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22. April 2025 Spectrum

Klimaanpassung: Wie man dem Starkregen trotzt

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss ihren Weg finden, abgestimmt auf lokale Herausforderungen. Ein Blick auf Kopenhagen, Hamburg und Wien.

Der Klimawandel schreitet schneller voran als bisher angenommen, laufend aktualisierte Klimaprognosen zeichnen ein düsteres Bild, das sich in der Realität bestätigt. 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messgeschichte. In Österreich erinnern wir uns neben der Hitze besonders an die heftigen Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Der Klimawandel verursacht jährlich Milliardenschäden, mittlerweile sterben mehr Menschen an extremer Hitze als im Straßenverkehr. Besonders Städte sind vulnerabel, viele Menschen leben auf engem Raum, und bauliche Strukturen verstärken klimatische Effekte.

Eine der wirkungsvollsten Klimaanpassungsstrategien ist der Ausbau grüner Infrastruktur – ein Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Grünflächen, die ökologische, soziale und klimatische Funktionen erfüllen. Diese in bestehende Stadtgefüge zu integrieren stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Notwendig sind langfristige Strategien, ein klarer politischer Wille und gezielte Investitionen. In europäischen Städten variiert der Entwicklungsstand grüner Infrastruktur. Um Wissen und Erfahrungen auszutauschen, lud die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA) kürzlich zum internationalen Symposium unter dem Titel „Designing Green and Resilient Cities“ auf das Gelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs in Wien, einem der jüngsten Entwicklungsgebiete der Stadt.

„Beserlparks XL“ für Wien

Grundsätzlich stehen alle Städte vor ähnlichen Herausforderungen: zu langsame Umsetzungsprozesse, fehlende in Anpassungsstrategien integrierte Konzepte und hohe Kosten, die meist von unterfinanzierten Budgets gedeckt werden müssen. „Ein intensiver, interdisziplinärer Dialog im Bereich der Landschaftsarchitektur hilft, Synergien zu fördern und negative Effekte zu minimieren“, erklärt ÖGLA-Präsidentin Anna Detzlhofer. Dadurch lassen sich Testphasen verkürzen, und es kann Zeit eingespart werden. Internationale Vergleiche helfen zudem, Fortschritte besser einzuordnen und gezielt zu verbessern.

Städte wie Paris, Kopenhagen und Hamburg haben Vertreter:innen nach Wien entsandt, um bei dem Symposium stadtplanerische Strategien und Leuchtturmprojekte vorzustellen. Fachleute aus Planung, Wissenschaft und Forschung präsentierten innovative Werkzeuge, um Bestandsstädte hochwertig und rasch zu begrünen.

„Die Anforderungen an Planungsstrategien sind komplex. Es besteht Konsens, dass Klimaanpassung auf allen Ebenen der Stadtplanung ansetzen muss – von großmaßstäblichen Masterplänen bis zu punktuellen Interventionen“, so Detzlhofer. „Derzeit arbeitet die Disziplin intensiv an der Weiterentwicklung städtischer Planungsinstrumente.“ Stadtklimaanalysen beispielsweise zeigen Schwachstellen auf und identifizieren unterversorgte Gebiete. Als Planungsgrundlage sind sie wichtig, doch auf Bauplatzebene braucht es weiterführende Instrumente.

Wien gilt als eine der grünsten Städte der Welt – doch der Grünraum ist ungleich verteilt. Einige Bezirke haben weniger als zwei Prozent Grünanteil, belastende Hitzeinseln sind die Folge. Die Stadt strebt daher eine naturpositive Entwicklung an: Es soll mehr Grün geschaffen als versiegelt werden. Erste Maßnahmen wurden gesetzt – etwa Novellen der Bauordnung und des Baumschutzgesetzes, die grüne Strukturen sichern und deren Ausbau fördern. Auch die mit 100 Millionen Euro dotierte Förderinitiative „Lebenswerte Klimamusterstadt“ sowie die Baum- und Parkoffensive zeigen bereits Wirkung. Mit dem neuen Stadtentwicklungsplan „Wien-Plan 2035“ kommen weitere Maßnahmen, etwa die Wiener Gartenstraßen – flächige entsiegelte intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum sollen vorrangig in dicht bebauten Gebieten entstehen – und die Beserlparks XL – Beserlparks, die auf die angrenzenden Straßenräume mit Begrünung ausgeweitet werden –, die hitzebelastete Straßenräume begrünen sollen.

Die Schwammstadt kommt aus Dänemark

Kopenhagen gilt als Vorreiter bei der Klimawandelanpassung. In der dänischen Hauptstadt wurde das Konzept der Schwammstadt entwickelt und mehrfach umgesetzt. Ziel dieses Vorgehens ist, Regenwasser dort zu halten, wo es fällt, um die Kanalisation zu entlasten und Überflutungen zu vermeiden. Nach einem verheerenden Starkregen im Jahr 2011 mit Schäden in Milliardenhöhe reagierte die Stadt mit einer umfassenden Strategie: Ganze Viertel wurden umgestaltet – mit wasserdurchlässigen Oberflächen, begrünten Dächern und Regenrückhaltebecken, die zugleich öffentliche Räume sind.

Ein gelungenes Beispiel ist der Tåsinge Plads, ein ehemaliger Parkplatz, der in einen multifunktionalen Stadtplatz verwandelt wur­de, wo Regenwasser von Straßen und Dächern gesammelt und gespeichert wird. Auch der Enghaveparken, ein historischer Park in Vesterbro, wurde neu gestaltet: Mit versenkbaren Becken und bepflanzten Terrassen kann er im Notfall 22.000 Kubikmeter Regenwasser aufnehmen und bleibt zugleich eine wertvolle Grünoase.

Auch Hamburg, geprägt durch Elbe und Alster, hat massiv in die Klimaanpassung investiert. Ein Fokus liegt auf dem Starkregenmanagement und dem Schutz vor Sturmfluten. In der HafenCity – Europas größtem innerstädtischem Entwicklungsprojekt – wurden innovative landschaftsarchitektonische Lösungen umgesetzt. Der Amerigo-Vespucci-Platz etwa ist so gestaltet, dass er im Hochwasserfall überflutet werden kann, ohne Schaden zu nehmen. Die bekannten Magellan-Terrassen bieten nicht nur einen attraktiven Aufenthaltsort direkt am Wasser, sondern fungieren zugleich als Teil eines gestaffelten Hochwasserschutzsystems.

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss je nach Gegebenheiten ihren eigenen Weg finden, abgestimmt auf lokale Gegebenheiten, Herausforderungen und Potenziale. Doch die vorgestellten Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass gelungene landschaftsarchitektonische Konzepte funktionieren und anderen Städten als Inspiration und Orientierung dienen können. Der Blick über den Tellerrand ermöglicht es, bewährte Strategien zu adaptieren, Fehler zu vermeiden und wertvolle Zeit zu gewinnen. Denn eines ist klar: Wenn der Klimawandel weiterhin so rasant voranschreitet, muss auch die grüne Transformation unserer Städte deutlich schneller und umfassender gelingen, damit sie zukunftsfähig und lebenswert bleiben.

16. Februar 2025 Spectrum

Kampwald könnte der dritte Nationalpark im Waldviertel werden

Das von Abwanderung betroffene Waldviertel könnte von einem Nationalpark Kampwald durchaus profitieren. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro ­gesichert.

Im ausklingenden vergangenen Jahr war aus Niederösterreich eine interessante Meldung zu vernehmen: Im Waldviertel wird Österreichs siebter Nationalpark entstehen. Österreichs größtes Bundesland bekommt neben den Donau-Auen und dem Thayatal einen dritten Nationalpark, den Kampwald. Doch so ein Nationalpark ist ein Mega-Vorhaben mit langen Entwicklungsperspektiven und vielen Unsicherheiten. Daher stellt sich die Frage: Wie fix ist das Ganze eigentlich?

Ein Nationalpark ist ein Schutzgebiet, das den Kriterien der Weltnaturschutzorganisation IUCN in ihrer zweitstrengsten Kategorie – „Nationalpark“ – entsprechen muss. Das primäre Ziel ist es, Biodiversität und ökosystemische Zusammenhängen sowie natürliche Prozesse zu bewahren und Erholungs- sowie Bildungsaktivitäten zu fördern. Die Kriterien schließen das Vorhandensein hochwertiger und umfangreicher Naturräume mit langfristig schützenswerten Ökosystemen ein. Der weitgehende Verzicht auf Eingriffe ist zentral, zumindest in einer verpflichtend vorgeschriebenen Nationalpark-Kernzone, die mindestens 75 Prozent der Gebietsfläche umfassen muss. Die restlichen 25 Prozent sind als Managementzone zu verstehen, in denen Eingriffe im Rahmen traditioneller, naturnaher Bewirtschaftungen möglich sind.

Naturschutz ist Landeskompetenz

Im föderalen Österreich setzt die Einrichtung eines Nationalparks zudem eine Kooperation zwischen Bund und betroffenem Bundesland voraus, schließlich handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Aufgabe mit nationaler Bedeutung. Obwohl Naturschutzagenden in die Landeskompetenzen fallen, teilen sich beim Nationalpark der Bund und das jeweilige Land sowohl die Kosten für die Außernutzungsstellung der Flächen, also die Abgeltung an die Grundeigentümer:innen für wirtschaftlichen Verlust, als auch die Erhaltungskosten – beides üblicherweise zu gleichen Teilen. Die ausverhandelte Kooperationsvereinbarung wird in einer rechtsverbindlichen Vereinbarung festgeschrieben.

Für den angekündigten Nationalpark Kampwald gibt es bisher weder die nationale Kooperationsvereinbarung, noch wurden Verhandlungen mit der IUCN geführt. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro gesichert, die hauptsächlich zur Außernutzungsstellung eines kleinen, 260 Hektar umfassenden Teils der späteren Kernzone verwendet werden soll.

Einer der letzten Urwälder

Dabei handelt es sich um das Dobratal, das zu den Gründen der durch das Land Niederösterreich verwalteten Windhag-Stipendienstiftung gehört. Geplant ist, dass die Stiftungsgründe, insgesamt rund 3100 Hektar Fläche, später zur Gänze in den Nationalpark übergehen. Die Stiftung dürfte diesbezüglich Interesse zeigen, denn die Außernutzungsstellung mitsamt Entschädigungszahlungen bedeutet in Zeiten zunehmender Klimafolgeschäden einen gesicherten Ertrag.

Das Dobratal ist ökologisch eigentlich weniger intakt als das nahe gelegene mittlere Kamptal mit großteils wertvollen Waldökosystemen. Hierzu gehört auch einer der letzten österreichischen Urwälder, der in Privatbesitz ist und bislang aus eigener Motivation erhalten wird. Dass diese wertvollen Gebiete, derzeit als „Natura 2000“-Flächen wohl nicht ausreichend geschützt, in der ersten Entwicklungsphase nicht berücksichtigt wurden, stößt bei Expert:innen auf Verwunderung. Dabei ist die Vorgehensweise durchaus nachvollziehbar.

Geeignetes Ausgangsgebiet

Im Kamptal ist man mit heterogenen Besitzverhältnissen konfrontiert, zudem sind die finanziellen Mittel für Außernutzungsstellungen im Rahmen der Startförderung begrenzt. Das Dobratal ist durch seine naturräumliche Abgrenzung, sein hohes Entwicklungspotenzial und die Stiftung als alleinige Eigentümerin als Ausgangsgebiet durchaus gut geeignet. Und sollte es mit dem Nationalpark doch nichts werden, so sind die gesetzten Wiederherstellungsmaßnahmen im Dobratal dennoch ein wertvoller Beitrag.

Dass man die Entwicklung des neuen niederösterreichischen Nationalparks gerade mit einer Renaturierungsmaßnahme startet, ist ­allerdings überraschend – war doch gerade die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine der schärfsten Kriti­ker:innen des EU-Renaturierungsgesetzes. Jetzt prescht sie mit dem geplanten Nationalpark noch vor der Festlegung des von der Europäischen Kommission eingeforderten nationalen Renaturierungsplans voran. Das Geld stammt im Übrigen aus dem Biodiversitätsfonds des Bundes, der aus EU-Mitteln gespeist und von Noch-Umweltministerin Leonore Gewessler initiiert wurde. Mit diesem Arrangement dürfte zumindest die notwendige Kooperation zwischen Bund und Land Niederösterreich zur Gründung des Nationalparks auf einem guten Weg sein.

Höchster ökologischer Wert

Doch nicht nur hinsichtlich Renaturierungsverordnung ist der geplante Nationalpark ein schlaues Manöver. Nationalparks sind landschaftliche Schmuckstücke mit höchstem ökologischem Wert, wahre Tourismusmagnete und wichtige Reallabore für Wissenschaft und Forschung. Das von Abwanderung betroffene Waldviertel kann von der Aufwertung durch den Nationalpark hinsichtlich Wohnstandort, Tourismus und Freizeit profitieren. Im Burgenland etwa ist eine positive Regionalentwicklung dank Attraktivierung durch den Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel gelungen.

Expert:innen zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass das Vorhaben Nationalpark Kampwald umgesetzt werden kann. Schließlich ist die Schaffung des zuletzt gegründeten Nationalparks Gesäuse bereits mehr als 20 Jahre her, und die Zeit scheint reif. Gleichzeitig weisen sie auf die große Bedeutung der Alltagslandschaften hin, die neben medienwirksamen Nationalparkgründungen nicht vernachlässigt werden dürfen. Nationalparks machen lediglich drei Prozent der Landesfläche aus, der eigentliche Hebel für Naturschutz und Renaturierung liegt also dazwischen.

„Leitbild Landschaft“ gefordert

Derzeit findet eine einschneidende Transformation der Landnutzungen statt, die sich zusammen mit dem Klimawandel äußerst negativ auf die Vielfalt von Landschafts- und Lebensraumtypologien auswirkt. Eine dramatische Minimierung der Artenvielfalt in unseren heimischen Landschaftsräumen ist die Folge.

Naturschutz ist Ländersache, und das ist gut so, denn Maßnahmen werden regional und lokal gesetzt. Da sich Landschaftsräume aber kaum mit Landes- oder Gemeindegrenzen decken, braucht es auch übergeordnete Planungsinstrumente auf Bundesebene. Planer:innen fordern daher eine Art „Leitbild Landschaft“ für Österreich, damit sich Entwicklungspotenziale unabhängig von politischen Grenzen abbilden lassen. Denn das Erfassen übergeordneter Zusammenhänge spielt gerade in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise eine entscheidende Rolle, schließlich machen weder Tiere und Pflanzen noch der Klimawandel an Landes- oder Gemeindegrenzen halt.

15. November 2024 Spectrum

Österreichs Ufer: Kein Zugang zu diesem See

Die Debatte um die Privatisierung der Seeufer wird um eine Facette reicher: Experten warnen, dass sich dieser Trend bereits negativ auf den ökologischen Zustand der Gewässer auswirkt.

In Österreich kursiert die weitverbreitete Meinung, heimische Seen seien im EU-Vergleich in einem überdurchschnittlich guten Zustand. Tatsächlich verfügen die meisten Badeseen über eine sehr hohe chemische Wassergüte in Bade- und Trinkwasserqualität, doch sagt die Güte nur bedingt etwas über den allgemeinen Gewässerzustand aus. Durch die massive Zunahme an immo­bilienwirtschaftlichen Grundstücksverwertungen zeigen Zustandsindikatoren wie das Maß der Landnutzung oder der Uferverbauung alarmierende Trends.

Das Problem entsteht, weil Seen heutzutage nicht länger nur an öffentlichen Uferpromenaden, Schiffsanlegestellen oder Strandbädern verbaut werden, sondern gerade auch an privat genutzten Ufern. Wer sich ein Seegrundstück leistet, möchte die Fläche maximal ausnützen und einen bequemen Wassereinstieg vorfinden.

Wir benötigen Flora und Fauna

Und so war es gängige Praxis, Ufer durch Aufschüttungen, Mauern oder Stegbauten zu erweitern und badetauglich zu machen. Denkbar ungünstig für Wasservögel, Fische und zahlreiche andere Wassertiere und -pflanzen, die unverbaute Schilf- und Naturzonen für ihr Überleben brauchen. Wir Menschen wiederum benötigen die Tiere und Pflanzen, denn ein hoher ökologischer Gewässerzustand ist für den gesunden Fortbestand der Seen entscheidend.

Immobilienentwicklungen in extremem Ausmaß haben an einigen Badeseen dazu geführt, dass nicht nur frei zugängliche öffentliche Bereiche immer rarer geworden sind, sondern auch wild bewachsene Ufer mit Schilfhabitaten, die, sich selbst überlassen, einen hohen ökologischen Wert entwickeln konnten. Diese Phänomene treffen auf ganz Österreich zu, doch im seenreichen Bundesland Kärnten ist die Situation besonders brisant. Das hat das ­Architektur Haus Kärnten zum Anlass genommen und sogenannte Seenkonferenzen etabliert, die nun seit einigen Jahren organisiert werden.

Extrembeispiel Wörthersee

Dabei können sich Expert:innen, Entscheidungsträger:innen, Verwaltungsmitarbeiter:innen und Vertreter:innen von Initiativen aus verschiedenen Seeregionen austauschen sowie Maßnahmen und Lösungen diskutieren. Die heurige Konferenz fand am Wörthersee statt, der als Extrembeispiel gilt. „Am Wörthersee befinden sich 82 Prozent der Uferlinie in Privatbesitz. Von den verbleibenden Bereichen sind nur noch neun Prozent öffentlich zugänglich. Zirka 58 Prozent der Ufer sind mit Betonmauern, Blockwurf oder Stegkonstruktionen verbaut und nur mehr 38 Prozent des Ufers unverbaut“, berichtet Judith Leitner, Kuratorin der diesjährigen Seenkonferenz.

Selbst unverbaute Abschnitte sind nicht unweigerlich in einem ökologisch wertvollen Zustand. An den wenigen verbliebenen öffentlichen Flächen ist der Nutzungsdruck mittlerweile derart groß, dass trotz zahlreicher Verbote das Renaturieren alles andere als einfach ist. Mehrere Kärntner Seegemeinden haben in den vergangenen Jahren neue Ortsentwicklungskonzepte erstellt oder sind gerade dabei, Pläne zu erarbeiten, in denen der zukünftige Umgang mit den Uferzonen behandelt und die Bauentwicklung durch klare Siedlungsgrenzen eingedämmt werden soll. Ökosysteme lassen sich nicht beliebig an vorhandenen Grundstücksgrenzen je nach Eigentumsverhältnissen ein- oder ausschalten, übergreifende Konzepte sind erforderlich. Um größere Ökologiezonen und öffentliche Seezugänge zu schaffen, werden strategisch wichtige Grundstücke ­angekauft.

Gesellschaftliche Interessen und Naturschutzinteressen sollen gleichermaßen berücksichtigt werden. „Entlang des Nordufers am Wörthersee, in der Gemeinde Techelsberg, haben die Bundesforste zwei schmale Uferbereiche angekauft. Doch solange die Bodenpreise von Seegrundstücken derart hoch und Geschäfte mit Immobilienentwickler:innen weiterhin lukrativ sind, werden Gemeinden wohl eher Grundstücke verkaufen, als Rückkäufe von Liegenschaften voranzutreiben, mit deren Pflege und Erhaltung sie dann in der Folge finanziell belastet sind“, analysiert Judith Leitner.

Auch wenn Investitionen in den Naturschutz in Re­lation zu anderen Infrastrukturmaßnahmen wie etwa im Straßenbau gering ausfallen, erfordern Ankäufe und Natur- sowie Schilfschutzmaßnahmen wie jene in Techelsberg dennoch Investitionen in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro.

Am Wörthersee hat das Land Kärnten, gemeinsam mit dem Seeeigentümer, den Ös­terreichischen Bundesforsten, ökologische Schutzzonen ausgewiesen, auf denen eine weitere Verbauung untersagt ist. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Herangehensweise, doch leider gilt die Vereinbarung nur für Grundstücke, die sich im Eigentum der Republik befinden und durch die Bundesforste bewirtschaftet werden.

Verschlechterung zu verzeichnen

Der Zugriff auf private Flächen ist erwartungsgemäß schwieriger, doch genau dort gilt es anzusetzen, um den Zustand eines stark privatisierten Gewässers zu verbessern. „Es könnten etwa gezielte finanzielle Förderungen für bauliche Rückbau-, Renaturierungs- oder Schilfschutzmaßnahmen eingerichtet werden. Hilfreich waren bisher auch bindende Verordnungen, die weitere Aufschüttungen und Seeeinbauten wie Stege, Bootshäuser, Bojen oder Ufermauern verbieten“, fasst Leitner die Ergebnisse der Konferenz zusammen.

Solche Vorschriften konnten einigermaßen einfach umgesetzt und rasch wirksam werden, sofern sie kontrolliert und Verstöße geahndet werden. Naturnahe Ufergestaltungen und Renaturierungsprojekte sind wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen.

Jedenfalls muss endlich gehandelt werden – Naturschutzinitiativen schlagen für ganz Österreich Alarm. Schließlich kommt bei Seen die EU-Wasserrahmenrichtlinie zu tragen, die vorgibt, Gewässer bis spätestens 2027 einem guten Zustand zuzuführen. Dieser wird anhand bestimmter Qualitätselemente überprüft, wie etwa der Zusammensetzung der Tier- und Pflanzengemeinschaften, des Wasserhaushalts, der Beschaffenheit der Uferbereiche oder des Verbauungsgrads. Und diesbezüglich weisen einige größere österreichische Seen deutliche Defizite auf.

Renaturierung als Chance

Anstatt eine Aufwertung nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erzielen, ist an einigen Seen eher eine Verschlechterung der Gewässerzustände zu verzeichnen, die sich etwa durch neue Phänomene wie die klimawandelbedingte Erwärmung, das Eindringen invasiver Arten oder Mikroplastikeinträge erklärt.

Spannend werden in diesem Zusammenhang die Auslegung und mögliche Anwendung des neuen EU-Renaturierungsgesetzes, das unter anderem die naturräumliche Wiederherstellung von Gewässern einfordert. Ob der auszuarbeitende nationale Renaturierungsplan den Handlungsbedarf an den Seeufern aufgreifen wird, ist noch unklar. Angesichts der Tragweite des Privatisierungsproblems wäre die Renaturierungsverordnung zumindest eine Chance, endlich neue Wege einzuschlagen.

30. August 2024 Spectrum

Renaturierungsgesetz: Auch die Städte sind gefordert

Das neue EU-Renaturierungsgesetz nimmt auch Städte in die Pflicht – sie dürfen bis 2030 keinen Grünraum mehr verlieren. Wird Fläche neu verbaut, muss anderswo Natur wiederhergestellt werden. Wiens Vorzeigebeispiel: der Norbert-Scheed-Wald.

Das Nature Restauration Law, ein EU-Gesetz zur etappenweisen Renaturierung europäischer Naturräume, ist nach langem Ringen am 18. August in Kraft getreten und wartet nun auf seine Umsetzung. Die EU gibt mit diesem Gesetz Ziele vor. Wie die Mitgliedsstaaten diese erreichen, bleibt ihnen überlassen. Sie müssen jedoch innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Plan erarbeiten und diesen verbindlich an die EU übermitteln.

Artikel 8 des Gesetzes formuliert explizit Ziele zur Wiederherstellung städtischer Ökosysteme. Bis 2030 dürfen keine Nettoflächenverluste mehr produziert werden, also nicht mehr Grünflächen verbaut als neu errichtet werden. Bis 2040 müssen renaturierte Flächen bereits um drei Prozent zugenommen haben, und bis 2050 sind weitere fünf Prozent begrünte Stadtflächen herzustellen. In dieser Flächenbilanz ist auch die Renaturierung baulicher Elemente wie Gebäude und Straßen mitzudenken, ebenso wie die möglichst lückenlose Vernetzung von Grünräumen. Weiters müssen mindestens zehn Prozent der Stadtfläche von Baumkronen überschirmt werden. Wobei diese zehn Prozent auf das gesamte Bundesgebiet bezogen sind, um größere Flexibilität für einzelne Städte zu ermöglichen.

Pannonische Feldlandschaft

Laut Verordnung sind nicht nur Stadtwälder, Parks, artenreiche Wiesenflächen und andere Freiraumtypologien neu zu errichten, es gilt auch, bestehende Flächen zu sichern und aufzuwerten. Nun stellen sich Stadt- und Gemeindeverantwortliche zu Recht die Frage, wie eine solche Renaturierung, der vorangehende Aushandlungsprozess und die Finanzierung ausschauen könnte. Aus der Stadt Wien ist auf Anfrage der „Presse“ zu hören, dass Bundesministerin Leonore Gewessler bereits eingeladen hat, um die weitere Vorgehensweise in einer Prozessarbeitsgruppe zu besprechen. „Die Stadt Wien wird selbstverständlich ihren Beitrag leisten. Denn Renaturierung und die Förderung der Biodiversität sind schon seit Längerem wichtige Schwerpunkte der Stadt Wien. Die Wiederherstellungsverordnung der EU ist daher eine Unterstützung für die Vorhaben der Stadt, die zum Gutteil bereits umgesetzt werden“, so die Stellungnahme aus dem Büro des amtsführenden Umweltstadtrats Jürgen Czernohorszky. Er erwähnt neben dem „Park der Artenvielfalt“, dem in Bau befindlichen Biotopteich im Paradiesgartel und der weiteren Renaturierung des Liesingbaches vor allem den Norbert-Scheed-Wald, genauer, das Projekt Breitenlee auf dem Gebiet des ehemaligen Verschiebebahnhofs in der Wiener Donaustadt, als Vorzeigebeispiel für gelungene Renaturierung.

Dass die Bundeshauptstadt Wien als eine der grünsten Städte der Welt gilt, liegt unter anderem am Grüngürtel, der sich großräumig vom westlichen über den östlichen Stadtrand erstreckt. Etwa 12.000 Hektar davon sind durch die Widmung „Schutzgebiet Wald und Wiesengürtel (SWW)“, die höchste Schutzkategorie in der Wiener Flächenwidmung, dauerhaft gesichert. Andere Flächen sind als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen, wie etwa der erwähnte Norbert-Scheed-Wald, der in der Endausbaustufe eine Fläche von rund 1000 Hektar umfassen soll. Die Entwicklung des Schutzgebiets wurde gestartet, lange bevor ein Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene überhaupt diskutiert wurde.

Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen

Bereits 2014 ist die Leitbildentwicklung unter Federführung der MA 49 in Angriff genommen worden. „Im Leitbild Norbert-Scheed-Wald sind übergeordnete Ziele und konkrete Nutzungs- und Renaturierungsmaßnahmen festgelegt“, erzählt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Büro Plansinn Planung & Kommunikation, der an der Leitbild­erstellung und der weiteren Prozessbegleitung beteiligt war. „Die pannonische Feldlandschaft soll zur Erholung für Menschen und als Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen gesichert und schrittweise erweitert werden. Der ehemalige Breitenleer Bahnhof wurde als Kernzone der naturräumlichen Entwicklung definiert. Wir haben damals auch Möglichkeiten zur Flächensicherung aufgezeigt“, so Meinharter, denn die Eigentümer:innen- und Nutzer:innenstruktur ist divers, und die Flächen sind nicht im Besitz der Stadt.

Diese Ausgangssituation hat eine partizipative Entwicklung mit Vertreter:innen aus Verwaltung, Politik, mit den Grundeigentümer:innen und anderen Stakeholdern erforderlich gemacht. Die ÖBB war als Mehrheitseigen­tümerin von Beginn an gesprächsbereit. Im Rahmen von EU-geförderten Projekten plant die Stadt nun den Ankauf einer 70 Hektar umfassenden Fläche, der Rest des Scheed-Walds verbleibt vorerst im Besitz der ÖBB und der zahlreichen weiteren Grundeigentümer:innen. „Es gab von Beginn an eine große Bereitschaft aller Beteiligten. Auch ansässige Land­wirt:innen erkennen, dass benachbarte Re­naturierungsmaßnahmen die Landwirtschaft stärken.“ Schließlich soll das Gebiet künftig auch stadtadäquate Landwirtschaft sichern. Zwischen den Landwirt:innen und den zuständigen Magistratsabteilungen wurden Vertragsnaturschutzflächen vereinbart, etwa im Rah­men des „Lebensraum Acker“-Programms.

140 Wildbienenarten

Auf dem Areal des ehemaligen Verschiebebahnhofs Breitenlee hat sich die Natur seit 1945 beinahe ungestört die Fläche zurückerobert. Wären nicht die alten Brückenpfeiler, die hin und wieder zwischen hohen Bäumen durchblitzen, würde nichts mehr an die einstige Nutzung erinnern. Eine echte Stadtwildnis mit seltenen Tier- und Pflanzenarten wie dem Wiedehopf, dem Neuntöter, Zauneidechsen, seltene Orchideen, mehr als 140 Wildbienenarten sowie pannonischen Trocken- und Halbtrockenrasenflächen. Doch solch ein kostbarer Lebensraum braucht Schutz und Pflege, daher sollen nun rund 90 Hektar des Norbert-Scheed-Walds als Natura 2000 Europaschutzgebiet ausgewiesen werden. Damit geht die Stadt freiwillig noch strengere, rechtlich bindende Naturschutzverpflichtungen ein.

Ein solches Konzept hätten sich viele Wiener:innen auch andernorts gewünscht, wo Bahnhofsbrachen und landwirtschaftliche Flächen zu Gunsten von Quartiersentwicklungen geopfert wurden. Warum dem Norbert-Scheed-Wald dieses Schicksal erspart geblieben ist? „Der Lückenschluss des Grüngürtels im Nordosten Wiens war schon seit Jahrzehnten Teil des Stadtentwicklungsplans“, so Erik Meinharter. „Auch die Reduzierung des steigenden Nutzungsdrucks auf den restlichen Wald- und Wiesengürtel und die benachbarte Lobau war ein wichtiges Argument für dieses Landschaftsschutzgebiet. Zudem gab es ein klares Bekenntnis von Seiten der Stadt Wien und den ÖBB als Grundeigentümerin den Naturraum zu erhalten.“

Auch der persönliche Einsatz des 2014 frühzeitig verstorbenen Donaustädter Bezirksvorstehers Norbert Scheed dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Er hatte schon früh die große Bedeutung des Naturraums für seinen Bezirk und darüber hinaus erkannt: „Jeder Baum, jeder Teich ist wichtig für die Ökobilanz. Der Mensch kann ohne Natur nicht überleben, Natur ist Zukunft.“

17. Mai 2024 Spectrum

Ist hier eine Hitzezone? Wien begrünt wahllos

Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris folgt Wien keinem übergeordneten Masterplan zu Nachbegrünung und Klimawandelanpassung. Derzeit wird nur begrünt, wo es sich gerade ergibt.

Zahlreiche europäische Großstädte starten derzeit Begrünungsoffensiven. Ausgelöst durch den Klimawandel und die stetig steigenden Temperaturen, setzt man auf Kühlung durch Pflanzen. Dass deren nachträgliche Implementierung im Stadtraum trotz hoher Beliebtheitswerte in der Bevölkerung dennoch nicht immer friktionsfrei vonstatten geht, zeigt sich bekanntlich gerade an der Umgestaltung des denkmalgeschützten Michaelerplatzes im historischen Zentrum Wiens. Unter anderem sind neun Blauglockenbäume Anstoß des Ärgers. Namhafte Expert:innen befürchten, dass diese nicht nur die gewünschte Klima-, sondern auch eine erhebliche Raumwirkung entfalten werden, was den Platz in seinem architektonischen Wert schwächen könnte, so die Kritik.

Wien wird sichtbar grüner. Große Bäume, üppig bepflanzte Beete, Wasserspiele und beschattete Sitzgelegenheiten nehmen im Stadtbild merklich zu und finden sich auch an bislang unüblichen Orten, wie dem Praterstern oder der Thaliastraße. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, bei dem Grünraumqualitäten in einem Ausmaß geschaffen werden, wie es noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Die im Klimawandel wichtigen landschaftsarchitektonischen Gestaltungen kommen bei den Menschen gut an. Und das spielt eine wichtige Rolle, denn die zunehmende Begrünung der Stadt ist auch dem Nachdruck der Bevölkerung geschuldet, die sich vor allem eines wünscht: mehr Grün.

Bedeutet Begrünung zugleich Hitzeprävention?

So ist es nachvollziehbar, dass die zuständige Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) seit geraumer Zeit verstärkt auf Stadtbegrünung setzt, um die Stadt „klimafit“ und Wähler:innen zufrieden zu machen. Doch etwas verwundert: Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris, aktuell eine Vorzeigestadt in Sachen Nachbegrünung und Klimawandelanpassung, folgt Wien keinem übergeordneten räumlichen Masterplan zur Klimawandelanpassung des Stadtraums.

Es steht unumstritten fest, dass es ohne zusätzliche Begrünung des Stadtraums im Klimawandel künftig nicht gehen wird. Doch spielt die Frage, welche Maßnahmen wo gesetzt werden, dabei eine wesentliche Rolle. Die Begrünungsprojekte der vergangenen Jahre bringen effektiv neue Aufenthaltsqualitäten – doch tragen sie auch zur Hitzeprävention bei?

Bereits seit etlichen Jahren gibt es die wissenschaftlich erarbeitete „Urban Heat Island“-Strategie der Stadt Wien sowie eine Hitzekarte, die abbildet, wo der Wiener Stadtraum bei Extremereignissen zu überhitzen droht. Wie sich die zigtausenden Neubaumpflanzungen und Oberflächenentsiegelungen an den realisierten Orten tatsächlich auf das Wiener Stadtklima auswirken, wurde noch nicht eingehend evaluiert.

Handlungsbereiche ausfindig machen

Derzeit wird dort begrünt, wo die Stadt ohnehin umbaut oder wo es die Budgets der umsetzungsverantwortlichen Gemeindebezirke zulassen. Oder eben dort, wo, wie am besagten Michaelerplatz, Private über Public-Private-Partnership-Modelle mitfinanzieren. Nachvollziehbare Beweggründe, doch kann für eine Großstadt wie Wien das Mega-Vorhaben der Klimawandelanpassung ohne Strategiekonzept stadträumlich sinnvoll durchgeführt werden? Klimaplanung ist jedenfalls eine Aufgabe, die einer übergeordneten Betrachtung bedarf. Schließlich endet der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze.

Planer:innen fordern daher einen Masterplan zur Klimawandelanpassung, der konkrete Handlungsbereiche, etwa basierend auf den Aussagen von Klimakarten, dem Versiegelungsgrad, Klimaanalysen und der vorhandenen Begrünungsstruktur, ausweist und eine geregeltere Abwicklung von Anpassungsmaßnahmen vorgibt. Gäbe es einen solchen Masterplan zur Klimawandelanpassung für Wien, so wüsste man vermutlich auch, ob sich das schwierige Umgestaltungsvorhaben auf dem Michaelerplatz tatsächlich in einer ausgewiesenen Hitzezone befindet und sich somit die heiklen und umstrittenen Eingriffe vor dem kritischen Denkmalbeirat oder der Unesco-Kommission rechtfertigen lassen.

Sturm der Entrüstung ist jedenfalls zu Recht groß. Weniger wegen der paar Bäume, deren Einfluss auf die Platzwirkung wohl in der emotional geführten Debatte überschätzt wird, schließlich weisen Bäume eine gewisse Durchblickbarkeit auf und sind in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Beständigkeit weniger endgültig als bauliche Raumeingriffe. Doch der Ärger der Kritiker: ist nachvollziehbar, schließlich wurde in der Prozessentwicklung mehr als ungeschickt agiert.

Intransparentes Vorgehen

Das A und O jeder Planung im öffentlichen Raum ist die Durchführung eines interdisziplinären Entwurfsfindungs- und Planungsverfahrens, das unterschiedliche fachliche Sichtweisen einbezieht und Ergebnisse transparent und öffentlich kommuniziert. Ob das in Form eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen muss, sei dahingestellt. Was am Michaelerplatz jedoch passiert ist, war das Gegenteil von transparent.

Schon seit Jahren ist bekannt, dass auf dem historischen Platz etwas im Gange ist, Details blieben lange im Verborgenen. Erst als der Entwurf des durch die Anrainer:innen beauftragten Architekten Paul Katzberger publik wurde, reagierte die Politik auf die immer lauter werdende Kritik der Fach-Community. Dass das zu einem Zeitpunkt passierte, als die Projektentwicklung mehr oder weniger abgeschlossen war, stößt Beteiligte verständlicherweise vor den Kopf. Ganz abgesehen von einer ordentlich organisierten, breit und öffentlich angelegten Fachdebatte, die der Platz inmitten des Unesco-Weltkulturerbes verdient hätte.

Ein solcher Dialog wäre nicht nur die Chance für eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit der besonderen Aufgabenstellung am Michaelerplatz gewesen, sondern hätte im besten Fall auch wertvolle Beiträge für andere derartige Projekte geliefert. Denn bedenkt man das Voranschreiten des Klimawandels, so kann davon ausgegangen werden, dass sich das Problem schon bald an einem der zahlreichen weiteren baumfreien historischen Platzanlagen in der Wiener City wiederholen wird. Zumindest könnten einige Plätze, die bereits lange auf den Umbau-Wunschlisten stehen, schattenspendende Bäume vertragen, etwa der verkehrsumbrandete Schwarzenbergplatz oder der für den ruhenden Verkehr genutzte Hohe Markt.

Keine größeren Projekte vorgesehen in Wien

Was die Diskussion rund um die Umgestaltung des Michaelerplatzes jedenfalls deutlich gemacht hat, ist, dass man grundsätzliche fachliche Entscheidungen nicht sich selbst und schon gar nicht der Politik überlassen darf. Die Aussage der Planungsstadträtin Sima gegenüber der „Presse“ vor wenigen Tagen, es seien in der Wiener Innenstadt in dieser Legislaturperiode keine größeren Projekte mehr vorgesehen, trägt wenig zur Aufklärung bei.

Planer:innen, die bekanntlich gewohnt sind, in langen zeitlichen Horizonten zu denken, halten zu Recht an der Frage fest, wie die Stadt mit dem denkmalgeschützten historischen Bestand in Zeiten steigender Temperaturen umgehen wird – gerade in künftigen Legislaturperioden.

9. Februar 2024 Spectrum

Novellen im Klimaschutz: Diese Bäume dürfen wachsen!

Viel zu billig konnten Immobilienentwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesnovellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesitzer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

Der voranschreitende Klimawandel verlangt nach kühlendem Ausgleich für hitzegeplagte Städte – neben grünen Parkanlagen sind Bäume das effektivste Mittel der Wahl: Sie kühlen ihre Umgebung wie keine andere Pflanze und binden beachtliche Mengen an klimaschädlichem CO2. Doch die gewünschte Klimawirkung kommt nur dann zum Tragen, wenn der Baum gesund und vital eine gewisse Größe erreicht, nicht bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt oder gar frühzeitig gefällt wird.

Um die richtigen Weichen zu stellen, hat die Wiener Stadtregierung nun ihr Baumschutzgesetz nachgeschärft. Beinahe zeitgleich und ebenfalls zugunsten des Schutzes und Erhalts unserer Bäume hat das Justizministerium auf Bundesebene einen Gesetzesentwurf zur Baumhaftungslösung in Begutachtung geschickt.

Im Gegensatz zu anderen Städten hatte Wien schon bisher ein strenges Baumschutzgesetz. Grundbesitzer:innen, egal ob Bauträger:innen oder Private, die ihren Baumbestand loswerden wollen, müssen sich das Vorhaben behördlich bewilligen lassen. Sofern der Baum nicht krank oder gefährdend ist, wird für jeden gefällten Baum eine Ersatzpflanzung vorgeschrieben; sofern aus Platzmangel nicht möglich, sind Ausgleichsabgaben zu leisten.

Der für Klimafragen und Bäume zuständige Wiener Stadtrat Jürgen Czernohorszky hat mit Amtsantritt 2020 eine große Baumoffensive angekündigt. Tatsächlich wachsen jährlich Tausende neue Bäume auf Wiens Straßen, Plätzen und in Parks. Verärgerung gibt es vonseiten der Wählerschaft nur, weil im Rahmen der Klimaoffensive an einem Ende der Stadt junge „coole“ Klimabäumchen gepflanzt und zeitgleich am anderen Ende klimawirksame Großgehölze bei Stadt- und Quartiersentwicklungen zu Hunderten gefällt werden.

Daher will der Stadtrat mit einer soeben in Kraft getretenen Novelle des Wiener Baumschutzgesetzes dafür sorgen, „dass mehr Bäume geschützt und weniger gefällt werden und die nachgepflanzten Bäume eine noch höhere Qualität haben“. Denn Bestandsbäume überleben größere Bauvorhaben auf dem Grundstück nur vereinzelt, und für Ersatzbäumchen gibt es zwischen den maximal dimensionierten Baukörpern auch nur bedingt Platz.

5000 Euro für jeden abgeholzten Baum

Der Baumbestand wurde den Immobilienentwickler:innen bisher viel zu billig zur Rodung überlassen. Schließlich konnten Fällungen mit Beträgen abgegolten werden, die in der Immo-Branche kaum der Rede wert sind. Mit dieser Praxis soll nun Schluss sein. Die Gesetzesnovelle schreibt Ersatzbaumpflanzungen mit größerem Stammumfang und Kronenvolumen vor, damit diese möglichst rasch klimawirksam werden. Eine angehobene Ausgleichsabgabe von 5000 Euro statt bisher 1090 Euro je gefällten Baum soll mehr zweckgebundenes Geld für den Baum- und Klimaschutz zur Verfügung stellen.

Auch sinnvoll scheint die nun eingeführte Möglichkeit, Ersatzpflanzungen nicht nur auf dem Grundstück oder im Bereich von 300 Metern unterbringen zu müssen, sondern auf freie Flächen im Bezirk zurückgreifen zu können. Schließlich macht ja auch der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze halt. Gegen rechtswidriges Verhalten will die Stadt künftig noch schärfer vorgehen, etwa durch die Vorschreibung von Wiederherstellungsmaßnahmen und eine Erhöhung der Verwaltungsstrafen auf bis zu 70.000 Euro.

Die Frist, bis wann eine Ersatzpflanzung als erfüllt gilt, wird von fünf auf zehn Jahre ausgedehnt, wodurch der Bestand der Ersatzbäume länger gesichert werden soll und ein größeres Bemühen hinsichtlich Baumqualität, Anwuchspflege und Ausfallsnachpflanzungen erwartet werden kann.

Lob zur Novelle gab es von Baumfachleuten, aber auch vom pinken Koalitionspartner und den Grünen. Die geäußerte Skepsis der Bauträger:innen, insbesondere jener, die laufende Projektvorhaben abwickeln, war erwartbar. Sie stoßen sich daran, dass die Novelle rückwirkend mit Jänner in Kraft getreten ist und sie nun auf Basis der neuen Gesetzesgrundlage kalkulieren müssen. Das könnte Projektbudgets empfindlich belasten. Berechnet man beispielsweise die Ausgleichsabgabe für 50 gefällte Bestandsbäume, so kann sich im Wechsel zwischen alter und neuer Regelung eine Kostendifferenz von rund 200.000 Euro ergeben.

Zudem bleiben Fragen offen, die sich wohl erst in der angewandten Praxis klären lassen. Denn laut Novelle liegen manche Entscheidungen im „Ermessungsspielraum“ des zuständigen behördlichen Sachbearbeiters, der „nach örtlichen Gegebenheiten“ beurteilen kann.

Grundlos zurückgeschnitten

Die „Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ ist Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms. Auch wenn dieses im Wahljahr wohl nicht mehr allzu viel wert ist, hat sich die umsetzungszuständige Justizministerin Alma Zadić dennoch die Mühe gemacht und eine lange und mit Nachdruck geforderte Gesetzesnovelle zu den bundesweit gültigen Baumhaftungsbestimmungen vorgelegt, mitgetragen vom Koalitionspartner. „Überstrenge Haftungsregelungen führten bislang dazu, dass Bäume oft frühzeitig und ohne gewichtigen Grund zurückgeschnitten oder gar gefällt wurden“, so Zadić. Mit der Novelle sollen Bäume und ihre wichtige Klimafunktion nun besser geschützt werden.

Derzeit orientiert sich die Haftung für Bäume in Ermangelung einer eigenen gesetzlichen Regelung an jener der Gebäudehaftung. Diese sieht eine sogenannte Beweislastumkehr vor, wonach – anders als im Schadensersatzrecht – nicht der Geschädigte das sorgfaltswidrige Handeln des Baumbesitzers nachweisen muss. Vielmehr haben Baumeigentümer:innen im Schadensfall zu belegen, dass Kontrollen und Schnittmaßnahmen durchgeführt wurden. Besonders im stark frequentierten städtischen Bereich, in dem Stadtgartenämter für Zigtausende Bäume verantwortlich sind, wird daher vorsichtshalber eher zu viel als zu wenig geschnitten oder im Zweifel gefällt.

Die geplante Gesetzesnovelle, die noch bis 21. Februar in Begutachtung ist, sieht eine Aufhebung der umstrittenen Beweislastumkehr vor. Somit müssten künftig also Geschädigte die Verletzung der Sorgfaltspflichten beweisen. Zudem soll zwischen Bäumen in stark frequentierten Bereichen und solchen in abgelegeneren Gebieten unterschieden werden. Wälder sind nicht von der Gesetzesnovelle betroffen, für sie gelten die Regelungen des Forstgesetzes, das erst Ende 2023 hinsichtlich Klimafitness novelliert wurde.

Erstaunt haben bei den Vorlagen beider Gesetzesnovellen der fast einstimmige Zuspruch seitens der Fachwelt sowie der politische Konsens. So einig sind sich Parteien in Umwelt- und Klimafragen selten.

17. November 2023 Spectrum

Supergrätzl: Wien sollte von Barcelona lernen

Barcelona zeigt mit seinen ­Superilles vor, wie Städte mehr Lebensraum für Bewohner:innen schaffen können. Grundlage ist Überzeugungskraft, die nicht ­immer politisch belohnt wird.

Wer derzeit Barcelona besucht, bekommt ein anschauliches Bild, was ­ambitionierte Stadttrans­formation im 21. Jahrhundert bedeuten kann. Bereits seit einigen Jahren werden in der spanischen Metropole die in Planerkreisen hochgelobten Superilles, international auch Superblocks genannt, umgesetzt. Das Prinzip ist denkbar einfach, aber äußerst wirkungsvoll: Innerhalb der für Barcelona typischen rasterförmigen Bebauungsstruktur schließt man Zufahrtsstraßen für den motorisierten Durchzugsverkehr ganz oder teilweise. So entstehen Straßen und Kreuzungen, die vor allem den Menschen und ihren Bedürfnissen zur Verfügung stehen: Bäume, Grünflächen, neue Sitzgelegenheiten und Spielgeräte – das alles soll die ­Lebensqualität der Bevölkerung in den Superilles verbessern.

Ausschlaggebend für die Entwicklung der Superblocks waren die zunehmend schlechte Luftqualität und klimawandelbedingte Hitzewellen. Gepaart mit fehlendem Grün- und Bewegungsraum, führte das in manchen Teilen zu massiven Problemen. Eines der ersten Transformationsgebiete war das weitläufige Viertel Eixample. „Der Plan der groß­flächigen Stadter­weiterung Eixample von Alfonso Cerda aus dem 19. Jahrhundert beruht auf einem strengen Rastersystem“, erklärt Jürgen Furchtlehner, wissen­schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) an der Boku Wien. „Auf die ursprünglich vorgesehenen Parkanlagen hat man bei der Umsetzung des Plans verzichtet.“ Stattdessen brauste der immer stärkere Stadtverkehr durch die Straßen des Viertels. Im Jahr 2015 wurde die links-grüne Politikerin Ada Colau mit dem Wahlversprechen „Lasst uns die Straßen mit Leben füllen!“ Bürgermeisterin und versuchte mit der Einführung der Superilles mehrere Probleme in den Griff zu bekommen: Verkehr, Gesundheit, ­Soziales und Klima.

„Kiezblocks“ in Berlin, „Supergrätzl“ in Wien

„Das ursprüngliche Konzept der Maßnahme umfasst ein Raster von drei mal drei Baublöcken mit reduziertem Pkw-Durchzugsverkehr“, weiß Furchtlehner, der sich mit seinem Team am ILA bereits seit einigen Jahren dem Thema der nutzungserweiterten Straßenräume widmet und unlängst mit Studierenden Barcelona besuchte. „Im Inneren der verkehrsberuhigten Blocks werden über 80 Prozent des Kfz-Verkehrs reduziert. Die oft befürchtete Verlagerung auf umliegende Straßen fällt moderat aus, denn das Verkehrsaufkommen verringert sich durch die Attraktivierung der Quartiere. Der Superblock schafft mehr Platz für Begrünung und Erholung, Sport oder Spiel.“

Die anfangs lediglich als temporäre Interventionen angelegten Superblocks werden seither kontinuierlich erweitert und nach und nach in das Stadtbild Barcelonas übernommen. Zudem wird das Konzept mittlerweile losgelöst vom ursprünglichen Rastersystem angewandt. Diese Anpassung an lokale Gegebenheiten macht die Übertragung auf andere Städte möglich, die kaum im strikten Blockmuster errichtet wurden. In Berlin etwa entstehen derzeit „Kiezblocks“, und Wien rief 2022 im zehnten Wiener Gemeindebezirk ein „Supergrätzl“ ins Leben. Favoriten ist einer der einkommensschwächsten und am dichtest bebauten Bezirke Wiens, die Bewohner:innen sind in Sachen Grünraumgerechtigkeit benachteiligt.

Keine Durchfahrt für Autos

Wohl ein entscheidender Grund, warum sich Planungsstadträtin Uli Simma und Bezirksvorsteher Marcus Franz, beide SPÖ, für den nicht ganz einfachen Standort zwischen Gudrunstraße, Leebgasse, Quellenstraße und Neilreichgasse als Pilotgebiet für die Umsetzung der Superblock-Idee entschieden haben. In einer Testphase wurden die Wünsche der Bewohner:innen einbezogen, unter Federführung des Studio LAUT Landschaftsarchitektur und urbane Transformation gemeinsam mit den Verkehrsplaner:innen von Rosinak & Partner wurde eine neue Verkehrsorganisation eingeführt. Begleitet durch farbliche Bodenmarkierungen und Gehsteigvorziehungen wurden sogenannte Modal- und Diagonalfilter errichtet, die seither Autofahrer:innen, jedoch nicht Radfahrer:innen an der Durchfahrt hindern. Vor der örtlichen Mittelschule Herzgasse wurde eine neue Fußgängerzone verordnet.

Durch all diese Maßnahmen entstand neuer, für Menschen und zur Klimakühlung nutzbarer Freiraum. Derzeit wird das tem­poräre Supergrätzl in eine dauerhafte Umsetzung geführt, Grundlage sind die Planungen des Wiener Büros EGKK Landschaftsarchitektur. Neben 62 neuen Baumpflanzungen sehen die Landschaftsarchitekt:innen zahlreiche kleine Grünflächen im Straßenraum und in Kreuzungsbereichen vor. Die erste Bauphase soll bereits im Herbst 2024 abgeschlossen sein.

Super-Welle schwappt über Europa

Die Kritik am Supergrätzl ist erstaunlich verhalten. Das verwundert, schließlich ist die Einschränkung von Autofahrer:innen ein hitzig diskutiertes Thema. Doch die Entlastung der Anrainer:innen überzeugt, dabei sehen diese dem Supergrätzl laut Berichten eher gleichmütig entgegen. Bleibt zu hoffen, dass die Favoritner:innen sich ihre Gelassenheit bewahren können. Denn ein schwerwiegender Kritikpunkt an dem Konzept ist die durchaus realistische Befürchtung, dass die gelungene Stadtraumaufwertung nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Immobilienpreise wird steigen lassen. Die Politik ist gefordert, sich gegen eine Verdrängung der ansässigen Bevölkerung stark zu machen. Bislang wird dieser Problematik wenig entgegengesetzt, es würden die Einflussmöglichkeiten fehlen.

So leichtfertig mit derart gravierenden Veränderungen umzugehen ist politisch ungeschickt. Dabei könnte man von Barcelona durchaus mehr als nur gelungene Stadttransformation lernen. Die für den Superblock verantwortliche Bürgermeisterin Colau wurde nach zwei Amtsperioden abgewählt. Das Sagen hat nun der sozialistische Jaume Collboni Cuadrado, der zwar die Superilles schon als Vizebürgermeister unterstützt hat, damit jedoch nicht auf Kurs mit seinem konservativen Koalitionspartner liegt. Ob der begonnene Weg in Barcelona fortgesetzt werden kann, bleibt ungewiss. Fest steht aber, dass die Super-Welle gerade über Europa schwappt und hoffentlich viele sinnvolle Entwicklungen anstoßen wird.

20. August 2023 Spectrum

Wiens Grün ist ungerecht verteilt

Während man mühsam nachträglich Oberflächen begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Pflanzen findet man oft nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen.

Wien gilt als eine der grünsten Metropolen der Welt. Mehr als die Hälfte der Stadt besteht aus Parks, Wäldern und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Doch das viele Grün ist alles andere als gerecht verteilt. Während die privilegierten westlichen Bezirke mit bis zu 70 Prozent ihrer Fläche über reichlich Grünräume verfügen, sind Bewohner:innen der innerstädtischen Bezirke mit teils nur zwei bis drei Prozent benachteiligt. „Das ist nicht nur ungerecht, sondern bereits heute ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels zunehmend verstärkt“, so Daniela Lehner, Landschaftsarchitektin, Wissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur und Mitautorin der durch die Arbeiterkammer Wien beauftragten Studie „Grün­raumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“.

Um den gewünschten Mindestgrünflächenbedarf je Einwohner:in durchzusetzen, wurden im Wiener Fachkonzept Grün- und Freiraum des Stadtentwicklungsplans (Step 2025) Kennzahlen definiert. Damit hätte die Stadt ein grundsätzlich funktionales Instrument in der Hand, doch die Sache hat einen Haken. Die Kennzahlen sind rechtlich nicht bindend. Und gerade in der dicht bebauten Bestandsstadt können sie nicht durchgesetzt werden, weil freie Flächen rar sind.
Hilft eine Novelle der Bauordnung?

Derzeit werden Bäume und Beete nachträglich mit großem Aufwand an zahlreichen Stellen gepflanzt. Das ist wichtig, doch während man mühsam und kostenintensiv Oberflächen entsiegelt und begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Dabei würde gerade im Neu- und Umbau der größte Hebel liegen. Dort findet man Begrünung oftmals nur auf den dschungel­artigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen oder Bürger:innen von der Verbauung ihres Umfelds zu überzeugen.

„Grünraum im Wohnumfeld darf keine „Nice to have“-Maßnahme sein, die auf Freiwilligkeit beruht“, sagt Daniela Lehner. Aber wie kann Begrünung stärker als bisher rechtlich verankert werden? Aktuell bietet sich dafür die Novellierung der Wiener Bauordnung an. Es liegt ein Entwurf der Novelle vor, den Expert:innen zwar als Versuch der Stadt anerkennen, Boden und Bäume zu schützen und verstärkt Grünstrukturen bei Bauvorhaben einzufordern. Doch ein richtig großer Wurf wird die Bauordnungsnovelle in der vorliegenden Form wohl nicht werden.

Dabei gäbe es durchaus gangbare Vorschläge vonseiten der Wissenschaft. „Laut Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz müssen bei Neu-, Zu- und Umbauten pro 100 Quadratmeter geschaffener Wohnnutzfläche mindestens 12,5 Quadratmeter für das Parken des Autos zur Verfügung gestellt werden. Für die Herstellung von Grünraum in Relation zur Wohnfläche gibt es jedoch bislang keine verpflichtenden Vorgaben. Hier müssen die Bauträger stärker in die Pflicht genommen werden“, fordert die Studienautorin und empfiehlt die Einführung einer Grünraumverordnung analog zum Stellplatzregulativ.

Wo die bauliche Umsetzung aufgrund fehlender Flächenressourcen nicht möglich ist, könnten zweckgebundene Ausgleichs­abgaben eingeführt werden. Das Schlupfloch der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, wie man es an mancher Stelle in der Bauordnung findet, sollte dabei keine Anwendung finden. Schließlich werden durch bauliche Maßnahmen betriebswirtschaftliche Werte für Bauträger:innen geschaffen. Hingegen fallen für Kommunen durch Verdichtung und Versiegelung Kosten an, auf denen die budgetär ohnehin notorisch schwächelnden Bezirke ­bislang sitzen bleiben. Die Grünraum­verordnung wäre ein Interessenausgleich, sofern die gewonnenen Mittel zur Grünraumschaffung im Umfeld eingesetzt werden. So könnten nicht nur Bäume und Grünflächen am oder vor dem Bauplatz errichtet und Fassaden und Dächer begrünt, sondern auch nahegelegene Brachflächen angekauft und in grüne Erholungsräume verwandelt werden. Auch neuer Grünraum auf stadteigenen Flächen könnte geschaffen beziehungsweise könnten bestehende Parks aufgewertet werden.

„Wir haben im Rahmen der Studie vertiefend das Wiener Westbahnviertel untersucht. Das Areal entlang der Westbahntrasse im Bereich des 15. Bezirks ist nicht nur in höchstem Maße oberflächenversiegelt und dicht bebaut, die schlechte Grünraumversorgung betrifft dort vor allem die vulnerablen und sozial benachteiligten Bevölker­ungsgruppen“, be­richtet die Boku-­Forscherin. Mit der Grünraum­verordnung könnten etwa ungenutzte Bahnflächen auf dem ÖBB Westbahn­areal durch die Stadt angekauft und als Freiraum gesichert und aufgewertet werden. Eine Maßnahme, die über das Gebiet hinaus Wirkung hätte, da es sich dabei um Teile der stadtklimatologisch bedeutsamen westlichen Frischluftschneise handelt.
Und was ist mit den Straßen?

Auch Straßen bieten Potenzialflächen für mehr Grünraum. Im Westbahnviertel macht der Straßenraum im Schnitt beachtliche 41 Prozent der Fläche aus, im südlichen Teil des Viertels steht nur ein einziger einsamer Straßenbaum. Doch Straßen, Gehsteige und Plätze werden vorwiegend als Verkehrsraum ­behandelt und über die Straßenverkehrs­ordnung (StVO) geregelt. Man kann sich vorstellen, dass die Begrünung dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Ist das der Grund, warum Straßen und Plätze in Wien bislang zu wenig Grün aufweisen? „Ohne Widmung können nur schwer Qualitätsstandards hinsichtlich Begrünung, Ausgestaltung und Aufenthaltsqualitäten definiert und stadtweit eingefordert werden. Die Schaffung einer Widmungskategorie Öffentlicher Raum, die mit der Herstellung und Erhaltung neuer Qualitäten einhergeht, könnte viel bewirken“, so Lehner.

Neben der unzulänglichen Debatte, ob naturräumlich hochwertige Stadtentwicklungsgebiete wie das Donaufeld oder Rothneusiedl vor dem Hintergrund des Klima­wan­dels überhaupt bauwirtschaftlich verwertet werden sollten, besteht wohl auch für den Umgang mit der Bestandsstadt reichlich Diskussionsbedarf. Verbesserungsvorschläge gäbe es genug.

23. Mai 2023 Spectrum

Ein Ortskern in Niederösterreich: Belebt und klimafit

Ohne es zu beabsichtigen, wurde das niederösterreichische Lanzenkirchen durch eine Ortskernentwicklung zur Pioniergemeinde in Sachen Klimafitness. Der Grund waren Verzögerungen, die das Bewusstsein für Klimawandelanpassung gestärkt haben.

Es ist eine traurige Entwicklung, von der viele Gemeinden bereits seit Jahrzehnten betroffen sind: dem Sterben der Ortskerne. Zeitweise scheint das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund zu rücken, doch mit der gestiegenen Aufmerksamkeit für Klimathemen erfährt auch die Materie der Ortskernbelebung wieder mehr Beachtung. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Der sogenannte Donut-Effekt tritt in Städten und Gemeinden dann ein, wenn sich die Funktionen der täglichen Versorgung vom Ortskern an die Peripherie und das Wohnen aus dem Zentrum in Einfamilienhaussiedlungen an den Stadtrand verlagern. Diese Entwicklung hat einen enormen Flächenfraß und ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zur Folge – beides extrem klimaschädlich. Nun kommt seit einigen Jahren ein weiterer Aspekt hinzu: die Klimawandelanpassung.

Wenn Gemeinden Maßnahmen zur Aufwertung der Ortskerne setzen, geschieht dies meist, um diese wirtschaftlich zu beleben. Man will Geschäfte und soziales Leben zurück in die Zentren bringen, wofür es eine entsprechend funktionale und ansprechende Gestaltung braucht. „Um aber nachhaltige Aufenthaltsqualitäten zu schaffen, muss die Anpassung an den Klimawandel berücksichtigt werden“, erklärt Pia Knappitsch, Geschäftsführerin des 2020 ins Leben gerufenen Vereins Klima Konkret.

Schließlich ist die steigende Hitze längst nicht mehr nur in Großstädten ein Thema, der Wandel ist auch in kleineren Orten deutlich spürbar. Die Gemeindepolitik ist gefordert zu handeln, doch das geht derzeit viel zu langsam. „Für Gemeinden ist es noch nicht die oberste Priorität, den Ortskern klimafit zu machen“, teilt Knappitsch ihre Erfahrungen. Die Aufgabe einer entsprechenden Planung ist komplex, weil unterschiedliche Fachbereiche zusammengeführt werden müssen.
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Wie gelingt die Transformation?

„Für Gemeinden kann das eine Überforderung darstellen, die oft zum Stillstand führt“, so Pia Knappitsch. Klima Konkret hat daher einen Klimafahrplan in Form einer Faltkarte für Gemeinden erarbeitet, die exemplarisch und anschaulich Maßnahmen aus den Bereichen Grün- und Freiraum, Architektur und Mobilität zeigt. Parallel dazu bietet die Initiative Beratungsworkshops für interessierte Städte und Gemeinden an, die nicht wissen, wie und wo der Transformationsprozess gestartet werden kann.

Der von Vertreter:innen unterschiedlicher planungsrelevanter Fachbereiche initiierte Verein unterstützt ergänzend zu vorhandenen Programmen wie etwa dem österreichweiten Anpassungsnetzwerk KLAR! oder den Klima- und Energie-Modellregionen (KEM). Klima Konkret zielt auf die Übertragung bereichsübergreifender Maßnahmen in Masterpläne ab. „Wir möchten hier eine Schnittstelle schaffen, die Gemeinden mit kompetenten Planer:innen zusammenbringt. Es gibt viele Schrauben, an denen wir zusammen drehen müssen. Nur der richtige, für jede Gemeinde individuell zu erarbeitende Maßnahmenmix führt zu positiven Synergieeffekten“, weiß Daniel Zimmermann, Mit-Initiator von Klima Konkret und Inhaber des auf Klimaplanung spezialisierten Büros 3:0 Landschaftsarchitektur.

Jedenfalls auf die richtigen Maßnahmen hat die niederösterreichische Gemeinde Lanzenkirchen im Bezirk Wiener Neustadt-Land gesetzt. In der rund 4000 Einwohner starken Gemeinde gab es den Wunsch, mehr Leben in einen Ortskern zu bringen, den es räumlich eigentlich nicht gab – das Gemeindeleben spielte sich entlang einer wenig einladenden Straße ab. Durch den bevorstehenden Abriss von alten Gebäuden hatte sich die Chance einer groß angelegten Neustrukturierung des Zentrums ergeben – die Klimawandelanpassung war ursprünglich kein Thema gewesen.

Nach einem von 3:0 Landschaftsarchitektur gewonnenen Wettbewerb zur Ortskernentwicklung 2014 ist erst einmal lange gar nichts passiert. „Es gab bürokratische Hürden, die Verzögerungen waren aber im Nachhinein betrachtet ein Glück. Denn in diesen Jahren konnten sowohl wir im Büro als auch die Gemeinde wichtige Erfahrungen in Sachen Klimawandelanpassung sammeln, die in das Projekt eingeflossen sind. Das Klimathema ist zudem stärker ins Bewusstsein der Gemeinde gerückt, schließlich hatte Lanzenkirchen immer wieder mit den Folgen von Starkregenereignissen zu kämpfen“, so der Landschaftsarchitekt.

Beete ersetzen versiegelte Flächen

Die Versiegelung im Zentrum hat nicht nur die steigenden Temperaturen befeuert, sondern bei intensiven Regenfällen auch die Abwasserinfrastruktur überlastet. Bevor der Erneuerungsprozess endgültig startete, hat 3:0 daher das ursprüngliche Wettbewerbskonzept überarbeitet und in einen funktional und gestalterisch stimmigen Entwurf gegossen, der bis 2020 umgesetzt wurde.

Dem neu errichteten Gemeindezentrum wurde ein zentraler Platz mit attraktivem Brunnen vorgelagert. Die zur Beschattung eingebrachten Ulmen und Silberlinden wurden in Schwammstadtbauweise eingerichtet; die klimaresistenten Baumarten haben reichlich Platz für das Entfalten ihrer Wurzeln und für den Rückhalt von Regenwasser erhalten. Dieses System stärkt die Gehölze, die durch die großen Wurzelräume und die gute Wasserversorgung alterungsfähig und rascher klimawirksam werden. Zudem wurden versiegelte Oberflächen durch großzügig dimensionierte und üppig bepflanzte Beete ersetzt, über die auch Regenwasser in das Schwammstadtsystem eingespeist wird.

Das Zentrum von Lanzenkirchen wird heute sowohl im Alltag der Menschen als auch bei Veranstaltungen genutzt – im vergangenen Sommer wurde der neue Hauptplatz auch an heißen Tagen dank schattenspendender Bäume, kühlender Beete und des belebenden Brunnens gut angenommen. Und, so berichtet der Landschaftsarchitekt, seit dem Umbau wurde schon durch einige Starkregenereignisse bewiesen, dass die Schwammstadt funktioniert.

Auf die Frage, was aus seiner Sicht das größte Hemmnis für Gemeinden ist, meint der erfahrene Planer: „Lanzenkirchen hat Pioniergeist bewiesen und sich aus eigener Kraft für die nächsten Jahrzehnte gerüstet. Doch nicht jede Gemeinde ist für eine solch ganzheitliche Transformation wirtschaftlich ausgestattet. Hier sind umfangreichere ökonomische Hilfestellungen notwendig, damit sich auch finanzschwächere Gemeinden vorbereiten können.“

Bund und Länder sind gefordert, denn für Klimaanpassung gibt es enormen Finanzierungsbedarf. Studien belegen indes klar, dass die Behebung von Folgeschäden jedenfalls teurer kommen wird. Schlauer wäre es also, öffentliche Gelder in Millionenhöhe künftig in die vorsorgende Aufwertung unserer Ortskerne zu investieren – statt in die nachträgliche Schadensbehebung.

27. März 2023 Spectrum

Mariahilf und Neubau: Machen wir unser Grätzl klimafit

Unsere Lebensqualität hängt stark davon ab, wie grün die Städte sind. In den Wiener Bezirken Mariahilf und Neubau startet das Projekt Grätzltransformer: Bewohner und Eigentümer investieren in Maßnahmen zu vereinbarten Klimazielen. Werden diese erreicht, kommt es zur Rückzahlung – plus Zinsen.

Der Klimawandel wird für Österreich sehr teuer. Das Überschreiten der EU-Klimaziele wird den Staat laut Prognosen des Rechnungshofes aus dem Jahr 2021 rund neun Milliarden Euro an Kompensationszahlungen kosten – Geld, das besser in Projekten zu Klimaschutz oder Klimawandelanpassung angelegt wäre, da diese nicht nur Strafzahlungen obsolet machen, sondern auch die Klimafolgen abschwächen könnten. Die Klimakrise verursacht gigantische Folgekosten, die vom Rechnungshof mit jährlich rund einer Milliarde Euro beziffert werden. Während die Klimapolitik nach wie vor keine klaren Ansagen macht und schon von erwartbaren 2°C-plus-Szenarien die Rede ist, betont der Weltklimarat IPCC in seinem soeben veröffentlichten Synthesebericht die Bedeutung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Eine dieser Maßnahmen ist die Begrünung von Städten: Pflanzen kühlen ihre Umgebung und binden CO2, zudem sind Begrünungsmaßnahmen recht unkompliziert und mit überschaubaren Mitteln umsetzbar. Dennoch nimmt die grüne Transformation unserer Städte nur langsam Fahrt auf. Besonders in der Bestandsstadt scheint der grüne Umbau ein kaum zu stemmender Kraftakt. „Strukturelle, organisatorische und rechtliche Hindernisse geben sich in der Praxis die Hand“, weiß Doris Schnepf von Green4Cities, einem Planungsbüro, das sich auf die Forschung, Entwicklung und Umsetzung klimawirksamer grüner Infrastruktur in Städten spezialisiert hat. Natürlich sind auch die Kosten ein allgegenwärtiges Problem, doch sollten gerade Investitionskosten kein Hindernis darstellen. Zumal es vonseiten der Wissenschaft klare Aussagen gibt: Nichthandeln ist immer die teuerste Variante, Folgeschäden sind langfristig wesentlich kostspieliger.

Investitionen in den Ausbau grüner Infrastruktur rechnen sich daher, jedenfalls volkswirtschaftlich, denn die zahlreichen positiven Effekte vermeiden Klimafolgekosten auf unterschiedlichen Ebenen. Doch das Problem, das Freiraumprojekte seit jeher begleitet, ist: Die positiven Effekte von Grün bilden sich monetär nicht dort ab, wo die Errichtungs- und Erhaltungskosten anfallen.

CO2-Bepreisung als Schlüssel

Begrünungsmaßnahmen im öffentlichen Raum werden derzeit gerne aus EU-Sonderfördertöpfen teilfinanziert, einen Teil trägt die Stadt. In Wien werden etwa über das Förderprogramm „Lebenswerte Klimamusterstadt“ bis 2025 jährlich 20 Millionen Euro an grüne Infrastrukturprojekte vergeben. Die Grünraumoffensive sieht bis 2025 mehrere Hunderttausend Quadratmeter neuer Parkflächen und 25.000 neue Stadtbäume vor. Das ist erfreulich, doch punkto Kosten ist die Sache damit noch nicht erledigt. Denn die eigentliche Belastung der kommunalen Haushaltsbudgets sind nicht die Herstellungskosten, sondern jener der Pflege- und Erhaltung – diese machen über den Lebenszyklus der Grünanlage gerechnet den größeren Teil aus. Handelt es sich um Grün im öffentlichen Raum, trifft diese Kosten die Stadtgartenämter. Dass die ohnehin notorisch knappen Haushaltsbudgets der Kommunen die Finanzierung der Klimatransformation nicht werden stemmen können, scheint offensichtlich. Wer soll das also bezahlen?

Mit dem Green Deal und der Einführung der EU-Taxonomie wurden neue Green-Finance-Systeme angestoßen, die uns auch bei der grünen Transformation der Städte helfen können. Die Bundespolitik verfügt über zahlreiche Steuerungsinstrumente, allen voran ein klimaschutzorientiertes Steuer- und Subventionssystem. Österreich hat bereits im Oktober 2022, als Kernstück der ökosozialen Steuerreform, die CO2-Bepreisung eingeführt, um die Kosten klimaschädlichen Verhaltens an die Verursacher weiterzugeben. Die CO2-Bepreisung gilt als einer der wesentlichen Schlüssel zur Klimawende, denn der Staat hat damit auch die Möglichkeit, aus Teilen der Einnahmen Investitionen zur Abwendung der Klimakrise zu finanzieren. Zudem zeigt die Kurswende der EU erste Wirkungen. Ein Drittel der 1,8 Billionen Euro schweren Investitionen aus dem Aufbauplan „Next Generation EU“ und dem siebenjährigen Haushalt der EU dienen der Finanzierung des Green Deals und somit auch nationalen Klimainvestitionen.

In Wirkungen investieren

„Bei der Stadtbegrünung auf Quartiersebene gilt es vor allem Private und Liegenschaftseigentümer:innen mit ins Boot zu holen“, so Doris Schnepf von Green4Cities. Schließlich besteht eine Stadt bei Weitem nicht nur aus öffentlichen Flächen, sondern ist ein kleinteiliges Stückwerk mit unterschiedlichen Besitzverhältnissen und vielfältigen behördlichen Zuständigkeiten. „Um die daraus entstehenden Hürden zu überwinden, müssen wir neue Planungs- und Finanzierungskonzepte standardisieren, die liegenschafts- und sogar quartiersübergreifend wirken sowie die Energiewirtschaft und Mobilitätsplanung einbeziehen. Gemeinsam mit Partnern haben wir daher das Konzept des Grätzltransformers entwickelt“, berichtet die Forscherin.

Dabei handelt es sich um ein organisatorisches Instrument der Entwicklungsplanung, bei dem möglichst viele Bürger:innen und Liegenschaftseigentümer:innen eingebunden werden, um ihr eigenes Grätzl in nur wenigen Jahren klimafit zu machen. Grundlage dafür sind neue Finanzierungsinstrumente wie etwa Environmental Impact Bonds. „Anders als bei herkömmlichen Anleihen stellen Investor:innen Geld für die Umsetzung von Klimamaßnahmen zur Erreichung bestimmter, vertraglich vereinbarter Wirkungen zur Verfügung. Werden diese nachweislich erreicht, kommt es zur Rückzahlung, einschließlich Zinsen.“

Die silo- und liegenschaftsübergreifende Wirkung ist dabei der Schlüssel, denn nur so können Synergien entstehen, und nur so bekommen die Wirkungserreichung- und Payback-Modelle überhaupt erst den nötigen Hebel. „Statt in bauliche Umsetzungen wird in Wirkungen investiert. Das zu finanzierende Ziel ist also nicht etwa die Anzahl von gepflanzten Bäumen, sondern die Erreichung der Reduktion der Temperatur – beispielsweise um gefühlte zehn Grad. Und das funktioniert natürlich nur liegenschaftsübergreifend“, erklärt Doris Schnepf das Konzept, das gerade für Private und auch für weniger finanzstarke Eigentümer:innen eine interessante Option darstellen könnte.

Für den Grätzltransformer, der in einem Pilotgebiet in den Wiener Gemeindebezirken Mariahilf und Neubau gestartet werden soll, gilt es freilich erst ausreichend Beteiligte zu überzeugen, um den beschriebenen Ansatz zu erfüllen. Doch das sollte bei dem verlockenden Kernanreiz kein Problem sein: ertragreich in eine klimataugliche Zukunft mit hoher Lebensqualität im eigenen Grätzl zu investieren.

6. Dezember 2022 Spectrum

Im Klimarat wird nur diskutiert

Die deutschen Landschaftsarchitekten fordern eine Klimapolitik, die Innovationen in der Stadtentwicklung und grüne Infrastruktur fördert. Hierorts werden Fachvertreter in klimarelevanten Gremien nicht einmal berücksichtigt.

Die deutsche Bundesregierung hat beachtliche Maßnahmen für Klimaanpassung und -schutz in Aussicht gestellt: So wurden ein neues Klimaanpassungsgesetz sowie eine nationale -strategie, das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ und eine Reform des Baurechts angekündigt. Dies gab den Anlass für den Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen (BDLA), mit „Essentials zur Klimaanpassung“ den wichtigen Beitrag der Landschaftsarchitektur zur Klimalösung aufzuzeigen und 20 konkrete Empfehlungen an die Bundesregierung zu richten. Gefordert wird eine zukunftsfähige Klimapolitik, die Innovationen in der Stadt- und Landschaftsentwicklung und grüne Infrastruktur fördert. Schließlich geht es um wichtige Aufgaben wie den Bau kühler und wassersensibler Städte oder die Umsetzung von „Nature-based Solutions“ als natürlichem Klimaschutz.

Der Landschaftsarchitektur fehlt es oft an rechtsverbindlichen Reglements, Normen und Orientierungswerten, weshalb der BDLA klimawirksame Planungsinstrumente wie Klima- und Freiraumchecks, verpflichtende Freiraumentwicklungskonzepte und gesetzliche Rahmen fordert. In Deutschland findet das Strategiepapier Beachtung, schließlich ist die Disziplin mit ihren Klimalösungen längst anerkannt, ebenso wie die unabhängige und einflussreiche Fachvertretung BDLA. In Österreich tut sich die Landschaftsarchitektur schwerer. Das Fach hat in den letzten Jahren zwar an Wertschätzung gewonnen, doch die gesetzlichen Vertretungen der freiberuflichen Planungsbüros, also die Kammer der Ziviltechniker:innen und die Wirtschaftskammer, treten – wenn überhaupt – nur zurückhaltend für die Branche ein. Und dem heimischen Pendant zum deutschen BDLA, der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA), fehlt es an Mitteln. Zwar wird die Organisation von einem Großteil der in Österreich tätigen Landschaftsarchitekt:innen ideologisch und finanziell unterstützt, doch schon aufgrund der überschaubaren Größe des heimischen Marktes ist diese Basisfinanzierung begrenzt. Die Aufgaben der ÖGLA als Berufsvertretung müssen somit überwiegend ehrenamtlich gestemmt werden.

Wien als klimaresiliente Stadt?

Die Folge dieser Situation ist, dass die Landschaftsarchitektur nicht nur viel zu leise im sonst recht lauten Getöse der Baukultur- und Klimadebatte bleibt: Expert:innen sind kaum in strategischen oder wissenschaftlichen Gremien und Fachbeiräten vertreten, was sich früher oder später negativ auf unsere krisengeplagten Lebenswelten auswirken wird, schließlich spielt es eine wesentliche Rolle, wer in Beiräten sitzt. Fehlt die landschaftsarchitektonische Kompetenz in den Gremien, fehlt sie früher oder später in der gebauten Realität. Österreich hat bereits 2012 ein strategisches Konzept zur Klimawandelanpassung mit einem umfassenden Aktionsplan zur Umsetzung konkreter Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Für 2023 sieht das zuständige Ministerium für Klimaschutz eine Überarbeitung vor. Für das Aktivitätsfeld „Stadt – Urbane Frei- und Grünräume“ wurde bereits eine große Gruppe von Expert:innen eingebunden – Berufsvertreter:innen der inhaltlich zuständigen Landschaftsarchitektur waren nicht dabei. Die grüne, klimaresiliente Stadt ist das erklärte Ziel – warum das umfassende Fachnetzwerk der ÖGLA bei der Überarbeitung nicht zurate gezogen wurde, ist nicht bekannt. Auf Intervention des Verbandes konnte zumindest nachträglich zur allgemeinen Thematik schriftlich Stellung genommen werden.

Im Bundesministerium für Kunst und Kultur ist das wichtige Thema der Baukultur angesiedelt. Man leistet sich einen Beirat, der Politik und Verwaltung berät. „Dabei ist der Raum zwischen den Gebäuden ebenso wichtig wie die Architektur. Und gerade mit der Thematik des Klimawandels ist es zunehmend von Bedeutung, den zuständigen Kompetenzbereich Landschaftsarchitektur einzubinden“, so Robert Temel, Sprecher der Plattform Baukulturpolitik und eines von 28 Mitgliedern des Beirats. Die Ziviltechnikerkammer hat drei Sitze, die sie an die Fachbereiche Architektur, Raumplanung und Bauingenieurwesen vergibt. Warum die Kammer gerade die für die Baukultur des 21. Jahrhunderts so wesentliche Landschaftsarchitektur vergessen hat? „Der Beirat Baukultur wurde 2008 gegründet, damals hat man einfach zu wenig darüber nachgedacht, welche Disziplinen vertreten sein müssen. Die Plattform Baukulturpolitik setzt sich aber bereits dafür ein, dass die Zusammensetzung angepasst wird“, lenkt Temel ein. Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Verankerung der fachlichen Anliegen auf allen politischen Ebenen und in Dienststellen der Verwaltung.

Fehlende Durchsetzungskraft

Die Wiener Stadtpolitik möchte die Stadt künftig mit reichlich grüner Infrastruktur ausstatten, um für Klimaextreme gerüstet zu sein. Wie dies sowie andere Fragen zum Klimawandel strategisch angegangen werden sollen, diskutiert man im Wiener Klimarat, dem rund 40 Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Praxis, Interessensvertretungen, NGOs und Zivilgesellschaft angehören – Fachvertreter:innen der Landschaftsarchitektur sind nicht darunter.

Simon Tschannett, Stadtklimatologe und Vorsitzender des wissenschaftlichen Advisory Board des Klimarats, lobt die Ambitionen der Stadt, nicht nur Klimaschutz, sondern auch die Anpassung an klimatische Veränderungen zu thematisieren: „Natürlich muss dadurch die Gruppe der Beteiligten entsprechend erweitert werden. Die Landschaftsarchitektur sollte im nächsten Turnus jedenfalls einen Platz bekommen. Aufgrund des Status quo gibt es in vielen Gremien und Beiräten bei Besetzungen bestimmte Zuordnungen.“ Doch vor dem Hintergrund, dass die Klimakrise eine Jahrhundertaufgabe und der Beitrag von Disziplinen wie der Landschaftsarchitektur oder der Stadtklimatologie essenziell ist, sollte man bisherige Vergabeschlüssel überdenken. Dass sich die geänderten Rahmenbedingungen auch in der Zusammensetzung der Beiräte widerspiegeln müssen, davon ist der Klimaexperte überzeugt.

„Die Zahl der in Österreich freiberuflich tätigen Landschaftsarchitekt:innen ist im internationalen Vergleich noch immer relativ klein“, erklärt Landschaftsarchitektin und ÖGLA-Präsidentin Anna Detzlhofer. Was vermutlich – auch – ein Grund für die fehlende Durchsetzungskraft in der Klimapolitik ist. Doch die Fachstimme wird zunehmend lauter, hat die Disziplin doch Wichtiges zur Lösung der Klimakrise, zur natur- und landschaftsverträglichen Energiewende und zum Einbremsen des Artensterbens beizutragen. „Im weiten ÖGLA-Netzwerk sind die nötigen Kompetenzen vorhanden – wir stehen bereit“, bietet Detzlhofer an. Bleibt zu hoffen, dass dieses Angebot künftig angenommen wird.

28. September 2022 Spectrum

Wie hässlich wird die Energiewende?

Eine Novelle zum Gesetz zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Österreichs Energiewende beschleunigen soll, droht diese auszubremsen. Dazu gefährdet sie Umwelt und Landschaft. Wiederholen sich die Fehler von vor 40 Jahren?

Der Klimaschutz fordert schon lange, was die Energiekrise nun beschleunigt: raus aus Kohle und Gas, rein in die Energiewende. Doch Österreich ist ein landschaftlich klein strukturiertes Land: Da es hierzulande unmöglich ist, Hunderte Hektar große Energielandschaften in menschenleeren Gegenden zu errichten, ist die Wende ein Stückwerk. Die Vorhaben müssen in Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) oder naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren begutachtet werden – ein Aufwand, der sich freilich lohnt. Denn Energieanlagen greifen teils erheblich in die Natur ein und können Tiere, Pflanzen, die Luftqualität und natürlich das Landschaftsbild beeinträchtigen, obwohl diese rechtlich gesehen Schutzgüter des Gebiets- und Artenschutzes sind. So kommt es, dass geplante Energiegewinnungsanlagen zwar für den Klimaschutz gut sind, jedoch Anliegen des Umwelt-, Natur- oder Landschaftsschutzes gefährden können. Ein Schutzgut wirkt also gegen andere Schutzgüter, Gut gegen Gut – ein Dilemma.

Solche Patt-Stellungen können in UVP-Verfahren zum Stillstand führen, vor allem wenn sich Fronten zwischen Klima- und Naturschutz verhärten. Umwelt-, Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler versucht dieses Problem nun durch eine Novelle zum geltenden UVP-Gesetz zu lösen. Doch der Entwurf ist unter Expert:innen höchst umstritten. Die vermeintlich gut gemeinten Erleichterungen für die Energieindustrie sind nicht nur rechtlich fragwürdig. „Wir unterstützen die angestrebten Ziele zur Energiewende, doch die Neuerungen stellen aus unserer Sicht keine Verfahrensbeschleunigung dar“, so Paul Kuncio, Rechtsexperte des Umweltdachverbands, der besonders vor einer pauschalierten Priorisierung von Energieprojekten warnt.

Ein in der Novelle geplantes „Fast-Track-Verfahren für Windkraftanlagen“ hebelt die Widmungshoheit der Gemeinden als auch die Landesraumordnungen aus. „Das würde die Flächen jener Bundesländer, die über keine Energieraumplanung verfügen, ohne jegliche fachliche Prüfung über Nacht zu potenziellen Ausbauflächen machen“, erklärt der Umweltrechtsexperte.

Freikauf durch Ausgleichszahlungen

Fachleute sehen darin nicht nur massive Umweltrisiken, auch soziale Konflikte wären vorprogrammiert. Es besteht die Gefahr, dass künftig neben Bürgerinitiativen ebenso die Standortgemeinden als Projektgegner auftreten. „Solche Allianzen der Gegnerschaft führen wohl eher zu einer Verhärtung der Fronten als zu einer Verfahrensbeschleunigung“, meint Thomas Knoll, Ordnungsplaner und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur. Sollte hier jemand für die Windkraft lobbyiert haben, war das wohl ein Schuss ins eigene Knie, denn Rechtsunsicherheiten können zu jahrelangen höchstgerichtlichen Verfahren führen. Der Umweltdachverband kritisiert zudem die geplante Verschiebung von verpflichtenden Ausgleichsmaßnahmen in nachgelagerte Verfahren. Bisher mussten Energieprojekte, die Schutzgüter beeinträchtigen, Ausgleichsmaßnahmen als Genehmigungskriterium vorlegen – das ist nun nicht mehr erforderlich. Ob angekündigte Maßnahmen dieser Art im Nachhinein vollumfänglich erfolgen werden, ist fraglich. Zudem besteht nun die Möglichkeit, sich durch Ausgleichszahlungen freizukaufen. Für Energieunternehmen wohl die leichtere Übung, für den Umweltschutz ein Verlust.

Auf Unverständnis stößt ferner die geplante Neuregelung, wonach wesentliche Änderungen bei bereits genehmigten Vorhaben ohne weitere Bewilligungen unter dem Deckmantel der technologischen Weiterentwicklung vorgenommen werden können. In der Praxis könnte das bedeuten, dass etwa Windräder mit Rotorspitzenhöhen von 200 Metern genehmigt, jedoch solche mit 300 Metern ohne ausreichende Beurteilung der Umweltauswirkungen errichtet werden. Diese entsprechen zwar dem Letztstand der Technik, landschaftsräumlich wären sie jedoch unverhältnismäßig. Von einer Selbstregulierung der Energiebetreiber:innen ist nicht auszugehen, die Möglichkeiten werden deutlich ausgereizt.

Punkto Freiflächen-Fotovoltaik hat man im Klimaministerium die Einführung einer UVP-Pflicht verabsäumt, auch für Großanlagen, die Auswirkungen auf Landschaft, Boden und Biodiversität haben. Für die Sicherstellung einer naturverträglichen Energiewende, die auf größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung stößt, wäre das wichtig gewesen. „Solche Fehler tun der Energiewende nicht gut, sie werden die Umsetzung verlangsamen und Gegenbewegungen fördern“, sagt der in Energieraumplanung erfahrene Thomas Knoll. „Klare Schwellenwerte und eine behördliche Überprüfung helfen den Vorhaben. Auch die öffentliche Debatte macht Projekte besser.“ Doch Letztere wurde an mehreren Stellen der Novelle ausgehebelt.

Rechtliche Ungereimtheiten

Das bedauert auch Paul Kuncio vom Umweltdachverband: „Natürlich dauern Einsprüche seine Zeit, aber die Wissenschaft hat belegt, dass Bürgerbeteiligungsverfahren und Beschwerde-Einsprüche nicht die maßgeblichen Verfahrensverzögerer sind.“ Hier dürfte es anderswo haken, etwa in langen Vorverfahren oder aufgrund von Personalmangel bei den Behörden.

Alles in allem steht zu befürchten, dass die als verfahrensbeschleunigend initiierte Novelle die Verfahren aufgrund rechtlicher und inhaltlicher Ungereimtheiten eher verlangsamen und negative Entwicklungen für die Umwelt zur Folge haben wird. Die lange Vorbereitungszeit des Novellierungsentwurfs lässt darauf schließen, dass die politische Kompromissfindung schwierig war. Der koalitionäre Verhandlungsspielraum dürfte gering, die Umsetzung des Novellenentwurfs daher wahrscheinlich sein.

Können Fehlentwicklungen abgefangen werden? „Die strategische Umweltprüfung (SUP), die den UVP-Verfahren vorgelagert ist, könnte eine wichtigere Rolle als bisher einnehmen. Mehr Rechtsverbindlichkeit der SUP und ihre Stärkung hinsichtlich des Landschaftsbilds, des Bodenschutzes und der sozialen Akzeptanz könnten hilfreich sein“, so Kuncio. Und natürlich wäre die lang geforderte Aufstockung der personellen Ressourcen in Behörden und Verwaltungsgerichten und der Sachverständigen ein Turbo für die Energiewende.

Übrigens: Als in Österreich in den 1980er-Jahren die Wasserkraft ausgebaut werden sollte, wurden ähnliche Fehler gemacht. Durch die Regelung des „bevorzugten Wasserbaus“ konnten Energieträger Kraftwerke ohne Vorab-Bewilligung errichten. Die damaligen Widerstände gegen ein geplantes Donaukraftwerk führten zur Besetzung der Hainburger Au und zur Gründung der grünen Bewegung. Schade, dass es gerade eine grüne Umweltministerin ist, die Fehler der Vergangenheit wiederholt.

22. Juli 2022 Spectrum

Was kühlt die Stadt?

Grün, grüner, am grünsten müssen unsere Städte werden, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu wappnen. Doch ist wirklich alles gut, was gut gemeint ist? In Wien stehen Nebelduschen immer wieder in der Kritik des Greenwashing, und auch eine bepflanzte Fassade hält nicht immer, was sie verspricht.

Eines der ersten EU-Länder, das ein Konzept zur Klimawandelanpassung veröffentlichte, war Österreich. Das war 2012, zu einer Zeit, als man sich noch gerne auf ein Klimaszenario ausgeredet hat, in dem die globale Erwärmung in den Griff bekommen wird. Heute, zehn Jahre später, inmitten einer europaweiten Hitzewelle, wissen wir: Klimawandelauswirkungen werden sich weiter verstärken, und wir müssen etwas tun. Im Fokus stehen dabei Stadträume, dort leben und arbeiten die meisten Menschen; zudem sind Städte besonders hitzegefährdet. Durch den hohen Anteil an versiegelten Oberflächen kommt es zu einem Wärmeverstärkungsphänomen, dem Hitzeinseleffekt, unter dem Menschen zunehmend leiden. Doch gerade der Hitze kann in Städten auf einfache, effektive Weise begegnet werden: durch Pflanzen. Diese sind nicht nur höchst klimawirksam, sie sind auch sehr beliebt.

Green sells, nicht nur bei Architekturwettbewerben, wo dschungelartige Renderings Siege einfahren; wenn Bewohner:innen Mitsprache erhalten, wünschen sie sich Grün, Grün und noch mehr Grün. Daher erscheinen Begrünungsmaßnahmen als gute Strategie. Doch ist wirklich alles gut, was derzeit grünt? Und ist das auch klimawirksam? In Wien tut sich einiges in Sachen Klimawandelanpassung. Neue Parks entstehen, Bäume werden gepflanzt und Straßen zu grünen Aufenthaltsräumen. Leider steigt auch der PR-getriebene Coolnessfaktor Wiens. Coole Straßen, coole Meilen und Coolspots stehen immer wieder in der Kritik des Greenwashing, da Vernebelungsanlagen zum Einsatz kommen, aber nicht nachhaltig wirken.

Bei der Entwicklung von klimafitten Stadträumen arbeiten Planer:innen mit diversen Anpassungsmaßnahmen, jede verfolgt andere Strategien. Bäume sind etwa richtige Klimawunder, sie wandeln das böse CO2 in wichtigen Sauerstoff um und kühlen durch Verdunstung und Beschattung. Leider braucht ein Baum rund 15 Jahre, bis er seine volle Klimawirksamkeit entfalten kann. Nebelduschen sind Sofortmaßnahmen, die während Hitzeperioden rasch Abhilfe schaffen; sie ersetzen aber freilich keinen Baum.

Frische Luft vom Stadtrand

Mit großen stadträumlichen Maßnahmen dreht man punkto Klima an den größten Schrauben. Naherholungsgebiete am Stadtrand oder Parkanlagen wirken wie natürliche Klimaanlagen, Frischluftschneisen transportieren die kühle Luft in den Stadtraum. Bestehende Raumschneisen, wie jene im Westen Wiens, die Frischluft vom Wienerwald bis in die inneren Bezirke bringt, sind von windbremsender Verbauung freizuhalten. Auch bei der Konzeption neuer Stadtteile spielen Windströme eine wichtige Rolle. Expert:innen modellieren daher heute bereits vor Quartiersentwicklungen, ob Baukörper richtig ausgerichtet und Bäume und grüne Infrastrukturen an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Grundsätzlich gilt: Je größer eine Grünfläche, desto klimawirksamer ist sie. Ein mehrere Hektar umfassender Park mit hohem Grünanteil wirkt stärker als ein kleiner Beserlpark. Bei grünen Infrastrukturen kommt die Additivität zu tragen. So kann ein einzelnes Gründach nur punktuell kühlen, hingegen leisten Hunderte Gründächer innerhalb eines Grätzels einen wesentlichen Beitrag.

Apropos Gründächer: Auch Gebäudebegrünungen wird ob des Aufwands für Produktion, Pflege und Erhaltung sowie Bewässerungsbedarf immer wieder Greenwashing attestiert. Solche Aussagen sind jedoch problematisch, denn es gibt sehr unterschiedliche Methoden; Gründächer kommen bereits seit Jahrzehnten zum Einsatz. Es gibt gut erprobte Systeme, die den gleichen Pflegeaufwand haben wie andere Pflanzen. Im Klimawandel spielen Gründächer eine enorm wichtige Rolle, auch was die Speicherung von Regenwasser und die Nutzbarmachung von Flächenressourcen betrifft. Mittlerweile sind sogar Solaranlagen mit Gründächern kombinierbar. Das führt zu einer enormen Effizienzsteigerung von bislang ungenutzten Dachflächen. Fassadenbegrünungen hingegen bedürfen einer genaueren Betrachtung. Hier unterscheidet man bodengebundene von fassadenintegrierten Systemen. Ranker, deren Fuß im natürlichen Boden steht, und die an Fassaden oder Gerüsten wachsen, sind ebenso nachhaltig wie andere Bepflanzungen. Methoden, die Vegetation in fassadenintegrierten Trögen oder Matten an das Gebäude bringen, sind aber hinsichtlich ihrer Ökokreisläufe instabiler. Gerät eine Komponente, etwa die Bewässerung, ins Ungleichgewicht, kommt es zu Ausfällen. Die Pflanze würde von allein kaum an der Fassade wachsen, daher ist der Aufwand punkto Herstellung und Pflege hoch.

Keine Frage des Entweder-oder

Je natürlicher und selbstversorgender Ökosysteme funktionieren, desto positiver ist die Klimabilanz. Ein umfassendes Impact Assessment bezieht nicht nur die positiven Effekte der Bepflanzung ein, sie stellt diese dem Aufwand der Herstellung, Pflege und Erhaltung gegenüber. In dieser Rechnung schlagen herkömmliche Grünräume jede hoch technisierte grüne Infrastruktur – noch, denn die Forschung läuft auf Hochtouren, vielversprechende technische Lösungen entstehen. Und das ist gut so, denn wir werden sie brauchen.

Die Debatte um Greenwashing von Begrünungsmaßnahmen führt dabei oft auf die falsche Fährte, denn schließlich ist es längst keine Frage des Entweder-oder mehr. Städte zu begrünen, was das Zeug hält, das ist das Gebot der Stunde – besonders vor dem Hintergrund, dass Pflanzen längst nicht nur Kühlfunktionen erfüllen. Die soziale Komponente, aber auch der Artenschutz sind zumindest gleichbedeutend.

Bedenkt man, dass nicht nur die Herstellungskosten der notwendigen Begrünungsmaßnahmen, sondern auch die höheren Pflege- und Erhaltungskosten gedeckt werden müssen, fragt man sich, wie die knappen Haushaltsbudgets der Kommunen das finanzieren sollen. Dazu eine klare Aussage der Wissenschaft: Investitionen in Ökosystemleistungen rechnen sich im Klimawandel. Bei den Kosten für Anpassungsmaßnahmen gilt genau wie beim Klimaschutz, dass Nichthandeln immer die teuerste Variante ist, denn Folgekosten durch spätere Schäden sind langfristig wesentlich höher. Zudem werden künftig auch private Investor:innen eine größere Rolle spielen. Der „European Green Deal“ zeigt Wirkung und stößt neue Green-Finance-Systeme an. Um Kapital für klimawirksame Investitionen zu beschaffen, können etwa Green Bonds, grüne Anleihen, ausgegeben werden. Was als klimawirksam gilt, legt die EU-Taxonomie fest. Dass das nicht friktionsfrei ist, zeigt die Fehlentscheidung, Energie aus Atomkraft und Erdgas als „grün“ einzustufen.

20. Mai 2022 Spectrum

Das Wiener Cottage-Viertel: Wie ein einziger Garten

150 Jahre Cottage-Viertel in Währing und Döbling: Dem einstigen Traum vom gesunden Wohnen verdanken wir eine der nobelsten und grünsten Wohngegenden Wiens – doch ist das Konzept noch zeitgemäß?

Freie Aussicht, (. . .) Licht und Genuss frischer Luft sowie keine Dünste oder üble Gerüche (. . .) Lärm oder mögliche Feuergefahr.“ Mit dem einstigen Slogan des Wiener Cottage-Vereins würden Immobilienmakler heute Traumliegenschaften wie jene des Währinger und Döblinger Cottage vermutlich nicht mehr bewerben. Dabei haben sich die Rahmenbedingungen kaum geändert. Das ist zu einem Teil dem Gründerverein geschuldet, der heuer sein 150-jähriges Bestehen feiert.

Das Einfamilienhaus mit großem Garten in Grünruhelage am Stadtrand mag für unser heutiges stadtplanerisches Werteverständnis nicht mehr zeitgemäß sein. Zumal die Villen der „Kotteesch“, wie das Nobelviertel bei Eingesessenen heißt, für viele unerschwinglich sind. Doch geht das Cottage-Viertel auf ein ambitioniertes Sozialprojekt zurück, das die Verbesserung der Lebensbedingungen der Mittelschicht verfolgte. Die Gründerväter, allen voran der Wiener Architekt Heinrich von Ferstel, suchten im ausklingenden 19. Jahrhundert eine Alternative zu den Wohnungen in Zinskasernen in der von Industrie geprägten Großstadt Wien. Die Innovation lag in der städtebaulichen Idee der Gartenstadt. Ein ganzes Viertel sollte nach dem Leitgedanken des gesunden und leistbaren Wohnens für Familien in Eigentumshäusern mit offener Bauweise, Garten und grüner Umgebung geschaffen werden. Vor allem aber war die Herangehensweise hierzulande gänzlich neu, denn die private Quartiersentwicklung erfolgte über einen gemeinnützigen Errichtungsverein: den Wiener Cottage-Verein.

Der Verein konstituierte sich 1872, und Ferstel formulierte gemeinsam mit einigen einflussreichen Mitstreitern die Rahmenbedingungen für die städtebauliche Entwicklung eines Cottage. Man erwarb einen Baugrund in Währing, und bereits zwischen 1873 und 1875 entstanden die ersten 50 Familienhäuser mit Wohn- und Wirtschaftsräumen samt Garten. Der Verein fungierte als Bauträger für die Planerstellung, Hauserrichtung, Gartengestaltung bis zur Finanzierung. In den Anfangsjahren beherrschte die vereinseigene Baukanzlei unter der Leitung von Chefarchitekt Carl Ritter von Borkowski das allgemeine Baugeschehen.

Die Quartiersentwicklung kam gut an, und schon bald mussten weitere Grundstücke erworben werden, die ab 1890 zur Ausdehnung des Cottage in Richtung Döbling führten. Zur Absicherung der homogenen, nach den Prinzipien des Cottage-Vereins vorgegebenen Gestaltung wurde im Grundbuch auf allen Liegenschaften eine Servitut eingetragen. Diese für Käufer verpflichtende Dienstbarkeit stellte die gewünschte offene und lockere Bauweise und Durchgrünung der Parzellen sicher. Das Cottage wurde zunehmend für den gehobenen Mittelstand und das Großbürgertum attraktiv. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur stellten jedoch höhere Ansprüche an Wohnen und Repräsentation, und so wurden die Bautätigkeiten in den meisten Fällen nicht mehr über die Cottage-Baukanzlei abgewickelt. Die ursprünglich schlicht gehaltenen Landhäuser im Cottage wuchsen zu teils beachtlichen frei stehenden Villen an. Daneben entstanden größere Mietvillen sowie ein Sport-/Eislaufplatz mit Klubhaus für die Allgemeinheit. Borkowski beschrieb das Cottage als einen „einzigen Garten, der von kreuzenden Straßen in große Beete geteilt wird“, denn das grüne Areal wurde schachbrettartig parzelliert. Ein typisches Charakteristikum des Cottage ist die straßenseitige Platzierung der Gebäude auf dem Grundstück, sodass die Gärten der einzelnen Parzellen zu großen Gartenkomplexen zusammenwuchsen. Auf den Baufeldern entstanden so großzügige Landschaften, die Häuserfronten waren mit Vorgärten ausgestattet. Die Gartengestaltungen folgten anfangs dem Stil des englischen Landschaftsgartens, überwiegend aus der Feder der Baukanzlei. Vereinzelt wurden aber auch renommierte Gartenarchitekten engagiert, wie etwa Carl Gustav Swensson, der damals mit der Gestaltung des Türkenschanzparks beschäftigt war, dessen Schaffung auf das Engagement einzelner Mitglieder des Cottage-Vereins zurückgeht.

Ebenso wie die Architektur der Bauwerke hat sich die Gartenarchitektur im Laufe der Jahrzehnte gewandelt. Im 20. Jahrhundert setzte eine moderne architektonische Formensprache ein: Gärten wurden als Teil der Gebäudearchitektur mit formal geführten Wegen und Beeten gestaltet. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte eine Weiterentwicklung im Stil des neuen Hausgartens, der funktionaler und weniger architektonisch geplant war. Bekannte Vertreter der damaligen Landschaftsarchitektur wie etwa Gartenarchitekt Albert Esch waren tätig; einige Anlagen sind bis heute erhalten.

Der 150 Jahre alte Wiener Cottage-Verein hatte einst wichtige Aufgaben – doch was ist heute? Als Errichtungsverein kann man längst nicht mehr fungieren, die Grenzen des Cottage-Viertels sind festgeschrieben, und das Gebiet wurde bereits vor Jahrzehnten als Ensemble-Schutzzone gewidmet. Trotzdem gibt es einiges zu tun. Gerade die noch immer bestehenden wichtigen Servituten-Rechte sorgen immer wieder für Konfliktpotenzial. Wo die Schutzinstanzen der Stadt Wien nicht greifen, sind es oft die privatrechtlichen Cottage-Servituten, die Bauvorhaben auf zivilrechtlicher Basis einschränken können. Hier gilt es, besonders auf den Schutz der Grünräume zu achten, die von einigen Immobilienentwicklern oder Eigentümer:innen nur zu gern als Potenzialflächen gesehen werden. Doch der Verein bleibt unermüdlich tätig und versucht, den Cottage-Charakter und die heute so wichtigen ökologischen und mikroklimatischen Funktionen zu wahren.

Waren früher alle Grundstücksbesitzer:innen verpflichtend Mitglieder im Verein, so zählt man heute lediglich 200, was bei mehreren Tausend Cottage-Bewohner:innen bescheiden anmutet. Damit jene sich als Gemeinschaft verstehen, braucht es einen aktiven Verein, der alles zusammenhält. Diesem Anspruch scheint man gerade im Jubiläumsjahr nachkommen zu wollen. Neben der jüngsten Publikation, „Das Wiener Cottage – Der Traum vom gesunden Wohnen“ (Manz), darf man sich im Juni auf ein Fachsymposium mit Festveranstaltung und eine Freiluft-Fotoausstellung an den Zäunen des Türkenschanzparks freuen.

22. April 2022 Spectrum

Da wird nicht nur gegartelt

Der österreichische Landschaftsarchitektur-Preis wird ausgelobt, um studentische Leistungen zu würdigen. Das ist wichtig. Aber wo bleibt die Auszeichnung abgeschlossener Projekte? Eine Aufforderung.

Seit vielen Jahren ist der Landschaftsarchitektur-Preis LAP fixer Bestandteil der heimischen Szene. Die Auslobung soll nicht nur Studierende und Jungabsolvent:innen der Landschaftsarchitektur und -planung animieren, ihr Können und ihre Kreativität auszuprobieren, sie ist auch ein gutes Sprungbrett. Nicht selten erhalten Preisträger:innen Jobangebote von interessierten Planungsbüros. 2021 sollte die in den Pandemiejahren gewachsene Wertschätzung gegenüber Grün- und Freiräumen einen kreativen Anstoß geben und junge Kolleg:innen animieren, neue und selbstbewusste Perspektiven zu entwickeln. Die Ausloberin des LAP 2021, die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA), forderte daher auf, das bislang meist eng geschnürte Korsett aus Einschränkungen und begrenzten Möglichkeiten abzulegen und freiräumliche Maßlosigkeit zu praktizieren. „Größer, grüner, heller, weiter, vielfältiger, bunter, sozialer, breiter, offener und für alle“, so der Ausschreibungstext.

Insgesamt wurden 45 Projekte aus Österreich, Deutschland und der Schweiz eingereicht und von einem internationalen Fachgremium unter Vorsitz der Wiener Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer bewertet. Die Gesamtheit der Arbeiten zeigt eine vielfältige inhaltliche Auseinandersetzung mit der Maßlosigkeit auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Die Arbeiten lassen erfreuliche Schlüsse auf ein bewusstes Selbstverständnis der Disziplin und ihre Bedeutung für Zukunftsfragen zu.

Als Siegerprojekt ging der Entwurf von David Biegl (Boku) hervor. Er lässt in seinem Beitrag aus einer erhöht geführten Stadtautobahn in Rom, der Tangenziale Est, kurzerhand einen üppig bepflanzten Park wachsen. Aus einem Un-Ort für Menschen wird ein grüner Aufenthaltsraum, der rad- und fußläufig die großen Grünräume Roms verbindet. Ganz dem Auslobungsthema entsprechend, verleiht ein strahlend goldener Anstrich der aufgeständerten Autobahn einen skulpturalen, monumentalen Charakter. „Die alte Maßlosigkeit eines Zweckbaus wird mit der neu interpretierten Maßlosigkeit einer grünen Infrastruktur überschrieben. ,Oben‘ wird ein Sehnsuchtsraum geschaffen, der nicht den Anspruch erhebt im ,Unten‘ die Welt zu verbessern“, so der Jurykommentar zu dem gelungenen Entwurf.

Lob für das Storytelling

Das zweitplatzierte Projekt, „Tanja braucht deine Hilfe“, von Moritz Blüml und Djordje Ilic (Boku) zeigt Superheldin Tanja, die über diverse Kommunikationskanäle eine wichtige Message vermittelt: Planer:innen müssen sich selbstbestimmt, mutig und maßlos für den Freiraum einsetzen. Bei diesem aktivistischen Vorhaben lobte die Jury insbesondere das Storytelling und den innovativen Zugang der Vermittlung. Platz drei belegte Michael Tulio Bühler (FH Ostschweiz) mit seinem Beitrag „Kanton Rösti“, in dem er durch verschobene Grenzlinien der Schweiz einen progressiven Musterkanton entstehen lässt, der Klimaziele locker erreicht, Migrant:innen aufnimmt und mit Ressourcenknappheit umzugehen weiß.

Studierendenwettbewerbe dieser Art sind enorm wichtig, um Nachwuchstalente im Fachbereich zu fördern. Ebenso wichtig wäre aber auch die Anerkennung von hochwertigen realisierten Projekten der Landschaftsarchitektur Büros am Standort Österreich. Denn hierzulande gibt es aktuell keine Auszeichnungen für Landschaftsarchitektur, die über den Gartenhorizont hinausgeht. Bei etablierten Architekturpreisen wie dem Holzbaupreis, dem Bauherrenpreis oder dem österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit könnte die Landschaftsarchitektur aufgrund ihrer nachhaltigen Arbeitsmaterie eine bedeutende Rolle spielen. Doch dort werden ihre Leistungen nach wie vor als fachplanerisches Beiwerk der Architektur gewertet – eigenständige freiräumliche Planungsleistungen bleiben unterrepräsentiert. Schaut man über die Grenzen Österreichs, gestaltet sich die Situation anders. Allein in Deutschland werden mehrere große Preise im Fachbereich vergeben, allen voran der „Deutsche Landschaftsarchitektur-Preis“, der alle zwei Jahre Freiraum-Highlights vor den feierlichen Vorhang holt und das hohe Niveau präsentiert, auf dem in dem Land gearbeitet wird. Auch der noch junge „Bundespreis Stadtgrün“, bei dem der Zusammenhang zwischen Planung, Gestaltung und positiven Klimaeffekten von Stadtgrün prämiert wird, erfüllt seine Zwecke und belohnt gelungene Vorzeigeprojekte mit öffentlicher Aufmerksamkeit. Denn diese Auszeichnungen gehen selbstverständlich mit der entsprechenden Medienpräsenz einher.

Komplexere Aufgaben

„Österreich als Kulturnation hat leider noch immer Aufholbedarf, wenn es um die Würdigung kultureller Kräfte geht“, meint Landschaftsarchitektin Maria Auböck, die als Präsidentin der Zentralvereinigung der Architekt:innen auch die Abwicklung des renommierten Bauherrenpreises verantwortet. Doch Auböck sieht das Fehlen von Landschaftsarchitektur-Preisen als hausgemacht. Schließlich musste sich die Architektenschaft ihre Auszeichnungen einst auch „selbst stricken“. Der Bauherrenpreis etwa entstand unter der Federführung von Hans Hollein und Franz Kiener im Jahr 1967, erzählt Präsidentin Auböck. Es wäre daher die ÖGLA gefordert, als Berufsvertretung der in Österreich tätigen Landschaftsarchitekt:innen diesbezüglich aktiv zu werden.

Der Ruf nach einer regelmäßigen und institutionalisierten Anerkennung des heimischen Landschaftsarchitektur-Schaffens wird jedenfalls lauter. „Sowohl der Vorstand als auch aktive Mitglieder der Organisation sind mehr als bereit“, berichtet ÖGLA-Vereinspräsident Thomas Knoll. Schließlich gab es einstmals schon einen ÖGLA-Preis, doch dieser ist, ebenso wie kleinere Gartenbewerbe anderer Vereine, im Laufe der Jahre wieder von der Bildfläche verschwunden. Und das gilt es zu vermeiden: „Die Aufgaben der Landschaftsarchitektur sind in den letzten Jahren komplexer geworden und längst über das Gartenthema hinausgewachsen. Ein Award, der dieses Tätigkeitsspektrum abfragen und bewerten kann, braucht starke Partner – Ministerien, Bundes- und Landesorganisationen oder Kommunen –, die für die nötige Kontinuität einer derartigen Aufgabe sorgen“, fordert Knoll und zieht die öffentliche Hand in die Pflicht. Schließlich geht es nicht nur um die Wertschätzung hochwertiger Leistungen der Planungsbüros, sondern auch darum, die Wichtigkeit der Landschaftsarchitektur für Österreichs Zukunft abzubilden.

Eine präsente und gestärkte Disziplin, die zur Lösung diverser aktueller Krisen und zur nachhaltigen Entwicklung des Landes beiträgt, sollte auch im Interesse des Bundes, der Länder, Städte und Gemeinden sein. Von der positiven Wirkung einer Auszeichnung würde das Fach, aber auch die Gesellschaft profitieren.

10. März 2022 Spectrum

Wie das Wasser nach Wien reist

Es war eine technische Meisterleistung: Die I. Wiener Hochquellenleitung wurde 1869 bis 1873 errichtet und stellt bis heute Wiens Versorgung sicher. Eine Ausstellung dokumentiert nun die dafür gebauten "Wasserschlösser".

Eines der kostbarsten Güter dieser Erde ist das Trinkwasser.“ Mit diesen Worten beginnt die Festschrift zur 100-Jahr-Feier der I. Wiener Hochquellenleitung im Jahr 1973. Nun ist das Zitat des damals amtsführenden Stadtrats Kurt Heller beinahe 50 Jahre alt, doch vor dem Hintergrund des Klimawandels sind seine Worte treffender denn je. Weltweit gibt es eine Verknappung des Trinkwassers, und auch die Alpenländer könnten durch die Gletscherschmelze von einer besonders raschen Dynamik mit Auswirkungen auf den Wasserkreislauf betroffen sein. Was für ein Privileg der Wiener:innen: Kaum eine Großstadt ist in der Lage, ihre Bewohner:innen mit derart hochwertigem Quellwasser zu versorgen. Bestes Trinkwasser, das wir nach wie vor in den allermeisten Fällen als Nutzwasser unsere Wiener Toiletten hinunterspülen – ein kaum diskutierter Missstand. Der Veränderungswille ist überschaubar, fließt doch Nachschub aus dem Rax-Schneeberg-Massiv scheinbar nie enden wollend in unsere Leitungen. Dafür haben die Konstrukteure der I. Wiener Hochquellenleitung gesorgt.

Das Vorhaben war, damals wie heute betrachtet, eine technische Meisterleistung. Die Wasserleitung wurde in nur vier Jahren 1869 bis 1873 von Bauunternehmer Anton Gabrielli aus London errichtet. In den 1960er-Jahren kam es zur Verlängerung der Leitung über den Schneealpenstollen bis in die Steiermark und zur Einspeisung einiger weiterer Quellen in diesem Gebiet; die letzte Erweiterung fand im Jahr 1988 statt. Neben der Erschließung der Quellen und den Grabungen der Stollen war eine der großen Herausforderungen, das Wasser im freien Gefälle bis nach Wien zu leiten. Schließlich geht die Landschaft eigenwillig bergauf und bergab und wahrlich nicht im optimalen Fließwinkel. So mussten neben der Leitung zahlreiche Aquädukte zur Talquerung sowie Pump- beziehungsweise Schöpfstationen errichtet werden. Die im Endausbau rund 112 Kilometer lange Wasserleitung ist nach beinahe 150 Jahren bis heute in Funktion. Sie hat einen jährlichen Durchfluss von etwa 62 Millionen Kubikmeter Wasser und deckt damit grob die Hälfte des Wiener Bedarfs.

Von Steinbauten zu Betonfertigteilen

Begleitet wird der Weg des Wassers entlang der Hochquellenleitung von einigen teils außergewöhnlichen wasserbaulichen Anlagen. Es handelt sich um Bauwerke mit unterschiedlichen Funktionen: Wasserschlösser zur Quellfassung, Zumesskammern zur Messung des Wasserzulaufs, Einstiegstürme und Wartungszugänge für die Techniker:innen der zuständigen Magistratsabteilung, Aquädukte, Pump- und Schöpfwerke zur Überwindung von Höhensprüngen, Rückhalteanlagen zur Reduzierung von Druckunterschieden sowie Wasserreservoirs, in denen das Wasser auf die Weiterleitung wartet. Die jeweilige Bauphase der Quellenleitung – vom 19. Jahrhundert bis in die späten 1980er-Jahre – spiegelt sich in der Architektur der Häuschen wider. So finden sich historische Steinbauten ebenso wie zeitgenössische Kubaturen mit Betonfertigteilen. Im Gebirge wurden die Betriebsanlagen teils in das Bergmassiv integriert, was in der wilden Naturlandschaft ein romantisierendes Bild entstehen lässt.

Die Architekturen werden von Felsen, Wiesen und Vegetation bedeckt, als wäre der technische Eingriff eine Wunde in der Landschaft, die langsam verheilt. An manchen Stellen fließt das Quellwasser frei an der Oberfläche, andernorts liegt die Wasserleitung im Verborgenen, und nur die wie Fremdkörper in der Landschaft wirkenden Funktionsbauten zeugen vom Eingriff in die Natur. Dennoch: Der Einbau erfolgte behutsam – eine sensible Vorgehensweise, die wir uns heute bei so manch technischem Landschaftseingriff wünschen würden. Man denke an die landschaftsbasierte Energiewende, bei der immer wieder unter der Prämisse des Klimaschutzes auf Kosten anderer Schutzgüter, allen voran des Landschaftsbilds, agiert wird. Das spannende Setting der teils unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke der I. Wiener Hochquellenleitung war für den Wiener Fotografen Johannes Hloch Anlass, sich auf fotografische Weise mit den Architekturen der Hochquellenleitung zu beschäftigen. Hloch studierte Landschaftsplanung und -architektur und wandte sich nach seinem Abschluss der Fotografie zu. 2009 legte er die Meisterprüfung ab und arbeitet seither als freier Fotograf. Bei seinen Landschaftsaufnahmen ist stets auch der planerische Hintergrund zu spüren – Perspektiven wählt er so, dass Geometrien, Formen und Räumlichkeiten herausgearbeitet und Bezüge zur Landschaft hergestellt werden.

Verzicht auf Filter und Retuschen

Aus der dokumentarischen Auseinandersetzung mit der I. Wiener Hochquellenleitung entstand Hlochs Serie der „Wasserschlösser“, benannt nach der wasserbaulichen Anlage im Reisstal am Endpunkt des Schneealpenstollens. Der Titel könnte passender nicht sein, denn die abgebildeten Bauwerke haben trotz ihrer meist überschaubaren Größe allesamt etwas Monumentales, etwas Stolzes. Selbst wenn es sich nur um kleine Einstiegstürme handelt, die Häuschen scheinen die technische Bedeutung und Wichtigkeit der Hochquellenleitung für unsere Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Bei den Wasserschlössern der Hochquellenleitung treten anstelle der sonst bei Schlössern üblichen prunkvollen Park- und Gartenanlagen die Natur- und Kulturlandschaften hervor.

Die Fotografien bilden nicht nur Bauwerke unterschiedlicher Epochen ab, sie dokumentieren auch die atemberaubende Vielseitigkeit der österreichischen Landschaft im Verlauf der 112 Streckenkilometer. Zurückhaltend und unaufgeregt sind die Bilder dank des dokumentarischen Ansatzes, schließlich will Hloch zeigen, was ist. Ein ehrliches Abbild zu erschaffen, indem auf Filter oder Retuschen verzichtet wird, denn das würde, so Hloch, die ursprüngliche Wahrheit verfälschen und entfremden – der dokumentarische Wert würde leiden. Bei solch einem wissenschaftlichen Zugang ist es schon fast erstaunlich, wie gefühlvoll die Fotografien inszeniert und farblich komponiert sind. Die ästhetische Bildsprache berührt und lässt beinahe vergessen, dass es sich bei den Motiven um technische Funktionsbauten handelt.

Die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur zeigt Johannes Hlochs Serie „Wasserschlösser – Architekturen der I. Wiener Hochquellenleitung“ derzeit im Rahmen des Festivals „Foto Wien“. Die Ausstellung findet in Kooperation mit der Stadt Wien in der Planungswerkstatt am Friedrich-Schmidt-Platz statt; die Bilder sind für die Öffentlichkeit von 10. bis 24. März, dienstags bis freitags Nachmittag, zugänglich. Detaillierte Informationen gibt es unter www.hausderlandschaft.at oder auf der Foto-Wien-Festivalseite.

3. Januar 2022 Spectrum

New Yorks „Little Island“: Mut zum Maßlosen

Betrachtet man die Landschaftsarchitektur, stellen sich punkto Klimakrise grundsätzliche Fragen: Buntere, prächtigere, üppigere, größere Grün- und Freiräume – wollen wir das auch in Österreich, vielleicht nach dem New Yorker Vorbild?

Grünräume sind für die Städterinnen und Städter essenziell, daher wissen sie ihre Parks während klimawandelbedingter Extremtemperaturen in den Sommermonaten jedes Jahr aufs Neue zu schätzen. Auch die Pandemie und die daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen führten uns vor Augen, wie wichtig Grünanlagen für das soziale Gleichgewicht sind. Je grüner unsere Städte, desto resilienter sind sie in Krisenzeiten gegenüber Störfaktoren. Und weil Widerstände gegen Parks, Bäume und Natur erfahrungsgemäß gering sind, entdecken Stadtpolitikerinnen und -politiker gerade das Thema Grün in der Stadt als leicht umsetzbare Klimawandelmaßnahme.

Doch nicht jedes Projekt, das unter dem Deckmantel der Klimawandelanpassung, der Grünraumgerechtigkeit oder der Schaffung von artenreichen Lebensräumen für Bewohnerinnen und Bewohner realisiert wird, ist gleichermaßen nachhaltig. Um den Nutzen besser einordnen zu können, gibt es eigens entwickelte Nachhaltigkeitsbewertungstools. Meist reicht aber auch der gesunde Hausverstand, um die Sinnhaftigkeit einer Begrünungsmaßnahme einschätzen zu können. Ausschlaggebend ist jedenfalls die Verhältnismäßigkeit – also welchen Nutzen das Vorhaben im Verhältnis zu seinen negativen Auswirkungen hat. Um nachhaltig zu sein, sollte Landschaftsarchitektur jedenfalls keine gröberen sozialen, ökologischen oder budgetären Kollateralschäden verursachen.

Medienmogul als Spender

In New York City gibt es seit Mai dieses Jahres ein Stück Neuland auf dem Hudson River: Little Island. Dabei handelt es sich um eine künstlich errichtete, knapp einen Hektar große, üppig begrünte und gestaltete Plattform, die lediglich durch zwei Brücken mit dem 56 Meter entfernten Ufer verbunden ist. Der Pier 55 Park steht auf 132 tulpenförmigen Betonpfeilern, durch deren unterschiedliche Höhen eine interessante Topografie mit herrlichen Ausblicken entstanden ist.

Geplant und gestaltet von dem britischen Design Studio Heatherwick und von Mathews Nielsen Landscape Architects (MNLA), erzeugen die vielseitig angelegten Landschaftsräume, so die Planerinnen und Planer, eine hohe Resilienz gegenüber Nutzungsdruck und Klimawandel. Der Park soll öffentlichen Raum für Kulturevents schaffen, wofür eigens ein 700 Personen fassendes Amphitheater eingerichtet wurde.

Medienmogul Barry Diller und seine Mode schöpfende Frau, Diane von Fürstenberg, waren maßgeblich an der Finanzierung des berühmten, nur einen Block entfernten High Line Park beteiligt. Nun verhalfen sie auch der Vision einer Parkinsel ins Leben. Für Planung und Bau von Little Island spendete The Diller Von Furstenberg Family Foundation unglaubliche 113 Millionen US-Dollar, bei Gesamtprojektkosten von 260 Millionen ein ausschlaggebender Zuschuss. Die durch Kürzungen des Freiraumbudgets ohnehin leidgeplagte Stadt New York wird allerdings zu einem Teil für die bei einer derartigen Konstruktion erwartbar hohen Erhaltungskosten aufkommen müssen. Als Gegenzug ist der Zugang kostenlos, das Kulturangebot soll ebenfalls weitgehend gratis oder zumindest erschwinglich bleiben.

Little Island ist zweifelsohne ein spektakuläres Projekt, das bereits zu einer neuen New Yorker Landmark hochstilisiert wurde. Doch allein die Idee und die absurd aufwendige und kostspielige technische Umsetzung spiegeln eine derartige Maßlosigkeit wider, dass die aufgekommene Kritik an dem Projekt nicht verwundert.

So gab es Klagen und Proteste gegen die undurchsichtigen Vergabemodalitäten, gegen erwartbare Auswirkungen auf das Ökosystem des Flusses, und nicht zuletzt steht der Vorwurf des Ausverkaufs der Stadt an die einflussreiche New Yorker Oberschicht im Raum. Denn Diller und Konsorten stecken ihre Dollarmillionen vermutlich nicht nur aus gemeinnützigen Beweggründen in solche Projekte. Statt die Parkinsel in einem Stadtteil mit hohem Grünraumbedarf zu realisieren, wurde sie als Fortsetzung des bereits erwähnten prestigeträchtigen High Line Park errichtet. Dieser hat enorme Gentrifizierungsprozesse ausgelöst, von deren Immobilienprofiten wahrscheinlich auch Großspenderinnen und Großspender wie Diller und Fürstenberg profitieren. Das uneigennützige Argument Dillers, mit Little Island einen Park für die Bürgerinnen und Bürger New Yorks schaffen zu wollen, ist jedenfalls nur bedingt glaubwürdig. Den vergleichbaren High Line Park nutzen großteils Touristinnen und Touristen – die ursprünglichen Anrainerinnen und Anrainer wurden längst verdrängt.

Aus ökologischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Sicht ist Little Island völlig maßlos und überzogen. Die enormen Errichtungs- und Erhaltungskosten, der nachlässige Umgang mit kommunalen Geldern sowie die ökologischen Eingriffe stehen in keiner Verhältnismäßigkeit zu dem angekündigten Nutzen des Megaprojekts. Der Park verstärkt zudem soziale Ungerechtigkeiten und trägt nur wenig zur Bewältigung der Klimakrise bei.

Voraussetzung für das gute Leben

Und doch haben Vorhaben wie dieses ihre Berechtigung. Sie sind reizvoll, weil sie Utopien verwirklichen und kreative Innovationskraft zeigen. Die Realisierung solch gewagter Ideen spiegelt eine zukunftsgerichtete, couragierte Baukultur wider, die wir als Gesellschaft gerade in Krisenzeiten dringend brauchen. Nachhaltigkeitsforscherinnen und -forscher sind der Auffassung, dass Maßlosigkeit nicht nur negativ zu werten ist, sondern sogar eine Voraussetzung für das sogenannte gute Leben sein kann.

In Österreich entstanden spektakuläre Landmarks meist noch in Zeiten, als diese zur Selbstinszenierung machthungriger Herrscherinnen und Herrscher dienten. Die heute Einflussreichen haben – je nach Betrachtung leider oder glücklicherweise – den Grünraum noch nicht als Geste der Macht für sich entdeckt. Folglich fehlt es Österreich an maßlosen Würfen der zeitgenössischen Landschaftsarchitektur, denn Stadtkommunen können derartige Projekte finanziell nicht stemmen.

Die Tatsache, dass zu wenige überdimensionierte Freiflächen bereitstehen, an denen die Stadt jahrzehntelang wachsen kann, und das Fehlen von Freiraumbudgets, die eine gewisse Maßlosigkeit zuließen, beschränken Planerinnen und Planer beim Entwickeln visionärer Ideen. Daher gilt der Aufruf zur Maßlosigkeit und Unverhältnismäßigkeit nicht nur den Landschaftsarchitektinnen und -architekten, die Großes verfolgen und selbstbewusst einfordern sollten: Er richtet sich besonders an all jene, die diese Visionen ermöglichen können.

26. November 2021 Spectrum

Aus jeder Fuge sprießt Grün

Neue Zeiten, neue Sitten: Die Landschaftsarchitektur entdeckt das parametrische Entwerfen als Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Das Schweizer Büro Bryum zeigt, wie es gehen kann.

Digitale Planungs- und Entwurfsprogramme wie Computer-Aided Design (CAD) und Building Information Modeling (BIM) sind längst im Arbeitsalltag aller Planungsdisziplinen angekommen; die Ausführung und Abstimmung digitaler Anwendungen nehmen mittlerweile einen überwiegenden Teil der Arbeit ein. Doch digitales Planen kann mehr bedeuten, als bloß das alltägliche Arbeiten in den digitalen Raum zu verlegen. Es gibt Ansätze, die den Anspruch haben, veränderte Strategien des Entwerfens anzustoßen. BIM hilft Planer:innen zwar, in den herkömmlichen Systemen effizient und smart zu arbeiten, doch was, wenn wir das bisherige System des Planens und Bauens verlassen wollen?

Eine völlig neue Dimension eröffnet das sogenannte parametrische Entwerfen. Es beruht auf einem System, das nicht das finale Objekt, sondern vielmehr den Prozess des Entwerfens in den Fokus rückt. Dabei werden die einzelnen Elemente durch Parameter festlegt, die miteinander korrespondieren. Verändert man einen, reagieren auch die anderen Parameter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Entwurfsmethoden sind digitale parametrische Prozesse ständig in Bewegung. Statt hintereinander gesetzter, statischer Schritte legt die Planerin oder der Planer Systemregeln fest. Im Zusammenspiel des Regelwerks werden Lösungen vorgeschlagen – folglich werden die assoziative Verknüpfung der Parameter und die Abbildung der Abhängigkeiten handlungsleitend.

Durch die scheinbar unaufhörlich steigende Komplexität der Aufgabenstellungen in unserer Zeit ist solch eine flexible Methode zunehmend gefragt und findet auch schon in Bereichen wie der Architektur oder dem Industrial Design Anwendung. In der Landschaftsarchitektur hingegen, die Entwürfe aus dem Kontext ableitet und mit stark veränderlichen Komponenten arbeitet, steht das parametrische Entwerfen erst am Beginn. Zumindest hierzulande, denn blickt man über die Grenzen Österreichs, gibt es bereits durchaus spannende Ansätze. Einer der parametrischen Vorreiter ist Bryum, ein Landschaftsarchitektur- und Stadtentwicklungsbüro mit Sitz in Basel und einem Faible für große Herausforderungen. „Wir haben in unserem Büro die Prämisse, rund 80 Prozent unserer Arbeitszeit an Projekten zu arbeiten, mit denen wir auch Geld verdienen müssen. Doch die restlichen 20 Prozent unseres Aufwands investieren wir in Projekte und Ideen, in denen für uns ein Stück Zukunft steckt. Wir versuchen, der Gesellschaft so etwas zurückzugeben“, erklärt Daniel Baur, einer der Geschäftsführer von Bryum.

„Die Landschaftsarchitektur hat zur Lösung der Probleme unserer Zeit unheimlich viel anzubieten, doch wir wissen noch nicht genug darüber, wie die unterschiedlichen Bereiche der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zusammenhängen.“ Beim traditionellen Entwerfen steht das Objekt, das am Ende herauskommen soll, im Zentrum. Doch bei der Planung von Städten und Lebensräumen ist vielmehr der interdisziplinäre Entwurfsprozess, die Frage, wie man zu diesem Objekt kommt, die eigentliche schöpferische Arbeit: „Für uns ist das parametrische Entwerfen, das Definieren und Vernetzen der Parameter, so zielführend“, schließlich geht es Daniel Baur vor allem um das Verstehen des Zusammenspiels neuer landschaftsarchitektonischer Parameter.

Eines der parametrischen Pionierprojekte von Bryum entstand zwischen 2014 und 2018. Der Pocket-Park Roche im schweizerischen Kaiseraugst wurde vom Entwurf bis zum Bau digital und parametrisiert entwickelt. Der kleine Park/Platz-Hybrid liegt inmitten eines großen Areals eines Pharmaunternehmens, umgeben von sechsgeschoßigen Bürogebäuden. Die Anforderungen waren enorm: Der Platz sollte Aufenthalts-, Durchgangs- und Veranstaltungsraum für 800 bis 1000 Menschen sein, die ihn aber auch zum Arbeiten und Ausspannen nutzen wollen. Und der Pocket-Park sollte eine Vermittlerrolle zwischen Architektur und Natur einnehmen. „Diese vielschichtigen Aufgabenstellungen waren ausschlaggebend, uns auf eine andere Art mit dem Thema der Überlagerung auseinanderzusetzen“, erzählt der Landschaftsarchitekt. „Mit traditionellen Entwurfsmethoden sind wir nicht weitergekommen, und so haben wir es mit einem parametrischen Entwurfsansatz versucht.“

Das zugrunde liegende Computerprogramm wurde eigens entwickelt. Die Basis des Entwurfs stellt ein über den gesamten Platz gespanntes digitales Netz aus Rechtecken, den Pflastersteinen, dar. In das Netz wurden alle erforderlichen Parameter eingefügt, wie etwa der Bedarf an Versickerung, Veranstaltungsflächen, Bewegungsströmen oder Beschattung. Durch diese Überlagerungen wurde das orthogonale Steinnetz mithilfe des digitalen Tools verändert, der Freiraum optimiert, die Steine wurden verformt und verschoben.

Optisch prägen die Bäume den Entwurf, denn sie scheinen das Steinnetz durch ihr Wachstum aufzubrechen, die tatsächlich ebene Oberfläche wirkt wie aufgewölbt. Apropos Steinnetz: Dieses besteht aus den beschriebenen parametrisch generierten Rechtecken. Beinahe kein Stein gleicht dem anderen, was der Produktion Kreativität abverlangte – insbesondere weil Bryum versucht, nach den Kriterien der nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten. Die Landschaftsarchitekt:innen entschieden sich für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz so gängige Methode des 3-D-Drucks. Allerdings wurden nicht die Steine, sondern die Fugen gedruckt, und das Fugenmaterial aus Maisstärke konnte nach dem Gießen des Ortbetons recycelt werden.

Eine der großen Herausforderungen im parametrischen landschaftsarchitektonischen Entwurf sind Pflanzen. Für sie sind solide Parameter aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung nur schwer festlegbar. Es braucht detailliertes Hintergrundwissen über die Pflanze, aber auch über Pflanzengesellschaften, Schädlinge, Wasserbedarf et cetera. Und wie geht Bryum damit um? „Der Pocket-Park hat nach seiner Fertigstellung eher grau als grün ausgesehen, heute sprießt aus jeder Fuge Grün. Unser Ziel ist es nicht, statische und völlig fertige Räume zu produzieren. Naturdynamiken sind Teil unserer Arbeit und ein Stück weit immer unvorhersehbar.“

Scheint, als wäre die Natur sogar für Landschaftsarchitekt:innen zu komplex, um sie zu berechnen. Die Planer:innen von Bryum haben jedenfalls das parametrische Entwerfen seither vielfach weiterentwickelt. Sie wagen sich an größere Maßstäbe und städtebauliche Fragestellungen. Oder auch an heikle Aufgaben wie das parametrische Entwerfen mit Recycling-Materialien, bei dem ähnlich wie bei Pflanzen stets Fragen offenbleiben. Schließlich geht es Bryum bei jedem Projekt auch um den selbst auferlegten Anspruch, stets weiterzulernen.

6. Oktober 2021 Spectrum

Bäume fällen ist leicht – auch im Wiener Augarten

Der Bestand alter Bäume ist gefährdet. Wenn neu gebaut wird, aus Haftungsfragen, weil das Bewusstsein für ihren Wert fehlt. Der Augarten ist das jüngste Beispiel.

Die positiven Wirkungen von Bäumen sind vielfältig, sie spenden Schatten, filtern die Luft und dienen der Erholung. Außerdem kommen sie als „nature-based solutions“ im Kampf gegen den Klimawandel zum Einsatz. Sie binden und verarbeiten CO2 und kühlen in immer heißer werdenden Städten. Diese wichtigen Klimafunktionen und Ökosystemleistungen haben in den jüngsten Jahren zu einem Umdenken geführt: So werden Gehölze zunehmend zu einem integralen Bestandteil der Stadtstrukturen – in Parks, auf Plätzen und in Straßenräumen, ja sogar auf Dächern und Fassaden dürfen sie mittlerweile wachsen.

Abweichend von der grundsätzlich steigenden Wertschätzung und Bereitschaft, möglichst viele neue Gehölze zu pflanzen, haben es Bestandsbäume hingegen schwerer. Unbedachte und vermeidbare Rodungen oder das systematisierte Kaputtschneiden von Bäumen – das liegt zum Teil an überzogenem Risikomanagement und unsachgemäßem Umgang – ist nach wie vor gängige Praxis. Dabei wäre gerade die Erhaltung ausgewachsener und somit voll klimawirksamer Großgehölze von besonderer Bedeutung.

In der Bundeshauptstadt Wien sind in den vergangenen Jahren sowohl in den großen Erweiterungsgebieten am Stadtrand als auch innerstädtisch etliche neue Wohnquartiere entstanden. Ursprünglich mit teils wertvollen alten Baumbeständen ausgestattet, haben es im allgemeinen Baugeschehen nur sehr wenige dieser ausgewachsenen Bäume in die Nutzungsphase geschafft.

Verpflichtende Ersatzpflanzungen

Dabei wäre die Bereitwilligkeit zur Erhaltung unter den Beteiligten durchaus gegeben gewesen. Bei Bauträgern und Immobilienentwicklern vermutlich weniger aus ökologischen als eher aus ökonomischen Gründen, denn einerseits werten Großgehölze Neubauten enorm auf, andererseits ist das Entfernen von Bäumen im Zuge der Bauphase oft kostspielig: Das seit 1974 in Kraft befindliche Wiener Baumschutzgesetz, das den Schutz und Erhalt von Bäumen in der Stadt regelt, macht Baumfällungen teuer. „Das Baumschutzgesetz schreibt für jeden gesund gerodeten Bestandsbaum mindestens eine verpflichtende Ersatzpflanzung vor“, erklärt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Wiener Planungs- und Kommunikationsbüro Plansinn, „wobei sich die Anzahl der Ersatzbäume nach dem Stammumfang des gerodeten Gehölzes bemisst.“

So hat ein großer, gefällter Baum nicht selten fünf bis zehn Ersatzpflanzungen zur Folge. Können im Umgriff bis zu 300 Meter Entfernung keine neuen Bäume untergebracht werden, müssen zweckgebundene Kompensationszahlungen in Höhe von 1090 Euro je nicht erbrachter Ersatzpflanzung geleistet werden.

Das kann auch für finanzstarke Immobilienentwickler durchaus ins Gewicht fallen und das Gesamtprojektbudget belasten. Dass dennoch nur wenige Bäume bei Neubauvorhaben erhalten werden, führt der Experte darauf zurück, dass der Baumbestand oftmals nicht in die Masterplanung einbezogen wird. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer frühen Berücksichtigung, idealerweise bereits im städtebaulichen Maßstab, jedenfalls aber noch vor der Widmungsplanung. Denn wenn die Baulinien gezogen werden, wird bestimmt, wo gebaut und somit gerodet werden darf. Verläuft die Baulinie entlang einer Baumreihe, können diese Gehölze in den wenigsten Fällen erhalten werden“, so Meinharter. „Zusätzlich ist bei der Erhaltung von Bäumen im Planungsgebiet die Standsicherheit ein limitierender Faktor“, ergänzt er und verweist auf das drohende Haftungsrisiko, das Baumverantwortliche eingehen.

Gerade im Neubau sind Bauträger daher mit der Pflanzung von kleinen Ersatzbäumchen auf der sichereren Seite. Dass ausgewachsene Bäume jedoch bereits ab dem Bezug der Wohnung Qualitäten haben, die nachgesetzte Ersatzbäume in mittlerer Baumschulqualität erst nach Jahrzehnten des Wachstums erreichen, spielt für die Verantwortlichen oft eine nachgereihte Rolle. „Es erfordert eine gezielte Bewusstseinsbildung, dass wir alle eine große Verantwortung zur Erhaltung der Bäume tragen“, so Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung und Initiatorin der „Österreichischen Baumkonvention“. Die Baumkonvention ist eine Plattform, die sich seit 2017 für den Erhalt von Bäumen einsetzt. Im Fokus stehen besonders jene Baumbestände, die von überschießenden Fällungen oder Angstschnitten aus vorauseilenden Sicherheitserwägungen bedroht sind. Denn die Haftungsfrage beschäftigt längst nicht nur Planer:innen und Bauwerber:innen, sondern alle Baumverantwortlichen, auch Kommunen. Die Sorge, zivil- und strafrechtlich zu haften, wenn es um herabfallende Äste und umstürzende Bäume geht, wächst. Dabei lässt sich dieser Trend weder aus der geltenden Rechtslage noch aus der Judikatur ableiten.

Wann haften Baumverantwortliche?

„Wir brauchen mehr Rechtssicherheit und eine klarere Darstellung, wofür Baumverantwortliche haften und wofür nicht“, fordert Büchl-Krammerstätter. Und da „die Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms ist, hat sich bereits eine diesbezügliche Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aus Justiz-, Klima- und Forstministerium formiert. Gemeinsam mit der Baumkonvention, der mittlerweile rund 80 Institutionen und Organisationen den Rücken stärken, könnte eine positive Entwicklung gelingen. „Mich freut, dass alle an einem Strang ziehen, denn dieses wichtige Thema kann man nur gemeinsam stemmen“, so die Initiatorin Büchl-Krammerstätter.

Gemeinsam stemmen derzeit auch Kommunalpolitiker:innen und Bürger:innen den Widerstand gegen drohende Baumfällungen im Wiener Augarten. Für die Errichtung einer Eventzone könnten bis zu 100 Bäume fallen. Es ist zwar immer noch offen, ob und wie viele Bäume gefällt werden, doch allein die Ankündigung möglicher Rodungen hat Unverständnis und zivilgesellschaftlichen Widerstand ausgelöst. Hier benötigen die zuständigen Parkverantwortlichen scheinbar dringend die von Büchl-Krammerstätter als so notwendig erachtete Bewusstseinsbildung. Denn eine öffentliche Parkanlage auf Kosten ihres ökologischen Werts unter dem Vorwand des Denkmalschutzes wirtschaftlich verwertbar zu machen ist in Zeiten von Klimawandel und Artensterben nicht nur widersinnig, sondern auch volkswirtschaftlich zu kurz gedacht. Fast schon ironisch daran ist, dass die für den Wiener Augarten zuständige Abteilung des Landwirtschaftsministeriums die Baumkonvention mit ihrem Appell „Zukunft mit Bäumen – Bäume mit Zukunft“ unterstützt.

24. Juli 2021 Spectrum

160 Topfbäume für Ikea: Werden sie überleben?

Mit der Begrünung der Fassade seines Baus beim Wiener Westbahnhof betritt Ikea technisches Neuland: Hinter der Bewässerung der 160 Bäume in Töpfen steckt ein hochkomplexes Konzept. Das ist auch notwendig, denn wenn Pflanzen eingehen, können sie nämlich kaum ersetzt werden.

Das schwedische Einrichtungshaus Ikea ist ein Vorreiter, wenn es um Markttrends geht. Eher hintennach war man bei der Einhaltung ökologischer Standards: Das Möbelimperium hat sich weitreichende Umweltsünden geleistet, ganz abgesehen von dem mehr als fraglichen „Benutze es und wirf es weg“-Konzept. Aktuell scheint man sich aber, dem Zeitgeist und den Wünschen der Konsumenten entsprechend, der Nachhaltigkeit verschrieben zu haben. In diesem Sinne entstand das „hus“ beim Wiener Westbahnhof (Eröffnung ist Ende August). Statt der immer gleichen, gelb-blau eingefärbten Verkaufshalle entstand ein gänzlich in Weiß gehaltenes Gebäude nach den Plänen von Querkraft Architekten. Und das neue hus wurde nicht in der Peripherie gebaut, sondern im Herzen Wiens. Das Grün wandert also von der sprichwörtlichen grünen Wiese auf das Gebäude selbst – und zwar in Form von rund 160 überdimensionalen Topfpflanzungen in verschiedenen Größen.

Das Projekt war zunächst umstritten, weil der Vorgängerbau, das blaue Gründerzeithaus auf der Mariahilfer Straße 132, abgetragen und die Fläche von den ÖBB an Ikea verkauft wurde. Für viele Expertinnen und Experten wäre das Freiwerden eines großen Baublocks eine seltene Chance gewesen, die durch Infrastruktur und Verkehr massiv belastete Liegenschaft neben Gürtel und Westbahnhof zu nützen, um dem Mangel an Grünraum in den angrenzenden Bezirken Neubau und Rudolfsheim-Fünfhaus entgegenzuwirken. Ein Park oder ein begrünter Platz hätte es werden können, doch die wirtschaftlichen Argumente eines City-Ikea waren offenbar überzeugender.

Zudem brachte Ikea ein beeindruckendes klimaschonendes Konzept ein, das auf Fußgänger, Öffi- und Radfahrer ausgerichtet ist. Sperrgut wird frei Haus geliefert, den Rest nimmt man in der bekannten blauen Tasche mit. Auf dem Dach soll eine öffentlich zugängliche und für alle konsumfrei nutzbare Terrasse entstehen. Weiters nahm sich Ikea eine umfassende Bauwerksbegrünung vor, die Kühlung bringen und eine Vielfalt an Arten in der Stadt fördern soll. Kurz und gut, das Billigmöbel produzierende Unternehmen möchte mit diesem Projekt in Sachen Nachhaltigkeit punkten.

Und das Ergebnis scheint zu halten, was der Entwurf versprochen hat. Herkömmliche Pflanzen und Rankgerüste finden sich nur vereinzelt. Die eigentliche Begrünung besteht aus Bäumen, die in überdimensionalen Blumentöpfen an der Fassade, auf dem Dach und in Innenhöfen wachsen. Diese rund 160 Bäume sollen den Eindruck eines skandinavischen Waldes vermitteln, inspiriert durch die vier schwedischen Nationalparks. Detailplanung und Umsetzungsbegleitung erfolgten durch das Büro Kräftner Landschaftsarchitektur im Team mit Green4Cities. Unterstützt wurden sie vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb Grünbau Jakel und dem Bewässerungstechniker Rain Time. Geballte Grün-Kompetenz, die es definitiv gebraucht hat. „Das System der mit Bäumen bepflanzten Töpfe ist gänzlich neu und hat in der Planung und Realisierung viele Fragen aufgeworfen“, erzählt Landschaftsarchitekt und Büroinhaber Joachim Kräftner. Zum einen stellte die Statik eine Herausforderung dar, denn die Bäume vergrößern, wenn sie wachsen, Gewicht und Windangriffsfläche. „Als Landschaftsarchitekt kann ich natürlich gewisse Basisdaten über die Pflanze bereitstellen, aber Erfahrungswissen, wie sich 160 in Blumentöpfen gepflanzte und an der Gebäudehülle angebrachte Bäume entwickeln, hatten auch wir nicht“, so Kräftner. Ein eigenes Gutachten hat daher für jede Baumart und jeden Topfstandort anhand der jeweiligen Blattflächen Winddurchlässigkeitswerte berechnet. Damit Bäume und Töpfe nicht kippen, ist jeder Trog einzeln an einen Stahlträger montiert, der das Gebäude umspannt. Weiters wurde der Wurzelballen an Ösen im Topf verankert und die Kronen der mittelgroßen und großen Bäume zusätzlich mit Seilen an der Stahlträgerkonstruktion angebunden.

Von Projekten wie dem Mailänder „Bosco Verticale“, einem Hochhauskomplex mit waldartiger Fassadenbegrünung, weiß man, dass ein gewisser Teil der gepflanzten Bäume im Laufe der ersten Jahre eingeht. Im Gegensatz zum „Bosco Verticale“ werden aber beim Wiener City-Ikea abgestorbene Bäume nicht nachgesetzt. Denn die Großgehölze können ausschließlich mit einem Baukran gehoben und platziert werden, über das Gebäudeinnere gibt es keinen entsprechenden Zugang. Die Planerinnen und Planer versuchen daher, durch einen besonders sorgsamen Umgang mit den Gehölzen Ausfälle tunlichst zu verhindern. „Bäume sind lebendes Material, man kann sie nicht einfach einkaufen und abstellen, bis sie zum Einsatz kommen“, erklärt Kräftner. Die Großgehölze wurden daher bereits vor einem Jahr von der deutschen Baumschule Lappen erworben und zur Akklimatisierung zum heimischen Baumschulpartner Haselberger geliefert, bevor sie weiter nach Wien gereist und zu Topfpflanzen geworden sind.

Eines der Schlüsselelemente in diesem Projekt ist jedenfalls die Bewässerung. „Regelmäßiges Austrocknen des Substrates in den Töpfen setzt den Großgehölzen zu“, erklärt Ferdinand Prinz von Rain Time. Die von den Landschaftsarchitekten aufwendig konstruierten Pflanztröge sehen von außen schlicht aus, doch es sind hoch technisierte Behältnisse mit Messsensoren, die alle relevanten Informationen an die Steuerung funken. „Nicht nur die Exposition, auch die verschiedenen Baumarten und -größen haben einen teils sehr unterschiedlichen Wasserbedarf“, sagt Prinz und ergänzt, dass die Cloud-basierte Steuerung derzeit geprüft und kalibriert wird, um entsprechende Informationen im Steuergerät hinterlegen zu können. „Denn schließlich geht es nicht nur um das Messen, sondern auch darum, was die gemessenen Daten auslösen.“ Es soll eine für jeden Baum optimale Situation geschaffen werden.

Die Kritik, diese Form der Fassadenbegrünung sei techniklastig, material- und kostenaufwendig sowie wartungsintensiv, trifft freilich zu. Dennoch besticht das Projekt mit seiner neuartigen Idee und der hochwertigen Ausführung. Wie sich der Schwedenwald entwickeln wird, zeigt sich erst in ein paar Jahren. Die technische Grundlage für ein langes Leben ist jedenfalls gelegt.

7. Juni 2021 Die Presse

Tausend Bäume für Linz

Bäume sind nachhaltige wie wertvolle Waffen gegen Überhitzung und hohe Folgekosten des Klimawandels. Doch in Städten finden sie zum Teil schwierige Bedingungen vor. Neue Technologien sollen helfen, damit sie erfolgreich Wurzeln schlagen.

Zum vollständigen Artikel im „Die Presse“ Archiv ↗

5. März 2021 Spectrum

Das Gfrett mit dem Grün

Zur Selbstversorgung und Erholung bestimmt, dominiert in Wiens Kleingärten heute die Wohn- vor der Gartennutzung. Hintergrund war eine politische Fehlentscheidung, die nun behoben wurde. Und jetzt? Ein vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft.

Kleingartenanlagen hatten bereits in ihren Anfängen im frühen 20. Jahrhundert einen wichtigen Platz in der Wiener Grünraumversorgung. Anfänglich und besonders in den Kriegs- und Zwischenkriegsjahren zur Selbstversorgung, später für Erholungs- und Freizeitzwecke genutzt, stand jedoch eines immer im Zentrum: der Garten. Das hat sich in den 1990er-Jahren drastisch geändert. Ein maßgeblicher Grund war die Einführung des neuen Kleingartengesetzes, gefolgt vom Diskontabverkauf der Stadt-Wien-Flächen.

Seit jeher gab es den Wunsch vieler Pächter und Pächterinnen, ihre Gärten ganzjährig bewohnen zu können. Und das taten sie auch zahlreich, trotz gegenteiliger gesetzlicher Regulierungen. Gepfuschter Dauerwohnraum war in Kleingartenanlagen gängige Praxis. Um den Wildwüchsen Einhalt zu gebieten, gab es politischen Handlungsbedarf. Die unter Planungsstadtrat Hannes Swoboda (SPÖ) erfolgte Einführung der neuen Widmung „EKlw – Erholungsgebiet Kleingarten – ganzjähriges Wohnen“ im Jahr 1992 war mehr der Realität als einer lang durchdachten Strategie der Stadtpolitik geschuldet. Gemeinsam mit der neuen Widmung kam eine bis heute gültige Lockerung der Bauvorschriften, die Kleingärtnern ermöglicht, 50 Quadratmeter beziehungsweise maximal 20 Prozent der Parzellenfläche zu bebauen. Zusätzlich dürfen 30 Quadratmeter Terrasse genutzt werden, die unterbaut eine Kellergeschoßfläche von 80 Quadratmetern zulässt.

Nicht von Swoboda, sondern durch den langjährigen Finanzstadtrat und SPÖ-Vizebürgermeister Hans Mayr vorangetrieben, folgte 1993 der Startschuss für den Verkauf der Kleingärten aus dem Stadt-Wien-Besitz. Verwaltungsinternen Zeitzeugen zufolge sah Mayr keine für die Stadt lukrativen Entwicklungsmöglichkeiten in den Kleingartenanlagen, strategisch zu unwichtig schienen diese meist peripheren Flächen lange vor den explodierenden Immobilienpreisen. Und so konnten Pächter in Anlagen mit Kanalanschluss und frostsicherer Trinkwasserversorgung fortan ihre Gärten nicht nur ganzjährig bewohnen, sondern diese auch erwerben. Und das mit einem Preisnachlass von bis zu 40 Prozent des Marktwertes. Zehn Jahre hielt die Stadt ein Vorkaufsrecht, danach stand einem Verkauf auf dem freien Markt nichts im Wege.

Der Zentralverband der Kleingartenvereine stand den Grundstücksveräußerungen als abwickelnde Serviceeinrichtung von Anfang an skeptisch gegenüber. Es erzeuge ein schwieriges Ungleichgewicht zwischen Pacht und Eigentum, zwischen Kleingarten- und Wohnnutzung. Zudem hat sich im Laufe der Jahre die Sorge bestätigt, dass Käufer eher Interesse an der Verwirklichung ihres Wohntraums vom eigenen Haus oder an der Schaffung einer Wertanlage zeigen würden als am Kleingartenwesen. Auch die vergünstigten Kaufpreise ließen den Zentralverband schon früh hellhörig bezüglich Immobilienspekulationen werden: „Wer glaubt denn, dass ein späterer Eigentümer bereit wäre, sein Grundstück mit Nachlass weiterzuverkaufen?“, so ein Textauszug aus der Verbandszeitschrift. Der Zentralverband behielt recht, verkauft wird natürlich nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage mit möglichst großem Gewinn. Die Nachfrage stieg unaufhörlich – und mit ihr stiegen die Grundstückspreise.

Durch die politischen Steuerungsfehler haben sich nicht nur die städtebauliche Struktur und die Freiraumtypologie Kleingarten als solche geändert, sondern auch die Bewohnerschaft, die heute vielerorts so gar keine gartengemeinschaftlichen Ambitionen mehr hat. Wohnbau im Kleingarteneigentum entsteht, um annehmbare Einheiten zu erzielen, immer unter maximaler Ausreizung aller Bauvorschriften. Gern mit Pool und anderen Außenraumverbauungen bleibt in den meisten Fällen kaum Garten übrig. So mancher Anlage mit kleinparzellierter Einfamilienboxenbebauung sieht man ihre EKl-Widmung nicht mehr an.

Die amtierende Wohnbaustadträtin und Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál hat nun den längst überfälligen Schritt gesetzt und den Grundstücksverkauf gestoppt. Eine mutige Entscheidung, schließlich legt sie damit den parteieigenen Fehler aus den 1990er-Jahren offen und löst Kritik an der damals wie heute verantwortlichen SPÖ aus. Doch ihre Entscheidung war wichtig und richtig, weil sie nicht nur Grundstücksspekulanten einen Riegel vorschiebt, sondern auch die Attraktivität der Wohnraumschaffung in Kleingärten reduziert. Die ausufernden Einfamilienhaus-Exzesse sollten mit dem Verkaufstopp eingebremst sein, doch der Schaden durch die insgesamt 5363 Parzellenverkäufe aus dem Stadt-Wien-Eigentum ist geschehen. Neben den Qualitätsverlusten durch übermäßige Bau- und Infrastrukturtätigkeiten im Grünraum ist es insbesondere ein städtebauliches Dilemma. Denn die Möglichkeit, ganze Kleingartenareale in ihrer Flächengesamtheit für andere Freiraumtypologien wie etwa Parks oder Gemeinschaftsgärten umzunutzen, wurde für immer verspielt.

Nicht jede in den vergangenen Wochen medial kundgetane Idee scheint zukunftsfähig. Keinesfalls zeitgemäß sind Vorschläge, die Kleingartenanlagen für bauliche Nachverdichtungen auf den Plan rufen. In einer wachsenden, sich verdichtenden Stadt wie Wien, die bereits mit klimawandelbedingten Temperaturanstiegen zu kämpfen hat, muss kühlender Grünraum „grün“ bleiben, oder anders gesagt: Kleingärten dürfen im 21. Jahrhundert keine Bauland-, sondern müssen Grünlandreserven mit hohem Biodiversitätsfaktor sein. Laut dem Wiener „Fachkonzept Grün- und Freiraum“ sind sie integraler Teil des Grünraumnetzes und erfüllen wichtige Ökosystemleistungen.

Der Bestand weist heute große Unterschiede auf, es ist ein Fleckerlteppich aus Pacht und Eigentum, aus Kleingartenhütten und Wohnhäusern. Wie soll mit übrig gebliebenen Parzellen in eigentumsdominierten Anlagen umgegangen werden? Welche Schwerpunkte sollen künftig in dieser unruhigen Struktur gesetzt werden? Wie kann der ursprüngliche Gedanke des gemeinschaftlich organisierten Gartelns wieder aufgegriffen werden?

Selbsterntebeete, Freiluftsupermärkte, Selbstversorger-Initiativen und Urban-Gardening-Bewegungen, all das liegt gerade im Trend und könnte eine neue Ära des Wiener Kleingartenwesens einläuten. Schafft man es, diese neuen Gartentrends räumlich auf die Anlagen zu übertragen und gesellschaftlich zu verankern, könnte nicht nur das verstaubte Kleingartenwesen neu belebt werden, sondern Wien auch dem Anspruch einer Selbstversorgerstadt nähergebracht werden. Den Fehler, Entwicklungen sich selbst zu überlassen, sollte man kein zweites Mal machen. Wohnbaustadträtin Gaál hat den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, nun muss der nächste folgen: der Start eines transparent und fachbasiert geführten Dialogs, der neue Perspektiven auf eine alte, aber mehr als zeitgemäße Idee wirft.

10. Oktober 2020 Spectrum

Mehr Luft!

Fakt ist: Wien leidet im Sommer an Überhitzung. Dass nun ausgerechnet die Frischluftschneise an der Westeinfahrt durch Bauvorhaben beschränkt werden soll, ist mehr als bedenklich.

Wir alle wissen es aus eigener Erfahrung, auch die Forschung hat das Thema mehr als gründlich aufgearbeitet, und der gesunde Menschenverstand gibt dem sowieso recht: Grünräume sind enorm wichtig für eine Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Die unzähligen gesellschaftlichen, kulturellen und funktionalen Aufgaben von Freiräumen und die ebenso wichtigen Ökosystemleistungen des Grünraums machen seinen hohen Wert aus. Und vor den großen Herausforderungen der jüngsten Vergangenheit scheint diese Bedeutung weiter zu wachsen. Sowohl die Covid-19-Pandemie als auch die schon länger präsente Klimakrise haben aufs Neue bewiesen, dass ein Leben in der Stadt ohne Grün- und Freiräume nicht qualitätsvoll, ja sogar gesundheitsgefährdend sein kann. Das werden all jene Wienerinnen und Wiener bestätigen, die während des Corona-bedingten Lockdowns vor den alternativlos gesperrten Bundesgärten standen. Oder auch Bewohnerinnen und Bewohner dicht bebauter Innenstadtbezirke, denen während extremer Hitzewellen im Sommer kühlendes Grün zur Nutzung ihres Wohnumfelds fehlt. Für das gesunde Leben in der Stadt ist der urbane Grünraum also essenziell. Um in den derzeit aktuellen Jargon des Krisenmanagements einzustimmen, könnte man auch sagen: Grün ist systemrelevant.

„Systemrelevante Infrastruktur Stadtgrün“ heißt daher auch eine aktuelle Fotoschau der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur, die in ihrem „Haus der Landschaft“ im Wiener Sophienpark, krisenfest und thematisch passend, im Freien ausgestellt wird. Bei der Betrachtung der gezeigten Bilder des auf Landschaften spezialisierten Fotografen Johannes Hloch wird schnell klar: Es gibt unterschiedliche Dimensionen der Systemrelevanz. Parkanlagen sind etwa dann systemrelevant, wenn sie in einem dicht besiedelten Stadtteil für viele Menschen die einzige Grünversorgung darstellen. Wichtig sind sie auch dann, wenn in ihr seltene Tierarten leben oder wenn sie aufgrund ihrer Lage eine wichtige stadtklimatologische Funktion erfüllen.

Dringend notwendige Kühlung

Die Bundeshauptstadt Wien leidet, wie viele andere europäische Großstädte, an sommerlicher Überhitzung. Das steigert die Systemrelevanz des Wiener Stadtgrüns, und so wird aktuell eine Vielzahl von Maßnahmen gesetzt, um die Situation zu entschärfen. Doch längst nicht jede Initiative ist gleichermaßen sinnvoll oder nachhaltig. Schon klar, nicht jede Freiraumintervention muss durch ihre Systemrelevanz überzeugen. Und gerade die Klimawandelanpassung macht auch punktuell gesetzte, reaktive Symptombekämpfungen notwendig. Daher sind auch die derzeit vielfach eingesetzten Wasservernebelungsanlagen gerechtfertigt, die vor allem in Straßenräumen bei extremer Hitze Abhilfe schaffen sollen. Klimawandelanpassung ist eben ein Stück weit auch experimentell, denn die Situation ist ungewiss, und wir werden flexibel bleiben müssen. Erweist sich die Idee mit den Sprühnebelduschen als nicht so gut, so werden wir es verkraften. Anders gelagert ist die Situation mit städtebaulichen oder infrastrukturellen Eingriffen. Hier sind Experimente nicht angebracht, denn einmal passiert, schaden Fehler viele Jahrzehnte. Die Wiener Stadtregierung sollte also neben wahlkampftauglichen Sofortmaßnahmen im Klimawandel den Fokus auf das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren.

Gerade in Sachen Stadtklima gibt es in Wien einige neuralgische Grünräume, die als Teil des urbanen Grün- und Freiraumverbandes auf den gesamten Stadtraum wirken. Einer dieser systemrelevanten Stadträume ist die Frischluftschneise im Westen Wiens, die vom Wienerwald über das Wiental bis in die dicht bebauten Stadtteile innerhalb des Gürtels führt. Entlang des abschnittsweise begrünten Wienflusses wird die frische, kühle Luft vom Stadtrand in die Stadt transportiert. Der Bereich gilt daher auch als Klimaanlage des Wiener Westens. Bereits in frühen Stadtentwicklungsplänen der 1980er-Jahre wird dieser „Grünzug Lainzer Tiergarten ins dicht bebaute Gebiet“ in seiner Bedeutung als erhaltenswerter Freiraum hervorgehoben. Nun gibt es hitzige Debatten um zwei strittige Vorhaben innerhalb dieser Frischluftschneise, deren weiterer Verlauf für die Lebensqualität im Westen Wiens richtungsweisend sein könnte.

Zum einen diskutiert man den Umgang mit brachliegenden Flächen und demnächst aus der Nutzung fallenden Bahninfrastrukturanlagen entlang der Westbahn zwischen Westbahnhof und Hütteldorf. Die Bevölkerung wünscht sich auf einem 1,2 Kilometer langen Abschnitt als Alternative zur herkömmlichen Immobilienverwertung einen Westbahnpark. Aktivistinnen und Aktivisten sprechen nicht nur von einer Jahrhundertchance für Wien, sondern auch von einer Jahrhundertverpflichtung in Sachen Klimawandel. Denn es wird einen maßgeblichen Unterschied machen, ob der viele Hektar umfassende Bereich bebaut wird, oder ob er als begrünter Freiraum die Kühlung der Stadt unterstützt. Vonseiten der Stadt gibt man sich bislang abwehrend.

Fünfspurig in Hietzing

Zum anderen werden bereits sehr konkrete Pläne im Bereich der Wiener Westausfahrt verfolgt, die viel befahrene Straße von der bisherigen Infrastrukturlinie entlang der Westbahngleise auf die Seite des Lainzer Tiergartens zu verlegen und mit den Fahrspuren der Westeinfahrt zu bündeln. Die Zeit drängt, denn die in Verwendung befindliche Brückenkonstruktion ist baufällig, das Vergabeverfahren läuft bereits. Zur baulogistisch leichteren Abwicklung, die Westausfahrt könnte ohne Unterbrechung in Betrieb bleiben, und zur Kostenersparnis hat sich die zuständige Magistratsabteilung für Brücken- und Grundbau daher für eine fünfspurige Variante auf der Hietzinger Seite entschieden. Doch die Einsparung geht auf Kosten des dicht bewachsenen Böschungsbereichs des Wienflusses, der als Erholungsgebiet genutzt wird.

Aus Sicht der Abteilung für Brückenbau hat die zugegebenermaßen vereinfachte Baulogistik der Lösung durchaus Sinn. Die Systemrelevanz der Frischluftschneise hat bei ihren Überlegungen aber vermutlich keine Rolle gespielt. Auch nicht, dass das Projekt die Zufuhr der kühlen Luft bereits am Stadteingang drosselt und dadurch ihre innerstädtische Wirkung mindert. Weil solch schwerwiegende Entscheidungen immer viele Expertisen vereinen müssen, hat sich die Wiener Praxis bewährt, derartige Vorhaben nicht von einzelnen Magistratsabteilungen ausarbeiten zu lassen, sondern mithilfe offener, transparenter, partizipativer und interdisziplinärer Planungsverfahren zu entscheiden. Warum diese Vorgehensweise diesmal nicht zur Anwendung kam, konnte trotz zahlreicher Rückfragen eigentlich niemand so genau beantworten. Warum sich die sonst so Grün-affine Planungsstadträtin nicht auf die Seite des Umwelt- und Klimaschutzes stellt, auch nicht.

18. Juli 2020 Spectrum

Wien so grün? Zu Wiens neuem Leitbild Grünraum

Wege zu einer kühleren Stadt: Grünraum zählt zu den wichtigsten Maßnahmen gegen den Klimawandel – da kommt das neue Wiener Leitbild für Grünräume gerade recht. Gleichzeitig wird in Parks an technischen Lösungen getüftelt.

Ende Juni dieses Jahres wurde das Wiener „Leitbild Grünräume neu“ im Gemeinderat mehrheitlich beschlossen. Das Leitbild ist ein neues Stadtentwicklungskonzept der Stadt Wien, das räumlich-strategische Vorgaben für die kommenden Jahrzehnte festlegt, mit dem übergeordneten Ziel, die Grün- und Freiräume der Stadt zu bewahren und nachhaltig weiterzuentwickeln. Das neue Strategiepapier ist ein Produkt der Magistratsabteilung 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung, die zu der grünen Stadträtin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ressortiert. Erwartungsgemäß haben sich daher nicht alle Fraktionen begeistert über das neue Leitbild gezeigt. So ist man etwa vonseiten der ÖVP „alles andere als glücklich“, dass nun ein weiteres Konzept zu den vielen vorhandenen hinzukommt. Der Aufwand sei enorm gewesen, und auch eine Anwendung wäre zu aufwendig. Die FPÖ tut das Leitbild als „Wahlkampfgetöse“ ab.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des „Leitbilds Grünraum“ ist, kurz vor der wichtigen Wien-Wahl, politisch tatsächlich günstig gelegt. Doch hinter dem Konzept steht als Motiv etwas ganz anderes als die Gemeinderatswahlen: Es setzt eine historische Tradition der Wiener Grünraumplanung fort, deren Bestreben eben genau solch ein Leitbild Grünraum als finales Ergebnis war. Gut, dass es nun fertig ist, denn ein solches Strategiepapier mit Anwendungscharakter ist gerade jetzt, da wir dringend Maßnahmen zur Klimawandelanpassung setzen müssen, mehr als relevant. Das Papier soll als Grundlage für die nachhaltige Stadtentwicklung und die Flächenwidmung neuer Gebiete dienen. Es wurden Ausschluss-Zonen räumlich und zeitlich festgelegt, strategische Vorgaben zur Grünraumentwicklung gegeben und Flächen mit unterschiedlichen Funktionen besetzt, also etwa Flächen mit besonderer Klimafunktion oder für mehr Grünraumgerechtigkeit ausgewiesen.

Gerade in Städten sind Bewohnerinnen und Bewohner von Klimawandelauswirkungen massiv betroffen. Wenig Grün, dichte Gebäudestrukturen und überwiegend versiegelte Oberflächen wirken wie Katalysatoren des Klimawandels und fördern die Bildung von Hitzeinseln. Experten tüfteln bereits seit Jahren an Strategien und Konzepten, wie Städte grüner und dadurch kühler werden können. Dabei sind Naherholungsgebiete, große Parkanlagen oder Wasserflächen und natürlich Bäume wichtige Elemente. Doch kommen meist dort, wo grüne Infrastruktur nicht realisierbar ist, zunehmend technische Lösungen zum Einsatz. Zum Beispiel Sprühtechnik zur Erzeugung von feinstem Wassernebel, der durch Abkühlung der Umgebungsluft Aufenthaltsqualität im Freien schaffen soll. Solche Vernebler liegen im „grünen“ Wien gerade hoch im Kurs – Stichwort „Coole Straßen“ oder „Kühle Meile“.

Dieser durch Förderungen der Stadt Wien gehypte Trend um Wassernebelanlagen ist nicht unumstritten, denn technische Lösungen sind wartungs- und somit kostenintensiv. Das macht sie nicht gerade zur nachhaltigsten Klimaanpassungslösung. Zudem merken Kritiker an, dass Vernebler eine Menge Wasser verbrauchen – eine Ressource, die im Klimawandel immer kostbarer wird. Eines steht jedenfalls fest: Eine Nebeldusche kann niemals die Klimawirksamkeit eines ausgewachsenen Baumes erreichen, der durch Beschattung und Evapotranspiration kühlt und ganz nebenbei CO2 bindet und in Sauerstoff verwandelt.

Der 10.600 Quadratmeter große Esterházypark im sechsten Wiener Gemeindebezirk, eine im späten 18. Jahrhundert entstandene Parkanlage, wird derzeit umgestaltet. Und zwar nicht auf konventionelle Art und Weise – zumindest nicht nur. So wird die Anlage zum Cooling-Park, und dafür greift das beauftragte Ziviltechnikerbüro Carla Lo Landschaftsarchitektur neben klassischen Gestaltungsmaßnahmen zur Aufwertung des Parks auch auf technische Lösungen zur Kühlung des freiräumlichen Aufenthaltsbereiches zurück. Durch Entsiegelung von Beton und Asphaltflächen können neue Gräser- und Staudenbeete sowie etliche schattenspendende Bäume hinzukommen. Wasserelemente wurden reaktiviert, helle strahlungsabweisende Bodenbeläge und viele neue Sitzgelegenheiten angebracht. Und nun kommt das kühlende Hightech: Im Zentrum der Anlage wird ein rund 30 Quadratmeter großer Coolspot errichtet. Dabei handelt es sich um einen kreisförmigen Aufenthaltsort mit schattenspendenden Rankgerüsten und zwei Klimabäumen, die durch drei Meter hohe Sprühnebelduschen die Umgebungsluft kühlen. In Zusammenspiel mit dem landschaftsarchitektonischen Planungs- und Gestaltungskonzept soll der Park so nicht nur gestalterisch aufgewertet, sondern um bis zu sechs Grad Celsius gekühlt werden.

Für die technische Entwicklung der Coolspots zeichnen Breathe Earth Collective und Green4Cities verantwortlich, die diese neue Technologie im Rahmen des Förderprogramms Smart Cities Demo – Living Urban Innovations des Klima- und Energiefonds in ihrem Forschungsprojekt Tröpferlbad 2.0 entwickelt haben. Um aus dem Versuch Lehren für weitere Planungsvorhaben ziehen zu können, betreuen und begleiten die externen Konsulenten den Cooling-Park über die geplante Fertigstellung im Herbst 2020 hinaus zwei weitere Jahre. Das ermöglicht die Evaluierung und Anpassung der Coolspots sowie den so wichtigen Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis. Und so wird der Esterházypark künftig nicht nur ein Ort der Entspannung und Hitze-Entlastung, sondern auch ein Wissenspool für klimawirksame Maßnahmen. Die Umbauten des Esterházyparks erfolgen in enger Zusammenarbeit der Planer und Forscher mit der Stadt Wien, dem Bezirk Mariahilf und dem Haus des Meeres. Letztgenanntes ist seit 1958 im Flakturm im Esterházypark untergebracht und hat im Zuge der Erweiterungen am Gebäude den Umbau des umgebenden Parks angestoßen.

Auch der Flakturm wurde Teil der Klimakühlungsmaßnahmen. Auf der nördlichen Flakturmmauer wächst seit Kurzem Wiens höchste Fassadenbegrünung mit rund 8500 Pflanzen. Für Konstruktion und Wartung zeichnen die Stadtbegruener verantwortlich. Und genau wie die Coolspots wird auch dieses Projekt erst beweisen müssen, ob es technisch funktioniert und die 400 Quadratmeter große vertikale Grünfläche auf lange Sicht die erwarteten positiven Klimaeffekte bringt. Denn ebenso wie Vernebelungsanlagen stehen derart große Fassadenbegrünungen am Anfang ihrer Entwicklung. Oftmals fehlen langjährige Versuchsreihen und technische Daten wie Lebenszykluskosten, CO2-Bilanz, Lebensdauer oder Erfahrungswissen über die Akzeptanz in der Bevölkerung. Nicht jede Technologie wird sich langfristig durchsetzen. Zudem bleibt in einer sich wandelnden Klimasituation abzuwarten, ob Konzepte, die heute gut funktionieren, in Zukunft noch sinnvoll sein werden. Jedenfalls wird Flexibilität gefragt sein: ausprobieren, weiterentwickeln oder eben auch wieder gut sein lassen.

15. Mai 2020 Spectrum

Auf dem Weg ins Grüne

Zigtausende Jobs hingen bisher an der Branche Landschaftsarchitektur – Tendenz steigend. Doch dann kam Corona. Und wie geht's jetzt weiter mit der Arbeit für Grün- und Freiräume? Eine Umschau.

Parks, erweiterte Straßenräume, Wohnanlagenfreiräume, Gärten, Terrassen, Balkone – all das haben wir in den vergangenen Wochen in Städten besonders zu schätzen gelernt. Im Covid-19-Pandemie-bedingten Lockdown mit Ausgangs- und Reisebeschränkungen waren all jene begünstigt, denen ein privater oder gemeinschaftlich nutzbarer Grünraum in direktem Wohnumfeld zur Verfügung stand. Wir wissen schon lange um die Bedeutung von Parks und Co., und gerade für Städter stellen sie oftmals die einzige Möglichkeit dar, mit der Natur in Verbindung zu treten, Bewegung zu machen und soziale Kontakte zu pflegen.

Im Klimawandel erhält diese große Bedeutung einen weiteren wichtigen Aspekt, denn ohne Grün in der Stadt wird es in den Sommermonaten schon bald unerträglich heiß werden. Daher sollten urbane Grün- und Freiräume in weiteren Planungen zu Krisen, ungeachtet ob Corona-Krise oder Klimakrise, ob des hohen Stellenwerts als sogenannte kritische Infrastruktur mitgedacht werden. So gilt es öffentliche Räume künftig auch in Krisenmanagementplänen zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur ausreichend nutzbarer Freiraum verfügbar, sondern dieser auch in einem entsprechend hochwertigen Zustand vorzufinden ist. Diese Überlegungen müssen Teil der Aufarbeitung der Corona-Krise sein. Und zwar besser heute als morgen, damit sie Teil der gerade stattfindenden Konjunkturgespräche sein können.

Es gibt nämlich Bedarf an Investitionen in die Herstellung und Erhaltung ebenjener grünen Infrastruktur, die uns in den vergangenen Wochen in Städten so hilfreich war. „Das positive Bewusstsein über die Bedeutung von Grün in der Stadt ist in den letzten Jahren, nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise, erheblich gestiegen, und davon hat die Landschaftsarchitektur merklich profitiert“, sagt Maria Auböck, Inhaberin von Auböck + Kárász Landscape Architects, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur und Präsidentin der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs. „Daran gilt es nun anzuknüpfen und die Corona-Krise dafür zu nützen, Missständen entgegenzuwirken.“ Bei Freiraumbudgets wird hierzulande gerne gespart, was sich folglich in der Qualität der Freiräume widerspiegelt. „Als besonders kritisch empfinde ich den mangelhaften Pflegezustand so mancher öffentlichen Parkanlage“, so Auböck.

Dabei ist die hinter dem Grün- und Freiraum stehende Planungsbranche gar nicht zu unterschätzen, an ihr hängen bereits jetzt Zigtausende Jobs, Tendenz steigend. Erste Zahlen aus dem noch unveröffentlichten Green Market Report Austria, der die Branche der Bauwerksbegrünung unter die Lupe nimmt, belegen das. Allein dieser Sektor könnte künftig mehr als 8000 direkte und weitere 25.000 indirekt entstehende neue Arbeitsplätze schaffen. Rechnet man die wesentlich umfangreicheren grün-infrastrukturellen Aufgabenbereiche der Landschaftsarchitektur hinzu, so ergibt sich ein enorm wachsender Wirtschaftsfaktor. Doch mitten in dieser erfolgreichen Entwicklung kam Corona. Was sind die Folgen?

Grundsätzlich müssen für eine Marktanalyse zwei Bereiche unterschieden werden. Der Privatgartenbereich unterliegt in jeder Hinsicht seit Jahrzehnten einer steilen Wachstumskurve, wie sich nicht nur an der Nachfrage nach Gartenbedarfsartikeln in Baumärkten belegen lässt. Auch oder gerade in unsicheren Zeiten, in denen ein ganzes Land Reisebeschränkungen unterworfen ist, gewinnen die eigenen vier grünen Wände weiter an Bedeutung. Doch der Privatgarten ist ein überschaubares Betätigungsfeld für Landschaftsarchitekten, denn nur wenige Private lassen Garten oder Terrasse von Profis planen.

Es sind andere Bereiche, die in den vergangenen Jahrzehnten für die Landschaftsarchitektur wirtschaftlich relevant wurden: die Planung öffentlicher und teilöffentlicher Freiräume, also Parks, Plätze, nutzungserweiterte Straßenräume und Freiraumanlagen zu mehrgeschoßigen Wohnbauten oder zu anderen teilöffentlichen oder öffentlichen Gebäuden, sowie die für das Klima so wichtige grünbasierte Stadtplanung. Doch die sichtlich wachsende Nachfrage nach öffentlichen Grünanlagen im Lockdown scheint Landschaftsarchitekten nicht unweigerlich zu Profiteuren der Corona-Krise gemacht zu haben.

„Bei den heimischen Landschaftsarchitekturbüros fällt derzeit etwa ein Drittel bis ein Viertel des Umsatzes weg“, schätzt Sabine Dessovic, Inhaberin des Büros DnD Landschaftsplanung. „Das liegt am Ausbleiben der vielen kleineren Aufträge. Großprojekte, die bereits in Arbeit sind, laufen bei uns wie bisher normal weiter, und die Baustellen waren beinahe durchgehend in Betrieb.“ Das bestätigt auch Maria Auböck: „Die Baubranche steht unter enormem wirtschaftlichem Druck. Stehzeiten auf der Baustelle bedeuten Wertverlust, daher wurde weitergearbeitet. Doch unsere ausländischen Projekte in Corona-Krisengebieten stehen still.“

Bei DnD Landschaftsplanung hat es bisher auch noch keine Kürzungen der Freiraumbudgets gegeben, aber „natürlich überlegen Investoren, ob jedes geplante Vorhaben gerade jetzt umgesetzt werden muss“, sagt Dessovic. Und so wird die Realisierung des einen oder anderen gewonnenen Wettbewerbs vermutlich auf Eis gelegt. „Es ist die Planungsunsicherheit, die uns derzeit zu schaffen macht. Fällt ein Auftrag jetzt weg, können wir die Gehälter nicht über mehrere Monate weiterfinanzieren, ohne zu wissen, ob im Herbst neue Aufträge eingehen.“ Aus diesem Grund kam es sogar in vielen Landschaftsarchitekturbüros bereits zu Kündigungen. Die Kurzarbeit ist nur für all jene Büros eine Option, die liquide genug sind, um Gehälter vorzufinanzieren. Und das ist bei den in der Branche überdurchschnittlich vielen kleinen oder jungen Unternehmen kaum der Fall. Zuschüsse aus dem Härtefallfonds haben lediglich punktuell geholfen, lautet der Tenor aus den Unternehmen.

Schwächelt die Branche weiterhin, wird sich das über kurz oder lang in den Freiräumen abzeichnen. Das könnte nicht nur fatale Auswirkungen auf die Zukunftsfähigkeit und Klimaresilienz unserer Lebensräume, sondern auch maßgeblichen Einfluss auf die Verfügbarkeit der begehrten Green Jobs haben. Gerade jetzt in der Krise ist daher der richtige Zeitpunkt, Investitionen in die weitere Entwicklung Österreichs zu einem klimaneutralen Innovationsland mit hochwertigen Lebensräumen zu tätigen. Wir waren bereits auf einem guten Weg – jetzt gilt es Maßnahmen zu setzen, die Ökologie, Klima, Gesundheit und Wirtschaft gleichermaßen fördern und die Branche zu einem dauerhaft wirksamen Job- und Konjunkturmotor machen. Zur Umsetzung der Maßnahmen wird es jedenfalls viele erfahrene Landschaftsarchitekturbüros brauchen. Bleibt zu hoffen, dass sie einen entsprechend langen Atem haben, um auch in Zukunft auf dem heimischen Markt die kritische Infrastruktur Freiraum sicherzustellen.