In Wien erproben Architekten innovative Modelle für Flüchtlingsheime

In Wien sind drei innerstädtische Flüchtlingsunterkünfte als Alternative zu abgeschotteten Containerdörfern entstanden. Amtliche Vorschriften engen jedoch den Gestaltungsfreiraum ein. Eine Ortsbegehung.

Gabriele Detterer
Drucken
Die Architekturbiennale Venedig zeigte 2016 experimentelle Flüchtlingsunterkunft von Caramel Architekten. In Wien wurden nun die Projekte realisiert. (Bild: Paul Kranzler)

Die Architekturbiennale Venedig zeigte 2016 experimentelle Flüchtlingsunterkunft von Caramel Architekten. In Wien wurden nun die Projekte realisiert. (Bild: Paul Kranzler)

Seit Jahresbeginn sind in Italien wiederum fast 100 000 Migranten angekommen. Wer kann, verlässt Italien in Richtung Norden. So gelangen viele nach Österreich und Deutschland oder in die Schweiz. Ihre Unterbringung bleibt allenthalben eine der grössten Herausforderungen.

Basel gehört zu den Ankunftsstädten mit überschaubarer Flüchtlingszahl. Rund 700 Asylbewerber lebten Anfang Juni in der Rheinstadt. Sie wohnen teils in stationären Unterkünften, teils in von der Sozialhilfe angemieteten Räumen. Neu errichtet wurde auf dem Dreispitz-Areal eine in Modulbauweise erstellte Siedlung, geplant von dem Architektenbüro «in situ». Maximal 250 Personen können in den dreistöckigen Laubengang-Häusern wohnen.

Im Vergleich zu einem Berliner Wohntypus für Flüchtlinge, sogenannten «Tempohomes», sind Asylbewerber, die in der Dreispitz-Siedlung unterkommen, gut untergebracht, denn «Tempohome» meint Leben in Containerdörfern am Stadtrand. Stählerne Wohncontainer sind genormt, dauerhaft stabil, kostengünstig und rasch aufgestellt.

Unterkünfte in der Innenstadt

Auf ein interessantes Gegenmodell zu gestapelten Modulen oder Containerdörfern am Stadtrand stösst man in Wien. Dort wurden an drei Standorten Unterkünfte für Asylbewerber im innerstädtischen Kontext geschaffen. Hierfür werden leerstehende Zweckbauten, in zwei Fällen ehemalige Bürobauten, genutzt.

Initiantin dieser alternativen Flüchtlingsunterkünfte ist Elke Delugan-Meissl. Der renommierten Architektin gelang es, das von ihr entwickelte Konzept «Orte für Menschen», das sie auf der Architekturbiennale Venedig 2016 präsentiert hatte, zu realisieren. Zu den Zielen des Projektes gehört die Stärkung der Eigeninitiative aufseiten der Ankömmlinge. Die drei Architektenteams Caramel Architekten, EOOS sowie the next ENTERprise Architects haben in drei Wiener Stadtbezirken eine Flüchtlingsunterkunft realisiert. Das brachte es mit sich, dass sich die Migranten zuweilen auch mit unterschiedlichsten Problemen an die Architekten wandten.

Diese Nähe zu den Bewohnern vermittelte den Designern wichtige Einsichten in die Situation und die Bedürfnisse der Migranten. Insbesondere die Verzahnung von Wohnen und Gemeinschaftsökonomie erwies sich als eine grosse Herausforderung. Verwaltet werden die Unterkünfte vom Arbeiter-Samariter-Bund und von der Caritas. Mitarbeiter der gemeinnützigen Organisationen sind an den drei Standorten im Einsatz und haben bisher im Rahmen dieser drei seit rund einem Jahr laufenden Projekte über tausend Personen betreut.

Haus Erdberg

Dieser «Ort für Menschen» im dritten Wiener Bezirk hat es in sich. Das Haus ist eine ehemalige Zollamtsschule. Nun sind Flüchtlinge in die Zimmer der einstigen angehenden Grenzwächter eingezogen, was seltsam symbolkräftig anmutet. Zudem beherbergt das Gebäude heute einen Polizeiposten und eine Ballsportschule. Alles unter dem Dach eines Gebäudekomplexes der 1970er Jahre. Natürlich ist fraglich, ob die ungewöhnliche Heterogenität der Gebäudenutzer der isolierenden Absonderung von Asylbewerbern tatsächlich entgegenwirken kann.

Eine zweite Zielsetzung im Haus Erdberg, die Verbindung von Unterkunft und Beschäftigung, konnte zunächst umgesetzt werden. Bis vor wenigen Wochen befand sich im Haus Erdberg ein Werkraum, in dem Flüchtlinge Möbel nach Selbstbau-Modellen fertigten, welche das EOOS-Design-Team aus gelben Schalungsbrettern entworfen hatte: Bänke, Hocker, Tische, Regale, Kücheneinrichtungen, alles, was es braucht, um Zimmer und Gemeinschaftsräume auszustatten.

Der Andrang war gross, denn Untätigkeit belastet Menschen, die auf den Asylbescheid warten. Sie wollen arbeiten und mit anpacken. Doch Selbsttätigkeit führt zu einem Problemgemenge, das entsteht, wenn in einer staatlichen Immobilie neuartige Gemeinwohlökonomie und sozialintegrative Ansätze verknüpft werden. So stoppte der staatliche Hauseigentümer den Kücheneinbau aus Schalungsplatten, weil das Material vorgegebene Gastronomie-Standards für Gemeinschaftsküchen nicht erfüllt.

«Narrisch» sei die amtliche Überregulierung, meint Harald Gründl (EOOS) hinsichtlich der vielen Vorschriften. So ruht der Küchenausbau, leider, denn als eine der Sternstunden ihres Engagements erlebte Lotte Kristoferitsch (EOOS) den Abend, an dem im Haus Erdberg der Prototyp der Selbstbauküche eingeweiht wurde.

Für den Werkraum im Haus, der geschlossen wurde, konnte eine Ausweichwerkstatt gefunden werden, denn es gibt Arbeit von externen Auftraggebern. Die neue Open-Air-Werkstatt befindet sich auf dem nahen «OPENmarx»-Gelände, einer Brache mit Zwischennutzung. Dort schleift ein iranischer Asylbewerber gelbe Bretter für die Möblierung der ersten Vienna Biennale.

Wie lange er schon in Wien sei, fragen wir Mohsen Poorebrahim. «18 Jahre», antwortet der Asylbewerber prompt auf Deutsch. 18 Jahre? – Schnell verbessert er sich: «18 Monate.» Der Versprecher zeigt, wie lange den Migranten, die nur sehr eingeschränkt arbeiten und Geld verdienen dürfen, die Wartezeit erscheint.

Beschäftigung, die der Gemeinschaft nützt und nicht rein therapeutisch motiviert ist, macht das Haus Erdberg – trotz den auferlegten Einschränkungen – zu einem besonderen Ort. Arbeit und Beschäftigung unterstützen den Willen der Ankömmlinge, Deutsch zu lernen und Schritte zur Selbsttätigkeit zu unternehmen, stärker als humanitäre Rundumversorgung und Gratissprachkurse.

Am Kempelenpark

Vom Haus Erdberg fahren wir in den 10. Wiener Bezirk, zum «Ort für Menschen»-Projekt am Kempelenpark. Hier ist nach Jahren der Leere wieder Leben eingekehrt. Viele Menschen, auch Esther, Aliagha und Koffi, laufen durch die Grünanlage, um zu ihrem «Heim» im «Park» zu gelangen. Es befindet sich im ehemaligen Siemens-Firmensitz auf einem sechs Hektaren grossen Areal, an das ein Wohnquartier grenzt. Nachdem Siemens vor Jahren den Bürokomplex aufgegeben hatte, schloss sich das Tor zum firmeneigenen Areal.

2015 erwarb ein privater Investor Gebäude und Grund. Kurz darauf begann die Wende, die das Eckgrundstück durch Nutzungsvielfalt wieder belebte. So stimmte der Eigentümer dem Plan von Elke Delugan-Meissl zu, hier einen «Ort für Menschen» einzurichten und junge Flüchtlinge und Studierende gemeinsam unterzubringen. Rund vierzig Studierende und dreissig junge Männer im laufenden Asylverfahren teilten sich bei unserem Besuch Aufenthaltsräume, Küche und Zimmer in umgestalteten Siemens-Büros. Auch die Möblierung ist experimentell. The next ENTERprise Architects entwarf Schrank, Bett, Schreibtisch, alles untergebracht in einem Raum-in-Raum-Möbel.

Das Raum-in-Raum-Modul des Architekturbüros the next ENTERprise Architects für Flüchtlinge und Studenten. (Bild: Paul Kranzler)

Das Raum-in-Raum-Modul des Architekturbüros the next ENTERprise Architects für Flüchtlinge und Studenten. (Bild: Paul Kranzler)

250 Euro Monatsmiete kostet das Studentenleben in dieser Vielfalt extrem unterschiedlicher Lebenserfahrungen. In einem Zimmer treffen wir Koffi aus Togo und Aliagha aus Afghanistan. Vor seinem Ein-Raum-Modul hat Aliagha einen weissen flockigen Hirtenteppich ausgebreitet, der dem Wohngehäuse eine persönliche Note verleiht. Den Teppich wird er erst wieder einrollen, wenn das Amt über seinen Asylantrag entschieden hat und er die Unterkunft verlassen muss. Aliagha spricht Farsi, Koffi versteht kein Farsi. Was sie anstreben, das sagen sie auf Deutsch: Der Afghane will Maschinenbau studieren, dem Mann aus Togo schwebt eine Arbeit mit erneuerbaren Energien vor.

Markus Bachmaier betreut das Projekt als Caritas-Vertreter vor Ort. Natürlich komme es manchmal zu Unstimmigkeiten zwischen Asylbewerbern und Studenten, sagt er, aber es gebe keine Vorfälle, die über das hinausgingen, was für ein Studentenwohnheim normal sei. Jedoch sei die Fluktuation hoch. Das liegt gewiss nicht an den experimentellen, praktischen Ein-Raum-Modulen. Denn wer sich mit diesem Möbel nicht anfreundet, dem steht als zweite Zimmertypologie «Traudi» zur Verfügung. Trau dich, selber die Einrichtung zu bauen und mit Phantasie und Intelligenz aus wenig Fläche viel Nutzen herauszuholen.

Neben Konzepten innovativer Wohnformen gelang am Kempelenpark eine für die Belebung des ehemaligen Siemens-Areals entscheidende zweite Intervention. Der private Eigentümer war bereit, die abgeschlossene Grünanlage öffentlich zugänglich zu machen. So wurde aus dem Siemens-Firmensitz ein Stadtbaustein, dessen hybride Nutzung den vitalen Quartierswandel fördert. Diese Alternative zu neugebauten Flüchtlingsheimen ist jedoch nur temporär angelegt, der Mietvertrag mit dem privaten Eigentümer dauert bis 2019.

Ein Aussenraum

Der dritte «Ort für Menschen», den wir in Augenschein nehmen, befindet sich in einem ehemaligen Bürohaus an der Pfeiffergasse. «Strassen für Menschen!», den Leitspruch von Bernard Rudofsky, setzten Caramel Architekten vor der Flüchtlingsunterkunft um. Sie errichteten einen Vorplatz mit Tischen und Sitzbänken unter einer von Petunien begrünten Pergola. Auch hier gab es amtlichen Widerstand, bevor der neue Aussenraum genehmigt wurde. Selbstverständlich, und zu Recht, mussten die von den Architekten für die Heimbewohner entworfenen schirmartigen Zelte aus amtlich gebilligtem feuerfestem Stoff bestehen.

Flüchtlingsfrauen haben die beschirmten textilen «Ready-made»-Kreationen genäht. Das schildert Günter Katherl im Café des Heimes und zeigt uns den Garten, den die Asylbewerber vor dem Haus angelegt haben. Was ist für die Ankömmlinge das Wichtigste? – Tätig sein, selber kochen zu können, stünde in der Wunschliste ganz oben, so Günter Katherl.

Flüchtlingsunterkünfte in ungenutzten Bauten in den Städten mit dem Ziel «Integration und Quartiersentwicklung» einzurichten, ist ein Konzept, von dem bisher ein überschaubarer Kreis an Migranten und Flüchtlingen profitierte. Da es an leerstehendem Büroraum nicht mangelt und im Zuge der Digitalisierung Flächen des herkömmlichen Bürohaustypus vermehrt frei werden dürften, könnte das Konzept «Orte für Menschen» Schule machen.