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16. Juni 2023 Der Standard

Die Vision der Smart City

Künstliche Intelligenz wird die Planung und Taktung von Städten verändern. Autonom fahrende Autos könnten sich ans Zeitmanagement der Passagiere anpassen. Das würde Parkplätze sparen und neuen Platz für Wohn- und Grünräume schaffen. Doch die KI-gesteuerte Stadt bringt nicht nur Vorteile.

Als im 19. Jahrhundert die ersten Telefonanschlüsse installiert wurden, gab es Befürchtungen, dass sich die Opernhäuser und Kirchen leeren könnten, da die Musik via Telefonleitung live in die Wohnstuben übertragen würde. „Kein Mensch, der in seiner eigenen Stube mit seinem Telefon an der Seite sitzen und so der Vorführung einer Oper an der Academy lauschen kann, wird sich die Mühe machen, in die 14th Street zu gehen und den Abend in einem schwülheißen und überfüllten Gebäude verbringen“, prophezeite die New York Times in einem Artikel vom 22. März 1876. „Genauso werden viele Leute es vorziehen, Vorlesungen und Predigten in der komfortablen Privatsphäre ihrer eigenen vier Wände anzuhören, statt in die Kirche oder in den Hörsaal zu gehen.“

Man könnte das rückblickend als Vision einer Welt im Lockdown deuten, wo Konzerte und Vorlesungen live im Internet gestreamt wurden. Doch die Corona-Pandemie war ein Ausnahmezustand, die Prognose der Zeitung eine Fehleinschätzung. Die Konzertsäle sind heute wie damals voll – trotz Telefons, trotz Internets.

Die raumtechnische Veränderung kam durch eine andere Erfindung: Strom. Als in den 1880er-Jahren Glühbirnen die funzeligen und stinkenden Gaslampen ersetzten und Gebäude und Straßen in elektrischem Kunstlicht erstrahlten, wurden auch solche Gegenden begehbar, in denen sich nächtens nur Ganoven und Halunken herumgetrieben hatten.

KI ist der neue Strom

Elektrizität erlaubte auch in der Industrie eine ganz andere Raumnutzung: Mussten vorher Geräte nahe an der Dampfmaschine platziert werden, konnte die Energie fortan in die Fläche geleitet werden und auch weiter entfernte Maschinen antreiben. Ohne Strom hätte es keine Serienproduktion bei Ford gegeben, keine U-Bahnen, keine Klimaanlagen, keine Aufzüge, die wiederum die Voraussetzung für Hochhäuser waren.

So gesehen war Strom ein doppelter Treiber der Urbanisierung: Einerseits entstand durch die Beleuchtung ein produktives und sichereres Nachtleben. Andererseits sorgte die Elektrifizierung von Verkehrsmitteln für Mobilität und Verdichtung. Künstliche Intelligenz, die der Informatiker Andrew Ng als „neuen Strom“ bezeichnete, könnte die Städte nun abermals verändern.

Robotertaxis auf Abruf

Schon heute wird der Raum algorithmisch vorgespurt. Algorithmen empfehlen Bars, Cafés und Restaurants, und Navigationsdienste lotsen einen so zielstrebig von A nach B, dass man fast die Umgebung ausblendet. Wenn künftig autonome Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein werden, könnten auch Parkflächen ganz anders genutzt werden. KI-gesteuerte und elektrisch betriebene Robotertaxis, die aus den Routinen und Gewohnheiten der Fahrgäste lernen, könnten als lose aneinandergereihte Wagons wie eine Art Shuttle rund um die Uhr in der Stadt verkehren und Passagiere just in time dort abliefern, wo sie aussteigen wollen.

Wenn das smarte Haus feststellt, dass der Bewohner jeden Morgen um acht Uhr das Haus verlässt, um zu seinem Arbeitsplatz zu fahren, könnte ein Roboterfahrzeug die Person abholen und noch drei weitere auf dem Weg einsammeln, um später, nachdem die Gäste an ihrem Zielort abgesetzt wurden, einen älteren Menschen vom Arzt abholen – wie ein Ruf-Taxi, nur dass der Computer schon weiß, wo man sich aufhält und das Auto proaktiv den Zielort ansteuert.

Teure Parkplätze oder Parkhäuser bräuchte es nicht mehr, weil die Fahrzeuge im laufenden Verkehr „geparkt“ würden und bei geringer Auslastung Warteschleifen in der Peripherie drehen. Mit der algorithmischen Regulierung des Verkehrs ließe sich eines der drängendsten urbanen Probleme lösen: Platznot. Parkhäuser versiegeln große Teile von Städten, und das, obwohl sie häufig gar nicht voll belegt sind. Allein in den Vereinigten Staaten verbrauchen Parkhäuser fünf Prozent der Stadtfläche.

Wenn diese Flächen nun frei würden, könnte Platz für dringend benötigten Wohnraum entstehen. Schon heute platzen Städte aus allen Nähten, sind Wohnflächen rar und die Möglichkeiten der Nachverdichtung begrenzt. Statt Schlafstätten für SUVs könnte man Parkhäuser zu Wohnungen oder Co-Working-Spaces umwidmen. Konzepte dafür gibt es bereits.

Digitale Technologien besitzen die für die Stadtentwicklung günstige Eigenschaft, dass sie Räume absorbieren. Telefonzellen zum Beispiel sind mit dem Siegeszug von Mobiltelefonen fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden, genauso wie Parkuhren. Auch Geldautomaten werden überflüssig, wenn fast alle bargeldlos bezahlen. „Software frisst die Welt“, prophezeite schon vor Jahren der Internetpionier Marc Andreessen.

Besseres Zeitmanagement

Disruption produziert aber auch Verlierer. Die Ökonomen Ajay Agrawal, Joshua Gans und Avi Goldfarb schreiben in ihrem Buch Power and Prediction dass die immer besser werdende Prognosefähigkeit von KI-Systemen das Geschäftsmodell von Flughäfen bedrohe.

Der Grund: Passagiere reisen in der Annahme langer Wartezeiten bei der Gepäckabgabe und Sicherheitskontrolle früher an und verbringen die Zeit dann mit Konsum: Essen, Trinken, Shoppen, solche Dinge. „Versteckte Unsicherheit“ nennen das die Autoren. Wenn jedoch Apps auf Basis von Echtzeitdaten die genaue Wartezeit prognostizierten, würde diese Unsicherheit reduziert.

Fluggäste müssten nicht mehr so lange warten und würden ergo weniger Zeit mit Konsum verbringen. Und das wiederum würde Geschäften schaden, die kein Interesse an reibungslosen Abläufen haben.

In Saudi-Arabien wird derzeit die Retortenstadt The Line aus dem Wüstenboden gestampft: eine 170 Kilometer lange Schlauchstadt, deren Transportsystem ganz ohne Wartezeit auskommen soll. Die mit Sensoren und Kameras vollgestopfte Smart City sammelt laufend Daten ihrer Bewohnerinnen und Bewohner und sagt die Nutzung von Verkehrsmitteln voraus.

Die Kulturtechnik des Wartens könnte in den datengetriebenen vollvernetzten Städten von morgen obsolet werden: Das Badezimmer ist schon vorgewärmt, wenn man aus dem Bett steigt, der Aufzug bereits da, wenn man davor steht, und das Paket schon unterwegs, bevor man auf den Bestellknopf gedrückt hat. Alles läuft wie in einer gut geölten Maschine.

Mit der Kybernetisierung des Alltags könnten auch Wartesäle und Wartehallen verschwinden. Wer zieht noch eine Nummer und setzt sich ins Wartezimmer einer Amtsstube, wenn Behördengänge digital erledigt werden können? Wer schlendert noch durch Bahnhofs- oder Flughafenhallen, wenn er kaum noch auf seinen Flieger oder Zug warten muss?
Nie mehr warten

Das ziellose Umherstromern im urbanen Raum könnte bald der Vergangenheit angehören. KI-Systeme, die auf Nutzenmaximierung programmiert sind, machen das Stadterlebnis zielorientierter, stromlinienförmig und vielleicht auch langweiliger.

Zufällige Begegnungen werden seltener, wenn Interaktionen im Vorfeld berechnet werden. Das muss nicht per se negativ sein, denn an Orten, wo Menschen lange warten, wie etwa Bushaltestellen, lauern Gefahren. Wenn künftig Frauen und Kinder nicht mehr allein Dunkeln gehen müssen, weil sie ein öffentliches Robotertaxi nach Hause bringt, würde das Städte nicht nur sicherer, sondern auch demokratischer machen.

Stadtplaner müssen sich allerdings neue Raumnutzungskonzepte überlegen, sonst drohen Leerstand und Verödung. Auch die Werbeindustrie muss sich Gedanken machen, wie sie Menschen im öffentlichen Raum erreicht, die dort immer weniger verweilen.

Dass sich aber Hörsäle und Opernhäusern leeren, steht einstweilen nicht zu befürchten.

21. November 2015 Der Standard

Die Crowd als Baum­eis­ter

Die Schwar­min­tel­li­genz er­obert den öf­fent­li­chen Raum – mit zum Teil viel­ver­spre­chen­den Ide­en. In Rot­ter­dam wur­de ei­ne Brü­cke ge­baut, in New York ent­steht ein Fluss­schwimm­bad und in Bo­go­tá ein Wol­ken­krat­zer.

New York ist ei­ne pul­sie­ren­de Me­trop­ole. Man kann fast al­les tun – au­ßer schwim­men. Man­hat­tan ist zwar von Was­ser um­ge­ben, doch der Hud­son ist zu dre­ckig, als dass man da­rin ba­den könn­te. Weil die New Yor­ker Ar­chie, Jeff und John aber un­be­dingt im East Ri­ver schwim­men woll­ten, lan­cier­ten sie 2011 auf der Crow­dfun­ding-Platt­form Kick­star­ter kur­zer­hand ei­ne Kam­pag­ne für den „+Pool“, ein Fluss­schwimm­bad vor der Sky­li­ne des Big Ap­ple. Der Pool be­steht aus ei­nem kreuz­för­mi­gen Bas­sin, in des­sen Ar­men un­ter­schied­li­che Be­rei­che un­ter­ge­bracht sind. Der 860 Qua­drat­me­ter gro­ße Pool wird mit ge­fil­ter­tem Fluss­was­ser ge­füllt. In­ner­halb ei­nes Mo­nats ka­men 250.000 Dol­lar zu­sam­men. Die Ini­tia­ti­ve steht im Zei­chen des „Rec­laim the Ci­ty“ – die Rück­er­obe­rung des öf­fent­li­chen Raums.

Da­bei ist Crow­dfun­ding in der Bau­kul­tur nicht neu. Im Jahr 1885 muss­te das Ame­ri­can Com­mit­tee, das mit dem So­ckel­bau der Frei­heits­sta­tue be­auf­tragt war, sei­ne Ar­beit ein­stel­len, nach­dem der da­ma­li­ge US-Prä­si­dent Gro­ver Cle­ve­land und der Kon­gress die Un­ter­stüt­zung ver­wei­gert hat­ten. Das Pro­jekt wur­de vom le­gen­dä­ren Jo­seph Pu­lit­zer ge­ret­tet. Der Ver­le­ger der New York World lan­cier­te ei­nen Spen­den­auf­ruf mit dem Ver­spre­chen, dass je­der Spen­der na­ment­lich in der Zei­tung er­wähnt wird. 160.000 Spen­der steu­er­ten 2,3 Mil­lio­nen Dol­lar bei. Nur dank Crow­dfi­nan­zie­rung konn­te das Mo­nu­ment rea­li­siert wer­den.

Die Stadt­pla­nung ist meist ei­ne Sa­che der Äm­ter und Ent­wi­ckler. Ge­baut wird, was ei­nen Auf­trag­ge­ber hat und sich be­zah­len lässt. Doch mit dem in­ter­net­ba­sier­ten Spen­den scheint die­ser eher­ne Grund­satz zu kip­pen. Heu­te kön­nen Bür­ger mit ein paar Maus­klicks Geld ein­trei­ben. „Mit fünf oder zehn Dol­lar und ei­ner In­ter­net­ver­bin­dung kannst du ein mo­der­ner Ro­cke­fel­ler wer­den“, wirbt et­wa das Por­tal www.ci­ti­zin­ves­tor.com .

Die Mög­lich­kei­ten sind be­trächt­lich: In Rot­ter­dam ent­stand dank Crow­dfun­ding ei­ne Fuß­gän­ger­brü­cke – die Lucht­sin­gel (zu Deutsch: Luft­ka­nal) führt über Ei­sen­bahn­schie­nen und Stra­ßen und ver­bin­det drei Ge­bie­te, die vor­mals ge­trennt wa­ren. Auf der gel­ben Holz­struk­tur sind die Na­men der Spen­der ein­ge­kerbt. Im wa­li­si­schen Glyn­coch ka­men fast 800.000 Pfund für ein Stadt­teil­zen­trum zu­sam­men. Und in Bo­go­tá ent­steht mit der Hil­fe der Crowd ein 66-stö­cki­ger Bü­ro­turm: Rund 3500 Un­ter­stüt­zer sam­mel­ten über Pro­di­gy Net­work 200 Mil­lio­nen Dol­lar. Das BD Ba­ca­tá wird das höch­ste Ge­bäu­de Ko­lum­biens wer­den. Spä­tes­tens hier zeigt sich, dass von der Bür­ger­schaft wich­ti­ge Im­pul­se aus­ge­hen kön­nen. Weiß die Schwar­min­tel­li­genz wo­mög­lich bes­ser, was wo und wie ge­baut wer­den soll­te?

„Nicht de­mo­kra­ti­siert“

„Ich glau­be nicht, dass die Crowd bes­ser als Stadt­pla­ner weiß, was ei­ne Stadt braucht“, sagt die Ar­chi­tek­tur­kri­ti­ke­rin Ales­san­dra Lan­ge im Ge­spräch mit dem STAN­DARD. „Stu­di­en ha­ben ge­zeigt, dass Pro­jek­te eher klein und spe­zi­fisch wa­ren, meist in High-Gla­mour-Ci­ties.“ Die gro­ßen Pro­jek­te, die in­ter­na­tio­nal Auf­merk­sam­keit er­re­gen, sei­en ei­ne Aus­nah­me. „Ich se­he die Zu­kunft von Crow­dfun­ding in kol­la­bo­ra­ti­ven Ini­tia­ti­ven zwi­schen Städ­ten und Crow­dfun­ding-Me­cha­nis­men, um Pro­jek­te vor­an­zu­trei­ben oder sie zu prio­ri­sie­ren.“

Der Schwei­zer Städ­te­pla­ner Da­vid Bie­ri von der Uni­ver­si­ty of Mi­chi­gan steht dem skep­tisch ge­gen­über. „Die Rea­li­tät von Im­mo­bi­lien-Crow­dfun­ding hat nichts zu tun mit de­mo­kra­ti­sier­ter Pla­nung und dem selbst­lo­sen Zu­tun von so­zi­al­ge­wiss­en­haf­ten Klein­an­le­gern“, sagt er im Ge­spräch. „Die Im­mo­bi­lien-Crow­dfun­ding-Sei­ten pro­fi­tie­ren vor al­lem vom enor­men Ren­di­te­durst der im Null­zins­um­feld arg ge­beu­tel­ten in­ter­na­tio­na­len In­ves­to­ren.“

An den zwölf Mil­lio­nen Dol­lar Ka­pi­tal­ein­satz, die für ei­nen Apart­ment-Block in Man­hat­tan zu­sam­men­ka­men, hät­ten sich die In­ves­to­ren im Schnitt mit über 100.000 Dol­lar be­tei­ligt. Der Mi­ni­mal­bei­trag für die crow­dge­sourc­te Tran­che die­ses Pro­jek­tes lag bei 20.000 Dol­lar, was rund dem Zwei­ein­halb­fa­chen des mitt­le­ren Jah­res­ein­kom­mens von New Yorks ärm­stem Quar­tier in der South Bronx ent­spricht. In­so­fern än­de­re auch das in­ter­net­ba­sier­te Fi­nan­zie­rungs­mo­dell nichts an der Tat­sa­che, dass die Wohl­ha­ben­den be­stim­men, was ge­baut wird. Viel­mehr ver­schärft es die­se Ten­denz. „Ei­ne Im­mo­bi­lie ist, auch wenn sie teil­wei­se von ei­nem Crow­dfun­ding ge­tra­gen wird, eben kei­ne Smart­watch oder ein Kar­ten­spiel“, sagt Bie­ri.

Die 247 Mil­lio­nen Eu­ro teu­re, zum Teil crow­dfi­nan­zier­te Gar­den Brid­ge in Lon­don ist längst ein be­gehr­tes Ob­jekt für In­ves­to­ren. Und wer zahlt, be­stimmt die Be­nut­zungs­re­geln. Kein Ge­ren­ne, kei­ne Pick­nicks, kei­ne Dra­chen, kei­ne Be­su­che nach Mit­ter­nacht – so lau­ten künf­tig die Vor­schrif­ten auf der 366 Me­ter lan­gen, mit Bü­schen und Bäu­men be­grün­ten Gar­ten­brü­cke über der Them­se. Laut ei­nem Do­ku­ment, das dem Gu­ar­di­an zu­ge­spielt wur­de, sol­len die Be­su­cher an­hand ih­rer Mo­bil­te­le­fo­ne ge­trackt und von pri­va­ten Si­cher­heits­leu­ten über­wacht wer­den, die er­mäch­tigt sind, per­sön­li­che Ge­gen­stän­de zu kon­fis­zie­ren.

Ei­ni­ge Be­ob­ach­ter füh­len sich an ei­nen „Po­li­zei­staat“ er­in­nert. Die Brü­cke, die zu Be­ginn der Pla­nung als „ur­ba­ner Gar­ten“ ge­fei­ert wur­de, sorgt für im­mer mehr Un­mut un­ter der Lon­do­ner Be­völ­ke­rung. Der Brü­cken­kons­truk­teur Alis­tair Len­czner, der un­ter an­de­ren das Via­dukt von Mil­lau plan­te, be­zeich­ne­te die Gar­den Brid­ge als „pri­va­te Gar­ten­platt­form, die vor­gibt, ei­ne Brü­cke zu sein“. Es steckt ja auch ei­ne ge­wis­se Sym­bo­lik da­hin­ter: Ei­ne Brü­cke soll die Bür­ger­schaft ver­bin­den, al­len zu­gäng­lich sein. Al­lein, die Gar­den Brid­ge wird an zwölf Ta­gen für die Öf­fent­lich­keit ge­schlos­sen sein. Spon­so­ren wie der Roh­stoff­gi­gant Glen­co­re kön­nen dann Fir­men­ver­an­stal­tun­gen fei­ern. „Man geht dann von der Ta­te Mo­dern, ge­spon­sert von BP, über die Glen­co­re-Brü­cke zum Roy­al Ope­ra Hou­se, ge­för­dert von Rio Tin­to“, kri­ti­sier­te der Green­pea­ce-Ak­ti­vist Char­lie Kro­nick. Der öf­fent­li­che Raum wird zur Spon­so­ren­zo­ne.

„Es kann durch­aus sein, dass die Uto­pie­vor­stel­lun­gen ei­ner de­mo­kra­ti­sier­ten Kre­dit­ver­ga­be im ur­ba­nen Raum sich schnell als gen­tri­fi­zie­ren­der Alb­traum von glo­bal ent­fes­sel­tem, al­les pe­ne­trie­ren­dem Spe­ku­la­ti­ons­ka­pi­tal ent­pup­pen“, warnt Da­vid Bie­ri. In New York wird sich zei­gen, ob mit dem flot­tie­ren­den +Pool wirk­lich ein öf­fent­li­ches Schwimm­bad ent­steht oder ein ex­klu­si­ver Ba­de­tem­pel, an dem sich aus­schieß­lich die Schö­nen und Rei­chen auf dem Hud­son son­nen dür­fen.

13. Dezember 2014 Der Standard

Jeder ist ein Architekt

Mit WikiHouse können Internetnutzer ihr eigenes Zuhause designen. Do-it-yourself-Bauen soll Wohnen für jedermann ermöglichen. Ist das die Zukunft der Bauwirtschaft?

Ein Haus zu bauen ist der Traum vieler Familien. Doch das Eigenheim bedarf langer Planung und Finanzierung. Warum also nicht online gehen, ein Haus designen und es gleich baufertig ausdrucken? Das ist die Idee von WikiHouse, einem Open-Source-Projekt, mit dem jeder seine eigenen Hausideen verwirklichen können soll. Im Internet kann der Interessent, wie bei einem Kochrezept, kostenlos die Baupläne downloaden. Die Bauteile werden dann von einer CNC-Maschine fabriziert und in einem Paket zur Baustelle geliefert. Wie ein Ikea-Möbelstück enthält das Kit alle nötigen Werkzeuge, sodass man das Haus in Do-it-yourself-Manier selbst aufstellen kann.

Billige Fertighäuser gibt es schon lange. Allein, die wirklich billigen haben sich niemals durchgesetzt, denn letztendlich summieren sich die einzelnen Positionen unterm Schlussstrich immer zu einer mittelgroßen Lawine zusammen. Was WikiHouse anstrebt, ist nichts weniger als die Revolutionierung der Bauwirtschaft. Erst kürzlich hat die Organisation auf dem London Design Festival einen Prototyp des WikiHouse 4.0 präsentiert - ein zweistöckiges Haus, das mit CNC-Maschinen und 3-D-Druckern gefertigt wurde. Kostenpunkt: 50.000 Pfund, rund 65.000 Euro.

Die Leichtbauweise ermöglicht ein Zusammenbauen ohne Beton und Klebstoff, die einzelnen Bauteile werden lediglich verschraubt. Im Zeitraffer ist zu sehen, wie eine Handvoll Bauarbeiter den Prototyp zusammenzimmern. Das smarte Haus ist mit Sensoren ausgestattet, von der Heizung bis zur Beleuchtung lässt sich alles mit dem Smartphone regulieren. Statt „HomeKit“ (iPhone) oder „Nest“ (Apps für Androids) jedoch werden Linux-Computer und OpenHAB, eine Open-Source-Automationssoftware, angewandt. Die Offenheit soll nicht nur in der Transparenz der Baupläne seinen Ausdruck finden, sondern auch in der Steuerung des Gebäudes. WikiHouse 4.0 will eine Antwort auf den angespannten Immobilienmarkt in Londons City liefern, wo Hinterhofgaragen bereits für eine Million Pfund versteigert werden.

„Seit der industriellen Revolution ist die vorherrschende Idee die, dass unsere Häuser von großen Institutionen gebaut werden müssen“, sagt Alastair Parvin, Mitbegründer von WikiHouse, gegenüber der Zeitung The Independent. „Was wir mit dieser Installation nun vorhaben, ist die Entfachung der Imagination des Menschen. Wir wollen zeigen, wie Technologie fast jedem ermöglichen kann, sich sein eigenes maßgeschneidertes Haus zu leisten, ohne Rückgriff auf konventionelle Baukenntnisse.“ Die Stoßrichtung des Projekts ist klar: Jeder ist ein Architekt.

Häuser aus dem Baukasten

Als Open-Source-Projekt hat sich WikiHouse auf der ganzen Welt verbreitet. In den Niederlanden gibt es eine ganze WikiHouse-Community mit regelmäßigen Veranstaltungen und Diskussionsforen. Im neuseeländischen Christchurch wurden WikiHouses als Reaktion auf die verheerenden Erdbeben 2011 gebaut. Und in den Favelas von Brasilien werden bereits in Pilotprojekten die ersten Häuser aus dem Baukasten konstruiert. Dem Projekt wohnt die Hoffnung inne, den Häuserbau zu demokratisieren und die Wohnungsnot zu lindern.

„Durch zunehmende Spezialisierung, durch technische und bürokratische Systeme sowie durch Landbesitz werden wir schrittweise enteignet, was nicht leicht zu überwinden ist“, erklärt Peter Blundell Jones, Professor für Architektur an der Universität Sheffield und ein international tätiger Architekturtheoretiker. „Selbst wenn man Land und Geld hat, kann man nicht einfach so bauen, wie man will, zumindest nicht in den meisten Teilen Europas, weil man Baugenehmigungen braucht, die die Meinung anderer über das Aussehen des Gebäudes miteinschließen.“

Freilich wird sich durch die neue Technik an verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren nichts ändern. Nicht jeder kann nach Belieben ein Haus errichten. Doch Bauen wird schneller und billiger - nicht zuletzt durch den 3-D-Druck und die digitale Fabrikation. Das stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen.

Doch was bedeutet es, wenn jeder sein eigener Bauherr ist? Und braucht es dann überhaupt noch Architekten? Die Wissenschafterin Barret Havens, die an der Woodbury University in den USA Architektur unterrichtet, glaubt nicht, dass die Profession aussterben wird. „Nur weil ich weiß, wie man Gitarre spielt, höre ich ja auch nicht auf, Musik von Könnern anzuhören“, sagt die Professorin im Gespräch mit dem STANDARD. „Die Open-Source-Baupläne eröffnen lediglich neue Perspektiven. Indem man an jeder Stufe des kreativen Bauprozesses teilnimmt, lernt man die Architekten als virtuose Designer schätzen.“

Für Havens verkörpert die Open-Source-Architektur eine neue Form der Ästhetik. Der Bau von WikiHouses würde einen höheren Grad der Uniformität von Städten mit sich ziehen, so Havens. Das sei nichts Neues. Uniformität gebe es ja bereits, und das in globalen Ausmaßen - in Favelas oder anderen Elendsvierteln oder in den sogenannten „Cookie-Butter-Communities“ der Vorstädte, wo die Häuser wie mit einem Plätzchenausstecher geformt aussehen.

„Obwohl Open-Source-Design nicht einzigartig ist, kann es in einzigartigen Wegen arrangiert werden“, sagt die Architekturprofessorin. Man denke nur an Moshe Safdies gestapelte Wohnsiedlung Habitat 67, die zum Wahrzeichen der Expo 1967 in Montreal wurde. Für die Weltausstellung wurden 85 vorfabrizierte Betonboxen so aufeinandergestapelt, dass die Wohneinheiten als individuelle Häuser funktionieren. „Habitat 67 zeigt, dass Uniformität auch ästhetisch sein kann“, meint Havens.

Renaissance des Bauhaus

Unter diesem Blickwinkel könne man das WikiHouse als Renaissance des Bauhauses begreifen, das seinerzeit Symbol für eine gewisse Synchronisation aus Individualität und serieller Fertigung war. In WikiHouse spiegeln sich mehrere Strömungen des Zeitgeists, nicht zuletzt der Gedanke der Null-Grenzkosten-Gesellschaft von US-Ökonom Jeremy Rifkin. Die Bewohner werden zu ihren eigenen Baumeistern und Citymanagern einer kollaborativ organisierten Gemeinde. Noch nie war man dem Begriff des Eigenheims näher.

9. November 2013 Der Standard

Apfelring und Daumenland

In Kalifornien beginnt demnächst der Bau zweier Megakomplexe: der Firmenzentralen von Apple und Facebook. Was die Architektur über die Firmenkultur sagt

Sanft geböschte Wege, einstöckige Gebäude, begrünte Parkanlagen: Auf den ersten Blick wirkt das alles wie eine unscheinbare Kleinstadt. Doch was in Menlo Park City nach den Plänen von Stararchitekt Frank Gehry in den nächsten Jahren entstehen soll, ist keine Wohnsiedlung, sondern das neue Hauptquartier von Facebook. Die Fläche des Areals misst 420.000 Quadratmeter und ist wie eine Stadt in unterschiedliche Viertel aufgegliedert.

Die Büros sehen aus wie verwinkelte Schuhkartons, auf den Flachdächern sind Bäume gepflanzt, und die geschwungenen Treppenaufgänge führen wie bei einer Wasserrutsche von einer Etage auf die andere. Übergangslos gehen die Cluster ineinander über und verstärken auf diese Weise den Gemeinschaftssinn der Belegschaft, die bei Facebook natürlich mehr eine Art Community ist. Kein Wunder also, dass der Facebook-Bau einem großen, zusammenhängenden Netzwerk gleicht: ohne Trennwände, ohne Privatsphäre. Alles ist im Fluss auf diesem scheinbar sympathischen Campus.

Unfertiges als Ideal

Die Firmenzentrale von Zuckerbergs Reich soll das neue Zuhause für die Internet-Geeks werden - mit Sandstränden, Kindergärten und Halfpipes für die ewig jungen Skateboarder. Hier können sich die kreativen Köpfe austoben, Neues ausprobieren, sich spielerisch weiterentwickeln oder, wie es Frank Gehry ausdrückt: Das Unfertige werde zum Ideal erhoben. Er wolle Facebook ein „System in die Hand geben, das nicht vollkommen ist, aber das sie manipulieren können“, eine Art großer Werkzeugkasten also.

Und eigentlich handelt es sich beim neuen Headquarter weniger um ein Quartier als vielmehr um eine Landschaft. Von markanten Kurven ausgehend, erstreckt sich der Freiraum schnurgerade über den 22 Hektar großen West Campus und verbindet das gegenwärtige Zentrum mit einer Untergrundpassage unter der Bayfront. Unscheinbar fügen sich die Gebäude - die Wände sind nur leicht geböscht und nicht wild gekurvt wie sonst üblich bei diesem Architekten - in die Natur. Bei einer Höhe von zehn bis 20 Metern wirken die einzelnen Gebäude eher wie Hügel.

Natürlicher, künstlicher Raum

Experten bezeichnen die Architektursprache als Retro-Gehry. „Gehry wollte hier offenbar einen neuen Gebäudetypus erschaffen, den er noch nie zuvor realisiert hat“, schreibt etwa John King, Redakteur des San Francisco Chronicle. Imposante Wolkenkratzer wie etwa das Chrysler Building in New York City, die die Konzernmacht reflektieren, meint er, gehören der Vergangenheit an. Die Internetgiganten heutiger Tage verschmelzen Gebäude und Gelände zu einem neuen Topos, ganz so, also wolle man dem virtuellen, künstlichen Raum einen besonders natürlichen entgegensetzen.

Hewlett Packard und General Motors schufen schon in den 1960er-Jahren die sogenannte Corporate Landscape, die Unternehmenszentrale im Grünen. Die Landschaftsarchitektin Louise A. Mozingo, Professorin an der Universität Berkeley, hat dieses Phänomen in ihrem Buch „Pastoral Capitalism“ (Weidekapitalismus) beschrieben. Darin erklärt die Autorin, wie sich die urbane Struktur durch die unternehmerischen Parkanlagen veränderte. Vor allem an der Peripherie entwickeln die Metropolen demnach eine Art Corporate Campus. Ein Ersatz für längst verlorengegangene Öffentlichkeit?

Der von Mozingo begründete pastorale Kapitalismus resultiert idealerweise aus der Überschneidung dreier Kräfte: aus Unternehmensstruktur, Dezentralisierung amerikanischer Städte und Dominanz landschaftlicher Ästhetik. Roland Barthes sprach einmal vom „Übergang von der Geschichte zur Natur“: Bei Facebook wird das soziale Netzwerk als Teil des Ökosystems betrachtet. Und so löst sich der vermeintliche Widerspruch zwischen Gehry, dem Expressionisten, und Zuckerberg, dem Funktionalisten, langsam auf. Das Gebäude, kaum sichtbar, verschwindet in einer baumbestandenen Landschaft.

Headquarter mit Sneakers

„Facebooks Aversion gegen die Ausdruckskraft artikuliert das Hackerethos des Unternehmens, das die Funktionalität über die Form stellt“, schrieb unlängst das Magazin Wired. „Facebooks äußerst anonymes Gebäudedesign ist wie Zuckerbergs Kleidermarkenzeichen: grauer Pulli, Jeans und Sneakers. Ein anspruchsloser Mitläufer inmitten einer leistungsfähigen Firma.“ „Weak forms“, schwache Formen, nennt man das im Architekturjargon.

Apple, ein weiterer mächtiger Internetkonzern, wird sein neues Hauptquartier unweit der alten Firmenzentrale in Cupertino errichten. Eingebettet in ein weitläufiges Waldstück, soll nach Plänen des britischen Architekten Sir Norman Foster ein ringförmiger Campus, eine Art Donut für 13.000 Mitarbeiter entstehen. 6000 Bäume sollen den Blick auf die umliegenden Straßen verstellen. Der Komplex mutet wie ein gigantisches Raumschiff an. Die rigide Form des Kreises markiert die Unfehlbarkeit des Konzerns und macht deutlich: Apple herrscht absolut.

„Kein gerades Stück Glas“

Während der Planungsphase sagte Steve Jobs, der zu Lebzeiten akribisch bis in Details an den Entwürfen feilte, es gebe „kein gerades Stück Glas in dem ganzen Gebäude“. Alles ist rund, kurvig, geschwungen: Architektur aus einem Guss, glasgewordene Perfektion. Wie auch das iPhone, dessen glatte Oberfläche sich an den Nutzer anschmiegt, passt sich der Campus in seine Umgebung ein.

„Ich vermute, dass Steve Jobs die Idee einer unberührten, ursprünglichen Welt abseits der Firma liebte, eingehegt in eine halbnatürliche Umgebung“, schreibt Architekturkritiker John King. So gesehen sei das Hauptgebäude gar keine schwache Form, es sei eine ideale Form. „Denn was viele Beobachter verkennen: Die immense Parkgarage liegt entlang des Interstate-280-Freeways. Das ist eine ikonische Stromlinienform, die Apple der Welt durch eine horizontale Präsenz ankündigt.“

Macht geht in die Breite

Die vertikale Größe, die sich in den Wolkenkratzern manifestiert, weicht einer horizontalen Expansion: Facebook und Apple gehen in die Fläche, belagern das Territorium. Subtil, aber effektvoll. Darin steckt eine unverkennbare Symbolik. Big Data verdrängt die Subjektivität, usurpiert die Präferenzen - und kreiert einen digitalen Urzustand. IBM produzierte noch Dinge zum Anfassen. Microsoft stellte abstrakte Produkte her, die noch in Schachteln zu kaufen waren. Doch die Dienste von Facebook und iTunes kann man weder anfassen noch in Schachteln packen. Das ist, wenn man so will, die Entmaterialisierung von Angebot und Nachfrage.

Konsequent spiegelt sich dieser Trend in den neuen Hauptquartieren wider. Die Architektur 2.0 - eine Ästhetik des Verschwindens, ein Wegwischen der Identität - ist nicht mehr so richtig greifbar. Und das beeindruckt sichtlich auch die politischen Entscheidungsträger. Nachdem der Gehry-Entwurf für den Facebook-Sitz mit vier zu null Stimmen abgesegnet worden war, fragte Bürgermeister Peter Ohtaki: „Wo ist der Like-Button?“