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Eine leuchtende Krone für die Hafencity
Neue Zürcher Zeitung

Der vierte Hamburger Architektursommer

Mit mehr als 170 Ausstellungen, Symposien und Führungen begeht Hamburg den vierten Architektursommer, in dessen Zentrum seit kurzem ein Projekt von Herzog & de Meuron für eine neue Philharmonie über dem Kaispeicher in der Hafencity steht.

4. Juli 2003 - Roman Hollenstein
Architektur ist populär und zieht seit Jahren schon die Leute an. Es waren aber nicht allein touristische Überlegungen, die 1994 in Hamburg zur Durchführung des ersten Architektursommers führten. Vielmehr wollte das breit abgestützte Organisationskomitee in der Bevölkerung gleichermassen ein Bewusstsein für baukünstlerisches Erbe wie für niveauvolles Bauen fördern. Wie erfolgreich sich architektonische Qualität inzwischen in der Hansestadt durchsetzt, demonstriert eine «Perlenkette» von gelungenen, wenn auch nicht überragenden Neubauten am nördlichen Elbufer, welche 1992 mit dem Fährterminal von William Alsop ihren Anfang nahm und heute über den Speicherumbau von Jan Störmer und das Holzhafengebäude von Kees Christiaanse bis hin zum Elbberg-Haus von Bothe, Richter, Teherani und zu den Neumühlenbauten von Antonio Citterio oder Massimiliano Fuksas reicht.


Übersättigung und Routine

Diesen positiven Resultaten und einem stolzen Veranstaltungsprogramm zum Trotz droht der Hamburger Architektursommer, der in seiner vierten Ausgabe noch bis in den Spätherbst dauert, allmählich Routine zu werden. Unter dem diffusen Motto «Wege der Moderne» finden rund 70 Ausstellungen sowie mehr als 100 Symposien und Führungen statt, die aber jeden übergeordneten Zusammenhang vermissen lassen. Neben einer Handvoll Hauptausstellungen, zu denen sich demnächst eine Übersicht über «Architektur made in Hamburg», eine Behnisch-Retrospektive sowie - Ende September - eine Fritz-Höger- und eine Bernhard-Hermkes-Schau gesellen, stehen so unterschiedliche Angebote wie «Visionen am Wasser», «Concrete Age» oder «Bollywood versus Slumbay» zur Auswahl. Symptomatisch für dieses zwischen Übersättigung und - vorübergehender? - Erlahmung oszillierende Unterfangen ist jedoch auch die Tatsache, dass die vom Museum für hamburgische Geschichte pompös mit «Exponaten aus aller Welt, von Zeichnungen Le Corbusiers bis hin zum digitalen Erlebnis der Megastadt Schanghai» angekündigte Ausstellung «Der Traum von der Stadt am Meer» kurzfristig auf den Herbst verschoben wurde.

Für kleinere Enttäuschungen sorgen aber auch einige der bereits eröffneten Ausstellungen. Die schon im letzten Sommer in Berlin gezeigte «Neue Deutsche Architektur» etwa skizziert im Kunsthaus Hamburg ein recht fades Bild des Baugeschehens zwischen Rhein und Ostsee. Von Sauerbruch & Hutton, den wohl interessantesten Vertretern der mittleren Generation, wird das noch unvollendete Umweltbundesamt in Dessau vorgestellt; und das Stadthaus Scharnhauser Park des begabten Nachwuchsarchitekten Jürgen Mayer H. sucht man vergeblich. Aufschlussreich ist in dieser Schau immerhin, dass Deutschland auf dem Gebiet des Sakralbaus mit bemerkenswerten Lösungen - der Dresdner Synagoge von Wandel Hoefer Lorch & Hirsch, der Herz-Jesu-Kirche in München von Allmann Sattler Wappner oder Peter Kulkas Haus der Stille in Meschede - aufwarten, aber abgesehen von Hans Kollhoffs Klinkerturm am Potsdamer Platz kaum mit metropolitanen Gesten überzeugen kann. Dennoch ist diese Übersicht, die ganz gleichförmig Farbfotos, Pläne und Modelle zeigt, in ihrer Inszenierung nicht unattraktiv. Die mit wunderbarem Originalmaterial bestückte und von einem schönen Katalog begleitete Retrospektive des einst in Frankreich, Hamburg und den USA tätigen Architekten und Gartenbauers Joseph Ramée (1764-1842) hingegen ist im prachtvollen Rahmen des klassizistischen Jenisch-Hauses so sperrig ausgefallen, dass man beispielsweise kaum herausfindet, welche Werke an den Elbhängen zwischen Altona und Blankenese noch erhalten sind.

Umso klarer wirkt dann die Ausstellung von Werner Kallmorgen (1902-1979), die in einem seiner Hauptwerke präsentiert wird: dem ebenfalls im Jenisch-Park gelegenen Ernst-Barlach- Haus. Vom nüchternen Modernisten Kallmorgen stammen neben den edlen Interieurs der wiederaufgebauten Theater in Hamburg, Hannover und Kiel auch das kantige «Spiegel»-Hochhaus sowie ein glücklicherweise nicht realisiertes Stadtautobahnkonzept. Seiner Liebe zur «lustigen Architektur der 1880er Jahre» verdankt Hamburg jedoch nicht zuletzt den historisch korrekten Wiederaufbau der Speicherstadt. Neben einigen Neubauten, die sich harmonisch in den historischen Kontext dieses stimmungsvollen Quartiers eingliedern, konnte er auch den prominent am Kaiserhöft das innere Hafenbecken beherrschenden, ebenso minimalistischen wie expressiven Kaispeicher errichten. Dieser trapezförmige Kubus soll nun dem geknickten Glasturm des Mediacityports von Benthem Crouwel weichen. Das umstrittene Projekt kann in der vor Ort im Kaispeicher eingerichteten Ausstellung «Atelier Hafencity» studiert werden - zusammen mit Entwürfen anderer Architekten für Wohn- und Bürohäuser, welche demnächst am Sandtorkai als Variationen der kubischen Stadtvilla realisiert werden.


Ein Wahrzeichen für Hamburg

Der Eröffnung dieser im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Hafencity aufschlussreichen Veranstaltung wurde Ende Juni die Schau gestohlen von einer Pressekonferenz, an der eine den Architektursommer belebende Sensation vorgestellt werden konnte: das Projekt für eine neue, als gläserne Krone über Kallmorgens Kaispeicher schwebende Philharmonie von Herzog & de Meuron. Unzufrieden mit der Tatsache, dass mit dem Mediacityport ein rein kommerzielles Projekt Kallmorgens Baudenkmal ersetzen und fortan das neue Herz Hamburgs markieren soll, entwickelte eine Investorengruppe die Idee, den unbequemen Speicherbau in ein Musikgebäude umzuwandeln, für welche sie die in der Umnutzung wertvoller Bausubstanz erfahrenen Basler Architekten gewinnen konnte. Diese entwarfen eine zeltartig leicht wirkende Aufstockung, die den Altbau in einen nahezu 100 Meter in den Himmel über Hamburg ragenden «Leuchtturm» und damit in ein weithin sichtbares Wahrzeichen verwandelt.

Die Finanzierung des auf 40 Millionen Euro veranschlagten Umbaus, der eine Konzerthalle mit rund 2300 Plätzen und einen Kammermusiksaal für mehr als 500 Zuhörer umfassen soll, ist offensichtlich schon gesichert, so dass die Stadt nur den Boden und den Kaispeicher beizusteuern hätte. Denkmalpflegerische Überlegungen sprechen ebenso für dieses Projekt wie die Tatsache, dass wegen des dramatisch grossen Leerbestands an Büroraum selbst in besten Innenstadtlagen zurzeit wohl kaum Interessenten für den neuen Mediacityport gefunden werden könnten. Schwierigkeiten verursachen könnte allenfalls der Umstand, dass für den Mediacityport ein grosser internationaler Wettbewerb durchgeführt wurde, während das Philharmonie-Projekt als Direktauftrag vergeben wurde. Doch machte der suggestive Entwurf der Basler Baukünstler auf einen Schlag die Dürftigkeit der Wettbewerbsergebnisse für den Mediacityport deutlich.

Neben dieser eng mit Hamburgs künftiger Position im Wettstreit der Metropolen verknüpften Diskussion um die Umgestaltung der Hafenzone, die sich in der Dauerausstellung zur Hafencity im ehemaligen Kesselhaus der Speicherstadt vertiefen lässt, bietet der Architektursommer noch einen anderen Höhepunkt: die grosse, vom Louisiana-Museum in Humlebæk übernommene Arne-Jacobsen-Retrospektive. Dieser Publikumsmagnet in den Deichtorhallen zeigt den ganzen kreativen Kosmos des genialen Dänen - die malerischen Anfänge ebenso wie den Triumph der Moderne im Meerbad Klampenborg, die Gesamtkunstwerke des Rathauses von rhus, des SAS- Hotels und der Nationalbank in Kopenhagen oder die grossartigen Innovationen auf dem Gebiet des Möbeldesigns.


[Die besprochenen Ausstellungen enden alle zwischen dem 24. August und dem 28. September. Sie sind von gut bis vorzüglich gemachten Katalogen begleitet, die zwischen 20 und 40 Euro kosten (Information: www.architektursommer.de).]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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