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Profil

Architekturstudium an der TU Graz
Mitarbeit in Architekturbüros in Wien und Graz (Hermann Czech, Alfred Bramberger, Manfred Wolff-Plottegg und Heinz Wondra)
1990 Ziviltechnikerprüfung
Seit 1992 Architekturpublizistin in in- und ausländischen Fachzeitschriften, seit Herbst 2000 auch für das Presse Spectrum
1997 Hochschulkursus für Kulturjournalismus und kulturelle Öffentlichkeitsarbeit am ICCM in Salzburg.
1997 – 1998 Öffentlichkeitsarbeit für die Sektion Architekten der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten.
2001 – 2004 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt
2004 – 2009 Inhaltliche Redaktion von www.gat.st
2008 Gründung von architektouren-graz/ljubljana

Lehrtätigkeit

Seit 1996/97 in loser Folge Lehraufträge an der TU Graz, z.B. Grundlagen der Gestaltung, Architekturkritik und Ausgewählte Kapitel Architekturtheorie

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Mitglied von Guiding architects

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Artikel

15. Juli 2001 zuschnitt

Die Raumbildende

Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.

Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Die Forderung nach einer unterhaltsarmen Brücke und die Tatsache, dass an dieser Stelle einmal eine Holzbrücke gestanden ist, bedeutete für Hermann Kaufmann eine Herausforderung zur Neuinterpretation traditioneller überdachter Holzbrücken mit heutigen Mitteln.

Charakteristik
Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Zugleich legt er aber die geneigte Fahrbahn, also den Grundriss dazu gegenläufig konisch an. Das ergibt beim österreichischen Ufer ein quadratisches Portal, auf der schweizer Seite ein hochgestelltes Rechteck.

Tragwerk
Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.

Holzschutz
Die Träger sind beidseitig lärchenverschalt und damit witterungsbeständig. Der Bodenbelag besteht aus robusten gerillten Eichenbohlen. Chemischer Holzschutz wurde nicht angewendet.

Montage
Die Brücke wurde in Hard am Rheindamm zusammengebaut, auf einen Ponton verladen und über den Bodensee zum Alten Rhein geschifft, wo sie mittels Telekränen auf die Widerlager gesetzt wurde. Die Bauzeit betrug 2 Wochen. Die Radfahrbrücke Gaißau bietet ein Raumerlebnis, das an die alten Holzbrücken im Film »The bridges of Madison County«, USA, in der Regie von Clint Eastwood erinnert. Die Brücke als Zwischenwelt, als FlussRAUM. Hermann Kaufmanns Brücke macht das Queren bewusst, ohne hermetisch zu sein.
Annähernd brückenlange Horizontalschlitze, die die Dynamik des Radfahrens unterstreichen, geben den Blick frei auf die idyllische Flusslandschaft.

15. Juli 2001 zuschnitt

Die Systemische

Der Raabsteg stellt eine durch Materialmix und den Einsatz neuer Holzwerkstoffe modifizierte, modernisierte Form überdachter Holzbrücken dar. Dabei verändern die Stahlbetonstützen zur Lastabtragung und vor allem die Platten für Dach und Fahrbahn das Erscheinungsbild der Brücke im Vergleich zur traditionellen Holzbrücke wesentlich. Die kraftschlüssig verleimten Plattenbalken im Verbund mit Brettschichtstehern stellen ausreichende Steifigkeit her, sodass auf eine seitliche Verbretterung verzichtet werden konnte.

Die stahlunterspannte Dachplatte übernimmt aus Hängerstäben die Lasten der Fahrbahnplatte. Durch das kraftschlüssige Verkleben der Hauptträger mit einer Brettsperrholzplatte wirken sowohl die Fahrbahn als auch das Dach als Plattenbalken. Die Hauptträger werden jeweils aus zwei miteinander verleimten Brettschichtholzträgern in Fichte gebildet. Sie ruhen im Widerlagerbereich auf Stahlbetonpfeilern. Die Dachplatte ist mit der Fahrbahnplatte durch Steher aus Brettschichtholz konstruktiv verbunden. Auf die Fahrbahnplatte einwirkende Lasten werden von Zugstangen aus Stahl in ein aus Flachstahl bestehendes Zugband und weiter in die Dachplatte geleitet.

Die Brücke über die Raab bindet das jüngst errichtete Gesundheits- und Kulturzentrum an den Stadtkern von Feldbach an, das dadurch sowohl zu Fuß als auch per Rad erreichbar wird.

Charakteristik
Der Raabsteg stellt eine durch Materialmix und den Einsatz neuer Holzwerkstoffe modifizierte, modernisierte Form überdachter Holzbrücken dar. Dabei verändern die Stahlbetonstützen zur Lastabtragung und vor allem die Platten für Dach und Fahrbahn das Erscheinungsbild der Brücke im Vergleich zur traditionellen Holzbrücke wesentlich. Die kraftschlüssig verleimten Plattenbalken im Verbund mit Brettschichtstehern stellen ausreichende Steifigkeit her, sodass auf eine seitliche Verbretterung verzichtet werden konnte.
Dadurch entfällt jedoch der Eindruck von Räumlichkeit, von Abgeschlossenheit beim Queren des Flusses; die Brücke wirkt mit der Dominanz des Daches und den massigen Stützen nicht leicht, ist aber durchlässig und offen für den Blick in den Flussraum.

Tragwerk
Die stahlunterspannte Dachplatte übernimmt aus Hängerstäben die Lasten der Fahrbahnplatte. Durch das kraftschlüssige Verkleben der Hauptträger mit einer Brettsperrholzplatte wirken sowohl die Fahrbahn als auch das Dach als Plattenbalken. Die Hauptträger werden jeweils aus zwei miteinander verleimten Brettschichtholzträgern in Fichte gebildet. Sie ruhen im Widerlagerbereich auf Stahlbetonpfeilern. Die Dachplatte ist mit der Fahrbahnplatte durch Steher aus Brettschichtholz konstruktiv verbunden. Auf die Fahrbahnplatte einwirkende Lasten werden von Zugstangen aus Stahl in ein aus Flachstahl bestehendes Zugband und weiter in die Dachplatte geleitet.

Holzschutz
Der konstruktive Holzschutz wird in traditioneller Art durch die Überdachung erreicht. Die unteren Hauptträger sind im äußeren Randbereich mit einem Kantholz versehen, das verblecht wurde, die Fahrbahnplatte ist mit einer zweischichtigen Abdichtungsbahn und einer Verschleiß- und Schutzschicht aus 50mm Gussasphalt isoliert. Zusätzlich schützt eine mehrmals auf sämtliche Holzteile aufgebrachte Lasur vor Verwitterung.

Montage
Die Brücke wurde in der Produktionshalle vorgefertigt und in einem Stück mittels Tieflader transportiert. Drei Autokräne setzten das Tragwerk auf die Stahlbetonpfeiler auf. Lediglich die Dachhaut und der Fahrbelag wurden vor Ort aufgebracht.

19. Mai 2001 Spectrum

Ein Punkt im All

Noch heuer wird ein Bauwerk eröffnet, dem nicht nur die weltweite Aufmerksamkeit aus Architekturfachkreisen gelten wird: die neue Bibliothek von Alexandria, Ägyptens geschichtsträchtiger Stadt am Mittelmeer. Ein Spitzenrang in der Architekturgeschichte scheint ihr schon jetzt sicher.

Der Mythos der bedeutendsten Sammlung von Schriften der Antike wird auch aus der Tatsache genährt, daß bis heute die Ursache ihres Untergangs nicht geklärt ist: Wurde die Bibliothek von Alexandria 48/47 v. Chr. von einer verheerenden Feuersbrunst zerstört - oder 640 n. Chr. bei der Eroberung der Stadt durch die Araber?

Sicher ist, daß der antike Glanz Alexandrias in den siebziger Jahren zur Idee führte, eine neue Bibliothek zu errichten. Die Unesco, die die Initiative wesentlich unterstützte und 1989 gemeinsam mit der ägyptischen Regierung und der Internationalen Union der Architekten einen Wettbewerb ausschrieb, sah in der Neuerrichtung ein Bekenntnis Ägyptens zur Alphabetisierung und zum Anschluß an westlichen Standard, die erhoffte gemeinsame Finanzierung durch die arabischen Länder als Symbol der arabischen Einheit.

520 Teilnehmer aus 52 Ländern machten den Wettbewerb zu einem der größten der Architekturgeschichte. Nicht nur das Thema und der Ort - das Areal liegt am östlichen Ende des antiken Hafens in Sichtweite zum Ort des legendären Leuchtturms - sowie die Aussicht auf internationale Reputation machten ihn lukrativ, sondern auch die Vorgabe eines großzügigen Raumprogramms. Gefordert war eine moderne Forschungsstätte mit Lesesaal und Einzelstudiereinheiten, mit Konferenzräumen, ausreichend Lagerraum für bis zu 8 Millionen Schriften und Bücher, mit einem Kalligraphie- und einem Wissenschaftsmuseum, einem Planetarium und der räumlichen Anbindung an ein bestehendes Konferenzzentrum. Gewinnen konnte die Konkurrenz ein bis dato unbekanntes Team von fünf jungen Architekten aus Norwegen, den USA und aus Österreich, das unter dem Namen Snohetta in Norwegen registriert war.

Reüssieren konnte Snohetta mit einer gleichermaßen simpel wie komplex wirkenden Großform, dem Kreis, besser gesagt, einer zylindrischen Form von 160 Metern Durchmesser. Als Antwort auf das Halbrund des Hafenbeckens, aber auch als eine dem geschichtsträchtigen Thema adäquate Form, die mannigfache Assoziationen zuläßt - etwa zum Sonnengott Ra und der orangefarbenen Scheibe in seiner Hand, zur Erforschung der Planeten und ihrer sphärischen Charakteristika, zu Begriffen wie Kontinuität und Unendlichkeit, zur Idee von Zeit. Mit einem Kunstgriff brachten die Architekten Dynamik in die an sich statische, in sich geschlossene Form: Sie kippten sie. Durch diese Bewegung hin zur Uferstraße wurde das Dach zur dominanten Fassade, das Kippen zu einem gefrorenen Moment in einer Serie von Bewegungen. Zusätzlich zum Kanon mehr oder weniger metaphorischer Bedeutungsebenen - versunkene Vergangenheit, aufragende Zukunft - erzeugt dieses Kippen einen wesentlichen städtebaulichen Effekt.

Monumentalität wird vermieden, das Bauwerk wird zum niedrigsten und dadurch auffälligsten entlang der Corniche, die von Hochhäusern gesäumt ist. Zum Nachbarbau hin ist die zylindrische Form geradlinig gekappt und von einer Brücke durchstoßen, die vom naheliegenden Universitätsgelände zur Uferpromenade führt beziehungsweise künftig führen soll.
Dem solitären Körper dieses bei den Alexandriern beliebten Konferenzzentrums, das in seiner kristallinen Form eigentlich ein Fremdkörper ist, stellt sich die Bibliothek selbstbewußt, aber nicht dominant zur Seite. Mit der Lage des Planetariums und dem mit Sorgfalt gestalteten Platz gelingt den Architekten sogar eine Ensemblewirkung. Die Dachscheibe der Bibliothek mit ihrem enormen Durchmesser ist von der Uferstraße aus vollständig einsehbar, sie ist die „fünfte Fassade“ und wurde folgerichtig einer besonders differenzierten plastischen Gestaltung unterzogen. Das Dach ist strukturiert in 120 Module in der Größe von je zirka 9 mal 14 Meter. Diese einzelnen Elemente, plastisch geformt wie Tragflächen von Flugzeugen, sind in der Diagonale, genau nach Norden, durchschnitten und ergeben ein regelmäßiges Gefüge von vertikalen Oberlichten - ohne direkte Sonneneinstrahlung, mit optimalem Lichteinfall in den monumentalen Lesesaal. Den gigantischen Raum mit 18.000 Quadratmetern Nettofläche und einem Volumen von 172.000 Kubikmetern, der mehr als 2500 Leseplätze enthält, dominieren das einzigartige gleichmäßige Naturlicht des schrägen Daches, die vielen schlanken Säulen in den Kreuzungspunkten der Dachmodule und sieben gestufte Hauptebenen.

Der Lesesaal von Alexandria wird einer der größten weltweit sein. Seine Höhe variiert von wenigen Metern an seiner tiefsten Stelle bis 18 Meter und ist bestimmt von der Neigung des Daches, die wiederum aus der optimalen Höhe zwischen Buchlagern und öffentlichen Bereichen errechnet wurde. Es ist erstaunlich, wie es Snohetta geglückt ist, bei diesen Ausmaßen intime Bereiche zu schaffen. Diese sind definiert durch die dichte Säulenstellung, die Höhenabstufung und die optische Wärme der Sperrholzpaneele, die die Brüstungen der Galerien und Treppen überziehen. Ebenso überraschend drängt sich die Assoziation mit einer Moschee auf. Eher festlich als sakral wirken die stilisierten knospenförmigen Kapitelle der Säulen, die Lichtpunkte der stark kontrastierenden Decke und die Reihen blauer und grüner Gläser entlang der Deckenträger.

Damit kein Mißverständnis entsteht: Nichts an diesem Raum ist historisierend, nichts wirkt überladen. Im Gegenteil: Die Beschränkung auf wenige Materialien und Farben - das Grau des Sichtbetons für Säulen und Umfassungswand, das helle Birkensperrholz, der Eichenboden, die beigefarbene Dachuntersicht und der Black Zimbawe (Granit) für die große Wand, hinter der die Serviceräume liegen - lotet den Raum aus, gibt ihm Homogenität. Kontraste verschmel- zen wie selbstverständlich zu einem Ganzen, im Inneren wie im Äußeren: Modernität und Glätte der hochtechnologischen Sandwichelemente des Daches aus Aluminium vertragen sich wunderbar mit der Archaik der gekrümmten Außenwand. Diese besteht aus zwei Wänden, einer konvexen über dem Grund und einer nach innen gewölbten Negativform unter Terrain. An ihrer höchsten Stelle ragt sie 32 Meter auf. Mit mehr als 5000 Quadratmetern ist sie vermutlich die größte zeitgenössische Steinskulptur. Ihre handbearbeiteten Platten in zwei Formaten, deren Oberflächen nicht glatt geschnitten, sondern rauh belassen wurden, bilden eine Unzahl von Schriftzeichen und Symbolen aller Weltalphabete sowie musikalische und mathematische Notationen ab. Der Effekt ist überwältigend: Die Wand, ein unerschöpfliches Reservoir immer wieder von neuem zu entdeckender Bildzeichen, erhält einen samtig weichen, lebendigen Charakter.

Alexandrias neue Bibliothek kann aus mehreren Gründen in Frage gestellt werden. Die Kosten von annähernd 200 Millionen Dollar müssen zu zwei Dritteln vom ägyptischen Staat aufgebracht werden, eine enorme Summe für ein Einzelbauwerk in einem Land, in dem nur drei Viertel der Kinder die Grundschule beenden. Auch ist fraglich, wie die Bibliothek gefüllt werden kann. Bis jetzt gibt es 500.000 Bücher und Schriften und Appelle um Dotationen.

Den Architekten daraus einen Vorwurf zu machen ist nicht statthaft. Jeder Wettbewerbssieger hätte die Chance ergriffen, sich mit diesem Projekt einen Platz in der Architekturgeschichte zu sichern. Und die Gruppe um Christoph Kapeller, den Steirer, der die Arbeiten vor Ort mit einem ägyptischen Partner leitet, hat ihre Arbeit, im Gegensatz zu manch „Großen“ der Architekturszene, die sich keinen Deut um menschenwürdige Arbeitsbedingungen in ihren Prestigeobjekten kümmern, sehr gut gemacht. Deshalb ist Alexandria eine Reise wert.

24. März 2001 Spectrum

Geknickte Linie, gebrochene Kontur

Aus dem Blickwinkel der internationalen Bewertung verkörpert keine Architektur die Grazer Schule so wie die von Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz. Die ihnen eigene, emotional geprägte Formensprache hat das Architektenehepaar bis heute beibehalten - mit Modifikationen, wie im neuen Studienzentrum der TU Graz.

Friedrich Achleitner ortet in seinem Versuch, der Bedeutung der Grazer Schule nachzuspüren, „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ als Triebfeder jener losen Gruppe von Architekten im Graz der späten siebziger Jahre, die mit unbändigem Schaffensdrang und künstlerischem Anspruch eine Architektur hervorbrachte, die im folgenden Jahrzehnt über Europa hinaus Aufmerksamkeit erringen konnte. Die internationale Rezeption sieht in dieser in Eigenart und Eigenwilligkeit mit keiner anderen Strömung der neueren europäischen Architektur vergleichbaren Produktivität gar ein Phänomen. Analysiert man die Hintergründe, die zu dieser dichten Packung an lokal Gebautem zwischen etwa 1980 und dem Beginn der neunziger Jahre geführt haben, so entmystifiziert sich dieses genauso wie die Vorstellung, es handle sich bei der Grazer Schule um eine Bewegung. Verwandtschaften lassen sich eher in den Architektenpersönlichkeiten als in der Architektur finden. Heftig, wild, expressiv, explosiv, zertrümmernd, dabei sinnlich und poetisch, undogmatisch und unakademisch waren gängige Charakterisierungen, die damit auch eine klare Trennlinie zum damals in Wien gepflegten, aus der Tradition schöpfenden Akademismus zogen. In einer Atmosphäre des Experimentierens schienen Theorien oder historische Vorbilder für die Grazer bedeutungslos.

Die Architekten Szyszkowitz+Kowalski können mit diesen Attributen am wenigsten treffend charakterisiert werden, denn sie waren weder zu Beginn ihrer Karriere radikale (Begriffs-)Zertrümmerer, noch sind sie es heute. In ihnen die Verkörperung der Grazer Schule zu sehen, wie es in Deutschland heute noch geschieht, kann also nur mit dem häufig vereinfachenden Blick von außen erklärt werden. Mit dem „Haus über Graz“, mit hoher räumlicher Komplexität und variantenreichen Verbindungen zum Außenraum sensibel und feingliedrig in die leicht hügelige Landschaft komponiert, gelang ihnen 1975 eine eigenständige und poetische Neuinterpretation des Einfamilienhauses. Wer genau schaut, kann jedoch in den meisten der frühen Arbeiten des Grazers und der Oberschlesierin hinter der kleinteiligen und vielschichtigen Bewegtheit der individuellen Formensprache einen deutlichen Hang zum historisierenden symmetrischen Grundrißaufbau sehen. Ihre geradezu üppige Formenvielfalt und Detailverliebtheit zeigten zwar eine klare Abkehr von den Auswüchsen der Moderne, wie sie allerorts in den Wiederaufbauprogrammen der Nachkriegszeit hochgezogen worden waren, sie schienen aber mehr einem Neobarock verpflichtet als der Suche nach einem zeitgemäßen Ausdruck moderner Architektur.

Dennoch übte der individuelle, emotionale Duktus dieser Formenwelt in diesen Jahren eine enorme Anziehungskraft auf Studenten und Absolventen aus Österreich und Deutschland aus, und so ist es nur auf den ersten Blick verwunderlich, unter den zahlreichen damaligen Mitarbeitern so bekannte Namen wie Ernst Giselbrecht, Andreas Lichtblau, Roger Riewe und Florian Riegler zu finden. Heute stehen diese für eine sich doch deutlich davon unterscheidende Architekturhaltung, wobei die Abkehr der Architekten Riegler und Riewe in ihrer Radikalität sogar ein reizvoller Gegenstand psychoanalytischer Betrachtung sein könnte. Die distanzierteren Beobachter des in beinahe drei Jahrzehnten entstandenen umfangreichen Oeuvres von Szyszkowitz+Kowalski hat der durch Wiederholung eines immer ähnlichen Formenrepertoires entstandene Formalismus in Freund und Feind geteilt. Einer kritischen Analyse unterzogen wird die Architektur von beiden Gruppen nicht. Während die einen - überwiegend die deutsche Fangemeinde, die etliche Bauten in Deutschland realisiert findet und die beiden Architekten von ihrer Lehrtätigkeit in Braunschweig und Stuttgart kennt - noch immer entzückt die Andersartigkeit, das Unkonventionelle, Individualität Suggerierende dieses architektonischen Ausdrucks loben, klassifizieren die anderen ihn mit einer einzigen kurzen Handbewegung ab. Die Haltung der letzteren scheint doppelt unzulässig. Zum einen ist sie nicht bereit, dieser Architektur ein Entwicklungs- und Veränderungspotential einzuräumen, zum anderen nicht, die Gründe jener zu hinterfragen, die diesen Bauten mit Wohlwollen gegenüberstehen oder sie mit großer Zufriedenheit nutzen.

Das von den Architekten im Herbst 2000 fertiggestellte Studienzentrum der Technischen Universität Graz auf den Inffeldgründen geht auf einen Wettbewerb vor mehr als zehn Jahren zurück, in dem die Jury mit den Architekten Feuerstein und Domenig die städtebauliche Konzeption des Projekts positiv bewertete. Den angrenzenden Solitärbauten einer Schule und mehrerer universitärer Einrichtungen setzen sie ein Bauwerk zur Seite, dessen zwei weit ausladende Arme einen geschützten Hof - und damit das Potential für ein kommunikatives Zentrum - bilden.

Der Außenraum als städtischer Platz war als Ergänzung des heterogenen Raumprogramms gedacht, das eine Mensa, eine Bibliothek, studentische Arbeitsräume, einen Turnsaal und einen Hörsaal vorsah. Zum Zeitpunkt des Wettbewerbs war dieser urban definierte Freiraum der einzige als Treffpunkt und Verweilplatz geeignete Ort des weitläufigen Areals. Die nach außen gerichteten Fassaden des annähernd hufeisenförmigen Baus geben sich überraschend schlicht, ohne wesentliche Vor- und Rücksprünge, leicht gekurvt und in den beiden oberen Geschoßen mit einer Bänderung aus Industriestegglas horizontal betont.

Die Innenhoffassaden unterscheiden sich von der weitgehend unprätentiösen Außenerscheinung wesentlich, und zwar in Proportion, Farbe und Material. Sie weichen nach dem Erdgeschoß in einer sich öffnenden Geste in eine schräge Dachfläche zurück, um aus dieser im dritten und vierten Geschoß als eine Art zweigeschoßiger Erker wieder hervorzutreten. Zwischen der beidseits vierteiligen Gliederung in Blechverkleidung wird mit einem alle Etagen durchziehenden Lichtschlitz die schräge Rasterung, die den ganzen Bau durchzieht, verdeutlicht.

Die Innenansicht, ganz in Dunkelorange, soll im Lauf der Zeit zusätzlich durch ein mit Glyzinien bewachsenes grünes Dach gefaßt werden. Die gerasterte Rankstruktur aus Stahlseilen ist allerdings in so großer Höhe installiert, daß fraglich scheint, ob damit der Effekt einer Laube erzielt werden kann.

Beim Studienzentrum von einem Bauwerk „wie aus einem Guß“ zu sprechen, wie dies in der Charakterisierung Szyszkowitz-Kowalskischer Arbeiten immer wieder geschieht, ist schon durch die unterschiedliche Behandlung der Fassaden nicht möglich, obwohl die Vermeidung allzu großer Kleinteiligkeit zum Ausdruck einer neuen Geschlossenheit beiträgt. Hier ist nicht mehr jede Gerade durch Knicken gebrochen, jeder Bauteil detailreich überformuliert, jeder Raum in einer amorph anklingenden Grundrißfiguration bis zur Penetranz überinterpretiert. Hier wird dem Nutzer Raum gelassen, Raum zur freien Entfaltung eigener Phantasie und zur Aneignung des Raums nach individuellen Vorstellungen. Mehr formale Strenge läßt - gar nicht paradoxerweise - mehr Freiheit. Formalismus tritt bedauerlicherweise dennoch auf, wenn etwa die vertikale Gliederung der Außenfassade durch übergeschoßhohe mattierte Glaselemente just in derselben Höhe und Breite durchsichtig belassen wird, wo daneben, im massiven Wandteil, bandartig Oberlichten eingesetzt sind. Oder auf der Schmalfront des Innenhofs, wo horizontale Fensterbänder mit U-förmig ums Eck geführten Scheinfenstern, die nur an der Außenwand in Erscheinung treten, zu einem dekorativen Element verkommen. Den zahlreichen Freunden dieser Architektur ist das vermutlich egal. Sie heben den unkonventionellen Gestus hervor, die phantasievolle Formenvielfalt, den abwechslungsreichen Einsatz von Materialien und Farbe.

Im Vertrauen auf die Substanz der tragenden Idee jedes Entwurfs möchte man den Architekten zurufen: Noch weniger! Less is more.

27. Januar 2001 Spectrum

Im Anfang war Tatendrang

Es gibt sie doch, die kleinen Wunder an Fortschrittlichkeit in Österreichs katholischer Kirche. In der Basilika Mariazell hat frischer Geist bauliche Adaptionen ermöglicht, die die geschichtsträchtige Wallfahrtskirche um eine würdige zeitgemäße Schicht bereichern.

Wer meint, Denkmalschutz bedeute ein Konservieren für immer und ewig, denkt zu kurz. Das Gefrieren eines Moments, der mehr oder weniger willkürlich einen Zeitpunkt in der Geschichte eines Objekts markiert - nämlich den, der es durch einen Beschluß des Konservators zu erhaltenswerter Bedeutung erhebt -, würde Stillstand bedeuten und Absterben.

Denkmalschutz muß ein dynamischer Prozeß sein, der in immer neuen Kapiteln fortgeschrieben wird. Er darf sich nicht damit begnügen, zu definieren, welche Zeitschichten aus der Vergangenheit schützenswert sind, sondern muß Veränderungen bewerten und zulassen. Solche Eingriffe sind Erfordernisse der Zeit mit sich wandelnden Ansprüchen, die es in allen Epochen an allen kunsthistorisch bedeutsamen Bauwerken gegeben hat. Der „reine Stil“ ist ein theoretisches Konstrukt.

Die Baugeschichte der Basilika von Mariazell gibt davon beredtes Zeugnis. Um den mittelalterlichen Kern mit der Gnadenkapelle und dem zentralen Gnadenbild entwickelt sich ein dreischiffiges gotisches Langhaus, das in einer ersten Phase der Barockisierung durch Seitenkapellen erweitert wird. Durch den Bau des Osttrakts mit dem prächtigen Kuppelraum und dem kühnen Hochaltar von Fischer von Erlach erfährt die Erneuerung einen unübertroffenen Höhepunkt. Der heute immer stärker werdende Zustrom von Pilgern aus ehemaligen Kronländern, für die Mariazell geistliches Zentrum geblieben ist, hat den Wunsch geboren, im Osttrakt wieder Messen zu feiern - gemäß dem nachkonziliaren Verständnis von Liturgie. Als erster Schritt sollte eine eigenständige Orgel für den Kuppelraum das unzureichende Orgelfernwerk ersetzen.

Zu diesem Zeitpunkt kam die gute Zusammenarbeit mit dem Grazer Architekten Wolfgang Feyferlik zum Tragen, der bis dahin auf Basis eines von ihm erarbeiteten Generalplans mit Umbauten am geistlichen Haus betraut war. Er leitete aus dem zu erwartenden räumlichen Volumen der neuen Orgel ein Konzept ab, das dem barocken Raum die neuen Funktionen einschreibt, ohne Proportionalität und Ornamentik zu beeinträchtigen oder sie zum verwischten Bestandteil desselben zu machen. Den schwierigen Spagat zwischen eigenständiger Behauptung und notwendiger Integration löste er durch die Entscheidung, alles Neue in Form und Material zwar deutlich ablesbar zu machen, die einzelnen raumbildenden Elemente wie die Orgel und den Volksaltar jedoch kompositorisch mit den sie umgebenden Bauteilen zu verweben. Die Orgel wird wie eine Plastik betrachtet, die sich in die Geometrie der Wandfläche mit Stuckrahmen, Gesimsen und Durchbrüchen einfügt.

Aus dem unterschiedlichen Zugang von Orgelbauer und gestaltgebendem Architekten wird ein Korpus, der die klassische Fünfgliedrigkeit der Pfeifen in asymmetrische Falten kleidet. So entsteht der Eindruck geringerer Tiefe und eine imaginäre Schräge, die zum Hochaltar weist. Das Altarpodest ist als klar abgesetzte zweite Ebene in monochromen großformatigen Steinplatten über den unschönen Fliesenboden aus der Ära der historisierenden Umbauten des 19. Jahrhunderts geschoben. Es reicht in den Kuppelraum hinein, um dem neuen Altar vor dem Presbyterium Raum zu geben. Dieser, ein vom bekannten deutschen Bildhauer Ulrich Rückriem ausgewählter Steinblock aus Anröchter Dolomit, ist nur minimal bearbeitet. Für den Ambo schichtet der Architekt zentimeterstarke Stahlplatten mit unscharfen Kanten übereinander. In seiner fast archaischen Schlichtheit stellt der neue Liturgiebereich ein Ganzes dar, das mit dem nun dahinterstehenden Hochaltar, einem Hauptwerk hochbarocker Altargestaltungen in Österreich, nicht konkurriert.

Im Rahmen der Gesamtrenovierung des Osttraktes hat ein kompetentes Team unter der Leitung der Restauratorin Erika Thümmel den Altar, der durch schwerwiegende Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte seiner Kraft und Theatralik beraubt war, behutsam wiederhergestellt. Auf der Basis archivalischer Quellen und alter Stiche wurden gravierende Eingriffe in das formale und inhaltliche Kon- zept zurückgenommen, sodaß der bewußte Gegensatz von irdischer Schwere und himmlischer Transzendenz, ein Charakteristikum im Werk Fischer von Erlachs, wieder hervortritt. Diese Arbeit ist Teil eines Konzepts, das nicht ängstlich auf dem Status quo verharrt und das zu Konservierende auch nicht nach seinem Marktwert beurteilt, sondern gleichermaßen achtsam wie eigenständig Bedeutung und Charakteristik jedes Gegenstands zur Geltung bringt. Besonders schön ist das in den beiden Turmaufgängen zu sehen, die nun die umfangreiche Samm- lung an Votivbildern und Votivgaben beherbergen. Mit einer „barocken Hängung“ - Bild an Bild an den riesigen Wänden - hebt die Restauratorin/Künstlerin diese einfachen Gegenstände in ihrer Bedeutung als rührendes Zeugnis von Frömmigkeit und Alltagskunst hervor.

Im Südturm selbst hat Wolfgang Feyferlik schon zuvor mit wenigen, sparsam gesetzten Elementen aus dem eindrucksvollen Raum eine intime Gebetsstätte gemacht, in der auch die Reliquien aufbewahrt werden. Ein Stahltragrost als neue lichtdurchlässige Ebene, eine formal überzeugende Stahltreppe, die von innen beleuchtete Wandscheibe aus mattiertem Glas, die sie begleitet, und minimalistische Geländer bilden ein stimmiges Ambiente, das mit der Geramb-Rose für vorbildliches Bauen ausgezeichnet worden ist.

Man hat den Eindruck, die Arbeit des Architekten kann sich schrittweise, ohne qualitätsmindernden zeitlichen Druck entwickeln, unter Wahrung von Autonomie und gegenseitigem Respekt. Ein „work in progress“, dessen Ende nicht absehbar ist. Und ein Glücksfall. Fazit? - Manchmal werden innerkirchliche Reformen unspektakulär vollzogen, getragen von Einzelkräften mit dem klugen Wissen, daß Beharren auf dem Ist-Zustand Stillstand und damit Entseelung bedeutet. Was im Superiat Mariazell seit einigen Jahren zugelassen wird, beseelt. Beste Voraussetzung dafür, daß die Kirche zum lebendigen Ort geistlicher und geistiger Auseinandersetzung wird.

16. Dezember 2000 Spectrum

Was bleibt, was muß fallen?

Radikale Änderung oder minimale Intervention: Diese beiden Extreme markieren den Spielraum bei Umbauten. Geänderte Funktionen sind eine zusätzliche Herausforderung für den Architekten. Hans Gangoly hat in Graz einen Gewerbebau, Sepp Hohensinn in Weiz einen Industriebau in einen Wohnbau transformiert.

Über Sinn oder Unsinn von Umnutzungen läßt sich trefflich streiten, zumindest in Hinsicht auf Funktionalität und räumliche Qualität des neu Installierten. Entschieden wird die Frage über den Faktor der Wirtschaftlichkeit –möchte man meinen. Mitnichten: Beweggründe für aufwendige Umbauten und Sanierungen sind mannigfaltig. Demjenigen, der in jahrelanger mühsamster Kleinarbeit eine Scheune oder Mühle zu Wohnraum umwandelt, ist es pure Liebhaberei, Freude am Einzigartigen, Unkonventionellen, für die er Widrigkeiten und unvorhersehbare Ereignisse in Kauf nimmt. Für eine bestimmte Schicht oft künstlerisch tätiger Städter ist es das Flair von Gewerbebauten mit ihrer vom Gebrauchswert abgeleiteten Kargheit, vor allem aber die Möglichkeit, viel Raum zu einem relativ niedrigen Preis zu erhalten. Dafür werden Nachteile wie unzureichende sanitäre Versorgung, geringe Wärmedämmung und schlechte Beheizbarkeit in Kauf genommen. Manch stolzer Loftbewohner wußte der winterlichen Not durch Rückzug in eilig gezimmerte Bretterverschläge – durch ein „Raum-im-Raum“-Prinzip also – abzuhelfen.

Gelegentlich scheint Prestigedenken die Sinnfrage zu ignorieren und die Frage der Wirtschaftlichkeit hintanzustellen. Oder kann sich jemand vorstellen, daß in das einmalige Industriedenkmal der Gasometer in Simmering, dessen Erhaltungswürdigkeit unumstritten ist, Wohnungen ohne wesentlich größeren, auch finanziellen Aufwand und ohne rigorose Einschränkung der Wohnqualität hineingebaut werden können?

In Graz wollte ein Unternehmer ein aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommerziell verwerten und hat es zu einem Wohnhaus mit 22 Wohnungen umgebaut. Für eine Geschäftsnutzung war weder die Lage der Immobilie noch deren Beschaffenheit geeignet, denn die Stadtmühle, die 1928 stillgelegt und seither als Lager genutzt worden war, ist mit Ausnahme der Gründerzeitfassade eine reine, über alle fünf Geschoße reichende Holzstützenkonstruktion. Sie wurde 1995 unter Denkmalschutz gestellt, um die Tragstruktur in ihrer architektonischen und handwerklichen Qualität zu erhalten. Diese Vorgabe, dann die enorme Gebäudetiefe von 27 Metern, Nord-Süd-Orientierung und die Lage knapp am Gehsteig forderte allerdings auch für den Einbau von Wohnungen enormen planerischen Einsatz, Phantasie und Fingerspitzengefühl.

Hans Gangoly, ein Burgenländer mit Bürositz in Graz, war der richtige Mann. Schon an einem viel beachteten Umbau eines Wirtschaftsgebäudes zu einem Wohnhaus und beim Einbau einer Galerie in ein kleines burgenländisches Bauernhaus hat er gezeigt, daß er das Maß an Bewahrung und Erneuerung sorgfältig auszuloten weiß.

Schnell war klar, daß Qualität und Eigenart des Gebäudes nur erhalten bleiben können, wenn Prämissen wie Offenheit und Freilassen die Forderung nach äußerster Nutzungsdichte ersetzen. In einem mehrjährigen Planungsprozeß konnte der Bauherr davon überzeugt werden, daß ein Teil des Volumens zum innen liegenden „Leerraum “in Form einer mehrgeschoßigen Halle für alle wird, die fehlende Balkone und private Freiräume ersetzt. Sie ist gleichermaßen Herzstück und Charakteristikum des Wohnbaus geworden, von dem aus die Wohnungen in den einzelnen Geschoßen über Stege erschlossen werden.

Durch das Freilegen des Stützenrasters und die Entfernung mehrerer Deckenträme wirkt sie leicht und luftig; hell wird sie durch das Öffnen des mächtigen Daches mittels großflächiger Verglasung. An der für Wohnungen ungünstigen Nordseite reicht die Halle bis zur Fassade, die an dieser Stelle entfernt und durch eine überwiegend offene Betontragstruktur ersetzt wurde. Sie wird so zum geschützten Innenhof mit Sicht zum Mühlgang, der unter dem Haus durchfließt.

Wie ein Gürtel legen sich die einzelnen Wohneinheiten um diesen großzügig dimensionierten Raum, der die tiefen Grundrisse zusätzlich belichtet. In Leichtbauweise, mit heller Holzverschalung und Zwischenwänden in Rigips sind sie in die dominante Tragstruktur eingeschoben und belassen die alten Deckenbalken und Rundstützen weitgehend unberührt. Die für Wohnbau außergewöhnliche Raumhöhe ermöglichte es, die Sanitäreinheiten als niedrigere Volumina in den Raum zu stellen und da durch die Holzkonstruktion noch stärker hervorzuheben.

Auf diese Weise entstand ein äußerst reizvolles Spannungsverhältnis zwischen Alt und Neu. Mit den neuen, innen vor der Wand geführten Schiebefenstern, die die undichten, ebenfalls denkmalgeschützten Fensterflügel ergänzen, setzt Gangoly diesen Dialog konsequent fort. Zugleich illustrieren jene sorgfältig detaillierten, selbstbewußt raumbildenden Elemente auf gelungene Weise, daß ein Eingriff in bestehende Substanz immer bedeutet, dem Vorgefundenen eine zeitgemäße Schicht hinzuzufügen. Denn letztlich ist es unehrlich und inkonsequent, durch Beschränkung auf Restaurieren alle Spuren der Erneuerung zu verwischen – eine Geschichtsklitterung.

Diese Frage stellte sich bei der Errichtung von Wohnungen im Areal des ehemaligen Ziegel- und Betonwerks Volpe in Weiz nicht. Eine städtebauliche Nutzungsstudie empfahl die Umnutzung der Industriebrache, die mittlerweile Teil eines vorstädtischen Wohngebiets ist, für Wohnzwecke im Geschoßwohnbau. Dabei sollten vorhandene Ressourcen wie das Freiland mit den Ziegelteichen einbezogen und aufgewertet werden. Die Substanz der Hallenstruktur aus den vierziger Jahren wurde als erhaltenswert eingestuft – vorerst. Die Lage der Industriebauten – zwei parallele Stahlskeletthallen in unterschiedlicher Länge, ergänzt durch einen annähernd quadratischen Massivbau und einen im rechten Winkel dazu situierten Kopfbau – ergab also die künftige städtebauliche Figuration des Wohnbaus, mit dessen Planung Sepp Hohensinn, ehemaliger Partner von Hubert Rieß, betraut wurde.

Eine umfassende Sanierung wurde angestrebt und auch beibehalten, nachdem sich über eine Kosten-Nutzen-Rechnung herausgestellt hatte, daß es sich nur lohnte, die Tragstruktur der langen Halle und ihr Dach, wenn auch mit Mehraufwand, zu erhalten. Die Baukörperstellung wurde übernommen. Entstanden ist ein dichtes, urban anmutendes Gefüge mit einer Wohngasse und einem platzartigem Siedlungszentrum, das die Nachteile von teils geminderter Besonnung und eingeschränkter Privatheit im Erdgeschoß in Kauf nimmt.

Gebaut wurde in Holzsystembauweise, einer industriellen Vorfertigung von Großtafelelementen. Gedämmt, vorinstalliert und mit Fenstern versehen, werden sie auf der Baustelle nur mehr montiert. Bei der Volpe in äußerst kurzer Gesamtbauzeit von zwölf Monaten inklusive Abbruch und Außengestaltung. Diese Bauart mit geringer Gesamtlast erlaubte, drei Geschoße ohne zusätzliche Fundierung auf die bestehende Betonplatte zu stellen – was für die Beibehaltung der bebauten Grundfläche spricht. Alte und neue Stahlrahmen tragendas Dach und sämtliche hinzugefügten Sekundärstrukturen aus Stahl wie Treppen, Laubengänge und Balkone. Die Geschoßwohnungen und Maisonetten sind als Zeile freistehend unter die Dachstruktur geschoben. Das frei überstehende Dach als „shelter“ wird zum Erinnerungsstück, gemeinsam mit dem weithin sichtbaren Schlot und der erhaltenen Giebelwand des Betriebsgebäudes mit dem Firmenzug.

Von der Substanz ist allerdings nichts geblieben. Das Neue ist ein herkömmlicher Wohnbau –mit sorgfältiger Materialauswahl und schönen Details –, der mit der Vorstellung von Wohnen in der Fabrik, das ja zugegebenermaßen ein städtisches Desiderat ist, nichts zu tun hat. Anders als bei der Sargfabrik in Wien-Penzing haben die räumlichen Vorgaben hier auch nicht dazu geführt, die Bauordnung und die Bestimmungen der Wohnbauförderung phantasievoller zu interpretieren. Die bekannt hohen Anforderungen der steirischen Wohnbauförderung übertrifft der Bau spielend mit dem im Vergleich zu einem Massivbau wesentlich höheren Wärmeschutz. Was die Nutzer, allesamt Mieter, freuen wird. Allerdings könnte er genauso gut auf der grünen Wiese stehen. Die räumliche Figuration der ehemaligen Ziegelei war in dem Fall keine zwingende Vorgabe, sondern bestenfalls eine Vorlage, die der Architekt als städtebauliches Entwurfsmotiv für brauchbar empfunden hat. Zumindest am neuerrichteten Punkthaus, das pro Geschoß je eine Wohnung in Nordost- und Nordwestlage enthält, wie die nachgebaute Vorlage aber keine Balkone, ist dies zu bezweifeln. Zwiespältig auch der nun entstandene Gassenraum, ein halböffentlicher Bereich, in den private Winzlingsvorgärten ragen, einengend abgeschirmt mit Gerätehütten. Konsequenterweise hätte die Erdgeschoßzone der zweiten Zeile frei von Wohnungen bleiben müssen.

An beiden Beispielen zeigt sich, daß die Frage nach dem Wieviel an Bewahren und Erneuern immer eine Gratwanderung ist, die nicht nur nach wirtschaftlichen Aspekten entschieden werden darf. Manchmal werden Einschränkungen nur als Pferdefuß gesehen und führen zu grotesken Auswüchsen, wenn ganze Häuser, deren Fassade erhalten bleiben muß, ausgehöhlt werden. Jede Beschränkung bietet jedoch auch Chancen, genormte Vorstellungen zu verlassen und gelungene Neuinterpretationen eines Themas zu finden – unübliche Wohnungszuschnitte oder Erschließungen etwa.

Daß dies geschätzt wird, zeigt der Umbau von Hans Gangoly. Zumindest in der Stadt gibt es eine Klientel für unkonventionelle Wohnformen: Für die 22 Wohnungen in der Stadtmühle gab es 140 Bewerbungen – ohne Werbeaufwand.

2. Dezember 2000 Spectrum

„Mein Traumhaus ist kein Haus“

Einiges in der Formensprache des Architekten Eilfried Huth ließe sich aus den Visionen der Achtundsechziger ableiten und alles, was sein soziales Engagement - bis heute - betrifft. Zum 70. Geburtstag: eine Würdigung des Gründervaters von Mitbestimmungsmodellen im Wohnbau.

Im Garten des Lebens - zur Erinnerung: „In-A-Gadda-Da-Vida“ lautete der Phantasietitel eines Hits der Popgruppe Iron Butterfly aus dem Jahr 1968 - ist die Architektur nur eine der zu kultivierenden Pflanzen. In den späten sechziger Jahren wurde sie zur exotischen Blume im Nährboden soziokultureller und technischer Umbrüche, in ihrem Wildwuchs bestimmt von der Vision einer neuen Welt.

Eilfried Huth und Günther Domenig waren zu jener Zeit ein Team, das die steirische Architekturszene gründlich aufmischte. Eine klare Rollenverteilung ist in dieser kreativen Ehe nicht feststellbar, auch wenn Rezensenten den öffentlichkeitsscheueren Huth retrospektiv gerne zum Zweiten machen.

Erste gebaute Festlegungen in Sichtbeton wie die Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau standen zeitgleich neben visionären Ansätzen im Wohnbau. Geschult in unzähligen Diskussionen, weniger im Hörsaal als im legendären Café Schillerhof, schafften die „bad guys“ 1969 internationale Beachtung für ihre „Überbauung Ragnitz“ durch die Zuerkennung des Grand Prix d'Urbanisme et d'Architecture in Cannes. Man beachte: unter 800 Bewerbern und einer Jury, die sich wie das Who's who der damaligen Architekturkapazitäten liest: Louis Kahn, J. B. Bakema, Jean Prouvé, Bruno Zevi, Heikki Siren, Karl Schwanzer . . .

Ein realutopisches Projekt nennt Huth diese Megastadt aus einer Primärstruktur zur Versorgung und einschiebbaren Modulen als Variablen. Ein Gerüst der künstlichen Bauplätze, das in der detaillierten Durchplanung auch gleich seine Grenzen aufzeigte. Es war mit einer Nutzfläche von 30 Prozent nicht wirtschaftlich.

Dennoch dienten gerade Utopien wie diese oder das futuristisches Ambiente für die Trigonausstellung 1967 als Referenzen, die sie 1972 zur Olympiade nach München brachten, wo sie den Café-Pavillon in der Schwimmhalle und das Restaurant Nord bauen durften. Dieses Jahr markierte auch den Scheideweg des Duos. Während Domenig der Schubkraft der Grazer Emotionalität, mit der Friedrich Achleitner die Grazer Schule charakterisiert, 1975 in der Z-Bank Favoriten und ein Jahrzehnt später im Steinhaus höchsten Ausdruck verlieh, führte das Attentat auf die israelischen Sportler bei der Olympiade für Huth zu einem Infragestellen von Ästhetizismus und künstlerischer Selbstverwirklichung und in gebauter Konsequenz zu den Mitbestimmungs- und Beteiligungsprojekten im Wohnbau.

Abgeschlossen war die Arbeit an einem Symbol technischer Fortschrittsgläubigkeit, dem For- schungs- und Rechenzentrum in Leoben (1968 bis 1973), für das Huth, offiziell noch in Bürogemeinschaft, schon alleinverantwortlich zeichnete. Es ist ein prätentiöses strukturelles Objekt mit drei abgehängten kreuzförmigen Geschoßen und einer in Fertigteilen vorfabrizierten Stahlfassade, die viel über die zu der Zeit weit verbreitete Faszination der Architekten an Karosseriedesign verrät. Huth bezeichnet diesen Stahlbau, der 1975 mit dem Preis der Europäischen Stahlkonvention geehrt wurde, als sein Hauptwerk. Erstaunlich, wo wir den Architekten doch schon mit der
Erkennungsmarke Partizipation versehen haben.

Aber Huth entwirft - immer mittels freier Handzeichnung - ebensogern, wie er großflächige Tableaus malt. So bleibt auch bei den folgenden Arbeiten, besonders im Einfamilienhaus L. in Weinburg, ein starker Formwille ablesbar. Sogar in den Wohnmodellen Eschensiedlung in Deutschlandsberg und den Gerlitzgründen in Graz-Puntigam blinzelt im architektonischen Endprodukt der individuellen wie der gruppendynamischen Entscheidungsfindung das Gestische, Weiche, Orthogonalität Vermeidende durch - ganz dem Wesen des Architekten entsprechend.

Was aus der Teilfreigabe der formalen Entscheidung an Architektur entstand, ist ein Kompromiß, den manche als Alltagsästhetik bezeichnen. Für Huth ist es heute „das Bild einer durchschnittlichen Unkultur“, und er bemerkt selbstkritisch, daß die Mitbestimmung ein Wegbereiter für den Populismus war. Deren historisches Verdienst darin liegt, daß hier erstmals ein Planungsprozeß nicht hierarchisch gegliedert war und der Nutzer eine Stimme und Verantwortung bekam. Der Wert dieser Modelle muß nach anderen als ästhetischen Kriterien erfaßt werden: nach der Wohnzufriedenheit, dem hohen Identifikationsgrad, dem Entstehen von Gemeinschaft. Gerade die Reihenhaussiedlung Gerlitzgründe, ein sozialer Wohnbau der Stadt Graz, spiegelt den sozialen und politischen Aspekt in Huths Arbeit exemplarisch wider. Besucht der Architekt seine Siedlung heute, nach 20 Jahren, wird er dort wärmstens empfangen - eher eine Seltenheit.

Ein oberösterreichischer Forschungsauftrag, in den auch Huths Erfahrungen einflossen, trug den Titel: „Grenzen (!) und Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung im sozialen Wohnbau“. Und so ist auch die Wohnanlage Ragnitz III aus den Jahren 1986 bis 1992 als Abgesang dieser Entwicklung anzusehen. Mehr Vorgabe steht weniger Mitbestimmung gegenüber, die Grundrisse können den Bedürfnissen der Nutzer „nur mehr“ angepaßt werden. Der Weg wurde nicht
weitergeführt, das Kapitel Mitbestimmung geschlossen.

G ebaut hat Huth seither wenig. 1985 ist er an die Hochschule der Künste in Berlin berufen worden. Bei Eilfried Huth traf diese Ehre eine ihn charakterisierende Lust an Kommunikation im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung. Die Vermittlung von Architektur hatte er seit 1968 in „Unterrichtsversuchen zum Ästhetischen Lernen“ versucht. Bezeichnenderweise nennt Huth das Kapitel seiner ihm besonders wichtigen Lehrtätigkeit im Katalog, der zur Ausstellung anläßlich seines ursprünglich geplanten Abschieds von der Hochschule Berlin 1996 entstanden ist, „Vom Lehren und Lernen“.

A uch darin liegt die Qualität eines Architekten wie Huth: wach und offen zu bleiben, ohne Dünkel oder Abgeklärtheit; genau zu sein im Beobachten und im Denken; fähig, zu relativieren angesichts größerer Zusammenhänge, scharf und kompromißlos jedoch an der richtigen Stelle. In einer Zeit, in der der Wert von Architektur mehr denn je nach rein formal-ästhetischen Kriterien beurteilt wird und zur Elite erkorene Architekten-Jetsetter im globalen Dorf „Erste Welt“ von Politik und Wirtschaft hofiert werden, um ihre schnittigen Hochglanzprodukte als wirtschaftlichen Faktor zu verwerten, tut einer gut, der sagt: Achtung! Architektur verkommt zur Duftmarke für Investoren.

[ Im Grazer „Haus der Architektur“ (Engelgasse 3-5) ist von 4. Dezember bis 10. Jänner die Ausstellung „Prof. Arch. DI Eilfried Huth - ,Reflexionen über Fragmente meines Tuns'“ zu sehen (Montag bis Freitag 10 bis 19, Samstag 10 bis 13 Uhr). ]

9. September 2000 Spectrum

Mit den Werkzeugen Raum

Vorspann

...folgt.

15. Januar 2000 newroom

Architektur als Metapher für Weltbefindlichkeit – bewegt, fragmentarisch und instabil

In Klagenfurt hat der kalifornische Architekt Thom Mayne den Bau der Zentrale der Hypo Alpe-Adria Bank zu einem architektonischen Manifest verdichtet, das ein neues suburbanes Zentrum mit einem autonom zu bespielenden Veranstaltungsraum und städtisch gefassten Aussenräumen werden soll. Ob die Idee aufgeht, ist fraglich, zumal grosse Teile des Wettbewerbskonzepts nicht realisiert werden

Die Voraussetzungen für ein Gelingen von Architektur auf höchstem Niveau - für Baukunst - waren gut, um nicht zu sagen ideal. Aufgeschlossene Bauherrn, die Offenheit für das Neue, das Visionäre auf ihre Fahnen heften und mit einem Bauwerk ihre neue Stategie des Aufbruchs und des Expandierens – die Bank unterhält Filialen in Slowenien, Kroatien und Friaul – untermauern wollen und ein international renommierter Architekt, dessen Arbeit durch zahlreiche Preise ausgezeichnet worden ist. Dazu ein Bauplatz am ausgefransten Stadtrand, der in all seiner Heterogenität zwischen Gewerbebauten, vorstädtischen Siedlungen und landwirtschaftlicher Nutzung auch Freiraum lässt für konzeptuelle Würfe, die keine Einschränkung durch Vorschriften zu Traufenhöhe, Dachneigung, Bebauungsform und Denkmalschutz vertragen.

Es zeugt von Überzeugungskraft des Architekten und gelungener Vermittlungsarbeit des Vorstands, dass auch jetzt, nach der Realisierung des ungewöhnlichen Projekts Identifikation und Verständnis unter der Belegschaft hoch sind, trotz einiger gravierender Unzulänglichkeiten. Dabei ist das Entwurfskonzept des Architekten in seiner Komplexität alles andere als einfach zu erfassen.


Das Dach als artifizielle Landschaft

In Anlehnung an seinen Beitrag zum Wiener Expo Wettbewerb formte Tom Mayne beim Klagenfurter Projekt eine topographische Oberfläche, die die leicht wellige Agrarlandschaft der Umgebung fortsetzten soll. Sie deutet ein Kreissegment mit einem Durchmesser von einer Meile an. Gebäudevolumen wurden durch Einschneiden der künstlichen Landschaft wie mit einem Seziermesser aus dem flächigen Körper herausgeschält und durch Schlitze separiert, die im Modell an Ackerfurchen erinnern und in gebauter Wirklichkeit zu Schluchten wurden. Großflächige Ausschnitte als elliptisch gerahmte Negativkörper erzeugen im Wettbewerbsentwurf Weite. Lineare, schmale Baukörper führen Wege am Areal fort und bilden so Bezugsachsen zur Umgebung.

Konzediert man der heutigen Architektur, dass sie nicht zwangsläufig entschlüssel- und lesbar sein muß und gesteht man der Entwurfsmethodik zu, dass sie subjektiv, zufällig und willkürlich sein kann, so sollte sie doch in sich stimmig sein. Thom Maynes Entwurf wurde durch eine wesentliche Entscheidung der Konzernleitung, die nach der Juryentscheidung erfolgte, stark beschnitten. Man trennte sich, wegen des als zu groß prognostizierten Verwertungsrisikos, von der Hälfte des Grundstücks und errichtet nun (unter anderem) keine Wohnungen. Die Verflechtung von Wohnbau, Büros und kommerzieller Nutzung findet also nicht statt. Öffentliche Freiräume integrieren aber per se genausowenig die umgebende Wohnbebauung wie die in die Siedlungsstrassen ausgreifenden Arme der gekreuzten linearen Baukörper, die zudem deutlich amputiert wurden. Was an Landschaft bleibt, ist rudimentär, reduziert sich auf die Andeutung von weich geformten Gebäudeoberflächen im tiefangesetzten Dach des Mehrzwecksaals, der mit einem allgemein zugänglichen Café verbunden ist. Das mußte unter Terrain abgesenkt werden, was weder von außen noch von innen besonders einladend wirkt. Die Idee der übergreifenden Dachstruktur als Landschaft ist jetzt nicht ablesbar und wird auch nach Abschluß der zweiten und dritten Bauphase nicht schlüssig nachvollziehbar sein. Nun gut – Entwerfen ist ein Prozeß, das Konzept der künstlichen Landschaft war eben der Ausgangspunkt. Was bleibt?


Das Bauwerk als Skulptur

Das Gebäude der Konzernzentrale mit Bankfiliale am südlichen Rand des Areals betont seine städtebauliche Bedeutung am Kreuzungspunkt zweier Strassen durch Höhe, es ist fünfgeschossig, und Dichte. Einschnitte und Verschiebungen aus dem Erstentwurf erzeugen geknickte und schräg aufgeständerte, additiv angeordnete und miteinander verzahnte Bauteile, die ein skulpturales Ganzes ergeben. Fremd und irritierend ragt es an der östlichen Einfallsstrasse von Klagenfurt empor. Dynamisch durch die aufsteigende Schräge, fragmentarisch durch die Bruchlinien zwischen den einzelnen Trakten, gekrümmt, durchstossen und aus den Angeln gehoben evoziert das Gebilde die Kategorisierung „dekonstruktivistisch“. Der Architekt verwehrt sich allerdings dagegen und behauptete bei der persönlichen Führung anläßlich der feierlichen Eröffnung im September den Gebrauchswert sämtlicher Bauteile. Funktionell begründet wird auch das vertikale, weitgehend freistehende Wandelement - geknickter Insektenflügel - eine großteils mit Lochblech verkleidete Stahlstruktur, die in enger Nachbarschaft zur verglasten Stirnseite des langen Trakts an der Völkermarkter Strasse aufragt - als notwendig nutzloses Element (schelmisches Augenzwinkern konnte nicht bemerkt werden). Für mich ergab sich die Assoziation mit einer Felsspalte. Geheimnisvoller Eingang in die Welt des Monitarismus? Tatsächlich erfolgt der Zugang in den Verwaltungstrakt wie in die Bankfiliale für den zu Fuß Kommenden von dieser Seite. Auch hierbei scheint es um die Betonung des Skulpturalen zu gehen; die Einkerbung als präziser bildhauerischer Akt, der spannenden Ausblick verspricht.

Wesentlicher Bestandteil der Bauskulptur ist ihre Umhüllung. Unstrukturierte Metallverkleidungen und vorwiegend Lochbleche in gleichbleibenden Modulgrössen überziehen das gesamte Bauwerk in Abstand zur Klimahülle. Sie bilden eine Haut, die sich weich über Kanten schmiegen soll und über Dachhöhe den Eindruck eines sich in den Himmel auflösenden Körpers vermittelt. Das Lochblech als sinnliche Komponente entspricht somit feministischen Theorien von Architektur, die anstelle der geradlinigen, kantigen und kühlen Moderne die Zeit für Gekurvtes, Weiches gekommen sehen (im Amerikanischen gibt es dafür das phonetisch treffende Wort „smooth“). Die tektonische Hülle kann also viel – mit Abstand besehen: sie wirkt massiv, wo sie auf die geschlossene Wand trifft, durchscheinend vor Fensteröffnungen und transparent, wo sie über Dach gezogen wird. Sie verändert ihr Aussehen nach der Tages- und Jahreszeit. Tritt man ihr zu nahe, etwa bei den Übergängen von vertikal zu horizontal, zeigt sich im Detail das unzulängliche Bemühen um geschmeidige Kurven. Metall ist letztlich doch eine spröde Haut.


Die Architektur als Dienstleister

Nun ist die vollkommenste Bauskulptur in der Regel nicht zweckfrei, sondern muß bestimmte Anforderungen an Funktionalität erfüllen. Thom Mayne postuliert „function follows form“ und begründet schlüssig, dass sich die Funktionen stetig ändern und Anforderungen kein feststehendes Etwas sind. Sein Interesse liegt nicht in unmittelbarer Funktionserfüllung, vielmehr sieht er sein architektonisches Operationsfeld durch Termini wie Veränderung, Widersprüchlichkeit, Konflikt und Dynamik geprägt, die für ihn kennzeichnend für die gleichermaßen komplexen wie fragmentarischen Strukturen der Gesellschaft im ausgehenden 20.Jahrhundert sind. Und er scheint an unorthodoxen Räumen interessiert, die diese Dissonanz ausdrücken. Die Schalterhalle im Kundencenter spiegelt dies wider. Den erweiterten technischen Möglichkeiten unserer vernetzten Welt entsprechend könnte sie auf die Grösse eines Computerterminals reduziert sein. Die Architektur reagiert darauf, indem sie die Schalterhalle reduziert auf einen minimalen Servicebereich und die Schalter mit einer irritierend niedrigen Decke versieht. In den Bürobereichen allerdings bleibt der Architekt in einem erschreckenden Maß in hierarchischen Strukturen stecken. Das oberste Geschoß, die Vorstandsetage erweist sich, zumindest in den nach Süden orientierten Räumen als Bel Etage mit hohen, von allen Seiten durchsonnten Räumen. Die nach Norden gerichteten Büros aller Geschoße sind unterbelichtet und müssen tagsüber immer Kunstlicht zuschalten, weil sie einer rigiden formalen Entwurfsidee unterworfen sind. Ihre Fenster, liegende Elemente in der gleichen Form und Grösse wie die im Abstand davorgesetzten Klappen in der durchgehenden Lochblechhülle sind, ganz banal, einfach zu klein. Der Ausgewogenheit der Fassade und der Rythmik ihrer Öffnungen hätte es sicher nicht geschadet, wenn die hinter den Klappen liegenden Fensteröffnungen größer ausgefallen wären.

Im ersten Obergeschoß, wo sich der leicht geschwungene Körper vor den langen einhüftigen Trakt schiebt, ist sie Situation wirklich trist. Hier wird der geringe Abstand zwischen den additiv geschichteten Baukörpern zur Schlucht – mit dementsprechend schlechter Belichtung. Allerdings: dort, wo kein Bauteil den langen Trakt verstellt, reduziert sich dieser durch einen großzügigen Fassadeneinschnitt auf einen Gang – lichtdurchflutet im Übermaß. Ärgerlich ist, wenn ein Teil der Mitarbeiter im Großraumbüro im Dunkeln sitzen muß, der Klarheit der geschlossenen Fassade zuliebe. Kleinigkeiten? Mitnichten. Erachtet man Bedürfnisse nach Licht und Luft, nach einem menschengerechten Arbeitsplatz als zweitrangig, so gelangt man rasch in die Nähe von feudaler Herrschaftsarchitektur, die Repräsentationsräume anlegt und das Gros der Mitarbeiter in engen, dunklen Kontoren arbeiten läßt. An diesem Eindruck ändert weder eine progressiv dynamische Fassade noch die bedeutungsschwere Beteuerung der Bauherren aus der Festschrift zur Eröffnung: Funktionalität als Disziplin. Dem Benutzer unterworfen. Die Verantwortlichen der Bank haben die Fehler erkannt und sind bemüht, Lösungen zur Schadensbegrenzung zu finden.

Letztlich bleiben architektonische Parameter, die dem Menschen Würde geben und ihn in seiner persönlichen Entfaltungsmöglichkeit unterstützen, auch in Zeiten von Paradigmenwechsel, Entwicklung der Chaos Theorie und dem Verschwinden verbindlicher Normen gültig.

So wie sich das Bild der Architektur ändert, muß sich aber auch die Wahrnehmung von Architektur ändern, das „gewohnte Bild“ ersetzt werden. Mit der außergewöhnlichen Raumhülle für die Hypo-Zentrale ist Thom Mayne ein irritierendes Bild gelungen, das staunen macht und die Auseinandersetzung mit dem Thema provoziert. Zur Nachahmung ist diese Architektur nicht geeignet. Vielleicht genügt, wenn zu vermitteln gelingt, was der Architekt beispielhaft zu seiner These, dass Architektur immer didaktisch sein muß, erklärt. Die Fähigkeit und Potenz gebauter Architektur, „zu lehren, wie die Sonne auf ein Gebäude trifft.“