Wird das Smart Home ein Spukhaus?

Die Tür als Portier, der Spiegel als Butler, die Heizung als Abwart – das Spukhaus war einst Sache der Phantasie. Mit der modernen Technik könnte es Wirklichkeit werden. Sie holt in die Realität, was die Fiktion unzählige Male durchspielte.

Manuel Müller
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Der Spuk ist aus: Im Februar 2010 wird das verwunschene «Jollerhaus» in Stans endgültig abgerissen. Heute sind es nicht mehr die ältesten Häuser, sondern die neusten Smart Homes, die drohen zu spuken. (Bild: Corinne Glanzmann / Neue Luzerner Zeitung)

Der Spuk ist aus: Im Februar 2010 wird das verwunschene «Jollerhaus» in Stans endgültig abgerissen. Heute sind es nicht mehr die ältesten Häuser, sondern die neusten Smart Homes, die drohen zu spuken. (Bild: Corinne Glanzmann / Neue Luzerner Zeitung)

Langsam und ohne Zutun öffnet sich die Haustür. Im dunklen Flur ist niemand zu sehen. Keine Stimme ertönt im Haus. An der Wand hängt ein Spiegel, schwarz und ohne Widerschein. Doch da: Durch den Gang geht ein Hauch, ein leises Flüstern! Von Tür zu Spiegel, durch den Flur in den Keller . . . Eine Stimme, fast menschlich, aber zu freundlich, erklingt: «Hallo! Willkommen im Smart Home!» – Macht die Tech-Industrie wahr, was bisher nur die Dichtung kannte: Wird das Smart Home ein Spukhaus, mit Türen, die sich auf Befehl öffnen, einer Küche, die selber kocht, einem Kühlschrank, der nie leer wird?

Mit den Licht- und Schattenseiten des intelligenten Wohnens beschäftigt sich auch NZZ Format. Am Donnerstag um 23 Uhr in SRF 1.

Rund um den Globus arbeiten Tech-Giganten am vernetzten, automatisierten Haus. Nicht nur im Silicon Valley und in Japan, auch an der Hochschule Luzern und der ETH Lausanne wird am Smart Home getüftelt, das jeden Wunsch erfüllt. Für Technikaffine sind das wohl gute Nachrichten. Wer das nötige Know-how und das entsprechende Budget hat, kann schon heute die Heizung automatisieren, Lichter vom Tablet aus steuern, die Türe aus der Ferne öffnen. Wem aber bereits das eine «smarte» Gerät manchmal zu viel wird vor lauter Updates, Bugs, Glitches, Hacking und fragilem Gorilla-Glas: Den erwartet vielleicht kein Wunsch-, sondern ein verwunschenes Haus.

Der Kunst ein Heimspiel

Was für die Tech-Industrie Neuland ist, gilt der Kunst indes als Heimspiel. Das Motiv des Spukhauses geistert seit Jahrhunderten durch die Literatur. Für unzählige Schauermärchen und romantische Novellen, für ganze Genres phantastischer Literatur lieferte es Stoff und Schauder. Man würde deshalb meinen, die Welt habe sich inzwischen sattgesehen und sei taub geworden für das Knarzen der Böden, das Quietschen der Türen, das dumpfe Poltern und den spitzen Schrei! Doch wie Bestsellerlisten und Fernsehprogramme zeigen, ist das Bedürfnis ungebrochen, sich in den eigenen vier Wänden zu gruseln – und dies am liebsten gerade aufgrund dieser vier Wände. Der Unterschied ist nur, dass diese Wände heute erstmals ein Eigenleben gewinnen.

Klassiker der phantastischen Literatur haben längst durchgespielt, was Smart Homes versprechen: Eine Projektion des Sternenhimmels an die Schlafzimmerdecke? Keine Neuheit. H. P. Lovecrafts Spukhaus in «Die Musik des Erich Zann» (1922) blickt statt auf Paris direkt ins Weltall. Ein unsichtbares Wesen waltet im Haus? Längst aufgegriffen von Guy de Maupassant in «Der Horla» aus 1886. Darin dringt ein unsichtbarer «Übermensch» ungefragt ins Haus ein, trinkt über Nacht die Gläser leer, nimmt Besitz vom Protagonisten – bis sich dieser gegen seinen neuen Herrn auflehnt und das Haus samt der Bediensteten in Flammen aufgehen lässt. Selbst Disney zeigte schon sprechendes Geschirr – wenn man im Smart-Home-Prototyp von Panasonic die Teekanne auf Befehl Wasser kochen sieht, denkt man unweigerlich an «Die Schöne und das Biest» (1991). Auch dort verstehen sich Kanne und Tasse aufs Beste.

Das Un-Heimliche

Das Unheimliche ist wohl eine anthropologische Konstante. Nicht erst seit Aufklärung und Industrialisierung den Mythos zurückdrängen, gewinnt die Geistergeschichte Anhänger. Der Mythos, das Religiöse, der Kultus selbst sind in vielen Epochen und Kulturen durchdrungen von Elementen des Unheimlichen, des Grusels und des Spuks.

Wie Sigmund Freud 1919 in einem Aufsatz festhält, tritt das Unheimliche da auf, wo sich dem Menschen das Vertraute auf ungewohnte Weise zeigt: Da wird dem Menschen das Eigene und Bekannte – das Heimische und Heimelige also – fremd und furchtbar. Bei alltäglichen, gewohnten, greifbaren Dingen beginnt das «Un-Heimliche»: an der Haustür, im Spiegel, im Flur – mit einer Puppe, wegen eines losen Blattes, durch eine Koinzidenz.

Da, wo sich das Fassbare in Flüchtiges verwandelt, gewinnt die Welt einen Zauber – und wir bekommen Angst. Denn gleich hinter der Physik, gleichsam an ihren Rändern, beginnt die Fiktion; in Zaum gehalten von der Vernunft allein und nur mit grösster Mühe. Welche Ironie also, dass gerade sie die Gegenstände erschafft, mit denen das Spukhaus aus der Dichtung in die Wirklichkeit tritt.