Tanz um Bäume

Grünfassade trifft auf Naziarchitektur: Wie soll das Haus der Kunst in München saniert werden?

Gabriele Detterer
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Diskret dämpft ein je nach Jahreszeit unterschiedlich dichter Vorhang von Lindenbäumen die Sicht auf das Haus der Kunst – doch David Chipperfield möchte sie fällen lassen, um den martialischen Bau besser sichtbar zu machen. (Bild:PD)

Diskret dämpft ein je nach Jahreszeit unterschiedlich dichter Vorhang von Lindenbäumen die Sicht auf das Haus der Kunst – doch David Chipperfield möchte sie fällen lassen, um den martialischen Bau besser sichtbar zu machen. (Bild:PD)

Es ist eine ganz gewöhnliche Baumreihe, die derzeit das Augenmerk auf einen historisch belasteten Monumentalbau lenkt: das Haus der Kunst an der Münchner Prinzregentenstrasse. Das einstige Museum für nationalsozialistische Kunst zählte zu Hitlers Lieblingsbauten und wurde 1937 pompös mit der «Grossen Deutschen Kunstausstellung» eröffnet. So gesehen ist das von Paul Ludwig Troost entworfene, neoklassizistisch verbrämte Gebäude ein Mahnmal für zivilisationsfeindlichen, zerstörerischen kollektiven Wahnsinn.

Sichtbarmachung als Prinzip

Heute dämpft ein je nach Jahreszeit unterschiedlich dichter Vorhang von Lindenbäumen diskret die Sicht auf den Bau. Nicht dunkle Geschichte, sondern Gegenwartskunst steht seit langem in den Sälen des Museums im Mittelpunkt. Längst überfällig war die Sanierung des Gebäudes, als der durch seine Museumsbauten berühmt gewordene Londoner Architekt David Chipperfield im vergangenen Jahr mit der Planung und Durchführung dieser heiklen Aufgabe betraut wurde. Nicht nur mit Reparaturen und Instandsetzung, sondern auch mit einer Neuorganisation will Chipperfield das Haus der Kunst für den Ausstellungsbetrieb der Zukunft fit machen.

München hat mit Chipperfield eine gute Wahl getroffen. Schlagworte wie «Form matters» und «cool classic revival» bestimmen die Entwurfspraxis des Briten. Wie das 2006 von ihm realisierte Literaturmuseum Marbach zeigt, versteht es Chipperfield, den Klassizismus durch eine verschlankte und elegante, minimale Formensprache zu erneuern. Auch mit der ergänzenden Rekonstruktion des Berliner Neuen Museums (2009) bewies Chipperfield, wie sich Architekturerbe, Zeitenlauf und zeitgenössisches Bauen vereinen lassen, ohne Spuren historischen Unheils zu verkleistern. Sichtbarmachung als Prinzip von Rekonstruktion und Sanierung gilt dem Architekten als Leitmotiv. So einfach aber lässt sich dies nicht umsetzen, wenn es um einen ehemals nationalsozialistischen Kulturbau geht.

Freie Sicht gefällt nicht jedem

Viel Wind regte sich im Blätterwald, als bekanntwurde, dass Chipperfield den äusseren Ursprungszustand des Monuments wieder weithin sichtbar machen will. Das bedeutet: Die schönen Linden, welche die 175 Meter lange Fassade beschirmen, sollen verschwinden. Chipperfields Argumente hierfür lauten zum einen, die Bäume seien ein «Feigenblatt», um die «unbequeme physische Präsenz» der Vergangenheit zu verdecken. Zum andern gehöre es zu den Aufgaben einer Kultureinrichtung, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Das mag stimmen. Doch der erwogene Kahlschlag erntet auch berechtigte Kritik. Opposition kommt von Naturfreunden, die schon einmal, wie Aktionen der letzten Jahre zeigten, Baumkronen besetzen, um Baumstämme vor Axt und Säge zu bewahren. Auf Ablehnung stösst er bei denjenigen, die es nicht gutheissen, wenn Naziarchitektur wieder allzu sichtbar wird.

Zugunsten der Bäume wird weiter darauf hingewiesen, dass Troost einst Bäume vor die Säulenfassade zeichnete. Den Grünwuchs soll dann Hitler höchstpersönlich verhindert haben. Was also ist letztlich als Ursprungszustand des Bauwerks zu betrachten? Ob sich Chipperfield angesichts der Proteste mit den Bäumen arrangieren wird, bleibt offen. Er weist darauf hin, dass sie auf öffentlichem Grund stehen und somit der Landeshauptstadt München gehören, und lässt verlauten: «Unser Vorschlag war und ist auch eine bewusste Provokation, die schon jetzt ihren Zweck erfüllte. Es wird engagiert diskutiert. Das ist ein guter Anfang für ein öffentliches Projekt.» Doch der Tanz um Bäume dürfte nur ein Vorspiel sein, denn das Sanierungsprojekt befindet sich noch in der Planungsphase.