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Mythen, Märchen und Know-how
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2008 wird der neue König von Bhutan gekrönt. Die Ehrengäste werden in einem Hotel logieren, das von einer öster-reichischen Architektin geplant wird. Die Geschichte eines nicht alltäglichen Projekts.

15. Juli 2007 - Elke Krasny
Projektpräsentation beim Minister für Tourismus und Energie in Bhutan, Mittagessen bei der österreichischen Botschafterin in New Delhi, Besprechung mit den indischen Haustechnikern, Rückflug nach Wien. So sieht der Arbeitsalltag einer österreichischen Architektin aus, die in Bhutan baut. Die aus Innsbruck stammende Irene Ott-Reinisch plant dort ein Hotel. Das grenzt an ein kleines Wunder. Denn man muss wissen, dass Ausländer in Bhutan bisher höchst selten bis nie einen Auftrag bekamen.

Nur aus dem benachbarten Indien arbeiten Architekten im Land. Traditionellerweise gab es 13 verschiedene Kunsthandwerke, die für die Gestaltung der bhutanischen Welt zuständig waren. Handwerker, Maurer, Tischler hatten das seit Generationen überlieferte komplexe Wissen, wie ein Haus auszusehen hat. Somit war für Architektur im engeren, entwerfenden Sinn kein Bedarf. Stein, Holz, Lehm, das waren die Materialien, begleitet von einer farbenliebenden, oberflächenbestimmenden Dekorationslust.

Dieses mythisch verschlossene und geheimnisumrankte Land Bhutan im Hohen Himalaja war bis 1961 abgeschottet von den Einflüssen der Außenwelt, nur auf steilen Pfaden konnte man ins Landesinnere gelangen. Doch in Bhutan haben sich die Zeitläufte geändert, eine gezielte Öffnung hat begonnen. Dieser Sprung mit Landung in der Nachmoderne war ein gewaltiger. Es gibt einStraßennetz und Anschluss an die Welt via Flughafen und Fernsehen. Dadurch entstandder Bedarf an völlig anderen, nicht traditionell verankerten Architekturen wie beispielsweise Rundfunkgebäude, Flughafenoder Kraftwerk. Der lokale bhutanische Stararchitekt Pem Gyalthsen, der in Ahmedabad studiert hat, da es vor Ort keine Architekturfakultät gibt, war im Flughafenteam, plante das Rundfunkgebäude und ist auch der lokalePartnerarchitekt von Ott-Reinisch.

In jüngster Zeit ist diese Abgeschlossenheit als perfekte Exklusivität, als Nischenlage für das hochpreisige Segment des Qualitätstourismus entdeckt worden. Geheimnis zieht. Die Verlockungen der abgelegenen Pfade weit entfernt von massengebuchter Jedermannzugänglichkeit kommen wie gerufen. Diese vorsichtige Orientierung hin zum Tourismus brachte einen Bauboom mit sich, den Irene Ott-Reinisch mit der österreichischen Gründerzeit vergleicht. Die traditionell verbürgte und kulturell fix verankerte Dekorationsintensität nimmt schon manchmal ab, vereinzelt findet man gar Stadtvillen aus Stahlbeton oder riesige Auslagen, die keinerlei historische Entsprechungen haben. Aber noch ist die Einheitlichkeit des Erscheinungsbildes gegeben, der Nimbus der mythenumwobenen Abgeschiedenheit auch visuell intakt.

„Der Märchenprinzen-Index ist hoch,“ sagt Ott-Reinisch. „Bhutan, das ist ein richtiges Schneewittchen-Land.“ Das einzige asiatische Koordinationsbüro der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit hat seit 1994 seinen Sitz in der bhutanischen Hauptstadt Thimphu. Die Initiative zur Zusammenarbeit ging, aus Interesse an österreichischem Know-how, von Bhutan aus. Affinitäten und Sympathien werden über Ähnlichkeiten hergestellt, beide Länder sind klein, haben eine lange Geschichte und viele Berge. Gebirgsökologie und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sind hier wie dort gefragt. Und dass Ökologie, Energie und Tourismus nicht auf getrennten Blättern stehen, leuchtet ein. Österreichisches Wissen im Tourismusmanagement fließt nach Bhutan, hohe Sensibilität für den zukünftigen Umgang mit den natürlichen und kulturellen Schätzen des Landes ist gefordert.

Der Transfer von Tourismuswissen zwischen Österreich und Bhutan führt uns direkt auf die Hotel-Baustelle. Zum ersten Mal hat die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit eine begleitende Bauherrenrolle übernommen. Mit großem Engagement übt die Leiterin des Thimphuer Büros, Marie-Christine Weinberger, die davor als Generalkonsulin in Shanghai tätig war, diese Rolle aus. Am Rand der 30.000 Einwohner zählenden Hauptstadt entsteht ein Ausbildungszentrum für angehende Tourismusfachleute. So wie sich bei österreichischen Tourismusfachschulen ein Praxishotel bewährt hat, in dem man authentische Arbeitserfahrungen sammelt, soll dies zukünftig auch in Bhutan der Fall sein. Nun kommt zentral die Architektur ins Spiel, aber auch die Geschichte Bhutans. Am 2. Juni 1974 wurde der damalige Kronprinz Jigme Singye Wangchuk gekrönt. Bei so einer Krönungszeremonie feiert das Land, nicht nur einen Tag, sondern ausgiebig, ein ganzes Jahr. Aus diesem königlichen Anlass wurde in den 1970er-Jahren ein Hotel errichtet, um die Ehrengäste würdig zu beherbergen. Dieses alte Hotel wird zur Tourismusschule umgenutzt. Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit ließ eine Machbarkeitsstudie durchführen, was Bauökologie, Umnutzungsmöglichkeiten der Substanz und Ähnliches mehr anbelangt. Jetzt kommen die „Six Degrees of Separation“ ins Spiel, die unseren Erdball in vielfältige, oft überraschende globale Nahverhältnisse rücken. Das Büro Sam-Ott-Reinisch war das österreichische Partnerarchitekturbüro Steven Holls für die Umsetzung der Wein-Erlebniswelt Loisium in Langenlois und international über Zeitzonen und kulturelle Unterschiede hinweg arbeitserprobt. Die Geschäftsführerin des Loisiums, Susanne Kraus-Winkler, wiederum war Teil der Machbarkeitsstudie für das Tourismusausbildungsprojekt in Bhutan, und IreneOtt-Reinisch hatte ihr beiläufig erzählt, dass sie Bhutan schon sehr interessieren würde. So führte eines zum anderen.

Der Minister für Tourismus in Bhutan ist auch zuständig für Energie, diese beiden Bereiche sind die Eckpfeiler der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Das ehemalige Hotel wurde als Tourismusschule haustechnisch für das 21. Jahrhundert fit gemacht, Tourismus und Energiebewusstsein gehen Hand in Hand. Die Umweltsünden, dieder Rest der Welt in den letzten Jahrzehnten angehäuft hat, sind an den Bhutanern in ihrer Weltabgeschlossenheit vorbeigegangen. Sie haben auf ihren Wald aufgepasst, keine Industrieanlagen errichtet und sich an keine fremde Macht verkauft. Die unversehrte Natur ist nun die exorbitante Chance. Umso größer ist daher das Interesse, die Fehler der anderen auszulassen und an aktuelles Wissen um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung anzuknüpfen. Regenerative Energieformen, Wärmedämmung oder Solarenergie stehen ganz vorn auf der Agenda. Heizung, Lüftung, Sanitär, Abwasser, das alles wurde für die Tourismusschule umgerüstet und vom österreichisch-indischen Expertenteamenergiesparenden Anforderungen angepasst.Ott-Reinisch bezeichnet die vorhandene Substanz als Edelrohbau, der weiter verwendet wurde, die Raumstruktur wurde belassen, da sie für die Schule passt. Die Disziplinen Statik, Haustechnik oder Küchenplanung gibt es in Bhutan nicht, sie kommen für die Tourismusfachschule mit angeschlossenem Internat aus Indien und Österreich. Nun gibtes als Trainingsküche die beste Küche ganz Bhutans. Die kommt für Krönungsbanquette wiegelegen. Denn die Geschichte geht weiter, die nächste Königskrönung steht bevor, im Jahr 2008. Dann wird der 1980 geborene Jigme Khesar Namgyel Wangchuck, der im Dezember 2006 von seinem Vater die Macht übernommen hat, gekrönt werden.

Die Gestaltungsoberhoheit für die Umnutzung lag beim lokalen Partnerarchitekten Pem Gyaltshen. Über die Stunden währenden Projektpräsentationen war das Vertrauen der bhutanischen Minister in die österreichische Architektin gewachsen. Die Minister in Bhutan, die Führungsschicht und Beamtenschaft sind hoch gebildet, haben in den USA, England oder Indien studiert, waren interessiert an dem, was Irene Ott-Reinisch an Fachwissen über Passiv- und Niedrigenergiehäuser und ökologische Bautechnik mitbrachte. Es passierte das völlig Unerwartete, sie wurde gefragt, einen eigenständigen Entwurf für das Hotel vorzulegen. Ein kleines Modell reiste per Flugzeug an. Architekturmodelle kennt man in Bhutan sonst nurfür Dzong, die bhutanischen Klosterburgen. Die bhutanischen und indischen Architekten setzen heute bei Präsentationen auf glanzvoll schöne Renderings, nie auf Modelle. Ein abstraktes Baumassenmodell war daher nur schwer zu lesen für die bhutanischen Gegenüber, hatte es doch nicht die verführerische Überzeugungskraft der Renderings.

Für den ersten Entwurf des kompakten, rechteckigen Hotelblocks mit seinen 20 Zimmern setzten Irene Ott-Reinisch und ihre Mitarbeiter Urs Bette und Franz Leuthner auf einen Würfel, in dem Elemente der regionalen Architektursprache eigenständig interpretiert wurden. Franz Leuthner ist ein Bhutan-Afficionado, einer, der das Land wirklich kennt. Er arbeitete an einem von der österreichisch-bhutanischen Gesellschaft initiierten Schulbau im entlegenen Osten des Landes und forscht, angebunden an die Technische Universität in Wien, über die traditionelle Landesarchitektur. Neun Monate war er unterwegs, ist für dortige Verhältnisse eine exotische Ausnahmeerscheinung. Die Rabsey, so heißen die markanten, bunt bemalten Holzwürfel, die die traditionelle serielle Fassadengestaltung prägen, sind ein Must. Dies war eine der größten Herausforderungen für Urs Bette, der unermüdlich die architektonische Qualität trotz bhutanischer Fassadennorm sicherte. Um die Gestaltungsidentität zu wahren, werden Rabsey heute aus Beton gegossen, nicht mehr aus Holz gemacht, was bauphysikalisch problematisch ist. An nackte Fassaden muss man sich erst gewöhnen, die wird es auch beim neuen Praxishotel noch nicht geben. Südseitig schaut das Hotel weit über das Tal nach Thimpu, ist so gedreht, dass alle Zimmer Sonnenlicht haben. Heiße, schwüle Sommer und kalte Winter in Kombination mit zugigen Fenstern und mangelhafter Haustechnik verkürzten bis dato die Reisesaison drastisch.

In diesem Hotel mit der verbesserten thermischen Qualität wird man das ganze Jahr wohnen können. Unter dem Dach überrascht ein Stone Bath und Terrassen, auf denen man den spektakulären Ausblick in die starken Farben der Berge und der Stadt genießen kann. Das Innere des Hotels hat die bhutanischen Entscheidungsträger sofort überzeugt, aber eine Fassade ohne Ornamentierung und eine traditionelle Dachform, die umgedreht worden war, um die Solarkollektoren unsichtbar unterzubringen und das Brauchwasser ohne hässliche Regenrinnen zu sammeln, das ging dann doch nicht. „The better the architect, the more difficult it is“, sagten die buthanischen Minister. Nun, nach viel Reflexionszeit, soll es aber schneller weitergehen, damit das Praxishotel in Bhutan vielleicht doch noch bis 2008 zur Unterbringung von Staatsgästen zur Krönungsreife gebracht wird.

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