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Weimarer Spiegelungen
Neue Zürcher Zeitung

Goethe-Nationalmuseum wiedereröffnet

3. Mai 1999 - Joachim Güntner
Das «Europäische Kulturhauptstadt-Jahr 1999» in Weimar war noch nicht offiziell eröffnet, da ereiferten sich die Stadt am Ettersberg, das Land Thüringen und die deutschen Feuilletons bereits über einen Skandal: Im Goethe-Nationalmuseum, das am 20. Februar, pünktlich zum offiziellen Auftakt und zugleich als Höhepunkt der Feierlichkeiten, seine Pforten wieder öffnen sollte, verzögerten sich die Umbauten. Unter erregten Missfallenskundgebungen musste die bauleitende Stiftung Weimarer Klassik eine Verschiebung des Termins auf den 1. Mai bekanntgeben.

Bei dieser auf zehn Wochen beschränkten Verspätung ist es zum Glück geblieben, so dass seit dem vergangenen Wochenende nicht mehr über Präliminarien gestritten wird, sondern das Ergebnis diskutiert werden darf. Auf einer mit 800 Quadratmetern eher kleinen Ausstellungsfläche präsentiert das sanierte und umgestaltete Nationalmuseum seine neue ständige Ausstellung, betitelt: «Wiederholte Spiegelungen». Nicht um die biographische Annäherung an Goethe geht es dabei, sondern um eine Perspektive auf die Weimarer Klassik und eine Beschwörung des lokalen Geistes jener Tage. Gerhard Schuster, der kommissarische Direktor des Hauses am Frauenplan, formuliert es so: «Aus der Sicht des Genius loci werden die Figuren entwickelt, zu denen neben Goethe vor allem Wieland, Herder und Schiller, aber auch Anna Amalia und zahlreiche Zeitgenossen gehören.»

Thematisch gegliedert in 24 Stationen, die Überschriften tragen wie «Friedrich Schiller revoltiert in tyrannos» oder «Goethe begräbt sein Zeitalter», ist die Ausstellung dem Prinzip verpflichtet, Historie zu inszenieren, sie «erlebbar» zu machen. Dazu wurden mehrere hundert Exponate aus dem Museumsfundus ausgewählt, dessen Grundstock die 50 000 Einzelstücke umfassende Sammlung Goethes zu Kunst und Naturwissenschaften bildet, der heute allerdings die doppelte Anzahl von Objekten umfasst. Wer beim neuen Goethe-Nationalmuseum an ein Literaturmuseum denkt, liegt falsch: Die Ausstellungsmacher gruppieren Handschriften mit naturwissenschaftlichen Präparaten oder Arbeitsmitteln; placieren unter die Büste der Anna Amalia deren Brautschuhe oder stellen einen kleinen, in Farbe und Dimension wahrhaft «goldigen» Napoleon zwischen die lebensgrossen Büsten deutscher Fürsten. Ein Handabguss der Frau von Stein fehlt ebenso wenig wie Schillers Totenmaske oder der präparierte Kaiman aus Goethes Sammlung. Antikenstatuen gemahnen an die ästhetischen Ideale der deutschen Klassik, und eine vergoldete Ritterrüstung aus dem Hoftheaterfundus zeigt, in welcher Kostümierung man damals den «Wallenstein» spielte.

Für «freche Momente» lobt Gerhard Schuster die Ausstellungskonzeption, und Kulturstaatsminister Michael Naumann hieb beim Festakt in die gleiche Kerbe, als er einer Befreiung der Klassiker aus kultischer Verehrung das Wort redete und dies im neuen Nationalmuseum realisiert fand. Vermutlich verblassen aber die Gefahren der missbräuchlichen Vereinnahmung Goethes, an die Naumann erinnerte, heute vor den Drohungen der Ignoranz. Und Musealisierung ist ein Weg, diese Ignoranz zu befördern. Kann man dem mit dem Mittel «Wiederholter Spiegelungen» begegnen? Mit seiner bewusst spielerischen Kombination des historischen Materials versucht sich das neue Goethe-Nationalmuseum als ein Museum ohne Musealisierungseffekte. Da spiegelt sich freilich nicht nur der Genius loci der Weimarer Klassik, sondern auch der aktuelle Zeitgeist einer erlebnisorientierten Museumspädagogik kräftig mit.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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