Häuser und Beziehungen

Für die Integration von Flüchtlingen und Migranten in unseren Städten gibt es keine einfachen Rezepte. Ethnisch homogene Nachbarschaften können sich genauso bewähren wie gemischte Wohnquartiere.

Robert Kaltenbrunner
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Wie eine neue Variante der Plattenbausiedlungen – in Berlin sind rund sechzig Standorte für Containerdörfer zur Unterbringung von Flüchtlingen geplant. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)

Wie eine neue Variante der Plattenbausiedlungen – in Berlin sind rund sechzig Standorte für Containerdörfer zur Unterbringung von Flüchtlingen geplant. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)

Man muss nicht gleich das grosse Wort vom «Kampf der Kulturen» in den Mund nehmen. Gleichwohl befeuert die Flüchtlingsproblematik höchst emotionale Debatten – zumindest in Deutschland. Der Soziologe Karl Otto Hondrich hat einmal beklagt, dass wir in «unserem Bemühen, immer nur zu integrieren und jede Desintegration zu verteufeln, das Gespür für die konstitutive Spannung zwischen den beiden verloren» haben. Tatsächlich scheint heute generell eine Politik der guten Absichten vorzuherrschen, die der Sache nicht immer dienlich ist, weil sie Unterschiede verwischt. Denn so seien Kulturen nun einmal: «Als wertgeladene Lebensformen sind sie vom Vorzug ihrer selbst – im Vergleich zu anderen – durchdrungen.»

Das Schliessen der Balkanroute mag bewirkt haben, dass die Empörungsrufe leiser wurden. Dennoch bleibt die Doppelfrage von Migration und Integration virulent. Mit guten Gründen wird von interessierter Seite dringend für eine Beschränkung der massenhaften Zuwanderung nach Europa plädiert. Diese Forderung darf freilich den Blick auf den Status quo nicht verstellen: Was tun mit den Migranten, die schon hier sind? Womit unmittelbar die Frage nach dem gesellschaftlichen Miteinander in bestimmten Räumen aufgeworfen ist. Natürlich muss ihre mögliche Integration vornehmlich über die Sprache, die (Aus-)Bildung und den Arbeitsmarkt erfolgen. Aber die Flüchtlinge müssen zunächst einmal unterkommen. Das meint indes nicht nur ein vorübergehendes «Dach über dem Kopf», sondern ein «Zuhause» – und sei es bloss temporär.

Wie wird man heimisch?

Heute wird im Allgemeinen eine gezielte räumliche Durchmischung in der Stadt postuliert: als Massnahme gegen soziale Abschottung, gegen Ghettos, Gewalt und Ausgrenzung. Aus der gemeinsamen Anwesenheit in einem wie auch immer gearteten Raum soll sich gleichsam ein «common ground» ergeben mit geteiltem Grundkonsens, gegenseitigem Verständnis und Toleranz. Doch sind solche Annahmen belastbar? Ist es nicht schon im Menschsein angelegt, dass wir am liebsten mit unseresgleichen zusammen sind? Warum drängen die Türken nach «Klein-Istanbul» in Berlin oder die Chinesen nach New Yorks Chinatown, anstatt sich in einem ausgewogenen Mischungsverhältnis zu assimilieren? Ein bestimmtes Mass an Segregation hat und braucht jede Gesellschaft. Und indem die Stadt die verschiedenen Milieus in verschiedene Räume sortiert, übersetzt sie soziale und kulturelle Distanzen in räumliche Distanzen. Eigenarten bleiben erhalten, aber die Möglichkeit von Konflikten wird verringert, indem Fremdheit und Andersartigkeit aus der Wahrnehmung ausgeklammert wird.

Allein, diese Balance muss immer wieder neu ausgehandelt werden. Zumal das Wechselspiel von Homogenität und Heterogenität ein zentrales Leitmotiv städtischer Entwicklung überhaupt darstellt. Und Segregation wird dann nicht als Problem gesehen, wenn sie ohne Zwang erfolgt und Personen ähnlichen Lebensstils oder verwandter Milieus in einem Wohngebiet vorherrschen. Gebiete jedoch, in denen Zuwanderer in hoher Anzahl leben, werden gern als Ausdruck bewusster Desintegration gewertet. Dahinter steht die normative Annahme, dass soziale Mischung gut sei, ethnisch homogene Stadtteile aber ein Problem. Zusammengehörigkeit und Abgrenzung bilden jedoch keinen Gegensatz, sondern eine Art kommunizierende Röhre.

Auf individueller Ebene ist die Frage der Integration diejenige nach gelingender Nachbarschaft. Denn diese bedeutet Nähe – zwar nicht notwendig persönliche Nähe, sondern zunächst nur eine räumliche. Aber auch damit muss man umgehen. Beim Wohnen ist jeder in seinem unmittelbaren Refugium betroffen. Weil Nachbarn einander auf der Pelle sitzen, unterliegt ihre Beziehung prinzipiell einer Dynamik. Und ein ungerührtes Nebeneinander scheint eher die Ausnahme denn die Regel. Mit anderen Worten: Soziale Netzwerke erweisen sich als stärker, wenn Lebensstil und ökonomischer Status sich ähneln. In eine ähnliche Kerbe schlägt der kanadische Journalist Doug Saunders: In seinem Buch «Arrival City» betrachtet er vermeintlich schlechte Stadtviertel aus der Perspektive der Ankommenden, für die diese Quartiere oft das Sprungbrett zum Aufstieg darstellen. Hier hilft man sich – weil man sich kennt, die gleiche Sprache spricht, die Herkunft oder ein ähnliches Schicksal teilt –, gibt sich Kredit und Tipps. Und damit können tendenziell homogene Viertel auch ein Schlüssel zur Integration sein.

Containerdörfer

In jedem Fall aber ist die Wohnsituation mitentscheidend für den Integrationserfolg. Was ist davon zu halten, dass die quantitative Dimension des Flüchtlingsproblems – nicht nur in Deutschland – Tendenzen befördert, erneut geschlossene Siedlungsgebilde, zumeist in der Peripherie, zu errichten? Eine Art Banlieue, in die alles abgeschoben wird, was man in der guten Stube der Stadt nicht recht haben will? In Berlin etwa sind rund 60 Standorte für Modularbauten und Containerdörfer zur Unterbringung von Flüchtlingen geplant – und das liest sich wie eine neue Variante der Plattenbau-Grosssiedlungen.

Die dem Wohnungsbau der jüngeren Zeit inhärente Tendenz zu Exklusion wirft zudem eine weitere Grundsatzfrage auf: Der Mensch als wohnendes Individuum befindet sich in einem stetigen Spannungsfeld zwischen dem Rückzug in die Privatsphäre und der Öffnung nach aussen, zwischen dem Bedürfnis nach Schutz und dem nach Kontakt, zwischen kontemplativen und kommunikativen, auf Geselligkeit gerichteten Phasen. Die baulich-räumlichen Gegebenheiten von Wohnung und Umfeld sollten diesem komplizierten Wechselverhältnis Rechnung tragen. Doch wie weit ist es damit her?

Funktionierende Nachbarschaften, die sowohl das Mit- als auch das Nebeneinander zulassen, sind Ergebnis langer Prozesse und unterschiedlich intensiv gewachsener Sozialbezüge. Wer glaubt, dass diese Form des urbanen Lebens leicht reproduzierbar sei oder dem urbanen Leben an sich innewohne, täuscht sich. Per se ist die «soziale Mischung» weder ein taugliches Instrument der Armutsbekämpfung, noch stellt sie den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sicher. Solange sie nicht gesamtstädtisch gedacht und mit einer veränderten Wohlfahrts- und Sozialpolitik kombiniert wird, läuft sie ohnehin ins Leere.

Ankommen in der Stadt

All das heisst nun freilich nicht, man solle nichts tun. Eine Alternative zur «sozialen Mischung» ist nicht in Sicht. Das Dilemma jeder Gesellschaftspolitik heute ist doch, dass sie es mit selbstgeschaffenen, aber oft nicht so gewollten Wirklichkeiten zu tun hat. Längst ist Politik nicht mehr – wie in der Entstehungsphase des Sozialstaates – Korrektur privatwirtschaftlich bedingter Versorgungsdefizite. Vielmehr ist sie im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit den Folgen vorgängiger Politik. Ganz evident im Bereich des Wohnens, wo der Bestand an gemeinnützigen Wohnungen nicht schnell genug wächst, um noch als Teil der gesellschaftlichen Integrationsleistung dienen zu können.

Stadtplanung also hat – immer noch oder schon wieder – eine nicht zu unterschätzende Rolle. Doch braucht sie ein Bewusstsein, dass die räumliche Durchmischung oder materielle Aufwertung von Quartieren weder von heute auf morgen passiert noch automatisch soziale Probleme löst. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist viel zu komplex, als dass sie gezielt geplant werden könnte. Gleichwohl bleibt es unsere Aufgabe, räumliche Bedingungen zu schaffen, die notwendige oder wünschenswerte Entwicklungen eher unterstützen. Denn alle Bauten weben mit an dem Stoff, aus dem die Gesellschaft ist.