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Diese Architektur will ein Ereignis sein

Die Drehung bringt Licht in die Wohnungen im Basler Transitlager, führt aber auch zu verlorenem Raum. Foto: Maris Mezulis

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Rem Koolhaas: Der Name wird in der Schweiz oft mit grossen Augen genannt, aber auch mit einem Nasenrümpfen. Intellektuell können dem niederländischen Architekten, Theoretiker, Kurator und ehemaligen Journalisten in der Branche wenige das Wasser reichen. Doch architektonisch gehen manche auf Abstand zum Berufsprovokateur, der mit seinen Bauten lustvoll mit den Konventionen bricht. Zu konzeptionell, zu ortsfremd, zu wenig aus der Tradition gedacht.

Dabei steht eines seiner frühen Werke in der Schweiz: 1991 baute Koolhaas das Hotel Furka Blick um und ergänzte das einfache Haus um einen technoiden Eingang. Seither blieb ihm die Schweiz verwehrt, obwohl er es immer wieder versucht hat. 1995 hat er für den Flughafen Zürich, 1996 für die UNO in Genf, 2004 für die EPFL in Lausanne und 2009 für das Kunstmuseum in Basel entworfen. Alles blieb auf dem Papier. In die Schweiz reiste Koolhaas dreissig Jahre lang nur, um seine Ferien zu verbringen.

Doch nun bauen immerhin seine Jünger in der Schweiz, von denen es viele gibt. Einer der bekanntesten heisst Bjarke Ingels. In seinem Büro BIG entwirft der Däne eine Architektur der grossen Gesten, die ihm in den Architekturblogs regelmässig fette Schlagzeilen garantieren. In Kopenhagen baute er einen 8-förmigen Wohnblock, das dänische Maritime Museum grub er unter die Erde ein, und den Serpentine Pavillon in London würfelte er letztes Jahr aus Tausenden von Glasfaserboxen zusammen. Gewöhnlich kann Bjarke Ingels nicht. Architektur muss bei ihm immer passieren. Bauen als Ereignis.

Die Bautradition wird ignoriert

Nun mischt BIG mit dem Transitlager in Basel die Schweizer Architekturszene auf. Zackig schliesst das Gebäude den Freilager-Platz auf dem Dreispitz-Areal ab. Im Sockel aus den 1960er-Jahren lagerten bis 2005 Chevrolets und Jaguars. BIG machten aus dem Lagerraum Büroraum und stockten den Bestand um drei Wohngeschosse auf, die um 45 Gad verdreht vor und zurück springen. Die Drehung bringt Licht in die Wohnungen. Sie widerspricht aber der Logik des Bestandes, führt zu verlorenem Raum und ignoriert munter die Bautradition. Dazu passen die Glasfaserplatten, die den Aufbau verkleiden; ein Material, das in der Schweiz noch nie an einer Fassade hing.

Im Transitlager steckt viel Koolhaas. Doch während seine Projekte die Umgebung gerne negieren – «Fuck context» ist ein berüchtigter Ausspruch von ihn –, passt das Gebäude auf den Dreispitz. BIGs grobe Geometrien sind zwar unschweizerisch, fügen sich aber in den industriellen Kontext ein. Schon Herzog & de Meuron, die einst den Masterplan für den Dreispitz entworfen haben, schlugen mit ihrem Betonskelett beim Helsinki-Gebäude gegenüber wuchtige Töne an. Ganz zu schweigen vom Roche-Turm, mit dem die Basler Architekten den Massstab der Stadt sprengten. In der Architekturhauptstadt der Schweiz mag man grosse Gesten.

Das Transitlager ist das erste, aber nicht das letzte Gebäude von BIG in der Schweiz. Bis 2018 baut das Büro für die Luxusuhrenmarke Audemars Piguet im waadtländischen Le Brassus ein Hauptquartier als Spirale und ein Hotel entlang einer Rampe. Ein weiteres Büro aus dem Dunstkreis von Rem Koolhaas, das ins Bauparadies Schweiz schielt, versteckt sich hinter dem Kürzel MVRDV. Das Büro aus Rotterdam hat ebenfalls am Wettbewerb für das Transitlager mitgemacht und für SRF in Zürich-Leutschenbach eine Testplanung gezeichnet. Derzeit bauen die Architekten in Emmenbrücke ein Hüslikonglomerat, das wie ein Dichtestresstest für die ländliche Schweizer Seele daherkommt.

Auch in den Köpfen mancher Schweizer Kollegen haben sich Koolhaas' Ideen festgesetzt. Holzer Kobler kreuzten 2013 auf dem Suurstoffi-Areal in Zug Material und Farben à la MVRDV. Richter Dahl Rocha stellten 2014 mit ihrem Konferenzzentrum auf dem EPFL-Campus den rechten Winkel schonungslos infrage. Und Nord Architekten stapelten 2015 in Bern-Brünnen Glasriegel zu einem Hofhaus, das den Kontext ähnlich radikal ignoriert wie Koolhaas.

Das Ende des Minimalismus

Die Koolhaas-Schüler sind hierzulande also auf dem Vormarsch. Das hat viele Gründe. Die Zeit des Schweizer Minimalismus, den Herzog & de Meuron, Peter Zumthor oder Roger Diener geprägt haben, scheint endgültig vorbei zu sein. Eine Antwort darauf sind Gebäudeformen, die das Klischee der Swiss Box lautstark widerlegen. Diese Radikalität des Neuen grenzt die Bauten ab gegen eine Allerweltsästhetik. Eine solche Architektur des Aufhebens nützt sich aber rasch ab und widerspricht oft einem sorgfältigen Weiterbauen.

Die Entwicklung hat mit wirtschaftlichem Selbstdarstellungseifer zu tun. Die koolhaasschen Projekte sind plakativ. So lassen sie sich gut verkaufen – auch jemandem, der wenig von Architektur versteht. Die Schweiz ist ein Land, in dem die angepasste Baukultur, der diskrete Urbanismus, die Einbettung in den Kontext hochgehalten werden. Doch diese Bescheidenheit ist für gewisse globale Firmen eine überholte Tugend. Die PR-Abteilungen lechzen nach Wow-Architektur, auch wenn das Gefüge der Stadt damit zerbaut wird.

Und schliesslich erfordert die Verdichtung einen neuen Städtebau, da die Gebäude und die Parzellen grösser werden. Zudem spielt sich die Baukultur immer stärker in der Agglomeration ab. Diese bietet architektonisch wenig Halt, an dem sich ein Projekt orientieren kann, um das richtige Mass zu halten. Manche Bauten beziehen sich darum ganz auf sich selbst und schlagen krachend ein neues Kapitel auf. Rem Koolhaas wird seine Freude daran haben. Viele Schweizer Architekten eher nicht – durchaus zu Recht.