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24. Juli 2007 Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerischer Aufbruch im Engadin

Die Ausstellung «Werdende Wahrzeichen» in Samedan

Architektonische Wahrzeichen besitzt Graubünden viele – vom Weltkulturerbe der Klosteranlage in Müstair über das Chesa Futura genannte Kürbis-Haus von Norman Foster in St. Moritz bis hin zu Peter Zumthors Therme in Vals, dem eigentlichen Aushängeschild der neuen Bündner Baukunst. Diese hat in den letzten zwanzig Jahren im kritischen Dialog mit den städtebaulichen und naturräumlichen Gegebenheiten eine Vielzahl bedeutender Werke von prägnanter Einfachheit hervorgebracht. Heute gilt die Südostschweiz als eine der vielseitigsten Architekturregionen Europas. Von «alpinen Brachen», wie sie die raumplanerischen Auguren von Avenir Suisse oder des ETH-Studios Basel heraufbeschwören, ist hier zumindest baukünstlerisch nichts auszumachen.

Architektonischer Brennpunkt

In Graubünden geht man schnell zur Sache. Dies zeigt die Ausstellung «Werdende Wahrzeichen», die vor gut einem Jahr in Flims zu sehen war und nun – nach einer Reise über Zürich und Meran – in Samedan angekommen ist, wo sie gegenüber der ursprünglichen Präsentation völlig gewandelt erscheint, kamen in der Zwischenzeit doch sieben Bündner und fünf Südtiroler Projekte neu dazu. Drei ehemalige Exponate wurden verwirklicht und deshalb ebenso aus der Ausstellung genommen wie die verflogenen Träume (etwa der schöne Hotelentwurf von Bearth & Deplazes in Tschlin). Im Bau sind derzeit fünf Arbeiten, darunter das Nationalpark-Besucherzentrum von Valerio Olgiati in Zernez und die Jugendherberge Prà da Faira der Architektengemeinschaft Sursass in Scuol. Zusammen mit drei weiteren Projekten machen sie das Engadin, das bereits mit Ben van Berkels Erweiterung des Hotels Castell in Zuoz sowie mit Um- und Neubauten von Hans-Jörg Ruch und Norman Foster aussergewöhnliche Bauten aufweisen kann, zum neuen Brennpunkt der Bündner Architektur. Damit ist das Hochtal ebenso aus einem architektonischen Dornröschenschlaf erwacht wie die italienische Nachbarprovinz Südtirol, die in der Schau unter anderem mit der historisch und architektonisch gleichermassen komplexen «dreisprachigen Bibliothek» von Christoph Mayr Fingerle in Bozen glänzt.

Der von dem Ausstellungsteam Köbi Gantenbein und Ariana Pradal gewählte Titel «Werdende Wahrzeichen» traf zweifellos auf Mario Bottas Wellnessanlage des Hotels Tschuggen in Arosa und Corinna Menns adlerartig über der Rheinschlucht bei Flims schwebende Aussichtsplattform zu, die beide inzwischen vollendet sind. Er gilt aber auch für das turmförmige Viamala-Besucherzentrum von Bearth & Deplazes oder das Albula-Bahnmuseum von Ruch und Fickert & Knapkiewicz, die dereinst weit über die Region ausstrahlen dürften. Die Mehrzahl der in Samedan vorgestellten öffentlichen oder halböffentlichen Projekte zeichnen sich hingegen durch ihre Kleinheit aus. Einmal gebaut, werden sie sich diskret in die bestehende Kulturlandschaft einfügen und dennoch architektonisch zu überzeugen wissen. Im Gegensatz dazu dürfte der Davoser Schatzalp-Turm von Herzog & de Meuron zu einem Monument von Weltformat werden und der europäischen Hochhausarchitektur weithin sichtbar den Weg ins 21. Jahrhundert weisen.

Kulturzentrum Samedan

Kaum weniger spannend als dieser Turmentwurf ist das Projekt eines Badehauses von Miller & Maranta in Samedan, das kurz vor Baubeginn steht. Ihm wird der alte Coop am Dorfplatz weichen müssen – und damit das Haus, in welchem derzeit die «Werdenden Wahrzeichen» mit Modellen, Plänen, Computerdarstellungen und Texten präsentiert werden, geordnet nach den Themenbereichen Sprache, Wasser, Tourismus, Landschaft und Verkehr. Der Neubau von Miller & Maranta wird eine gesichtslose Architektur ersetzen und gleichzeitig den Beweis erbringen, dass eine zeitgenössische Intervention dem stimmungsvollen Plazzet neue Kraft verleihen kann. Einen Ersatz für das Ausstellungszentrum «Alter Coop» möchte der Kurator Ramon Zangger in der Tuor Veglia schaffen. Für diese erarbeitet er derzeit zusammen mit dem jungen Samedaner Architekten Kurz Lazzerini ein Ausstellungs- und Umbaukonzept, das er im Winter dem Gemeinderat von Samedan vorlegen will. Zangger hofft, dieses neuste werdende Wahrzeichen in etwa zwei Jahren eröffnen zu können. Der privat zu finanzierende, auf Architektur, Design und Kunsthandwerk spezialisierte Ausstellungsturm soll zusammen mit der historisch-literarisch ausgerichteten Chesa Planta, den beiden Kunstgalerien am Plazzet und der Academia Engiadina aus Samedan den kulturellen Mittelpunkt des Oberengadins machen – und darüber hinaus zum Zeichen dafür werden, dass sich das Engadin, das allzu lange eher mit Immobilienspekulation als mit Baukunst von sich reden machte, in ein blühendes Tal der Bündner Architektur verwandelt.

14. Juli 2007 Neue Zürcher Zeitung

Der Bauingenieur als Künstler

Cecil Balmond weist der Architektur des Computerzeitalters neue Wege

Während Jahrhunderten bestimmte der rechte Winkel das Erscheinungsbild der Architektur. Doch spätestens seit Gaudí und Erich Mendelsohn gewannen organische Formen an Bedeutung. Nun eröffnen kreative Ingenieure mit nicht euklidischen Geometrien der Baukunst neue Möglichkeiten. Ihr Leitstern ist der 1943 in Sri Lanka geborene Cecil Balmond.

Mit der Sachlichkeit der Ingenieure versuchten einst die puritanischen Götter der Moderne der Architektur den Hang zum künstlerischen Pomp auszutreiben. Allen voran Le Corbusier, der früh schon anonyme Silos und Fabrikbauten bewunderte und seine Villen als Wohnmaschinen verstand. Als dann aber nach dem Zweiten Weltkrieg die nüchterne Moderne zum seelenlosen Funktionalismus zu verkommen drohte, setzte der grosse Schweizer auf organische Formen und goss diese – anders als einst Antoni Gaudí oder Erich Mendelsohn – in Beton. Die Kapelle von Ronchamp wurde so zu einer der ersten Bauskulpturen des 20. Jahrhunderts. Damit schien die Kunst sich wieder über die Ingenieurtechnik zu erheben. Doch Le Corbusiers plastisch durchgeformte Nachkriegsbauten wollten Architektur sein. Sie unterscheiden sich damit von den Werken jener Stars von heute, welche ihr Handwerk wieder als expressive Kunst betreiben. Anders als ihre Kollegen in früheren Epochen denken sie beim Entwerfen aber nicht mehr an Gesimse, Säulen oder Giebel, sondern an spektakuläre Baukörper und holen sich Anregungen aus vielen Disziplinen: vom Film über die Ökologie bis zur Algorithmik.

Innovative Strukturen

Bei solchen Bauten wirken meist kreative Köpfe aus dem ingenieurwissenschaftlichen Bereich entscheidend mit. Denn sie beherrschen den Computer im Bereich innovativer Strukturen. Schon Eero Saarinen, ein Grossmeister der skulpturalen Architektur, verliess sich bei der Realisierung seines seit 1956 geplanten rochenartigen TWA-Terminals in New York ganz auf die neuste Ingenieurtechnik. Der ursprünglich zum Bildhauer ausgebildete Architekt glaubte zwar an Intuition, hielt aber gleichwohl fest, dass man sich bei der Umsetzung architektonischer Visionen – wenn immer möglich – auf den Verstand der Techniker und auf die ihm damals bereits zugänglichen Grossrechner von IBM verlassen sollte.

Sein Interesse am Ausloten baukünstlerischer Randzonen war mit ein Grund dafür, dass er 1957 als Juror so entschlossen für Jørn Utzons Entwurf des Opernhauses von Sydney eintrat. Die Ausführung des Tragwerks der hintereinandergestaffelten Schalendächer erwies sich dann aber als derart knifflig, dass das renommierte Londoner Büro des einst von Le Corbusier beeinflussten Philosophen und Ingenieurs Ove Arup ganz neue Lösungen finden musste. Seither garantiert der Name Arup, der 1937 mit der Realisierung von Berthold Lubetkins räumlich vielschichtiger Pinguin-Anlage des Londoner Zoos über Grossbritannien hinaus bekannt geworden war, wie kein anderer Sicherheit und technische Innovation. Es erstaunt daher nicht, dass die multidisziplinär ausgerichtete Ingenieurfirma hinter vielen aussergewöhnlichen Bauwerken von heute steht: vom Centre Pompidou bis hin zum Vogelnest des Pekinger Olympiastadions von Herzog & de Meuron.

Bevor die Baukünstler sich die bald organischen, bald kristallinen Meisterwerke von heute erträumen konnten, mussten sie aber die Möglichkeiten der in den sechziger Jahren aufgekommenen computergestützten Design-Methoden (CAD) erkunden. Frank Gehry liess in den neunziger Jahren seine bricolageartigen Modelle mit Hilfe des für die Flugzeugindustrie entwickelten Catia-Programms räumlich berechnen und darstellen. Dadurch erst konnten Gebilde wie die stählerne Magnolie des Guggenheim-Museums in Bilbao gebaut werden. Auch die gleichzeitig für die Architektur weitergedachten CAAD-Programme wurden zunächst vor allem für Entwurfsarbeiten eingesetzt, bevor man ihr Potenzial als gestalterisches Forschungsmittel zu nutzen wusste. Inzwischen werden im Computer Wolkenkratzer geplant, die sich verknoten und in den Himmel schlängeln, oder Häuser, die sich wie verdrehte Schwämme um bestehende Bauten winden. Nur an die Verwirklichung solcher Visionen mögen viele nicht recht glauben. Doch die ingenieurtechnischen Fortschritte sind so rasant, dass wohl in wenigen Jahren alles gebaut werden kann, was die Rechner uns heute vorgaukeln.

Sinnvolle Formfindungen

Trotz den Fähigkeiten des Computers stösst aber selbst das Formenrepertoire der schöpferischsten Architekten irgendwann an Grenzen, wie die Meisterwerke von Gehry, Zaha Hadid oder Santiago Calatrava zeigen. Während jedoch Calatrava, der als Ingenieur und Architekt gleichermassen über Statik und Ästhetik seiner Werke gebietet, sich in Sachen Formfindung im Kreise dreht, suchte Daniel Libeskind schon 1996, als er an der Erweiterung des Victoria and Albert Museum (V&A) in London arbeitete, die Inspiration des ingenieurwissenschaftlichen Querdenkers Cecil Balmond. Vielleicht auch deswegen, weil Balmond auf eine ähnlich schillernde Karriere wie Libeskind zurückblicken kann. 1943 in Colombo auf Sri Lanka geboren, wanderte Balmond 1961 nach Nigeria aus, wo er Mathematik studierte. Anschliessend vertiefte er sich im englischen Southampton ins Bauingenieurwesen, leitete aber auch einen Folk-Klub und trat selbst als Musiker auf. Nach der für ihn entscheidenden Aufnahme ins Büro Arup arbeitete der schnell als Tüftler, Erfinder und Künstler bewunderte Ingenieur mit Grössen wie Denys Lasdun und James Stirling zusammen, um schliesslich zum unkonventionellen Mitdenker von Rem Koolhaas zu werden. Seit dem nicht realisierten Rathausprojekt für Den Haag war Balmond an fast allen wegweisenden Koolhaas-Bauten beteiligt. Und der für das chinesische Staatsfernsehen in Peking entworfene CCTV-Tower (2003–2008), der mit seinen Knicken, Verdichtungen und Löchern brüchig wirkt, dank Netzwerkstruktur und statisch raffinierter Aussenhülle aber kräftemässig stabil wie eine Röhre reagiert, dürfte als «fraktales Haus» weitgehend Balmonds Gehirn entsprungen sein, auch wenn die anfängliche Idee auf Koolhaas zurückgehen mag.

Immer wieder betont Balmond denn auch, er dränge sich nicht vor. Bei der V&A-Erweiterung etwa liess er sich von Libeskind die Entwurfsidee genau erklären, brütete dann aber so lange über dem Projekt, bis er – ausgehend von Robert Ammanns aperiodischen Kachelmustern und der Teilung konzentrischer Kreise – zu einer chaotisch-kristallinen Spiralform fand, aus der dann die tanzenden Kisten der leider 2004 gescheiterten Erweiterung resultierten. Durch solche Vorgehensweisen unterscheidet sich die Recherche von Balmond, der den Computer immer wieder mit phantastischen, einer ganzheitlichen Weltsicht entstammenden Ideen herausfordert, von jener der meisten Ingenieure und Architekten. Um sich von naheliegenden Bildern und Lösungswegen zu befreien, greift er etwa zurück auf mittelalterliche Zahlenmystik, pflanzliche Strukturen oder nicht euklidische Geometrien.

Die aus dem V&A-Projekt hervorgegangenen Erkenntnisse flossen ein in den Entwurf des Sommerpavillons der Londoner Serpentine Gallery, den Balmond 2001 mit Libeskind realisierte. Seither war er bei den meisten dieser innovativen Temporärbauten mitbeteiligt: 2005 fand er zusammen mit den Portugiesen Alvaro Siza und Eduardo Souto de Moura eine dynamisch ausbalancierte Antwort auf die kurvig kassettierten Deckengewölbe Pier Luigi Nervis, und im vergangenen Jahr schufen Balmond und Koolhaas ein atmendes, ballonartiges Pavillondach. Einen besonders spannenden Einblick in die Möglichkeiten einer künftigen Baukunst aber gab der 2002 in einem geistigen Pingpong mit Toyo Ito erarbeitete Londoner Pavillon. Dessen vielfach durchlöcherte, von sich überschneidenden Linien und unregelmässigen Vielecken bestimmte Konstruktion veranschaulicht Balmonds Credo «Struktur ist Architektur», das er der modisch-oberflächlichen Verspieltheit der gegenwärtigen Baukunst entgegenhält. Denn es sind nicht verrückte Gebilde und verführerische Hüllen, die ihn primär interessieren, sondern neue strukturelle und materielle Ansätze.

Das Opernhaus von Taichung auf Taiwan, das er bis 2009 mit Ito vollenden will, könnte ein solch wegweisender Bau werden. Hier wandelt sich das algorithmische Linienmuster des Serpentine-Pavillons zu einem wogenden kettenförmigen Gewebe, dessen netzartige Strukturen erst seit kurzem im Computer berechnet und nun sogar im Hochhausbau angewandt werden können. Damit wird es laut Ito erstmals möglich, «die Architektur des Computerzeitalters zu realisieren» – eine Architektur, bei der es weniger um bis anhin wichtige Aspekte wie Schönheit und Funktionalität als vielmehr um neue räumliche Qualitäten geht. Diese erreicht Balmond, indem er Erkenntnisse aus dem Studium mehrdimensionaler Geometrien in die dreidimensionale Welt überträgt.

Fulminante Schau

Auch wer solchen Neuerungen gegenüber skeptisch ist und in der klassischen Entwicklungslinie von Vitruv über Palladio und Le Corbusier bis hin zur zeitgenössischen Schweizer Kiste den Höhenweg der abendländischen Baukunst zu erkennen glaubt, wird fasziniert einen Blick in die jüngste Spezialausgabe des japanischen Architekturmagazins «A+U» werfen, die ganz Cecil Balmonds kreativem Kosmos gewidmet ist. Er wird das von Einfällen nur so funkelnde Buch wie hypnotisiert durcheilen und die Architektur einmal mehr als Abenteuer erleben.

Nicht weniger eindrücklich als dieses Buch ist die grosse Cecil-Balmond-Schau, mit der zurzeit das Louisiana-Museum in Humlebæk bei Kopenhagen die Ausstellungsreihe «Grenzen der Architektur» eröffnet. Wie betörend Balmonds Theorien und Lösungsvorschläge sind, beweisen die Reaktionen der meist unvorbereiteten Museumsbesucher, die auf ihrem Rundgang durch den prachtvoll am Øresund gelegenen Musentempel von der pastellfarbenen Welt eines Philip Guston plötzlich in die an ein Wissenschaftsmuseum erinnernden Balmond-Säle gelangen.

Dem Motto «Rainbow» entsprechend ist der erste Ausstellungsbereich in regenbogenfarbenes Licht getaucht. Hier werden die unendlichen Anregungen vorgestellt, welche die Natur den Forschern seit der Antike gegeben hat und die sich auch Balmond zunutze macht. Der begnadete Lehrer erklärt mittels Video auf leicht zugängliche Weise ganz neue ingenieurtechnische Zusammenhänge und weiss dabei den Bogen zu spannen von Leonardos Wasserstrudel-Studien bis zur heutigen Chaosforschung oder von musikalischen Klängen bis zu den von diesen erzeugten geheimnisvollen, topologisch beschreibbaren Oberflächenstrukturen. Aus den die Schönheit der Natur bestimmenden Zahlen, Proportionen und mathematischen Gesetzen leitet er über dynamisch sich entfaltende Prozesse neuartige Formen ab. An unrealisierten Projekten (etwa dem Chemnitzer Stadion von 1995 oder dem Liverpooler Chavasse-Park von 2000) veranschaulicht er, wie ungeordnete Systeme nach Stabilität suchen. Dann wieder visualisiert er an dem jüngst mit Shigeru Ban gebauten Forest Park Pavillon in St. Louis, Missouri, die Dynamik architektonischer Gleichgewichte.

Unter dem Stichwort «Flux», das auf das Entstehen mehrdimensionaler Objekte in einem gefalteten dreidimensionalen Raum hinweist, demonstriert Balmond die wissenschaftliche Umsetzung seiner Ideen. Sie führt von der Fragestellung über Experimente mit Strukturen und Materialien zu Hypothesen und schliesslich zu Modellen oder konstruierten Organismen, wie man sie zuvor kaum je gesehen hat. Da trifft man auf die Verkleinerung einer kristallinen, räumlich verspannten Decke aus farbigem Glas, die im neuen South Park Theatre in London ihren Platz finden soll, oder auf die «mehr als eine Oberfläche, aber weniger als ein Volumen» verkörpernde Kettenstruktur der Fraktal-Installation «H-Edge». Dann wieder huschen gitterartige Formen über die Wand und erzeugen scheinbar unendliche Räume, durch die man alsbald zu schweben glaubt.

Geometrien, Strukturen und Materialien führen Balmond zu immer andern Bildern, aus denen er die Grundlagen einer zukünftigen Architektur zu extrahieren sucht. So sind denn in der abschliessenden Abteilung «Network» neben skulpturalen Raumobjekten aus Drähten und Netzen Balmonds wichtigste Erfindungen und Realisationen präsent: die für Siza ausgeklügelten Dachkonstruktionen der portugiesischen Weltausstellungspavillons von Lissabon und Hannover ebenso wie die von Linienknoten hergeleiteten, ondulierenden Ebenen des zusammen mit UN Studio entwickelten Bahnhofs von Arnhem (1997–2008), die auf magischen Zahlenfolgen basierenden tanzenden Fassaden einer 2002 mit Toyo Ito entworfenen Hofrandbebauung in Glasgow ebenso wie die Bibliothek von Seattle und die Casa da Música in Porto, die er zusammen mit Koolhaas 2004 und 2005 verwirklichte. Man begegnet aber auch den asymmetrischen Fussgängerbrücken von Coimbra (2006) und Philadelphia (2007) und nicht zuletzt dem ausgehend von welligen Texturen mit Shigeru Ban erarbeiteten Centre Pompidou in Metz (2004–2009), das zwischen Traumbild und Zukunftsvision oszilliert.

Höhepunkt dieses Schlussbuketts bildet neben den Modellen des Pekinger CCTV-Turms der Masterplan für die Erweiterung der Battersea Power Station in London. Hier ist Balmond erstmals als Architekt und ausführender Ingenieur zugleich tätig. Zusammen mit der von ihm im Jahr 2000 bei Arup ins Leben gerufenen multidisziplinären, durch das Crossover von Architektur, Kunst, Wissenschaft und Philosophie geprägten Forschergruppe AGU (Advanced Geometry Unit) entwarf er neben dem Gesamtprojekt auch das dreidimensional verdrehte Geschäftshaus Twist und das von einer Kristall-Geometrie hergeleitete neue South Park Theatre. Diese Arbeiten deuten Balmonds Entschlossenheit an, künftig unabhängig von Architekten Bauten zu kreieren, deren Formen und Räume vor allem die innere Dynamik spiegeln.

Gebaute Wahrzeichen

Auch wenn in der von Balmond mitentwickelten neuen Architektur viel kreatives Potenzial steckt, dürfte sie in nächster Zukunft wohl nur bei ganz spezifischen Bauaufgaben – vornehmlich im kulturellen Bereich – zur Anwendung gelangen. Zum einen, weil sich die neuen architektonischen Erscheinungsbilder nur in gezielten Operationen in unsere traditionellen Städte einpflanzen lassen, zum andern, weil im Wohnungs- und Bürobau, den wichtigsten Aufgabengebieten der Architektur, weiterhin konventionelle Häuser gefragt sein werden. Dies vor allem deshalb, weil sich orthogonale Räume leichter möblieren und damit auch vermieten oder verkaufen lassen als solche mit schrägen und gekrümmten Wänden, Decken oder Böden. Das hat jüngst Zaha Hadids verschachtelter Wohnkomplex am Wiener Donaukanal bewiesen, der bei den Mietern nicht gut ankommt. Balmonds Genie aber könnte Zürich helfen: in Sachen Kongresshaus nämlich. Denn eine von ihm ausgeklügelte, zukunftsweisende Struktur dürfte nicht nur am See ihre Wirkung entfalten; sie könnte auch an einem weniger attraktiven Ort zu einem Aushängeschild der Stadt werden.

5. Juli 2007 Neue Zürcher Zeitung

Kulturstädte und unberührte Landschaften

Eine reich illustrierte Publikation über das Unesco-Welterbe

Vor 35 Jahren wurde die Unesco-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt in Stockholm verabschiedet. Seither ist das Interesse an den vom Welterbekomitee auf die Liste der Kultur- und Naturdenkmäler aufgenommenen Stätten stetig gewachsen. Einerseits weil sich die ausgezeichneten Orte touristisch in Szene setzen, anderseits weil die Liste der bedrohten Denkmäler immer wieder für rote Köpfe sorgt. Etwa in Dresden, wo sich der Streit um die Verunstaltung des Elbtals durch die banale Waldschlösschenbrücke weiter zuspitzt. Dabei sind die Unterzeichnerstaaten der Konvention verpflichtet, für den integralen Erhalt der von ihnen vorgeschlagenen, vom Welterbekomitee geprüften und dann in die Liste eingetragenen Natur- und Kulturdenkmäler zu sorgen - und darüber hinaus auch für alle anderen Denkmäler im eigenen Land, eine Tatsache, die der Schweizer Innenminister jüngst wohl ausser acht liess, als er einen schrittweisen Rückzug des Bundes aus Heimatschutz und Denkmalpflege ankündigte.

Ehre und Verpflichtung

Selbst wenn man das Unesco-Welterbekomitee in gewissen Punkten kritisieren kann, ist dessen Strenge angebracht, denn kein Bauwerk, kein Ort und keine Landschaft kommt unfreiwillig auf die Welterbeliste. Bedeutet einerseits die angedrohte Streichung von der Liste für ein Denkmal und das Land, das einst dafür den Antrag stellte, eine Schmach, so wird anderseits jede Aufnahme als Ehre und Auszeichnung gefeiert. Sie wird in diesem Jahr zusammen mit zwanzig weiteren Denkmälern - vom irakischen Samarra über die Altstädte von Bordeaux und Korfu bis hin zu den südkoreanischen Jeju-Inseln - dem Weinbaugebiet Lavaux zuteil. Verdientermassen: denn die einst von der Zersiedelung bedrohte Genferseeküste wurde schon im Jahre 1979 vom Kanton Waadt nicht zuletzt dank den Initiativen von Franz Weber weitgehend unter Schutz gestellt. Sie ist zudem eines der aussergewöhnlichsten und weitläufigsten Bauwerke Europas, in welchem Ingenieurskunst, Architektur und Landschaftsgestaltung harmonisch zusammenfinden. Das vielschichtige Mauerwerk der Rebterrassen, dessen Bau vor 1000 Jahren von Benediktiner- und Zisterziensermönchen initiiert wurde, könnte all jene Architekten inspirieren, die dank dem Computer nicht mehr nur in euklidischen, sondern auch in mehrdimensionalen Geometrien projektieren. Denn dieses Geflecht von Mauern, bei dem das Windschiefe, Schräge, Gebrochene, Verwinkelte und Verästelte an die Stelle des Horizontalen und Vertikalen tritt, erweist sich fast schon als Vorwegnahme einer zum Chaotisch-Fragmentierten tendierenden Baukunst.

Gewiss, ähnliche Formen finden sich in vielen Terrassenlandschaften. Wohl nirgends aber wurden sie zu einem derart komplexen, durch alte Dorfkerne akzentuierten Gewebe vereint. Wie exotisch sich die zwischen Riesenbauwerk und Land-Art oszillierende Steilküste des Lavaux auf der mittlerweile mehr als 800 Objekte zählenden Welterbeliste mit ihren archäologischen Orten, historischen Zentren und unberührten Naturlandschaften ausnimmt, zeigt ein Blick auf die Unesco-Website, wo alle Stätten sorgfältig dokumentiert werden, oder besser noch in die unlängst erschienene, reich illustrierte Publikation der «Natur- und Kulturwunder der Welt», die eine erhellende «Rundreise» zu den 170 schönsten Unesco-Welterbestätten ermöglicht.

Den Auftakt zu der nach Kontinenten geordneten Präsentation macht Deutschland mit dem Aachener Dom, der 1978 zusammen mit 11 weiteren Stätten (zu denen die Felsenkirchen von Lalibela in Äthiopien, die Galapagosinseln und der Yellowstone-Park gehörten) die Liste begründete. Am prominentesten vertreten in der Publikation sind Italien und Spanien, die je rund 40 Welterbestätten besitzen, es folgen Frankreich, Deutschland und das rasant aufholende China sowie - schon etwas abgeschlagen - Grossbritannien, Indien und Mexiko mit je rund 25 Objekten. Von den 7 Stätten der Schweiz, die die Konvention als eines der ersten Länder im September 1975 unterzeichnete, werden die Altstadt von Bern, der St. Galler Klosterbezirk und die Burgen von Bellinzona in Wort und Bild vorgestellt.

Natürliche und gebaute Schönheiten

Jedem der 170 ausgewählten Denkmäler ist eine Doppelseite mit Abbildungen, einem Einführungstext sowie einem historischen Abriss gewidmet: der Athener Akropolis ebenso wie der Lagune von Venedig, der Altstadt von Luxemburg ebenso wie den Schlössern von Versailles und Schönbrunn, der englischen Industriestadt Ironbridge, den Gaudí-Bauten in Barcelona und Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn, dem Ilulissat-Eisfjord auf Grönland ebenso wie dem Plitwitze-Nationalpark in Kroatien. Die Hälfte der Reise führt durch Europa, dann geht es weiter nach Amerika - von der Stadt Québec bis hinunter zu den Iguazú-Fällen und den chilenischen Holzkirchen auf Chiloé. In Afrika locken das islamische Kairo oder der legendäre Serengeti-Nationalpark, in Asien der Baikalsee, die Chinesische Mauer, die Tempel von Kyoto oder die Stadtkerne von Buchara und Sanaa. Schliesslich tauchen die Naturwunder von Australien und Ozeanien am Horizont auf: der Regenwald von Queensland, aber auch die subarktischen Inseln Neuseelands. Nicht im Buch abgebildet ist das Opernhaus von Sydney, das Ende Juni anlässlich der Tagung des Welterbekomitees in Christchurch gemeinsam mit dem Lavaux aufgenommen wurde. Es stellt gleichsam die Übersetzung der nichtlinear anmutenden Geometrie der Rebterrassen in moderne Schalenkonstruktionen dar. Mit diesem Werk wird erstmals ein Einzelbau eines lebenden Architekten, des Dänen Jørn Utzon, gewürdigt, nachdem zuvor die Werke des bald 100-jährigen Oscar Niemeyer als Teil des Gesamtkunstwerks Brasilia ausgezeichnet worden sind.

Im Anhang der attraktiven Publikation sind alle bis und mit 2005 aufgenommenen Objekte verzeichnet - eine Liste, die um ein Mehrfaches erweitert werden kann - und muss. Dies wird weniger zu einer Verwässerung führen, als vielmehr den Schutzgedanken gegenüber den touristischen Aspekten aufwerten. Bei seiner Auswahl wird das Welterbekomitee weiterhin aus dem Vollen schöpfen können: Allein in unserem Land hoffen so interessante Objekte wie die prähistorischen Ufersiedlungen am Neuenburgersee, die Anlage der Rhätischen Bahn, die planmässig angelegten Uhrenstädte La Chaux-de-Fonds und Le Locle, die Bauten von Le Corbusier und die Glarner Hauptüberschiebung darauf, in den Rang eines Welterbes erhoben zu werden und den daraus resultierenden Verpflichtungen genügen zu dürfen.

[ Die Natur- und Kulturwunder der Welt. Alle Natur- und Kulturstätten der Unesco-Welterbeliste. Chronik-Verlag, Gütersloh 2006. 448 S., Fr. 60.40. ]

25. Juni 2007 Neue Zürcher Zeitung

Individueller Wohnen

Ausstellung «My Home» im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein

Mit der Geschichte des Wohn- und Büroalltags befasst sich das Vitra-Design- Museum seit Jahren. Nun zeigt es stark künstlerisch geprägte Rauminstallationen von jungen Designern und Architekten.

Früher liessen die Designer in Sachen Wohnen der Phantasie noch freien Lauf. Alles war möglich: chromglänzende Räume in schwebenden Eier-Häusern, Mini-Apartments mit Betten und Bädern, die man per Knopfdruck verschwinden lassen konnte, zur Orgie einladende Liegezonen aus langflorigem Spannteppich oder Plastic-Ohrensessel, in denen man vom Hausroboter mit Champagner bedient wurde. An solche Utopien haben wir uns längst gewöhnt. Sie erscheinen uns daher kaum bizarrer als die Träume unserer Vorfahren von nostalgischen Schäferwelten à la Marie Antoinette oder archäologisch akkuraten pompejanischen Interieurs.

Mindestens so bequem wie diese finden wir mittlerweile die von der Moderne propagierte funktionale Wohnung in ihrer klaren Leichtigkeit, die mit dem Pomp der Gründerzeit Schluss machte. Selbst Wohnvorstellungen der Nachkriegsjahre, die mehr mit Science-Fiction als mit der alltäglichen Realität zu tun hatten, vermögen uns nicht mehr zu schockieren. So reagieren wir höchstens noch mit einem Lächeln auf die schwülen Kunststofflandschaften, mit denen Verner Panton ein klaustrophobes Leben wie im Mutterschoss beschwor, oder auf die engen Wohnmaschinen, aus denen Kisho Kurokawa jede Gemütlichkeit verbannte.

Lebensraum als Installation

Dieser Entzauberung des häuslichen Daseins durch Architekten und Designer widmete das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein jüngst eine grosse Übersichtsschau. Nun findet am selben Ort mit «My Home» eine Weiterführung des Themas in die unmittelbare Zukunft statt. Die Ausstellung präsentiert Wohnvisionen jüngerer Gestalter und knüpft damit bei früheren experimentell gefärbten Vitra-Veranstaltungen wie «Living in Motion» an. Wer nun aber von den sieben eingeladenen Architekten und Designern exzentrische Entwürfe erwartet, sieht sich getäuscht. Den kreativen Köpfen fehlt es zwar nicht an Ideen. Doch wer glaubt heute noch an echte Innovationen im Wohnbereich? Statt der von Kurator Jochen Eisenbrand gewünschten Vorschläge zu Themen wie Gastlichkeit, Gemeinsamkeit, Unterhaltung und Entspannung schufen die Geladenen - ausgehend von ihren langjährigen Recherchen - räumliche Installationen, in denen der Kunstanspruch weit über der Alltagstauglichkeit steht. Damit spiegeln die Exponate letztlich eine Entwicklung, die immer mehr in Richtung einer Individualisierung des Wohnens weist.

Einer von glitzernd kalter Technik dominierten Welt abschwörend, hängten die Brasilianer Fernando und Humberto Campana vor den Eingang von Frank Gehrys ondulierendem Musentempel einen Vorhang aus Stroh. Dieser entpuppt sich beim Betreten als übergrosse Hütte, deren einzige Einrichtung aus einem groben Holzboden und fühlerartigen Halogenlampen besteht. Den Dialog mit Gehry führt dann der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. auf einer abstrakteren Ebene fort, indem er die von ihm umgestaltete Bar zu einer geometrisch-harten, roten Lounge weitet, deren kantige Sitzebenen mit Farbwechsel auf Temperaturänderungen reagieren.

Blitze zucken von hier hinüber in die wogende Wohnlandschaft des Kaliforniers Greg Lynn, der seine aus einem digitalen Entwurfsprozess hervorgegangenen «Ravioli-Sessel» unter quallenförmige Lampenschirme stellt. Dieser Retro- Salon, der - nicht ohne Ironie - viel über Lynns gestalterisches Denken aussagt, ist ebenso der Popkultur der siebziger Jahre verpflichtet wie die blasenförmigen Plexiglas-Vitrinen mit ihren bunten Robotern und Dinosauriern. Durch einen Korallen-Tunnel gelangt man dann hinauf in Jerszy Seymours Raum, über dem auch der Geist der siebziger Jahre schwebt - jener der alternativen Szene allerdings. Denn statt wie Lynn, der sogar Möbel am 3D-Drucker «printen» möchte, auf Computertechnologie zu setzen, glaubt Seymour an ein «primitives» Produktionsverfahren. Seine Möbel fertigt er aus einem auf Kartoffelbasis hergestellten Biokunststoff an, den er über Gussformen aus Sand oder Lehm fliessen lässt. Auf diese Weise entstehen tropfenartige Stühle, Tische und Betten in Gelb und Rosa. Zusammen mit den als Zimmerpflanzen gehaltenen Kartoffelstauden bilden sie ein geschlossenes System, in dem mit grünem Engagement die Energiebilanz möglichst niedrig gehalten wird.

Eine Gegenwelt zu Seymours Öko-Wohnchaos bietet der klinisch grelle Raum des Holländers Jurgen Bey. Mit weissen Stoffbahnen, auf die bald Architekturzeichnungen, bald Kleiderhaken gedruckt sind, definiert er ein perfekt in die verwinkelten Strukturen des Gehry-Baus integriertes Home-Office - möbliert mit einem Schreibtisch und einem als Refugium und Ausguck dienenden Hochstand. Während Bey den Weitblick in der Enge sucht, inszenieren die Franzosen Erwan und Ronan Bouroullec die Wohnung als Landschaft für den modernen Grossstadtnomaden. Ihm stellen sie modulartige Stoffelemente zur Verfügung, mit denen er seinen eigenen zeltartigen Schutzraum errichten kann. Aus diesem Himmelbett des 21. Jahrhunderts schlüpft er dann nur noch, um auf dem leichten Bouroullec- Sessel ein Buch zu lesen oder die Kaffeetasse auf das Beistelltischchen zu stellen.

Möbel als Kunstobjekte

Wollen uns diese harmlosen Erlebniswelten weismachen, dass sich das Wohnen immer mehr der Kunst annähert? Oder wollen sie uns vielmehr lehren, dass man sich nicht länger um Wohndiktate kümmern und wenigstens zu Hause nach seiner Fasson selig werden soll - sei dies mit Topfpflanzen, Plastic-Nippes, intelligenten Möbeln oder einem Zelt im Haus? Eines machen die Wohnszenarien jedoch deutlich: dass Möbel immer mehr zur Dekoration werden. Es erstaunt daher kaum, dass Hella Jongerius in der zentralen Halle die Sessel der Vitra-Sammlung nicht zu einem Wohnraum arrangiert, sondern in einem überdimensionierten Setzkasten zu einem Farbmuster verwebt. Dass es aber über den Stuhl, das klassische Designobjekt schlechthin, noch immer viel zu sagen gibt, zeigt die Parallelveranstaltung im Buckminster-Fuller-Dome. Dort präsentieren die sieben «My Home»-Designer zusammen mit Grössen wie Ron Arad, Frank Gehry, Konstantin Grcic oder Zaha Hadid ihre neusten Möbelkreationen in einer von Rolf Fehlbaum initiierten Luxus-Edition. Der Vitra-Chef vermutet zwar, dass die puritanischen Väter der Moderne, denen es einst um schöne, nützliche und erschwingliche Serienprodukte für breite Bevölkerungskreise ging, die in Auflagen von gut acht Exemplaren und zu Durchschnittspreisen um 100 000 Franken angebotenen Designkunstwerke kritisch betrachten würden. Doch nicht zuletzt dank solchen Sammelstücken lässt sich heute private Design- Forschung überhaupt noch finanzieren.

[ Die Vitra-Edition ist bis 22. Juli im Buckminster-Fuller-Dome zu sehen, die Ausstellung «My Home» im Vitra-Design-Museum dauert bis 16. September. Ein Begleitheft ist in Vorbereitung. ]

4. Mai 2007 Neue Zürcher Zeitung

Architektonische Gratwanderung

Christian de Portzamparc in der neuen Cité de l'architecture in Paris

Im Herbst soll in Paris das grösste Architekturzentrum Europas, die Cité de l'architecture, eingeweiht werden. Bereits eröffnet wurden die Säle für Wechselausstellungen im Palais de Chaillot, wo derzeit Christian de Portzamparc gefeiert wird.

Mit schönen Architekturmodellen bezirzt man Bauherren und Investoren. Aber auch Ausstellungsbesucher lassen sich gerne von ihnen verführen. Das wissen die Verantwortlichen der neuen, gegenüber dem Eiffelturm gelegenen Cité de l'architecture in Paris. Noch bevor das grösste Architekturzentrum Europas im September definitiv eingeweiht wird, sollen die architektonischen Träume von Christian de Portzamparc Besucher in die seit Ende März zugänglichen Wechselausstellungssäle locken. Im Werk von Portzamparc, der 1994 als bisher einziger Franzose mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, vereinen sich beispielhaft die beiden Hauptthemen, auf welche die Cité künftig ein Augenmerk richten will: Baukunst und Urbanismus. Seine skulpturalen Bauten eignen sich darüber hinaus bestens für eine effektvolle Zurschaustellung mittels Modellen. So lebt denn die in den Backsteingewölben des Palais de Chaillot von Portzamparc selbst als schillernde, auf die Besucher einstürzende Stadtlandschaft inszenierte Schau von Maquetten in allen Grössen - sowie von Filmen. Diese widmen sich neben dem LVMH-Hochhaus in New York, der Philharmonie von Luxemburg und dem Wohn- und Einkaufszentrum im niederländischen Almere durchwegs Grossprojekten der letzten Jahre, welche entweder erst im Bau oder in Planung sind oder gar nicht realisiert werden.

Schluchten und Türme

Diese Konzentration auf neue, auch dem Fachpublikum teilweise noch kaum bekannte Entwürfe verleiht der Eröffnungsausstellung der Cité zweifellos mehr visuelle Attraktivität als eine thematisch aufgearbeitete Retrospektive, wie sie vor zwei Jahren in Lille zu sehen war. Denn neben den jetzt vorgestellten grossformatigen Bauten und Projekten können sich nur wenige frühere Arbeiten von Portzamparc behaupten, etwa die Cité de la musique, die Portzamparc zwischen 1984 und 1995 in der Pariser Villette realisierte. Sie und der stiefelförmige Crédit-Lyonnais-Turm, der seit 1995 auf dem TGV-Bahnhof von Lille zu reiten scheint, veranschaulichen die beiden zentralen Themen im Schaffen des Pariser Architekten: die von schluchtartigen «Rues intérieures» durchfurchten oder von dynamischen Innenlandschaften belebten Sockelbauten sowie die aufgeständerten, skulpturalen Hochhäuser. Wie diese in jüngster Zeit zu tanzen beginnen, zeigt am Eingang zur Ausstellung der 2005 für Las Vegas entwickelte, in phantastisches Licht getauchte Wohn- und Geschäftskomplex «So Bella», der wie so viele megalomane Visionen des Meisters unrealisiert geblieben ist. Der Ausstellungstitel «Rêver la ville» will ganz offensichtlich nicht nur davon berichten, wie Portzamparc mit seinen baulichen Interventionen die Städte umzugestalten sucht, sondern darüber hinaus auch davon, wie der bald 63-jährige Architekt immer wieder sein Herzblut für Entwürfe vergiesst, die sich letztlich als Traumschlösser erwiesen.

Türme bilden den Hauptakzent der über weite Strecken dem Phalluskult geweihten Schau. Bald drehen sich kubisch abgewinkelte Stelen oder wulstige Hüllen in die Höhe, bald verdichten sie sich zu Clustern, um der Pariser Défense, der Innenstadt von Beirut oder der Gegend um das Uno-Hauptquartier am East River expressive oder auch kitschige Akzente zu verleihen. Dort, in New York, steht auch Portzamparcs bisher wohl elegantester Bau, der 1999 an der 57. Strasse vollendete LVMH-Tower, dessen heitere Ausstrahlung der Franzose jüngst selbst mit einer Erweiterung trüben wollte. Bringt die 100 Meter hohe LVMH-Fassade mit ihren geknickten, bald verglasten, bald verspiegelten Flächen Dynamik in die Strassenflucht, so wird die heitere Schar hoher Wohnbauten, die zwei offene Häuserblocks in Peking füllen soll, zum bunten, quasi-postmodernen Formenspiel und - als allzu geschwätzige Weiterführung seiner Wohnsiedlung in Fukuoka und seines kleinteiligen Metz-Projektes - leider zur architektonischen Patisserie. Einzig der urbanistische Ansatz eines halböffentlichen, parkartigen Innenhofes verspricht einen städtebaulichen Mehrwert. Einen solchen erzielte Portzamparc bereits in Almere, wo er eine kleine Shopping-Mall mittels zweier Strassenschluchten in vier Baukörper aufteilte, auf deren begrünter Dachlandschaft farbige Reihenhäuser wachsen.

Prägte die Idee der Auftrennung grosser Bauvolumen durch tiefe Einkerbungen noch das 2001 konzipierte Musée Hergé in Louvain-la-Neuve, so wird diese im unrealisiert gebliebenen Projekt für die New York City Opera in eine mehrgeschossige, zwischen blutrotem Uterus und Weltraumstation oszillierende Foyerlandschaft transformiert. Die hier erprobte räumliche Anordnung der Volumen steigert der Franzose dann in der Cidade da Musica von Rio de Janeiro zu einem dreidimensional durchgeformten Riesenbau, der im Modell an surrealistische Plastiken von Alberto Giacometti erinnert. Dass sich hier für Portzamparc, dessen Schaffen zwischen 1999 und 2005 mit der Botschaft Frankreichs in Berlin und der Luxemburger Philharmonie auf einem kreativen Tiefpunkt angelangt war, ein Weg aus der Krise anzukündigen scheint, beweist nun ein Film, der es einem schon vor der Fertigstellung des Baus im kommenden Jahr erlaubt, durch das von den Betonskulpturen der brasilianischen Nachkriegsmoderne inspirierte Konzerthaus zu spazieren.

Kunst der räumlichen Inszenierung

Es lag wohl nicht in der Macht des Architekten, den städtebaulich isolierten und fast nur mit dem Auto erreichbaren Musiktempel besser ins städtische Leben zu integrieren. Dennoch lässt sich die Cidade da Musica nur schlecht mit dem von Portzamparc immer wieder propagierten humanen und lebenswerten Urbanismus vereinen. Aber vielleicht erschöpft sich dieser ja in farbenfrohen Häusern und begrünten Dächern. Auch eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Ort lässt sich kaum ausmachen - ausser in einigen mit der städtischen Textur verwobenen Wohnanlagen und den Projekten für die Défense, wo Portzamparc die kantige Skyline der Pariser Bürostadt mit unterschiedlichen Entwürfen - darunter die 180 Meter hohe Tour Granite und der 300 Meter hohe, jugendstilartige Generali-Turm - rhythmisieren und harmonisieren möchte. Mehr noch als der Oberflächenzauber der Fassaden könnte Portzamparcs Kunst der räumlichen Inszenierung diesem Stadtviertel jene Spannung verleihen, von der bisher die Interieurs seiner besten Werke lebten und mit der er nun auch in der Ausstellung seine Architektur ganz direkt erfahrbar machen möchte.

[ Bis 16. September in der Cité de l'architecture in Paris. Katalog: Christian de Portzamparc. Rêver la ville. Hrsg. Sophie Trelcat. Editions du Moniteur, Paris 2007. 310 S., Euro 50.-. ]

17. April 2007 Neue Zürcher Zeitung

Auf der Suche nach einer neuen Identität

Städtebau in Johannesburg - eine Ausstellung in der Architekturakademie Mendrisio

Am Anfang war der Goldrausch. Er führte 1886 auf Südafrikas kargem Hochland zur Gründung von Johannesburg. Elf Jahre später besass die Stadt bereits ein schachbrettartig angelegtes Zentrum, aber auch erste isolierte «Native Locations». Sie leiteten jene rassistisch begründete urbanistische und gesellschaftliche Trennung ein, die vor dem Zweiten Weltkrieg zur Schaffung der Soweto genannten South West Township führte. Später wurden - nicht zuletzt aufgrund sicherheitstechnischer Erwägungen - ein gigantisches Autobahnnetz und schliesslich die Überformung des Zentrums durch Hochhäuser nach amerikanischem Vorbild in Angriff genommen. Nach dem Ende der Apartheid verliessen immer mehr internationale Firmen das Geschäftszentrum.

An seiner Stelle boomt seither der im vornehmen Norden gelegene Stadtteil Sandton. Schuld an dieser Verlagerung war nicht zuletzt die wachsende Gewalt in weiten Teilen des rund 10 Millionen Einwohner zählenden Grossraums Johannesburg, der heute zehn Prozent des Bruttosozialprodukts Afrikas erwirtschaften soll. Neben Armut ist hier daher auch viel Geld vorhanden. Davon zeugen ummauerte Nobelviertel im Stil italienischer Kleinstädte oder bunter Spielzeugdörfer.

Trotz vielfältigen Problemen wird Johannesburg von Städtebautheoretikern zu den wenigen Megastädten gerechnet, die einigermassen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken dürfen. Denn anders als etwa Mexiko oder Moskau setzt die südafrikanische Metropole nicht auf ungebremste Expansion, sondern auf das sozialverträgliche Verweben des unter der Apartheid fragmentierten Stadtteppichs. Das veranschaulicht die Johannesburg-Schau, die derzeit im Rahmen einer Ausstellungsreihe über Boomstädte in der Galerie der Architekturakademie Mendrisio zu sehen ist.

Zwei Filme über das urbanistische Flickwerk von Johannesburg und die bauliche Monotonie von Soweto führen ins Thema ein. Im grossen Ausstellungssaal sind dann David Goldblatts suggestive Stadtansichten einem historischen Panorama gegenübergestellt. Das Hauptaugenmerk gilt aber zwei Dutzend architektonischen und städtebaulichen Eingriffen aus den letzten zehn Jahren, deren Ziel es unter anderem ist, soziale, politische und kulturelle Trennungen zu überwinden und den Heilungsprozess des Stadtkörpers zu beschleunigen. Grosse Bedeutung kommt dabei der Errichtung neuer Sozialbauten und der Sanierung der Armenviertel zu, wie etwa das brückenartig über den Hütten des einstigen Schwarzenghettos Alexandra erbaute Nelson Mandela Interpretation Centre von Rich Martins zeigt.

Man investiert aber auch in neue Quartiere wie Melrose Arch, ein kleinstädtisches Idyll mit Geschäften, Strassencafés, Büros und Wohnungen nach den Vorstellungen des New Urbanism, oder in postmoderne Anlagen wie den Mandela Square von Meyer Pienaar in Sandton. Zu den baukünstlerisch überzeugendsten Arbeiten gehören das Apartheid Museum in Ormonde und das Hector Pieterson Memorial in Soweto von Mashabane Rose Architects oder das durch Katte Otten Architects zum Sitz der Gleichstellungskommission umgebaute Frauengefängnis von Braamfontein. - Alle Exponate sind im attraktiven Katalog wiedergegeben, der zudem Analysen der heutigen Situation von Johannesburg bietet.

[ Bis 10. Mai (von Mittwoch bis Sonntag). Katalog: Johannesburg. Emerging / Diverging Metropolis. Hrsg. Lindsay Bremner und Pep Subirós. Mendrisio Academy Press, 2007. 173 S., Fr. 25.-. ]

4. April 2007 Neue Zürcher Zeitung

Formale Klarheit

Zum Tod des Architekten Livio Vacchini

Als Mitte der siebziger Jahre die Kunde von einer neuen, regional geprägten Tessiner Baukunst um die Welt ging, glaubte man in Mario Botta, Aurelio Galfetti, Luigi Snozzi und Livio Vacchini Vertreter einer einzigen «Tendenza» zu sehen. Doch dann zeigte es sich, dass jeder dieser Meister einen eigenen Ausdruck pflegte. Am sperrigsten sollte sich das Werk des am 27. Februar 1933 in Locarno geborenen Vacchini entwickeln. Mit seinen klassisch gedachten, aber kompromisslos ausgeführten Bauten stellte er bald schon architektonische Modeströmungen in Frage. So wagte er - ausgehend von Mies van der Rohes Rationalismus und Louis Kahns konstruktiver Logik - eine kreative Auseinandersetzung mit den postmodernen Tendenzen jener Zeit. Davon zeugt das Schulhaus von Montagnola, in dem er die Antike befragte, oder die dem Kontext verpflichtete Casa Rezzonico in Vogorno im Verzascatal.

In den neunziger Jahren wurde Vacchinis Architektursprache zusehends rigoroser, so dass einem die Turnhalle in Losone wie eine Neuinterpretation des revolutionären Klassizismus aus dem Geist der Spätmoderne erschien. Sein Hang zur Abstraktion, der sich bereits 1985 im tischartigen Atelierhaus in Locarno angekündigt hatte, steigerte sich im Spiegelmonolithen des Postgebäudes an der Piazza Grande von Locarno zum spröden Architekturtraktat. Es erstaunt daher nicht, dass Vacchini ausserhalb seiner Heimat vor allem in Frankreich Erfolge feiern konnte. Zwar schmerzte ihn das Scheitern seines grandiosen, zusammen mit Silva Gmür konzipierten Projekts für ein neues Rathaus in Nizza. Doch gab er sich nicht geschlagen, selbst als sein 1997 preisgekrönter kristalliner Entwurf für die neue Synagoge in Dresden unausgeführt blieb.

Seinen letzten grossen Wurf konnte er vor drei Jahren realisieren: die von einem dunklen Stahlgitter umhüllte Galleria Luini in Locarno. Sie offenbart die Quintessenz seines theoretischen und praktischen Schaffens sowie seinen Sinn für grosse Formen und perfekte Proportionen. In diesem spürt man Vacchinis Liebe zur hellenischen Welt, der er in seinem vollkommensten Werk ein Denkmal setzte: der zwischen Olivenbäumen in Contra hoch über dem Lago Maggiore gelegenen Casa Vacchini. Nicht dort, sondern im Spital von Basel ist nun Livio Vacchini am 2. April im Alter von 74 Jahren gestorben. Mit ihm verliert die Schweiz einen grossen Architekten.

30. März 2007 Neue Zürcher Zeitung

Ein Meister des Hightech

Pritzker-Preis an Richard Rogers

Die Eröffnung der Kulturmaschine des Pariser Centre Pompidou machte Renzo Piano und Richard Rogers 1977 zu Stars. Neun Jahre später konnte Rogers mit dem Lloyds's Building eine Ikone des britischen Hightech vollenden. Auch wenn der 1933 in Florenz geborene Londoner dem technischen Ausdruck treu geblieben ist, werden seine Bauten heute nicht mehr von reiner Zukunftseuphorie bestimmt. Im Zentrum von Rogers' Entwurfsarbeit steht vielmehr das Ringen um eine umweltverträgliche Baukunst. Dies hält ihn aber nicht davon ab, Megaprojekte wie den Millennium Dome oder den im vergangenen Jahr eingeweihten Madrider Flughafen Barajas zu realisieren. Zu seinen bekannteren Werken zählen ausserdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, die Justizpaläste von Bordeaux und Antwerpen sowie das walisische Regierungsgebäude in Cardiff. Bedeutender als seine Bauten waren in den vergangenen Jahren jedoch seine theoretischen Äusserungen. So skizzierte er 1997 seine Visionen für «Cities for a small planet» und beanstandete später die «erschreckenden architektonischen und städtebaulichen Standards» unserer Zeit. Nicht zuletzt für dieses ethische Engagement auf dem Gebiet der Architektur wird nun Lord Rogers of Riverside mit dem seit 1979 jährlich verliehenen und mit 100 000 Dollar dotierten «Nobelpreis der Architektur» ausgezeichnet. Damit setzt die im vergangenen Herbst um Toshiko Mori, Shigeru Ban und Renzo Piano erweiterte Jury einmal mehr auf einen bewährten Altmeister.

23. März 2007 Neue Zürcher Zeitung

Minimalistische Schatztruhe

Das neue Jüdische Museum von Wandel Hoefer Lorch in München

Am St.-Jakobs-Platz in München konnte am Donnerstag das neue Jüdische Museum eröffnet werden. Mit kleinen, aber ehrgeizigen Ausstellungen will das Haus zu einem Ort des Dialogs werden.

Als hässlicher Hinterhof mitten in Münchens Altstadt, an dem die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs nur notdürftig behoben schienen, war einem der St.-Jakobs-Platz in Erinnerung. Doch nun hat sich das Aussehen der einst windigen Freifläche grundlegend gewandelt. Zwei skulpturale Solitäre und eine Hofrandbebauung geben dem Ort neuen Halt und setzen architektonische, gesellschaftliche und politische Zeichen. Der neue Baukomplex, der als das eindrücklichste jüdische Zentrum in Europa gilt, ist aus einem Wettbewerb hervorgegangen, den die Saarbrücker Architekten Wandel Hoefer Lorch vor sechs Jahren für sich entscheiden konnten. Das städtebaulich präzise Ensemble umfasst neben Synagoge und Gemeindehaus ein von der Stadt München finanziertes und betriebenes Jüdisches Museum.

Städtebauliche Präzision

Wie schon bei ihrer Dresdner Synagoge befolgten die Architekten auch bei dem bereits im vergangenen November geweihten Münchner Sakralbau (NZZ 10. 11. 06) die Ende der achtziger Jahre von Salomon Korn geforderte Vereinigung von Stiftszelt und Tempel, indem sie dem schweren Sockel aus grob behauenem Travertin eine gläserne, durch ein Geflecht von bronzenen Davidsternen strukturierte Laterne aufsetzten. Ausgehend von diesem Symbolismus, der auf die zwischen Provisorium und Dauer schwankende jüdische Existenz hinweisen will, ist Wandel Hoefer Lorch erneut ein Gotteshaus von grosser physischer Präsenz und spiritueller Ausstrahlung gelungen. Im Innern vermag es den synagogalen Widerspruch von Langhaus und Zentralbau aufzulösen, während es mit seinem Äusseren als neues Münchner Wahrzeichen in Erscheinung tritt.

Der Synagoge ordnen sich die anderen Gebäude unter. Die abgestufte Kubatur des Gemeindehauses ergänzt das fragmentierte Stadtgewebe diskret. Auch das Museum gibt sich zurückhaltend - und nimmt doch eine urbanistische Schlüsselstellung ein. Mit seinem verglasten Erdgeschoss und dem darüber schwebenden Kubus aus poliertem Travertin bildet es die formale Antithese zur Synagoge. Erinnerungen an den Münchner Bau der Sammlung Goetz von Herzog & de Meuron kommen auf. Die Ähnlichkeiten sind aber rein äusserlich, denn das Jüdische Museum gehorcht einer anderen Logik.

Das helle Foyer wirkt mit seiner Fachbuchhandlung und der Café-Bar einladend und gibt Blicke frei auf die Umgebung. Man fühlt sich gut hier, wohl gerade weil alles so einfach und unspektakulär ist. Neben der Kasse geht es hinab ins Untergeschoss, wo in einem knapp 300 Quadratmeter grossen Saal die Dauerausstellung gezeigt wird. Sie muss fast ohne Meisterstücke jüdischen Kunsthandwerks auskommen, gewährt jedoch einen interessanten Einblick in die Geschichte der Juden in München. Zurück im Foyer, kann man über eine Treppenkaskade, die bald an die Alte Pinakothek, bald an Libeskinds Jüdisches Museum erinnert, hinaufsteigen zu zwei übereinanderliegenden, fensterlosen Räumen, die in ihren Abmessungen exakt der Eingangshalle entsprechen. Hier finden in den nächsten zwölf Monaten acht Wechselausstellungen zu verschiedenen «Formen des Sammelns von Judaica und des Sammelns durch Juden» statt. Im unteren Saal werden derzeit 26 wertvolle jüdische Kultgegenstände und Handschriften aus dem einstigen Besitz der Wittelsbacher gezeigt, die im Bayerischen Nationalmuseum und in der Bayerischen Staatsbibliothek die Nazizeit überstanden: vom goldenen Hochzeitsring mit gotischem Miniaturhaus, der seit 1598 in der Schatzkammer der Residenz aufbewahrt wird, bis zum ersten in Deutschland geschriebenen jüdischen Bibelkommentar.

Die Sammlung Pringsheim

Der obere Ausstellungsraum ist Thomas Manns jüdischen Schwiegereltern gewidmet. Im Stadtpalais an der Arcisstrasse, in welchem der Schriftsteller einst «nichts als Kultur» spürte, hüteten die Pringsheims hochbedeutende Majoliken und Goldschmiedearbeiten der Renaissance, einen den Musiksaal schmückenden Wandfries von Hans Thoma sowie mehrere Lenbach-Porträts von Familienmitgliedern. Nachdem der 83-jährige Alfred Pringsheim 1933 sein Haus zu einem Spottpreis an die Nazis hatte abtreten müssen, ging er bald auch seiner Sammlung verlustig. Die kostbarsten Stücke musste er 1939 den Berliner Museen schenken, den Rest in London versteigern.

Nun bietet eine kleine, vom Wiener Architekten Martin Kohlbauer suggestiv inszenierte Schau anhand von 32 Leihgaben aus europäischen Museen und dem Thomas-Mann-Archiv in Zürich die Gelegenheit, sich ein Bild von der Kunstleidenschaft der Pringsheims zu machen. Die Folgeveranstaltungen dürften es schwer haben, das Niveau der Eröffnungsausstellungen zu halten. Gleichwohl stehen die Chancen gut, dass sich dieses heitere Haus als Ort der Reflexion und des Dialogs wird etablieren können.

[ Die Pringsheim-Ausstellung dauert bis zum 10. Juni, die Wittelsbacher-Schau bis zum 24. Juni. Kataloge je Euro 12.-. Die nächstfolgenden Ausstellungen beleuchten die jüdische Volkskunst in Bayern (ab 26. Juni) und die «Volkskunst-Mode» der Wallachs (ab 10. Juli). Der Museumskatalog kostet Euro 12.95. ]

8. März 2007 Neue Zürcher Zeitung

Spröde Monumente

Zeitgenössische Bündner Architektur im Gelben Haus in Flims

Die neue Architektur Graubündens ist für ihre Kargheit und ihre handwerkliche Perfektion bekannt. Eine Ausstellung im Gelben Haus in Flims rückt nun einige der besten Bauten ins Rampenlicht.

Alles fing an mit Peter Zumthor. Vor ihm beherrschten zwar schon einige ausdrucksstarke, um 1970 entstandene Betonburgen von Schul- und Klosteranlagen die Landschaft. Doch erst die Bilder von Zumthors schindelverkleideter Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg gingen um die Welt und kündeten Ende der achtziger Jahre von einer neuen Baukultur in Graubünden. Diese etablierte sich dank engagierten Bauherren und einer von der öffentlichen Hand getragenen Wettbewerbskultur, die es Architekten wie Bearth & Deplazes oder Jüngling & Hagmann ermöglichte, kompromisslose, aber immer vom Kontext und vom Handwerk aus gedachte Bauten zu realisieren. Dabei handelte es sich - wie beim Tessiner Architekturwunder der siebziger Jahre - zunächst vor allem um Schulbauten. Inzwischen wurden die wichtigsten Aufträge vergeben; und der Nachwuchs hat es nicht mehr ganz so einfach, sich zu behaupten. Das zeigte vor einem Jahr die Ausstellung «Werdende Wahrzeichen» im Gelben Haus in Flims, in der nur wenige öffentliche Projekte zu sehen waren. Von den damals vorgestellten Entwürfen sind inzwischen Bottas Wellnessanlage des «Tschuggen» in Arosa und Corinna Menns Aussichtsplattform vollendet, die wie ein Adler hoch über der Rheinschlucht bei Flims schwebt.

Bilderreigen

Corinna Menn darf als die grosse Newcomerin der Bündner Architekturszene bezeichnet werden. Die 33-Jährige, die als erste Frau in Chur ein eigenes Büro führt, konnte nämlich im vergangenen Jahr noch einen weiteren Vorzeigebau fertigstellen: die Erweiterung eines Behindertenwohnheims in Scharans im Domleschg. Gleichwohl findet man ihre Bauten ebenso wenig wie Ben van Berkels geschliffen elegante Erweiterung des Hotels Castell in Zuoz oder Norman Fosters kürbisförmiges Apartmenthaus in St. Moritz in der Ausstellung «Gebaute Bilder», die nun wiederum im Gelben Haus stattfindet. Denn die an sich klug konzipierte Präsentation zeitgenössischer Bündner Architektur beschränkt sich leider auf nur 33 Bauten aus den letzten zwanzig Jahren. Im Zentrum stehen die Aufnahmen des Churers Ralph Feiner, die ergänzt werden durch Bilder anderer bekannter Architekturfotografen.

Im Eingangsgeschoss des Gelben Hauses, das vor einigen Jahren als schneeweisses Wahrzeichen der alpinen Baukunst selbst Furore machte, demonstrieren unterschiedlich grosse Abbildungen, wie stark Architekturaufnahmen unsere Vorstellungen von Gebäuden bestimmen. Zu sehen sind 12 Bauten für Verkehr und Arbeit: vom schwindelerregenden Traversiner-Steg in der Via Mala bis zum harmonisch gefassten «Plaz» in Ems und von den Ställen in Vrin bis zur Therme in Vals. Im ersten Stock wird dann die internationale Verbreitung der Bündner Architektur durch Bücher und Zeitschriften am Beispiel von 11 Kulturbauten veranschaulicht: darunter die Schulen von Mastrils und Vella, die Villa Garbald in Castasegna oder die Nepomuk-Kapelle in Oberrealta. Spätestens hier wird einem bewusst, dass - mit Ausnahme der spanischen Fachzeitschrift «2G», die im Jahr 2000 der «Arquitectura recienta en los Grisones» eine hervorragende Nummer widmete, und dem kleinen Führer «Bauen in Graubünden» - bis anhin keine grundlegende Übersicht über die neue Bündner Architektur existiert, was beim wissenschaftlichen und touristischen Potenzial des Themas doch einigermassen erstaunt.

Ideen für Flims

Dabei zeugt der Erfolg des erwähnten Führers, der nun in der dritten, völlig überarbeiteten und erweiterten Form vorliegt, aber nur 66 Bauten in Wort und Bild sowie weitere 75 in Kurztexten vorstellt, vom breiten Interesse an der Baukunst Graubündens. Auf ihm basiert auch die Flimser Schau. Einzig bei den 10 im Dachgeschoss projizierten Wohnbauten und Einfamilienhäusern findet eine kleine Abweichung von seinem Urteil statt, indem das exzentrische Frühwerk des jungen Engadiners Kurt Lazzarini eingeschmuggelt wurde. Der Bilderreigen lässt aber nicht nur wichtige Bauten, sondern auch gewisse Aspekte der Bündner Architektur ausser acht. Vielleicht um weitere Ausstellungen zu ermöglichen: etwa über Gemeinsamkeiten in der Formensprache, über die Auseinandersetzung mit dem städtebaulichen oder landschaftlichen Kontext, über die Beiträge auswärtiger und ausländischer Architekten, über die Bedeutung der Interventionen von Gion A. Caminada in Vrin und Marlene Gujan im Val Medels als Antithese zur Theorie der alpinen Brachen - oder über die Baukunst im architektonisch chaotischen Flims. So könnte der Ferienort dort, wo unlängst ein ganzes Häusergeviert abbrannte, ein beherztes urbanistisches und baukünstlerisches Zeichen setzen mittels eines im Gelben Haus präsentierten Ideenwettstreits unter einheimischen Architekten.

6. März 2007 Neue Zürcher Zeitung

Traurige Städte

«Spectacular City» - eine Fotoausstellung über zeitgenössische Metropolen in Düsseldorf

Dank Hochglanzbildern findet ein immer breiteres Publikum Zugang zur heutigen Architektur. Nun wird auch das fotografische Potenzial der Städte ausgelotet, wie eine Ausstellung in Düsseldorf zeigt.

Sie nennt sich «Spectacular City», die grosse Fotoausstellung über die Stadt von heute, welche derzeit im NRW-Forum in Düsseldorf zu Gast ist. Doch nur auf wenige Bilder trifft das im Zusammenhang mit Architektur so gern benutzte Modewort «spektakulär» zu. Gleichwohl ist der Auftakt zur zweigeteilten Schau imposant. Am einen Eingang zelebriert der Düsseldorfer Superstar Andreas Gursky grossstädtische Fassaden: von Oscar Niemeyers Copan-Hochhaus, bei dem er Strassen- und Hofansicht zu einem bunten, geometrischen Kontinuum verschweisst, oder von Norman Fosters Bankenturm in Hongkong, dessen beleuchtete Etagen zum abstrakten Theater einer seelenlos modernen Welt werden, die irgendwie an Jacques Tati zu erinnern scheint.

Düstere Zukunft

Doch geht es Gursky weniger um eine Kritik an der Stadt als vielmehr um kühl manipulierte Bestandesaufnahmen. Ganz anders Balthasar Burkhards Grossformate am entgegengesetzten Ausstellungseingang. Die braunweissen Flugaufnahmen dokumentieren am Beispiel von Paris die Unermesslichkeit eines Stadtkörpers, der nach eigenen Gesetzen gewachsen und gewuchert ist. Dem Berner nahe steht Naoya Hatakeyama. Dieser versucht mit Luftaufnahmen, welche die stets gleichen Blickwinkel von Tokio - bald im Schnee, im Smog, im Abendlicht oder im nächtlichen Flackern - zeigen, die wechselnde Atmosphäre einzufangen. Die Debatte über den Zustand der ins Gigantische wachsenden oder aber dramatisch schrumpfenden Städte, die spätestens seit der letzten Architekturbiennale von Venedig virulent ist, wird also vermehrt auch mit den Mitteln der Fotografie geführt. Dabei interessieren sich die 29 hier eingeladenen Künstler, unter denen man die Stimmen von Gabriele Basilico, Günter Förg, Walter Niedermayr oder Hiroshi Sugimoto vermisst, vor allem für den Verfall, das Bizarre oder Hässliche von Bauwerken und urbanen Szenerien. Ob diese traurigen, meist menschenleeren Städte unsere Zukunft spiegeln, wie der Untertitel der Schau - «Photographing the Future» - zu suggerieren sucht, ist wohl mehr als fraglich.

Die meisten Fotos widerlegen zudem die Behauptung von Rem Koolhaas, Architekturbilder seien «zum wahren Sexobjekt, zum Objekt unseres Begehrens geworden». So frönt Oliver Boberg einem metropolitanen Ruinenkult, Aglaia Konrad spürt brüchige Wohnburgen auf, und Heidi Specker versucht, die schäbige Aura von Beton und blindem Glas einzufrieren. Sze Tsung Leong dokumentiert die chinesische Begeisterung für stramm ausgerichtete Schlafstädte, Thomas Struth deckt die architektonischen Widersprüche von Lima auf, und der Holländer Frank van der Salm verfremdet Bauten und ganze Stadtlandschaften zu kitschig-süssen oder ausdrucksstarken Farbräumen. Mit einer der Ikonen dieser Schau wartet der junge Belgier Geert Goiris auf: dem abgetakelten Transportministerium in Tiflis, das von einer längst vergangenen Experimentierlust im ehemaligen Sowjetstaat zeugt. Das andere Bild, vor dem viele Besucher stehenbleiben, stammt vom 33-jährigen Londoner Dan Holdsworth und zeigt ein turmförmiges Lichtobjekt, das geradezu ausserirdische Züge annimmt. Nicht weniger surreal wirkt die mosaikartige Bildtapete des Davosers Jules Spinatsch, die das Weltwirtschaftsforum irgendwo zwischen Überwachungsstaat und Märchenwald inszeniert.

Einen Hauch von Poesie verströmen hingegen Thomas Ruffs verschwommen flaschengrüne Infrarotaufnahmen von Hinterhöfen, Parkplätzen oder Hafenarealen. Ruff betont denn auch, ihn interessiere nicht länger die Architektur als real existierende Entität, sondern nur das Bild, das von ihr gemacht werde. Damit nähert er sich der Sichtweise von Jacques Herzog, welcher der Meinung ist, die Realität von Architektur sei nicht gebaute Architektur. Herzog & de Meuron zählten denn auch zu jenen Architekten, die sich schon früh von der Fotografie als dem klassischen Propagandamedium der Architektur abwandten und das Potenzial einer rein künstlerischen Interpretation ihrer Bauten erkannten. So liessen sie 1991 auf der Architekturbiennale in Venedig ihre Bauten im Schweizer Pavillon von den vier Fotokünstlern Burkhard, Ruff, Margherita Spiluttini und Hannah Villiger ganz subjektiv ausloten, was damals von vielen nicht verstanden wurde.

Fiktion und Realität

Seither hat die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Gebauten weiter an Bedeutung gewonnen, wie eine Vielzahl von Ausstellungen mit Architektur- und Städtebildern in aller Welt zeigte. Von diesen könnte man die «Arquitectura sin sombra»-Schau, die vor sechs Jahren im Centre de Cultura Contemporània in Barcelona zu sehen war, als das intime, ganz auf den Einzelbau ausgerichtete Gegenstück zur Düsseldorfer Präsentation bezeichnen, die Aaron Betsky vom Nederlands Architectuur Instituut ursprünglich für sein Rotterdamer Haus konzipierte. Erstaunlich nur, dass er auf die Bilder von Fischli/Weiss verzichtete. Ihr schalkhafter Blick auf das Biedere und Unspektakuläre der Grossstadtlandschaft dürfte mindestens ebenso der Wirklichkeit entsprechen wie das nicht mehr nur von Endzeit- Gurus beschworene Drohende und Unbehauste. Der anregenden, aber etwas allzu heterogenen und damit unverbindlichen Schau versucht der schön gemachte Katalog kunsthistorischen und philosophischen Tiefgang zu verleihen. Doch beweist das intellektuelle Bilderbuch letztlich vor allem eines: dass die meisten ausgestellten Fotos nur im Original ganz zu ihrem Recht kommen.

[ Bis 6. Mai. Katalog: Spectacular City. Photographing the Future. NAI Publishers, Rotterdam 2006. 180 S., Euro 47.50. ]

2. März 2007 Neue Zürcher Zeitung

Städtebauliches Zeichen

Eine Museumserweiterung für Aarau

Im Schlössli, einem umgebauten mittelalterlichen Turm am Nordende des Grabens, besitzt Aarau seit 1939 ein eigenes Stadtmuseum. Noch heute stehen das alte Stadtmodell und die Epochenzimmer im Mittelpunkt der Sammlungspräsentation, obwohl das Haus inzwischen gut 100 000 Objekte hütet. Um diese verborgenen Schätze ans Licht zu bringen und um Wechselausstellungen zu ermöglichen, plant die Stadt nun einen Erweiterungsbau. Dazu führte sie einen Wettbewerb unter geladenen Architekten durch, welche eine breite Palette an Vorschlägen einreichten: Auf die erhöht zwischen dem Schlössli und dem klassizistischen Haus zum Schlossgarten gelegene Schlosspark-Wiese, von der aus man über eine Holzbrücke den Museumsturm betritt, möchte Valerio Olgiati einen Ausstellungskubus placieren, der in seiner dunklen Trutzigkeit an Blade-Runner- Architektur erinnert. Baumann & Roserens schlagen eine schwebende Vitrine vor und Eckert & Eckert (e2a) eine kubisch geknickte Wallmauer, welche die Ausstellungstrakte aufnimmt. Anders als diese Entwürfe käme das Siegerprojekt von Diener & Diener westlich des Schlösslis und damit ausserhalb des Perimeters zu stehen und würde damit eine völlig neue Erschliessung der zurzeit nur über steile Treppen zugänglichen Turmräume ermöglichen.

Künftig könnte der wehrhaft wirkende steinerne Anbau den bisher fehlenden städtebaulichen Fluchtpunkt des Grabens bilden und den Schlossplatz richtig fassen. Im Erdgeschoss soll ein grosser, verglaster Schlund in die neue Eingangshalle führen. Darüber sind mit Oberlichtern erhellte Ausstellungsflächen vorgesehen, von denen aus behindertengerechte Durchgänge in die Schauräume des Turms führen. Zuoberst - hinter dem hölzernen Dachaufsatz - wird die Verwaltung neue Büroräume erhalten. Das urbanistisch überzeugende Projekt, das sich in seiner Sensibilität durchaus mit den Interventionen von Miller & Maranta in der Altstadt und von Herzog & de Meuron beim Kunstmuseum vergleichen lässt, hat nur einen Schönheitsfehler: Ihm müsste ein stolzer Mammutbaum geopfert werden. Doch vielleicht lässt sich während der Überarbeitung durch eine leichte Rückversetzung des Neubaus auch diesbezüglich eine Lösung finden.

[Die vier Projekte sind am 2. und 3. März von 14 bis 17 Uhr sowie am 7. März von 14 bis 19 Uhr im Stadtmuseum Schlössli am Schlossplatz 23 in Aarau zu sehen. Begleitbroschüre gratis. ]

21. Februar 2007 Neue Zürcher Zeitung

Rationalistische Idealstädte

Brasilia und Chandigarh - eine Doppelausstellung in der Architekturgalerie Mendrisio

Im Rahmen ihrer Ausstellungsreihe über Megastädte widmet sich die Galleria dell'Accademia in Mendrisio derzeit den Planstädten Brasilia und Chandigarh. Entstanden ist eine vielschichtige Schau.

In schneller Abfolge zieht die Galerie der Architekturakademie Mendrisio ihren Ausstellungszyklus über aufstrebende Metropolen und die Verstädterung der Welt durch. Damit versucht sie sich geschickt als das aktivste und für Besucher attraktivste Architekturinstitut der Schweiz zu etablieren. Nach den wuchernden Megastädten Mexiko und Moskau, in welchen die baukünstlerischen Juwelen im unendlichen Häusermeer verschwinden und die Urbanisten sich mit stets neuen Realitäten arrangieren müssen, haben nun zwei «kleinere» Städte ihren Auftritt: Brasilia und Chandigarh. Gemeinsam ist ihnen nicht nur die Stellung als Hauptstädte (von Brasilien beziehungsweise des indischen Punjab), sondern auch die Tatsache, dass es sich bei beiden um wegweisende Planstädte mit einer Vielzahl architektonisch hochbedeutender Bauwerke handelt.

Funktional und doch human

Noch immer bieten diese in den fünfziger Jahren nach rationalistischen Gesichtspunkten auf dem Reissbrett entworfenen urbanen Konstrukte humanere Lebensbedingungen als andere Millionenstädte in Schwellenländern. Gleichwohl wurden sie schon in den sechziger Jahren als Fehlplanungen angeprangert - zunächst von Jane Jacobs, dann von einer wachsenden Zahl von Kritikern. Beanstandet wurde namentlich die funktionalistische Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Dem damit verbundenen grosszügigen Layout ist es aber zu verdanken, dass die Städte die Belastungen durch die dem ursprünglichen Konzept zuwiderlaufende Verdichtung und Slumbildung an den Rändern verkraften konnten. In Chandigarh führten allerdings Armut und politisches Desinteresse zur Vernachlässigung des gebauten Patrimoniums, von der auch Le Corbusiers Regierungsbezirk nicht verschont blieb. Das 1987 zum ersten modernen Unesco-Welterbe ernannte Brasilia vermag hingegen heute noch mit Oscar Niemeyers Regierungsbauten, Kirchen und Musentempeln zu begeistern.

Unter dem Titel «Twilight of the Plan: Chandigarh and Brasilia» vermischt die suggestive, von Josep Acebillo, Maristella Casciato und Stanislaus von Moos kuratierte Schau in Mendrisio architektonische und urbanistische Aspekte. In einer symmetrischen Inszenierung zelebriert sie die Genese der beiden Städte anhand von grossen Maquetten (darunter Le Corbusiers berühmtes Holzmodell des Regierungsbezirks von Chandigarh), Planskizzen, historischen Fotos von René Burri, Lucien Hervé und Ernst Scheidegger, Aufnahmen der heutigen Wirklichkeit von Enrico Cano sowie einer Vielzahl von Filmen, vor denen allein man schon Stunden verbringen könnte. Historische Exkurse rufen aber auch in Erinnerung, dass die beiden Kapitalen nicht die ersten Planstädte des vergangenen Jahrhunderts waren. So besass Indien mit dem zwischen 1912 und 1931 von Herbert Baker und Edwin Lutyens errichteten New Delhi bereits früh eine - noch ganz klassisch konzipierte - Retortenstadt.

In jenen Jahren hatte Le Corbusier (ein früher Bewunderer von New Delhi) eigene urbanistische Visionen entwickelt: etwa die «Ville lumineuse». Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er einen Entwurf für das zerstörte Saint-Dié vorlegen, und 1951 machte er sich an die Planung von Chandigarh, an der sich zuvor der Urbanist Albert Mayer die Zähne ausgebissen hatte. Ganz im Sinne der von den CIAM geforderten funktionalen Stadt konzipierte er zusammen mit Maxwell E. Fry und Jane B. Drew eine Schachbrettstadt mit skulpturalem Regierungsbezirk und einem Strassengitter, in dem seine Mitarbeiter moderne Antworten auf die Gartenstadt erproben konnten. Dennoch wurden diese später teilweise bizarr umgebauten Wohn- und Geschäftsviertel im medialen Schatten von Le Corbusiers vielbewunderten, zwischen 1955 und 1962 eingeweihten Betonburgen auf dem Kapitol kaum beachtet.

Ähnlich verhielt es sich mit der Rezeption von Brasilia. Hier lösten vor allem die hellen, heiter beschwingten Regierungsbauten von Niemeyer, die einen leichtfüssigen Samba zu tanzen scheinen, beim internationalen Publikum Begeisterung aus. Mit seiner neuen Hauptstadt gelang es Präsident Juscelino Kubitschek, Brasilien die Aura eines Zukunftslandes zu verleihen. Er war es nämlich gewesen, der 1956 - wohl inspiriert vom Projekt einer 1943 von Josep Lluís Sert und Paul Wiener für seinen Vorgänger Getúlio Vargas konzipierten «Motorenstadt» - einen landesweiten Wettbewerb zum Bau der neuen Hauptstadt Brasilia ausgerufen hatte. Siegreich hervorgegangen war aus dieser Konkurrenz der «Plano Piloto» des Le-Corbusier-Anhängers Lucio Costa: ein flugzeugartiger Entwurf mit den Regierungsbauten im Cockpit und den mit Wohnblocks zu bebauenden Superquadras in den Flügeln. Niemeyer, sein jüngerer Kollege und Freund, durfte diesen dann mit repräsentativen Bauten füllen, die von 1960 an die Welt betörten.

Auswirkungen auf die Schweiz

Wie weit verbreitet in den optimistischen fünfziger Jahren der Traum von der Idealstadt war, zeigt nicht nur ein Blick auf den in stalinistischem Klassizismus errichteten Krakauer Arbeitervorort Nowa Huta (NZZ 17. 2. 07), sondern auch die Schweizer Modellstadt «Furttal», die nordwestlich von Zürich hätte entstehen sollen. 1958 als Antwort auf Max Frischs und Lucius Burckhardts Pamphlet «Achtung: die Schweiz» von einer ETH-Studiengruppe geplant, geriet die von einem Autobahnring erschlossene Retortenstadt nach der Expo 1964 schnell in Vergessenheit. Erst neuere Forschungen förderten das spektakuläre Modell in einem Depot in Otelfingen wieder ans Licht, so dass es im vergangenen Sommer frisch restauriert in einer Ausstellung im Seedammcenter vorgestellt werden konnte. Bevor es nun in der Hochschule für Technik in Rapperswil seine Bleibe finden wird, darf es als Auftakt zur Ausstellung in Mendrisio die helvetische Auseinandersetzung mit den manifestartigen Planstädten der internationalen Moderne verkörpern.

[ Bis 18. März (mittwochs bis sonntags 12 bis 18 Uhr) in der Galleria dell'Accademia in Mendrisio. Der Katalog (Twilight of the Plan: Chandigarh and Brasilia. Hrsg. Mendrisio Academy Press, 192 S, Fr. 25.-) erscheint gegen Ende der Ausstellung. ]

17. Februar 2007 Neue Zürcher Zeitung

Barocke Pracht

Das renovierte Zeughaus in Mannheim

Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs ging die einstige Residenzstadt Mannheim unter. Weil daraufhin - im Eifer des Wiederaufbaus - zerstört wurde, was noch zu retten gewesen wäre, besitzt die Stadt am Rhein heute nur mehr wenige Baudenkmäler. Darunter befindet sich ein Juwel: die in einem zwischen Jugendstil und Expressionismus oszillierenden Neuklassizismus auftrumpfende Kunsthalle von Hermann Billing. Sonst aber vermag die Architektur des 20. Jahrhunderts kaum zu begeistern: weder die als neues Stadttor inszenierte Doppelturmanlage von Max Dudler beim Hauptbahnhof noch Richard Meiers spröd- klinischer Neubau des Warenhauses Peek & Cloppenburg, das vom 8. März an einen Hauch von Noblesse in die Heidelbergerstrasse bringen soll. Wenn Mannheim in jüngster Zeit dennoch etwas Glanz zurückgewonnen hat, so ist dies den Restaurationen und Rekonstruktionen des barocken Erbes zu verdanken: Das Schloss atmet wieder Grösse, die Renovation der Jesuitenkirche schreitet zügig voran, und rechtzeitig zur Vierhundertjahrfeier der Stadt konnte soeben das ehemalige Zeughaus eröffnet werden.

Der 1778 am Übergang vom Spätbarock zum Frühklassizismus von Peter Anton von Verschaffelt realisierte Stadtpalast war zwar nach dem Krieg notdürftig als Museum wiedererrichtet worden. Doch erst jetzt, nachdem die Berliner Architekten Pfeiffer, Ellermann und Preckel die Fassaden saniert und das steile Walmdach mit den Gauben rekonstruiert haben, darf sich das Zeughaus als neuer Hauptsitz der Reiss-Engelhorn- Museen sehen lassen. Dank der rund 17 Millionen Euro teuren Sanierung bietet es jetzt auf sechs Geschossen gut 6000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. In einem historischen (wenngleich wiederaufgebauten) Gebäude wähnt man sich allerdings nur in der grosszügigen Eingangshalle, in der das Frankenthaler Porzellan zu Ehre kommt, sowie im Untergeschoss, wo sich die Antike unter wirklich alten Gewölben mit einer didaktischen Schau in Szene setzen darf. Die vier Obergeschosse aber wurden in hermetisch geschlossene White Cubes verwandelt, so dass die blinde Fensterfront der noblen Hauptfassade nur dank Elisabeth Brockmanns riesiger Lichtinstallation nicht tot wirkt.

Der erste Stock ist für Wechselausstellungen reserviert; darüber finden sich Porträts, historische Kleider und angewandte Kunst. Die dritte Etage wartet mit Theater-, Musik- und Stadtgeschichte auf, und im Dachgeschoss hat das renommierte Forum Internationale Fotografie Platz gefunden. Schade nur, dass eine labyrinthartige Raumanordnung sowie das weitgehende Fehlen von Tageslicht und Ausblicken den Rundgang vorbei an den über 4000 Exponaten dieser Schatzkammer mitunter zu einem eher klaustrophoben Erlebnis machen.

2. Februar 2007 Neue Zürcher Zeitung

Städtebauliches Signal

Ein Kulturpalast für das Locarnese

Vor einem Jahr sorgte Ascona mit dem Projekt eines ambitiösen Kulturzentrums, welches das Erscheinungsbild des Borgo am Lago Maggiore schwer beeinträchtigt hätte, für Schlagzeilen (NZZ 13. 2. 06). Daraufhin kündigte die Nachbarstadt Locarno an, sie wolle an der Piazza Castello einen 70 Meter hohen Turm errichten, dessen Sockel die Kino- und Repräsentationsräume des Filmfestivals aufnehmen werde. Nun haben die Bürgermeister der beiden längst zusammengewachsenen Orte verlauten lassen, dass sie auf ihre teilweise heftig kritisierten Projekte verzichten und gemeinsam einen Neuanfang mit einem Kulturpalast wagen wollen, der einen Konzertsaal für die Asconeser Musikfestwochen, Veranstaltungsräume für das Locarneser Filmfestival, Kongresssäle sowie ein Hotel aufnehmen wird. Realisiert werden soll er auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes von Ascona unweit der grossen Brücke über die Maggia. Mitten in der Agglomeration wird so ein städtebaulich wichtiges Signal für ein geordnetes Zusammenwachsen der beiden Gemeinden gegeben. Dabei verlangt das im zersiedelten Flussdelta gelegene Areal - ganz anders als die historischen Zentren der beiden involvierten Orte - förmlich nach einem architektonischen Zeichen. Den Architekten bietet sich also die Möglichkeit, ein Bauwerk mit grosser Signalwirkung zu realisieren. Schon 1999 hatte hier der Katalane Josep Lluís Mateo mit seinem prämierten Wettbewerbsentwurf für ein Spielkasino einen interessanten Bauvorschlag präsentiert. Doch lässt sich dieser nicht einfach übernehmen, wie einige Politiker meinen. Der Neubeginn verlangt nach einem weiteren Wettbewerb, zu dem neben Mateo und einigen jüngeren Tessinern erneut auch die Teilnehmer der jüngsten Ausschreibung für das Asconeser Kulturzentrum - darunter Caruso St John, Zaha Hadid, Mansilla & Tuñón sowie Sanaa - eingeladen werden sollten. Nur so besteht eine reelle Chance, dass das Locarnese ein neues Wahrzeichen erhalten wird.

1. Februar 2007 Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerisches Inselhüpfen

Die erste Biennale für Architektur, Kunst und Landschaft auf den Kanarischen Inseln

Probleme der globalisierten Welt wie Verkehr, Zersiedelung, Umweltzerstörung oder Migration sind Themen der ersten Biennale für Architektur, Kunst und Landschaft auf den Kanarischen Inseln. Entstanden ist eine vielseitige Schau, die durchaus zum Nachdenken anregt.

Der Massentourismus verschaffte den Kanaren einen zweifelhaften Ruf - nicht ganz zu Unrecht, denn weite Küstenstriche sind, wie überall in Spanien, durch baulichen Wildwuchs und Spekulation verschandelt. Wer sich jedoch in abgelegenere Winkel oder in die Berge begibt, wird immer noch die Magie einer grossartigen Natur erleben. Seit Jahren versuchen die Inseln zudem mit einem ambitiösen Musikfestival zu signalisieren, dass sie neben Sonne, Meer und Landschaft auch Kultur zu bieten haben. Mit mehr als 12 Millionen Gästen jährlich ist der vor Nordwestafrika gelegene Archipel nicht nur eine der meistbesuchten Gegenden der Welt; er lockt auch Scharen von Europäern an, die im Land des ewigen Frühlings ihren Lebensabend verbringen möchten. Dies alles bewirkte einen Wirtschaftsboom, der aus der kleinen Inselwelt die nach Katalonien und Madrid reichste Region Spaniens machte - mit vielen negativen Folgen. So sind die Städte im Norden von Gran Canaria und Teneriffa zu chaotischen Agglomerationen mit Hunderttausenden von Einwohnern und ebenso vielen Autos zusammengewachsen. Hier, wo wie in einem Schwellenland der öffentliche Verkehr ein Schattendasein für Minderbemittelte und Touristen fristet, ist die Fahrzeugdichte höher als sonstwo in Europa. Das führt im Grossraum von Santa Cruz de Tenerife dazu, dass - trotz der derzeitigen Einführung des Trams - der Verkehr auf den acht- bis zwölfspurigen Stadtautobahnen chronisch kollabiert.

Verkehrschaos und Nachhaltigkeit

Wie brennend das Verkehrsproblem ist, zeigte das in der zweiten Januarhälfte im Präsidentenpalast in Santa Cruz - einem von Artengo Menis Pastrana (AMP) realisierten Meisterwerk der neuen spanischen Architektur - veranstaltete Symposium zum Thema «Islas móviles». An diesem diskutierten etwa der Städteplaner Jaime Lerner, der Architekt Dominique Perrault, der Philosoph Javier Echeverría, der Anthropologe Manuel Delgado und der Klimatologe Stephan Bakan die Auswirkungen von Mobilität und Zersiedelung auf Stadt und Mensch. Dabei forderte Lerner, der ehemalige Bürgermeister der brasilianischen Vorzeigestadt Curitiba, mehr Kreativität und politischen Willen hinsichtlich der Verkehrspolitik und der Förderung einer solidarischen und nachhaltig agierenden Gesellschaft.

Die in den spanischen Medien vielbeachtete Veranstaltung bildete einen Höhepunkt der von Rosina Gómez-Baeza, der einstigen Leiterin der Madrider Kunstmesse Arco, initiierten ersten Biennale für Architektur, Kunst und Landschaft auf den Kanaren. Gleichzeitig konnte das Architektenkollegium von Teneriffa eine aufschlussreiche Ausstellung über die neuere kanarische Baukunst eröffnen. Vor seinem 1971 von Javier Díaz- Llanos und Vicente Saavedra in skulpturalem Betonbrutalismus errichteten Verwaltungssitz in Santa Cruz wurde dazu ein schneckenförmiger Low-Tech-Pavillon aus Holz und Stahl erstellt. Darin zeichnen Videos die Entwicklung einer die vulkanische Topographie und die lokale Tradition immer wieder neu interpretierenden Architektur seit den 1950er Jahren nach, während die Baukunst der letzten 25 Jahre anhand von 90 durch den Premio Manuel de Oraá ausgezeichneten oder gelobten Bauten vorgestellt wird. Dieser Preis förderte zusammen mit der Architekturzeitschrift «Basa» die baukünstlerische Qualität entschieden, auch wenn der architektonische Alltag auf den Inseln weiterhin chaotisch ist.

Die Schau zeigt, dass Santa Cruz de Tenerife, das mit neuen Trendlokalen wie dem «Abokados» oder dem «Atlantida» vom Image eines hässlichen Entleins wegzukommen sucht, zum eigentlichen Zentrum des architektonischen Aufschwungs geworden ist. Nachdem hier AMP erste Akzente gesetzt hatten, machte sich die Stararchitektur mit dem Kongresszentrum und der weissen Riesenwelle des Auditoriums von Calatrava breit. Nun bauen Herzog und de Meuron das Oscar- Dominguez-Museum und gestalten die Hafenzone neu, dieweil Perraults Entwurf für den Teresitas-Strand im Parteigezänk unterzugehen droht. Zukunftsweisender als diese importierten Renommierbauten aber sind die Arbeiten der neuen Generation, für die in der Ausstellung neben den preisgekrönten Bauten von GPY auch die Entwürfe von Lavin Arquitectos stehen. Diese von einer Leidenschaft für Beton und Lava sowie von dem Interesse an internationalen Trends geprägten Werke zeigen, wie die geschundenen Eilande nachhaltiger bebaut werden könnten.

Noch immer aber sind gut in den Kontext integrierte Bauten die Ausnahme. Darauf will der als wutschnaubende Karikatur bei Valverde auf der noch ziemlich unberührten Insel El Hierro aufgestellte Landschaftsüberwachungssatellit des katalanischen Architekten Elías Torres Tur verweisen. Es handelt sich dabei um eine der wenigen Arbeiten, die im Rahmen der Biennale auf die wachsende Zerstörung der Natur hinweisen. Die anderen stammen ebenfalls von Architekten: etwa die Interventionen von Carme Pinós und Diller und Scofidio auf Lanzarote oder von Iñaki balos auf La Palma.

Die rund 70 aus 35 Ländern und vier Kontinenten angereisten Künstler hingegen suchten meist Halt in altehrwürdigen Bauten - womit die Biennale zum architektonischen Inselhüpfen wird: von dem von José González Pérez realisierten und 1997 mit dem 7. Oraá-Preis geehrten Besucherzentrum auf La Gomera über das spätklassizistische Teatro Chico in der Kolonialstadt Santa Cruz de la Palma bis hin zu den Klöstern und Palästen des hoch über Santa Cruz de Tenerife gelegenen alten Bischofssitzes La Laguna. Dort richtete der Marokkaner Younès Rahmoun im Hinterhof der frühbarocken Casa de los Capitanes eine Art Marabout-Grabmal aus Holz als mystischen Farbmeditationsraum her, während sein 24-jähriger ägyptischer Kollege Mahmoud Khaled den zweiten Kreuzgang des Augustinerklosters mit islamischen Dekorationen schmückte, wohl um die oft ängstlich beschworene muslimische Rückeroberung Spaniens anzudeuten.

Kunst und Migration

Viele Künstler aber geben sich damit zufrieden, nur ganz oberflächlich ihre individuellen Mythologien mit den die Kanaren (wie viele andere Länder) quälenden Themen wie Klimaerwärmung, Bevölkerungsexplosion oder Migration in Verbindung zu bringen - so der auch hierzulande bekannte Venezolaner Javier Téllez mit seiner suggestiven Löwenprozession in den Slums von Caracas. Die vielleicht eindrücklichste Arbeit der ganzen Biennale zeigt der Chilene Alfredo Jaar im Kulturzentrum El Tanque in Santa Cruz. Der 1997 von AMP zu Veranstaltungszwecken umgebaute Öltank ist an sich schon eine Sehenswürdigkeit. Beim Betreten der dunklen Halle breitet sich allmählich über den Besuchern eine Wolke aus; und über Kopfhörer ist der an die Regierungen des Westens gerichtete Bittbrief von zwei im August 1999 in Brüssel erfroren im Fahrgestell eines Flugzeuges entdeckten Schülern aus Mali zu vernehmen, begleitet von der Musik des vor einem Jahr verstorbenen Ali Farka Touré.

Die Einheimischen denken hier sogleich an die Zehntausende von Bootsflüchtlingen, die jedes Jahr ihr kleines Paradies erreichen wollen. Ihnen galt Ende Januar das Afrika-Symposium der Architekturfakultät von Las Palmas. Zeitgleich wurde im Ausstellungszentrum La Regenta eine Schau eröffnet, in welcher Rem Koolhaas zusammen mit Büros wie Actar, MVRDV und Studio Pei Zhe anhand von Studien über Lagos, Mexiko oder Peking «Wachstumsszenarien» skizziert. - Kurz: Die Themen dieses Veranstaltungsreigens könnten die Biennale und die zwischen drei Kontinenten gelegenen Kanaren zu einem idealen Ort der Auseinandersetzung mit den Problemen der globalisierten Welt machen.

[ Die meisten Ausstellungen dauern bis 10. Februar; die «Wachstumsszenarien» in Las Palmas bis 18. Februar. Katalog: Guía de la 1 Bienal de Arquitectura, Arte y Paisaje de Canarias (spanisch/englisch). Hrsg. Rosina Gómez-Baeza. Gobierno de Canarias, Las Palmas 2006. 221 S., Euro 15.- (ISBN 84-7947-428-9). Ein Katalog zur neuen kanarischen Architektur ist in Vorbereitung. ]

9. Januar 2007 Neue Zürcher Zeitung

Boomende Riesenstadt

Ausstellung «New Moscow 4» in Mendrisio

Ganz Moskau ist im Baurausch, und die Spekulation treibt Blüten. Immer wieder werden Architekturdenkmäler abgerissen, um anschliessend (den heutigen Bedürfnissen angepasst) rekonstruiert zu werden. Daneben entstehen ambitiöse Neubauten wie der von Norman Foster für das Business-Center «Moscow City» geplante Russia Tower, welcher mit 600 Metern das höchste Haus Europas werden soll. Die Glitzertürme internationaler Büros zeugen ebenso wie die Hochhäuser im Pseudo-Jugendstil oder im Neo-Zuckerbäckerstil lokaler Architekten vom gigantischen Entwicklungsschub, den die 15-Millionen- Stadt derzeit erlebt. Den architektonischen und urbanistischen Mechanismen der Boomtown im Osten sucht nun die detailreiche Übersichtsausstellung «New Moscow 4» in der Galerie der Architekturakademie in Mendrisio auf die Spur zu kommen. Die von einem informativen Katalog begleitete Ausstellung ist die zweite in einer fünfteiligen Reihe (NZZ 15. 11. 06) zur Situation der Megastädte unseres Planeten.

Als Vorspiel zur Moskau-Schau werden zwanzig Architekten präsentiert - darunter die Neokonstruktivisten Aleksander Asadow und Michail Chasanow, die kritischen Minimalisten Evgeni Ass und Aleksander Skokan sowie die einer modisch-westlichen Formensprache verpflichteten Baukünstler Boris Bernaskoni und Sergei Skuratow. Im grossen Ausstellungssaal evoziert daraufhin ein weites Panorama die städtebaulichen Dimensionen Moskaus. Urbanistische Projekte und zahlreiche der neu das Stadtbild prägenden, meist aber wenig überzeugenden baulichen Interventionen werden ausführlich dokumentiert - vom Hochhausgürtel über die jüngsten Satellitenstädte bis hin zu den wie Pilze aus dem Boden schiessenden Shopping-Malls.

Historisch verankert wird die Schau durch einen Exkurs der Ausstellungsmacherin Irina Korobina vom Moskauer Zentrum für zeitgenössische Architektur. Als «New Moscow 1» bezeichnet sie das revolutionäre Moskau der zwanziger Jahre, dessen Visionen meist Papier geblieben sind. Ihm folgten in der Stalinzeit «New Moscow 2», das mit den im Zuckerbäckerstil errichteten «Sieben Schwestern» himmelstürmende Akzente setzte, und in den achtziger Jahren «New Moscow 3» mit seinen monotonen Siedlungen und einst megalomanen Strassen, die aber der heutigen Autoflut kaum mehr gewachsen sind. Planer träumen deshalb bereits von neuen, ringförmig oder linear angeordneten Subzentren, die besser mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen werden könnten.

[ Bis 25. Januar (mittwochs bis sonntags) in der Architekturgalerie der Accademia di Architettura in Mendrisio. Katalog: New Moscow 4. New urban venues in the emergent world (englisch). Hrsg. Irina Korobina. Mendrisio Academy Press, 2006. 180 S., Fr. 25.-. ]

5. Januar 2007 Neue Zürcher Zeitung

Bedrängtes Baudenkmal

Erweiterung des Kunstmuseums Bern

Das Weiterbauen im Bestand zählt zu den anspruchsvollsten architektonischen Aufgaben unserer Zeit. Es kann Baukünstler zu Höchstleistungen anspornen - oder aber scheitern lassen. Im Wettbewerb für die Erweiterung des Kunstmuseums Bern um einen neuen, der Gegenwartskunst gewidmeten Flügel wagte der 37-jährige Basler Cédric Bachelard den Dialog auf gleicher Augenhöhe mit Eugen Stettler, dem Architekten des 1879 eröffneten Altbaus. Dabei ignorierte Bachelard, dass es sich hier um ein Meisterwerk der Schweizer Beaux-Arts-Architektur handelt. So setzte er sich - anders als die übrigen Teilnehmer - mit seinem blinden, skulpturalen Anbau, der wie ein schwerer Rucksack am Stettler-Bau hängt, über die denkmalschützerischen Vorgaben hinweg. Auch wenn er die reich gestaltete Rückfassade in die Ausstellungsräume einbezieht, zerstört er doch die Gesamtwirkung des Gebäudes. Er nimmt ihm ausserdem das Tageslicht und bietet unruhige, mit zeitgenössischen Exponaten nur schwer zu bespielende neue Räume.

Doch ob sein Entwurf umgesetzt wird, ist ungewiss, denn Denkmalpflege und Heimatschutz dürften dem bedrängten Bau von nationaler Bedeutung zur Seite stehen. Da hätte die Jury wohl besser das zweitrangierte Projekt «Scala» der jungen Tessiner Nicola Baserga und Christian Mozzetti gekürt. Es geht auf Distanz zum Altbau und schafft zudem Platz für einen Skulpturenhof. Eine Passerelle verbindet das Museum mit einem schmalen, zum Hauptgebäude und zur Aare hin transparenten Glasbau, dem einzigen sichtbaren Teil der Erweiterung. Von dort führt eine lange, kaskadenartige Treppe fast wie in Renzo Pianos Beyeler-Museum hinunter zu den beiden in den Hang eingebetteten, frei unterteilbaren Ausstellungsebenen und lässt zugleich Tageslicht in die Tiefe fluten. - Den Verantwortlichen möchte man empfehlen, im Sinne eines (bereits von Yoshio Taniguchi bei der MoMA-Erweiterung vorgezeigten) neuen Realismus in der Museumsarchitektur und aus Respekt vor dem Altbau den Entwurf «Scala» weiterzuverfolgen. Denn das allzu selbstbewusste Siegerprojekt weckt Widerstand und damit die Gefahr, dass Bern noch lange nicht zu seinem Haus für Gegenwartskunst kommen wird.

19. Dezember 2006 Neue Zürcher Zeitung

Zwiesprache mit dem Ort

Genua feiert den Architekten Ignazio Gardella (1905-1999)

Der aus einer Genueser Architektendynastie stammende Mailänder Baukünstler Ignazio Gardella schuf seine rationalistischen, neorealistischen und postmodernen Bauten in kreativer Auseinandersetzung mit dem Kontext. Dies verdeutlicht derzeit eine umfassende Retrospektive in Genua.

Durch die Revitalisierung des Hafenareals hat Genua ein neues Selbstbewusstsein erlangt. Die Neugestaltung begann mit Renzo Pianos Aquarium, wurde mit Hotel- und Kongressbauten sowie dem Meeresmuseum von Guillermo Vasquez Consuegra fortgesetzt und soll Ende des Jahrzehnts mit dem von Ben van Berkel überformten Parodi- Pier gekrönt werden. Noch immer aber darf die 1989 vollendete Architekturfakultät von Ignazio Gardella als das eigentliche baukünstlerische Glanzlicht der letzten zwanzig Jahre bezeichnet werden, auch wenn dieser «neugotische, dem irrationalen Reich der Elfen zuzuordnende» Eingriff in den brüchigen Baubestand leicht zu übersehen ist. Denn der aus den Ruinen des San-Silvestro-Komplexes auf dem höchsten Punkt der Altstadt hervorgewachsene, orangefarbene Baukomplex fügt sich als meisterhaftes Beispiel einer kritischen Rekonstruktion perfekt in die engen Gassen ein. Umso mehr bedauert man, dass er der einzige realisierte Entwurf des seit 1968 von Gardella erarbeiteten Sanierungskonzeptes für das kriegszerstörte Viertel geblieben ist. Stattdessen wurden architektonisch halbherzige Interventionen ausgeführt - bis hin zur jüngst eröffneten Metrostation.

Architektur und Stadt

Der Neubau der Architekturfakultät war nicht Gardellas einzige Tat in Genua, wie derzeit ein Blick in die grosse Gardella-Retrospektive im Palazzo Ducale zeigt. Schon 1954 hatte sich der Architekt mit der (nie umgesetzten und nun erstmals dokumentierten) Sanierung des Kolumbus- Hauses befasst, und zwar im Auftrag der einflussreichen Kulturdirektorin Caterina Marcenaro, die den aus einer Genueser Architektendynastie stammenden, aber 1905 in Mailand geborenen und dort ausgebildeten Gardella nach Ligurien zurückholte. In Genua entstand auch sein letztes grosses Werk, die von 1981 bis 1990 zusammen mit Aldo Rossi und dem Tessiner Fabio Reinhart in einem postmodernen Idiom durchgeführte Wiederherstellung der Ruine des Genueser Opernhauses, eines Meisterwerks des Klassizisten Carlo Barabino. Obwohl diese Arbeit viel diskutiert wurde, nahm die internationale Architekturwelt erst von Gardella Notiz, als er 1996 - drei Jahre vor seinem Tod - für sein Lebenswerk den Goldenen Löwen der sechsten Architekturbiennale von Venedig erhielt.

In der Lagunenstadt leuchtete sein Stern nämlich noch immer, hatte er hier doch in den fünfziger Jahren mit der Casa alle Zattere eine «Ca' d'oro der Moderne» geschaffen, wie der grosse Kunsthistoriker Carlo Giulio Argan festhielt. Die spannende Genese dieses grossbürgerlichen, den venezianischen Palazzo neu interpretierenden Apartmenthauses, dessen Hauptfassade Gardella immer wieder umformulierte, nimmt in der Genueser Ausstellung zu Recht einen Ehrenplatz ein. Die nüchtern und übersichtlich gestaltete, aber umständlich beschriftete Schau, die von nicht weniger als sechs Kuratorenteams betreut wurde, erforscht - nach einem der Architektenfamilie gewidmeten Prolog - in fünf Sektionen Gardellas Auseinandersetzung mit fünf Städten, die jeweils «das Szenario für Gardellas entwerferische Ansätze lieferten». Den Auftakt macht Alessandria, wo Gardella zwischen 1933 und 1938 mit der luftig transparenten Tuberkuloseklinik einen vom italienischen Rationalismus und von der internationalen Moderne gleichermassen geprägten Vorzeigebau schuf. Nach dem Krieg verdichtete er die dort erworbenen Kenntnisse im Mailänder Padiglione d'Arte Contemporanea (PAC) zu einem wegweisenden Ausstellungsbau, der noch in Pianos Beyeler-Museum nachklingt.

Geradlinig war Gardellas Schaffen nie: So entstand 1952 - zeitgleich mit dem PAK - in Alessandria die Casa Borsalino, ein achtgeschossiges, kubistisch gebrochenes Mehrfamilienhaus, das mit seinen Ziegelmauern, Fensterläden und vorspringenden Dachkonstruktionen als Manifest des antimonumentalen Neorealismus über José Antonio Coderch die spanische Architektur beeinflusste und gleichsam Entwurfsideen unserer Zeit vorwegnahm. Noch plakativer wurde das Ländlich-Einfache des neuen «Stils» in der vier Jahre später zusammen mit Franco Albini und dem Büro BBPR errichteten INA-Siedlung in Cesate umgesetzt. Zwischen diesen beiden neorealistischen Bauten für die Arbeiterklasse entstand in Mailand die vornehme Casa al Parco mit fünf riesigen Luxusapartments und einer filigranen Parkfassade, welche während des Baus leider stark verändert wurde. Die wissenschaftliche Analyse dieses Projektes im vorzüglichen Katalog zeigt denn auch, wie schon kleine Eingriffe ein Werk verunstalten können.

Versuchte Gardella in Mailand die Dynamik der Metropole, in Venedig aber die Lichtverhältnisse über der Lagune architektonisch zu reflektieren, so inspirierte ihn in Genua das geheimnisvolle Dunkle der Altstadt. In Vicenza, der Heimat Palladios, erschien ihm dann alles geometrisch klar. Deshalb basiert sein 1969 entwickelter Theaterentwurf auf einem Quadrat, aus dem das niedrige Dreiecksprisma des Auditoriums und das höhere des Bühnenturms emporwachsen. Mit diesem Projekt inspirierte er als Vermittler von Louis Kahns Ideen in Europa vermutlich auch Botta, der damals an der stark von Gardella geprägten Architekturschule in Venedig studierte.

Material und Detail

Die mit Dutzenden von schwarz gerahmten Plänen, Skizzen und Zeichnungen bespielte Ausstellung, der einige historische Modelle und zahlreiche Fotos etwas Leben einhauchen, macht das Chamäleonartige eines zwischen Rationalismus und Postmoderne pendelnden Œuvres spürbar. Dabei wusste Gardella seine mitunter etwas trocken wirkenden Entwürfe mit viel Sinn für Details und Materialien in Bauten von grosser Strahlkraft umzusetzen. Diese baukünstlerische Transformation versuchen die Kuratoren in der Ausstellung anhand des nicht realisierten Theaters von Vicenza nachvollziehbar zu machen, indem sie das Skizzen- und Planmaterial einem meterhohen, in hellem Stein ausgeführten Modell gegenüberstellen. Doch erst bei der Besichtigung der Gebäude der Architekturfakultät vor Ort kann man erleben, wie sehr Gardella, der ursprünglich Bauingenieur studiert und sich in den fünfziger Jahren auch als Designer betätigt hatte, ein der Sinnlichkeit der gebauten Formen verpflichteter Architekt war, der alle Theorie ins Leben überführen musste. Darin glich er seinen gleichaltrigen Kollegen Franco Albini und Carlo Mollino, die derzeit im Rahmen der Trilogie «Costruire la modernità» in Mailand und Turin ebenfalls mit (für Italien nicht untypischen) verspäteten Jubiläumsausstellungen geehrt werden.

[ Bis 30. Januar im Palazzo Ducale, Genua. Katalog: Ignazio Gardella 1905-1999 (italienisch). Hrsg. Marco Casamonti. Electa, Mailand 2006. 291 S., Euro 40.- (Euro 35.- in der Ausstellung). ]

18. Dezember 2006 TEC21

Atmosphärisch dichte Stadt

Aufgrund des Masterplans von Galfetti und Könz von 1998 für den Universitätscampus in Lugano konnten in den vergangenen acht Jahren auf einem Parkareal inmitten der Stadt sieben neue Gebäude von jungen Tessiner Architekturbüros erstellt werden.

In den letzten Jahren wurden in Lugano verschiedene Grossprojekte lanciert. Doch abgesehen von der Erweiterung der Palace-Ruine zum neuen Kulturzentrum durch Ivano Gianola, die nun im Sommer – nach jahrelangen Diskussionen – in Angriff genommen werden konnte, wurde bisher einzig der Luganeser Campus der Univer­sità della Svizzera Italiana (USI) realisiert. Den Auftrag zur Projektierung der Anlage, die heute die wirtschafts-, kommunikations- und informationswissenschaftliche sowie die theologische Fakultät vereint, erteilte der Stiftungsrat der USI dem in Lugano tätigen Aurelio Galfetti. Zusammen mit Jachen Könz erarbeitete dieser 1998 einen Masterplan für ein im Stadterweiterungsgebiet des 19. Jahrhunderts am Fluss Cassarate zur Verfügung gestelltes, rund 230Õ120 m messendes Parkgelände, auf dem bereits zwei Altbauten Akzente setzten: der 1891 realisierte Backsteinbau eines ehemaligen Altersheims und das zwischen 1900 und 1909 von Giuseppe Ferla ausgeführte, mit Mittelrisalit und weit ausladenden Seitenflügeln schlossartig wirkende ehemalige Krankenhaus (Ospedale, Bild 1). Ergänzend zum Ospedale, das die Verwaltung, die Büros der Dozenten, aber auch Arbeitsräume beherbergt, wurden zunächst die «Aula magna», der «Aule di lezione» genannte Hörsaaltrakt, ein «Laboratorio» mit Computerarbeitsplätzen, die Bibliothek sowie das Gebäude der theologischen Fakultät erstellt. Derzeit sind zwei weitere Bauten, von denen der eine die Lehr- und Forschungsräume der Informationswissenschaften, der andere die Mensa aufnimmt, im entstehen.

Stadt in der Stadt

Für ihren im Grundriss streng rationalistischen, durch freie Symmetrien strukturierten Masterplan wählten Galfetti und Könz eine U-förmige Gesamtdisposition. Dabei verliehen sie der Ostwestausrichtung des Ospedale Nachdruck, indem sie zum Viale Cassarate hin das Gebäude der Theologischen Fakultät, zum Corso Elvezia hin aber die Aula magna positionierten. Diese fungiert als Gelenk zu dem zur Bibliothek erweiterten eins­tigen Altersheim. Ihm wiederum ist axialsymmetrisch das nördlich des Theologiegebäudes gelegene Laboratorio zugeordnet. Der dazwischen liegende Park konnte weitgehend erhalten werden, weil Galfetti die Bauplätze des Hörsaaltraktes und des Gebäudes der Informationswissenschaften von Norden her dicht an die Seitenflügel des Ospedale rückte. Die beiden Gebäude formen seit neustem zusammen mit dem Altbau zwei halb­offene, unter dem sie verbindenden Mensagebäude hindurchfliessende schmale Höfe.

Mit dieser geschickt vom Bestand ausgehenden Komposition ist es Galfetti und Könz gelungen, dem Universitätscampus von Lugano trotz klassisch-rationalistischem Grundriss eine transparente, vom freien Spiel der Baukörper geprägte Erscheinung zu verleihen. Dabei stehen die baulichen Interventionen in einem aktiven Spannungsverhältnis zu den beiden Altbauten und zum sti­listisch heterogenen Erscheinungsbild des Molino-Nuovo-Quartiers. Die architektonische Vielfalt bei gleichzeitiger urbanistischer Strenge konnte nicht zuletzt deswegen erreicht werden, weil Galfetti und Könz darauf verzichteten, neben dem Masterplan gleich auch noch alle Neubauten auszuführen.

Im Sinne einer Nachwuchsförderung setzte Galfetti nämlich für die in der ersten Etappe geplanten Bauten – Bibliothek, Laboratorio, Hörsaaltrakt und Theologie­gebäude – 1998 einen Wettbewerb unter jungen Tessiner Architekten durch, sicherte sich aber gleichzeitig die Oberaufsicht über das gesamte Baugeschehen. Die Aula magna als Brennpunkt des intellektuellen Lebens auf dem Campus wurde allerdings auf Wunsch des Stiftungsrats der USI direkt von Galfetti und Könz realisiert. Auch wenn kein wirklich spektakuläres Gebäude entstanden ist, überzeugt das kostengünstig realisierte Ensemble doch durch seine hohe architektonische Qualität. Es bietet ein über die italienischsprachige Welt hinaus gültiges Beispiel für das Weiterbauen im historischen Kontext und zeigt zugleich neue Entwicklungen in der von Aussenstehenden lange nur auf Betonkuben und Botta-Bauten reduzierten Tessiner Architektur auf. War früher das schwere, geschlossene Gebäude die Regel, so herrschen hier nun Leichtigkeit und Transparenz vor – Themen, die aller rationalistischen Rigidität zum Trotz im Keime schon in Galfettis Masterplan angelegt waren.

Architektonische Vielfalt

Die Themen Glashaus und Höhle bestimmen die von Galfetti und Könz konzipierte Aula magna. Zwei 36 m lange Doppel-T-Träger halten einen durchsichtigen Kubus, der als Eingang und Oberlicht des 6 m tiefer gelegenen Foyers dient. Im Innern überwindet eine schräg in den Raum gestellte, skulpturale Freitreppe die Höhendifferenz zwischen Piazza und abgesenkter Foyerhalle, die sich zur Aula hin öffnen lässt. Der unterirdisch angelegte, 5 m hohe Mehrzwecksaal aus Sichtbeton mit rund 500 Sitzplätzen wird von zwei Oberlichtbändern erhellt. Diese strukturieren die darüber liegende, streng geometrische, von sechs bankartigen Betonstelen gerahmte Piazza, deren Ausdehnung von 16.5Õ28 m exakt derjenigen der darunter liegenden Aula entspricht.

Dem Zusammenklang von Glas, Stahl und Beton dieses Eingangspavillons antwortet das grafische Schwarzweissraster des Bibliotheksgebäudes: Durch porphyrroten Bruchstein charakterisierte U-förmige Altersheim von den Brüdern Giorgio und Michele Tognola aus Losone wurde mit einer möbelartigen Scheibe aus weissem Beton, schwarz eloxierten Aluminiumplatten und Glas zum Hofhaus geschlossen. Während der Altbau Büros, Magazine und Katalogräume aufnimmt, dient der im Erdgeschoss als Zugangsarkade ausgebildete neue Bauteil, der mit seinem seriellen Rhythmus von hellen Betonstützen und dunklen Fensterflächen entfernt an ein minimalistisches Kunstwerk erinnert, der Erschliessung und dem Studium.

Die neue Bibliothek pflegt über den Campus hinweg den Dialog mit dem Glashaus des Laboratorio, das von Sandra Giraudi und Felix Wettstein aus Lugano konzipiert wurde. Der Kern des sechsgeschossigen, völlig transparenten Curtain-Wall-Gebäudes besteht aus einer vertikalen Erschliessung, die zusammen mit zwei durch alle Etagen gehenden Wandscheiben die Betonböden trägt. Pro Stockwerk findet man 16 von hohen Holzbrüs­tungen eingefasste Nischen mit je zwei Arbeitsplätzen.

Unterschiedliche Ausdrucksformen

Fasziniert das Laboratorio durch seine geschliffene Eleganz, so zieht der Hörsaaltrakt von Lorenzo Martini aus Lugano und Donatella Fioretti aus Savona mit starken Farbakzenten den Blick auf sich. Die weinroten Glasplatten der Aussenhülle und die orangefarbenen Fens­terrahmen, aber auch die gelblichen, auf drei Geschossen jeweils um 180 Grad gedreht angeordneten Hörsäle verleihen dem kistenartigen Gebäude etwas leicht Expressives. Als Gegenstück zu diesem Unterrichtsgebäude geht derzeit dessen Zwillingsbau der Vollendung entgegen. Bei dem schwarzen, durch Bänder aus hellgrauen Gitterblechen belebten multifunktionalen Gebäude der Informatikwissenschaften handelt es sich um den zweiten Campus-Bau der Brüder Tognola.

Die Aufgabe des Scharniers zwischen diesen Flügelbauten und dem denkmalgeschützten Krankenhaus übernimmt das Corpo Centrale genannte Mensagebäude von Elio Ostinelli aus Chiasso. Der zweigeschossige Kubus bildet gleichsam den Mittelrisalit der dreiteiligen, nördlich des Ospedale entstandenen und dieses spiegelnden Neubausequenz. Seine Glasstirn markiert nun den Abschluss einer von Norden in die Stadt führenden Einfallstrasse. Gefasst wird diese Glasfläche, hinter der man das elegant möblierte Studentenrestaurant erblickt, von teilweise durch anthrazitfarbenes Gitterblech verkleideten Betonwangen, die den Bau über einen ebenerdigen Freiraum emporstemmen.

An der Südostecke der Anlage schliesslich gibt sich Michele Christens Theologische Fakultät fast klösterlich in sich gekehrt. Über einer verglasten Parterrezone wechseln hohe, aluminiumgefasste Steinplatten mit ebensolchen Fensterflächen ab. Diese serielle Gestaltung verweist auf Ideen von Livio Vacchini, ohne allerdings deren Raffinesse zu erreichen. Umso überraschender ist die Grosszügigkeit des Eingangsbereiches, zumal wenn man bedenkt, dass in dem vergleichsweise kleinen Volumen neben Hörsälen und Arbeitsplätzen auch die Verwaltung der von der Universität institutionell unabhängigen Fakultät untergebracht werden musste.
Mit bescheidenen finanziellen Mitteln ist auf dem Luganeser Universitätscampus ein architektonisch kohärenter und visuell ansprechender Gebäudekomplex entstanden, der von einer neuen Aufbruchstimmung im Süden kündet. Hier beginnt sich eine jüngere Architektengeneration von den strengen Idealen der etwas in die Jahre gekommenen «Tessiner Schule» zu lösen, indem sie dem lateinischen Rationalismus neue Perspektiven öffnen.

16. Dezember 2006 Neue Zürcher Zeitung

Neue Bescheidenheit

Eine interessante Präsentation des Architekten Alvaro Siza in Nizza

Der Ausstellungsbetrieb hat sich in den letzten Jahren immer mehr verselbständigt - auch auf dem Gebiet der Architektur. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Visualisierung von Ideen, sondern der Spektakel. Da fällt eine bescheiden inszenierte Schau, wie sie das Forum d'Urbanisme et d'Architecture in Nizza derzeit dem grossen Portugiesen Alvaro Siza widmet, plötzlich auf. Die nüchterne Zusammenstellung von Modellen, Fotos, Plänen und reproduzierten Skizzen erlaubt eine Konzentration auf das Wesentliche im Schaffen Sizas: auf die baukünstlerische Ethik und das Ringen um den architektonischen Raum. Ausgehend von diesen Prämissen schuf der stille Architekt aus Porto seit seinem 1963 vollendeten Tea Room in Boa Nova poetische, aber auch unbequeme Werke.

In Nizza sind nun seine Museumsbauten vereinigt: sieben insgesamt - vom Centro de Arte Contemporáneo in Santiago de Compostela (1993), bei dem er die Schwerkraft auf den Kopf zu stellen suchte, über das gekonnt in den Art-déco- Garten der Villa Serralves in Porto integrierte Museu de Arte Contemporanea (1999) bis hin zu dem seit 1998 in einem für Siza typischen Work in Progress vorangetriebenen Neubau der Fundação Iberê Camargo im südbrasilianischen Porto Alegre. In diesem hier erstmals detailliert in seiner Genese vorgestellten Bau, einem skulpturalen, abstrakt-weissen Körper, aus dem mehrfach gekrümmte Erschliessungsgänge wie Därme herausquellen, setzt sich der 73-jährige Architekt mit neusten Tendenzen auseinander.

Selbst wenn es vor Siza schon Coderch, Pouillon, Prouvé, Scarpa und Ledoux gewürdigt hat, reflektiert das 1999 am Cours Saleya in Nizzas Altstadt eröffnete Architekturforum bei weitem nicht nur das Schaffen von Klassikern. Es ist vielmehr ein Ort der städtebaulichen Diskussion, wie man ihn sich auch in Schweizer Städten wünschte. Die urbanistischen Projekte der Metropole an der Côte d'Azur, die sich lange kaum um Architektur und Städtebau kümmerte, kommen hier ebenso zur Sprache wie etwa die Bedeutung des Trams, das vom kommenden Juni an die Stadt mit seinem futuristischen Design beleben wird.

[ Bis 15. Januar täglich ausser sonntags. Eintritt und Begleitbroschüre gratis. ]

12. Dezember 2006 Neue Zürcher Zeitung

Lust auf Meer

Die sizilianische Metropole entdeckt die Schönheit ihrer Uferzonen

Während Neapel unter der Camorra leidet, hält sich die Mafia in Palermo derzeit zurück: mit positiven Folgen für die Stadt. Im Zentrum putzt sie sich mit trendigen Lokalen und Ausstellungsorten heraus; und in einer Grossveranstaltung erkundet sie das Potenzial der Uferzonen.

Palermo ist ein Juwel, dem Krieg, Misswirtschaft und organisiertes Verbrechen den Schliff genommen haben. Doch nun beginnt es neu zu glänzen, zaghaft erst, aber unübersehbar. Allenthalben wird restauriert: die tempelartigen Eingangsbauten des berühmten botanischen Gartens ebenso wie altehrwürdige Gotteshäuser und Paläste. Bewundernd steht man vor der marmorweissen Fontana Pretoria oder dem minimalistischen Kubus der kleinen, sarazenisch beeinflussten San-Cataldo-Kirche. Wer nicht nur auf den ausgetretenen Touristenpfaden zwischen Quattro Canti, Teatro Massimo und Normannenpalast wandeln will, trifft sich zum kreativen Pranzo im «Ristorante 091» mitten im unlängst noch verrufenen Kalsa- Viertel oder im kleinen Slow-Food-Restaurant neben dem Ucciardone-Gefängnis nahe beim Fährhafen, der in den nächsten Jahren neu gestaltet werden soll. Die Aufwertung des Quartiers kündigt sich schon jetzt im kleinen Design-Hotel «Ucciardhome» an, wo man in hohen ehemaligen Werkstatträumen an einem intimen Innenhof stilvoll zeitgenössisch wohnen kann.

Neues Design in alten Mauern

Der bunte, von tausend Widersprüchen geprägte Alltag der Perle an der Conca d'Oro lässt sich mit noch mehr Design verschönern: etwa bei einem Schaufensterbummel auf dem eleganten Viale della Libertà oder bei einem Besuch des 1954 von Carlo Scarpa sanierten, aber noch immer frisch wirkenden Kunstmuseums im Palazzo Abatellis. Anschliessend geht man auf der chaotisch engen Via Alloro weiter, bis sich plötzlich eine perfekt restaurierte Sackgasse auftut: Lämpchen im Kopfsteinpflaster erhellen den frühen Winterabend und liebkosen mit ihrem Licht altes Gemäuer, dieweil das schicke Gartenrestaurant noch von der milden Mittagssonne träumt. Doch jetzt zieht man die coole Bar in den einstigen Stallungen des Palazzo Cefalà vor, in der man seinen Apéro auf Stühlen internationaler Designer trinken und in den zum Verkauf aufgelegten Architekturbüchern schmökern kann. Dahinter weiten sich die Gewölbe der Expa-Galerie, die sich mit Städtebau und Architektur befasst.

Derzeit präsentiert sie in der schwarz glänzenden Ausstellungshalle die Ergebnisse des von der Architekturbiennale Venedig unter jungen Architekten ausgeschriebenen Portus-Wettbewerbs für die Ufergestaltung süditalienischer Hafenstädte. Von den 24 auf Schautafeln vorgestellten Arbeiten überzeugen vor allem das sich durch schwimmende Badehäuschen und eine Palmenpromenade auszeichnende Projekt von Giuseppe Francavilla für Termoli (Molise), der von zwei alten Fabrikschloten bestimmte Entwurf von Paolo Robazza für Monopoli (Apulien) sowie die von Peter Eisenman beeinflusste topographische Gestaltung, die Gian Battista Ortu für die Architekturschule im sardischen Porto Torres vorschlägt.

Die Expa-Schau ist Teil der von Rinio Bruttomesso konzipierten und der Entwicklung obsolet gewordener Hafenareale gewidmeten Grossveranstaltung «Città Porto», mit der Palermo ganz offiziell für einige Wochen Venedig als Biennale- Stadt ablösen darf. Die drei weiteren Ausstellungen finden ebenfalls in architektonischen Sehenswürdigkeiten statt, deren Revitalisierung für die Renaissance der sizilianischen Metropole steht. Einen Überblick über Hafenprojekte aus aller Welt erhält man im Palazzo Forcella De Seta, einem auf der das Kalsa-Viertel vom Meer trennenden Bastion errichteten klassizistischen Gebäude, dessen mit brüchigen Dekorationen in antikischen und maurischen Formen dekorierten Innenräume derzeit vom 53-jährigen Mailänder Architekten und Designer Italo Rota sanft saniert werden.

Für die Ausstellung hat Rota die stimmungsvollen Säle bald mit organisch geformten Kojen, bald mit wulstigen Stelen im Stil der siebziger Jahre ausgestattet, um die Geschichte der Hafenstädte, vor allem aber die Projekte zur Umgestaltung der für Containerschiffe zu klein gewordenen Pieranlagen als multimediales Spektakel zu inszenieren. Die hier aufgezeigte Entwicklung, die in den siebziger Jahren mit der Transformation von Fisherman's Wharf in San Francisco einsetzte, wird mit 16 Beispielen von Boston bis Sydney dokumentiert, wobei sich Valparaíso und Genua als städtebaulich besonders interessant erweisen, während Oslo mit spektakulären Bauprojekten von Koolhaas und Snøhetta auftrumpfen kann. Eine eigene Abteilung ist zudem Spaniens Küstenstädten gewidmet, die sich in den vergangenen Jahren mehr als andere herausputzten.

Die Stadt und das Meer

Den faktenreichen Doppelkatalog, der die Exponate in den nötigen Zusammenhang stellt, kann man dann in der Buchhandlung des angesagten Literatencafés «Kursaal Kalhesa» in den Bastionsgewölben des Palastes erwerben - eines Lokals, das selbst in Paris oder London Aufsehen erregen würde. Derart für den Reiz der Wasserfront sensibilisiert, geht man durch das dank den herbstlichen Kals'art-Festivals zum Trendquartier gewordene Viertel hinüber zur barocken Porta Felice, hinter der sich der ebenfalls von Italo Rota neugestaltete Uferpark des Foro Italico ausdehnt. Fast wähnte man sich hier an den Quaianlagen jener Schweizer Städte, die vor über hundert Jahren die heutige Entwicklung der Meerhäfen hin zum Wasser gleichsam vorwegnahmen, wären da nicht das Meeresrauschen und ein schattiger Palmenhain. Vorbei an einer aus buntfarbigen Steinliegen komponierten Open- Air-Lounge und an gepflegten Rasenflächen, auf denen Jungvolk in der Meeresbrise die Drachen steigen lässt, schlängelt sich der Weg in Richtung Sant'Erasmo, wo man sich plötzlich zwischen Autobahn und schäbigen Hütten wiederfindet. An dieser Stelle plant die Stadt den Parco della Foce, eine zum Strand hin abgetreppte Grünanlage mit Pools. Wie sie dereinst aussehen wird, zeigt die Ausstellung «Palermo - Mediterraneo» in der wieder instand gestellten ehemaligen Lokremise Sant'Erasmo.

Gleichsam als Einstimmung auf die vielen palermitanischen Projekte dient die vom jungen Turiner Designteam Cliostraat im nachtschwarzen vorderen Teil der Halle als unendlich wogende Wasserlandschaft eingerichtete Präsentation «Grande Sud», in welcher man Projekte für 10 süditalienische und sizilianische Hafenstädte studieren kann, von denen jene für Neapel, Salerno und Catania recht innovativ erscheinen. Durch eine Bilderschleuse gelangt man daraufhin zu einer riesigen, modellartigen Luftaufnahme von Palermo, mit der man selbst Skeptiker für die von der Stadt projektierte Verschönerung der Hafenzonen begeistert. So soll jenseits der heute als Jachthafen genutzten Cala, die von der Antike bis ins 19. Jahrhundert als zentraler Umschlagplatz diente, auf dem heute mit Schuppen verstellten «Molo Trapezoidale» die neue «Città d'acqua» entstehen. Vor wenigen Wochen konnte hier mit der Freilegung der Ruinen des mittelalterlichen Castello a Mare, des Herzstücks eines geplanten Archäologieparks, begonnen werden. Unmittelbar daneben sollen ehemalige Lagerhallen für die Belange von Kultur und Freizeit umgenutzt, aber auch ein neues Wohnquartier mit Wasseranstoss realisiert werden. Für den weiter nördlich sich bis zum Ucciardone erstreckenden Hafen für Fähren und Kreuzfahrtschiffe ist - wie schon erwähnt - ebenfalls ein Facelifting angekündigt, wobei ein Meeresmuseum den Übergang zu zwei in den Aussenquartieren Acquasanta und Arenella geplanten Jachthäfen sowie zum anschliessenden Küstenpark akzentuieren soll. Schafft es die Stadt wirklich, ihre fast zwei Quadratkilometer grosse Küstenzone nachhaltig zu revitalisieren, so könnte sie zu einem der baukünstlerisch attraktivsten Zentren im Mittelmeerraum werden.

[ Bis 14. Januar im Palazzo Forcella De Seta, in der ehemaligen Lokremise Sant'Erasmo und in der Architekturgalerie Expa. Katalog: Città - Porto. Mappe per nuove rotte urbane (ital./ engl.). Hrsg. Rinio Bruttomesso. Marsilio Editori, Venedig 2006. 2 Bde., 264 u. 118 S., Euro 50.- ]

2. Dezember 2006 Neue Zürcher Zeitung

Das Haus als lyrisch-abstrakte Plastik

Ein Meisterwerk des Architekten Cesare Cattaneo in Cernobbio am Comersee

Obwohl schon 67 Jahre alt, sieht die frisch renovierte Casa Cattaneo in Cernobbio fast wie ein baukünstlerisches Experiment von heute aus. Ihr Architekt, der 1939 bei ihrer Fertigstellung erst 27-jährige Cesare Cattaneo (1912-1943), konzipierte sie als archiskulpturalen Block, den er nach neoplastizistischen Erkenntnissen dekonstruierte, um dann die so entstandenen Volumen leicht gegeneinander zu verschieben. In schöpferischer Auseinandersetzung mit baukünstlerischen Meilensteinen seiner Zeit - Giuseppe Terragnis Stadtpaläste in Mailand, Le Corbusiers Wohnbauten am Stuttgarter Weissenhof oder Gerrit Rietvelds Schröder-Haus in Utrecht - schuf er ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts, das ausserhalb Italiens noch immer kaum Beachtung findet.

Juwel des Rationalismus

Zum Abschluss des Studiums hatte Cattaneo, der zum Kreis der Comasker Rationalisten um Terragni zählte, von seinen Eltern 1935 ein Grundstück im Zentrum von Cernobbio geschenkt erhalten. Doch der Bau eines Kindergartens in Asnago und die Realisierung der Brunnenanlage, die er zusammen mit seinem Malerfreund Mario Radice für die VI. Triennale von 1936 in Mailand entworfen hatte, hielten ihn zunächst von den Projektarbeiten ab. Im Frühjahr 1938 entstanden dann die ersten Skizzen und Entwürfe für sein kleinstädtisches Wohn- und Geschäftshaus, mit dem er ein Zeichen setzen wollte bezüglich formaler Klarheit und plastischer Logik.

Cattaneos konsequente Recherche verdichtete sich schliesslich zum Manifest eines neuen, von faschistischer Rhetorik freien Rationalismus, dessen lyrische Schwingungen bereits in Richtung des Neorealismus der Nachkriegszeit zu weisen scheinen. Im Sinne einer doppelten Codierung verschmilzt in der Casa Cattaneo der repräsentative Palazzo mit dem lombardischen Laubenganghaus zu einem Prototyp des urbanen Wohnens. Allein: Als das Gebäude im Herbst 1939 vollendet war, hatte sich das architektonische Interesse in Italien vom Wohnungsbau weg- und einem vom Duce geforderten Monumentalismus zugewandt. Nach dem Krieg, als die Wohnfrage neue Aktualität erlangte, wurde der gebaute Architekturtraktat von Cernobbio trotz Alberto Sartoris' Schriften weitgehend ignoriert.

Vorbildliche Baumonographie

Die architektonisch, künstlerisch und geistesgeschichtlich gleichermassen spannende Genese dieses «Capolavoro» wird nun in einer vorbildlichen Baumonographie nachgezeichnet. Darin skizziert die in Mendrisio, Como und Mailand lehrende Architektin Nicoletta Ossanna Cavadini zunächst die praktische Tätigkeit und den intellektuellen Kosmos des dem Theosophen Franco Ciliberti nahestehenden und vom Neuplatonismus geprägten Architekten, der über Zeitschriften und Bücher früh schon mit den verschiedenen Strömungen der internationalen Moderne in Berührung gekommen war. Eine Vielzahl bis anhin kaum bekannter Skizzen, Pläne und Modelle veranschaulicht das Thema des Gleitens, Schwebens und Verschiebens, welches die vielschichtig aufgebrochene, zwischen voll und leer, hell und dunkel wechselnde Strassenfassade mit ihren streifenförmigen Brüstungen und dem für den Comasker Rationalismus so typischen Rahmenelement des Attikageschosses bestimmt. Diese Kompositionsweise bringt die Autorin - ähnlich wie andere Forscher vor ihr - mit Mario Radices geometrisch-abstrakter Kunst in Verbindung.

Ausgehend von den für Cattaneo zentralen Gesichtspunkten der Unità und der vitruvianischen Eurhythmie, analysiert sie daraufhin den geistigen Überbau des Hauses, in dem der Architekt durch den Zusammenklang von Geometrie und Theologie, Technik und Geschichte «jene Ideale von Harmonie und Synthese erreicht, welche er im Aufsatz ‹Giovanni e Giuseppe› mit ‹Polydimensionalität› umschreibt». Die Interpretation dieser wichtigen Theorieschrift, eine suggestive Baugeschichte, eine technische Analyse und Dokumentation sowie ein Verzeichnis von Cattaneos Bauten und Projekten runden zusammen mit Lorenzo Mussis Aufnahmen des renovierten Gebäudes die Monographie ab.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Nicoletta Ossanna Cavadini der Wirkungsgeschichte der für Architekten wie Le Corbusier, Peter Eisenman oder Mario Campi wichtigen Casa Cattaneo. Schade nur, dass sie dabei nicht auf die Verwandtschaft dieses Hauses mit Giuseppe Terragnis 1940 vollendeter Casa Giuliani-Frigerio in Como zu sprechen kommt, die Cattaneos plastische Formfindung in der Allansichtigkeit zur Vollendung bringt. Zu hoffen ist, dass dieser wenig erforschte Aspekt in einem weiteren Band der vom Archivio Cattaneo initiierten Schriftenreihe untersucht werden wird.

[ Nicoletta Ossanna Cavadini: Casa Cattaneo a Cernobbio. Silvana Editoriale, Mailand 2006. 99 S., Euro 21.-. ]

15. November 2006 Neue Zürcher Zeitung

Städtebaulicher Aufbruch

Urbanistische Szenerien Mexikos in der Architekturakademie Mendrisio

Der architektonische Diskurs verschiebt sich derzeit von den verführerischen Einzelbauten etwas in Richtung Stadt, denn die Metropolen vorab in den Schwellen- und Entwicklungsländern wuchern ungehindert weiter. Daher erstaunt es kaum, dass sich die diesjährige Architekturbiennale von Venedig die Probleme der Megastädte auf die Fahnen geschrieben hat und in Palermo derzeit gleich in vier Ausstellungen die Neugestaltung obsolet gewordener Hafenanlagen analysiert wird. Diesen Ereignissen antwortet die Galerie der Architekturakademie Mendrisio mit einem ambitiösen, vom Stadtplaner und Akademiedirektor Josep Acebillo initiierten Ausstellungszyklus, der unter dem Motto «Nuove scene urbane nel mondo» in den nächsten Monaten die urbanistischen, demographischen, soziologischen, ökologischen und kulturellen Entwicklungen sowie die neusten architektonischen Trends in Moskau, den Planstädten Chandigarh und Brasilia, in Johannesburg und in den Megalopolen Chinas beleuchtet.

Den Auftakt zum Ausstellungsreigen macht derzeit Mexiko-Stadt. Die von Miguel Adriá, einem in Mexiko lebenden Katalanen, konzipierte Schau lockt die Besucher zunächst in drei Kojen, in welchen Kurzfilme über Juan O'Gormans Atelierhäuser für Frida Kahlo und Diego Rivera, über den in den fünfziger Jahren zum modernen Wahrzeichen des Landes gewordenen Campus der Universität von Mexiko und über das Werk des Künstlerarchitekten Luis Barragán gezeigt werden. Eine Videowand katapultiert einen daraufhin mit magischem Geflimmer durch die Baugeschichte Mexikos, einer Stadt, die um 1900 erst 345 000 Einwohner zählte, inzwischen aber mit über 20 Millionen Menschen als zweitgrösste Agglomeration der Erde gilt.

Geschickt ist damit die Neugierde geweckt. Informationshungrig studiert man nun die beiden Bildwände auf der Eingangsebene der Galerie. Hier erfährt man einiges über den privaten und öffentlichen Verkehr, über Grünräume und die Austrocknung der ehemals grossen Wasserflächen, über das unvorstellbare Wachstum der Stadt und die Versuche, dagegen mit einer gezielten Verdichtung vorzugehen. Zuversichtlich stimmen Visionen zur Verbesserung der prekären Situation: von der Erziehung über die Gesundheitsversorgung, die Sicherheit, Forschung und Entwicklung, Kultur und Erholung bis hin zur Verwaltung. Da all die Grafiken und Texte, die im kleinen Ausstellungskatalog weiter vertieft werden, nicht allzu sinnlich daherkommen, wird die weitgehend von immateriellen Medien lebende Schau durch eine Serie farbiger Stelen animiert, die an Barragáns Turmskulptur der Ciudad Satélite (1957) in Mexiko erinnern.

Diese Stelen projizieren Bilder der neusten Bauten von zehn wichtigen Architekten an die Wand - darunter der Altmeister Teodoro González de León, die international bekannten Ricardo Legorreta und Enrique Norten und der Jungstar Fernando Romero. Hochhäuser, Schulen, eine einfache und sinnfällig interpretierte Markthalle von Mauricio Rocha, eine von Javier Sánchez zu Wohnzwecken umgestaltete Fabrik, aber auch Luxusvillen oder eine mit ihren Treppen und Regalen aus Metall an Piranesis Carceri erinnernde Bibliothek von Alberto Kalach vergegenwärtigen die konzeptuelle, ästhetische, stilistische und intellektuelle Vielfalt der heutigen mexikanischen Architektur, mit der sich in Lateinamerika derzeit wohl nur Chile messen kann. Wenn die Schau hier in den Kult der Einzelbauten abgleitet, so vielleicht, um klarzumachen, dass städtebauliche Untersuchungen das Formalästhetische nicht völlig ausklammern sollten. Auch wenn die architektonischen Spitzenwerke im unendlichen Strassenraster Mexikos nur winzige Akzente setzen und vom metropolitanen Moloch verschluckt zu werden drohen, haben sie als urbanistische Katalysatoren doch ihre Bedeutung. - Man darf nun gespannt sein, ob sich die Präsentation Mexikos mit den vier weiteren Ausstellungen in Mendrisio zu einer Gesamtsicht verdichten werden.

[ Bis 3. Dezember in der Galerie der Architekturakademie Mendrisio. Katalog: Contemporary Mexican Architectures. New Urban Venues in the Emergent World. Hrsg. Miguel Adriá. Mendrisio Academy Press, Mendrisio 2006. 114 S., Fr. 25.-. ]

4. Oktober 2006 Neue Zürcher Zeitung

Bilder und Stimmungen

Die Basler Architekten Miller & Maranta in Innsbruck

In den vergangenen Jahren hat das Basler Architektenteam Miller & Maranta mit seinen Bauten und Projekten viel Aufmerksamkeit erregt. Einen ersten gültigen Überblick über sein Werk bietet derzeit eine grosse Retrospektive im Architekturzentrum «aut» in Innsbruck.

Dürfte man nur einen überragenden Bau nennen, der in den letzten Jahren im alpinen Raum entstanden ist, so würde man wohl die Erweiterung von Gottfried Sempers Villa Garbald durch Miller & Maranta in Castasegna wählen. Dennoch ist dieses mit minimalen Mitteln und baukünstlerischer Ökonomie realisierte Meisterwerk jüngst in Sexten bei der Preisausschreibung für «Neues Bauen in den Alpen» ohne Auszeichnung geblieben. Da kommen Zweifel auf an der Kompetenz der Jury, die offensichtlich nicht erkennen wollte, mit wie viel Sinn für den gebauten Kontext dieser schlanke Wohnturm ins Dorf und in den Villengarten eingepasst wurde. Solches Spüren nach dem Genius Loci und nach dem Atmosphärischen einer städtebaulichen Situation bestimmt alle Arbeiten der Basler Architekten. Das belegt die Miller-&-Maranta-Retrospektive, die derzeit im Ausstellungszentrum «aut architektur und tirol» im Innsbrucker Adambräu zu sehen ist und einmal mehr zeigt, dass man das Schaffen unserer interessantesten Baukünstler eher in Dornbirn, Meran, München oder Innsbruck studieren kann als in Basel, Lausanne, Zürich und Mendrisio.

Psychologische Architektur

Am Ende des abwechslungsreichen Ausstellungsparcours verweisen die 1959 in Chur geborene Paola Maranta und ihr zwei Jahre jüngerer, aus Aarau stammender Partner Quintus Miller in einem intimen, mit zahllosen kleinen Bildern tapezierten Raum auf die Anregungen zum Erweiterungsbau von Castasegna: vom Roccolo, dem Tessiner Vogelfangturm, bis hin zum verwinkelten Engadinerhaus. Diese Reproduktionen vermitteln einem zusammen mit einer Vielzahl weiterer Abbildungen von türkischen Keramikfliesen, von Giambattista Nollis Rom-Plan oder von expressionistischen Zeichnungen, die immer im Dialog mit Fotos der Bauten von Miller & Maranta stehen, in Kürze mehr über die architektonische Recherche des Architektenpaars als jede theoretische Abhandlung.

Stets gehen die von der «Analogen Architektur» ihrer Lehrer Miroslav Šik und Fabio Reinhart geprägten Baukünstler in ihrer Entwurfspraxis vom Ort, von seiner Geschichte, seinen Bildern und Stimmungen aus. Die Resultate dieser geduldigen Suche lassen sich nicht leicht unter einem einzigen Begriff schubladisieren, was Miller & Maranta zur Blütezeit der «Schweizer Kiste» den Weg zum Erfolg etwas versperrte. Inzwischen aber haben sie sich mit ihren formal oft komplexen, materiell reduzierten und atmosphärisch mitunter traumartig melancholischen Bauten durchgesetzt. Diese könnte man als Beispiele einer psychologischen Baukunst bezeichnen; dies umso mehr, als Miller & Maranta im Entwurfsprozess davon ausgehen, «dass die Interpretation unserer eigenen Wahrnehmung eng mit unseren Erinnerungen zusammenhängt». Aufgrund dieser Arbeitsweise unterscheidet sich die hölzerne, im Abendlicht wie eine Bronzeskulptur erscheinende Markthalle am Färberplatz in Aarau (2002) entschieden vom bienenwabenartigen Mehrfamilienhaus im Basler Schwarzpark (2004) oder von der mit den Wohn- und Geschäftshäusern der Nachbarschaft flirtenden Seniorenresidenz Spirgarten in Zürich Altstetten (2006), die mit ihrer Verschmelzung von Band- und Lochfenstern weder Stein- noch Glashaus sein will.

Wie diese unterschiedlichen Bauten im Dialog mit dem Bestand und der gestellten Aufgabe entstehen, veranschaulicht die Ausstellung höchst suggestiv in fünf Stationen. Da ist der Raum mit den Mustern und Materialien, wo haptische und sinnliche, aber auch traditionelle Aspekte der Architektur von Miller & Maranta zutage treten. Oder jener mit den Modellen, in welchem ein Dutzend unrealisierte oder noch nicht vollendete Werke anhand höchst unterschiedlicher Maquetten einen Einblick in die Werkgenese geben. Der Suchprozess führt oft zu mehreren formalen Varianten - zu geometrisch-strukturalistischen wie auch zu plastisch-biomorphen. Die Hausminiaturen aus Holz, Kunststoff oder Karton helfen den beiden Architekten nicht nur beim Finden der architektonisch und urbanistisch richtigen Antwort auf eine Aufgabenstellung. Mit ihrer Unterstützung versuchen sie auch den endgültigen Bau vorwegzunehmen oder die Innenräume möglichst exakt zu definieren, wie die grossen Arbeitsmodelle des Hotels «Waldhaus» in Sils Maria oder der in einen Industriebau integrierten Volta- Schule in Basel demonstrieren.

Ein Blick in die Zukunft

Dreizehn Arbeiten werden schliesslich in kommentierten Projektmappen bis in alle Details vorgestellt. Dabei wird deutlich, dass Miller & Maranta in neusten Projekten wie der gezackten Wohnkette am Rande des Zürcher Patumbah- Parks, den gestaffelten Seevillen in Buonas bei Risch oder dem Wohnhaus im Baumgarten in Riehen mehr Wert legen auf skulpturale Objekthaftigkeit als auf jene baustatischen Experimente, welche die zum Teil mit dem Churer Ingenieur Jürg Conzett entwickelten Bauten in Aarau, Castasegna oder Basel prägten. Den Kontextbezug hingegen findet man weiterhin: beim Wellnessbad von Samaden ebenso wie beim Hochhaus der Kantonalbank in Zug. Dieses wird nach seiner Vollendung im Jahre 2010 den Zuger Bahnhofsplatz mit einer filigranen, bronzefarbenen Fassade aus Stahl und Glas dominieren und so der Umgebung mit einem Erscheinungsbild antworten, das den spröden Klassizismus der siebziger Jahre mit der Sprache unserer Zeit vereint. Damit dürften Miller & Maranta wohl einmal mehr beweisen, wie meisterlich sie den Stadtraum zu definieren und mit neuen Stimmungen und Irritationen aufzuladen wissen. Kurz: In den ausgestellten Werkberichten liegen Informationen verborgen, die man einem interessierten Publikum unbedingt in Buchform zugänglich machen sollte.

[ Bis 11. November im «aut architektur und tirol» im Adambräu in Innsbruck. Kein Katalog. ]