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13. Mai 2020 Der Standard

Leistbare Energiewende für den sozialen Wohnbau

Wiener FH-Forscher arbeiten an Konzepten, die weniger finanzkräftigen Gruppen eine vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien erlauben.

Auf erneuerbare Energiequellen zu setzen heißt zuerst einmal: investieren. Auch wenn Solarpaneele und andere Energietechnik sich langfristig rechnen, gilt es zuerst die Anschaffung zu stemmen. Damit läuft die Energiewende Gefahr, dass sie den Wohlhabenden vorbehalten bleibt. Das gilt in globaler Perspektive – vielen Staaten fehlen die Mittel für große Umbauten im Energiesektor – genauso wie innerhalb der Länder: Wer etwa selbst ein Haus besitzt, hat eher die Möglichkeit, durch eigene Fotovoltaikpaneele erneuerbare Energie zu nutzen, als Vertreter weniger finanzkräftiger Bevölkerungsschichten – wie etwa die Mieter im sozialen Wohnbau.

Genau diese Gruppe stellt das Projekt „SocialLowCostFlex“ der FH Technikum Wien in den Fokus. Unterstützt von Förderagentur FFG und Klimaschutzministerium arbeiten Frederike Ettwein und Kurt Leonhartsberger mit ihren Kollegen des Forschungsschwerpunkts Renewable Energy System der FH an Konzepten, die auch Menschen im geförderten Wohnbau an der Energiewende teilhaben lassen können. „Der Fokus liegt auf gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen und der Frage, wie Energiegemeinschaften im sozialen Wohnbau aussehen könnten“, erklärt Projektleiterin Ettwein. „Technologien und Geschäftsmodelle sollen dabei auf die Situation der Bewohner abgestimmt werden.“ Die Entwicklungen sollen in engem Kontakt mit den Bewohnern im Wiener sozialen Wohnbau erfolgen, wobei über Bedürfnisse, Ideen und Konzepte immer wieder diskutiert wird. Mit welchen Standorten kooperiert wird, ist noch nicht fix.

Anders als gewohnt stehen nicht Objektbesitzer, sondern die tatsächlichen Bewohner im Fokus. „Gerade im sozialen Wohnbau gibt es hohe Fluktuation. Für die Bewohner stellt sich die Frage: Warum sollte man sich langfristig an neuer Infrastruktur beteiligen, wenn man vielleicht kurzfristig wieder auszieht?“, erklärt Leonhartsberger. „Hier könnte man daran denken, einschlägige Förderungen wie Heizkostenzuschüsse zu bündeln und vorzuziehen, um sie für eine Energieinvestition zu verwenden.“

Individuelle Energiesituation

Technisch müsse man auf die konkrete Situation vor Ort reagieren: Sind etwa noch Elektroboiler in den Wohnungen in Gebrauch, könnte es sich auszahlen, diese flexiblen Energiespeicher mit Strom aus Fotovoltaik zu speisen. Lokale Blockheizkraftwerke, die kombiniert Elektrizität und Wärme aus Gas erzeugen, könnten erneuert, mit Fotovoltaik kombiniert und maßgeblich effizienter gemacht werden.

Auch bei Verteilung und Abrechnung von Energie aus Gemeinschaftsanlagen könnte man neue Wege gehen. „Gegebenenfalls findet man zu einem Modell, das mehr soziale Gerechtigkeit widerspiegelt“, sagt Leonhartsberger. „Gesetzt den Fall, dass sozial Schwächere einen höheren Energieverbrauch haben – etwa weil stromsparende Geräte teurer sind –, könnte man die Systeme so regeln, dass sie mehr Energie aus der gemeinsamen Fotovoltaikanlage bekommen“, gibt der Forscher ein Beispiel. Auch hier soll gemeinsam mit den Mietern eine Datenbasis geschaffen werden, die zielführende Maßnahmen erlaubt. „Keinesfalls möchten wir an den Mieterinnen und Mietern vorbeientwickeln“, sagt Ettwein. „Wir werden informieren, sensibilisieren und unsere Konzepte im Dialog mit den Bewohnern entwickeln.“

Die Chancengleichheit bei der Energiewende steht auch in einem weiteren Projekt an der FH Technikum im Zentrum. In „DigitalEnergy4All“ wird darüber nachgedacht, wie etwa Orte, Siedlungen, Stadtteile die vor Ort generierte Energie auch bestmöglich lokal nutzen können. Neben geeigneten Regelungsalgorithmen geht es dabei auch um sozialwissenschaftliche Fragestellungen: Unter welchen Bedingungen sind etwa Nachbarn bereit, im Energiebereich gemeinsame Sache zu machen und beispielsweise die Kontrolle über die eigene Wärmepumpe zugunsten des Gesamtsystems abzugeben? In „DigitalEnergy4All“ ist man dabei auf der Suche nach Geschäftsmodellen, die nicht nur gewinnorientiert sind, sondern partizipativen oder genossenschaftlichen Charakter haben.

25. September 2019 Der Standard

Ideen für verwaiste Häuser im Waldviertel

Im südlichen Waldviertel macht man sich Gedanken, wie man Zuzügler anziehen und gleichzeitig leerstehende Gebäude mit neuem Leben füllen kann. FH-Forscher unterstützen bei der Ideenfindung.

Die Kinder sind längst in die Stadt gezogen. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, ist das Haus, in dem sie die Kindheit verbracht hatten, leergestanden. Erinnerungen sind damit verbunden, dem längst erwachsenen Nachwuchs fällt ein Verkauf schwer. Zugleich kann er das Haus selbst kaum sinnvoll nutzen. Es bleibt also langfristig verwaist.

Für Doris Maurer ist das eine Geschichte, wie sie hinter vielen Leerständen im Waldviertel steht. Die Geschäftsführerin der Kleinregion Waldviertler Kernland und ihre Kollegen führten in den 14 Gemeinden im südlichen Waldviertel, die sich unter diesem Namen zusammengefunden haben, eine Erhebung durch. Sie ergab, dass insgesamt 332 Objekte leer, aber nur 60 davon zum Verkauf stehen. Weitere fast 300 werden von über 80-Jährigen bewohnt. „Wir haben eine negative Geburtenbilanz. Wir werden immer weniger“, sagt Maurer. „Deshalb fragen wir uns, wie wir das Zusammenleben in unserer Region gestalten können, um mehr Zuzügler anzuziehen.“

Als eine Organisation, die das Zusammenleben verbessern will, wandte sich das Waldviertler Kernland an die Fachhochschule St. Pölten. Am Ilse-Arlt-Institut für Soziale Inklusionsforschung sollte gemeinsam ein Prozess ins Rollen gebracht werden, der gleichzeitig zur Inklusion von Zuzüglern und zur Leerstandsreduktion beiträgt. „Der Gedanke dahinter ist, mithilfe einer partizipativen Forschungsmethode gemeinsam mit den Menschen, die hier wohnen, nach Lösungen zu suchen“, sagt Florian Zahorka, Projektmitarbeiter an der FH St. Pölten.

Scheu vor Zuzüglern

In der Kleinregion bemühte man sich um eine Ist-Analyse. „Die Ortskerne der Hauptorte in der Region sind noch eher gut bewohnt“, erläutert Maurer ein Ergebnis der Erkundung. „Die größten Probleme mit den Leerständen gibt es in kleinen Dörfern. Der soziale Zusammenhalt der Einwohner ist stark. Oft gibt es Hemmungen zu verkaufen, weil man Scheu vor neuen Mitbewohnern hat.“

Zweitwohnungsbesitzer sind ein eigenes Thema: Vor allem freistehende Gebäude werden schnell verkauft. 450 sind es im Waldviertler Kernland. Die Besitzer hätten laut der Regionsmanagerin aber oft „ein verklärtes Bild vom ländlichen Raum“. Es entstünden Konflikte, weil diese nicht verstünden, dass beispielsweise der Bauer auch am Wochenende auf dem Feld arbeiten müsse, oder weil der Schnee auf einer Zufahrt nicht geräumt werde. Auf der einen Seite verursachen sie der Gemeinde Kosten, auf der anderen Seite sind sie zu selten da, um wirtschaftlich etwas beizutragen und die Ortschaft zu beleben. „Sie fehlen auch im sozialen Leben“, sagt Maurer.

Man wollte im Projekt nicht von den Klagen der Bewohner, sondern von der positiven Seite des Landlebens ausgehen. Die Antworten bei einer entsprechenden Befragung waren vielfältig. Von der Ruhe in schönen Wäldern über das günstige Wohnen und das gute Verhältnis zu den Nachbarn bis zur guten Beschäftigungslage und zur Handwerksqualität der ansässigen Unternehmen war laut Zahorka alles dabei.

An der FH suchte man inzwischen unter anderem nach Best-Practice-Beispielen. Man sah sich die Leerstandsoffensive in deutschen Orten an, wo die Sache mit Dorfladenkonzepten, Wohnbörsen und einem Fokus auf den Ortskern angegangen wurde. In Leipzig wurde für Leerstände das Wächterhaus-Modell erprobt, bei dem Eigentümer Zwischennutzungen ihrer leerstehenden Gebäude zulassen und die Nutzer sich um die Instandhaltungsarbeiten kümmern.

Hitzeflüchtlinge aufnehmen

An die 80 Bürger aus den Gemeinden trafen schließlich zu einer Zukunftswerkstatt zusammen. In einem mehrstufigen partizipativen Prozess und in Anlehnung an Vorbilder aus anderen Ländern wurden Ideen für die Kleinregion gesammelt und konkretisiert. Zum Beispiel möchte man Städtern in den heißer werdenden Sommern „ein Bett im Waldviertel“ bieten: eine günstige, sanfte und niederschwellige Tourismusform, die die schnelle Flucht aus nichtklimatisierten Dachgeschoßwohnungen erleichtern soll. Mehr Leute würden so das Waldviertel kennenlernen. Zudem sollen mehr Fremdenverkehrsinitiativen – vom Konzert bis zur Genussmeile – etabliert werden. Abseits vom Tourismus sind Gemeinschaftsgärten ein wichtiges Thema, um Einheimische und Zuzügler zusammenzubringen.

Eines der resultierenden Projekte widmet sich der Vermittlung von Wohnraum. Anders als bei gewöhnlichen Immobilienbörsen soll hier aber dem Vertrauensaufbau zwischen Anbietern und Interessenten Rechnung getragen werden, erklärt Zahorka. „Die Börse soll auf die Leerstände im Waldviertel zugeschnitten sein. Beide Parteien sollen klarmachen können, welche Interessen es gibt und was man einbringen kann.“ Die Umsetzungen laufen noch bis Ende 2020. Spätestens dann wird sich zeigen, ob tatsächlich mehr Leben in die Waldviertler Gemeinden gekommen sein wird.