nextroom.at

Artikel

10. Dezember 2025 Der Standard

Beton in der Klimawende

Geht es um den CO2 -Ausstoß, hat der Baustoff Beton einen schlechten Ruf. Die Zementbranche sucht daher nach Wegen, um Emissionen zu reduzieren. Zwar wäre klimaneutraler Beton schon möglich, derzeit ist er aber noch zu teuer.

Der Julius-Raab-Saal in der Wirtschaftskammer Wien ist voll besetzt. Ingenieure, Planer, Ausschreiber und Bauunternehmer drängen sich im Saal, das Mikrofon rauscht, der Kaffee ist stark. Die Bauwirtschaft steckt in der Krise – und beim Kolloquium der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) will man sich Mut machen. Das Institut und Mitglied des Forschungsnetzwerks Austrian Cooperative Research (ACR) betreibt anwendungsorientierte Forschung zur gesamten Wertschöpfungskette von Beton und Zement.

„Wir müssen uns dagegen wehren, dass Beton immer der Böse ist“, sagt Sebastian Spaun, Generalsekretär der VÖZ, zu Beginn – und trifft wohl den Nerv der Branche. Spauns Grafik zeigt: Rund 30 Milliarden Tonnen Beton werden weltweit jedes Jahr produziert – kein anderer Werkstoff kommt auch nur annähernd an diese Menge heran. Stahl liegt mit 1,9 Milliarden Tonnen weit dahinter, Holz und Glas im Promillebereich. Doch rechnet man den CO2 -Ausstoß pro Kilogramm, ist Beton erstaunlich glimpflich: 0,09 Kilo CO2 pro Kilogramm, während Stahl bei 2,5 Kilogramm CO2 liegt. Der schlechte Ruf des Betons, so Spaun, rühre weniger von seiner „Bösheit“ als von seiner schieren Masse her.

Was zu beachten ist: Die Zementproduktion hat einen ordentlichen CO2 -Fußabdruck. Weil Klinkerbrennen im Prozess selbst viel Kohlendioxid freisetzt, gelten die CO2 -Emissionen der Branche als „hard to abate“, also schwer zu vermeiden. Rund drei Prozent der Gesamtemissionen Österreichs stammen aus der Produktion – so viel, wie der gesamte Flugverkehr verursacht. Das wird sich ändern müssen.

Im norwegischen Brevik ging 2025 auch schon die erste industrielle Anlage zur CO2 -Abscheidung in der Zementindustrie in Betrieb – eine Weltpremiere. Rund 400.000 Tonnen CO2 sollen nun jährlich aus den Abgasen gefiltert und über Pipelines unter der Nordsee eingelagert werden. Hochsubventioniert, technologisch beeindruckend, aber ökonomisch noch fern der Marktreife – so das Fazit vieler Fachleute. Auch in Österreich gibt es Ambitionen, diesen Weg einzuschlagen. Die CO2 -Roadmap der VÖZ formuliert das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden – durch weniger Klinker, CO2 -freien Strom, Carbonatisierung und CO2 -Abscheide- und Lagerungstechnologien. Der Wille ist da, der Weg teuer, und noch sind nicht alle gesetzlichen Rahmenbedingungen definiert, um dieses Ziel zu erreichen.

Wichtig für Schutzbauten

Beton wird man aber weiterhin benötigen – auch wegen des Klimawandels. Florian Rudolf-Miklau vom Landwirtschafts- und Klimaschutzministerium bringt in seinem Vortrag Klimawandelanpassung und Naturgefahren ins Spiel. Seit 1850 sei Österreichs Durchschnittstemperatur um 2,9 Grad gestiegen – deutlich stärker als im globalen Mittel. Starkregen, Hangrutschungen, Bergstürze – die Ereignisse häufen sich. Und die Diskussion drehte sich bald um die Frage: Was tun, wenn die Extreme zunehmen – und welche Rolle spielt Beton dabei? Schutzbauwerke, Lawinenverbauungen, Dämme oder Rückhaltebecken sind ohne Beton kaum denkbar. Auch die Stadt Wien reagierte: Nach dem Starkregen im September 2024 wurde das Sammelbecken des Wienflusses vergrößert, um künftige Wassermassen besser abzufangen. Beton – sonst als Klimasünder verschrien – wird hier zum Schutzmaterial. Stahl und Beton, so die Botschaft, schützen besser als Holz und andere Werkstoffe.

Und damit wären wir schon beim nächsten Thema: Holz gegen Beton. In einer Studie der ÖBB-Infrastruktur, gemeinsam mit der Universität Innsbruck und der Qualitätsgemeinschaft Holzbrücken e. V. (DEU), wurde untersucht, wie sich beide Bauweisen im 100-Jahres-Vergleich bei kleineren (Fußgänger-)Brückenprojekten schlagen. Die Vermutung: Weil das in Holz gespeicherte CO2 über 100 Jahre gerechnet – durch Verrottung, Verbrennung oder Abbau – wieder freigesetzt wird, könnte die Beton-Stahl-Verbundbrücke im Vorteil sein.

Christoph Kaipel, der das Projekt seitens der ÖBB betreute, erzählt: „Die Kollegen von der Holzseite wollten eigentlich nur die Herstellung betrachten.“ Anika Häberlein von der Universität Innsbruck rechnete das Projekt aber vollständig durch – von der Herstellung über Nutzung und Instandhaltung bis zur Sanierung. Das Ergebnis: Bei Holz sind nach 40 Jahren erste größere Erneuerungen nötig, in 100 Jahren muss die Holzkonstruktion zweimal generalsaniert werden, beim Stahlbeton hingegen nur einmal. Das schlägt sich in höheren Emissionen wie auch in doppelten Kosten nieder. Beton gewinnt.

Qualitätsverlust vermeiden

Nächstes Thema: klimafreundlicherer Beton – geht das? Die Ergebnisse eines Pilotprojekts mit klinkerreduziertem Beton bei einem Eisenbahntunnelprojekt stimmen positiv. Klinkerreduzierte Zemente und neue Betonrezepturen funktionieren. Allerdings, so eine Stimme aus dem Publikum: „Klinkerreduziert? Heißt das nicht Qualitätsverlust?“ Die Antwort: Im materialmassiven Bau könne man das durchaus ausgleichen – einerseits durch gezielte Rezepturen (feinerer Mahlgrad, optimierte Zusatzstoffe, angepasste Wasser-Binder-Verhältnisse), andererseits, indem man schlicht etwas „fetter“ baut, also mehr Beton verwendet.

Nächstes Spezialthema: Ausschreibungsunterlagen für klimafreundliche Betonrezepturen. Diese seien oft noch ungenau, obwohl Normen längst klare Vorgaben bieten und weiter verbessert werden sollen. Das Programm blieb dicht – von Recycling bis Bauteilaktivierung. Doch die entscheidenden Gespräche fanden, wie so oft, auf den Gängen und beim Buffet statt: Ein Branchentreff, man redet, sucht neue Ideen und wohl auch neue Projekte. Beton bleibt dabei, nüchtern betrachtet, ein wichtiges Baumaterial – beständig, oft unvermeidlich, aber mit Nachholbedarf in Klimafragen.

12. Juli 2017 Der Standard

Intelligente Begrünung anstatt Bäume umarmen

Die Landschaftarchitektin Doris Schnepf will mit einem Expertensystem internationale Standards setzen

Mit intelligenter Planung und Begrünung von Gebäuden und Wohnanlagen könne man viel erreichen, meint Landschaftsarchitektin Doris Schnepf. Man könne „Hotspots“ – also Hitzeinseln – in Städten vermeiden, Innenhöfe auch bei hohen Außentemperaturen benutzbar machen, Straßenräume für Touristen attraktiver gestalten und generell die Lebensqualität der Stadtbewohner sowie die Biodiversität deutlich erhöhen.

Städte grüner zu machen habe viele Vorteile, meint Schnepf, die von der Initiative Femtech des Verkehrsministeriums zur Expertin des Monats Juni gekürt wurde. Seit Jahren experimentiert die 41-jährige Geschäftsführerin von Green4Cities mit ihrem Team damit, wie man mit richtiger Planung und Pflanzenauswahl das urbane Mikroklima nachhaltig verändern kann. Mit Mikroklimasimulationssoftware, mit unterschiedlichen Pflanzen über viele Vegetationsperioden hinweg. Das Ergebnis nennt sich „Greenpass“ und ist ein Expertensystem für die mikroklimatische Beeinflussung von Bauprojekten.

Es wurde bereits bei der Planung des Biotopcity-Stadtquartiers am Wienerberg eingesetzt, wo mit intelligenter Begrünung die Lufttemperatur im Durchschnitt um 1,5 Grad gesenkt werden konnte. Ein weiterer Meilenstein wird der Bau des Stadtteils Eurogate II auf den ehemaligen Aspanggründen in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs sein. Dort hat Schnepfs Team den städtebaulichen Wettbewerb begleitet und alle dort eingereichten Pläne mikroklimatisch bewertet.

Schnepf schwebt ein klares Ziel vor Augen: „Unser Modell zur intelligenten Begrünung soll zum internationalen Standard werden.“ Strategien zur Erreichung der UN-Klimaziele und EU-Vorgaben für urbane Klimaadaptierungen hätten das Thema längst aus der Nerd-Ecke geholt. „Wir reden bereits mit Stadtverwaltungen in Zürich und Mailand und wollen auch den asiatischen Markt erobern.“

Dass Schnepf mit solchen Herausforderungen umgehen kann, hat sie mehrfach bewiesen. Nach der Matura studiert sie, „das Arbeiterkind aus Simmering“, Landschaftsplanung an der Boku Wien und an der Pontificia Universidad Católica in Santiago de Chile. Dort sammelt sie ihre ersten unternehmerischen Erfahrungen, als sie ein Landschaftsplanungsbüro gründet. Nach der Geburt ihrer Tochter kommt sie mit 25 Jahren als Alleinerzieherin zurück nach Österreich, ohne Geld, ohne Job, ohne abgeschlossenes Studium.

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Nachhaltigkeitsforschungsinstitut Seri lernt sie, wie man Förderungen akquiriert und Nachhaltigkeitsmärkte, die es erst ansatzweise gibt, aufbereitet. Nebenbei schließt Schnepf ihr Studium ab – und wird Seri-Geschäftsführerin. In diesen Jahren beginnt Schnepf ihre eigene Philosophie zu entwickeln: Tue Gutes – und verdiene Geld damit. „Im Ökobereich wird Geldverdienen oft als etwas Böses betrachtet. Aber wir können den Nachhaltigkeitsgedanken nicht vermarkten, wenn wir nur Bäume umarmen.“

Wer nicht handfeste Zahlen, Daten und Fakten anbieten könne, stehe auf verlorenen Posten. Daher müsse man das Gute monetarisieren. Am besten gleich im internationalen Maßstab und mit einem „Unicorn“-Projekt – das heißt mit einem Start-up-Unternehmen, dass mehrere 100 Millionen Dollar schwer ist und Standards setzt. Das ist die Grundidee ihres Greenpass-Projekts. Verwegen? Gewiss, es sei ein Risiko, meint Schnepf. „Aber unsere Firma zählt zu den Frontrunnern.“

Ende des Jahres will Schnepf mit den Ausgründungen der Greenpass-Firma beginnen. Dann soll jeder Architekt die Greenpass-Software in sein Zeichenprogramm ziehen können, um in aktuellen Bauplänen Bäume, Grünflächen und Oberflächen zu definieren und dann die Daten an die Server von Schnepfs Firma zu schicken. Dort werden die mikroklimatischen Auswirkungen, konkreten Kosten-Nutzen-Verhältnisse und qualitativen Kriterien berechnet und Empfehlungen abgegeben, welche Planung für welches Ziel am vorteilhaftesten ist. „Wir sind guter Dinge, dass das funktioniert. Und ich habe Lust auf unternehmerischen Erfolg.“