Artikel
In der Aufwärtsspirale
Definitive Projekte für die Bebauung von Ground Zero in New York
Ziemlich verhalten ist der Jahrestag der Katastrophe vom 11. September 2001 dieses Mal in New York vorübergegangen; die Frage «Wann haben wir genug getrauert?» dürfte nicht nur die «New York Times» gestellt haben. Auch Mayor Blumberg, der dem Gedenken schon immer seinen pragmatischen Optimismus zur Seite stellte, gab einmal mehr den Apologeten des Zukunfts-Vertrauens; er wurde dafür von den Hinterbliebenen der Gefühllosigkeit geziehen. Auch dass die Gedenkfeier dieses Jahr nicht am Ort der Tragödie, sondern – wegen der Bauarbeiten – aus Sicherheitsgründen in einem nahe gelegenen Park stattfand, löste Empörung aus. Doch war diese Ortsverlegung allem voran auch ein gutes Zeichen. Sie zeigt, dass es nun nach sechs Jahren des Beinah-Stillstands auf Ground Zero endlich vorangeht. Aus dem «heiligen Grund» ist ein lärmiges Bauloch geworden.
Gesamtbild des Hochhauskomplexes
Noch immer kommen täglich zweihundert Briefe an die Adresse «10048 World Trade Center». Inzwischen haben die meisten Firmen wohl ihre Adresskartei überholt; im Jahre 2003 waren es noch über dreitausend. Der Name bleibt, doch was er bezeichnet, hat mit den einstigen Zwillingstürmen nicht mehr viel zu tun. Bisher steht erst einer der geplanten fünf neuen Wolkenkratzer; die Detailentwürfe der Bürotürme Nummer zwei, drei und vier wurden letzte Woche pünktlich zum Jahrestag der Attentate der Öffentlichkeit präsentiert. Erstmals ist damit die Gesamtansicht des Hochhauskomplexes zu sehen.
Zusammen mit dem «Freedom Tower», der, ausgehend von Daniel Libeskinds Entwürfen, von David Childs vom international tätigen Architekturbüro SOM realisiert wird, sollen die Gebäude rund um die Gedenkstätte in der Mitte des Platzes ein spiralförmiges Ensemble bilden. Dazu zählt ein aus vier schlanken Türmen bestehender Skyscraper des britischen Architekten Norman Foster, dessen imposante dreistöckige Glas-Lobby den Blick auf das Mahnmal freigeben wird. Dieses besteht aus zwei in die «Fussabdrücke» der gefallenen Zwillingstürme eingelassenen quadratischen Brunnenbecken sowie einer unterirdischen Galerie, wo die Namen der Opfer in die Wand eingraviert werden sollen.
Fosters rhombenförmige, nach oben hin abgeschrägte Glas- und Stahlkonstruktion ist der vielleicht ambitionierteste der Entwürfe, wohingegen der eher minimalistische Tower 4 des japanischen Architekten Fumihiko Maki am stärksten an das Design der gefallenen Zwillingstürme gemahnt. Das Gebäude soll erklärtermassen «Sinn für Respekt und Würde» ausstrahlen. Auch der von dem Briten Richard Rogers entworfene Tower 3, der sich durch diagonale Streben an der Aussenhaut des Gebäudes und vier lange Antennen auf den Ecken des Daches auszeichnet, hat eine riesige Glas-Lobby, in der eine Wand aus Leuchtdioden einen 30 Meter breiten Display für Kunstwerke bieten wird.
Die Skyscraper auf Ground Zero werden zu den höchsten Bauten New Yorks gehören und der Skyline eine ganz neue Linie geben. Der «Freedom Tower», dessen Antennenspitze analog zum Gründungsjahr der Vereinigten Staaten die symbolische Höhe von 1776 Fuss aufweisen soll, wird darin die symbolische Trutzburg sein. Nachdem Daniel Libeskinds graziöser Entwurf von den Behörden für nicht sicher und von dem Investor Larry Silverstein – der zu geringen Bürofläche wegen – für nicht profitabel genug befunden worden war, engagierte dieser flugs seinen Haus-Architekten David Childs, der bekannt dafür ist, den Profit nicht der Ästhetik zu opfern. Libeskind hatte eine 221 Meter hohe Kristallspirale geplant, die auf einem rund 320 Meter hohen Bürohaus sitzt; sie sollte an den ausgestreckten Arm der Freiheitsstatue erinnern.
Lebendige Szene
Die Enthüllung der definitiven Entwürfe für die Wiederbebauung von Ground Zero ist in den Medien nahezu unkommentiert geblieben – viel zu oft sind die Pläne geändert und überholt, die Bauarbeiten verschoben und jeder Fortschritt in unproduktiven und unwürdigen Querelen erstickt worden. Immerhin wird der Grundriss des gesamten Gebäude-Ensembles Libeskinds Plänen weitgehend folgen. Mehr als sechshundert Bauarbeiter sind derzeit dabei, die Fundamente für die drei neuen Hochhäuser, die Gedenkstätte und den Grossbahnhof auszuheben; die Grundsteine für den «Freedom Tower» sowie für das Mahnmal und das Museum sind schon gelegt. Alle Wolkenkratzer werden klima- und umweltfreundlich ausgestattet und sollen bis etwa 2013 stehen.
Inzwischen hat sich der angeschlagene Süden Manhattans zu einer der lebendigsten Szenen für die betuchten Stände entwickelt. Die Luxusapartments am Battery Park sind begehrt und die Leerstandsrate bei den Büros im Finanzdistrikt ist geringer als vor dem 11. September 2001. Die Investmentbank Goldman Sachs wird ihr neues Hauptquartier in der Nähe von Ground Zero aufschlagen, der Konkurrent Morgan Stanley hat gleichfalls Büroflächen angemietet. BMW, Tiffany's und Hermès haben sich installiert, und auch das Nachtleben boomt. Für die lebendige Infrastruktur mit kleinen Läden und einem gemischten Publikum, die Mayor Blumberg in seinen Reden so gerne beschwört, wird hier freilich wenig Platz übrig sein. Es sieht so aus, als sei die einst totgesagte Südspitze von Manhattan wieder zu einer Hochburg des Finanzkapitals mutiert.
Futuristische Himmelsleitern
New York feiert Santiago Calatrava mit einer Retrospektive
Baum, Vogel, Auge, Frucht - der in Zürich tätige spanische Architekt Santiago Calatrava findet Form und Struktur für seine Gebäude in der Natur. Die Anatomie ist die wichtigste Quelle seiner vibrierenden Architektur, Skelett und Flügel sind die Hauptwörter seines stilistischen Vokabulars. Und so sehen auch seine Bauten aus, als seien sie permanent in Bewegung. Calatravas Entwürfe stellen eine Verbindung her zwischen Himmel und Erde, manche schweben am Horizont wie geblähte Segel.
Die elegante kleine Retrospektive im Metropolitan Museum in New York zeigt neben den architektonischen Miniaturmodellen auch Calatravas Skizzenbücher und Skulpturen; es ist seit 27 Jahren die erste Schau, die das Museum einem lebenden Architekten gewidmet hat. Calatravas Marmor- und Bronzeskulpturen sind so etwas wie künstlerische Vorentwürfe für seine Bauten. Man kann anhand dieser - an Brancusi erinnernden - Objekte den Übersetzungsvorgang studieren, in dem Natur in die Abstraktionen der Kunst und die künstlerische Essenz wiederum in eine die Natur imitierende Architektur umgewandelt wird. Besonders die schnellen Bewohner der Äste sind dem Künstler eine Quelle der Inspiration. Sein Flughafenbahnhof in Lyon (1994) war im ersten Vorentwurf ein Vogel aus Gold und Granit: die Skulptur «Bird 1» von 1986; die Konzerthalle in Teneriffa (2003) hat ihren Vorläufer in der Skulptur eines «entspringenden Blattes» von 1987.
Einem gestrandeten Riesenvogel gleichend, der auf Knopfdruck die Schwingen ausfährt, evoziert das Milwaukee Art Museum (2001) ein Echo aus vorsintflutlichen Zeiten und ist zugleich von radikaler Modernität. Der im Bau befindliche Umsteigebahnhof des World Trade Center zitiert die Anatomie eines Sauriergerippes und hebt gleichzeitig ab in eine urbane Vision, delikat und kraftvoll, sublim und extravagant zugleich. Die Alamilo-Brücke in Sevilla (1992) hat nicht nur die Seitenansicht einer gigantischen Harfe, sondern ist selbst so etwas wie eine ins Visuelle übersetzte Sphärenmusik. Besonders anhand der jeder Schwerkraft trotzenden Hochhausarchitektur aber geht einem auf, dass der Architekt eigentlich an einer Art futuristischer Himmelsleitern baut.
Wirken viele Wolkenkratzer wie in den Himmel gestemmt, so sind Calatravas Türme von berückender Transparenz. Einer Spirale gleich dreht sich der kürzlich vollendete Turning Torso in die Wolken von Malmö (NZZ 7. 10. 05), wie eine Treppe ins Blaue erklimmt der für New Yorks Lower East Side geplante 80 South Street Tower luftige Dimensionen. In Chicago plant der Architekt einen Apartment-Turm in Form eines Korkenziehers, der sich 115 Stockwerke in den Himmel schraubt. Sollte der Skyscraper am Lake Michigan realisiert werden, wird er das höchste Wohngebäude Amerikas und ein weiteres ambitioniertes Exempel des (besonders von Calatrava und Richard Meier beflügelten) Trends zum Schlafen in schwindelnden Höhen sein.
Die bemerkenswerte USA-Karriere des in Zürich ansässigen Architekten begann 1994 mit dem Auftrag zur Museumserweiterung in Milwaukee und führte über Chicago nach Downtown Manhattan, wo derzeit der Fernbahnhof des WTC entsteht. Die in puristischem Weiss gehaltenen Baldachine am Eingang des Bahnhofs sind bereits fertig gestellt; sie werden das Sonnenlicht bis zu zwanzig Meter tief in die Erde vorlassen und sind auch sonst der bisher einzige Lichtblick in dem Planungsdesaster, das Ground Zero zu einem offen gehaltenen Bauloch verdammt. Das filigrane Gewölbe auf dünnen Betonsprossen, das im Jahr 2008 fertig gestellt werden soll, scheint über dem Boden zu tanzen; bei schönem Wetter werden die Fenster sich öffnen, als ginge der Himmel auf.
[ Bis 5. März 2006 im Metropolitan Museum. Kein Katalog. ]
Südstaaten-Disneyland?
Urbanisten sorgen sich um New Orleans
Während in New Orleans die Aufräumarbeiten in vollem Gang sind und die Zahl der Opfer und der Umfang der Sachschäden nur geschätzt werden können, stellt sich für Stadtplaner und Architekten die schwierige Frage nach der Zukunft der Stadt. Kann ein neues, revitalisiertes New Orleans in dieser exponierten geographischen Gefahrenzone langfristig überleben? Welche Sicherheitsvorkehrungen können getroffen werden? Wie hoch müssen die Dämme sein, um eine Stadt, die zu grossen Teilen unterhalb des Meeresspiegels liegt, gegen die Fluten zu sichern? Und die wichtigste Frage: Wer will hier noch wohnen?
Wie lange die Rückkehr der evakuierten Einwohner dauern wird, vermag im Augenblick niemand zu sagen. Drei Monate? Ein halbes oder gar ein ganzes Jahr, wie einige Urbanisten befürchten? Bis dahin könnten viele Menschen woanders eine Bleibe und Arbeit gefunden haben. Amerika ist ein mobiles Land, Umziehen ein normales Ereignis im Leben eines Durchschnittsamerikaners. Angesichts all dieser ungeklärten Fragen fallen die Szenarien, die für die überflutete Stadt entworfen werden, denn auch noch sehr vage aus. Die Schreckensvision der Urbanisten ist eine Art New-Orleans-Revival, in dem die höher gelegenen und weitgehend verschonten Touristengebiete wie das berühmte French Quarter in Sightseeing-Resorts verwandelt werden, während man die am meisten betroffenen, weniger attraktiven Stadtteile, in denen zum grössten Teil Schwarze unter der Armutsgrenze lebten, dem sicheren Verfall überlässt. Dann bliebe von der Stadt, die neben San Francisco das umfangreichste architektonische Ensemble von Wohnhäusern aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert verfügt, nur ein Zitat übrig: ein Disneyland für Südstaaten-Nostalgiker.
In jedem Fall gehen die Stadtplaner davon aus, dass New Orleans nicht mehr die geographische Ausdehnung und die Einwohnerdichte erreichen wird, die es einmal hatte. So kursiert unter Architekten das Szenario einer schrumpfenden Stadt, in der die Erhaltung und Restaurierung historischer Fassaden den Vorrang hat vor jeder anderen urbanen Vision. Ein Ort, der allein an seiner Musealisierung arbeitet, aber ist ein toter Ort. Sollte die Stadt dennoch in grossen Teilen wieder bewohnbar werden, sehen Urbanisten die akute Gefahr eines schnellen, billigen und improvisierten Wiederaufbaus. Denn wer nah am Ufer baut, muss entweder ein Bollwerk errichten oder den drohenden Verlust von vornherein möglichst gering halten. Und während derzeit noch fieberhaft daran gearbeitet wird, die Infrastruktur mit Elektrizität, Kanalisation und befahr- wie begehbaren Verkehrswegen wiederherzustellen, ist eines schon sicher: New Orleans wird nie mehr so aussehen wie vor der Flut.
Ideenschmiede am Mississippi
Das spektakuläre neue Walker Art Center in Minneapolis
Das Walker Art Center in Minneapolis ist seit den sechziger Jahren eine der innovativsten und kreativsten Ideenschmieden der USA. Durch den von Herzog & de Meuron entworfenen Museumsanbau ist es nun auch von aussen so aufregend, wie es von innen schon immer war - eine geglückte Symbiose aus dem strengen Geist der klassischen Moderne und dem freieren Atem eines unbefangenen zeitgenössischen Temperaments.
«Ich fliege nach Minneapolis», habe ich Doug im Aufzug erzählt, und er: «O, Minneapolis - fun city.» Das klang ironisch, obschon Doug zur Ironie nicht neigt. Schon gar nicht, wenn es um «fun» geht, dieses Hauptwort unserer nachbarschaftlichen Kommunikation. Meine andere Nachbarin, Jodie, kommt aus Minneapolis, und so habe ich sie um Auskunft gebeten. «You will have fun», schrieb sie mir zurück, dass Minneapolis ein tolles Nachtleben habe, die Suburbs zu meiden seien und ich einen Regenschirm einpacken solle. Das Hotel, das mir Jodie ans Herz legte, ist berühmt bei Hochzeitsreisenden, und einen Moment lang habe ich tatsächlich mit dem annoncierten «romantischen Blick auf den majestätischen Mississippi-River» geliebäugelt. Meine Recherche in der Reiseabteilung der Buchhandlung Barnes & Noble war dann allerdings nicht sehr vielversprechend: jede Menge Führer zum Wandern und Campen in Minnesota, diesem mit zehntausend Seen gesegneten Gliedstaat im Norden der USA. Doch die Kapitel zu seiner Hauptstadt fielen eher schmal aus. Offenbar reisen nicht viele Leute von New York aus in die «Twin City». Dafür gibt es täglich Billigflüge von Frankfurt am Main. Minneapolis hat die grösste Shopping-Mall der Welt.
Wolkenkratzer und Autobahnen
Es gibt bessere Gründe, die Zwillingsstadt zu besuchen. Zum Beispiel das Walker Art Center, das eines der zehn meistfrequentierten Museen Amerikas ist. Von oben sieht Minneapolis eher grün aus, so grün, dass man sich sogleich der entmutigenden Wetterprognosen entsinnt. Die Anfahrt vom Flughafen St. Paul (das ist der andere Teil der «Zwillingsstadt») nach Downtown Minneapolis führt durch die übliche Wüstenei aus Tankstellen, Billig-Motels, Taco-Ketten und Pizza Huts. Es gibt amerikanische Städte, und Minneapolis gehört dazu, da nimmt die Vorstadt kein Ende. Das Hotel offeriert statt des romantischen Mississippi-Blicks ein Panorama der Skyline; sie sieht ganz genauso aus wie eine der anderen typischen amerikanischen Städte mit 400 000 Einwohnern und riesigen Ausfallstrassen: eine groteske Mixtur aus frühem Industriedesign und klotzigen Wolkenkratzern, gesichtslosen Wohnkästen und neobarocken Kirchen. Wo einstmals die legendäre Hennepin Avenue die frühe Blüte des Kapitalismus in eleganten Warenhäusern ausstellte, hat die vierspurige Autobahn eine brutale Schneise in die Stadt geschlagen. An ihrem Ufer thront, nein: schwebt das Walker Art Center.
Thronen und schweben - dass solches zusammengeht, ist das Werk von Herzog & de Meuron: Das Basler Architektenduo hat dem grimmigen Backsteinbau von Edward Larrabee Barnes einen luftigen Anbau beschert. Es ist nach der Dominus Winery im Napa Valley das erste grosse Projekt der Schweizer Designer auf amerikanischem Boden; nächsten Herbst soll auch das New de Young Museum in San Francisco fertig werden. «The über-hip Euro-guys» («Newsweek»), die 2001 den renommierten Pritzker-Preis erhalten haben, gelten in den USA als «sexy» und «hot»; ihre Reputation stand ihnen hier allerdings anfangs eher im Weg. Das Walker hält sich viel darauf zugute, eine Brutstätte der Avantgarde zu sein.
Eiskubus für die Eisstadt
Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die für dieses Projekt mit ihrer Partnerin Christine Binswanger zusammengearbeitet haben, schienen dem Chefkurator Richard Flood (wie er der «New York Times» anvertraute) anfangs gar «gemütlich with us, too soon». Von Gemütlichkeit kann allerdings keine Rede sein; «einen grossen Eiskubus für die Eisstadt» nannte Herzog selbst diese Kreation.
Der hie und da aus den Fugen ausscherende quadratische Korpus, der an einer Stelle frei schwebend über die Strasse ragt, steht in apartem Kontrast zu der gestrengen Festung des Ursprungsgebäudes, dessen pflaumenfarbener Backstein im Boden des Neubaus wieder aufgenommen wird. Das ist mehr als bloss ein Zitat: nämlich die bis ins Detail gehende quasi-organische Verbindung zweier Extreme. Die Aussenhaut des Erweiterungsbaus besteht aus einem silbrig schimmernden Aluminium; seine fragile Struktur reflektiert das ständig wechselnde Wetter. Wenn es bedeckt ist, ist er vom Himmel beinahe nicht zu unterscheiden.
92 Millionen Dollar hat die Expansion des Zentrums gekostet, eine geglückte Symbiose aus kompromissloser Moderne und einem verspielten, dem Dekorativen huldigenden Temperament. Sehr schön kehrt diese Kombination auch im Inneren wieder, wo eine labyrinthische Anlage und verschachtelte Treppenaufgänge die Undurchlässigkeit des alten Gebäudes akzentuieren und zugleich ständig auf neue Räume öffnen. Das passt zu dem innovativen Geist, dem sich das Walker seit je verpflichtet fühlt - dem Impuls, den verschiedenen Künsten ein Forum für Experimente und Interaktionen zu bieten. Neben den funktional und schlicht gehaltenen Galerien, Video-Nischen und einem Konferenzraum mit spektakulärem Blick auf die ferne Skyline beherbergt das Museum ein Feinschmeckerrestaurant, das von dem zum Kunst-Gastronomen avancierten Starkoch Wolfgang Puck betrieben wird.
Die asymmetrischen, zum Teil bis auf den Boden gezogenen Fenster, die der Chefkurator mit «Schnitzeln» verglich, holen mit ihren Aussichten die Stadt ins Haus; zugleich gewinnt man durch sie auch einen Einblick von aussen. Überhaupt scheint die Inversion eines der Grundprinzipien dieses Neubaus zu sein; das florale Muster des weissen Gitterschmucks in der Eingangshalle kehrt - in Form von schwarzen Reliefs - im dunklen Bauch des Museums wieder: Sieht das Gebäude von aussen aus wie von knitternder Seide, so haben die Stahlwände des Theaters die Struktur von durchbrochenem Samt. Selbst die Einfahrt zur Tiefgarage hat den Charakter einer Lochstickerei. Jacques Herzog ist der Sohn einer Schneiderin.
Multimediales Gesamtkunstwerk
Das Unangestrengte dieses Designs gibt den Räumen den freien Atem, den es für eine Ideenschmiede braucht. Weit abgelegen von den Bastionen der Kunstwelt an der Ost- und Westküste, ist das Walker Art Center eine der ambitioniertesten Kulturinstitutionen der USA. Seine systematisch aufgebaute Sammlung enthält die ersten Kreationen des Minimalismus, der Pop-Art und der Arte povera; sie umfasst Fluxus und abstrakten Expressionismus, Videokunst und die Grossmeister der zeitgenössischen Fotografie. Vor allem aber ist das Walker bekannt für seine spartenübergreifenden Produktionen, die Geburt des multimedialen Gesamtkunstwerks aus dem Geist der Kooperation. Film und Theater, Tanz und bildende Kunst sind hier schon immer eine inspirierende Liaison eingegangen. Merce Cunningham und John Cage haben an diesem Ort in den sechziger Jahren gemeinsam experimentiert, und Jasper Johns hat ihnen die Bühnenbilder geschaffen; Janis Joplin und Led Zeppelin sind hier ebenso aufgetreten wie Philip Glass.
Der neue Erweiterungsbau bietet nun die Möglichkeit, den Schatz im Depot auch zu zeigen. In sieben sorgfältig komponierten Sonderausstellungen sind über 300 Stücke der ständigen Sammlung zu sehen. Besonders überzeugend ist die Gegenüberstellung zweier «Quartette», die mit Robert Motherwell, Joan Mitchell, Ellsworth Kelly und Jasper Johns auf der einen Seite und Matthew Barney, Sherrie Levine, Kara Walker und Robert Gober auf der anderen zwei Generationen von Künstlern in einen überraschenden Dialog verwickelt.
Der Dialog ist denn vielleicht überhaupt das Stichwort - das neue Walker ist dazu angetan, zu einem Publikumsmagnet zu werden, in dem Kommunikation gross geschrieben wird. Man muss die allgemeine Tendenz zum musealen Erlebnispark nicht in allen Fällen begrüssen. Doch für eine Stadt wie Minneapolis, in der die Strassen seit dem Bau der riesigen Shopping-Mall noch leerer sind als in anderen amerikanischen Städten, ist die Hoffnung auf ein soziales Zentrum nur allzu nachvollziehbar - zumal es sich, was das Programm angeht, nicht mit Zugeständnissen an die Spassgesellschaft kompromittiert. Doch Spass darf sein. In einer Nische wartet ein Leinwand-Delphin auf das Gespräch. Wer eine Frage hat, kann sie in den Computer tippen. Das zweidimensionaler Säugetier, dem man in natura nachsagt, menschenfreundlich und intelligent zu sein, ist in der Tat erstaunlich gewitzt; fast ist man geneigt, einen Animateur hinter der Leinwand zu orten. Woher er so viel wisse, habe ich den Delphin schliesslich gefragt. «Ich verbringe den ganzen Tag im Walker Art Center», hat er geantwortet. «It's fun!»
Was bleibt?
Anhaltende Querelen um Ground Zero
27 Monate nachdem Daniel Libeskinds Pläne für den New Yorker «Freedom Tower» ausgewählt wurden, 17 Monate nach ihrer Überholung durch David Childs und ein knappes Jahr nach der Grundsteinlegung steht auf Ground Zero wieder alles zur Disposition. Im vergangenen Monat hat die Polizei plötzlich Sicherheitsbedenken an Libeskinds «Freiheitsturm» angemeldet. Nach Angaben der für den Wiederaufbau zuständigen städtischen Kommission wird sich der Bau des 533 Meter hohen Wahrzeichens nun voraussichtlich bis mindestens 2010 verzögern; manche fürchten gar eine komplette Neuüberholung aller Bebauungspläne für das Gelände. Das wichtigste und umstrittenste Bauprojekt der letzten Jahre droht in einem Chaos aus politischen Ränkespielen und privaten Interessen zu versinken.
Erst Anfang des Monats ist der für die Durchführung der Bebauung zuständige Präsident der Lower Manhattan Development Corporation überraschend zurückgetreten - ausgerechnet in einem Augenblick, wo sich die schlechten Nachrichten für den um Monate hinter den ursprünglichen Plänen zurückliegenden Wiederaufbau von Ground Zero überstürzen. So tritt der von New Yorks Gouverneur George Pataki letzte Woche neu ins Amt berufene Koordinator John Cahill denn einen schwierigen Job an. Kürzlich hat die Investmentbank Goldman Sachs ihre Pläne, nahe Ground Zero ein neues Hauptquartier für rund zwei Milliarden Dollar zu bauen, aus Sicherheitsgründen zurückgestellt. Eine Quelle der Sorge ist der für die West Street geplante Tunnel, ein Projekt, das mit dem Rückzug von Goldman Sachs nun wieder zur Disposition steht. Die Bedenken der Firma blieben nicht ohne Konsequenz für Libeskinds 70-stöckiges Freiheitssymbol. Nach den ursprünglichen Plänen steht es nur 7 Meter von der stark frequentierten West Street entfernt - und ist damit eine potenzielle Zielscheibe für terroristische Anschläge durch Autobomben. Nun soll der Turm um 35, wenn nicht 70 Meter versetzt werden und überdies kleiner ausfallen, ausserdem wurden dickeres Glas und stärkere Mauern gefordert. Wie das Gebäude letztlich ausfallen wird, weiss im Moment also keiner.
Auch sonst ist die Zukunft der gigantischen Baustelle, die noch immer wie ein nicht zu Ende planierter Parkplatz aussieht, weitgehend offen. Der Immobilienunternehmer Larry Silverstein, der als Pächter des zerstörten World Trade Center an der Bebauung des Areals federführend beteiligt ist, soll für sein 52-stöckiges Hochhaus direkt neben der Baugrube bis anhin erst einen Mieter gefunden haben - seine eigene Firma. Ohne Mieter aber könnte das ganze Projekt zu einem gigantischen Zuschussgeschäft für den Staat werden. So geht das Gerücht, dass Pataki und Bürgermeister Bloomberg nach einem Anlass suchten, um Silverstein, der das sechseinhalb Hektaren grosse Gelände von der Stadt für 99 Jahre gepachtet hat, zu entmachten und die Planung der staatlichen Behörde Port Authority zu übertragen.
Die von Silverstein gerichtlich erstrittene, 4,6 Milliarden Dollar hohe Versicherungssumme für das WTC reicht für die Wiederbebauungskosten jedenfalls bei weitem nicht aus, sie werden inzwischen auf insgesamt 12 Milliarden Dollar veranschlagt. Der Rest muss über Kredite und Subventionen finanziert werden. Das hat besonders für die geplanten kulturellen Institutionen erhebliche Konsequenzen. So steht das Schicksal des Performing Art Center, für das Frank Gehry verpflichtet wurde, sowie des von Santiago Calatrava geplanten Kulturzentrums noch in den Sternen; auch über das Design des Memorials für die Toten des 11. September 2001 herrscht weiterhin Unklarheit. Gestern ist immerhin der Entwurf für das neue Museum bekannt gemacht worden, in dem das International Freedom Center und das Drawing Center untergebracht werden sollen. Verantwortlich für das Design ist die norwegische Firma Snohetta.
Inzwischen hat sich auch der Immobilien- Mogul Donald Trump in gewohnt lautstarker Manier als Bauherr empfohlen; das Design des Freedom Tower, erklärte der Milliardär der «New York Post», sei ohnehin eine «Idee von Eierköpfen». Trump hat auch schon Gegenvorschläge zu dem «architektonischen Schrott» von Libeskind vorgelegt: Das alte World Trade Center soll nahezu originalgetreu wieder aufgebaut werden, nur eben «höher, stabiler und besser». Wie immer man zu der Ästhetik der Twin Towers von Yamasaki stehen mag, das Trauma der Attentate würde durch ihre Wiedererrichtung nicht ausgelöscht, sondern verewigt. Doch für solche Zimperlichkeiten hat Trump bekanntlich wenig Verständnis.