nextroom.at

Profil

Ella Felber studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien Architektur, Spatial Design an der Royal Danish Academy of Fine Arts, und Performative Künste in diversen Instituten und Initiativen in Wien und Kopenhagen. Sie forscht in der Überlagerung von Architektur, Text und Performance, nach Orten, Verbindung und Dramaturgie.

Veranstaltungen

„Zwischen Kostenschätzung, Muttermilch und Bauwende: Positionen unserer Generation“ (kollektiv kuratierte Ausstellung; Architekturzentrum Wien, afo architekturforum oberösterreich, Architektur Haus Kärnten; Initiatorin und Kuratorin; 2023-2025)

„Tread Softly: The City, Migration and Memory“ (Wanderausstellung; Gedenkstätte Berliner Mauer, Akademie der bildenden Künste Wien, Box Freiraum Berlin; Gestaltung und Vermittlung; 2017)

Vorträge: u.a. New Design University (2024); Vienna Design Week (2022); Birmingham City University / Malaysian Insititute of Art (2020); Think – Young scientists’ conference on science and society (2018-19); Gedenkstätte Berliner Mauer (2017)

Artikel

17. Januar 2023 newroom

Begegnung in der Schuhfabrik – Ulrike Tinnacher verortet sich

Wir treffen Ulrike Tinnacher in ihrer selbst geplanten Wohnung in Wien. Die ehemalige Schuhfabrik mit loftartigen Räumen strahlt Urbanität aus, die Fensterfront ins Grüne gibt das Gefühl von Weite.

„Ich mag es, mich auf einen Ort einzulassen und mit Vorhandenem zu arbeiten. Der Kontext hilft mir zu entscheiden und zu definieren, wo ein Projekt hin soll, auch atmosphärisch. In diesem großzügigen Raum mit hoher, gewölbter Kappendecke steht ein Kubus, der die Wohnung zoniert. Er bietet Platz für ein Schlaf- und ein Badezimmer sowie einen Kleiderschrank und Haushaltsgeräte. Möglichst kompakt, damit rundherum der Raumfluss erhalten bleibt. Oben drauf befindet sich außerdem ein Gästebett.

Bei kleinen Projekten wie diesem plane ich gerne gesamtheitlich, vom Grundriss bis zum Handgriff. Mir macht es Spaß, wirklich ins Detail gehen zu können. Die verwendeten Materialien haben oft eine spezielle Geschichte. Die Küche beispielsweise ist aus Kirschholz; den Baum hat mein Großvater vor vierzig Jahren gefällt. Mich fasziniert es, Orte zu entwerfen, an denen man aus dem Alltag bewusst ausbricht, Räume, die eine besondere Aura ausstrahlen. Ich beschäftige mich mit Farbe, Oberflächen und Stimmungen und versuche mich in die Nutzer:innen hineinzuversetzen. Wie möchte man in dieser Architektur sein und leben, welche Stunden verbringt man dort? Wie kann man das mit architektonischen Mitteln unterstützen? Und wie verändert sich all das mit der Zeit?

Nach einigen Jahren im Ausland, vor allem in der Schweiz, und später in einem Kollektiv, arbeite ich mittlerweile wieder alleine oder mit Projektpartner:innen. Es sind heute freiere, projektabhängige Konstellationen, nicht nur mit Architekt:innen. Ich lasse mich gerne von anderen Zugängen inspirieren und mag die Herausforderung, die eigene Arbeitsweise in jedem Projekt neu zu hinterfragen. Seit kurzem teile ich mit zwei Kolleg:innen ein Geschäftslokal als Atelier. Ich mag es, nicht abgekapselt im oberen Stockwerk zu sitzen, sondern im Erdgeschoss direkt die Stadt zu spüren. Ich bringe gerne eine gewisse Naivität in die Planung. Sie erlaubt es, Dinge auszuprobieren und abseits von konventionellen Arbeitsweisen zu denken. Bei meinem ersten Neubau habe ich beispielsweise gemeinsam mit dem lokalen Betonwerk eine neue Zusammensetzung von Dämmbeton entwickelt, dieser Baustoff war damals in Österreich noch nicht erhältlich. Eingeschränkt von Industrie, Budget und Zeitdruck leisten sich konventionelle Büros in Österreich diese Experimentierfreudigkeit selten – in der Schweiz gibt es dafür mehr Bereitschaft. Es wäre wichtig, Normen und Regulationen wieder zu vereinfachen, damit es mehr um Baukultur geht, anstatt um das Abhaken von Vorgaben oder die optimale Flächenausnutzung.

Wenn Auftraggeber:innen größer bauen wollen als notwendig oder als es an einem bestimmten Ort Sinn macht, geht das gegen meine Prinzipien. Ebenso wie ein begrenztes Budget kein Argument für Kunststofffenster und Vollwärmeschutz ist – dann lieber andere Dinge reduzieren als die Qualität grundsätzlicher Materialentscheidungen.

Ich hoffe, dass zukünftig mehr junge Architekt:innen früh selbstständig zu planen beginnen. Frisch von der Uni kommend, hat man Elan – es ist schade, wenn sich dieser in veralteten Bürostrukturen auflöst. Bessere Förderungen könnten Absolvent:innen motivieren, eigene Projekte umzusetzen. Es würde wohl auch etablierte Büros anspornen, wenn die junge Szene wächst.

Ulrike Tinnacher plant von Wien aus, bisher vor allem kleinmaßstäblichen Wohnbau und im landwirtschaftlichen Bereich. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im Bauen im Bestand und der damit einhergehenden intensiven Auseinandersetzung mit dem Ort sowie Atmosphäre und Materialität.“

13. Dezember 2022 newroom

Begegnung über dem Lavanttal – Scheiberlammer Architekten verorten sich

Scheiberlammer Architekten beschäftigen sich mit den Qualitäten von Bestandsstrukturen, planen vorwiegend in Kärnten und bauen am liebsten mit Holz aus der Region. Auf ihren Baustellen beobachten sie laufend, wie Wettbewerbsentwürfe zu Lebensräumen werden.

„Der Auftraggeber und auch seine Kinder sind in diesem Haus aufgewachsen. Nun wird für den Ruhestand das Dachgeschoß ertüchtigt, ausgebaut und die substantielle Qualität des Bestandes durch eine Loggia mit Ausblick erweitert. Zur barrierefreien Erschließung des Dachgeschoßes und der vermieteten Wohnungen darunter, haben wir den Liftschacht aus Holz als Skulptur vor das Haus gesetzt.

An diesem Ort haben wir einen super Ausblick über das Lavanttal und dessen Qualitäten. Aber auch die Herausforderungen, die das Leben am Land mit sich bringt, werden bei genauerem Hinsehen erkennbar. Auf die Reaktivierung der Ortskerne mit viel Leerstand sollte ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Statt vermehrt neue Häuser auf der grünen Wiese und die dafür notwendige Infrastruktur zu bauen, könnten bestehende Strukturen im Ort und deren Qualitäten nachgenutzt werden.

Es geht doch darum, mit den örtlichen Gegebenheiten, Ressourcen und den Menschen aus der Region das beste Ergebnis zu erzielen. Wir müssen dem Ortskernsterben entgegenwirken und Räumlichkeiten für sozialen Austausch schaffen. Dieses Bewusstsein gehört wieder in die Köpfe der Gesellschaft geholt. Statt große Grundstücke für Einfamilienhäuser zu widmen, könnten kleinere Parzellen mit klar definierten Vorgaben helfen, um alternative Wohnmöglichkeiten zu fördern. Architekt:innen kommen zumeist erst dann hinzu, wenn Parameter wie Abstandsregelungen und stumpfsinnige Stellplatzverordnungen schon feststehen. Um diese Probleme auch nur ansatzweise in Griff zu bekommen, sollten Baugesetze bzw. Bebauungspläne nachhaltiger gestaltet werden.

Der Lehrgang ‘Baukultur und Raumordnung’, der in Kärnten konzipiert wurde und 2022 erstmals ebendort stattfand, ist dahingehend ein wichtiger Schritt. Der Frage ‘Wie können wir unsere Umwelt nachhaltiger gestalten?’ folgend, ist es in erster Linie ein Format für konstruktiven Austausch unter Bürgermeister:innen und Bediensteten der Kommunen, sowie Planer:innen und Projektentwickler:innen.

Am Beginn unserer Projekte schauen wir uns gemeinsam mit unseren Bauherr:innen gebaute Beispiele guter Architektur an. Vor Ort vernetzen wir uns mit den jeweiligen Architekt:innen und Auftraggeber:innen, um nicht nur die Qualitäten von Raum und Materialien, sondern auch den Prozess zu vermitteln – das hat sich bisher bewährt. Danach legen wir gemeinsam die wichtigsten Qualitäten und Anforderungskriterien fest. Häufig erstellen wir für die Auftraggeber:innen ein Schaubild oder Modell zur Orientierung, an das wir uns mit vielen Checkpoints im langen Planungs- und Bauprozess konsequent heranarbeiten können.

Als Kernteam sind wir zu zweit. Wir beginnen den Denkprozess immer gemeinsam, später leitet eine:r von uns das Projekt, aber beide haben Ein- und Überblick. Immer wieder arbeiten wir mit Partner:innen in Arbeitsgemeinschaften. Wir sind auch privat liiert, somit überschneiden sich Arbeit und Privatleben regelmäßig, wir sind zumindest örtlich vom Büro getrennt. Als Architekt:innen haben wir eine große Verantwortung gegenüber den Bauherr:innen und der Gesellschaft, somit wählen wir unsere Projekte sorgfältig aus. Die gebaute Umgebung ist ein physisches Abbild unserer Gesellschaft und muss den sozialen und kulturellen Wandel aushalten. Ein Bildungsgebäude für Kinder und junge Erwachsene würden wir gerne einmal bauen. Vor allem wollen wir Leute für Architektur begeistern und das Bewusstsein dafür stärken. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Gestalter:innen weder Luft noch roten Faden verlieren und dran bleiben.“

29. November 2022 newroom

Begegnung beim Stadtbootshaus – Nina Kuess verortet sich

Am Grazer Murufer treffen wir auf eine innerstädtisch seltene Bautypologie: ein Bootshaus.

„Die grüne Zunge durch die Stadt sollte erhalten bleiben, sodass wir in unserem Wettbewerbsentwurf das Gebäude an die Straßenkante gesetzt haben. Jetzt lässt sich von der Promenade davor bis zum abgetreppten Dach, das wie eine aufgeklappte Böschung funktioniert, alles öffentlich nutzen. Es bietet Stadtraum, auch wenn das Bootshaus selbst gerade nicht geöffnet ist.

Wir versuchen, in unserer Architektur immer einen Mehrwert zu schaffen. Nicht nur im nachhaltigen Materialdenken, sondern auch in der Platzierung eines Gebäudes, und wie es konzipiert wird. Wir planen für die gewünschte Funktion, die aber stets ergänzbar ist. Beim Stadtbootshaus wollten wir beispielsweise eine hybride Gebäudeform, die sowohl beheizt als auch unbeheizt erweitert werden kann und trotz der Vorgaben durch Altstadt- und Hochwasserschutzzonen sowie Natur- und Artenschutz bestmögliche Flexibilität bietet. Unterschiedlich nutzbare Raumhöhen, Raum-in-Raum-Lösungen und über verschiebbare Fassadenelemente changierende Innen- und Außenräume zu schaffen, ist uns wichtig. Wer weiß schon, was in 15 Jahren sein wird und welche anderen Nutzungen das Gebäude noch durchläuft.

Wir arbeiten gerne mit einer kleinen Palette an Materialien, die dafür durch gezielten Einsatz im Detail eine zusätzliche, spürbare Qualität bringt. Beim Bootshaus haben wir beispielsweise nur drei Materialien eingesetzt und dafür ein Geländer entworfen, orientiert an den Gusseisengeländern mit Ornamenten, um einen Balkon für die Stadt zu schaffen. Platz für solche Ausarbeitungen möchte ich mir und meinem Team weiterhin einräumen.

Ich habe zudem eine Leidenschaft für das Bauen im Bestand, alte Strukturen und die Suche nach Wegen, wie sie weiter oder umgenutzt werden können. Ich finde es immer spannend, Orte weiterentwickeln zu dürfen, oft mit vielen Rahmenbedingungen umzugehen und beispielsweise das Handwerk von früher wieder sichtbar zu machen. Zu meiner Freude, bekommen wir in diesem Bereich vermehrt Anfragen – bei den heutigen Preisen und Abbruchkosten muss man sich ohnehin damit beschäftigen. Der Wert von Gebäudeensembles wird in ländlichen Gebieten besser erkannt und wenn wir vergessene Qualitäten wieder aufzeigen und erklären, dann schätzen die Leute das.

Meiner Erfahrung nach wächst derzeit bei Kund:innen der Anspruch und das Bewusstsein für architektonische Qualitäten, Nachhaltigkeit, intelligente Grundrisse und Detaillösungen. Da ich früh selbstständig war, habe ich von Anfang an den Austausch auf Augenhöhe mit Handwerker:innen und Firmen gesucht, um deren Ansätze zu verstehen – es ist neben Bauherr:in und Planer:in eben auch ihr Gebäude. Wir suchen immer gemeinschaftlich nach Lösungen, um gute Ausführungsqualitäten zu bekommen und im Weiteren das Vertrauen unserer Auftraggeber:innen.

Ich habe das Büro alleine gegründet und über die Jahre konstant Mitarbeiter:innen dazugeholt. Rene Märzendorfer, der die Büroleitung übernommen hat, ist in den letzten vier Jahren sozusagen zu meiner rechten Hand geworden. Mir ist das Team und unser ‘Wohnzimmer-Feeling’ im Büro sehr wichtig. Derzeit sind wir zu acht. Obwohl nicht alle 40h arbeiten, betreut jede:r eigene Projekte und Auftraggeber:innen – vom Entwurf bis zur Ausführung. Ich bin in alle Projekte involviert, oft als Joker und für die Kommunikation zuständig. Es ist aufgrund der Vielfalt unserer Projekte schwer zu sagen, wo die Reise hingeht, ich bin da sehr offen. Uns ist der Anspruch an ein Projekt und dessen Mehrwert für die Umgebung wichtiger als die Typologie selbst.“

KUESS Architektur ZT, gegründet 2016 von Nina Kuess, arbeitet neben Neubauprojekten, Projektstudien und Wettbewerben, vorwiegend an Um- und Zubauten von Bestand in der Steiermark. Das Zusammenspiel von Alt und Neu sowie der Materialeinsatz, Details und die Offenheit für zukünftige Nutzungen stehen im Fokus.

15. November 2022 newroom

Begegnung im Eigenheim – Mertelj Vrabič Arhitekti verorten sich

Matic Vrabič und Maša Mertelj

Am Stadtrand Ljubljanas steht ein beinahe fertiges Gebäude, in dem eine der Architekt:innen mit ihrer Familie lebt. Eine Baustelle, Beton, Glas und Erde überall.

„Dieser Steinbrocken bildet die Verbindung zwischen Gebäude und Natur. Das Haus endet, wo es endet, und dann beginnt die Natur. Das Konstruktionsmaterial schafft gleichzeitig den Raum: Sichtbeton außen und innen. Auch der Boden, Beton behandelt wie Terrazzo, mit Kieselsteinen aus der Save. Es war schwierig, eine Baufirma zu finden, die dieses Projekt annehmen wollte, da die Ausführung von hochwertigem Sichtbeton sehr anspruchsvoll ist. Schließlich gründeten wir unsere eigene. Wir organisierten alle Materialbestellungen selbst und mieteten Arbeiter anderer Baufirmen. Sollte ein weiteres Betonhaus gefragt sein, könnten wir die Firma reaktivieren.

Jedes Projekt sollte wie ein Organismus funktionieren. Wir erarbeiten ein klares Schema, in das alle Bedürfnisse einfließen. Für dieses Haus haben wir zwei Jahre lang gezeichnet und über 30 Varianten entworfen. Jetzt bauen wir eine relativ direkte Übersetzung der ausgewählten Skizze. Vier Kerne und drei Platten, räumlich simpel – das ist das Haus. Das Programm ist für uns nicht allzu wichtig, da es sich schnell ändern kann. Stattdessen arbeiten wir an qualitativ hochwertigen Räumen, die möglichst wenig definiert sind und auf vielfältige Weise bewohnt werden können. Bei diesem Projekt bedeutet programmatische Flexibilität zum Beispiel, nicht durch fixierte Lichtquellen eingeschränkt zu sein. Es gibt keine Deckenleuchten, außer im Stiegenhaus und in den Bädern.

Die eigens angefertigten Holzschränke dienen als Trennwände. Sie fassen die Räume im zweiten Stock und bieten Platz für Stauraum und Haustechnik. In einem anderen Szenario können sie an ihren Enden zusammengefaltet werden, sodass ein einziger, verbundener Raum entsteht. Das ist unsere Auffassung von verantwortungsvoller Planung: etwas Langlebiges zu schaffen, sowohl konstruktiv als auch in den Nutzungsmöglichkeiten. ‘Particular Pleasures’ finden sich in all unseren Projekten. Das Oberlicht im Bad zum Beispiel schafft eine besondere räumliche Qualität.

Gemeinsam mit Kolleg:innen, Ingenieur:innen und experimentierfreudigen Handwerker:innen suchen wir nach unkonventionellen, aber einfachen Lösungen, die nicht unbedingt teurer sind. In diesem Haus haben wir gemeinsam mit einem Tischler die Betonschalung vorbereitet, um die Türlaibungen auszulassen. Die Türen kommen demnächst und werden plan in die Wände eingebaut. Auch die Glasschiebefenster sind von uns entworfen. Nach zahlreichen Gesprächen haben wir einen motivierten Fensterbauer für die Umsetzung gefunden. Wenn wir gute Lösungen entwickeln, können wir diese erneut einsetzen. Im Moment sind wir zu dritt, aber je nach Projektlage schwankt die Größe unseres Büros. Bis zu fünf oder sechs Personen wären ideal, um mit derselben Präzision an unseren Projekten und ausgewählten Wettbewerben zu arbeiten. Ambitionierte Auftraggeber:innen und ein toller Bauplatz sind uns wichtiger als eine bestimmte Typologie. Auch einfache Aufgaben können sich zu tollen Projekten entwickeln. Wir untersuchen derzeit in Vergessenheit geratene Konzepte, die nach wie vor relevant, intelligent und einfach zu bauen sind. Das Bauen ist heute übermäßig bürokratisch und kompliziert geworden. Wir sind der Meinung, dass wir wieder einen Schritt zurück machen und die Dinge vereinfachen sollten, wo immer wir können. Darauf sollten wir bei künftigen Projekten achten.“

Mertelj Vrabič Arhitekti erarbeiten seit 2015 Innenräume, Ausstellungen und Möbel; gerade stellen sie ihr erstes Haus fertig. Von Ljubljana aus gestalten die Gründer:innen Maša Mertelj und Matic Vrabič gemeinsam mit Eva Gusel Wohnräume, die auf klaren Konzepten und durchdachten Details basieren.

1. November 2022 newroom

Begegnung am Neusiedler See – Nikolaus Gartner verortet sich

„Der Neusiedler See, wie wir ihn kennen, ist ein artifizieller Naturraum. Das Seeufer, auf dem wir gerade stehen, ist nicht natürlich gewachsen, es wurde aufgeschüttet. Das ist ein exemplarischer Ort für die starken topographischen Veränderungen der letzten 150 Jahre. Der ehemals stark schwankende Wasserstand des Steppensees wurde durch menschliche Eingriffe stabilisiert, das Umland landschaftlich nutzbar gemacht, der Schilfgürtel entstand, und die touristische Kolonialisierung begann.

Im Zuge dieser Kolonialisierung entstanden viele unterschiedliche Bauweisen, die zeigen, dass es keinen Konsens gibt, wie man mit dieser Art von Landschaft umgeht. Das war der Anstoß für meine Untersuchung der Siedlungen innerhalb des Schilfgürtels und an der Uferkante. Historisch sind im See Pfahlbauten entstanden, Seebäder und ganze Dörfer. Nach und nach wurden diese durch massive Bauten auf aufgeschüttetem Terrain ersetzt. Alle Seebäder, wie Breitenbrunn oder Weiden, sind eigentlich künstliche Inseln. Der Umgang mit Grund und Boden zeigt, wie sich Architektur in die Landschaft integriert: Schüttet man auf, um sich den idealen Bauplatz zu schaffen, stellt dies einen gewaltsamen Eingriff dar; schlägt man hingegen nur Pfähle ein, kann Wasser unterhalb durchfließen und das Schilf bis zum Haus wachsen; trägt man den Pfahlbau später ab, bleiben nur die punktuellen Gründungspfähle über, der Naturraum mit seinen Potentialen wird kaum verändert. Letzteres zeigt einen sensiblen und zukunftsfähigen Umgang mit lokalen Gegebenheiten vor und prägt mein architektonisches Verständnis.

Jeder Neubau ist mit Ressourcenverbrauch und Müllaufkommen verbunden. Deshalb würde ich lieber subtraktiv planen: wegnehmen statt hinzufügen, um den Raum und den Ort zu verbessern. Ich hoffe, dass Umweltthemen zum Katalysator für neue Bauweisen und Wohnformen werden – entgegen der derzeitigen dualen Praxis mit Einfamilienhaus und Wohnblock. Die vielen Streckhöfe im Burgenland, beispielsweise, könnten zu Modellen durchmischter Strukturen werden, in denen mehrere Parteien arbeiten und wohnen.

Ich bin im Vorstand des Architekturraum Burgenland, um etwas für die Baukulturvermittlung auf regionaler Ebene zu tun. In meiner Funktion versuche ich an der Programmgestaltung inhaltlich und personell mitzuwirken und zeitgemäße Themen, die das Bauen am Land und die junge Generation betreffen, zu transportieren. Es wäre schade, wenn das enorme baukulturelle Kapital, wie Siedlungsstrukturen und Angerdörfer, durch das neoliberale ‘Jede:r-wie-man-Will’ verloren ginge. Gleichzeitig müssen die sozialen Herausforderungen junger Menschen beachtet werden. Im Burgenland stoßen Bauvorschriften leider häufig auf Unverständnis, da ist Vermittlung gefragt.

Derzeit arbeite ich für 40 Stunden in einem Wiener Büro und nur selten an eigenen Projekten. Wenn ich selbständig arbeite, ist mir neben der Planung die theoretische Auseinandersetzung und Grundlagenforschung wichtig. Nur gezielt jene Projekte anzunehmen, für die man geeignet ist, funktioniert als Strategie, um ein gutes Portfolio aufzubauen. Im Entwurf arbeite ich viel mit dem physischen Modell, auch zur Kommunikation auf der Baustelle. Es ist mir wichtig, den Raum zu sehen und spielerisch operativ Elemente einzusetzen und zu überprüfen. Ich würde mir so etwas wie die Flugscham bei Bauprojekten wünschen. Das würde zu einem sorgsameren Umgang mit Landschaft und Ressourcen führen.“

Nikolaus Gartner ist planender und forschender Architekt. Er organisiert und kuratiert als Vorstandsmitglied Veranstaltungen und Ausstellungen im Architekturraum Burgenland.

18. Oktober 2022 newroom

Begegnung im sozialistischen Erbe – 2021 architekti verorten sich

Das Kollektiv 2021 in ihrem Büro – die beiden Gründer Peter Lényi (v.l.) und Ondrej Marko (nicht im Bild) mit ihrem Team.

In einer ehemaligen Fabrik, später Chemieschule und heute selbstorganisierter Coworking Space, sprechen wir ausführlich über die Neugestaltung des Freiheitsplatzes in Bratislava.

„Dieser Umbau spiegelt in mehrfacher Hinsicht unsere Prinzipien und die Geschichte unseres Studios wider. Dieser 46000 m² große Platz mit zentralem Springbrunnen ist Teil unserer sozialistischen Geschichte. Die Neugestaltung ist behutsam und respektvoll gegenüber dem Bestand. Der bestehende Platz ist gut, wir müssen seine Qualitäten bloß hervorheben, damit die Menschen sie verstehen, und kleine Anpassungen vornehmen, um die Nutzbarkeit zu verbessern. In der ursprünglichen Gestaltung gab es eine Mauer um den Brunnen und das Becken: Man konnte sie sehen, aber nicht nutzen. Die Geometrie war so konzipiert, dass öffentliche Versammlungen unmöglich waren. In unserem Entwurf wird diese Mauer entfernt. Der Brunnen wird zugänglich und bietet weitere 1500 m² an Fläche, auf der man protestieren oder sich im Sommer von Wasser anspritzen lassen kann. Zudem wurden 400 Tonnen der ursprünglich verbauten Basalt- und Granitsteine zu einem neuen Außen-Terrazzo recycelt, so mussten 400 Tonnen Neumaterial nicht abgebaut und transportiert werden.

Als wir 2017 zusammen mit Labak den offenen Wettbewerb gewannen, waren die Zeiten in Bratislava andere: ein anderer Bürgermeister, öffentliche Wettbewerbe gab es selten und sie wurden praktisch nie umgesetzt. Wir haben uns 2,5 Jahre lang für unser Vorhaben eingesetzt und konnten so den neuen Bürgermeister, den Bauträger und die Stadt überzeugen. Dass das Projekt jetzt gebaut wird, liegt nicht am perfektionierten Entwurf, sondern an der proaktiven Kommunikationsarbeit. In gewisser Weise sind wir Aktivist:innen.

Wir arbeiten hauptsächlich für Städte und Institutionen und haben uns ungeplant als Spezialisten für den öffentlichen Raum etabliert. Unser Fokus auf Projekte, die dem öffentlichen Interesse dienen, statt auf Einfamilienhäuser, ist jedoch beabsichtigt. Hier fühlen wir uns nützlicher. Bei der Akquise von Projekten tragen wir eine politische und moralische Verantwortung.

Unser zweites Standbein ist das Erarbeiten von Ausschreibungen für Architekturwettbewerbe. Gemeinden beauftragen uns damit, Aufgabenstellungen zu formulieren und Verfahren zu konzipieren. Unsere Grundsätze fließen dabei immer in die Aufgabenstellung oder in die Auswahl der Jury ein. Wir wollen, dass jeder Wettbewerb zu einer tatsächlichen Umsetzung führt, denn wir wissen, dass eine einfache Lösung, die funktioniert, besser ist als ein Raumschiff, das nicht existiert.

Das Studio wird von zwei Personen geleitet, doch wer eine gute Idee vorschlägt, wird gehört. Können wir uns einmal nicht entscheiden, stimmen alle sieben ab, und jede Stimme zählt gleich viel. Die Nachfrage übersteigt derzeit unsere Kapazitäten, doch die Qualität unserer Arbeit ist uns wichtiger als die Quantität. Statt ein großes Studio mit mehr als zehn Beschäftigten und viel Verwaltungsaufwand zu werden, wollen wir uns auf den Entwurf konzentrieren. Wir arbeiten so wenig wie möglich, in der Regel nur an Werktagen von 9 bis 17 Uhr, um mehr Zeit für unsere Kinder und andere Interessen zu haben.

Wir wünschen uns mehr gute Schulen und Krankenhäuser in der Slowakei. Im Moment gibt es keine Wettbewerbe für diese großen und wichtigen Gebäude, das müssen wir ändern. Planer:innen müssen verstehen, dass es für die Zukunft unerlässlich ist, sich auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren und Projekte zu realisieren, die sozial verantwortbar sind.“

Seit 2012 arbeiten 2021 architekti aus Bratislava fast ausschließlich an öffentlichen Projekten. Sie konzentrieren sich auf gesellschaftlich nützliche Aufgaben und sind Architekt:innen, die sich auf die Gestaltung des öffentlichen Raums und die Konzeption und Betreuung von Architekturwettbewerben spezialisiert haben.

4. Oktober 2022 newroom

Begegnung vor der Fensternische – AKT verortet sich

Im Gespräch (v.l.n.r.) mit Fabian Antosch, Harald Trapp, Max Hebel und Lena Kohlmayr. AKT besteht weiters aus: Gerhard Flora, Adrian Judt, Julia Klaus, Phillipp Krummel, Gudrun Landl, Lukas Lederer, Susanne Mariacher, Christian Mörtl, Philipp Oberthaler, Charlie Rauchs, Helene Schauer, Kathrin Schelling und Philipp Stern.

Vier der siebzehn Köpfe des Architekturkollektivs AKT treffen wir neben einem erst mal unscheinbaren Fenster im zweiten Wiener Gemeindebezirk.

“Exemplarisch für unser Arbeiten ist diese Nische in einer Schaufensterfront, die wir im Rahmen einer Ausstellung umgebaut haben. Durch das Verschieben des Außenfensters in den Innenbereich ändert sich die bestehende Raumgrenze – aus privatem Raum wird Stadtraum, also öffentlicher Raum. Wir arbeiten intensiv mit den Gegebenheiten vor Ort und wollen zeigen, wie Architektur Veränderungen herstellen kann. Eine solche Verschiebung ist auch für den Österreichischen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig 2023 vorgesehen, die eine neue Zugänglichkeit schaffen und das Verhältnis zwischen Stadt und Biennale verändern soll.

Ein Ausgangspunkt von AKT ist die Arbeit von Architekt:innen zu hinterfragen: ‘Wir wollen anders zusammenarbeiten als es normalerweise im Architekturkontext passiert. Wir wollen eine andere Arbeit.’ Normative Abläufe zu prüfen und umzuinterpretieren, ist eine kontinuierliche Aufgabe für uns und Teil jedes ‘Akts’. Statt räumliche Situationen auszustellen, wollen wir sie herstellen und wie bisher selbst händisch bauen. Wir bringen gemeinschaftlich den Entwurfs- und Bauprozess zusammen und beobachten, wie Leute mit unseren räumlichen Setzungen umgehen, was sehr befriedigend ist.

Da wir bei AKT ohne gewinnorientierte Grundhaltung arbeiten, haben wir die Möglichkeit, kritisch und alternativ zu denken. Das muss man sich natürlich erst mal leisten können, finanziell, zeit- und energiemäßig. Grundsätzlich erarbeiten wir unsere Akte im Kollektiv zu siebzehnt. Die Vielstimmigkeit, die in den ersten Akten sichtbar wurde, besteht weiterhin, selbst wenn die letzten Akte aus einer gemeinsamen Idee entstanden sind. Unterschiedliche Meinungen und Gedankenstränge dürfen und sollen weiterhin bestehen – die Frage ist: Werden diese bloß zu einem schwammigen Konsens gebracht oder, um das Vorhaben zu schärfen, in gemeinsamen Diskussionen fruchtbar gemacht? In zweiterem liegt die große Stärke des Kollektivs. Dabei verarbeiten wir unsere Gedanken gleichzeitig zu Texten, die unsere Arbeit anleiten und begleiten.

Es bringt nichts, auf Wettbewerbe und Auftraggeber:innen zu warten. Die ersten Projekte haben wir selbst initiiert, ohne Honorar, die Existenz musste bisher anderweitig gesichert werden. Nun sind wir an den Punkt gekommen, an dem honorierte Projekte an uns herangetragen und erstmals mehrere Projekte parallel bearbeitet werden. Diese neue Situation bedarf neuer Organisationsstrukturen, wodurch sich das Kollektiv stetig im Kleinen verändert. Ein Büro mit 17 Personen zu starten, ist quasi unmöglich, das produziert inhaltliche und pragmatische Probleme. Außerdem wollen wir weiterhin eine Gegenposition zum typischen Arbeitsablauf im Architekturbüro einnehmen.

Beinahe alles, was im Architekturbüro produziert wird, muss verwertbar sein. Das ständige Wachstum lässt kaum mehr Zeit für andere Arbeiten. Beispielsweise, sich daran zu erinnern, dass Architektur weder Hintergrund noch Bühne ist, sondern etwas Zwischenmenschliches, das zwischen Menschen passiert. Wir wollen zu den Grundlagen zurückkehren, die in einem Büro nicht mehr diskutiert werden können, und anders mit Architektur umgehen lernen. Es geht darum, wie wir uns als Menschen auf der Erde verhalten. Die Klimakrise ist eine Auswirkung dieser sozialen Krise, die neue Antworten braucht: Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir leben? Wie wollen wir bauen? Da muss es offensichtlich anders gehen. Und es geht immer auch anders.”

AKT ist ein Architekturkollektiv mit 17 Mitgliedern und Sitz in Wien. Auf der Suche nach dem Verhältnis von Menschen und Dingen, die gemeinsam Raum bilden, verstehen sie Architektur als Aktion und lebendige Kommunikation.

20. September 2022 newroom

Begegnung zwischen Umnutzungen – Stijn Nagels verortet sich

Stijn Nagels vor dem aufgestockten Wohnbau in der Friedrich-Inhauser-Straße – entstanden in Zusammenarbeit mit Christoph Scheithauer.

Wir spazieren vom Motel One an der Lehener Brücke, einem umgenutzten Bürohaus und eines der ersten Projekte, an dem Stijn Nagels in Salzburg mitgewirkt hat, zu einer kürzlich fertiggestellten Aufstockung eines Wohnbaus im Stadtteil Aigen.

„Ich glaube, die meisten Menschen würden eine ruhige, naturverbundene Atmosphäre, angenehme Raumtemperaturen und einen Ausblick schätzen, doch diese Qualitäten sind im Alltag oft fern. Da die Investor:innen hinter der Baubranche unbedingt schnell und viel bauen wollen, anstatt auf Lebensqualität zu achten, wird oft dort gebaut, wo man eigentlich nicht sollte – es ist laut und heiß, und was tut man? Man baut einen Turm mit Schallschutz und Klimaanlage, mit möglichst billigen Materialien und Arbeitskräften. Das zeigt, dass unsere Gesellschaft auf Symptombehandlung ausgelegt ist: Wir kapseln uns von selbst verursachten Problemen ab, anstatt diese an der Wurzel anzupacken. Die Baubranche ist die meist verschmutzende weltweit, doch weiterhin findet diese massive Bautätigkeit und Spekulation am Immobilienmarkt statt, während viele bereits gebaute Flächen leer stehen. Das geht in die falsche Richtung. Überspitzt gesagt: Die sauberste Architektur ist die, die nicht gebaut wird. Natürlich bin auch ich bereits für Neubauten verantwortlich, aber vor jeder Planung, sollte man sich fragen, braucht man das überhaupt? Könnte ich die Situation auch mit anderen Mitteln verbessern?

Es gibt eigentlich schon fast alles, man muss es nur nutzen und umdenken statt abzureißen und neu zu bauen. Deshalb arbeite ich sehr gerne mit bestehender Substanz. Die oftmals solide Basis bietet große Flexibilität. Hier braucht es eine generelle Bewusstseinsänderung, die lieber schon gestern als heute passiert wäre. Braucht man beispielsweise noch so viele Büro- und Verwaltungsgebäude wie früher? Oder könnte man diese zu Wohnraum in der Innenstadt umbauen?

Mir ist eine bescheidene, zeitlose Architektur wichtig, mit ehrlichen Materialien gebaut, die ich vom Entwurf bis zur Ausführung betreuen kann. Das Mindeste, was man unabhängig vom Budget als Architekt:in tun kann, ist, Räume zu gestalten, bei denen die Proportionen sitzen, die Zusammenhänge passen und der Grundriss funktioniert. Wenn ich ein Projekt (um)plane, strebe ich zudem ein möglichst breites Nutzer:innenspektrum und gesellschaftliche Durchmischung an. Das Projekt in der Friedrich-Inhauser-Straße, das gemeinsam mit Christoph Scheithauer entstand, ist eine Renovierung eines bestehenden Wohnbaus auf klimaneutralen Standard mit Erweiterung um 99 Wohnungen im teuren Stadtteil Aigen. Dieses Beispiel zeigt, dass es auch in einem nobleren Viertel möglich ist, geförderte Mietwohnungen mit hoher Qualität zu erhalten.

Mein Büro ist kleinstrukturiert, aber dynamisch aufgestellt, ich arbeite hauptsächlich alleine, aber hin und wieder auch gerne in Partnerschaften oder zusammen mit jungen Planer:innen. Dieser frische Wind ist sehr inspirierend für mich, und ich versuche, den Entwurfsprozess interaktiv und auf Augenhöhe umzusetzen, sodass es nicht allzu hierarchisch abläuft. Das ergibt eine gute Wechselwirkung. Mein Traumprojekt wäre eins, bei dem das gemeinsame Gut im Zentrum steht, wo auch Investor:innen einsehen, dass das die richtige Nachhaltigkeit ist. Es darf dabei ruhig um viel Geld gehen, solange der Gewinn nicht einseitig ist. Es braucht innovative Investor:innen, die sich trauen, Pilotprojekte zu starten. Daraus können neue Arbeitsgemeinschaften entstehen, die anders bauen wollen.“

Stijn Nagels ist ein belgischer Architekt, der in Salzburg lebt und arbeitet. Seine Projekte beschäftigen sich bevorzugt mit Bauaufgaben im Bestand, Umgestaltungen und Umnutzungen. Neben gebauter Architektur ist er im Vorstand der Initiative Architektur Salzburg und initiierte dort (mit Roman Höllbacher) den Stammtisch Next Generation.

6. September 2022 newroom

Begegnung in der Bezirkshauptmannschaft – archcollectiv_F4+ verortet sich

Michael Trixl, Stephan Mitterhofer, Silvia Kliti und Fabio Mancini (von li. nach re.), die Gründer:innen von archcollectiv_F4+

Im zweiten Stock der ehemaligen Halleiner Bezirkshauptmanschaft, ein 50er-Jahre-Bau und einer der Standorte des archcollectiv_F4+, treffen wir einander für ein hybrid geführtes Interview.

„Wir finden, dass Architektur zuallererst eine soziale Rolle spielt. Die Auswirkung der Architektur auf die Gesellschaft wurde in den vergangenen Jahren oft unterschätzt oder negiert. Bei jedem Projekt müssen wir zuerst den Ort verstehen und mit architektonischen Mitteln die richtige Lösung für ihn und die Nutzer:innen finden. Dadurch können wir städtebauliche, soziale und wirtschaftliche Probleme, und nicht nur die Fragen der Auftraggeber:innen beantworten. Wir wollen qualitativ hochwertigen Lebensraum in der Stadt bieten, nicht nur Arbeitsplätze, kurze Wege und versiegelte Flächen. Wenn die vielen Verkehrsflächen auch nur prozentual begrünt wären, könnte die Stadt zum Naherholungsort werden. Langfristig müssen wir auch die Lebensmittelerzeugung mitdenken, sodass regional und kompakt alle Notwendigkeiten des Lebens eingeplant werden. Es geht darum, visionär das Zukunftsbild von Stadt und Wohnen zu transformieren. Uns ist bewusst, dass das nicht immer zum Wettbewerbsgewinn führt, wir wollen aber dennoch Statements setzen, Ideen streuen, unserer Linie treu bleiben und sie weiterentwickeln – irgendwann wird es Früchte tragen, die jeder Mensch ernten darf.

Unser Anspruch ist es, zeitlose Architektur zu gestalten, die ihre Qualität behält. Dafür müssen wir den Finanzierungszeitraum der Bauträger-Denke erweitern. Es müsste nicht schon nach 30 Jahren saniert werden, würden wir qualitativ hochwertiger bauen. Wir planen mit ehrlichen Materialien: möglichst natürlich, meist Rohmaterialien oder wenig weiterverarbeitet, Verbundwerkstoffe vermeiden wir bestmöglich. Holz zum Beispiel, das so wenig wie möglich bearbeitet wird, hat die größte Dauerhaftigkeit. Was verbaut wird, machen wir sichtbar, sodass der Zugang zum Handwerk erhalten bleibt.

Aufgrund eines großen Wettbewerbsgewinn für das Quartiersareal Lanserhofwiese, das nun in einem Zeitraum von ca. zehn Jahren zu einem Wohnquartier mit rund 600 geförderten Einheiten verdichtet wird, haben wir unser Kollektiv formiert. Durch die vorhergehenden Erfahrungen als Selbstständige und unsere unterschiedlichen Stärken können wir alle nicht nur zusammen, sondern auch autonom arbeiten. Die Flexibilität und Unabhängigkeit unseres Berufs erlauben uns zudem den Familienalltag zu meistern. Es gilt offen zu sein für ein gewisses Wachstum, aber dabei die Qualität zu halten. Wir wollen keine Finanzierungsprojekte abarbeiten müssen, nur um das Büro zu erhalten. Wenn der Projektrahmen einmal größer wird, können wir als dynamisches Kollektiv anders agieren und auf das + in unserem Namen zurückgreifen: Input von außen, der die Pluralität von Inhalten steigert und festigt.

Ein Wunsch ist, die antizipierte Qualität mit einer klaren zukunftsorientierten Haltung umzusetzen und die Auftraggeber:innen und Bauträger davon zu überzeugen, die Entscheidungen mitzutragen. Abstraktion und unser elementarer Zugang zeigen in Projekten ganz klar, dass die Reduktion eingesetzter Materialien ökonomischer und zudem ästhetischer ist. Nur mit diesem gegenseitigen Verständnis aller Beteiligten kann in Zukunft Qualität und eine Sensibilität gegenüber Städtebau, Architektur und deren Auswirkungen geschaffen werden – das ist unsere Verantwortung.“

Seit 2020 arbeitet archcollectiv_F4+ an Projekten in Österreich und Italien – mit Sitz in Hallein und Pescara. Ein bewusster und ehrlicher Umgang mit Materialien und ein starker Fokus auf Stadtkontext und Nachbarschaft sind ihre grundlegenden Prinzipien.

9. August 2022 newroom

Begegnung zwischen Landwirtschaft und Architektur – Theresa Reisenhofer verortet sich

Theresa Reisenhofer, Gründerin von super tomorrow architecture

Auf dem selbst gestalteten und gebauten Holztisch steht eine Flasche vom eigenen Apfelsaft. Durch die Fenster der großzügigen alten Wohnküche sehen wir umzäunte Wiesen, und Schafe. Auf diesem Hof in der Oststeiermark treffen sich Familie, Landwirtschaft und Architektur.

„Mich interessiert das Planen und Bauen am Land viel mehr als in der Stadt. In alten Dorfstrukturen, wie dem Angerdorf, gab es in der Mitte einen gemeinschaftlichen Platz, oder offene Vorzonen zu den Häusern, davon kann man viel lernen. Heute bauen wir hingegen Punkthäuser mittig ins Grundstück, eingezäunt mit hohem Sichtschutz und Thujenhecken. Unser neoliberales System hat jede:n zu einer Insel werden lassen. Es gibt keine richtigen Dorfkerne, keine Gemeinschafts-Infrastruktur mehr. Gesetze, Raumplanung und Flächenwidmung müssen dahingehend endlich besser werden. Die Landschaft ist ein wichtiges Allgemeingut – für mich gilt: ‘alles ist Landschaft’. Statt Neubau-Einfamilienhaussiedlungen als Parzelle, Parzelle, Parzelle, könnten wir Ortskerne wieder dichter und gemeinschaftlicher gestalten, sozusagen ein Angerdorf 2.0. Mithilfe von Baukultur-Richtlinien, die tatsächlich sinnvoll sind, und größer angelegten Bebauungsplänen könnte ein kollektives Identitätsbewusstsein für das Dorf als Lebensraum geschaffen werden.

Eine überdimensionierte Villa zu planen interessiert mich nicht. Mir sind detailliert überlegte Projekte, in denen man gut leben kann, wichtiger. Neben sozialer Nachhaltigkeit, macht mir zirkuläres Bauen Spaß. Wir haben zum Beispiel einen alten Holzstall woanders abgebaut, hier am Hof neu aufgebaut, und die überschüssigen Bauteile für Garten, Geländer etc. verwendet. Ich nehme gerne Potentiale von Bestandsgebäuden, an die man im Neubau nicht denkt, in meine Entwürfe auf. Prinzipien in meiner Planung sind intensiv begrünte Flachdächer, das Bauen in Holz- und Ziegelbauweise ohne Styropordämmung, und so wenig Boden wie möglich zu versiegeln. Man müsste jedes Bauvorhaben anhand eines Klimakatalogs prüfen: werden Kriterien nicht erfüllt, wird nicht gebaut. Warum gelingt das beim Ortsbildschutz aber nicht beim Klima? Es stört mich, dass man als Architekt:in scheinbar ständig eine neutrale Haltung haben soll. Architektur ist immer politisch.

Ich bin derzeit selbstständig als technisches Ingenieurbüro für Innenarchitektur, und plane demnächst die ZT-Prüfung zu machen. Zukünftigen Angestellten möchte ich gute Arbeitsbedingungen bieten, mehr als den Mindestlohn zahlen und eine 30 Stunden Woche einhalten. Durch meine Wettbewerbserfahrung und gute Zeiteinteilung sind auch Wettbewerbe in einer regulären Arbeitswoche und ohne Überstunden schaffbar. Mit der Landwirtschaft komme ich dennoch auf 40-50 Arbeitsstunden. Home Office erlaubt es mir vom Hof aus zu arbeiten, und ist auch allgemein ein wichtiges Werkzeug, um den Pendlerverkehr zu verringern, was wiederum der Umwelt und dem Dorfleben zugute kommt.

Am Land bist du selbst als junge:r Architekt:in nicht nur eine Nummer. Wenn du ein Projekt überzeugend machst, bekommst du hier viel eher Vertrauen als in der Stadt. Als ‘Local’ wirst du schnell zu Wettbewerben geladen, die mache ich mit Vorliebe, und kollaboriere dafür derzeit mit anderen Büros. Das braucht Bereitschaft zur Flexibilität, denn ich bin durch die Landwirtschaft örtlich gebunden, und habe ein kleines Kind. Für mich und meine Kolleg:innen in ähnlicher Situation ist Social Media deshalb zur wichtigen Austausch-Plattform geworden.

Gleichzeitig zu arbeiten und ein Baby oder Kleinkind zu betreuen muss in der Gesellschaft und im öffentlichen Raum sichtbarer werden – auch für diese Nutzer:innen braucht es eine adäquate Planung. Mein Sohn ist bei jeder Besprechung sowie bei Architekturveranstaltungen dabei. Sichtbarkeit schafft Sensibilität und die braucht es dringend, auch in der Architekturszene.“

Im steirischen Feistritztal gründete Theresa Reisenhofer 2021 ihr Büro super tomorrow architecture. Sie sucht nach zeitgemäßen Architekturlösungen für den ländlichen Raum und seine Dorfstrukturen. Ihre Planungen sind Beiträge zur kollektiven Landschaft im Kontext der Region. In Zusammenarbeit mit rhp zt-gmbh konnten dieses Jahr Wettbewerbe für eine Aussichtswarte und einen Genossenschaftswohnbau gewonnen werden.

19. Juli 2022 newroom

Begegnung am Wienfluss – joyjoy studio verortet sich

Felix Zankel und Jakub Dvorak, die Gründer von joyjoy studio

„Innerhalb von Minuten ändert sich die Umgebung, und auch deine Wahrnehmung, plötzlich bietet die Stadt etwas Natürliches und Unprogrammiertes. Genau solche Orte wie hier am oberen Wienfluss brauchen Städte und ihre Bewohner:innen. Auch in der Architektur muss es mehr dieser Qualitäten geben.

In unserer Arbeit geht es meist darum, innerhalb bestehender Volumen, den Raum zu lesen und andere Antworten zu suchen. Bekommen wir die vermeintlich klare Aufgabenstellung ein neues Haus zu bauen, hinterfragen wir im Dialog mit unseren Bauherr:innen, ob sie das auch wirklich wollen oder ob es nicht auch eine geschicktere Lösung gibt. Oft genügen ein paar kleine Maßnahmen, um Räume soweit zu ändern, dass sich die Nutzer:innen darin wieder wohl fühlen. Im Laufe der Gespräche können wir oft beobachten, wie sich vermeintlich klare Wünsche, und auch das Raumverständnis ändern. Gemeinsam können wir dadurch eine Designstrategie entwickeln, die auf die tatsächlichen Bedürfnisse antwortet und zugleich Budget und Ressourcen schont. Um Architektur und ihre Problemstellungen neu sehen und beantworten zu können, hinterfragen wir immer wieder unsere eigenen Überzeugungen, und löschen auch einmal Gelerntes.

Im Moment arbeiten wir an einer Serie von 15-20 Ideen für Wien. Wir thematisieren in kleinen Vorschlägen Qualitäten, die der öffentliche Raum bieten könnte, wenn wir uns erlaubten, ihn anders zu denken und bestehende Flächen anders zu nutzen. Obwohl sie aus heutiger Perspektive noch nicht umsetzbar sind, können unsere Visionen als Besprechungsbasis für eine Weiterentwicklung mit zusätzlichen Akteur:innen dienen. Wir erforschen die Potenziale der Straße und leerstehender Souterrain- und Erdgeschoßflächen, sowie Wechselwirkungen zwischen Straßen und Häusern. Was bedeuten sie für das soziale Gefüge, die Nachbarschaft und das Zusammenleben? Wie kann Architektur dazu beitragen, dass eine neue Infrastruktur in der Stadt entsteht? Zum Beispiel ein Netzwerk von Mikroschulen in ungenutzten Souterrainflächen, die zur Straße hin geöffnet werden und die Raumressourcen der Schulen in der Umgebung erweitern könnten. Machen wir Garagen wieder zu Wohnungen, Büros oder kleinen Geschäften. Trauen wir uns, Flüsse, die unterirdisch durch die Stadt fließen, wieder an die Oberfläche zu holen. Was macht das mit dem Mikroklima und dem Straßenraum? Wir wollen dazu beitragen, dass die Stadt auch als konsumfreier Ort wahrgenommen und genutzt wird, und wir mehr nach Außen leben.

Wir glauben nicht, dass das konstante Sammeln von Überstunden die Architektur besser macht, also legen wir Projekte auch mal zwei Tage beiseite, um sie dann mit frischem Kopf weiter zu planen. Es hilft schließlich weder uns noch den Auftraggeber:innen, wenn wir unsere Arbeit nicht mit Freude machen.

Wir sind sehr interessiert daran umfassendere Projekte zu planen, aber lassen auch mal keine Architektur entstehen, wenn wir es für richtig erachten. Wir wollen einfach weiterhin Spaß an dem haben, was wir tun, ‘joyjoy’ eben. Wir entscheiden selbst bei welchen Debatten wir mitreden wollen – ob wir gehört werden oder nicht – und fänden es wichtig, dass Architekt:innen wieder lauter werden. Architektur hat einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft, doch das was momentan entsteht, wird zu sehr von Geld, vermeintlichen Regeln und Gewohnheiten dominiert. Statt linear irgendwohin zu rennen, sollten wir den Architekturprozess als Kreislauf sehen.“

Seit 2021 wird bei joyjoy studio Architektur als Teil einer lebendigen Umgebung begriffen. Jakub Dvorak und Felix Zankel, die beiden Gründer, erforschen und gestalten Projekte, die Visionen für den Stadtraum greifbar machen und arbeiten an Bauaufgaben im Bestand wie auch Wettbewerben.

14. Juni 2022 newroom

Begegnung in der Industriehalle – GANG Atelier verortet sich

Patrick Pazdzior und Dennis Stratmann, Gründer von GANG Atelier

Hier hätten geschlossene Alu-Sandwich-Paneele stehen können. Doch bald werden hier Lebensmittel bei Tageslicht produziert. Kleine Ausbesserungen noch, dann kann der Holz-Ausbau einer kleinteiligen Industriehalle in Korneuburg bezogen werden.

„Heute ist Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Themen in der Architektur, und auch in unserer Herangehensweise ständig präsent. Wir arbeiten mit Vorliebe im Bestand, ob in alten Bauernhöfen, oder eben in neueren Industriehallen. Bei jedem Projekt fragen wir uns ‘wie ökologisch ist das wirklich?’ – Wir wissen zum Beispiel nicht, wo das Holz für die Struktur hier tatsächlich herkommt, in unserem Entwurf ist aber alles abbaubar und wiederverwendbar.

Zu uns kommen vorwiegend Menschen, die kleine Budgets haben und günstig bauen müssen, trotzdem bringen die meisten die Bereitschaft mit, zumindest über nachhaltige Materialien nachzudenken. Wir müssen immer abwägen, ob wir uns Absagen leisten können. Solange die herangetragenen Projekte unserer Haltung entsprechen und die Beziehung zu den Auftraggeber:innen stimmt, nehmen wir an. Abgelehnt haben wir bisher nur Projekte, bei denen Leute dahinter steckten, die politisch ganz woanders stehen als wir. In manchen Projekten ist unser Handlungsspielraum auf Schadensbegrenzung beschränkt, aber auch im Kleinen kann man viel beeinflussen.

Viele Gebäude werden ohne das Zutun von Architekt:innen gebaut. Und doch wird in der Architekturausbildung oft vermittelt ‘Ihr seid besonders, genau auf eure großen Visionen kommt es an.’ Das schafft eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Nicht jedes Projekt muss ein Gesamtkunstwerk werden. Wenn wir einen guten Rahmen schaffen, verträgt die Architektur auch alle nachfolgenden Ideen und Geschmäcker der Nutzer:innen, und das ist gut so.

Bei unseren Projekten reden wir am Anfang beide gleich viel mit. Danach übernimmt eine Person die Kommunikation und Projektleitung. Um den Überblick zu behalten und Fehler besser zu sehen, wissen wir voneinander, was beim anderen passiert. Wir wollen nur in geringem Maßstab wachsen, höchstens fünf zusätzliche Personen. Aufgrund anderer Interessen und der Familie, sind unsere Tagesrhythmen recht unterschiedlich; 40 Stunden Wochen und strikte “nine to five” Zeiten sind bei uns beiden rar. Wir wollen diese Arbeit langfristig machen und nicht nach weiteren fünf Jahren merken, dass wir ausgebrannt sind.

Die Grundlage, um überhaupt arbeiten zu können ist das von uns gegründete Gemeinschaftsatelier. Dort bekommen wir viel Inspiration von anderen Sparten und Arbeitsweisen. Wir suchen beispielsweise nach Möglichkeiten Open Source Software zu fördern, um langfristig von unseren überteuerten Lizenzverträgen mit Graphisoft & Co unabhängig zu werden. Wenn etwa 40 Architekturbüros das Geld, das sie für Lizenzen ausgeben, kollektiv sammelten, könnten wir stattdessen Programmierer:innen bezahlen, um bereits vorhandene Anwendungen zu verbessern und auszuweiten. So könnten vor allem junge Architekturschaffende einfacher selbstständig werden.

Wir haben auf Projekte Lust, die uns vor neue Aufgaben stellen. Eine Bar oder eine Werkstatt – wir haben definitiv ein Faible für kleinmaßstäbliche Aufgaben und direkten Austausch mit allen Beteiligten. Oder auch mal einen geladenen Wettbewerb für eine Universität, wo man unter guten Bedingungen an einem Entwurf arbeiten kann. Oder forschend von einem bestimmten Material ausgehend, ob Stampflehm, oder ein Hersteller, der sich auf Recycling-Plastik spezialisiert, und daraus ein Gebäude bauen möchte.“

Die Praxis von GANG Atelier verbindet derzeit zwei Pole: eigene, meist kleinere Projekte im Bestand, die sie bis zum Ende begleiten, sowie Zeichenjobs für andere Architekt:innen, vorwiegend im Bildungssektor für Schulen oder Kindergärten. Wettbewerbe sind bisher aus verschiedenen Gründe nicht im Fokus des seit 2017 in Wien bestehenden Ateliers.

17. Mai 2022 newroom

Begegnung im Krater – Krater Fajan verortet sich

Aleksey Moskvin, Jonas Längenfelder und Fabien Stoque (v.l.n.r.) vom zwölfköpfigen Kollektiv Krater Fajan

Das Kollektiv Krater Fajan arbeitet in einem Atelier in Innsbruck - im selbst geschaffenen ‘Krater’ sozusagen. Individuell erlebte Momente werden hier täglich diskutiert, und ergeben Ideen, die dann gemeinsam weiterentwickelt werden.

„Wenn ein Krater entsteht, ist das erstmal ein unprogrammierter Raum, der sehr viel Potential hat. Unser Ziel ist es, experimentelle, freie Gedanken physisch umzusetzen. Wir wollen Räumen durch Interventionen andere Wertigkeiten geben, um so ein Bewusstsein für Raum und Material zu schaffen. Das geht über einfache, rohe Gesten oft viel direkter. Holz beispielsweise ist dafür ein optimales Material. Es hat eine tolle Haptik, erlaubt Experimente, verzeiht Fehler und ist vor Ort modifizierbar. Aufträge wurden bisher meist an uns herangetragen, Material, Unterkunft und Verpflegung gestellt, eine monetäre Entlohnung ist allerdings selten. Wir machen das aus Leidenschaft und Freude zur Architektur, kümmern uns jetzt aber auch um Fördergelder. Im Kontrast zu klassischen Bürostrukturen, in denen wir arbeiten um uns zu finanzieren, ist Krater Fajan als Verein organisiert. Auf dieser Spielwiese können wir uns auf ausführliche Prozesse einlassen und haben ein Grundvertrauen in unsere kollektive Spontanität und Motivation entwickelt.

Jede neue Aufgabe wird hinterfragt: Was wollen wir damit im Kern erreichen? Ist die gewünschte Funktion überhaupt noch zeitgemäß? Wichtig ist doch vor allem die Haltung, mit der wir an eine Entwurfsaufgabe herangehen. Nachhaltigkeit ist für uns grundlegend: eben ein bewusster Prozess mit langen, oft unwirtschaftlichen Diskussionen und klaren Lösungen statt ‘Fast Architecture’. Dann reduziert sich der Rohstoffverbrauch automatisch, und gleichzeitig wird das Projekt stärker. Es liegt viel Qualität im Wieder-Herkommen, Evaluieren, Weiterbenutzen oder Wiederverwerten.

Meistens macht eine Kerngruppe von vier oder fünf Personen ein Projekt, zum Schluss kommen alle helfen. Wir denken immer im Kollektiv. Wenn mal zwei im Baumarkt Farbe holen, dann entscheiden einfach sie in diesem Moment. So bilden sich Schritte, Fehler und Optimierungsversuche in unseren Projekten ab, das sehen wir als Stärke. Wir haben im Tun gelernt mit Gewerken zusammenzuarbeiten, und gemeinsam neue Lösungen zu finden. So können wir ganz anders mit Handwerker:innen reden, nicht weil wir etwas besser wissen, sondern im Gegenteil, weil wir viel mehr Respekt vor ihrem Können haben. In den nächsten Jahren wird sich auch insgesamt ändern wie Architekt:innen arbeiten. Skills für die Prozessbegleitung, die wir ständig anwenden, bekommen immer mehr Wert. Das ist für uns als Kollektiv eine Chance.

Uns fallen mehr Gebäude ein, die wir gerne zurückbauen, oder abreißen würden anstatt neu zu bauen. Es gilt nicht nur den eigenen Bauplatz, sondern auch dessen Umgebung zu beachten und Raum an die Öffentlichkeit zurückzugeben. Ein Wunsch an andere Architek:innen ist, dass wir aufhören eine Ellbogengesellschaft zu sein, es ist ein absoluter Mehrwert, Ideen und Skills zu teilen. Unser Kollektiv soll dazu anregen, dass weitere Krater aufgebaut werden, denn das Netzwerk, und die Erfahrungen aus unserer Zusammenarbeit haben Beständigkeit, und das ist viel wert.“

Krater Fajan wurde 2013 von Studenten der Uni Innsbruck gegründet. Das zwölfköpfige Kollektiv greift mit wohlüberlegten Gesten in den öffentlichen Raum ein, ebenso wie es Innenräume für Gastronomie, Hotellerie, und Ausstellungen gestaltet und selbst umsetzt.

19. April 2022 newroom

Begegnung im Palais Tannenberg-Enzenberg – he und du verortet sich

Christian Hammerl und Elias Walch, die zwei Gründer von he und du.

Von außen unscheinbar, offenbart das Palais Tannenberg-Enzenberg in Innsbruck, im Inneren unerwartet prunkvolle Büroräume. Früher Adelsbesitz, vermietet der jetzige Eigentümer das Gebäude in Mischnutzung.
„Auf der Suche nach einem größeren Atelier sind wir auf dieses seit 30 Jahren hier im Palais bestehende Gemeinschaftsbüro gestoßen. Es sollte auch weiterhin als Raum für Architekt:innen bestehen und hat einen alten und für uns als junges Büro leistbaren Mietvertrag.

Bereits während des Studiums haben wir für Familie und Bekannte geplant und damit früh ein Netzwerk und eine mit Projekten gefüllte Website aufgebaut – das hat bei der Gründung des eigenen Büros enorm geholfen. Zu Beginn haben wir neben Einfamilienhäusern auf ‘leeren’ Grundstücken bereits einige Umbauten geplant. Wegen der hohen Baukosten überwiegen mittlerweile Sanierungen und Zubauten; sozusagen Nachverdichtung im ländlichen Raum.

Wir schätzen traditionelle Baukultur. Wenn ein Material verbaut wird, dann soll es auch sichtbar sein als das, was es ist. Wir versuchen einfache Dinge gut in Szene zu setzen, verwenden möglichst oft natürliche Materialien und vor allem viel Holz. ‘Lederhosenarchitektur’ wollen wir aber keine machen, sondern Traditionelles zeitgenössisch interpretieren. Immer öfter nehmen wir nur jene Projekte an, bei denen wir den Prozess bis zum Ende begleiten. Natürlich kosten Architektenstunden etwas, aber wir können wiederum im Bauen Einsparungen ermöglichen. Das ist meistens nachhaltiger, nicht nur was die Baustoffe angeht, sondern auch bezüglich der Gestaltung. Nicht ganz ernst gemeint könnte man das vielleicht als ‘gut bäuerliche’ Architektur bezeichnen. Der Wert von hochwertiger Gestaltung hält länger, das versuchen wir den Auftraggeber:innen zu erklären und da würden wir uns gesellschaftlich auch ein größeres Bewusstsein für ‘gute Räume’ wünschen.

Das ‘und du?’ in unserem Namen steht nicht umsonst für das Miteinander und die Beziehung zu den Baufrauen und -herren, und niederschwelliges Kommunizieren.
Das Hineinversetzen in ein Gegenüber ist enorm wichtig, immerhin planen wir Lebensraum für jemand anderen. Wir finden erst im Gespräch und durch das Feedback zu unseren Plänen heraus, was die Auftraggeber:innen tatsächlich wollen. Es geht also viel um das Vertrauen der Baufrauen und -herren in uns.

Als he und du sind wir derzeit zu fünft. In der Regel liegen Entwürfe zuerst bei uns und werden dann von unseren drei Mitarbeiter:innen übernommen. Wir versuchen nicht mehr als 40-45 Wochenstunden zu arbeiten, Wochenenden sind frei und Nachtschichten machen wir praktisch auch keine. Es ist nicht unser Ziel, als Büro groß zu werden, um dann nur noch von Kundengespräch zu Kundengespräch zu eilen, sondern dass alle Projektschritte einmal durch unsere Hand gehen. Es würde uns frustrieren Architekturprojekte zu machen, auch international, bei denen wir nicht die Möglichkeit haben, den Prozess vor Ort zu begleiten, auf die Baustelle zu gehen und das Gebäude am Ende auch anzusehen.

Ein Wunsch wäre, den Maßstab in dem wir arbeiten manchmal zu verkleinern, Möbel zu entwerfen und diese in unsere Projekte zu integrieren. Oder öffentliche Räume zu planen, die man auch konsumfrei nutzen kann und zu denen wir hingehen können, die wir selbst nutzen können, am liebsten mit Kulturhintergrund.“

Das 2017 von Elias Walch und Christian Hammerl in Innsbruck gegründete Architekturbüro he und du beschäftigt sich mit Neu- und Zubauten wie auch Sanierungen. Vor kurzem haben sie ein Mehrfamilienhaus fertiggestellt und Wettbewerbe für einen Wohnbau und eine Platzgestaltung gewonnen. Nachhaltige und regionale Materialien, sowie Handwerk und Herstellungsprozesse sind in jedem ihrer Projekte maßgebend.

5. April 2022 newroom

Begegnung hinter historischen Fassaden – Studio SAAL verortet sich

Lukas Pankraz Mähr und Solveig Furu Almo, Gründer:innen des Studio SAAL

In einem denkmalgeschützten Haus am Stadtrand von Feldkirch wird mit den Jahreszeiten gelebt. Auch die Raumnutzungen erweiterten sich über die Jahre: zunächst die gemeinsame Wohnung im ersten Stock, dann zusätzlich das Büro im Untergeschoß, und später ein Projekt: die Sanierung der Fassade.

„Wir haben nicht gedacht, dass wir irgendwann den größten Spaß daran hätten, uns mit historischen Putzen auseinanderzusetzen, und mit dem Denkmalamt zusammenzuarbeiten. Unser Schwerpunkt verlagert sich auch deshalb hin zum Bauen im Bestand, vor Ort zu agieren, und mit den Handwerkern Lösungen zu suchen und finden. Wir sprechen viel darüber, wieso wir alte Gebäude erhalten wollen: weil es nachhaltiger ist, weil sie Geschichte haben und weil die Bausubstanz oft fantastisch ist.

Warum macht man sich selbstständig? Entweder weil man aus Versehen einen Wettbewerb gewinnt, oder weil man ein Ziel verfolgt. Wir wollten uns die bestmögliche Arbeitssituation schaffen, um Projekte machen zu können, die uns etwas bedeuten. Ohne Auftrag haben wir ein Büro gegründet, und uns Studio SAAL genannt, weil das der Ort der Zusammenkunft ist. In unserer Architektur geht es um ein Miteinander.

Ästhetik, Ton und Farben sind natürlich wichtig, aber sie sind nicht so wichtig, dass alles andere darunter leiden darf. Die Zusammenarbeit unter uns, und mit Handwerkern und Bauleuten wird für uns immer relevanter. Wenn wir neue Auftraggeber:innen haben, versuchen wir mit ihnen gemeinsam eine Arbeitsweise zu entwickeln. Wir zeigen den Prozess durch Variantenstudien, diskutieren, warum wir bei diesem Entwurf angekommen sind und machen so Entscheidungen nachvollziehbar. Zudem pflegen wir regen Austausch mit anderen Büros. Die Vielfältigkeit unserer Aufgaben macht uns Spaß, auch deshalb kooperieren wir lieber mit anderen Architekturstudios als zu wachsen. Für jedes Projekt ist eine:r von uns leitend verantwortlich und hat die Übersicht. Wir versuchen geblockt an Projekten zu arbeiten, um uns vertiefen zu können, und unterstützen einander dabei.

Wir diskutieren immer, ob wir einen Auftrag annehmen, warum, und ob man hier überhaupt bauen soll. Es gibt so viel leerstehenden Wohnraum in Vorarlberg, dass dieser einen Baustopp schätzungsweise 20 Jahre lang kompensieren könnte. Wenn jemand zu uns kommt, fragen wir: Möchtet ihr wirklich bauen? Warum? Gibt es andere Möglichkeiten, wie ihr euch Raum schaffen könnt? Die Entscheidung zu bauen, sollte nicht leichtfertig getroffen werden.

Wohnbau, wie er aktuell von den meisten Wohnbauträgern in Vorarlberg betrieben wird, wollen wir nicht unterstützen. Für Bauträger, denen es nur um Gewinnoptimierung geht, planen wir nicht. Dafür haben wir nicht den Weg in die Selbstständigkeit gewählt. Generell Bauträger auszuschließen wäre aber auch falsch. Manchen geht es nicht darum, sich zu bereichern, sondern qualitativen Lebensraum zu schaffen. Klar ist: Spekulation mit Wohnraum ist falsch. Spekulation mit Grund ist falsch. Da müssen wir konsequent sein. Wir haben auch schon Nein gesagt.

Wir haben durchaus Wunschprojekte, ein Denkmalobjekt zu einem Museum umzubauen zum Beispiel, oder der Frage nachzugehen, welche Räumlichkeit, den Trauerprozess kulturübergreifend unterstützen könnte. Unabhängig von der Art des Projektes kann Architektur nie autark entstehen, sondern befindet sich immer in Bezug zur Umwelt und den Menschen, die sie bauen und beleben.“

Studio SAAL wurde 2016 in Feldkirch von Solveig Furu Almo und Lukas Pankraz Mähr gegründet. Sie arbeiten an temporärer Installationsarchitektur, denkmalpflegerischen Sanierungsprojekten, Umbauten, sowie an Neubauten und Außenraumgestaltungen. Neben ihrem Büro in Feldkirch, haben sie einen zweiten Bürositz in Vaduz.

22. März 2022 newroom

Begegnung im Erdenhaus-Prototyp – Martin Mackowitz verortet sich

Das erste Wohngebäude mit Stampflehm Fertigteilen ist gerade in Bau. Unterirdisch verbunden mit dem gemeinschaftlichen Baukulturatelier Lehm Ton Erde in Schlins, Vorarlberg, werden in diesem Prototyp einfache Materialien und Bauweisen mit Vorfertigung und ausgeklügelten Details verbunden.

„Wir bauen mit Material, das vor Ort vorhanden ist: Erde aus dem eigenen Aushub, Bäume aus dem Wald, und möglichst ökologisches Material, das man gerne angreift. Der Stampflehm ist hier innenliegend, die tragenden Wände sind durch eine Schilfdämmung und einen dicken Kalkputz vor der Witterung geschützt. Diese Kalkschicht gestalten wir mit viel Experimentierfreude: gerade machen zwei junge Kirchenmaler ein Praktikum bei uns. Gestern Abend haben wir uns beispielsweise über Bier-Lasuren und Casein-Spachtelungen ausgetauscht, alte Rezepte für Farben und Materialien, die sie mitbringen. Wir teilen wiederum unser Wissen über gröbere Baumaterialien. Hier kommen viele Leute mit viel Wissen auf der Baustelle zusammen. Das ist Baukultur, wie sie früher mehr gelebt wurde: Planungsteam und Bautrupp überlappen. Dazwischen gibt es die Architektur, die versucht Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, um auf neue Lösungen zu kommen. Wir haben zum Beispiel selbst Schneehaken gestaltet, aus wiederverwertetem, buntem Glas in einer Kupfer Fassung. Die 360 Tage im Jahr, wo sie nicht im Einsatz sind, schauen sie jetzt zumindest schön aus. Diese Balance zwischen Handwerk und planender Computerarbeit macht irrsinnig viel Spaß. Wir wollen verstehen, wie die Dinge wirklich funktionieren, die Normen selbst ausprobieren, um anders darüber sprechen zu können.

Hier soll ein offenes Haus entstehen, das eine Gesprächsgrundlage bietet, um Dinge zu hinterfragen, oder weiterzuführen. Die Klima-Thematik gibt uns einen Rahmen und bestimmt unsere Arbeits- und Lebensqualität mit. Unsere Generation hat jetzt eine Chance, neue Möglichkeiten des Bauens vorzuschlagen: Sowohl was die Materialien betrifft, wie auch den Eigentumsgedanken zu hinterfragen, und beispielsweise House-sharing zu praktizieren. Das ist kein Einfamilienhaus für meine Familie, sondern eine Einladung mutig zu sein.

Unser Ziel ist leistbar zu bauen. Das Material ist vorhanden, was es teuer macht, sind Lohnkosten und Arbeitsintensität. Wenn man sich die Kostenwahrheit herkömmlicher Baumaterialien ansieht, Herstellung und Entsorgung mitdenkt, würde sich auch eine andere Rechnung ergeben. Wir können diese Art des Bauens also als Wertschöpfung betrachten, die im Land bleibt und gute Arbeitsplätze schafft. Diese Mehrkosten können die Bauleute momentan nicht alleine tragen, Förderungen von politischer Seite helfen da. Wir sehen zudem eine Chance in der Optimierung dieser Prozesse, die wir in Aufträgen von größeren Firmen erproben.

In der Auswahl der Projekte versuchen wir einen radikalen roten Faden zu verfolgen. Das wichtigste in der Architektur ist doch, zur Verbesserung der Lebensqualität beizutragen und Menschen für das Schaffen von gutem Lebensraum zu begeistern. Wenn ich an unser Dorf denke, dann glaube ich, dass es ein schönes kollektives Projekt wäre, gemeinsam ein Gasthaus zu bauen, mit allen, die mithelfen wollen. Ein Traum wäre, hier auch Bauern zu motivieren, gutes Gemüse anzubauen, um das Dorfgasthaus zu versorgen. Menschen aus dem Dorf könnten abwechselnd kochen, und wir alle gemeinsam Mittagessen. Sodass mehrere Generationen Zugang zu unterschiedlichen Materialien und Bauweisen erhalten. Denn wenn wir in Berührung kommen, ändern wir oft auch unsere Haltung.“

Martin Mackowitz ist ein Mitgründer von ERDEN Studio: ein dynamisches Studio, das auf das bestehende Wissen von Martin Rauch, Lehm Ton Erde und dessen Umfeld aufbaut. Gemeinsam mit Architekturschaffenden, Lehmbauern und Handwerker:innen entwickeln sie neue Möglichkeiten des Bauens.

8. März 2022 newroom

Begegnung im Fritzi-Massary-Park – asphalt-kollektiv verortet sich

Felix Steinhoff und Natascha Peinsipp vom asphalt-kollektiv im von ihnen mitgestalteten Fritzi-Massary-Park.

„Wir sitzen hier im zukünftigen Fritzi-Massary-Park, umgeben von Gemeindebauten, und zwischen Donau, Autobahn und dem Wiener Prater. Eröffnet wird Anfang April.

Initiiert vom Studio Social Design der Universität für angewandte Kunst, basiert das Projekt auf den Prinzipien Bürger:innenbeteiligung und Kreislaufwirtschaft, und war von Anfang an als Case Study geplant. Bei dem Projekt wurde versucht alle Materialien und Ressourcen, die schon vor Ort waren, neu- oder wiederzuverwenden. Die Stahlrohrmöbel sind aus Teilen des Standardrepertoires der Stadt Wien neu zusammengestellt: die Hollywoodschaukel da drüben besteht zum Beispiel aus einem Stück Tisch und Teilen von Sitzbänken. Auch die Ziegelsteine sind zum großen Teil wiederverwendet, oder aus dem hier entstandenen Ziegelbruch neu hergestellt. Im Vergleich zum Neukauf bringt das Arbeiten mit Bestandsmaterialien natürlich zusätzliche Arbeitsschritte: Sammeln, Transportieren, Säubern, etc. Dies führt oft zu längeren Wartezeiten, vielen Abstimmungsphasen und genauem Studieren der Normen – ein ständiges und behutsames Drehen vieler kleiner Stellschräubchen. Es ist schwierig, Firmen zu finden, die einen nicht direkt mit dem Argument der Unwirtschaftlichkeit abweisen, sondern mit Bestandsmaterialien arbeiten wollen. Dieser Mehraufwand verlangt von allen Beteiligten echten Willen.

Diese Haltung setzt sich in unserer Praxis fort. Unsere Tätigkeiten reichen von Umbauten und Neugestaltungen, über experimentell-forschende Projekte bis hin zur Lehre. Es ist nicht unser Ziel, als Kollektiv immer weiter zu wachsen, sondern die breit aufgestellte Vielfältigkeit unserer Praxis voranzutreiben und nicht in klassischen Bürostrukturen, sondern grundsätzlich auf einer Ebene zusammenzuarbeiten. Intern ergeben sich dadurch für jedes Projekt anderen Konstellationen und Kompetenzhierarchien. Um der fehlenden Planungssicherheit des projektbasierten Arbeitens entgegenzuwirken, versuchen wir, die Arbeitsabläufe und Prinzipien zwischen losen und festen Strukturen weiterzuentwickeln.

In unserer Lehrtätigkeit sehen wir, dass zukünftige Architekt:innen schon eine ganz andere Haltung bezüglich Nachhaltigkeit haben. Doch gerade an den Universitäten, wo man groß denken darf und soll, werden zu oft veraltete Aufgabenstellungen gegeben. Ein schönes Gebäude zu planen, reicht heutzutage einfach nicht mehr. Wir brauchen umfassendere Visionen und müssen lernen, uns diese auch denken zu trauen. In Wahrheit muss sich Architektur einfach radikal ändern.

Das drehen an Stellschräubchen reicht eigentlich nicht. Es muss ganz viel und sehr viel schneller passieren. Aus der Praxis wissen wir, dass wir nicht mit dem Kopf durch die Wand können. Dennoch können wir hinterfragen, warum Einfamilienhäuser immer noch die häufigste Einstiegsbauaufgabe junger Architekt:innen sind. ‘Wir bauen das aus Prinzip nicht’ ist vielleicht eine zu einfache Haltung, ‘Sonst baut’s halt jemand anderes!’ ist wiederum die Generalausrede. Diesen zwiespältigen Prozess zu reflektieren, und sich in der Grauzone zwischen Nicht-Bauen und dem Bauen-wie-Bisher zu positionieren, ist unsere Aufgabe. Wir sehen unsere Projekte als Diskussionsbeiträge im größeren Diskurs. Wir wollen Teil dieser pulsierenden Umstrukturierung sein, und zu einer radikalen Veränderung der Architektur beitragen.“

Das asphalt-kollektiv ist ein multidisziplinäres Kollektiv, momentan sind acht Menschen, in unterschiedlichen Intensitäten involviert. Ihre Projekte behandeln Themen wie die nachhaltige Verwendung von Raum und Material, soziale und architektonische Utopien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Derzeit sind sie in Berlin und Wien tätig. Das Gespräch führten wir mit Natascha Peinsipp und Felix Steinhoff.

22. Februar 2022 newroom

Begegnung am Grazer Volksgarten – NOW Architektur verortet sich

Eva Hierzer (re.), Stephan Brugger (mi.), Stephan Schmidt (li.) und Thomas Hörmann (nicht im Bild), leiten NOW Architektur.

In einer früheren Altbauwohnung hängen jetzt große Magnettafeln. Auf den wiederverwendeten Tischen und in den selbstgebauten Regalen sammeln sich Pläne, Architekturmagazine, Ordner und Pflanzen. Das Büro von NOW Architektur, mit Blick auf den Grazer Volksgarten, wächst.

„Architektur entsteht nicht durch eine Person alleine. Sie entsteht immer in einem Prozess mit anderen. An einem Entwurf sind viele aus dem Büro beteiligt, ebenso wie Fachplaner:innen, Bauherr:innen und Nutzer:innen. Gerade letztere bringen viel Wertvolles ein. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die wir gerade planen, gibt es Abläufe, die wir als Architekt:innen nicht kennen. Wir müssen uns mit den Nutzer:innen austauschen, denn auch sie sind wichtige Raumexpert:innen.
Wenn wir mit unseren Entwürfen Rahmen bilden, gemeinsam an einem Strang ziehen, und auf Augenhöhe gut zusammenarbeiten, wird unsere Architektur besser.
Die Wettbewerbsauslobung wurde hier mit der Grundhaltung gemacht, dass die Architektur Teil des Heilungsprozesses ist, also mehr als nur gebauter Raum. Das entspricht natürlich auch unserem Anspruch, in jedem Projekt.

Für uns sind Wettbewerbe die primäre Akquisemethode für unsere Projekte. Wir sehen Wettbewerbe, inklusive der Erstellung der Auslobung (z.B. städtebauliche Vorgaben oder Raumprogramm), als wesentliche Aspekte eines gelungenen gesellschaftlichen und baukulturellen Beitrags. Daher sind für uns vorrangig Projekte für öffentliche Auftraggeber:innen, die für viele Menschen von Nutzen sind, Umnutzungen und Bauen mit und im Bestand sehr wichtig. Wir haben schließlich nicht endlos Ressourcen zur Verfügung und müssen uns daher überlegen, ob, was und wie wir dann tatsächlich bauen. In einer Wettbewerbsauslobung können wir zudem erkennen, ob die zukünftigen Nutzer:innen darin eingebunden wurden, und ein klarer Weg absehbar wird. Auch die Wettbewerbsbegehung ist ein Indikator für die weitere Zusammenarbeit der vielen Beteiligten. Es wäre sehr zukunftsweisend, wenn man sich vor jungen Architekturschaffenden nicht verschließt, vor allem in der Ziviltechniker:innenkammer, sondern die Schwellen bei Wettbewerben und anderen Aufträgen möglichst niedrig gestaltet. Es zeigt sich ohnehin in den abgegebenen Projekten, ob jemand das nötige Know-How hat, um das Projekt zu entwickeln. Jung heißt ja nicht immer unerfahren.

Wir haben uns im Studium an der TU Graz kennen gelernt, danach in diversen Büros essentielle Erfahrung gesammelt – wie z.B. als Projektleiter:in selbst ein größeres Projekt über den gesamten Planungsprozess zu betreuen. Ein Ziel unserer Bürogründung war es, kontinuierlich zu wachsen und größere Projekte umzusetzen. Wenn wir Leute dazu holen, wollen wir, dass diese längerfristig bleiben und zu gegebener Zeit Verantwortung in der Projektleitung übernehmen.

Öfter mit Menschen kooperativ Raum zu gestalten, wäre uns ein Anliegen. Oder selber Bauherr:innen zu sein, um die Schwelle zwischen Planung und Ausführung zu überwinden und neue Wohnformen auszuprobieren. Außerdem mit Bauweisen zu experimentieren, die es beispielsweise erlauben, Gebäude wieder auseinanderzunehmen und verbaute Rohstoffe erneut zu verwenden. Und vielleicht wird es ja doch noch etwas mit der Planer:innengenossenschaft, in der mehrere Büros ihre Ressourcen und Kompetenzen teilen und austauschen – ein ‘Haus der Architektur’, in dem genau dieses Netzwerk agieren kann.“

NOW Architektur besteht aus vier gleichgesinnten Architekt:innen, Eva Hierzer, Stephan Schmidt, Stephan Brugger und Thomas Hörmann, die in ihrem Büro in Graz vorwiegend Wettbewerbsbeiträge und Projekte für die öffentliche Hand umsetzen. Sie ergänzen einander und sehen es als Ziel, Architekturprojekte über den gesamten Lebenszyklus zu denken und zu begleiten.

8. Februar 2022 newroom

Begegnung in Alt-Urfahr – JUAN Kollektiv verortet sich

Das in Linz ansässige JUAN Kollektiv wurde 2016 von Anna Firak und Judith Kinzl gegründet. Sie betrachten Architektur weiter gefächert als nur das Bauen von Dingen. Ella Felber und Silvester Kreil fragten nach.

Über viele schmale Treppen geht es durch die kleinteilige Struktur des Stadtteils Alt-Urfahr, einem ehemaligen Fischerdorf in Linz, zu diesem Plätzchen. Aus dem leerstehenden Gebäude nebenan ragt ein orangefarbenes Holzgestell. Es zeigt die möglichen Bauvolumen, die zugebaut werden könnten, würde man mit dem Bestand arbeiten.

„Wir legen genauso Wert auf die Vogelperspektive, ein typisches Werkzeug für Architekt:innen, wie auf kleine Details oder Atmosphären, die begreifbar werden, wenn wir in die Orte hineingehen. Wo darf man hinbauen? Wo liegen die Grenzen? Und: wer lebt dort und wie? Welche Geschichte können wir von den Details ablesen? Als Architekt:innen können wir das Potential sehen, das im Bestand steckt. Wenn wir hier die Qualität im Kleinen hervorheben, können wir explizite und kostensparende Projekte ermöglichen. Das ist Raumvorstellung, die wir gelernt haben, und anderen vermitteln müssen. Viele Bauherr:innen haben immense Angst vor der Altsubstanz und den Überraschungen, die diese mit sich bringen kann. Es wird immer relevanter, diese Angst zu nehmen – wir haben schließlich eine Klimakrise – es ist doch absurd, wenn man nicht verwendet, was schon da ist.
Zumindest das, was noch stehen kann. Manche Dinge müssen natürlich weg, aus konstruktiven und aus ästhetischen Gründen. Architektur darf auch mal neu und verrückt werden, aber sie darf die Umgebung und die Menschen nicht außer Acht lassen. Denn an den Charakteristiken eines Ortes hängt meist auch das Wohlfühlen. Das ist es doch, warum wir bauen: Wir wollen Orte, an denen wir uns wohlfühlen, an denen wir gut leben können.

Um unsere Bauherr:innen zu überzeugen, schaffen wir Bilder, die verständlich sind, ob durch Grafiken, Performances oder das gesprochene Wort. Nicht alles lässt sich über Grundriss, Schnitt und Ansichten lösen. Für die Vermittlung ist unsere Leidenschaft ein wichtiges Tool, mit einer großen Prise Ideologie. Die lassen wir uns nicht nehmen. Man kann ruhig nachdrücklich die eigene Meinung und Profession vertreten. Und man darf auch mal mit dem Fuß aufstampfen.

Diese unterschiedlichen Mittel einzusetzen, verschafft uns Abwechslung im Arbeitsalltag. Durch performative Momente bleiben wir locker und kreativ, reflektieren spielerisch unser Tun. Es gehören so viele andere Sparten zur Architekturproduktion, die im Austausch helfen, unsere Ideen zu erneuern. Es ist eine permanente Weiterentwicklung, ein changierendes Konstrukt, in dem wir arbeiten. Je nachdem welches Projekt ansteht, holen wir Leute dazu. Dieses vernetzwerkte Miteinander macht uns auch aus, sodass wir flexibel sein können. Wir leben noch nicht von den Projekten, die wir in unserem Kollektiv erarbeiten, dann haben wir nebenbei eben auch mal andere Jobs.

Was wir gerne einmal bauen würden, haben wir uns eigentlich nie gefragt, alle bisherigen Aufgaben haben Spaß gemacht. In einem größeren Maßstab, leistbar und qualitativ hochwertig zu bauen, das würden wir gerne machen. Ein dichter Wohnkomplex der trotzdem Platz für persönlichen Raum bietet; oder ein Krankenhaus oder Pflegeheim, das funktional bleibt, und den Menschen trotzdem gut tut. Wie soll man denn gesund bleiben, oder werden, wenn man sich nicht wohlfühlt?”

Das in Linz ansässige JUAN Kollektiv wurde 2016 von Anna Firak und Judith Kinzl gegründet. Sie betrachten Architektur weiter gefächert als nur das Bauen von Dingen. Ihre Projekte und Arbeiten bewegen sich zwischen Adaption im Bestand, räumlichen Performances, künstlerischen Aktionen und forschenden Büchern.

25. Januar 2022 newroom

Begegnung in der Oststation – materialnomaden verorten sich

materialnomaden sind ein 2019 in Wien gegründetes interdisziplinäres Team. Von Andrea Kessler und Peter Kneidiger entwickelt, sind sie ein Zusammenschluss von HarvestMAP und Bauteiler. Ella Felber und Silvester Kreil fragten nach.

„Die Oststation ist das Ende eines Tunnels, in dem Kabel vorgespannt wurden, und Teil des historischen Bestandes am Kempelenpark in Wien. In wenigen Wochen wird es die Oststation so nicht mehr geben, denn die Zwischennutzung des Geländes läuft aus, und der Abriss steht an.

Dabei sollte als erstes ein “Stopp!” fallen. Denkt einmal nach, ob das wirklich abgebrochen werden muss. Wir sind fasziniert von der Geschichte, die ein Ort mitbringt. Das ist der Beginn unserer Arbeit. Welche Nutzung hatte das Gebäude? Welche Nutzung kann man für die heutige Zeit adaptieren? Welche Bauteile? Genau das verstehen wir als unsere Aufgabe als Planer:innen, ohne – tabula rasa – alles wegzuschieben. Viele dieser Gebäude bestehen aus Produkten, die noch lange nicht an ihrem Lebensende sind. Es hat die CO2 Belastung schon gegeben, ok, akzeptiert man, muss es aber unbedingt sein, dass man diesen Schaden dann noch vergrößert indem man abreißt, um dann eh wieder irgendetwas hinzustellen? Das ist eine Frage der Wertschätzung von Baukultur, mit allen ihren Werkzeugen: Handwerk, Materialien, und alle Disziplinen, die hineinspielen. Die Stadt ist eigentlich schon gebaut, wir müssen sie nur umbauen.

Am anderen Ende des Tunnels wurde die Weststation von unserer Ausführungsabteilung Bauteiler im angeleiteten Selbstbau zu einer Tischlerei umgebaut. Viele Elemente, die man hier herinnen sieht, sind wieder eingesetzte Bauteile: Fenster, Türen, Glasscheiben, Holz für Zwischenwände. Man könnte es als kleinformatiges Reallabor für Kreislaufwirtschaft im Bauen sehen: vom Abbruch bis zur Entstehung eines neuen Produktes. Die Prototypenentwicklung, die wir in unserem Atelier umsetzen, zeigt, dass sich die planende und die ausführende Seite miteinander austauschen, und voneinander lernen müssen. Ebenso das Handelsgewerbe, um Wertigkeiten in Bestandsmaterialien zu erkennen, und diese in Vermittlung zu bringen. Sodass wir sie als Baustoff erhalten und nicht zu Abfall werden lassen. Dieses Tun und die Widerstände, die es klarerweise gibt, von der Wirtschaft, von der Auftraggeber:innenseite, oder auch von den rechtlichen Randbedingungen, zwingen uns fast in die Neugestaltung der Arbeitsprozesse. Wir arbeiten daran, sie zu standardisieren, und herauszufinden, welche Materialien in welcher Menge im Kreislauf bleiben können, angefangen von Steckdosen, bis hin zu größeren Stahlbeton- oder Holzstrukturen. Es ist allerdings nicht einfach diese Umbauten und Produkte auch bewilligungsfähig zu machen. Diese Prozesse sind noch nicht ausgehandelt. Das räumt unseren Mitarbeiter:innen viel Gestaltungsmöglichkeit in der Entscheidungsfindung ein, und verlangt ihnen gleichzeitig auch sehr viel Flexibilität ab. In dem Sinne ist es eine agile Zusammenarbeit auf verschiedenen Verantwortungsebenen.

Ein großer Teil unserer Arbeit ist der Wissenstransfer. Wir erlernen gemeinsam mit Industriebetrieben, mit Architekturbüros oder auch der Stadtverwaltung den Umgang mit der gebauten Umgebung und bereits bestehenden Bauteilen. Dafür haben wir einige Tools entwickelt, die wir in diversen Projekten mit verschiedenen Unternehmen anwenden und professionalisieren, um Planungs- und Entwurfsgrundlagen zu schaffen. Wie setzten sich die Kosten in einem Bauvorhaben zusammen, und wie sind sie gereiht? Auch um die externalisierten Kosten, insbesondere für Materialien, so gering wie möglich zu halten, und eine Verantwortlichkeit der Bauteileigentümer:innen zu schaffen, die graue Energie ihrer Bauteile in den Kreislauf mit einzubeziehen. Diesen Mut, den wir täglich in unsere Unternehmungen einbringen müssen, genau diesen Mut braucht es in den Verwaltungsebenen, den braucht es auf der Auftraggeber:innenseite und den braucht es auch in den Industriebetrieben.

Für uns gibt es nichts Spannenderes als bestehende Gebäude zu verstehen und zu interpretieren, oder eine Industriehalle zu adaptieren. Oder einmal mit Investoren zusammen etwas zu bauen, sich wirklich hinzusetzen und das hands-on gemeinsam von Anfang bis Ende umzusetzen – das wäre ein Traumprojekt.“

materialnomaden sind ein 2019 in Wien gegründetes interdisziplinäres Team. Von Andrea Kessler und Peter Kneidiger entwickelt, sind sie ein Zusammenschluss von HarvestMAP und Bauteiler. Sie erarbeiten und zeigen den Mehrwert von kreislauffähigen Prozessen in der Baubranche, sind Teil eines europäischen Netzwerkes und Vorreiter:innen in Österreich.

Publikationen

2021

Unter der Hohen Brücke
digging in a ditch, writing for a place

Orte verlangen von uns, dass wir sie betreten, uns anpassen und aktiv an ihrer Gestaltung teilhaben. Indem wir mit unserer Umgebung interagieren, sei es die physische oder die geschriebene, schreiben unsere Erfahrungen eine Bedeutung ein – es entsteht ein Ort. Dieses Buch ist ein Experiment. Es besteht
Autor: Ella Felber
Verlag: Point Nemo Publishing