Architekten kämpfen in Mexiko um die alte Bausubstanz

Nach den Erdbeben werden viele beschädigte Gebäude abgerissen, dabei liesse sich das kulturelle Erbe bewahren.

Susanna Koeberle, Mexiko City
Drucken
Das schwere Erdbeben der Stärke 8,2 vor der Pazifikküste Mexikos hat bisher mindestens 90 Menschenleben gefordert, zahlreiche Gebäude sind eingestürzt, wie dieses hier in Matias Romero, Oaxaca (8.9.) (Bild: Angel Hernandez / EPA)

Das schwere Erdbeben der Stärke 8,2 vor der Pazifikküste Mexikos hat bisher mindestens 90 Menschenleben gefordert, zahlreiche Gebäude sind eingestürzt, wie dieses hier in Matias Romero, Oaxaca (8.9.) (Bild: Angel Hernandez / EPA)

Die beiden Erdbeben vom 7. und 19. September gehören seit dem grossen Beben im Jahr 1985 zu den stärksten und verheerendsten in der Geschichte Mexikos. Die neunte Ausgabe der Design Week, zu der die Schweiz als Gastland geladen war, musste deshalb um eine Woche verschoben werden, andere Veranstaltungen wurden ganz abgesagt. Vor Ort findet man in der 20-Millionen-Stadt folglich eine ambivalente Stimmung vor. Im Rahmen der Design Week werden Ausstellungen und Panels organisiert, gleichzeitig gibt es dringendere Themen als das hier eigentlich im Fokus stehende Produktdesign.

Als Folge der zweiten Erschütterung vom 19. September kollabierten allein in Mexiko City um die 80 Häuser. Fast 200 Bauten wurden zudem so stark beschädigt, dass die Bewohner evakuiert werden mussten. Viele kaputte Bauten werden präventiv abgerissen. Einige stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, davon zählen einzelne sogar zum Unesco Welterbe. Mit den Häusern werden auch Erinnerungen, Kultur, Identität zerstört. Jedenfalls sieht das der Architekt Maurico Rocha aus Mexico City so.

Er will eine Alternative schaffen zum radikalen Abbruch dieser Bauten und gründet eine Bewegung. Nach dem zweiten Beben schliessen sich viele Architekturbüros «ReConstruir México» an, auch Designer, Künstler und Institutionen wollen helfen. In Arbeitsgruppen versuchen sie den beschädigten Gebäuden auf den Grund zu gehen: Wichtig für Versicherungswerte ist die Bauweise: Erfüllt sie die Gesetze? Wichtig für den Erhalt sind die Materialien: Welche können allenfalls wiederverwendet werden? Für die vom Erdbeben betroffenen Landregionen versuchen die Teams, Notunterkünfte zu bauen.

Bereits im September 1985 wurde Mexiko von einem Erdbeben erschüttert. Zahlreiche Menschen starben in den Trümmern der Häuser. (Bild: Keystone / EPA / Pedro Valiera)

Bereits im September 1985 wurde Mexiko von einem Erdbeben erschüttert. Zahlreiche Menschen starben in den Trümmern der Häuser. (Bild: Keystone / EPA / Pedro Valiera)

Zwei Wochen nach Beginn der Bewegung arbeitet die Büro-Partnerin von Rocha, die Architektin Gabriela Carrillo, fast rund um die Uhr, damit die Netzwerke funktionieren. «Wir sind müde», sagt sie, «aber dieses Beben ist auch eine Gelegenheit, die Stadt neu zu denken». Sie versuchen die Schäden zu kartografieren. Die Gruppe stützt sich dabei auf Daten, die nicht vom Staat, sondern von Freiwilligen gesammelt werden.

Hilfe leisten Freiwillige

«Die Gründe für die Schäden sind vielfältig. Häufig sind es neuere Häuser, die hier in Mexico City beschädigt sind, etwa Bauten aus Beton, die zu schwer sind und deswegen einstürzten». Vorauseilend rechtfertigt sich die Architektin fast für ihr Engagement: «Wir sind keine Bewegung mit Partikularinteressen, die wir danach politisch ausschlachten. Wir wollen auch nicht mit anderen Hilfswerken in Konkurrenz treten, sondern vernetzen und Brücken zwischen den Organisationen bauen».

Sie versucht ihre Expertise einzubringen: «Die Häuser liessen sich durch provisorische Gerüste stützen und später sanieren», erklärt Carrillo. Ihr Team versucht etwa, Gerüste heran zu schaffen. Im Gegensatz zu den gelben Crime-Scene-Bändern mit der Aufschrift «prohibido», die man in der Stadt allerorten sieht, sollen ihre Gerüste keine Angst auslösen, eher den Schutzinstinkt der Bevölkerung wecken. Die Regierung ist damit überfordert, der Abriss ist für sie der einzige Weg. Dabei wären detaillierte Analysen der Schäden, die «ReConstruir México» in Angriff nimmt, auch wichtig, damit bautechnische Fehler nicht wiederholt werden.

In den stark betroffenen Quartieren Condessa und La Roma entstanden nach dem Beben von 1985 neue Gebäude. Interessanterweise zogen die vor allem Galerien und Bars an. Die Preise pro Quadratmeter stiegen rasant an. Vor Rissen schützte das die Häuser aber nicht. Ein Architekt, der durch das Viertel Condessa am Abend führt, hält die Zerstörung fotografisch fest.

Mitglied der ReConstruir-Bewegung ist er nicht, «zu unübersichtlich» findet er die Aktivitäten. Einzelne Strassenzüge seines Viertels sind abgesperrt, sein Leben führt er trotzdem normal weiter. Die Arbeit von Carrillo erscheint deshalb umso wichtiger: Nicht nur Design, auch die Architektur wird «wie im Marathon» gebaut. «Wir müssen wieder lernen, richtig zu atmen», sagt sie. In die Häuser zu gehen und sich mit den evakuierten Bewohner auszutauschen, löst das vielleicht ein.