Der indische Architekt Balkrishna Doshi gewinnt den renommierten Pritzkerpreis für Architektur.
Es ist, als habe die Jury des Pritzkerpreises auch noch einmal an die Väter der architektonischen Moderne, Le Corbusier und Louis Kahn, erinnern wollen: Der diesjährige Preisträger Balkrishna Doshi sass sowohl mit dem Schweizer als auch mit dem Amerikaner in den fünfziger und sechziger Jahren zusammen und beaufsichtigte Bauten und Stadtpläne, die sie für Städte wie Chandigarh und Ahmedabad in seinem Heimatland entworfen hatten. Sie waren seine Helden, bei ihnen wollte der damals noch junge Architekt aus der indischen Stadt Pune lernen. Heute ist Balkrishna Doshi ein ebenso anerkannter und honorierter Baumeister.
Es war, wie soll man sagen, deshalb auch keine Überraschung, als der Name des mittlerweile 90-jährigen Architekten am Mittwochnachmittag um (zwei Minuten nach) vier Uhr auf der Homepage des Pritzker Architecture Prize aufblitzte. Vor mehr als sechzig Jahren gründete Doshi sein eigenes Architekturbüro Vastu Shilpa – ein Name, der später durch die unschöne Bezeichnung «Consultants» erweitert wurde. Er hatte also viel Zeit, die formale Sprache seiner Ausbilder zu übersetzen und einzigartige Konzerthallen, Universitäten und Privathäuser zu bauen, darunter das etwas brutalistisch anmutende Ungetüm Premabhai Hall und die unterirdische Kunstgalerie Amdavad ni Gufa, eine Art Tuchfühlung in den berippten Bauch eines versteinerten Tieres. Auch wenn Balkrishna Doshis persönliches «Heiligtum», nach eigenen Aussagen, bis heute sein 1980 gebautes Studio Sangath ist: ein schlichtes Ensemble aus Tonnengewölben aus Beton, umgeben von Wasserbassins und begrünten Terrassen. Doshi sei immer «seriös» gewesen, begründete die Jury denn auch die Ehrung ihres ehemaligen Mitgliedes, «niemals flashy» und keiner jener Architekten, die irgendeinem «Trend» hinterhergerannt seien.
Gibt die Jury damit vielleicht auch zu, dass die Hyatt Foundation, die den mit 100 000 Dollar dotierten Preis vergibt, in den vergangenen Jahren etwas von ihrem Alter-Meister-Kurs abgekommen war? 2016 hatte sie sich erst zu einem Bruch mit der «Star-Architecture» bekannt und den hippen amtierenden Venedig-Biennale-Kurator, den Architekten Alejandro Aravena, prämiert. Er repräsentierte seinerzeit den sogenannten «social turn», wurde für den Bau von Sozialwohnungen gelobt, deren Ausbau er keinen teuren Firmen, sondern lieber ihren neuen Bewohnern überlassen hatte. 2017 folgten dann Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramon Vilalta, kurz RCR, die eher für eine Art Regionalismus mit Hang zu schwarzen Kuben und schrillen Farben standen als für eine architektonische Handschrift, die nach allen Regeln der Kunst Grenzen sprengt.
Nun also besinnt sich die zehnköpfige Jury wieder auf einen Klassiker, dessen Eltern Möbel herstellten, der eine Architekturschule gegründet und diese jahrzehntelang geleitet hat und der den Westen und den Osten architektonisch auf eine so harmonische und nachhaltige Art und Weise für jedermann vereint, dass man sich eigentlich nur verneigen kann.
Ist Balkrishna Doshi deshalb eine gute Wahl? Auf jeden Fall, sogar eine sehr schöne. Nur mutig kann man diese Entscheidung wohl nicht nennen. Das neuste Jury-Mitglied Kazuyo Sejima hatte den Pritzkerpreis in ihrer Dankesrede noch als Ermunterung aufgefasst, «neue architektonische Kreationen zu wagen» – im Fall von Balkrishna Doshi ist die Auszeichnung nun eher die späte Würdigung eines Gesamtwerks, das seit langer Zeit zur Grundlage des Architekturstudiums gehört. Abgesehen davon wird die extrem niedrige Frauenquote durch die Ehrung dieses grossen Architekten auch nicht erhöht. Aber auf Zahlen und Geschlechter soll es bei Preisverleihungen ja nicht ankommen.