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Fertighaus mit Seele
Der Standard

Ästhetisches Experiment und Blickfang zugleich: Daniel Libeskind hat seine Vorstellung einer Serienvilla aus der Luxusklasse vorgelegt.

27. Februar 2010 - Michael Marek
Nun auch Daniel Libeskind. Der US-amerikanische Architekt hat ein Fertighaus entworfen. Nach dem Jüdischen Museum Berlin und seinem Masterplan für Ground Zero in New York hat Libeskind seine Version einer luxuriösen Serienvilla vorgelegt

Datteln am Rande des deutschen Ruhrgebietes: Hier steht der Prototyp. Kein Museum und keine Gedenkstätte, die zum Markenzeichen des in New York lebenden Architekten gehören, sondern ein Fertighaus. „Es schaut gar nicht wie ein Fertighaus aus“, sagt der 63-Jährige im Interview. Zu Recht, denn schon von weitem ist der typische Libeskind-Baustil erkennbar: Die Silhouette des zweistöckigen Wohnhauses ähnelt einem Kristall, der aus über- und ineinander geschachtelten Boxen besteht und mit einer silbrig schimmernden Fassade aus Zink überzogen ist.

Kein Mittelpunkt

Kein Zweifel, der Bau ist ein Blickfang und ästhetisches Experiment zugleich, ein Luxusheim, kein Massenprodukt der Marke X-beliebig. Im Inneren hat man das Gefühl, Fremder und Entdecker zugleich zu sein. Der Grundriss ist alles andere als quadratisch, praktisch, modern. „Ich wollte die Unterscheidung zwischen einem Wohnhaus, einem Museum und einer schönen Villa auflösen. Das fängt mit einem Kinderzimmer an und hört auf mit einem eindrucksvollen Raum, wo man seine Freunde empfangen kann“, erklärt Libeskind.

Es gibt keinen Mittelpunkt, keinen zentralen Raum, um den sich alles gruppiert. Stattdessen findet man überall Verwinkelungen, große asymmetrische Fensterfronten. Hinter jeder Wand eröffnet sich eine neue Perspektive. Libeskinds typischen schrägen Wände und stumpfen Winkel kommen sogar in diesem Einfamilienwohnhaus zur Geltung. „Ich wollte mit der Fertighaus-Villa eine Antwort darauf geben, was es heute bedeutet, ein Haus zu entwerfen, das man auf einem Lkw verladen, quer durch Europa oder sonst wohin transportieren und innerhalb kürzester Zeit aufbauen kann“, sagt Libeskind und fügt hinzu: „Ich wollte ein Fertighaus gestalten, dass so etwas wie eine Seele hat, ein Gespür für Licht, für die Umgebung und das zeitgemäß ist, das heißt, es sollte einen niedrigen Energieverbrauch haben, die Erdwärme und Sonnenenergie nutzen.“

Büro ohne Schrägen

Im New Yorker Stadtteil Lower Manhattan, direkt neben der Wallstreet, residiert Libeskind hoch oben in einem altmodischen Wolkenkratzer. Hier residiert der 63-jährige, in Polen geborene Architekt in seinem Büro.

Etwa 70, vor allem jüngere Mitarbeiter sind hier in New York für Libeskind tätig. In einem Groß-raumbüro zwischen Computern, Entwurfszeichnungen und kleinen Holzmodellen herrscht rege Betriebsamkeit. Von hier aus laufen die Fäden zusammen für Libeskinds Projekte in aller Welt: Kürzlich wurde ein riesiges Unterhaltungs- und Einkaufszentrum in Las Vegas eröffnet. Derzeit arbeiten Libeskind und sein Team an einen Theaterkomplex für Dublin, dem militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden und der Stadtuniversität Hongkong. Ehefrau Nina leitet das Ar-chitekturbüro. An den Wänden hängen Libeskinds Neuentwürfe für das ehemalige World Trade Center.

Libeskind lächelt, ein Leuchten erstrahlt auf seinem Gesicht, wenn er über seine Entwürfe und architektonischen Visionen spricht. In rasender Geschwindigkeit redet da einer, der sehr gut Deutsch versteht, aber nur auf Englisch antwortet; einer, der mit Hingabe auf Fragen antwortet, stets freundlich, im schwarzen Ledersakko und mit einer feinen Designerbrille.

Spätberufener Architekt

Bevor er im Alter von 52 Jahren sein erstes Bauvorhaben fertiggestellt hatte, war Libeskind fast ausschließlich in der universitären Lehre tätig und hat mit seinen dekonstruktivistischen Ideen eine ganze Architektengeneration beeinflusst: „Mein Leben hat sich in einer umgekehrten Reihenfolge entwickelt. Es war zuerst vom Nachdenken und Theoretisieren bestimmt. Erst danach bin ich als praktischer Architekt tätig und arbeite in der ganzen Welt. Das ist gut, weil die Theorie praktisch wird und man nicht umgekehrt aufgrund der Praxis theoretisiert.“

Sein neuster Entwurf entspricht überhaupt nicht der gängigen Vorstellung eines Fertighauses: 515 Quadratmeter Wohnfläche, vier Zimmer, diverse Bäder, Weinkeller, Sauna und eine 100 Quadrat-meter große Empfangshalle mit integrierter Küche. Der Käufer kann zwischen zwei Varianten wählen: dem kargen Libeskind-Stil mit weißem Fußboden oder einem weicheren Casual-Stil, bei dem der Architekt den Bewohnern Parkettböden und gedämpftes Licht zubilligt. Dass dies ein Zugeständnis an die zahlungswillige, aber konservative Fertigluxushaus-Klientel sei, streitet Libeskind vehement ab: „Wenn jemand ein Marmorbad möchte, dann soll er auch sein Marmorbad bekommen. Aber ich habe das Haus so entworfen, wie ich mir ein Zuhause wünsche. Ich habe mir überlegt, wie die Dusche beschaffen sein sollte, wie ich gerne aufwachen würde, wie die Haustür aussehen sollte. So gesehen ist es ein Künstlerdomizil geworden.“

Ein Kunstwerk soll das Haus sein, eine Skulptur, behauptet Libeskind vollmundig, eine, die obendrein den energetischen Ansprüchen unserer Zeit genügt, mit Wärmepumpe und Solarthermie-Anlage dazu noch wohnlich und alltagstauglich ist. Sogar das Regenwasser wird für die Spülung der Toilette genutzt. Die Bauzeit beträgt gerade einmal sechs Monate. Der Preis für das zweistöckige Fertighaus liegt zwischen zwei und drei Millionen Euro. Die Kosten für den Bauplatz nicht mitge-rechnet.

Mit einem Bausparvertrag wird sich dieses Designer-Eigenheim sicher nicht realisieren lassen. Finanzkräftige Käufer ködert man damit, dass Libeskinds Fertighaus auf 30 Exemplare limitiert ist. Weltweit versteht sich.

Selten ein Verkaufsschlager

Zudem darf das Eigenheim innerhalb eines bestimmten Umkreises nur einmal verkauft werden. Die Berliner Firma Proportion GmbH vermarktet das Haus und garantiert eine schlüsselfertige Ausstattung - von der Küche bis zu den Türklinken und den Möbeln, die Libeskind gleich mitentworfen hat. Spannend ist, ob diese Rechnung aufgeht. Denn in der Vergangenheit war Fertighäusern von Stararchitekten zwar eine große Aufmerksamkeit beschieden, ein Verkaufsschlager waren sie allerdings selten.

Dass seine Villa eine Antwort auf die Finanzkrise ist, hält Libeskind für Unsinn: „In Krisenzeiten sollte man nicht mittelmäßig werden. Jetzt ist nicht die Zeit, große Ideen fallen zu lassen und kleine zu verfolgen. Im Gegenteil. Jetzt ist es Zeit zum Umdenken, sich auf größere Zusammenhänge zu besinnen. Wir haben ja während der Finanzkrise gesehen, dass sehr viel Geld verschwendet wurde, nur um kurzfristige Gewinne zu machen. Jetzt brauchen wir eine nachhaltige Architektur. Wir müssen so planen, dass Dinge Bestand haben.“

Nicht in Manhattan, nicht in Paris und schon gar nicht auf irgendeiner Trauminsel, sondern in der deutschen Provinz steht Libeskinds Prototyp. Bisher hat sich kein Bauherr bereitgefunden, für ein Fertighaus zwei bis drei Millionen Euro auszugeben. Die Verhandlungen laufen aber weiter, heißt es offiziell. Möglicherweise wird die erste Villa im Schweizer Tessin am Lago Maggiore gebaut.

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