood

Während die Bauten in Berlins Mitte immer preussischer aussehen, setzen die Häuser zunehmend auf Weltkultur. – Weshalb das alles so gut zu Berlin passt.

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2. Dezember 2014 Neue Zürcher Zeitung

Entstehungsgeschichten

Während viele Institutionen und Nationen sich zur Jahrtausendwende für die Weltausstellung in Hannover «zurechtmachten», reüssierte die Schweiz mit einem Ort zum Verweilen im Getöse internationaler Selbstvermarktung. Peter Zumthors Holzpavillon verweigerte die Selbstdarstellung und war dennoch durch...

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26. April 2013 Neue Zürcher Zeitung

Mit leiser Wucht

Er ist eine Leitfigur der Bündner Architektur und einer, dessen Entwürfe die Idee vom originären Schweizer Bauen über die Landesgrenzen hinaustrugen. Und er liess sich nie von Modeströmungen verbiegen: Am 26. April feiert Peter Zumthor seinen 70. Geburtstag.

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19. Oktober 2011 Neue Zürcher Zeitung

Vom Glücksspiel der Architekturtheorie

Ort und Mittel sind ungewöhnlich, da die Architekten Denise Scott Brown und Robert Venturi im Oktober 1968 eine Kamera auf die Kühlerhaube ihres Wagens montieren und so der Stadtlandschaft – ausgerechnet von Las Vegas – nachspüren. Auf der bildhaften Suche nach der Vorstellung einer zeitgemässen Stadtentwicklung...

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14. Dezember 2010 Neue Zürcher Zeitung

Diskreter Charme der Architektur

Buzzi e Buzzi – ein Tessiner Architekturbüro an der ETH Hönggerberg
Einen Einblick ins Werk der Tessiner Architekten Buzzi e Buzzi gibt eine minimalistische Ausstellung im Architekturfoyer Hönggerberg. Sie lässt Raum für übergreifende Fragen.

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8. Februar 2008 Neue Zürcher Zeitung

Kühn geschwungenes Dach für eine neue Zeit

Ein Westberliner Wahrzeichen – die Kongresshalle des Amerikaners Hugh Stubbins

Die Berliner Kongresshalle des amerikanischen Architekten Hugh Stubbins spiegelt ein Stück Westberliner Geschichte. Einst Wahrzeichen der freiheitlichen Demokratie, ist sie heute bauliches Denkmal der Nachkriegsmoderne. Seit 1989 übt hier das «Haus der Kulturen der Welt» seine Vermittlerrolle im globalisierten Kulturschaffen.

Es gibt wohl kaum eine andere Stadt, die so viele Wahrzeichen besitzt wie Berlin. Ultimatives – um das zweifelhafte Wort für einmal zu gebrauchen – Berliner Wahrzeichen ist das Brandenburger Tor, das die Geschichte Berlins schicksalshaft mitgemacht hat vom Raub der Quadriga durch Napoleon über den Mauerbau bis zur Wiedervereinigung. Darüber hinaus präsentiert die Hauptstadt Wahrzeichen, wohin man blickt. Das neue Berlin hat den Potsdamer Platz und die Reichstagskuppel, das alte das Reiterstandbild Friedrichs des Grossen Unter den Linden. Ostberlin hat den Fernsehturm und Westberlin die Schwangere Auster, wie die Berliner die Kongresshalle im Spreebogen nördlich vom Tiergarten nennen.

Da in Ostberlin zu jener Zeit in Stalins Namen bereits Arbeiterpaläste in die Höhe gewachsen waren, besann sich der Westberliner Senat auf demokratische Werte und plante für das Jahr 1957 die Internationale Bauausstellung (Interbau), deren Herzstück das Hansaviertel bildete. Der Architekt Hugh Stubbins (1912–2006) sollte als amerikanischen Beitrag zur Bauausstellung bewusst keinen Wohnbau, sondern ein öffentliches Haus, eine Kongresshalle, entwerfen. Es war eine hochpolitische Aufgabe im Namen des antikommunistischen Konsenses. Sie war geeignet, das Westberliner Wahrzeichen von allem Anfang an über das Postkartenmotiv hinaus dem wahren pathetischen Sinn seiner Gattung zuzuführen – unterstrichen durch Benjamin Franklins Gedanken von der «Liebe zur Freiheit».

Symbol der Hoffnung

Der Entwurf der Kongresshalle war ein Geschenk der Vereinigten Staaten von Amerika an die Inselstadt Berlin – im Zeichen der transatlantischen Freundschaft. Ihre Errichtung mitten in der Einöde im einstigen politischen Zentrum der Stadt sollte zudem ein Symbol für den Wiederaufbau des zerstörten Berlin und für die amerikanische Unterstützung der noch jungen Bundesrepublik sein. Den Standort wählte man demonstrativ am östlichsten Rand Westberlins: Zwar gab es die Berliner Mauer noch nicht, aber Berlin war bereits die Frontstadt des Kalten Kriegs. Mit dem Haus der Schweizer Gesandtschaft, die als einziges Bauwerk neben dem Reichstagsgebäude im Spreebogen als Relikt des einstigen Alsenviertels den Krieg überdauert hatte, war Stubbins' Bau in all den Jahrzehnten der Teilung in der Einöde am Berliner Mauerstreifen Zeichen der Hoffnung auf ein vereintes Deutschland. So blieb zwar die Kongresshalle Stubbins' einziges Gebäude in Europa, sie machte den Architekten des Citicorp Center in New York und des Landmark Tower in Yokohama diesseits des Atlantiks gleichwohl schlagartig berühmt.

Stubbins schien in idealer Weise die Voraussetzungen für die architektonische Umsetzung des gesellschaftspolitisch brisanten Programms zu besitzen, zählte er doch als Assistent und ehemaliger Büromitarbeiter des in die USA emigrierten Bauhaus-Gründers Walter Gropius zu jenem Kreis von Architekten, die eine Brücke schlugen zwischen der europäischen Bautradition und der – nicht zuletzt durch sie selbst beförderten – amerikanischen Moderne. Der politische Auftrag erforderte eine zeichenhafte Gestalt. Dem trug Stubbins – nach dem Vorbild von Matthew Nowickis Sporthalle in Raleigh in North Carolina – Rechnung mit einer spektakulären geschwungenen Dachform, deren Betonschalenkonstruktion den Veranstaltungssaal im Inneren demonstrativ überspannt. Schnell hatte der Berliner Volksmund den anfänglich wegen seines ideologischen Auftrags nicht vorbehaltlos geliebten Bau an der Spree, der vor allem in nächtlicher Beleuchtung seinen Bauch aufzuklappen scheint, Schwangere Auster getauft.

Multifunktional sollte der Bau sein und technisch hoch ausgerüstet – vor allem auch wegen der symbolischen Sitzungen, die der dazu jeweils eigens aus Bonn anreisende Deutsche Bundestag oder die Bundesversammlung durchführen sollten. Das Dach der Berliner Kongresshalle, das zwischen zwei Trägern aufgespannt ist, erhob mit seiner skulpturalen Anmutung den Schalenbau zu einem Prototyp moderner Architektur. Die Kongresshalle galt als Botin einer neuen Zeit, der auch Utzons Opernhaus in Sydney oder Niemeyers Parlamentsgebäude in Brasilia entsprangen. Allerdings hinkte bei der Kongresshalle die technische Entwicklung dem gestalterischen Furor hinterher, und so stürzten 1980 die Dachkrempe und 600 Tonnen Beton vor den Eingang nieder, da eines der beiden Zugbänder zur Stabilisierung der Randbalken nachgegeben hatte. Die kurzzeitig aufflammende sprichwörtliche Berliner Abrisswut, die sich gerne an Gebäuden der Nachkriegsmoderne auslebt, hatte hier in Anbetracht der symbolträchtigen amerikanischen Freundschaftsgeste ein Einsehen: Zur 750-Jahr-Feier bauten die Berliner ihre Schwangere Auster wieder auf.

Ohnehin ist die Bedeutung des Baus heute weniger im Architekturgeschichtlichen denn in seiner gesellschaftspolitischen und ästhetischen Relevanz zu suchen. Wer das Haus zum ersten Mal betritt, dem kann es passieren, dass er die grosse Freitreppe zur oberen Plattform nimmt und dort vor verschlossener Tür steht: Der Haupteingang befindet sich gut versteckt hinter den beiden dem Haus vorgelagerten Wasserbecken, in denen sich der Bau spiegelt. – Funktionale Gesichtspunkte wurden bei dem Bau dem politischen Programm hintangestellt.

Die Welt im Spiegel

Im vergangenen Jahr wurde die Kongresshalle nach mehrmonatiger Renovation im Rahmen des 50-Jahr-Jubiläums der Interbau wiedereröffnet. Der denkmalgeschützte Bau wurde für 9 Millionen Euro vor allem technisch aufgerüstet, die Aussenfassade wurde gesäubert, so dass sich die Schale aussen nun in frischem Hellorange präsentiert, das Innere führte man sanft in die pastellene Farbgebung seiner Zeit zurück. Der quadratische, 92 mal 96 Meter grosse Sockel nimmt ein geräumiges Foyer auf, das ein Restaurant und einen Buchshop beherbergt und das sich nun, entsprechend der ursprünglichen Forderung nach Transparenz, hell, von Einbauten befreit und mit neuen Ausblicken präsentiert.

Seit 1989 ist in der Berliner Kongresshalle das «Haus der Kulturen der Welt» (HKW) beheimatet – inzwischen prominent zwischen neu gebautem Bundespräsidialamt und Kanzleramt gelegen. Man hat sich der Erforschung ästhetischer Reflexe einer Weltkultur verschrieben – kein einfaches Unterfangen, da dieser Fokus heute zum Konsens jeder zeitgenössischen Kulturveranstaltung gehört. Allerdings positioniert sich das HKW im reichen Berliner Kulturleben nicht schlecht im praktizierten Crossover von Kunstschaffen und gleichzeitiger theoretischer Reflexion. Im kommenden Sommer will man sich am attraktiven Standort an der Spree weiter öffnen mit dem Programm «Wassermusik», das sich neben Surf, Tiki und Seefahrer-Liedern auch den politischen Aspekten der Ressource Wasser und dem Klimawandel zuwenden wird. Die Schwangere Auster bietet dann eine Beach-Bar, grillierten Fisch und Algensalat zwischen Sand und Palmen. Die Welt mag unübersichtlicher geworden sein. Berlin liegt weiterhin am Meer.

5. Oktober 2007 Neue Zürcher Zeitung

Rationalist der Architektur

Zum Tod von Oswald Mathias Ungers

Stilübungen oder Metaphorik waren nie die Sache von Oswald Mathias Ungers. Der deutsche Architekt erstrebte mit seinen Bauten keine Interpretation, die über die angelegte Raumordnung und ihre Funktion hinauswies. In der Konsequenz dieses Ansatzes wurde die elementare Form – Quadrat, Kubus, Kreis und rechter Winkel – zur konstruktiven Leitfigur des Architekten. So manifestiert sich in Ungers' Werken eine ästhetische Radikalität, die zu seinem – nicht unumstrittenen – Markenzeichen wurde.

Ungers, geboren 1926 in der Eifel, studierte in Karlsruhe bei Egon Eiermann und war selbst zeitlebens nicht nur Architekt, sondern auch Lehrer. So weist das Schaffen von Ungers, der zu den international einflussreichsten deutschen Architekten der Nachkriegszeit zählt, in der Lebensmitte eine ungewöhnlich lange baufreie Phase auf, in der er sich intensiv der Architekturtheorie widmete. 1977 erschien die – gemeinsam mit Rem Koolhaas und Hans Kollhoff – erarbeitete Studie «Die Stadt in der Stadt – Berlin, das grüne Städtearchipel», in der Ungers seinen massgebenden Begriff der dialektischen Metropole entwickelte. Dieser überlagerte die gegensätzlichen Entwürfe von Le Corbusier und Guy Debord in einem Grossstadt-Modell, das nicht auf eine Idealvorstellung abzielt, sondern die Identität einer Stadt in vielfachen Qualitäten sucht, um «eine Erhaltung und Verdeutlichung» zu rechtfertigen.

Vor allem an Ungers' berühmten Museumsbauten – dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum (1975), dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt (1979–1984) und der Erweiterung der Hamburger Kunsthalle (1996) – lässt sich ablesen, wie der Baumeister im Spannungsfeld von räumlichen Ordnungsmustern und deren Brechung seine Idee von Architektur herausbildete. Ungers propagierte den interdisziplinären Ansatz in der Architektur. Allerdings darf man seinen Weg des Fächerübergreifenden durchaus als puristisch bezeichnen, da er in klassizistischer Rückbesinnung vor allem den gemeinsamen Wurzeln von Kunst und Architektur nachspürte. Die «soziale Frage» der Architektur hat Ungers, der Ende der sechziger Jahre deswegen von den Berliner Studenten heftig angegriffen wurde, denn auch lieber anderen überlassen. Er wollte den künstlerischen Rang der Architektur verteidigen und ihren überzeitlichen Geltungsdrang.

Über die Berliner Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe schrieb Ungers einmal: «Es ist die Botschaft der Architektur als reine Kunst, als ein in sich abgeschlossenes Werk, losgelöst von aller Realität. Ein Ort, auf sich selbst bezogen. Eine geistige Akropolis, befreit von allen Zwängen und Niederungen der realen Welt.» Zeitlebens hatte er nicht weniger als die Unsterblichkeit der Baukunst im Blick. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Oswald Mathias Ungers am 30. September im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

30. Juni 2007 Neue Zürcher Zeitung

Der klassische Kompromiss

David Chipperfield entwirft ein Tempel-Portal für die Berliner Museumsinsel

Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz hat David Chipperfields neuen Entwurf für das Eingangsgebäude der Berliner Museumsinsel vorgestellt. Die Architektur zeigt sich klassisch modern - und ohne Vision.

Berlin wird nie eine schöne Stadt sein wie Rom oder Paris. Aber aus Berliner Sicht ist die Museumsinsel der schönste Ort der Welt. Hier ruht die unübersichtliche und oft schroff anmutende Metropole in sich selbst. Im Namen von Schinkel und Stüler nahm im Laufe der Zeit eine Stadtlandschaft Gestalt an, die das Bildungsideal zum Mass aller Dinge machte. So strebt alles nach klassischer Schönheit, von den Wassern der Spree umspült. Selbst die Freizeitgesellschaft, die an heissen Sommertagen den Lustgarten vor dem Alten Museum bevölkert, erlegt sich hier - Magie des Ortes - eine gewisse Haltung auf.

Nun wurde diese Pflicht zur höheren Ordnung auch an einen englischen Stararchitekten herangetragen. «So nicht, Mr. Chipperfield», raunte es durch den deutschen Blätterwald, nachdem der als «Toilettenhäuschen» und «Gewerbekiste» kritisierte Entwurf des Architekten für einen Neubau auf der Museumsinsel nach Jahren unvermittelt wieder ins Rampenlicht gerückt war: Der Deutsche Bundestag hatte an einem Frühlingsmorgen überraschend 73 Millionen Euro freigegeben für den vorgezogenen Bau eines im Masterplan für die Museumsinsel (1999) vorgesehenen zentralen Eingangsgebäudes, das Toiletten und Shops aufnehmen soll für die jährlich erwarteten vier Millionen Besucher.

«Rettet die Museumsinsel»

Tatsächlich stellten die schlichten Glasboxen, die etwas einfallslos Chipperfields Figge Museum in Davenport zu kopieren schienen, keine angemessene Antwort dar auf das einzigartige architektonische Ensemble der Berliner Museumsinsel. Der renommierte Architekt, der in letzter Zeit Erfolge in Marbach (Literaturmuseum der Moderne) oder Essen (Projekt für den Neubau des Essener Folkwang-Museums) feierte, signalisierte zwar seinen Willen zur Überarbeitung. Doch mit dem Berliner Hang zur Übertreibung trat umgehend die Initiative «Rettet die Museumsinsel» auf den Plan. Prominente Unterstützung fand sie durch den deutschen Unterhaltungs- und Erinnerungsbetrieb von Günter Jauch bis Lea Rosh. Der darauffolgende Architekturstreit hinterliess den Eindruck, dass den selbsternannten Rettern der Baukunst mehr noch als Chipperfields Neubauprojekt dessen Sanierungskonzept für die Ruine des Neuen Museums ein Dorn im Auge war. Dieses hält das Prinzip des Bewahrens hoch und hat nichts am Hut mit jener Retro-Ideologie, die alles wieder so aufgebaut sehen möchte, wie es vor den Zeitläuften der Geschichte da stand. Nun hat allerdings Chipperfield mit dem neuen Entwurf seinen Kritikern erst einmal ein Schnippchen geschlagen - so schön klassizistisch sollen sich dereinst nach seinem Plan die Säulen entlang des Kupfergrabens erheben, so selbstverständlich soll eine Freitreppe hinaufführen in die nach dem Stifter der Nofretete benannte James-Simon-Galerie. Der Architekt hat die betonte Funktionalität des ersten Entwurfes in eine dezidiert zeichenhafte Erschliessung des «Berliner Louvre» übergeführt, wie es der Pariser Namensvetter mit Peis gläserner Pyramide vormacht, wobei in Berlin die einzelnen Museen weiterhin auch separate Eingänge behalten.

Chipperfields Entwurf baut nicht nach und rekonstruiert nicht. Er stellt aber - und das ist neu in der altehrwürdigen Ansammlung berühmter Solitäre - einen Dialog her zwischen den einzelnen Gebäuden. Der Riegel öffnet sich über eine Säulenhalle zum Flussufer hin, lädt die Besucher zum Flanieren und Verweilen ein und unterstreicht den Charakter der Museumsinsel als einer Architekturlandschaft. Aus der Perspektive des Kupfergrabens verdeckt das filigrane Stabwerk einem Vorhang gleich den alltäglichen Museumsbetrieb, der die klassische Ruhe des historischen Kulturerbes stört.

Spree-Athen

Diese Architektur will nichts anderes sein als eine Fortsetzung der sie umgebenden antikisierenden Baukunst mit modernen Mitteln. Ein schöner Kompromiss also, der beflissen die Leitmotive Spree-Athens, Säulen, Sockel, Ufermauern und Tempel-Assoziationen, aufzählt und jede eigenständige Aussage verweigert. Zwar fügt sich Chipperfields Lösung dienend ein in die Hierarchie des Bestehenden. Am Ende verliert sie aber mit einer kaum lesbaren Eingangssituation - unentschlossen zwischen Kollonadenriegel, Estrade und Freitreppe - die eigene Daseinsberechtigung als erschliessendes Element. Immerhin bildet die James-Simon-Galerie ja den Übergang ins Pergamonmuseum, ins Neue Museum sowie zur archäologischen Promenade.

Bei solcher Bescheidenheit kann man sich des Gedankens nicht erwehren, ob es nicht besser gewesen wäre, die ganze unvermeidliche Infrastruktur gleich im Berliner Sand zu versenken. Und mit Wehmut fragt man sich, welchen Weg in die heiligen Hallen Architekten wie Herzog & de Meuron den Museumsbesuchern an diesem weltbewegenden Ort gewiesen hätten? Zwar sind die Details im Innenausbau erst in Ausarbeitung. Aber der vom Denkmalschutz bereits abgesegneten Aussenhülle fehlt es an einer Vision, welche Aufgabe das Museum der Zukunft haben könnte. Insofern schreibt Chipperfields Architektur die Geschichte der Museumsinsel mitnichten fort. Denn Schinkel und Stüler agierten einst kompromisslos zeitgenössisch in ihrem Willen, dem Wesen des Museums eine neue Bedeutung einzuschreiben. Chipperfields Architektur mag ein schöner Kompromiss sein, von der Kraft des Authentischen, die der Genius Loci vorgibt, ist sie nicht beseelt.

8. Dezember 2006 Neue Zürcher Zeitung

Das architektonische Mass aller Dinge

Berlin ehrt Oswald Mathias Ungers mit einer Ausstellung zum 80. Geburtstag

Die Neue Nationalgalerie Berlin inszeniert anlässlich von Oswald Mathias Ungers' 80. Geburtstag den Kosmos des Meisters. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen Architektur und bildender Kunst.

Kaum ein Architekt hat die geometrische Formensprache so konsequent zum baukünstlerischen Prinzip erhoben und gleichzeitig den eigenen architektonischen Massstab aufs Engste mit der bildenden Kunst verknüpft wie Oswald Mathias Ungers («OMU»). So werden Besucher in Berlins Neuer Nationalgalerie derzeit von «Square» (Bruce Nauman), «Basalt Circle» (Richard Long) und «The Voiden Closed by the Squares of the Three, Four and Five» (Carl Andre) empfangen. Die Werke spielen auf jene Überzeugung an, wonach für die Architektur kein Weg an der Kunst vorbeiführt. Ein gelungener Auftakt, mit dem die Ausstellung «Kosmos der Architektur» ins Werk eines der einflussreichsten deutschen Architekten der Gegenwart anlässlich von dessen 80. Geburtstag einführt.

Kunst- und Wunderkammer

Nicht zuletzt beweist diese vom Architekten gemeinsam mit dem Kurator Andres Lepik konzipierte Schau, dass sich der von Ludwig Mies van der Rohe gebaute und von Ungers bewunderte, aber schwierig zu bespielende Glastempel durchaus für Inszenierungen eignet, wenn man es nur behutsam anstellt. Freilich verführt wohl kaum ein Werk zur Besinnung aufs Wesentliche wie dasjenige von Ungers, dem Meister der Klarheit und Strenge. Der Deutsche ergründet mit seiner Architektur bis heute die Idee der Baukunst, die bei ihm unbeirrt von Strömungen und Stilen zu einer Art Quintessenz des Hauses gerinnt.

Ins Zentrum des architektonischen Œuvre stellt die Berliner Schau denn auch das Haus an der Belvederestrasse in Köln (1958/59). Von Ungers als sein eigenes gebaut, hat es sich in den darauffolgende Jahrzehnten zu einer Kunst- und Wunderkammer Ungerschen Schaffens entwickelt. Hier sind normalerweise auch die gesammelten Kunstwerke, die Schriften (etwa von Vitruv, Schinkel oder Le Corbusier) sowie die Modelle zu Hause, die in der Schau neben Fotografien und Aufrissen zu sehen sind. Das Kölner Gebäude, das 1989 um einen Bibliotheksbau, einen «kubischen Idealraum», erweitert wurde, öffnet sich im Innern dank Sichtbezügen (statt einer tradierten Folge von Zimmern) und aussen dank einer reliefartigen Struktur, die zur Räson gebracht ist im dezidierten Umgang mit den Materialien Ziegel und Beton.

Städtebauliche Einbindung oder innere Raumaufteilungen, kurz: Pläne oder Entwurfsarbeit sind in Berlin nicht das Thema. Die Bauten werden wie selbstredende Kunstwerke aufs Podest gehoben, so etwa das Haus Glashütte (1988), das, eingebettet in eine minimalistisch gestaltete Landschaft, mit seiner Fassade kühl und präzise die Elemente setzt nach dem Bautypus des Megarons, eines quadratischen Zentralbaus mit Satteldach. Obwohl der Architekt nach dem zweiten auch noch ein drittes Haus für sich errichtete (Haus Kämpchensweg in Köln, 1994-96), nutzte er das erste weiter bis vor wenigen Jahren als Wohn- und Arbeitsrefugium. Alles erzählt davon, wie hier einem die Architektur zur «Lebensnotwendigkeit» geworden ist, wobei das Denken «immer um Raum, Körper, Proportion, Mass und Zahl» kreist. Es ist eine kühle Besessenheit, welche die Baukunst den alltäglichen Niederungen der Moden, des Alltags, der Stilübungen enthebt. Dafür steht die Hamburger Galerie der Gegenwart (1989) ebenso wie das Kölner Wallraf- Richartz-Museum (1975) oder das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (1979-84).

One-Man-Show

Keine Frage, dass die Sockel mit den Architekturmodellen in Übereinstimmung mit den Bodenplatten von Mies van der Rohes Kunsttempel placiert sind als Ausdruck für Ungers' Bewunderung für «das Sublime, das Erhabene, das sich in der elementaren Einfachheit der Nationalgalerie ausdrückt». Man ahnt es: Ungers' Bauten sind Traktate über die Baukunst, die auf das Übergeordnete verweisen und auf die Ursprünge zurückführen wie die - in der Schau als Gipsmodelle gezeigten - Marksteine der Architekturgeschichte vom Parthenon über das Pantheon bis zum Castel del Monte. Denn kein anderer deutscher Architekt hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Nachdenken über sein Fach so beständig betrieben wie OMU. Aber die Ausstellung arbeitet intuitiv und verzichtet komplett auf Texttafeln. Ein unverzeihliches Versäumnis bei einer so vielschichtigen wie herausfordernden Architektenpersönlichkeit. Ungers' Bedeutung als Vordenker und Lehrer der Architektur kommt zwangsläufig zu kurz.

Über die Kriterien der Reduktion, über Ungers' Theorie und - durchaus umstrittene - Bauphilosophie hätte man gerne etwas mehr erfahren, da sie beseelt ist von jener «Coincidentia oppositorum», die Ungers selbst nach Nikolaus von Kues zitiert. So aber überhöht die Schau gerade jenen ästhetisierenden Formalismus, wie er Ungers in oberflächlicher Betrachtung oft ausschliesslich zugesprochen wird.

Wer sich fragt, wo sich eigentlich die derzeit vieldiskutierte Armut Berlins manifestiert, der kann sie in solchen - in der Neuen Nationalgalerie bereits üblichen - Ausstellungen «von, mit und über» Armani, Koolhaas oder nun eben Ungers studieren. Was nicht heissen soll, dass dabei nicht bewundernswürdige Präsentationen entstehen. Aber die kritische Befragung der Architekten oder Designer und ihrer Werke tritt zurück hinter eine One-Man-Show, die kostengünstig zu haben ist, da sie nicht zuletzt Werbung in eigener Sache betreibt. Auch hier trifft das zu, da die Staatlichen Museen zu Berlin gemeinsam mit Oswald Mathias Ungers auf der Museumsinsel Umbau und Erweiterung des Pergamonmuseums planen.

[ Bis 7. Januar 2007. Katalog: O. M. Ungers. Kosmos der Architektur. Hrsg. Andres Lepik. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2006. 91 Abb., 120 S., Fr. 42.- (Euro 20.- in der Ausstellung). ]

11. Oktober 2006 Neue Zürcher Zeitung

Schönheit der Moderne

Eine Berliner Schau zur Architektur von Eritreas Hauptstadt Asmara

Im Cinema Impero des Architekten Mario Messina aus dem Jahr 1938 bewachen noch heute Löwenköpfe auf Säulen die grosse Leinwand. Der erste Rang schwebt in sanfter Bewegung über dem Saal, und Stuck mit afrikanischen Motiven - Tänzern, Palmen und Antilopen - verbreitet einen Hauch von Art déco. Die Aussenfassade indes nimmt das Ornamentale in funktionalistischer Gliederung und technisch anmutender Materialisierung sogleich wieder zurück. Diese Kinoarchitektur aus den dreissiger Jahren ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie die italienischen Baukünstler im Zuge des faschistischen Kolonialismus den Geist der klassischen Moderne nach Asmara brachten und wie sie dabei lokale Tradition und europäische Avantgarde eigenwillig, aber immer klar definiert verbanden.

Der Architekt Giuseppe Pettazzi entwarf im gleichen Jahr eine futuristisch angehauchte Tankstelle in Asmara, deren 30 Meter lange, frei schwebende Betondächer an Flugzeugflügel erinnern. Und nicht zu vergessen der Palazzo Mutton (1944) von Antonio Vitaliti mit seiner modernistisch skurrilen Verschränkung von Zylinder und Kubus im Stil des Razionalismo. Die Liste liesse sich beliebig fortführen, da Asmara, die Hauptstadt Eritreas, die ganze Schönheit der italienischen Moderne des 20. Jahrhunderts wie im Bilderbuch vereint: neben Rationalismus, Art déco und Futurismus auch die Bewegungen von Novecento, Neoklassizismus und Neobarock.

Unter Denkmalschutz

Das Deutsche Architekturzentrum (DAZ) in Berlin beleuchtet mit «Asmara - Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne» nun den einzigartigen, 2001 unter Denkmalschutz gestellten Stadtkern erstmals in einer Ausstellung. Die Schau geht zurück auf eine deutsch-eritreische kulturpolitische Initiative: Nicht zuletzt wirbt man dafür, dass dieser in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wird. Denn neben Asmara weisen nur noch Tel Aviv, Miami South Beach oder das neuseeländische Napier ähnlich bedeutende bauliche Ensembles der klassischen Moderne auf.

Die Wiederentdeckung der städtebaulichen und architektonischen Qualitäten von Asmara hat vor nicht allzu langer Zeit eingesetzt, nachdem Eritrea zu Beginn der neunziger Jahre seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Am Zentrum von Asmara, das grösstenteils im Rahmen der Stadterweiterung in den dreissiger Jahren entstanden ist, lässt sich nachvollziehen, wie die italienischen Architekten unter teilweisem Rückgriff auf klassisches Formenvokabular ihren Beitrag zum International Style leisteten. Anfänglich fand der Ausbau der Hauptstadt zum Verwaltungs- und Repräsentationszentrum noch im Zeichen des Historismus statt, wie das im Stil der Neugotik gehaltene Gebäude der Bank von Eritrea belegt. Dazu gesellte sich vor allem in den sakralen Bauten eine seit 1900 die Architektur beeinflussende synkretistische Vermischung unterschiedlicher Formensprachen und Stile. Ein spätes Beispiel dafür ist die Moschee Al Khulafa Al Rashiudin (1943) von Giuseppe Arata, die maurische und romanische Formelemente vereinigt.

Städteplanung als Herrschaftsmittel

Zwischen 1935 und 1941 erfuhr Asmara eine explosionsartige Entwicklung und verwandelte sich von der kleinen Provinzstadt zu jener Metropole europäischer Prägung, die Kriegswirren, vier Jahrzehnte äthiopischer Herrschaft und Befreiungskrieg überstand. Der damalige Bauboom war motiviert durch das imperialistische Engagement Mussolinis, der Asmara nach dem Vorbild Roms zu einem «Africa Orientale Italiana» ausbauen wollte. Dabei wies aber nicht der Monumentalismus den planerischen Weg. Massgeblich waren vielmehr die internationalen Ansprüche der 1933 verfassten Charta von Athen, die eine zweckmässige Architektur im Sinne einer funktionellen Stadt und des Neuen Bauens propagierte.

Die Ausstellung blickt nicht nur auf die Baugeschichte der eritreischen Hauptstadt, sondern reflektiert die Ambivalenz der Moderne auf dem afrikanischen Kontinent. Denn Asmaras urbane Blüte steht in engem Zusammenhang mit Italiens kolonialistischer Herrschaftspolitik. Städteplanung diente auch als ein Mittel zur Durchsetzung von Rassegesetzen und sozialer Segregation. In Eritrea wurde deshalb in den letzten Jahren darüber debattiert, ob man Gebäude wie Bruno Sclafanis Casa del Fascio (1940), einst Hauptquartier der faschistischen Partei und Symbol des italienischen Regimes, überhaupt unter Denkmalschutz stellen soll. Mittlerweile hat sich aber das Bewusstsein durchgesetzt, dass diese Architektur einen Teil der Geschichte Eritreas darstellt. So ist heute die Identität des Landes tief verbunden mit dem Erscheinungsbild der Hauptstadt im ostafrikanischen Hochland, in der sich afrikanische und europäische Einflüsse im sogenannten Asmara Style verbinden.


[ Bis 3. Dezember im DAZ, danach im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (6. Februar bis 15. April 2007), in Stuttgart und auf dem Weltkongress der Union Internationale des Architectes in Turin im Juli 2007. - Begleitpublikation: Asmara. The Frozen City (dt., engl., ital.). Hrsg. Jochen Visscher. Jovis-Verlag, Berlin 2006. 96 S., Fr. 28.- (Euro 16.- in der Ausstellung). - Ausserdem: Asmara. Africa's Secret Modernist City. Merrell Publishers, London, 2003. 240 S., £ 24.95 (Euro 37.- in der Ausstellung). ]

25. August 2006 Neue Zürcher Zeitung

Kistendenken

Schweizer Architektur in Berlin

Den Abschied von der Kiste in der Schweizer Architektur feiert eine Berliner Ausstellung unter dem Titel «Swiss Shapes» in der Galerie Aedes am Pfefferberg. Nach der Grundthese der Ausstellungsmacher hat die «Swiss Box» die Schweizer Architektur in eine baukünstlerische Sackgasse geführt, aus der sie nun dank einer Tendenz zu mehreckigen Grundrissen wieder herausfindet. Wenngleich die Neue Einfachheit der Architektur Ende der achtziger Jahre in der Schweiz einen ausgesprochen radikalen Weg ging, so war sie doch kein eidgenössischer Sonderfall. Die Schau lässt zudem sowohl die regionalen Unterschiede ausser acht, die den Schweizer Minimalismus der neunziger Jahre von Graubünden bis Basel auszeichnet, wie auch den Beweggrund der minimalistischen Tradition, die eine Antwort auf gestalterische Beliebigkeit suchte.

Der Minimalismus als Defizit dient folglich als Folie, um einer ominösen Entwicklung «von der Oberfläche hin zum Raum» nachzuspüren - weg vom ästhetischen Mittel der Reduktion hin zum neuen schiefwinkligen architektonischen Paradigma («Swiss Shapes»). Als Beispiele dienen etwa das interkantonale Gymnasium Payerne des Freiburger Teams Mattias Boegli und Adrian Kramp oder ausgerechnet der nicht wenig problematische Entwurf des Basler Büros Christ und Gantenbein fürs Zürcher Landesmuseum. Der verengte Blick bestimmt übrigens auch die Auswahl der Präsentation: Die Romands und die Tessiner werden hier kurzerhand übergangen. Massgebliche Handschriften der jüngeren Schweizer Gegenwartsarchitektur wie Buzzi & Buzzi aus Locarno und Giraudi Wettstein aus Lugano bleiben unberücksichtigt. Damit verpasst man in Berlin die Gelegenheit, die vorgestellten Projekte zumindest im Schweizer Kontext zu diskutieren.

Eine zweite Ausstellung bei Aedes widmet sich unter dem Titel «Zurich happens» dem städtebaulichen Wandel der Limmatstadt in den Industriegebieten. Die entsprechenden Umnutzungsprojekte in Zürich Nord und Zürich West werden vorgestellt unter Gesichtspunkten der Stadtentwicklung, des Entwurfs, der Planung und Umsetzung: ein informativer Ausblick auf eine umfangreiche Analyse und Dokumentation zum Thema, die 2007 abgeschlossen sein soll.

[ Beide Ausstellungen bis 24. September. Katalog: Swiss Shapes / Zurich Happens. Hsrg. Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerell. Galerie Aedes, Berlin 2006, Euro 10.-. ISBN 3-937093-70-2. ]

26. Mai 2006 Neue Zürcher Zeitung

Bahnhof mit Aussicht

Das neue Eisenbahnkreuz verbindet Berlin mit der Welt und sucht den Anschluss an die Stadt

Bahnreisende werden in Zukunft am befremdlichsten Ort ankommen, den Berlin zu bieten hat. Der neue Hauptbahnhof liegt im Herzen der Stadt und gleichwohl im Niemandsland: Rund um den riesigen Kreuzungsbahnhof sieht es derzeit aus, als sei die Mauer erst gefallen.

Humboldthafen und Brachland machen die gläserne Space-Age-Röhre mit den aufgebockten Bürohäusern des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner zum High-Tech- Raumschiff inmitten einer innerstädtischen Mondlandschaft. Selbst im Spreebogenpark am anderen Ufer, jener ernüchternden Art leer gefegter Landschaftsarchitektur, sieht man kaum Menschen. Was ursprünglich ein Ort für Bürger mitten im Regierungsviertel sein sollte, lässt Jogger, Radfahrer und selbst Hunde zügig vorbeiziehen. Die Hauptstädter haben der unwirtlichen Gegend mit dem «Bundespressestrand», einem Open-Air-Restaurant mit aufgeschüttetem Sandboden und Strandkörben eine kleine Insel abgetrotzt. Dank der Weite, die sich nach Westen hin öffnet, gibt es hier an Sommerabenden den längsten Berliner Sonnenuntergang zu bewundern.

Nachzügler der Hauptstadtwerdung

Die Flusslandschaft inmitten der Metropole mit Kanzleramt, Schweizer Botschaft und dem Haus der Bundespressekonferenz ist Durchgangszone geblieben. Ein einsamer Ort, wären da nicht die Spreedampfer, welche die Touristen im Minutentakt zwischen den Betonkolossen von Bundestagsbibliothek und Abgeordnetenhäusern durchs Regierungsviertel transportieren. Wer in Zukunft mit der Bahn nach Berlin reist, steht nun plötzlich da: mitten im Nichts. Keine andere Stadt habe einen Bahnhof mit einer solchen Ruhezone rundherum, gibt die freundliche Kommunikationsbeauftragte der Deutschen Bahn AG zu bedenken. Aber die Menschen, die aus der Ferne mit dem Zug hier ankommen, wollen nur möglichst schnell nach Hause oder ins Hotel.

Der Berliner Hauptbahnhof, den die deutsche Bundeskanzlerin heute Freitag feierlich eröffnet, ist nicht nur aufgrund seiner Symbolik ein Nachzügler der Hauptstadtwerdung: ein Bahnhof nicht im Westen oder im Osten, sondern in der sogenannten neuen Mitte der Stadt geplant. Wo das «Band des Bundes» die deutsch-deutsche Wiedervereinigung symbolisiert, versinnbildlicht die Gestalt des Bahnhofs, dessen Ausläufer sich in alle vier Himmelsrichtungen strecken, noch einmal die Öffnung der Stadt nach vierzig Jahren im Abseits. Hier kreuzen sich die neue, unterirdische Nord-Süd-Fernverbindung und die bogenförmig geführte oberirdische West-Ost-Bahn. Der am historischen Standort des einstigen Lehrter Bahnhofes errichtete Gebäudekomplex bildet in der Vogelperspektive ein leicht geschwungenes, doppelgleisiges Eisenbahnkreuz. Über die oberirdische Bahnsteighalle, die sich als gläserne Röhre von Westen nach Osten ins Stadtbild schmiegt, schlagen zwei von Norden nach Süden ausgerichtete, schlanke Büroriegel eine Brücke und flankieren die zentrale Bahnhofshalle.

Eine solche Verpflichtung aufs Symbol hat ihren Preis. Wie beim Band des Bundes tritt auch hier die baukünstlerische Vision zurück hinter die Bild gewordene Idee: Ein Highlight zeitgenössischer Architektur ist der Berliner Kreuzungsbahnhof aus Stahl und Glas nicht geworden, zumindest nicht von aussen betrachtet. In seinem Inneren aber nimmt der transparente Gebäudekomplex durch eine klare, funktionelle Gliederung für sich ein, weil er dem Reisenden eine schnelle Orientierung ermöglicht.

Ingenieurtechnisches Meisterwerk

Das schwebende Auf und Ab von 54 Rolltreppen und 6 Aufzügen über 5 Ebenen erlaubt schwindelerregende Blicke in die Tiefe. Das durch dieses Leitsystem zu den unterirdischen Bahnsteigen dringende Tageslicht signalisiert den hier Ankommenden den Weg zu den Ausgängen. Die filigran anmutende Glasdach-Konstruktion der Bahnhofshalle und die mit Seilen übers Kreuz ausgespannte Gleisüberdachung stellen ingenieurtechnische Meisterleistungen dar und geben dem Ganzen eine luftige, technoide Anmutung. Dass der Bahnhofsbau mit seiner Gliederung von Haupthalle, Büroriegeln und Gleisröhre dennoch einen eher biederen Gesamteindruck hinterlässt, verdankt sich allerdings auch der Deutschen Bahn, die sich als Bauherrin wie als Planerin eines neuen Schienenverkehrskonzeptes zuweilen ignorant gebärdete. Erst kürzte Bahnchef Hartmut Mehdorn die ursprünglich über 400 Meter lange gläserne Bahnsteighalle um mehr als ein Drittel, dann plante er die kathedralenartigen, indirekt beleuchteten Gewölbe in den Untergeschossen in Flachdecken mit Neonröhren um. Mit der Kürzung des gläsernen Wurms blieb die ursprünglich futuristisch anmutende Gestalt des Bahnhofs auf der Strecke, die Proportionen zwischen der filigranen Bahnsteighalle und den kantigen Büroriegeln sind empfindlich gestört. Ein Entscheid des Berliner Landesgerichts in dem Urheberrechtsprozess zwischen dem Architekten und dem Bahnunternehmen ist noch hängig. - Wer am Hauptbahnhof Berlin den Zug verlässt, der hat die Wahl zwischen dem Ausgang in Richtung Süden über den neuen Washingtonplatz und jenem in Richtung Norden über den ebenso jungfräulichen Europaplatz. Berlin gibt sich mit der Welt verbunden und hat wieder einmal das Naheliegende vergessen: Ein Zentralbahnhof sollte eng ins Verkehrssystem der Stadt greifen. Davon kann derzeit allerdings noch nicht die Rede sein. Die eigentliche Bedeutung dieses neuen architektonischen Elementes im Stadtzentrum liegt in seiner städtebaulichen Funktion, da die gläserne Nord-Süd-Spange die riegelartige Wirkung des Regierungsviertels etwas abschwächt, das den Spreebogen brachial teilt. Der Bahnhof wird die innerstädtische Brache um ihn herum etwas weiter zusammenwachsen lassen.

Tatsächlich liegt aber der Masterplan, der eine Bebauung des Lehrter Stadtteils vorsieht, seit langem in den Schubladen. Der grosse Leerstand von Gebäuden im Berliner Zentrum macht seine Realisierung ungewiss. Hier zeigt sich einmal mehr, wie schwierig es nach der Wende war, Prognosen zu machen im Hinblick auf die Entwicklung des wiedervereinigten Berlin. Der Hauptbahnhof wurde in einer Zeit geplant, als man mit einem Zuwachs der Berliner Bevölkerung auf sechs Millionen Menschen rechnete. Heute lebt gerade einmal die Hälfte an der Spree. Die Abtrennung des Bahnhofs Zoo vom Fernverkehr dürfte nicht zuletzt in der Angst der Deutschen Bahn begründet sein, dass die Geschäfte am neuen Standort zu wenig Kunden finden könnten.

Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof

Wer mit der Fernbahn oder der S-Bahn über die Ost-West-Strecke ins Berliner Zentrum einschwebt, dem bietet sich im gläsernen Tunnel des neuen Berliner Hauptbahnhofes ein einzigartiges Panorama. Am anderen Ufer der Spree bauen sich Reichstagskuppel, Kanzleramt und Abgeordnetenhäuser zu einer atemberaubenden Kulisse auf. Aus der Distanz des leicht erhöhten Bahntrassees erscheint die ausgreifende Hauptstadt- Ikonographie, die die Menschen sonst klein macht, diskret in den Tiergarten gebettet. Wer im Untergrund ankommt, wo die Nord-Süd-Strecke verläuft, muss sich erst in einem der zylinderförmigen Lifte in die grosse Bahnhofshalle hinauf fahren lassen wie in einer gläsernen Rohrpost. Dann liegt auch ihm gen Süden die stadträumliche Skulptur des Regierungsviertels zu Füssen. Welche Metropole hat den Ankommenden eine solche Aussicht zu bieten? Den Berlinern wird dieser Anblick in Zukunft das Ende des Heimwehs ankünden, Berlinbesuchern bei der Abreise das Fernweh ins Herz pflanzen.

Die Berliner werden in den Eröffnungstagen geduldig Schlange stehen, um ihren Bahnhof erstmals zu begehen, wie sie es in den vergangenen Jahren bei allen neuen Gebäuden taten. Am Ende wird es ihnen gefallen, auch wenn keiner versteht, warum der Bahnhof Zoo, an dem nun keine Fernzüge mehr halten sollen, aufs Abstellgleis gestellt wird. Zudem hätten die Hauptstädter lieber den Namen des historischen Standortes Lehrter Bahnhof behalten. So künden einem nun zwar die Tafeln auf den Gleisen der Fernbahn die Station «Berlin Hauptbahnhof» an. Aber ein paar Etagen weiter oben wechselt man im gleichen Gebäude am «Lehrter Bahnhof» in die S-Bahn. Sie verstehen nur Bahnhof? Willkommen in Berlin!

28. Januar 2006 Neue Zürcher Zeitung

Die schlichte Lösung

Entwurf der Architektin Ursula Wilms für Topographie des Terrors in Berlin

Die Berliner Dépendance des Stuttgarter Architektenbüros Heinle, Wischer und Partner hat, wie bereits kurz gemeldet, mit dem Entwurf der verantwortlichen Architektin Ursula Wilms den ersten Preis im Wettbewerb um den Neubau des Berliner Dokumentationszentrums Topographie des Terrors für sich entschieden. Die Jury begründete ihr Votum damit, dass der Baukörper des siegreichen Projektes die Grundrissform des benachbarten Martin-Gropius-Baus aufnehme und «trotz einiger Mängel im Detail» einen angemessenen Beitrag darstelle.

Noch ist der Entwurf nur in rudimentären Skizzen einsehbar. Eine endgültige Beurteilung wird im März möglich sein, wenn in einer Ausstellung im Berliner Gropius-Bau die Wettbewerbsentwürfe präsentiert werden. Bereits jetzt lässt sich aber sagen, dass es sich bei der pavillonartigen Architektur um eine auf Funktionalität angelegte Lösung handelt. Die betont zurückhaltende Gestalt erscheint eher wie die solide Reaktion auf ein jahrelanges Berliner Baudebakel, als dass sie jenes architektonische Zeichen im Namen der Erinnerung setzen dürfte, das in der deutschen Hauptstadt neben Libeskinds Jüdischem Museum und Eisenmans Holocaust-Mahnmal nach der Wende geplant war.

Die jahrelangen Querelen um die Architektur des Schweizers Peter Zumthor hatten von der eigentlichen historischen Bedeutung des Ortes abgelenkt. So ist es mittlerweile schon als Erfolg zu werten, wenn auf dem Gelände, auf dem sich während des Nationalsozialismus zentrale Einrichtungen von SS und Gestapo befanden, nun überhaupt noch ein gemeinsam von Bund und Berlin getragenes Dokumentationszentrum entsteht. Der erste Spatenstich für den auf 20 Millionen Euro geschätzten Bau (15 Millionen hatte bereits Zumthors Projekt verschlungen) soll 2007, die Eröffnung 2009 erfolgen. Wo Zumthors Entwurf 1993 als Vorzeige-Architektur des «neuen Berlin» gefeiert worden war, ist die Stimmung nun verhaltener: Das Projekt mit seiner schlichten Kubatur und seiner vorgehängten Metallgeflecht-Fassade strebt laut Konzept weder «Eigendarstellung» noch «Interpretationsversuch des geschichtlichen Ortes» an.

Aufregende Baukunst hat die deutsche «Architekturhauptstadt» in dem später einmal eine Etage aus dem Boden ragenden Gebäude sicherlich nicht gewonnen, wenngleich nach der Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses alle Beteiligten Sonntagsstimmung zu verbreiten bemüht waren. Der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, lobte den «schönen Entwurf», der Kulturstaatsminister Neumann begrüsste die Entscheidung an und für sich, und Berlins Kultursenator Flierl dankte öffentlich der Jury, die - man höre und staune - «anders als beim letzten Wettbewerb» bei der Auswahl grössten Wert darauf gelegt habe, «dass die Nutzeranforderungen erfüllt werden». Jetzt kann es nur noch schiefgehen.

24. September 2005 Neue Zürcher Zeitung

Die Bücherwelle

Norman Fosters Bibliothek für die Freie Universität Berlin

Wie eine wohlgenährte Zecke hält sich Norman Fosters neue philologische Bibliothek am Hauptgebäude der Freien Universität (FU) im Berliner Südwesten fest. «The Berlin Brain» haben die Bauverantwortlichen ihre neue Bibliothek für die Geisteswissenschaften getauft, von der man sich auch einen Imagewechsel erwartet: Fosters asymmetrisches Schuppentier aus Glas und Aluminium soll am Berliner Wissenschaftsstandort ein Zeichen setzen. Denn die im Jahr 1948 mit Hilfe der Amerikaner gegründete Bildungsstätte ist etwas ins Abseits geraten, seit mit dem Mauerfall die traditionsreiche Humboldt-Universität wieder ins Zentrum der Stadt rückte. Kommt hinzu, dass die FU-Institute in Dahlem in unzähligen Gebäuden etwas anonym über das schönste Berliner Villenviertel verstreut sind.

Der Überraschungseffekt

Norman Foster hat der Stadt mit der gläsernen begehbaren Reichtagskuppel schon einmal ein effektvolles Symbol beschert, und an diesen Erfolg soll der Neubau offensichtlich anknüpfen. Auch die Bibliothek lebt weniger von einem dezidierten baukünstlerischen Statement als vom Überraschungseffekt, den seine organische Blob- Architektur inmitten eines Stadtteils mit bürgerlichen Wohnhäusern darstellt. Bedauerlicherweise wurde sie aus finanziellen Gründen nicht als Solitär auf dem Areal des weitläufigen Campus placiert, sondern in einen eigens geschaffenen Innenhof des bestehenden Hauptgebäudes gestellt. Dieses ist, auf Le Corbusiers Modulor-System zurückgehend, zwar durchaus auf Flexibilität, auf Rück- und Weiterbau angelegt. Aber der aufgeblähte Bücherwurm blinzelt dadurch zur Strasse hin nur ein wenig über den Rand des Althergebrachten hinaus und wirkt beengt. Ein Bau mit Signifikanz ist es trotzdem geworden: Die futuristisch anmutende, auf optische Eigenständigkeit bedachte Bibliothek nimmt die Siebziger-Jahre- Patina des Campus samt seiner Idee einer offenen, demokratischen Architektur wie selbstverständlich mit ins 21. Jahrhundert.

Das als «Rostlaube» in die Architekturgeschichte eingegangene Hauptgebäude eignet sich heute nicht mehr als Vorzeigeobjekt, obschon die Architekten Georges Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods bei dessen Eröffnung 1973 einen strukturalistischen Wurf landeten. Statt in Schönheit zu verwittern, rostete die Stahlfassade durch. Mit dem Auftrag für den Bibliotheksneubau ging deshalb jener für die Sanierung des Überlieferten einher. Foster hat den etwas unübersichtlichen Universitätsbau sanft in seine heitere, leichte Funktionalität zurückgeführt.

Die neue Bibliothek, die elf Institutsbüchereien vereint, besteht aus einem kompakten fünfgeschossigen Kernbau. Er empfängt im Foyer mit zwei geschwungenen, von luftigen Galerien umspielten Flügeln, die man über eine offene Treppe vom Zentrum her erreicht. Über das Ganze spannt sich ein frei schwebendes Dach. Die wabenartige Stahl-Glas-Aluminium-Konstruktion sieht man im Inneren wie durch den Weichzeichner, da sich eine zweite Haut aus Glasfaser über den Kernbau wölbt. Die Bibliothek wird durch zwei tunnelartige Übergänge von der Rostlaube her erschlossen. Ihr etwas angestrengt knallig-gelber Anstrich verleiht dem Foyer Plastizität und bietet eine Orientierungshilfe, wirkt im Aussenbereich in Verbindung mit der herben Architektur der Rostlaube dagegen wie eine Baustellen-Markierung. Abgesehen von diesem ästhetischen Ausrutscher hat Foster eine in kühlem Grau und Weiss gehaltene, benutzerfreundliche Bücherhalle geschaffen, die das hier gesammelte Wissen in respektvoller Distanz präsentiert.

Sonne und Schatten

An den über 600 Leseplätzen entlang der wellenartigen Galerien arbeitet man ungestört vom Gestöber zwischen den Bücherregalen. Wer sich hier vergräbt, dem wird die Aussenwelt allerdings sehr fern. Denn nur das natürliche Spiel von Sonne und Schatten dringt durch das weisse Dach ins Innere. Fragt sich, ob Benutzer diese erzwungene Atmosphäre der Abgeschiedenheit auf Dauer als angenehm empfinden. Die Universitätsverantwortlichen haben die Isolationsfalle offenbar schon erkannt und setzen in ihrer Broschüre zum Neubau auf den «Flirtfaktor», den die an Sichtbezügen reiche Architektur biete.

24. August 2005 Neue Zürcher Zeitung

Die weiblichen Baumeister

Kerstin Dörhöfer über «Pionierinnen der Architektur»

Emilie Winkelmann, die erste deutsche Architektin, erschwindelte sich die Legitimation zur Teilnahme an den Lehrgängen der Technischen Hochschule Hannover mit einem Trick und unterschrieb ihr Gesuch mit «E. Winkelmann». So nahm die damals 27-Jährige, die zuvor bereits im familiären Zimmereibetrieb ausgebildet worden war, ab 1902 als erste Frau in Deutschland an Kursen für Baukunst teil. Der fleissigen Studentin, die sich den Lebensunterhalt nebenher in einem Zeichnungsbüro verdiente, wurde am Tag des Staatsexamens allerdings eröffnet, dass es ihr als Frau nicht gestattet sei, die Abschlussprüfungen zu absolvieren. Das war ein Jahr bevor Preussen den offiziellen Architekturabschluss auch für Frauen einführte. «E. Winkelmann» indes war eine willensstarke Person und gründete ohne Diplom ihr eigenes Büro in Berlin. Sie erfreute sich bald zahlreicher Aufträge von gut situierten Bauherren in Berlin und Brandenburg und beschäftigte bis zu vierzehn Angestellte.

Individuelle Lösungen

Die Wohnhäuser der Architektin erinnern in ihrer individualisierten, den Bedürfnissen der Bewohner angepassten Raumanordnung, mit ihren tief heruntergezogenen Dächern, Erkern, Wintergärten und Treppentürmen an die Landhäuser von Hermann Muthesius. Wie die meisten ihrer Kolleginnen ging aber Emilie Winkelmann nicht in die architekturhistorischen Darstellungen ein. Kerstin Dörhöfer, Architektin und Professorin an der Berliner Universität der Künste, will deshalb mit ihrer Publikation «Pionierinnen der Architektur» jenen «alten Damen der Architektur ein Denkmal» setzen, die von der Geschichtsschreibung übergangen, ignoriert oder vergessen wurden. Nur wenige prominente Architektinnen finden bis heute Erwähnung in historischen Abrissen wie etwa Eileen Gray, Lilly Reich oder Margarete Schütte-Lihotzky. Derzeit gibt es aber Bestrebungen, dieses Manko in der Architekturgeschichte aufzuholen; Forschungsergebnisse wie Dörhöfers Publikation oder die im Frühjahr von Ute Maasberg und Regine Prinz an der TU Braunschweig veröffentlichte Studie (NZZ 14. 3. 05) sind nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, weil heute zwar etwa gleich viele Frauen wie Männer Architektur studieren, ihnen in der Ausbildung aber immer noch kaum weibliche Vorbilder vermittelt werden.

Dörhöfer geht es nicht darum, einen weiblichen Architekturstil aufzuspüren, sondern darum, die drei Generationen der frühen Vertreterinnen ihres Fachs vorzustellen, ihre Leistungen von der Jahrhundertwende bis in die fünfziger Jahre nachzuzeichnen und anhand von ausführlich beschriebenen Werkbeispielen bekannt zu machen. Ihre Darstellung macht deutlich, dass es den Pionierinnen wie Elisabeth von Knobelsdorff, Paul Maria Canthal, Stefanie Zwirn, Lieselotte von Bonin, Marlene Poelzig oder Marie Frommer nicht darum ging, «weibliche» Formen in der Baukunst zu finden. Sie wechselten von der traditionellen Frauenrolle des 19. Jahrhunderts in ein männliches Berufsbild, um erst einmal zu bauen, und nicht, um anders zu bauen, so Dörhöfer. Die Architektinnen arbeiteten mit zeitgemässen Materialien, Konstruktionen und Techniken; ihre Entwürfe waren traditionell oder modern - wie jene der männlichen Architekten auch.

Trotzdem erkennt die Autorin eine gemeinsame entwerferische Haltung, insofern den frühen Architektinnen Funktionalität oberstes Gebot war. Sie suchten weniger nach einer spezifischen Formensprache, um sich selbst ein künstlerisches Denkmal zu setzen, sondern bemühten sich vielmehr, den sozialen und räumlichen Bedingungen und der Bauherrschaft entsprechend zu bauen. Dabei folgten sie weniger homogenen Ordnungen, Regelwerken oder Prinzipien etwa des Bauhauses oder Le Corbusiers, sondern suchten nach individuellen, der Situation angepassten Lösungen. Ein anschauliches Beispiel dafür geben etwa Marie Frommers sehr unterschiedliche Entwürfe und Umbauten von Berliner Geschäftshäusern bis zu ihrer Emigration im Jahr 1936.

Dörhöfer konzentriert sich in ihrer Untersuchung hauptsächlich auf den Raum Berlin als Wirkungsbereich, da die Stadt in den zwanziger Jahren ein Ort des Aufbruchs sowohl in der Architektur der Moderne als auch in der Frauenbewegung war. Berlin bildete zudem einen Brennpunkt der Reformbestrebungen im Wohnungs- und Städtebau - ein Bereich, der den Interessen und Neigungen der ersten Baukünstlerinnen entgegenkam, wie Dörhöfer etwa am Beispiel von Ella Briggs belegt, die sich mit ihren sozialen Siedlungsbauten sowohl in Wien als auch in Berlin einen Namen machte.

Auf der einen Seite wirkte noch die vom Rollenbild des 19. Jahrhunderts geprägte weibliche Sozialisation, die den Frauen Tugenden wie «Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, die Präzision und Liebe zum Detail» vermittelte. Auf der anderen Seite war es das Anliegen der Frauenbewegung, das weibliche Geschlecht von sozialen und räumlichen Einengungen zu befreien. Hinzu kamen mit dem Ende der Goldenen Zwanziger schliesslich die Zwänge der Weltwirtschaftskrise, die eine Rationalisierung des Wohnungsbaus und eine rationelle Haushaltführung nötig machten. Diese Rahmenbedingungen spiegeln sich in den Entwürfen der Architektinnen: Paul Maria Canthals (gemeinsam mit Dirk Gascard-Deipold) erarbeitetes Projekt für ein «billiges und zeitgemässes Eigenhaus» stellt in dieser Hinsicht ein bestechend klares, formal interessantes Ergebnis dar; die «Wohnlaube eines geistigen Arbeiters» und die «Laube für den Vogelfreund» von Stefanie Zwirn wirken mit ihren Nutzungsvarianten auf kleinstem Raum wie die Vorläufer zeitgenössischer Single-Wohnungen oder jüngster mobiler Wohnlösungen.

Sozialgeschichte

Kerstin Dörhöfer würdigt mit ihrer Untersuchung nicht nur die Pionierinnen der Architektur. Sie wirft auch einen aufschlussreichen und pointierten Blick auf die Rezeptionsgeschichte. Die buchstabiert von der Frage nach der weiblichen Eignung zur Profession bis zu jener nach der Auswirkung einer solchen Ausübung auf die «Geschlechtsidentität» der Frau alle Vorurteile durch, mit denen sich das gesellschaftliche Bild der Geschlechter auch am architektonischen Reissbrett festmachen lässt. Oder, wie es Grete Zimmermann, Schülerin und zeitweilige Mitarbeiterin von Hans Poelzig, sich als Merkspruch an die Wand pinnte: «Darum ist auch die Baukunst eine durchaus männliche Sache, der weibliche Baumeister eine fast nur Mitleid erweckende Vorstellung.» Das vorliegende Buch ist auch eine mit einigem Vergnügen zu lesende Sozialgeschichte.

[ Kerstin Dörhöfer: Pionierinnen in der Architektur. Eine Baugeschichte der Moderne. Ernst-Wasmuth-Verlag, Tübingen 2005. Zahlr. Abb., 223. S., Fr. 52.10. ]

21. Mai 2005 Neue Zürcher Zeitung

Die Akademie im Glashaus

Eröffnung von Günter Behnischs Neubau in Berlin

Mit den höchsten staatlichen Weihen wird heute Samstag in Berlin der Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz feierlich eingeweiht. Das repräsentative Haus am prominenten Ort nimmt die Institution in die Pflicht: In der Öffentlichkeit wird von der Bundeseinrichtung mehr gesellschaftliches Engagement gefordert.

Das jüngste Haus am Pariser Platz mutet an wie ein Nachzügler: ein verspäteter Bote aus jener Werkstatt der Einheit, in der man über der Frage des architektonischen Umgangs mit der Geschichte der Hauptstadt in einen heillosen Fassadenstreit geriet. Auch den Entwurf der Architekten Günter Behnisch, Manfred Sabatke und Werner Durth für die Akademie legten die Berliner Zuständigen erst in den Giftschrank, was - neben den üblichen Berliner Bauskandalen - zu erheblichen Verzögerungen führte. Sieht man einmal von der zukünftigen amerikanischen Botschaft ab, so schliesst die Akademie als letztes Haus das Karree, das den geschichtsträchtigen Platz beim Brandenburger Tor umgibt. Von ihrer Architektur konnte man insofern Besonderes erwarten, als die Institution, für die sie steht, eine Abteilung für Baukunst führt.

Das Ergebnis zum Pariser Platz hin wirkt nun allerdings nicht überzeugend, da das gläserne Gebäude in seinem verschatteten Winkel tagsüber eher gesichtslos anmutet. Man kann es nur begrüssen, dass sich die Akademie vom Neo-Stil der kritischen Rekonstruktion ihrer Nachbarn distanziert. Aber einen expliziten Antipoden zur geschlossenen Gesellschaft aus Stein rundherum stellt sie nicht dar. Statt auf eine dezidierte Stellungnahme setzt man auf der Vorderseite auf ein verschroben anmutendes Zitat in Gestalt einer Gitterstruktur, die an die Proportionen des einstigen Altbaus erinnern soll. Die ewige Berliner Dichotomie von Glas contra Stein wirkt heute noch anachronistischer und provinzieller als schon zur Zeit des Architekturstreits: Eine Vision von zeitgemässem Städtebau gibt der Pariser Platz nicht ab.

Kulturdampfer

Man würde dem Neubau allerdings nicht gerecht, wenn man in ihm nur eine Reaktion auf den berühmten Berliner Streit erkennt. Seine Transparenz hat einen tieferen Sinn, da sich die neue Fassade, tritt man näher, zurücknimmt zugunsten des ans Foyer anschliessenden architektonischen Relikts aus der Zeit nach 1900. Neben dem Brandenburger Tor sind die Ausstellungshallen Ernst von Ihnes das einzige Zeugnis der über dreihundertjährigen Geschichte des Platzes. Behnisch schlägt mit der Aussenfassade aus Glas und Stahl eine Brücke zu diesen Ausstellungsräumen mit ihren grossflächigen Oberlichtern. Die alten Schausäle gehören zum Schönsten, was Berlin in dieser Art zu bieten hat, und die Architekten taten gut daran, eine Anbiederung an das Überlieferte durch Nachahmung zu meiden. So respektiert die neue Architektur nun die alte, indem sie sich in gebotener Distanz schützend um sie legt.

Besucher lassen im leicht ansteigenden Foyer das Niveau der Strasse sogleich hinter sich auf dem Weg in höhere Gefilde. Hier öffnet sich die Akademie als Lichthof hoch hinaus mit Stegen, Treppen, Podesten und verschobenen Ebenen. Dem Akademiepräsidenten werden die luftig gelegenen Standorte, die sich für die traditionelle Treppenrede anbieten, in Zukunft Schwindelfreiheit abfordern. Es ist nicht zu übersehen, dass dieser Kulturdampfer in Scharouns Bücherschiff der Staatsbibliothek im Westen der Stadt einen Vorläufer besitzt. Ein unmissverständliches Statement hat sich Behnisch als Baumeister der Bonner Republik also doch noch geleistet in Berlin, wo die Baupolitik die Moderne gern zu ihrem Feindbild erklärt. Im Eingangsbereich teilen sich die Wege zum Verwaltungstrakt, zu den historischen Räumen und hin zu einem Wandelgang, der sich als öffentlicher Weg durch das ganze Gebäude hindurchzieht und den Pariser Platz mit dem Holocaust-Mahnmal an der Behrensstrasse verbindet. Eine freundliche Geste der Durchlässigkeit im Stadtzentrum, das aufgrund der Sicherheitsbestimmungen mancher Botschaften mittlerweile Sperrgebiet ist.

In ihrem Inneren zeigt sich die Akademie als Haus der Begegnung, das nachts einladend in den Stadtraum leuchtet: eine Raumlandschaft, die immer neue Perspektiven freigibt, wenn man sie erkundet. Die Materialien sind dezent gewählt mit Terrazzoböden, Eichenparkett und Treppengeländern aus Metall und Ahornläufen. Vielschichtig wird die wechselvolle Geschichte des Ortes lesbar, der im Dritten Reich von Speers Generalbauinspektion und später von den DDR- Grenztruppen genutzt wurde. Farbliche Referenzen an das Brandenburger Tor im Plenarsaal und im Klubraum öffnen das Haus optisch zum Pariser Platz. Berlin ist nicht arm an Aussichtspunkten. Aber von hier aus hat man den atemraubendsten Blick: Auge in Auge mit der Quadriga, sieht man zum Kanzleramt im Spreebogen und zur Reichstagskuppel hinüber.

Herbstlaub im Mai

Die Akademie der Künste wird aus Platzgründen auch weiterhin ihren idyllischen Westberliner Sitz im Hansaviertel behalten. Behnisch hat mit seiner Architektur die Aufgabe des zukünftig ersten Standortes am Pariser Platz vorgezeichnet. Die Architektur nimmt die Einrichtung in die Pflicht: als symbolträchtiges Haus zwischen deutscher Vergangenheit und Zukunft, die Insignien der Berliner Republik im Blick. Die Rückkehr der Akademie ins Zentrum Berlins markiert das Ende einer Zeit der politischen Wirren, der baulichen Zerstörung und institutionellen Zerrissenheit, die Nationalsozialismus, Krieg, deutsche Teilung und selbst der Mauerfall über die Künstlervereinigung brachten. Wenn das Haus heute Samstag in Anwesenheit von Bundeskanzler und Bundespräsident eröffnet wird, täuscht das nicht darüber hinweg, dass es um die Einrichtung mehr als still geworden ist, nachdem man sich in den neunziger Jahren wegen Ost-West-Grabenkämpfen vorwiegend mit sich selbst beschäftigt hatte.

Nicht nur die Übernahme der ehemals «Königlich-Preussischen Akademie der Künste» durch den Bund im vergangenen Jahr hat die Frage aufgeworfen, welche Aufgabe der über dreihundertjährigen Gesellschaft heute zukommt. Von nationaler Strahlkraft kann keine Rede sein. Selbst bei den naheliegendsten Diskussionen wie jener um die Misere der Berliner Gedenkstätte «Topographie des Terrors» hat man sich gedrückt, Stellung zu beziehen. Die Akademie muss sich eine neue Identität geben. Der derzeitige Präsident, Adolf Muschg, der mittlerweile am Pariser Platz residiert, weiss um die grossen Erwartungen, die am prominenten Standort auf der Einrichtung ruhen.

Wenige Tage vor der Eröffnung hat Muschg öffentlich erklärt, dass die Akademie wieder eine vernehmbare Stimme in aktuellen Fragen werden muss. Allerdings weiss auch er, wie schwierig es ist, diesen Impuls zu geben. Es sei eben nicht mehr wie in den sechziger oder siebziger Jahren, als sich künstlerisches Schaffen per se als politische Einmischung verstand, so Muschg. Kommt hinzu, dass sich an der Spree seit den neunziger Jahren eine Reihe von Stiftungen aus Politik und Wirtschaft längst als Foren für Gesellschaftsfragen etabliert haben, und auch an kulturellen Anziehungspunkten ist die Stadt bekanntlich nicht arm. Die Zeiten, in denen die Akademie im lauschigen Tiergartenviertel unter sich das Weinglas erhob, sind vorbei. Soll das Herbstlaub, das man sich aufs neue Glasdach gemalt hat, nicht zum Sinnbild eigener Befindlichkeit werden, muss sich die Akademie bewegen. Das Haus dazu hat sie.

[ Publikation zum Haus: Werner Durth und Günther Behnisch: Berlin - Pariser Platz. Neubau der Akademie der Künste. Jovis-Verlag, Berlin 2005. 200 Abb., 264 S., Fr. 83.20. ]

verknüpfte Publikationen
- Pariser Platz

1. April 2005 Neue Zürcher Zeitung

Das verbindende Element

Eine Berliner Schau über neue Architektur in Südafrika

Lange vor der Machtübernahme der National Party im Jahr 1948 prägte ethnische Segregation die rasante Entwicklung der ursprünglichen Goldgräbersiedlung Johannesburg. Aber erst die Apartheid machte aus der Trennung der Bevölkerung eine offizielle Doktrin. Städteplanung war für das Regime ein Mittel, Territorien zu schaffen und Schwarzen und Weissen bestimmte Lebensräume zuzuteilen. Mit dem Ende der Apartheid verschwanden nicht die einstigen Gebiete der Abgrenzung; auf Luftaufnahmen lässt sich die zonale Struktur der Stadt auch heute noch deutlich erkennen. Allerdings bildete sich in den letzten Jahren in den Metropolen des Landes zunehmend ein Bewusstsein dafür, dass die Veränderung auch den öffentlichen Raum erfassen, dass sich in diesem entgegen der rassenpolitischen Tradition die Idee von Freiheit, Chancengleichheit und Versöhnung verwirklichen muss: So ging mit der Entstehung einer neuen Zivilgesellschaft im ersten Jahrzehnt der Demokratie eine Neudefinition der Städteplanung einher.

Neue Raumpolitik

Die erste Ausstellung über zeitgenössische südafrikanische Architektur in Deutschland präsentiert unter dem Titel «Fast Forward Johannesburg» bereits realisierte oder in Entstehung begriffene Projekte aus Johannesburg, die den gesellschaftlichen Wandel mittragen. Zwar musste sich die Metropole im Laufe ihrer bewegten Geschichte städtebaulich immer wieder neu erfinden, aber in jüngerer Zeit schlägt sich in der Architektur die Suche nach Identität und die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes in besonderer Weise nieder. Konkret verband sich mit den gezeigten Entwürfen die Prämisse, ursprünglich voneinander abgegrenzte Viertel zu verbinden oder Begegnungsraum zu schaffen. Keine leichte Aufgabe, die aber im Einzelnen zu eigenwilligen architektonischen Lösungen führt, wie die ästhetisch und diskursiv vorbildliche Schau in der Berliner Galerie Aedes East belegt. Manche der Projekte könnten durchaus wegweisend für eine originäre südafrikanische Gegenwartsarchitektur sein, die nationale Tradition mit zeitgenössischer Bauweise verschmelzt. Oftmals bilden sie einen Blickfang in dem von Brüchen geprägten Erscheinungsbild, das einen schillernden Stilmix des 20. Jahrhunderts bietet - vom Berlin der zwanziger über das New York der fünfziger bis hin zum Brasilia der sechziger Jahre.

Empfangen werden die Ausstellungsbesucher in Berlin vom Modell des «Constitutional Court», der 2004 von Omm Design Workshop, Durban, zusammen mit Urban Solutions, Johannesburg, verwirklicht wurde. Das neue Verfassungsgericht symbolisiert so explizit wie unaufdringlich in Südafrikas Verfassung verankerte Werte wie Vielfalt und Chancengleichheit. So weist das in den betont nüchternen Materialien Beton und Glas gehaltene Gebäude einen ornamentalen Detailreichtum auf, der unter anderem an die neun Provinzen und elf Landessprachen Südafrikas erinnert. Die Entstehung der Architektur im Zeichen der Übergangsgesellschaft verwirklicht sich nicht nur in der neuen Funktion des ehemaligen Gefängnisstandortes, sondern auch durch öffentliche Wege, die die Innenstadt mit dem vorwiegend von Einwanderern aus anderen Regionen des Kontinents bewohnten Stadtteil Hillbrow verbinden und damit den über Jahrzehnte planerisch fundamentierten Rassismus ganz konkret überwinden.

Begegnungsorte

Eine wichtige Aufgabe kommt jenen Bauten zu, die das Chaos von Taxis, Märkten und Strassenhändlern an den Rändern der Innenstadt und in Soweto organisieren und so eine urbane Kultur etablieren. Mit dem «Bara Taxi Rank and Market» (2004-06) hat das Team Urban Solutions eine frappante Lösung für einen Busbahnhof gefunden: Die lange Arkade aus skulptural geformten Betonteilen mutet an wie ein Kunstwerk und bildet weitherum einen Blickfang und Anziehungspunkt. Während der «Faraday Market and Transport Interchange» (Albonico & Sack Architects, MMA Architects, Johannesburg, 2003) seine einfache Bedachung aus Wellblech durch eine filigrane Stahlkonstruktion in höhere Gefilde hebt und mit weit aufgespannten, gläsernen Decken den Anschluss herstellt zur internationalen Bahnhofarchitektur.

Das Apartheid-Museum (von den Johannesburger Teams Gapp Architects & Urban Designers, Mashabane Rose Architects, Britz / Roodt Partnership, Linda Mvusi Architects, 2002) entstand in enger Zusammenarbeit der Architekten mit den Museumskuratoren. Das Ergebnis zeitigt eine enge Korrespondenz der Wege und Materialien zwischen dem Innen- und dem Aussenraum und damit eine durchgehende Inszenierung im Namen der Erinnerung. Die massiven, aus Ziegeln aufgeschichteten Mauern und mit Felsbrocken verfüllten Wände aus Draht verleihen dem Gebäude eine haptische Anziehungskraft und lassen es zum Bindeglied werden in dem kaum bebauten Landstreifen zwischen der Innenstadt und Soweto.

Einen schönen Schlusspunkt setzt die Schau mit der diplomatischen Vertretung Südafrikas im Berliner Tiergarten von Mphethi Morojele Architects (MMA Architects, 2003). Es handelt sich dabei um den ersten Botschaftsneubau Südafrikas im Ausland seit 27 Jahren, der bei aller Modernität des Entwurfes mit einem dezenten Reichtum dekorativer Elemente eine Brücke schlägt zur landeseigenen Bautradition. Wo das Herzstück ein lichtdurchflutetes Atrium bildet mit einer klaren Struktur von Verbindungswegen und Ebenen, die den Mitarbeitern als Begegnungsorte dienen, wird die Architektur selbst zur Botschafterin eines demokratischen Neubeginns.

[ Bis 21. April. Katalog: Fast Forward Johannesburg. Mit Essays von Dagmar Hoetzel und Lindsey Bremner. Galerie Aedes, Berlin 2005 (ISBN: 3-937093-46-X). 49 S., Euro 10.-. ]

18. Dezember 2004 Neue Zürcher Zeitung

Aus dem Lot

Peter Eisenmans Holocaust-Mahnmal in Berlin

Der Beginn der Bauarbeiten an dem umstrittenen «Denkmal für die ermordeten Juden Europas» in Berlin liegt über ein Jahr zurück. Wann immer man im Laufe der Zeit das Gelände nahe dem Brandenburger Tor aufsuchte und der Wirkung nachspürte, die der Anblick der wachsenden Zahl von Stelen auslösen würde, stellte sich Ratlosigkeit ein. Vergeblich suchte man nach der angekündigten Wellenbewegung, die sich in der Gruppierung ergeben sollte, und nicht die geringste Andeutung eines Sinnbildes war zu erkennen. Man glaubte den Grund im Unfertigen des Ganzen zu finden. Die Gegend wirkte wie ein Depot im Berliner Sand, in dem riesige Betonklötze auf ihre Weiterverarbeitung warten.

Mittlerweile haben sich die Säulen zu einem Bild gefügt, zu einem Feld geordnet: Dicht an dicht stehen sie in unterschiedlichen Höhen und Neigungswinkeln und ergeben ein kühles kubistisches Zusammenspiel in Helldunkel. Als graue Steinmasse bildet das Gelände einen rauen Kontrast zu den umliegenden bunten Häuserfassaden. Von der Reichstagskuppel aus gesehen mutet das Bauwerk an wie ein grosser, mitten in die Stadt hinein gepflasterter, unsinniger Flecken, der sich nicht in seine Umgebung einpasst. Von hier oben ist mit etwas gutem Willen und bei guten Lichtverhältnissen auch so etwas wie eine Wellenbewegung zu erkennen. Als Stein des Anstosses schiebt sich das Betonmosaik immer wieder in den Blick im Stadtbild des neuen Berlin zwischen Reichstagskuppel und Potsdamer Platz. Das hauptstädtische Postkartenidyll ist nur noch unter Anstrengung zu bekommen. Seit die wenigen Bäume zwischen die Säulen gepflanzt sind, fällt auf, wie leblos der Beton wirkt. Dagegen scheinen sich die unterschiedlich geneigten Stelen leicht zu bewegen, als würde der Wind darüber ziehen.

Der letzte der 2751 Steinquader wurde in dieser Woche gesetzt. Der anfängliche Eindruck des Unbestimmten bleibt. Man muss dem New Yorker Architekten Peter Eisenman ein Kompliment machen dafür, dass sein Werk sich der Suggestion und einem falschen Gefühlsausdruck verweigert, der den Schrecken der Vergangenheit beschwören will. Es ist erstaunlich, wie wenig monumental das Bauwerk wirkt trotz seinem riesigen Ausmass von vier Fussballfeldern. Es scheint leicht in den Boden abzusinken und erhebt sich jedenfalls nicht im Schuldstolz. Ähnlich wie Norman Foster die Würdeformel der Reichstagskuppel unterlief, indem er diese öffentlich begehbar machte, enthebt Eisenman das Denkmal einem eindeutigen Erinnerungshabitus. Es bringt historische Verantwortung zum Ausdruck, aber es bereitet keiner symbolpolitischen Selbstentsühnung den Weg.

Man wandelt hier über unebene, gepflasterte Wege zwischen den Betonwänden. Manchmal kippt eine Stele aus dem Lot und neigt sich einem leicht entgegen oder weicht nach hinten zurück. Vom Potsdamer Platz herüber weht der Würstchenduft vom Weihnachtsmarkt. Die Stelen wachsen in der Mitte des Feldes auf bis zu fünf Meter an, während der Weg zwischen ihnen steigt und fällt, im Zentrum droht das ganze Feld mit einem in den Boden zu versinken. Die Stadt rundherum verschwindet manchmal hinter den Säulen, der eindringende Lärm der vielbefahrenen Strasse zwischen dem Regierungsviertel und dem Potsdamer Platz wirkt zunehmend störend. Die Immissionen der Grossstadt lassen sich nicht ausblenden, so sehr man sich auch anstrengt. Man findet hier keine Ruhe und ist doch auf sich selbst zurückgeworfen. Eisenman schickt einen in eine körperliche Erfahrung mit vagem Ausgang.

Hier beginnt das Unwohlsein mit diesem Denkmal, das Missverständnissen nicht entgegenwirkt. Zum Beispiel jener Annahme, wonach hier eine physische Beklemmung vermittelt werde, die der Erfahrung der im Nationalsozialismus Verfolgten ähnlich sei. Unwohlsein darüber, dass die historische Katastrophe nicht ausgesprochen (und also in gewissem Sinne beschwiegen) wird, dass die Fakten in einem angegliederten, unterirdischen «Ort der Information» nachgereicht werden müssen.

Das Berliner Mahnmal gibt keine Antwort auf die Frage, wie die Deutschen zu ihrer Geschichte stehen sollen, ausser jener vielleicht, dass die Haltung, die man zur Vergangenheit einnimmt, nirgendwo anders als im eigenen Kopf entstehen kann. Eisenman hat einen rationalen «place of no meaning» geschaffen und eine Absage an die Vergegenwärtigung des Grauens mit ästhetischen Mitteln. Gäbe es ein Bild für das Bilderverbot, so fände man es am ehesten hier.

Als Schlussstrich unter die Debatte um die deutsche Vergangenheit, wie von den Kritikern des Mahnmals befürchtet, eignet sich dieses Denkmal kaum. Die Steine reden nicht, es liegt an den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, ob sie ihnen eine Stimme verleihen. Eisenman hat auf einem offenen Mahnmal bestanden. Passanten werden sich auf den kleineren Blöcken niederlassen, vielleicht zum Picknick oder um sich fotografieren zu lassen. Noch wohnt dem Denkmal Bedachtsamkeit, Würde und Sachlichkeit inne. Ob dies so bleibt, wenn der Zaun nach der Eröffnung im kommenden Mai entfernt sein wird und die Menschen das Stelenfeld begehen werden, wird sich weisen müssen.

15. Dezember 2004 Neue Zürcher Zeitung

Die zweite Natur des Hauses

Eine Ausstellung über die Architektur Sloweniens in Berlin

Farbenfreudig, dann wieder technokratisch- nüchtern, postmodern oder minimalistisch präsentiert sich die Architektur Sloweniens, die derzeit in der Akademie der Künste in Berlin unter dem Titel «Baustelle: Slowenien» zu sehen ist. Da hier keine Vereinfachung passt, taten die Kuratoren gut daran, die Vielfalt und Widersprüchlichkeit zur Geltung zu bringen, statt sie unter ein Motto zu zwingen. Die dreiundzwanzig zwischen 1995 und 2004 realisierten Projekte zeigen auf kleinem Raum einen Reichtum der Positionen, der eine Baukunst im Aufbruch, zwischen Rückbesinnung und Zukunftsvision markiert.

Die in Zusammenarbeit mit der Architekturgalerie Dessa in Ljubljana konzipierte Darstellung der slowenischen Baukunst bildet den sechsten Teil einer Reihe über aktuelle städtebauliche und baukünstlerische Tendenzen aus Mittel- und Osteuropa. Auf die utopischen Entwürfe von Moskauer Architekten folgten die nationalromantischen und postmodernen Tendenzen aus Polen und Ungarn, das kompromisslose Anknüpfen der Prager Architekten an die Weisse Moderne und jenes der Esten an den skandinavischen Funktionalismus. Gemeinsam ist allen die Identitätssuche nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Charakteristisch für die slowenische Architektur der letzten Dekade ist darüber hinaus die spürbare Anlehnung an west- beziehungsweise nordeuropäische Strömungen. Nicht immer ist das Präsentierte allerdings frei von Eklektizismus.

Der minimalistische Umgang mit den Materialien Beton und Holz deutet auf Schweizer und Vorarlberger Vorbilder hin, die Experimentierfreude und Plastizität bei Fassadengestaltung auf Seitenblicke in die Niederlande und nach Skandinavien. Dabei ergeben sich eigenwillige formale Lösungen wie beim strengen langgestreckten Kubus der Union-Brauerei von Aleš Prini in Ljubljana mit seiner Haut aus einer beleuchteten Glasmembran (1999). Die zentrale Lage Sloweniens zwischen Adria, Alpen und Pannonischer Ebene zeigte sich schon zur Zeit von Joe Plenik (1872-1957) offen für Einflüsse. Dem Schüler Otto Wagners und Vater der slowenischen Moderne widmet die Schau in ihrem Auftakt einen knappen, informativen Rückblick, insbesondere, was seine Prägung der Hauptstadt Ljubljana anbelangt. Plenik bildet bis heute den massgebenden Bezugspunkt, wie der Wohnhauskomplex (2001) des Architektenteams Matija Bevk und Vasa J. Petrovi illustriert. Dieser öffnet sich in einem Gartenhof zu Pleniks benachbarter Kirche des heiligen Franziskus und erweist ihr in warmen, zurückhaltenden Farben und bestechender formaler Klarheit die Reverenz.

Zwei Generationen führen heute die Entwicklung an: Vojteh Ravnikar oder Prini vertreten jene, die der Architekturgeschichte der Region in «verdeckter Kontinuität» verbunden sind und sich in den siebziger und achtziger Jahren einen Namen machten. Ravnikars gemeinsam mit Maruša Zorec und Robert Potokar realisierte, geometrisch anmutende Bibliothek in Nova Gorica (2000) sowie ein Wohn- und Geschäftskomplex in Capodistria (1996) sind beispielhaft für einen kritischen Regionalismus: Die Bauten wirken in ihrer Umgebung wie ein Bindeglied und beanspruchen gleichzeitig Eigenständigkeit.

Weiter etabliert sich eine jüngere Generation, die in London oder Amsterdam studiert hat: Das Team Dodd, Glaar, Perovi, Vehovar sucht mit seiner Grundschule in Koevje (2002) eine lokale Verortung, indem es die Umgebung als zweite Natur des Gebäudes durch Ausblicke und Gebäudeeinschnitte in Szene setzt. Zu dieser in die Region eingebetteten Bauweise bildet der international ausgerichtete Stil des Architektenduos Sadar Vuga in seinem formalistischen Spiel mit Volumina einen urban anmutenden Kontrapunkt: in vertikaler, farblich fein abgestimmter Schichtung bei der Industrie- und Handelskammer (1999); eher hart und unnahbar beim völlig schwarzen Baukörper des Arcadia-Lightware-Gebäudes (2000), beide in Ljubljana. Ein schönes Detail dieser Schau sind die biografischen Leuchtkästen, mittels deren die achtzehn Architekten vorgestellt werden.

[ Ausstellung bis 9. Januar 2005. Katalog Euro 12.-. ]

16. August 2004 Neue Zürcher Zeitung

Bewahrender Stadterneuerer

Zum Tod des Architekten Josef P. Kleihues

Zu seinen bekanntesten Bauten zählen das Museum of Contemporary Art in Chicago (1996) und das «Kant-Dreieck» (1994), ein Bürohaus mit Haifischflosse auf dem Dach unweit des Berliner Bahnhofs Zoo. Seinen so sensiblen wie selbstbewussten Umbauten, den Deichtorhallen in Hamburg und dem Museum Hamburger Bahnhof in Berlin, hauchte er mit feinem Gespür für Konstruktion seine «antikisierende Technologie» (Giorgio Grassi) ein. In die Geschichte der Berliner Architektur schrieb sich Josef Paul Kleihues indes mit Macht ein als Mentor einer zeitgenössischen Baukunst, die das klassische Vokabular und die Idee des europäischen Stadtgrundrisses hochhielt. Dafür fand der 1933 im westfälischen Rheine geborene Architekt in der Stadt an der Spree mit ihren historisch bedingten Brüchen früh ein ideales Betätigungsfeld. - Berlin als Stadt des preussischen Klassizismus und des Bauhauses prägte das Denken Kleihues', wie umgekehrt die deutsche Hauptstadt heute ohne ihn nicht das wäre, was sie ist. Sein Werk, dem konkreten Ort verbunden, erinnerte an die Ausdruckskraft Messels oder an das städtebauliche Bewusstsein Scharouns, bei dem er studiert hatte; er wollte das Gedächtnis der Architektur wiederbeleben gegen das «Verlöschen der Stadt» (Wolf Jobst Siedler).

Kleihues kam Ende der fünfziger Jahre zum Architekturstudium an die Spree und eröffnete 1962 ein eigenes Büro. Damit begann ein lebenslanges Engagement, dem theoretische Überlegung und städteplanerisches Anliegen ebenso wichtig waren wie die Baukunst selbst. Den Berliner Bezirk Kreuzberg beispielsweise würde ohne Kleihues' Einfluss heute eine Autobahn durchschneiden: Als Leiter der Neubauabteilung der «Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/87» brachte er die Internationalität, die Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg architektonisch geprägt hatte, zurück und gab der Westberliner Baupolitik eine entscheidende Wende.

Anlässlich seines 70. Geburtstags im vergangenen Jahr war auch vom architekturpolitischen Kartell Berlins die Rede, in dem Kleihues eine zentrale Rolle spielte, im positiven wie im negativen Sinn. Das Bauen mit modernen Mitteln bei gleichzeitiger Bezugnahme auf den historischen Stadtgrundriss fand vor allem nach der Wende Resonanz und seinen Ausdruck in der «kritischen Rekonstruktion»: Die Bewegung löste den Berliner Architekturstreit aus, als sie sich im rigorosen Festhalten an Traufhöhe und Blockrandbebauung zur rückwärts gewandten Ideologie auswuchs. Kleihues selbst bekam bei der Verzerrung seiner kühnen Entwürfe der Häuser Sommer und Liebermann am Pariser Platz den zwanghaften Charakter der historistisch-restriktiven Berliner Baupolitik am eigenen Leib zu spüren. Sein Plädoyer für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses mag man in diesem Zusammenhang als eine späte resignative Flucht nach vorn interpretieren.

Kleihues bezeichnete sich selbst als «poetischen Rationalisten», und seine Verehrung galt in diesem Sinne dem berühmtesten Baumeister der Stadt an der Spree, Karl Friedrich Schinkel. Kurz vor seinem Tod nahm Josef Paul Kleihues vergangene Woche an der Eröffnung der nächtlich hell erleuchteten Attrappe der Schinkel'schen Bauakademie auf dem Friedrichswerder teil, für deren Wiederaufbau er als Wortführer der preussischen Postmoderne gekämpft hatte. Der letzte Auftritt von Josef Paul Kleihues, der in der Nacht zum 13. August gestorben ist, war zu Ehren seines grössten Vorbilds.

28. Juni 2004 NZZ-Folio

Türme und Mietskasernen

Ein Architekturführer durch Berlin

Wenn in den vergangenen Jahren von Berlin als einer Architekturstadt die Rede war, dann blieb meist der berühmte Katzenjammer nicht aus: Über den schwerwiegenden städtebaulichen Fehlentwicklungen seit dem Fall der Berliner Mauer ging oft vergessen, dass die Stadt an der Spree weitaus mehr zu bieten hat als die abends menschenleere Friedrichstrasse. Berlin ist seit je ein Mekka für Architekturinteressierte: Baumeister wie Schinkel, Peter Behrens, die Gebrüder Luckhardt, Bruno Taut oder Hans Scharoun sind nur einige der berühmten Namen, die sich mit dem Berliner Stadtbild verbinden. Ein von Guido Brendgens und Norbert König verfasster Architekturführer rückt die Verhältnisse unaufgeregt zurecht. Das handliche Werk stellt umfassend und kompetent die berlinische Architektur bis in die unmittelbare Gegenwart vor - ausgehend von einer Einführung, die der besonderen, historisch bedingten Charakteristik der deutschen Hauptstadt Rechnung trägt. Dass die Autoren auch nicht mit Kritik zurückhalten, dabei allerdings die Neutralitätspflicht eines solchen Übersichtswerks hochhalten, gehört ebenso zu den Vorzügen dieser Publikation wie die eingestreuten Essays zu Schwerpunktthemen wie der Museumsinsel, dem Potsdamer Platz, den Berliner Mietskasernen oder dem «Bauhaus in Berlin». Das einzige, bei einer weiteren Auflage zu behebende Manko ist das Fehlen eines Stadtplans, der das in Wort und Bild Dargestellte lokalisieren würde. Was aber dem kundigen Führer durch die Strassen Berlins keinen entscheidenden Abbruch tut.

verknüpfte Publikationen
- Berlin Architektur

2. Juni 2004 Neue Zürcher Zeitung

Abrissbirnenlösung

Ernüchterung nach dem Scheitern des Berliner «Topographie»-Neubauprojektes

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten Peter Zumthor geplanten Berliner Dokumentationszentrums für die Stiftung «Topographie des Terrors» abzubrechen und das Projekt neu auszuschreiben. Was nach jahrelanger Ungewissheit auf den ersten Blick wie ein Befreiungsschlag wirkt, wirft doch einige Fragen auf. Dass die Ursache für die endlose Bauverzögerung nicht allein in den wiederholten Pleiten beteiligter Firmen liegen konnte, wie die Berliner Bauverwaltung lange glauben machte, dass vielmehr die Schwierigkeiten in Zumthors aufwendiger Beton- Stabwerkskonstruktion selbst gründeten, war in Anbetracht der nun seit mehr als zwei Jahren verödeten Baustelle offensichtlich.

Von den Diskussionen zwischen Architekt, Stiftung und Bauverwaltung drang jedenfalls genug an die Öffentlichkeit, dass auf eine heillos verfahrene Situation geschlossen werden konnte. So gesehen erscheint der Schlussstrich, den die Berliner Bausenatorin, Ingeborg Junge-Rever, und die Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Christina Weiss, gemeinsam gezogen haben, verständlich. Das überstürzte Tempo, mit der die Kehrtwende nun vollzogen wurde, und die Art und Weise, wie man den Beschluss öffentlich machte, ohne vorab den Architekten zu informieren, lassen allerdings noch nicht unbedingt darauf schliessen, dass das Projekt bereits von einem neuen Stil beseelt wäre.

Es bleibt zudem die Frage, wie es dazu kommen kann, dass erst neun Jahre nach Grundsteinlegung eines Baus und der Vollendung von drei Treppenhäusern ein Gebäude als zu risikoreich nicht nur in seiner Realisierung, sondern auch hinsichtlich seiner späteren Betriebskosten eingeschätzt wird, wie dies nun ein Gutachten tut. Bei allen baulichen Unwägbarkeiten - das Scheitern des einst als architektonische Ergänzung zu Jüdischem Museum und Holocaust-Mahnmal auf den Weg gebrachten Projektes stellt eine Bankrotterklärung für alle Beteiligten dar. Über 13 Millionen Euro hat man in den Berliner Sand gesetzt, es könnten noch ein paar mehr werden, wenn die bereits erstellten Treppenhäuser abgerissen werden müssen oder Schadenersatzansprüche folgen. Zumthor lässt gegenwärtig seinerseits rechtliche Schritte prüfen.

In den letzten Tagen war oft davon die Rede, dass der authentische «Ort der Täter», an dem einst ein Teil des NS-Machtapparates sass, keine Memorialarchitektur benötige, sondern eine schlichte Anmutung. Vergessen scheint, dass man sich genau aus diesem Grund 1993 für Zumthors minimalistischen Entwurf entschieden hatte. Nun wird ein Wettbewerb neu ausgeschrieben werden müssen, um mit dem Restbudget von rund 25 Millionen Euro ein neues Haus zu entwerfen, zu bauen und einzurichten. Die Aufgabe ist nicht leichter geworden.